II.

Während Swift seiner Liebe zur Literatur nachhing und diese hohe Freundschaft ihm eine angenehme Zukunft zu versprechen schien, bereitete er sich, ohne es zu merken, eine Reihe von Unglücksfällen für den Rest seiner Tage. Es geschah, während seines zweiten Aufenthalts in Moorpark, daß er die Bekanntschaft von Esther Johnson machte, die unter dem poetischen Namen Stella bekannter ist.

Swift, im Vertrauen auf sein kaltes Temperament und seine wandelbare Laune, die kein unkluges Verhältniß gestatten würde, faßte den Entschluß, nicht eher an eine Heirath zu denken, als bis seine Existenz gesichert wäre. Auch dann noch, meinte er, werde er so schwer zufrieden zu stellen seyn, daß er die Hochzeit wohl bis zu seinem Tode werde aufschieben können; die Anzeichen einer Neigung, in welchen sein Freund die Symptome einer Leidenschaft zu erkennen glaubt, sind nur die Wirkung einer beweglichen, unruhigen Laune, die der Nahrung bedarf. Er ergreift die erste Gelegenheit, sich zu unterhalten, die sich darbietet, und sucht sie oft in einer nichtssagenden Galanterie; dies ist auch sein Zweck bei dem genannten Mädchen; »es ist eine Gewohnheit,« sagte er, »die ich ohne Mühe werde ablegen können, wenn ich einmal den Entschluß werde fassen wollen, und die ich gewiß ohne Schmerz an der Schwelle des Heiligthums zurücklasse.«

Auf diese Neigung folgte eine noch ernsthaftere; Jane Waryng, die Schwester seines Schulfreundes Waryng, die er mit ziemlich kalter poetischer Affektation Varina nannte, zog während seines Aufenthalts in Irland, als er William Templeverlassen hatte, seine Aufmerksamkeit auf sich.

Ein Brief, der vier Jahre später an dieselbe Person gerichtet wurde, ist in einem ganz andern Tone geschrieben. Varina ist verschwunden; unser Autor schreibt an Jane Waryng: Innerhalb vier Jahren konnten viele Ereignisse vorfallen, die wir nicht wissen; und es wäre nicht gerecht, das Betragen Swifts hart zu beurtheilen, den der hartnäckige Widerstand Varina’s nicht auf das plötzliche Anerbieten einer Capitulation hatte vorbereiten können.

Der Tod des Sir William Temple setzte dem friedlichen und glücklichen Leben, dessen sich Swift vier Jahre lang in Moorpark erfreute, ein Ziel. Sir William hatte die edle Freundschaft Swifts zu schätzen gewußt: er machte ihm ein Vermächtniß an Geld und hinterließ ihm seine Manuscripte, die er ohne Zweifel weit höher schätzte.

Kurze Zeit nachher begab sich Swift nach Irland mit Lord Berkeley. Nach einigen Uneinigkeiten mit diesem Edelmann erhielt er die Pfründe Saracor; aber nun warf er sich unverzüglich auf die Politik.

Im Jahr 1710 begab er sich nach England. Damals begannen seine Feindseligkeiten mit den Whigs und sein Bündniß mit Harley und der Verwaltung.

Seine Ernennung zum Dechant zu St. Patrik wurde den 23. Februar 1713 unterzeichnet und Swift reiste in den ersten Tagen des Junius ab, um eine Pfründe in Besitz zu nehmen, die er, wie er oft sagte, im höchsten Falle für nichts Anderes ansah, als für eine ehrenvolle Verbannung. Man konnte sich in der That nicht darauf gefaßt machen, daß die beispiellose Gunst, in der er bei der Regierung gestanden hatte, ihn zu nichts weiter, als zu einer Pfründe in Irland führen und ihn von denselben Ministern entfernen würde, von denen er um Rath gefragt worden war, die seine Talente zur Verteidigung ihrer Sache benützten und mit eben so viel Entzücken seine Gesellschaft genoßen als sie zuvor seine Dienste für die Verwaltung so wesentlich gehalten hatten. Er mochte sich allerdings eben so getäuscht als überrascht fühlen, daß sie ihn nicht zum Bischof in Irland ernennen wollten. Mistreß Johnson hatte ihr Vaterland verlassen, ihren Ruf auf’s Spiel gesetzt, um sein Schicksal zu theilen, zu einer Zeit, als durchaus kein Anschein war, es könnte später glänzender mit ihm werden, und die Bande, die Swift verpflichteten, sie für diese Opfer schadlos zu halten, wären eben so heilig als ein feierliches Versprechen gewesen, wenn nicht wirklich ein förmliches Heirathsversprechen von seiner Seite gegeben ward. Swift beauftragte den ehrwürdigen Sr. Georg Ashe, Bischof von Clogher, seinen alten Lehrer und Freund, sich nach der Ursache der SchwermuthStella’s zu erkundigen, und die Antwort war eine solche, wie sie ihm sein Gewissen zum Voraus hätte geben können. Es war nur ein Mittel, sie von seiner fortdauernden Liebe zu überzeugen und gegen die Verläumdung zu schützen. Swifts Antwort war, daß er zwei Entschlüsse in Beziehung auf den Ehestand gefaßt habe, einmal nicht eher zu heirathen, als wenn er ein hinlängliches Auskommen habe, und dann nur in einem solchen Alter daran zu denken, wo er vernünftiger Weise noch hoffen könnte, seine Kinder so versorgt zu sehen, wie sie es zu werden wünschen dürften. Seine Unabhängigkeit sey noch nicht gesichert, er habe Schulden und die Lebensstufe überschritten, über welche hinaus er entschlossen sey, nicht mehr zu heirathen. Indessen wolle er Stella seine Hand geben, wenn ihre Heirath geheim gehalten, und unter der Bedingung, daß sie fortfahren würden, getrennt, und mit derselben Zurückhaltung wie zuvor zu leben. Stella unterschrieb diese harten Bedingungen. Sie hoben ihre Zweifel und beschwichtigten ihre Eifersucht, indem sie die Verbindung mit ihrer Nebenbuhlerin unmöglich machten. Swift und Stella wurden im Jahre 1716 im Garten der Dekanei vermählt. Unmittelbar nach der Ceremonie war Swift, wie es scheint, in einer schrecklichen geistigen Aufregung. So viel ich von einem Freunde seiner Wittwe erfahren habe, erzählte Delany, als man in ihn drang, seine Meinung über diese seltsame Heirath auszusprechen, er habe um die Zeit, als sie zu Stande kam, bemerkt, daß Swift sehr finster und außerordentlich aufgeregt war, so sehr, daß er zum Erzbischof King gegangen sey, um ihm seine Besorgnisse mitzutheilen. Als er in das Bibliothekzimmer gegangen, seySwift eilig mit verstörten Zügen herausgekommen und an ihm vorbeigeeilt, ohne mit ihm zu sprechen. Er habe den Erzbischof in Thränen gefunden, und auf seine Frage nach dem Grunde die Antwort erhalten: »Sie sind so eben dem unglücklichsten Menschen auf der Welt begegnet, aber fragen Sie mich niemals über die Ursache seines Unglücks.« Bei dieser Gelegenheit ist zu bemerken, daß Delany aus diesem Umstande schloß, Swift habe nach seiner Heirath mit Stella entdeckt, daß sie in einem verbotenen Grade mit einander verwandt seyen und dies dem Erzbischof anvertraut. Aber die Ausdrücke des Prälaten lassen auf nichts Näheres schließen, und es gibt sichere Beweise dafür, daß diese Verwandtschaft gar nicht bestanden haben kann.

Swift sah mehrere Tage Niemand. Als er aus seiner Zurückgezogenheit hervorkam, dauerten seine Beziehungen zu Mistreß Dingley und Stella mit derselben Vorsicht fort, um jeden Verdacht eines vertrauten Verhältnisses abzuwehren, wie wenn dieses jetzt nicht rechtmäßig und tugendhaft gewesen wäre. Stella war also fortwährend die Geliebte und vertraute Freundin Swifts; sie hielt ihm Haus, machte die Honneurs seines Tisches, obgleich sie nur sein Gast zu seyn schien; sie war seine treue Gefährtin, pflegte ihn, wenn er krank war, aber sie war nie seine Frau, und selbst diese Heirath war ein Geheimniß für die Welt.

Die Angelegenheiten seiner Kirche, die durch den Widerstand seines Capitels und durch die Dazwischenkunft des Erzbischofs King in Verwirrung gebracht worden waren, hoben sich unmerklich durch die Ueberzeugung, die man von der Redlichkeit der Absichten des Dechanten und von seinem uneigennützigen Eifer für die Rechte und Interessen der Kirche gewann. Er erlangte einen solchen Einfluß auf das Capitel, daß man seinen Vorschlägen selten widersprach. Die Angelegenheit der Gefälle und der Erneuerung derselben verschlang in der Folge viel von seiner Zeit. Man darf annehmen, daß Swift wahrend dieser fünf bis sechs Jahre das Studium nicht vernachläßigte. Man fand seine Ansichten über Herodot, Philostrat und Aulus Gellius, was zu der Annahme veranlaßt, daß er sich mit diesen Schriftstellern hauptsächlich beschäftigte: er hatte seine Ausgaben mit weißen Blättern durchschießen lassen, auf die er Bemerkungen schrieb. Man dürfte wohl voraussetzen, daß er die klassischen Autoren nicht vergessen habe, wenn wir nicht wüßten, daß Lucrez seine Lieblingslektüre während seines Aufenthalts zu Gaulstown war. Das Verzeichniß der Bücher, aus denen seine Bibliothek bestand, mit seinen eigenhändigen Bemerkungen ist der sicherste Beweis für seinen Geschmack.

Diese Studien genügten indeß einem Manne nicht, der während seines Aufenthalts in England einen so thätigen Antheil an der Politik genommen hatte. Man hat daran gedacht, und es ist sehr wahrscheinlich, daß Swift zu jener Zeit den Plan zu denReisen Gullivers entwarf. Man findet den Keim dieses berühmten Werkes in den Reisen des Martinus Scriblerus, die wahrscheinlich zuvor entworfen worden waren, ehe die Verbannungen den literarischen Clubb zerstreut hatten. Der Zustand, in welchem der Dechant die öffentlichen Angelegenheiten nach dem Tode der Königin Anna erblickte, paßt zu einem großen Theile der satyrischen Züge in den Reisen. Außerdem spielt ein Brief von Vanessa auf das Abenteuer Gullivers mit dem Affen von Brobdingnag an, und man findet in derselben Correspondenz, daß Swift im Jahr 1722 mehre Reisebeschreibungen las. Er sagte zu Mißtreß Whitway, was er nachher wiederholt hat, daß er aus den Reisen, die er gelesen, alle Seeausdrücke in Gulliver entlehnt habe. Es ist also wohl anzunehmen, daß die Reisen Gullivers zu der Zeit, von der wir sprechen, skizzirt wurden, obgleich sie von der Politik einer spätern Periode handeln.

Swift verließ im Jahre 1720 seine Beschäftigungen und Unterhaltungen, um wieder auf der politischen Bühne zu erscheinen, zwar nicht mehr als Sachwalter und Lobredner eines Ministeriums, aber als der unerschrockene und beharrliche Vertheidiger eines unterdrückten Volkes. Keine Nation hat jemals so sehr eines solchen Vertheidigers bedurft. Der Wohlstand, dessen sich Irland unter den Königen aus dem Hause Stuart erfreut hatte, war durch einen Bürgerkrieg unterbrochen worden, dessen Ausgang den Kern seines Adels und seines Heeres genöthigt hatte, sich aus dem Lande zu entfernen. Die katholische Bevölkerung dieses Königreichs erweckte nur Mißtrauen, und wurde dadurch zur Führung ihrer eigenen Sache untüchtig.

Das englische Parlament hatte sich die Gewalt angemaßt, Irland Gesetze zu geben; und es benutzte diese Gewalt dazu, den Handel dieses Königreichs so sehr als möglich in Fesseln zu legen, dem Handel Englands unterzuordnen und ihn in dieser Abhängigkeit zu erhalten. Die Gesetze des zehnten und elften Jahres der Regierung Wilhelm III. verboten die Ausfuhr der Wollwaaren, außer nach England und in das Fürstenthum Wales. Die irländischen Fabriken wurden dadurch eines Einkommens beraubt, das man auf eine Million Pfund Sterling schätzte.

Nicht eine Stimme erhob sich in der Kammer der Gemeinen gegen diese eben so unpolitischen, als tyrannischen Maßregeln, die eher eine Korporation kleinstädtischer Krämer, als des aufgeklärten Senats eines freien Volkes würdig waren. Nach diesen Grundsätzen handelnd, häufte man Ungerechtigkeit auf Ungerechtigkeit und man fügte den Hohn hinzu, mit dem Vortheil für die Angreifenden, daß sie das unterdrückte Volk Irlands einschüchtern und zum Schweigen bringen konnten, indem sie es als Rebellen und Jakobiren verschrieen! Swift sah diese Uebelstände mit dem ganzen Unwillen eines Charakters an, der von Natur zum Widerstand gegen die Tyrannei geneigt ist. Er veröffentlichte die »Briefe des Tuchhändlers« voll gewichtiger Gründe, blitzend von Geist und besonders durch die Gewandtheit ausgezeichnet, mit welcher die Beweisgründe dargestellt und die Pfeile gerichtet wurden.

Swifts Popularität war die aller jener Männer, welche in einer entscheidenden kritischen Periode das Glück gehabt haben, ihrem Vaterlande einen großen Dienst zu leisten. So lange er sein Haus noch verlassen konnte, begleiteten ihn die Segenswünsche des Volkes; wenn er in eine Stadt kam, erfreute er sich einer Aufnahme, wie sie sonst nur einem Fürsten zu Theil wird. Bei der ersten Nachricht von einer Gefahr, die dem Dechant (so nannte man ihn gewöhnlich) drohte, lief das ganze Land zu seiner Vertheidigung herbei. Walpole hatte dann gedroht, Swift festnehmen zu lassen; ein kluger Freund fragte ihn, ob er zehntausend Soldaten habe, um den Beamten begleiten zu lassen, der damit beauftragt sey, diesen Befehl zu vollziehen.

Swifts Schwächen, obgleich von der Art, die Böswilligkeit des Pöbels zu reizen, wurden mit der frommen Achtung kindlicher Liebe beurtheilt. Alle Vicekönige von Irland, von dem leutseligen Cartenet an bis zu dem hochmüthigen Dorset, die weder seine Politik noch auch seine Person liebten, sahen sich genöthigt, seinen Einfluß zu achten und mit seinem Eifer zu kapituliren. Ueber die Abnahme seiner geistigen Fähigkeiten trauerte Irland; der Schmerz eines Volkes begleitete ihn in’s Grab, und beinahe alle irische Schriftsteller haben dem Andenken Swifts jenen Tribut der Dankbarkeit abgetragen, der ihm mit so vollem Rechte gebührt.