An Eva war ein Wunder geschehen. Jetzt, wo es galt, den wiedergewonnenen, schwerkranken Mann gesund zu pflegen, riß ihr starker Wille den schwachen Körper vom Lager empor. Anfangs konnte sie nur auf kurze Zeit ihr Bett verlassen und verlangte dann von Hans bald dies, bald das, wovon sie glaubte, daß es dem Kranken wohltäte. Sie flößte ihm warme Milch ein und dampfende, würzige Kräutertränke. Immer wieder erneuerte sie die Wärmsteine, mit denen sie sein Lager heizte. Peter mußte schwitzen und wurde davon so schwach, daß er sein Lager nicht verlassen konnte. So lag er wochenlang. Bei den ersten Gehversuchen klagte er über Schmerzen in allen Gelenken. Er verriet dem Sohn, in welchem Winkel der Bärenhöhle er seinen Labetrunk verborgen hatte. Der würde ihn kräftigen und heilen. Auch Eva hoffte es. Da Peter aber Schmerzen in den Gelenken fühlte, gab sie ihm davon nichts zu trinken, sondern rieb ihrem Mann damit täglich die Gelenke ein. Schon nach einer Woche ließen die Schmerzen merklich nach.

Und weil Eva die Ursache des Übels der kalten Nacht auf der Klammhöhe zuschrieb, die dem Körper ihres Mannes zu viel Wärme entzogen hatte, wollte sie seinem Leib recht viel Wärme zukommen lassen. Heiße Bäder sollte er haben. Hans mußte die Waschkammer unter dem Laubengang in eine Badestube verwandeln, den Fußboden mit einem Lattenrost aus Lärchenholz belegen und alle Mauerfugen sorgfältig vermörteln. Neben Evas kleinem Waschtrog wurde ein größerer Badetrog aus gut verfalzten Lärchenbohlen aufgestellt. Die offene Feuerstelle wurde mit verkeilten Steinen überwölbt, die den Raum lange warmhalten sollten.

In das Badewasser kamen erhitzte Steine. Zischend und singelnd stiegen von den Heizsteinen die Dampfbläschen auf, und die Badestube füllte sich mit heißem Nebel, in dem Peter verweilen mußte, bis Hans die Heizsteine aus dem heißen Wasser entfernt hatte. Dann mußte der Kranke in die Wohnstube; dort wurde er trockengerieben, in Tücher gehüllt und ins Bett gesteckt. Einmal wöchentlich kam er ins heiße Bad; nachher war er jedesmal sehr matt und vor allem hungrig; er bekam kräftig zu essen, und anschließend schlief er lange und tief. Langsam setzte die Genesung ein.

Auch Eva erstarkte zusehends. Der Wunsch, den Mann und Vater ihres Sohnes wieder gesund zu sehen, zwang sie, ihre eigene Schwäche zu überwinden.

Noch ehe der Sommer verging, stand Eva wieder vor dem Kochherd und bereitete für Peter, wonach er Verlangen hatte: Brote, mit Speck belegt und auf Speck gebacken, in Teig gebratenes Selchfleisch, Forellen in zerlassener Butter, gesäuertes Kitzfleisch, würzige Gemüsesuppen, Eierfladen mit Heidelbeermus, Eicheltrank mit Milch und Honig in reicher Abwechslung – alle Tage ein Festessen, das gab Peter wieder Kräfte. Die beiden Genesenden verbrachten die wärmste Tageszeit im Sonnenschein auf dem »Gang«, von dem aus sie die Gärten und Felder der Sonnleiten überschauen konnten, wo jetzt Hans allein alle Arbeit tat. Die Mutter ahnte wohl, welche Hoffnungen der Sohn für sich an die Genesung der Eltern knüpfte.

Bei aller Behendigkeit wäre Hans mit dem Absicheln des reifen Getreides nicht rechtzeitig fertig geworden; die Körner wären überreif auf dem Felde ausgefallen, hätte er sich die Arbeit nicht vereinfacht. Seine Rechte war vom Sicheln wie gelähmt. Er mußte ihr einen Ruhetag gönnen, im Hammerwerk. Dort brauchte er nur einen glühenden, gebogenen Eisenstab langsam unter den selbsttätigen Hammer nachzuschieben. Es entstand eine armlange Sichel mit dünngeklopfter Schneide. Dieses lange Grasmesser wollte er mit beiden Armen in weitem Schwung führen. Er schäftete es in ein gespaltenes Eichenstämmchen, an dem er zwei seitlich abstehende Aststummel als Handgriffe gelassen hatte. So vollkommen das neue Gerät aussah, erst mußten Schneide und Spitze sanft gebogen und dem Zweck angepaßt werden, wenn Hans aufrecht schreitend damit mähen sollte, ohne den Boden zu treffen.

Das neue Gerät bewährte sich gut. Von Zeit zu Zeit mußte er die Schneide mit einem feucht gehaltenen Splitter aus Quarzsandschiefer schärfen, eine geringe Mühe – denn der junge Mann wurde mit dem Getreideschnitt an einem Tag fertig, ohne nachher besonders müde zu sein.

Als Hans auf dem Bockskarren die ersten Getreidegarben eingeführt und sie auf dem glattgetretenen, sauber gekehrten Boden unter dem Laubengang ausgelegt hatte, kamen Vater und Mutter und halfen. Beim Dreschen zu dritt gab Hans den kräftigen Vorschlag, Peter und Eva folgten. Glücklich lächelten sie einander an: So fröhlich und gemeinsam hatten sie schon lange nicht mehr gearbeitet! Nach dem Dreschen holte Eva ihr größtes Sieb, Hans schaufelte die ausgedroschenen Körner hinein und rüttelte es, daß der sanfte Klammwind Spreu und winzige Unkrautsamen davontrug.

Als die Alpenrosen blühten und die Vogelmütter auf ihren Eiern saßen, erwachte in Hans unwiderstehlich die Sehnsucht nach der großen Welt. Halbfertig lag sein Schmalboot im Gras der ehemaligen Triftbucht; der See aber war verschwunden, sein Boden mit Huflattich, Pestwurz und Sauerampfer überwuchert, die aus angeschwemmten und angewehten Samen aufgegangen waren. Der Eingang zur Klamm war undurchdringlich mit Schwemmholz verlegt, durch das der Klammbach still seine ungezählten Arme sickern ließ; sie vereinigten sich in der Klamm wieder zur schäumenden Ache.

Eva verstand die Unrast ihres Sohnes. In stillen Dämmerstunden war sie seine Vertraute. Wie sie ihm einst Märchen erzählt hatte, so sagte sie ihm jetzt alles Ernste, was ihres Lebens Weisheit war, und verschwieg nichts. Sie wurde Hansens Anwalt beim Vater, alle seine Bedenken zerstreuend.

Sooft der Sohn auszog, den Weg in die Welt zu finden, bestand sie darauf, daß er sein bestes Gewand aus weichgewalktem Bockleder anzog. Sie schmückte seinen Hut aus Buchenschwamm mit Goldprimeln und füllte den Rucksack mit Wegzehrung für mehrere Tage.

Als er endlich den lange gesuchten Übergang gefunden hatte und wiederholt tagelang nicht nach Hause kam, betete Eva voll Zuversicht um die Erfüllung ihres heißen Wunsches.

Eines stillen Sommerabends saß sie, die Katze im Schoß, mit Peter auf ihrem Lieblingsplatz vor der Tür des Obergeschosses; unverwandt schaute sie zu den Klammwänden hinüber. Sie ahnte etwas.

Brennend rot sank die Sonne zwischen Henne und Spitz. Zartes Gewölk prangte in rotem Gold, gedämpft tönte das Läuten des Schlagwerks vom Geißengarten herüber, die Baumkronen im Kastaniengarten schwankten leicht im Abendwind, und auf dem höchsten Wipfelzweig der Hausfichte flötete eine Goldamsel.

Da schallte ein Juchzer durch die Abendstille. Von der Klammhöhe kam er, und die fernen Salzwände warfen den Jubelschrei zurück. Das war das verabredete Zeichen, daß Hans eine Frau gefunden hatte, eine Frau nach dem Herzen der Mutter. Das Geschlecht der Sonnleitner sollte fortbestehen.

*

Das war die Geschichte der Sonnleitner-Leute. Eine der Ur-Urenkelinnen Evas ist die Mutter des Erzählers: ein Mensch, der lieber gelitten hat, als daß er andere hätte leiden lassen. Mutter Marias Haare sind silberweiß geworden im Kampf gegen Unglück und Plage, die sie und die Ihrigen beinahe zu Boden gezwungen hätten, wenn ihre vorsorgende, opferfreudige Liebe nicht gewesen wäre.

Wir alle sind Nachkommen von Höhlensiedlern. Die Vorfahren eines jeden von uns haben den gleichen weiten Weg zurückgelegt. Wir haben die Sehnsucht nach dem Licht geerbt, die Lust am Schaffen und das Verständnis für die Sprache der Dinge um uns her. Die Freude an neuen Erkenntnissen, die Liebe zum Schönen, die Arbeit für andere und damit für uns selbst – das sind unsere Seligkeiten. Widerwärtigkeiten und Hemmnisse entmutigen uns nicht.