Eva wollte versuchen, selbst Gold zu finden. Peter hatte keine Zeit, sich um Evas Stimmung zu kümmern. Seine nächste Sorge galt den Fellen, die aus der Grube mußten. Aus einer starken Astgabel und einem Asthaken machte er sich die notwendigen Werkzeuge, um die Beschwersteine fortzuschaffen und die Felle aus dem Schlamm zu ziehen. Der Versuch gelang.

Als Peter die Felle im Klammbach reinigte, gingen die Haare ab, aber das aufgequollene, braungewordene Leder selbst war brauchbar. Es war geschmeidig, es roch herb, aber nicht widerlich, wie rohe Häute sonst riechen. Und Peter nahm sich vor, von nun an nur einen Teil seiner Felle zu räuchern, die anderen aber in einer Grube zwischen Laub und Rinde einzulegen.

Da er sich mit dem Gedanken trug, näher bei der Fundstelle des Goldes zu siedeln, schaffte er nach und nach seinen ganzen Ledervorrat an den Lagerplatz vom Vorjahr, bei den wiederhergestellten Fischreusen, wo er sich abermals eine Feuerstelle eingerichtet hatte. Die Felle legte er zum Trocknen über Sträucher. Als ihn dabei ein Platzregen überraschte, schlüpfte er unter das überdachte Gezweig und freute sich, daß er einen so guten Regenschutz hatte. Kaum hatte der Regen aufgehört, ging Peter daran, vor dem Felsen, der sein Lagerfeuer schützte, ein dauerndes Obdach herzustellen. Er bog zwei junge Eschen nieder, die vor dem schmalen Felsvorsprung in der Nähe seiner bisherigen Feuerstelle wuchsen, und kürzte die Kronen. Dann rammte er noch vier Jungfichtenstämmchen in den Boden, bog die Enden aller Stangen mit einem Asthaken gegeneinander und band die Wipfelstummel mit gedrehten Weidenruten zusammen. Auf das kegelförmig zusammenlaufende Gerippe heftete er das noch nasse, schmiegsame Leder und beschwerte die auf dem Boden aufliegenden Ränder mit Steinen. Das Zelt war entstanden!

Einen Lederlappen, der ihm den Einschlupf schließen sollte, versah er mit Randlöchern, um ihn leicht festmachen zu können. Im sandigen Lehmboden unter dem Zelt hob er eine Schlafmulde aus. Die Erde warf er nicht achtlos beiseite, sondern häufte sie rings um seine Schlafstätte zu einem kleinen Wall auf. Dann holte er Reiser, Laub und Moos. Peters Zelt sollte zwar nur vorübergehend benutzt werden, trotzdem war es recht wohnlich. Das Goldkörnchen tat er in eine Muschel, die er unter seine Liegestatt schob.

Die nächsten Tage galten dem Fischfang und dem Sammeln starker Schilfhalme zu neuen Pfeilen. Wieder stand Peter vor dem Nest des Rohrsängers und dachte darüber nach, wie gut es wäre, wenn auch er und Eva ihre Nester hoch über dem Wasser hätten, das ihnen die Bären vom Leib halten oder wenigstens deren Abwehr erleichtern würde. Freilich müßten Bäume und nicht Schilfhalme die Menschen-Nester tragen. Vorläufig genügte ihm das Zelt, aber der Gedanke an ein sicheres Heim nach Art des Rohrsängernestes ließ ihn nicht mehr los.

Beim Schilfschneiden stöberte er ein sonderbares Tier auf. Es hatte ein braunes, glänzendes Fell und eine geschmeidige Gestalt – er hielt es für eine Art Marder und täuschte sich nicht: es war ein Fischotter. Deutlich sah er, daß der Braune, Schlanke eine zappelnde Forelle in der flachen Schnauze trug. Da hatte er ja einen Fischräuber entdeckt, dem er fortan nachstellen wollte, schon um Eva einen glänzenden Pelz zu schenken!

Wohl ging Peter auf dem im Röhricht gebauten Pfad unbewußt zu der Stelle, wo er das Gold gefunden hatte, und kam dabei vom Moorufer ab, seine Gedanken aber kreisten unaufhörlich um die neue Wohnmöglichkeit: eine Hütte, ein Nest, wie der Rohrsänger es hatte. Erst als er, im Bachbett aufsteigend, einige winzige Goldkörner in der Böschung glitzern sah, kam er auf andere Gedanken. Langsam und bedächtig begann er die goldführende Sandschicht mit seinem Hartsteinfäustel zu schürfen. Die Körnchen, die im rieselnden Sand schimmerten, waren nicht größer als die Samenkörner des Wegerichs, aber er sammelte sie gierig auf und grub weiter. Schließlich arbeitete er, vom Erfolg angestachelt, mit einem Eifer fort, der ihn alles andere vergessen ließ. Als spät nachmittags der Hunger ihn zwang, die Arbeit zu unterbrechen, hatte er eine tiefe Nische in die Böschung gegraben. Unter dem Sand war er auf Lehm gestoßen, der noch von der Nässe der Schneeschmelze durchdrungen schien und nicht die geringsten Spuren von Gold zeigte. Peters Ausbeute an gelbem Metall war gering. Aber es war Gold, schönes, reines, kostbares Gold!

Von den Forellen, die er morgens gefangen hatte, briet und verspeiste er nur zwei, die übrigen hängte er in den Rauch. Er übernachtete im Zelt. Eva wußte er im Schutz des Feuers, und da sie schon im Vorjahr wochenlang allein ihre Nahrung gefunden hatte, machte er sich um sie keine Sorgen. Außerdem hatte sie ja noch genug von den Wintervorräten übrig.

Bei Eva war es anders. Sie bangte um Peter. Ihre Angst um ihn war stärker als ihr Zorn.

Nach einer durchwachten Nacht, in der sie die Lockrufe der Eulen aus unheimlicher Nähe gehört hatte, schlief sie im Morgengrauen endlich ein und erwachte erst, als ihr die Sonnenstrahlen durch eine Fuge der Nestwand steil ins Gesicht schienen. Peter war noch nicht zurück! Sie ging ihn suchen. Erst durchschritt sie das verschlammte Grasland und Buschwerk oberhalb des Fuchsenbühels und überquerte dann die mit verblühten Huflattichen übersäte Steinschlaghalde. Vorsichtig umging sie den Laubwald an der Südwand und lief an den Bärenhöhlen vorbei zum Alten Steinschlag und zur Moorbachquelle. Dann stieg sie im Bachbett abwärts. Schneller als sie gedacht, langte sie an Peters Lagerplatz an. Er war nicht da. Staunend besah sie sein Zelt und dessen Einrichtung. Daß sein Lagerfeuer glomm, beruhigte sie.

Plötzlich fuhr ihr ein Gedanke durch den Kopf: Im Goldgraben ist er, darum die Heimlichtuerei! Sie wußte nicht, wo der Graben lag, darum blieb ihr nichts anderes übrig, als dem von Peter getretenen Pfad im Busch und Schilf zu folgen. So kam auch sie an das Nest des Rohrsängers, war aber viel zu sehr von der Absicht eingenommen, Peter beim Goldsuchen zu belauschen, als daß sie sich langen Betrachtungen über den Pfahlbau des Vogels hingegeben hätte. Der Pfad führte sie zum Graben, wo sie die Spur verlor. Also im Bachbett weiter! Kalt drang das Wasser durch die löcherigen Sohlen der Fußwickel, sie achtete nicht darauf. Mit gierigen Blicken suchte sie den glimmerreichen, in der Sonne glitzernden Sand beider Ufer nach Goldkörnern ab.

Als es ihr glückte, ein winziges Körnchen zu finden, hätte sie aufjubeln mögen. Aber sie hielt an sich. Jedes Geräusch vermeidend, drang sie bachaufwärts. Und unbemerkt stand sie plötzlich hinter Peter, der, auf einem Sandhaufen kniend, mit einer Muschelschale vorsichtig an einer Seitenwand der Sandkammer schabte. Eva hielt den Atem an. Obwohl sie vermutete, daß er nach Gold grub, hielt sie es für klüger, ihm nicht zu verraten, daß sie ihn durchschaut hatte. In ihrer Begierde nach dem blitzenden Metall beschloß sie, dem Goldgräber die Fundstelle abzulisten.

»Peter!« rief sie so freundlich, als läge nichts zwischen ihnen. Da fuhr er herum: »Was machst du da?« Und sie fragte scheinheilig: »Wird das eine Stube für mich?« Einen Augenblick schaute er ihr verdutzt ins Gesicht. Und dann begann er umständlich auszumalen, was erst ihre Frage in ihm angeregt hatte: »Ja, wenn’s dir so recht ist. Es fehlt nimmer viel, dann brauchen wir nur oben ein paar feste Stangen darüberzulegen und Reiser und Schilf und Rasen drauf; den Boden machst dir schön eben, an der Rückwand kannst dir die Liegestatt richten und vorn die Feuerstelle, daß dir kein Bär hineingeht. Das Wasser ist weit genug weg, die Schneeschmelze ist vorbei, ich glaub‘, da kannst du recht gut hausen; wenigstens den Sommer über. Ja.«

Eva nickte verblüfft. Jetzt wußte sie erst recht nicht, wie sie daran war. Und unvermittelt bat sie um eine Forelle.

Da fragte er lauernd: »Warst du auf meinem Lagerplatz?«

»Ja«, antwortete sie einfach, ohne den Argwohn in seiner Frage zu bemerken. Er wies sie an, einstweilen den Boden ihrer neuen Stube zu ebnen, und dann lief er fort; in der linken Faust hielt er die neue Ausbeute an Goldkörnern. Der Verdacht, sie habe auf seinem Lagerplatz nach dem Gold gesucht, trieb ihn zum Zelt.

Alles war unberührt. Beruhigt tat er die neue Ausbeute dazu und vergrub den Schatz tiefer, bevor er seine Liegestatt darüber in Ordnung brachte. Mit drei Forellen eilte er zu Eva zurück, machte aber nicht den Umweg über den Schilfboden, sondern bahnte sich quer durchs Dickicht einen neuen, geraden Pfad hinüber und war überrascht, wie nahe die künftige Erdstube Evas bei seinem Lagerplatz lag. Einträchtig schmausend, wie in alter Zeit, saßen sie auf dem Boden des neuen Heims und beeilten sich mit dem Essen, um möglichst bald mit dem Erweitern und Decken der Erdstube beginnen zu können. Ohne Verzug machte sich Peter daran, das notwendige Holz heranzubringen, während Eva Rasenflöze beschaffte und damit den Stubenboden erhöhte. Als Peter zu lange ausblieb, folgte sie ihm zur Holztrift.

Wie staunte sie über die unerschöpfliche Menge angetriebener Baumstämme und Strünke! Die Geier und Raben, die sie nach Peters Schilderung an der Stelle erwartet hatte, waren nicht mehr zu sehen. Dafür wimmelte es im Wasser von Fischen, die sich an Aasresten gütlich taten. Viel Wassergeflügel trieb sich zwischen dem Schwemmholz herum, Bläßhühner und Enten mit ihren Jungen, Zwergreiher und Rohrdommeln. Langbeinige Reiher standen unbeweglich lauernd im Seichten; ab und zu stieß einer den spitzen Schnabel ins Wasser. Sie fischten. Das Federvolk des Heimlichen Grunds hatte aus der Welt da draußen Zuzug erhalten, der neuentstandene See hatte die darüberstreichenden Wandervögel angelockt. Erst als Peter ins Wasser watete und aus den kreuz und quer gestauten Hölzern Jungstämme zu ziehen begann, erhoben sich die Reiher und ließen sich auf den Bäumen am Waldrand nieder. Enten und Bläßhühner aber blieben.

Peter stieg von Baumstamm zu Baumstamm, brach da ein Aststück ab, zerrte dort ein Jungstämmchen hervor und warf es Eva zu. Kühner werdend, drang er zum äußeren Teil der Trift vor, wo sich, vom tieferen Wasser getragen, einzelne Stämme wiegten. Das schwimmende Holz reizte ihn; er konnte nicht mehr widerstehen und setzte sich rittlings auf das Stammstück einer Fichte, die vom Waldbrand entästet worden war. Es tauchte unter seiner Last tiefer, rollte nach links herum und warf ihn ab. Eva schrie entsetzt auf. Geistesgegenwärtig griff Peter ins Geäst eines anderen Baumes und setzte sich darin fest. Langsam trug die Strömung ihm den angekohlten Stamm wieder zu. Peter brach sich zwei lange, handgerechte Stangen und setzte sich wieder rittlings auf das widerspenstige Stammstück.

Tastend ließ er die Stangen bis zum Grunde niedergleiten und spürte, daß sie nicht mehr auf Lehm stießen, sondern bereits auf den Schotter des Steinfeldes. Eva beobachtete sein Tun mit steigender Angst. Jetzt wendete er den Baum. Erst langsam und schwankend, dann schneller und sicherer fuhr er dahin, und jauchzend vor Freude durchquerte er die seichte Bucht fast bis zum Sonnstein. Durch die Strömung des tieferen Klammbachs wagte er sich nicht. Bei der Rückfahrt schoß er schon tollkühn dahin und ließ seinen Fahrbaum auf der Lehmböschung des Ufers auflaufen. Kaum hatte er das Fahrzeug festgemacht, eilte er in sein Zelt, wo er sich, zähneklappernd vor Kälte, im Moos des Lagers vergrub.

Eva aber schleppte mühsam das Deckholz zu ihrer Erdstube, legte es auf und versah es mit einer schräg nach vorn abfallenden Schicht aus Schilf, Reisern, Rasenstücken und Steinen. Todmüde kam sie gegen Abend zu Peters Zelt und wollte Glut für ihre neue Feuerstelle holen, doch sie fand es leer.

Wartend schürte sie das Feuer. Da kam er schon vergnügt vom Fischplatz und trug an einem Stock aufgefädelt vier schöne Forellen und ein braunes Tier von Katzengröße: den Fischotter, in dessen Nacken noch der Pfeil steckte. Evas Entzücken über das glänzende Fell, ihr Staunen über die Schwimmhäute des schlanken Räubers, ihre unverhohlene Bewunderung für den Jäger machten Peter stolz. Und als Eva von ihrer Erdstube anfing und Peter für den guten Einfall dankte, nahm er diesen unverdienten Dank nicht nur an, sondern schmückte seinen nicht gehabten Einfall sogar kräftig aus. Einträchtig saßen sie beieinander und waren sich nicht bewußt, daß der Gier nach dem Gold die Lüge gefolgt war.