Erst am dritten Tag war Eva mit dem Grundgeflecht ihres Lendenschurzes fertig. Es war leider nicht sehr dicht geworden; dem half die Weberin ab, indem sie breite Baststrähnen durch das Geflecht zog. Es war ein richtiger Rock geworden, der bis unter die Knie reichte, wo jeder Bastfaden mit einem Knoten abschloß. Als Eva ihr neues Kleidungsstück zum erstenmal anlegte, scheuerten die Knoten so stark, daß sie diese mit einem Stein flach- und weichklopfen mußte.

In der Höhle, in die sie sich vor einem Platzregen geflüchtet hatte, trug sie wieder ihren alten Fellschurz, dessen Haarseite fast kahl war.

Auch Peter mußte etwas Frohes erlebt haben. Mit vergnügtem Gesicht kehrte er im strömenden Regen heim und rief, als ob kein Verdruß zwischen ihnen stünde: »Everl, ich bring‘ dir was Gutes!« Bei der Erinnerung an das, was Peter im Frühling unter »etwas Gutes« verstand, erwiderte sie: »Behalt’s, ich mag’s nicht!« und ging in ihre Schlafkammer hinauf. Einschlafen konnte sie lange nicht. Sie hörte Peter am Herdfeuer herumstochern, Reiser knicken und auflegen; bald roch sie einen eigenartigen Bratenduft, den sie nicht kannte.

Aber ihr Eigensinn war stärker als ihre Neugierde. In Gedanken beschäftigte sie sich mit ihrer nächsten Aufgabe: Der Schultermantel mußte besser werden als der Rock. Sie dachte an die Schwierigkeit, die Querfäden mit den Fingern abwechselnd unter und über den Längsfäden durchzubringen. Und dann fiel ihr ein: Wenn ich den Faden durch eine Nadel zöge? Ließe er sich nicht leichter durchschieben als mit den bloßen Fingern? Im Halbschlaf träumte sie, sie säße vor der begonnenen Arbeit am Sonnstein. Plötzlich fand sie sich an einer verlassenen Feuerstelle mit einem leicht angekohlten Zweigstück in der Hand, das sie an einem Granitbrocken zu einer fingerlangen flachen Nadel zurechtschliff und mit einem Hartsteinbohrer durchlochte.

Dann schlief sie tief und traumlos bis zum Morgen. Frühzeitig strebte sie ihrem Werkplatz zu. Unterwegs fand sie an einer verlassenen Feuerstelle zu ihrer großen Verwunderung ein Zweigstück, das dem im Traume geschauten glich. Sie schliff und bohrte, bis die lange Webnadel fertig war, wie sie sich’s hatte träumen lassen.

Um die Längsfäden zu spannen, band sie nicht mehr Steine daran, das dauerte viel zu lange. Sie ersetzte sie durch länglichrund geformte Lehmgewichte, die sie an einem Ende durchlochte und in der Sonne trocknete. Am nächsten Tag war es soweit, mühelos ließen sich die Lehmklunker an die Fäden binden, und dann begann sie zu arbeiten, sehr hastig, um die verlorene Zeit hereinzubringen. Aber die neuen Fadengewichte waren spröde und zerbrechlich. Zwei davon, die etwas heftig aneinanderschlugen, brachen an der durchlochten Stelle auseinander und mußten doch wieder durch Steine ersetzt werden. Von da an arbeitete Eva sehr behutsam – und es ging. Der durch das Aufwickeln auf die Webnadel kurz gewordene Querfaden ließ sich flink über und unter die Längsfäden führen. Die locker eingelegten Querfäden schob sie mit einem groben Kamm von halber Armlänge zusammen; den hatte sie sich aus einem flachgeschabten Holzstück und daran festgebundenen Querstäben gebastelt.

Eva arbeitete bis zur Dämmerung. Erst hatte sie nur ein Schultermäntelchen machen wollen, jetzt aber war sie dabei, ein ärmelloses Leibchen herzustellen. Es sollte aus zwei Teilen bestehen, die über den Schultern so weit aneinandergenäht wurden, daß der Kopf hindurchging. Auch für die Arme mußten links und rechts breite Schlitze bleiben, unter denen das Vorderteil mit dem Rückenteil zusammengeheftet wurde. Nach zwei Tagen unverdrossener Arbeit war das Gewebe fertig, die Fransen des unteren Randes waren zu einem losen Maschengewebe kreuz und quer verflochten und mit Knoten abgeschlossen. Eva tauchte das Bastleibchen ins Wasser, klopfte dann alle Knoten flach und legte es an, feucht wie es war, zog und zupfte daran, bis es paßte, und überließ es ihrer Körperwärme, das neue Kleidungsstück am Leibe zu trocknen.

Vor lauter Arbeitseifer hatte sie in den letzten Tagen zuwenig gegessen. Von Hunger gepeinigt, redete sie sich ein, es müßten ja nicht gerade Muttertiere sein, die Peter oben briet, und lief quer über das Steinfeld dem Moorbach zu, wo sie Rauch aufsteigen sah. Unterwegs zog sie die verwelkten Blumen aus ihrem Stirnband und ersetzte sie durch große Maßliebchen. Am Moore angelangt, fügte sie weiße, duftende Narzissen hinzu. Es war hoher Mittag, schwer lag die Hitze über dem stillen Grund, kein Vogel ließ sich hören. Eine weiche Stimmung kam über Eva; sie machte sich Vorwürfe, daß sie Peter so schlecht behandelt hatte. Was wäre aus ihr im Winter geworden, wenn sie ihn nicht gehabt hätte? Grob war er ja, war er aber nicht auch gut? Wie er sie wohl aufnehmen würde, wo sie ihn unlängst so schroff abgewiesen hatte?

Am Moorbach aufsteigend, kam sie zu einer Stelle, wo zwei gerade Reihen von Stäben in schräger Richtung von beiden Ufern aus stromaufwärts zur Mitte des Baches führten und einen schmalen Durchlaß bildeten. Die Stabreihen waren mit Weidenruten so durchflochten, daß sich hinter dem Geflecht das Wasser schwach staute. Oberhalb dieser niederen Zäune war das Bachbett von groben Steinen gesäubert und ein kleiner, flacher Tümpel entstanden. Der wurde oben von einem Geflecht begrenzt, das das Bachbett quer absperrte. In diesem Geflecht staken Tannenzweige und beschatteten den Tümpel. Wozu das? Vom würzigen Duft brennender Wacholderzweige verlockt, wandte sie sich vom Bach ab und entdeckte im Schutz eines überhängenden Felsens ein qualmendes Feuer. Davor stand Peter mit einem aufgeschlitzten Fisch in der einen Hand, mit der anderen drückte er Spannhölzchen zwischen die Bauchseiten. Im Rauch hingen an Waldrebenranken eine Anzahl Forellen. Von ihnen ging jener eigentümlich appetitliche Duft aus, den sie sich nicht hatte erklären können.

Eva wartete, ob Peter sich umwenden würde. In seine Arbeit vertieft, sah und hörte er nichts. Als er aufstand, den Fisch salzte und quer durch die Kiemen auf die nächste Rute fädelte, trat Eva leise an ihn heran und legte ihm die Hand auf die Schulter. Erschrocken fuhr er herum. Dann aber rief er freudig erstaunt: »Everl?« Mit einem Blick, der ihre ganze Erscheinung erfaßte, die Blumen im Stirnband, das neue Kleid, die vom Waten im Bach blendend rein gescheuerten Füße, rief er aus: »Schön bist, Everl!« Da packte sie ihn am Handgelenk: »Peterl, sei gut!« Er mußte lachen. Noch immer lachend, holte er eine braungeräucherte Forelle von der Rute herunter und hielt sie ihr hin: »Hast Hunger?« Und während sie den Fisch mit großem Appetit verzehrte, erzählte er von seiner Arbeit der letzten Tage. Auch ihn hatte es schließlich verdrossen, Muttertiere und Kitze oder brütende Vögel zu töten; ihm war es immer gewesen, als sähe er Evas zornige Blicke auf sich gerichtet. Statt dessen hatte er Forellen gefangen. Die schrien nicht auf, wenn er sie erschlug. Aber die Fische zu beschleichen und mit bloßen Händen unter den Steinen hervorzuholen, hatte sich wenig gelohnt. Da war er darauf verfallen, im Bach einen Verhau zu errichten, in den er, stromaufwärts schreitend, die Fische mit Ruten vor sich hertreiben konnte; im seichten, abgesperrten Wasser oberhalb der Reusen, wo sie sich unter dem Zweigdach zusammendrängten, war es dann ein leichtes, sie nacheinander abzufangen. Von einem Vorrat an geräucherten Forellen könnten sie an Regentagen und auch im Winter gut leben, meinte er. Als Eva fertig war, wusch sie ihre Hände mit Holzasche und Wasser, wischte sie am Moos ab und begann, von ihrer Flecht- und Webarbeit zu erzählen.

Sie sah mit Wohlgefallen, daß auch Peter, durch ihr Beispiel veranlaßt, in die Asche griff und seine fetten, rußigen Hände säuberte. Erst als er sie reingespült und im Moos getrocknet hatte, trat er an Eva heran und fuhr mit der Hand über das Bastgewebe. »Bist halt ein findiges, ein geschicktes Dirndl geworden. Ich hätt‘ die Flechterei nicht so schön zusammengebracht.«

Eva war glücklich. Ihr ging es wie ihm. Erst das Lob des anderen macht die Freude über eine Leistung vollständig. Sie wollte auch Peter ein Bastkleid anfertigen, das er wenigstens an Sonntagen anlegen sollte. Für die Wochentage, an denen er schwere und schmutzige Arbeit zu verrichten hatte, mochten seine schäbiggewordenen Fellkleider genügen. Eines Tages würde sie auch ihm ein schöneres Arbeitskleid machen. Ja, das wollte sie tun, Peter durfte nicht wieder verwildern.

Wie vor dem Streit saßen sie beim Abendessen schwatzend im Eingang der unteren Höhle. Staunend hörte Peter, daß Eva auf ihren Streifzügen wiederholt Bären begegnet war, die ihr nichts getan hatten, ihr nicht nachgegangen waren. So war das also: Ihm, dem Verfolger, dem Jäger mißtrauten sie auf Schritt und Tritt, und ihr, die mit den Tieren auf friedlichem Fuß lebte, taten sie nichts, wie merkwürdig … Als Eva in ihre Schlafkammer verschwunden war, kehrte er nachdenklich über das hellbeleuchtete Steinfeld zu seinem Lagerplatz zurück.

Drei Tage später suchte er Eva bei ihrer Weberei am Sonnstein auf. Er brachte ihr gebratene Fische und Kiebitzeier, die er auf dem Moor aufgelesen hatte. Sie arbeitete an einem Bastkleid für ihn. Während sie zeigen wollte, wie flink ihr die Arbeit von der Hand ging, schlugen wieder zwei Lehmklümpchen aneinander und zerbrachen.

Tags darauf brachte er ihr bessere Spanngewichte. Er hatte Schilfhalmstücke genommen und sie mit einem zähen Brei aus Lehmstaub, erhitztem Wachs und Harz umknetet und trocken werden lassen. Nun waren sie steinhart geworden. Jetzt konnte der Faden von unten her durch das Gewicht gezogen werden, das, lang und schmal geformt, wuchtig und unzerbrechlich auf dem Abschlußknoten saß. Eva freute sich, weil Peter sich die Mühe gemacht hatte, ihre Erfindung zu verbessern.