Von Straußen- und Bärenjagd. Ein Strauß wird gefangen und gezähmt.

Der schweizerische Robinson

Nach zweistündigem Marsche langten wir bei dem einstweiligen Ziel unserer Wanderung an und machten am Rand eines kleinen Wäldchens, gleich am Eingange der Klus, mit unserm Zuge halt. Der Ort war ziemlich kühl und geschützt, indem das Wäldchen sich rechts an eine schroffe Felswand lehnte, während links der Auslauf des Flusses bei Eberfurt in die große Bucht uns viel Sicherheit versprach. Wir packten ab und trafen schnell die nötigen Einrichtungen zu einem etwas längern Aufenthalte. Die eigentliche Klus oder der Engpaß zwischen Fluß und Felsen in das uns noch unbekannte Innere des Landes lag ungefähr eine Schußweite von uns.

Am folgenden Morgen war ich zu guter Zeit reisefertig und hatte diesmal die drei ältern Knaben alle zu meiner Begleitung erkoren, weil ich es für ratsam hielt, wie ich lächelnd bemerkte, mit starker Macht ins Feld zu rücken. Die Mutter blieb mit Fränzchen zurück, um Wagen, Gerätschaften, Reisezelt und Vieh zu beaufsichtigen, da diese Dinge auf einer Streiferei zuviel Aufenthalt verursacht haben würden.

Nach einem gewaltigen Frühstück nahmen wir freudigen Streifzügler Abschied und pilgerten, umschwärmt von vierfüßigen Plänklern, nach dem Innern des Landes. Als wir durch die Klus gewandert waren, lag bald das neue Land vor uns.

Links, jenseits des Flusses, den wir einstweilen nur den Ostfluß benannten, dehnte sich ein langer Bergrücken mit schönem Laubholz und mit noch schöneren, darüber hinausragenden Palmen bis an den äußersten Gesichtskreis aus; rechts aber und diesseits zeigten sich schroffe, kahle, fast himmelhohe Felsen, die sich jedoch von dem ungeheuren Raum der Ebene gleichsam zurückzogen, so daß mit jedem Schritte sich auch zur Rechten und vor uns die Fläche in immer wachsender Ausdehnung verbreitete, bis ein dunstiger Hintergrund es ungewiß machte, ob man Wolken oder Berge oder den Himmel selbst am Rande dieses Gefildes erblicke.

Bei Eberfurt wateten wir durch den Bach, dessen Ufer noch lachend aussahen und bergwärts mehrere Gebüsche und Wäldchen von malerischen Formen gewahr werden ließen. Je weiter wir hingegen vorrückten, desto öder und unfruchtbarer erschien die Gegend. Zum Glück hatte jeder von uns bei dem Bache noch seinen Flaschenkürbis mit Wasser angefüllt; denn immer mehr verschwand jede Spur von Feuchtigkeit, das Gras wurde kärglicher, die wenigen größern Pflanzen standen völlig verdorrt, und nur steife Stachelgewächse gefielen sich auf dem glühenden Boden. Doch stand auch hie und da eine saftige Eispflanze mit ihren wässerigen Bläschen in seltsamem Gegensatz zur Dürre der übrigen Umgebung.

Endlich, nach einem äußerst beschwerlichen Marsche von ein paar Stunden, langten wir ganz erschöpft am Ziele dieser Wanderung an und warfen uns in den Schatten eines überhängenden Felsens auf einer nur mäßig erhöhten Stelle nieder, denn Hitze und Müdigkeit ließen uns nicht lange klettern, um einen schönern Standpunkt aufzusuchen. Stillschweigend blickten wir in die weite Ferne. Blaue Berge von gewaltiger Höhe begrenzten den äußersten Horizont in einer Entfernung von fünfzehn bis zwanzig Stunden; der Ostfluß durchströmte schlängelnd das ungeheure Flächengebiet vor uns, das durch grüne, lachende Ufer gegen die nackte, sehr einförmige Fläche vorteilhaft abstach.

Als wir uns hinlänglich zur Fortsetzung des Marsches gestärkt hatten, stand Fritz plötzlich auf, indem er anhaltend seinen Blick in die Ferne richtete, bis er nach einem Weilchen ausrief: »Was in aller Welt sehe ich dort? Es kommt mir vor wie zwei Männer zu Pferd – ein dritter nähert sich ihnen in vollem Galopp – jetzt hat er sie erreicht, und sie stürmen alle drei gegen unsern Standpunkt her. – Sollten das etwa Araber der Wüste sein?«

Der schweizerische Robinson

»Das wohl nicht«, sagte ich; »aber nichtsdestoweniger müssen wir auf unserer Hut sein. Nimm mein Fernrohr und sage uns, was es eigentlich ist.«

»Es sieht aus wie wandelndes Vieh, wie Heuschober, die sich bewegen, wie – nein, man wird ganz irre, es ist zu seltsam.«

Das Fernglas ging von Hand zu Hand, und auch Jack und Ernst glaubten Reiter auf gewaltigen Pferden zu erkennen. Ich nahm es endlich auch und erkannte bald, daß die bedrohlichen Gestalten nichts anderes waren als einige riesige Strauße. »Der Tausend«, rief ich, »das wäre einmal eine Jagd! Wenn es uns doch glückte, einen von den Prachtkerlen zu erwischen! Aber wie! Aber wie! Das ist ein schweres Stück.«

»O ja, Vater!« riefen Fritz und Jack, »ein lebendiger Strauß zum Abrichten wäre herrlich, und hübsche Federbüsche auf unsern Hüten auch nicht zu verachten.«

Unterdessen waren die Strauße näher gekommen, und es war höchste Zeit, über den Jagdplan schlüssig zu werden. Es blieb uns armseligen Fußgängern nur ein Weg offen. Wir mußten versuchen, sie zu überfallen, wenn sie nahe genug sein würden.

Ich bemerkte vier Weibchen und nur ein einziges Männchen, das sich durch seine weißen Federn auszeichnete; auch empfahl ich dieses den Jungen zum vorzüglichsten Augenmerk bei unserm bevorstehenden Jagdversuch. »Die Sache ist recht schwer«, sagte ich, »und ich weiß wahrhaftig nicht, wie wir an diese schnellen Vögel herankommen sollen. Zuletzt wird doch wohl Fritz mit seinem Adler das Beste bei der Sache tun müssen, da selbst ein Pferd in gestrecktem Galopp den Strauß, der auf den Fittichen des Windes dahinsaust, nicht einzuholen vermag.«

Der schweizerische Robinson

Wir verteilten uns zunächst und rückten, soviel als möglich hinter kleinen Erhöhungen des Bodens versteckt, den arglosen und zutraulichen Straußen näher, die uns jedoch plötzlich bemerkten, stutzig wurden und einige Unruhe zu verraten schienen. Wir standen alsbald still und hielten unsere Hunde möglichst hinter uns, worauf die Strauße wieder sicherer wurden und sogar ein paar Schritte gegen uns anrückten, indem sie mit vorgebogenem Halse genau nach dem ungewöhnlichen Gegenstande spähten; zum Unglück entwischten uns aber unsere ungeduldigen Hunde, die nun wie rasend auf das prachtvolle Männchen losstürmten, das mit Kühnheit etwas weiter gegen uns vorgeschritten war.

Wie Flaum, den ein Windstoß ergreift, stoben die Strauße auseinander und schienen kaum den Boden zu berühren. Ihre Flügel, etwas ausgebreitet und völlig erhoben, ließen sich mit schwellenden Segeln vergleichen, die den Wind zur Beschleunigung des Laufes zu benutzen schienen.

Die unbegreifliche Schnelligkeit indessen, mit der die Flüchtlinge dahinschwebten, erlaubte kein langes Zugucken, denn im Augenblick verloren sie sich schon in unbestimmter Ferne fast ganz aus unserm Gesicht. Fritz hatte jedoch nicht weniger schnell seinem Adler die Augen enthüllt und ihn den Straußen nachgeschleudert. Dieser flog mit unbeschreiblicher Eile dem Straußenmännchen vor und stieß so gewaltsam aus der Höhe darauf nieder, daß er ihm den Hals beinahe zerriß und das prächtige Tier sich bald im Staube wälzte. Weit schneller als wir selbst trotz allem Rennen waren die Hunde auf dem Kampfplatz angelangt, und schon fing der Schakal an, den Rumpf des Gefallenen zu zerfleischen, während der Adler an dem Schädel pickte und die Rüden das vergossene Blut aufleckten.

Es war zu spät, das Tier zu retten. Schakal und Adler wurden gewaltsam weggezerrt, und wir bemächtigten uns der schönen Federn des Schweifes sowie der schönsten in den Flügeln, womit wir unsere Hüte schmückten, da sie ebensosehr zur Zierde als zur Kühlung und Schatten dienten und so zugleich am leichtesten nach Hause gebracht werden konnten.

»Nein, es ist doch gar zu schade um den Tod dieses herrlichen Gesellen«, rief Fritz betrübt, »denn gewiß hätte er wohl zwei von meinesgleichen ohne Beschwerde getragen; ich will wetten, daß er nur von den Zehen bis auf den Rücken seine fünf Fuß mißt, und der Hals mag drei betragen.«

Während wir das schöne Tier noch betrauerten, waren Ernst und Jack beiseite geschlichen, indem sie unserm Schakal nachgingen, der gleichsam ihren Führer zu machen schien. Bald aber standen sie unweit eines dürren Busches still und winkten uns mit ihren Hüten, ihnen zu folgen.

»Ein Straußennest! ein Straußennest!« riefen sie jubelnd und warfen ihre Hüte freudig in die Höhe.

Wir waren bald ebenfalls an Ort und Stelle und erblickten hier in einer leichten Vertiefung der Erde, ohne schützendes Flechtwerk, ein Nest mit etwa fünfundzwanzig bis dreißig Eiern, so groß wie Kindsköpfe.

»Das ist ja herrlich!« rief ich entzückt. »Aber berührt mir die Eier ja nicht und bringt sie nicht in Unordnung, damit die Bruthenne nicht davonbleibt! Heimschleppen können wir sie ja nicht; dazu sind sie zu schwer und der Weg ist viel zu weit. Das beste wird sein, wir lassen sie bis morgen unangetastet liegen und holen dann allenfalls eine Anzahl mit unserem Wagen oder, noch besser, als Last auf einem unserer Tiere.«

Damit waren aber die Jungen gar nicht zufrieden, und ich mußte jedem erlauben, ein oder zwei Eier mitzunehmen; aber bald waren sie in großer Verlegenheit, wie sie ihre Bürden weiter tragen sollten, und so sollte ich ihnen dann mit gutem Rat beistehen. Jeder der Knaben mußte sein Schnupftuch hergeben, worauf jedes Ei, wie ein Stein in eine Schleuder, halb schwebend eingehängt wurde, auf welche Art sich denn alle bequem in der Hand tragen ließen. Bald jedoch ward auch dieses zu lästig befunden, und da gerade sich einige Schäfte von starken Heidepflanzen sehen ließen, so riet ich den Knaben, sie abzuschneiden, um daran die angehängten Eier, wie die holländischen Milchmädchen ihre Eimer, zu tragen, was auch bald bewerkstelligt wurde.

Wir trafen bald bei einem kleinen Sumpf ein, wo sich, zufolge deutlicher Spuren, unsere Hunde vorhin erlabt hatten; er schien von einigen verborgenen Quellen unterhalten zu werden und bildete an seinem Ende einen kleinen Bach, der ihm zum Abfluß diente. In der ganzen Umgebung bemerkten wir viel ältere und neuere Fährten von Antilopen, Büffeln, Onagern oder Quaggas; dagegen war wieder keine Spur von Riesenschlangen, dem eigentlichen Gegenstand unseres Streifzuges, zu entdecken. Da uns das Bächlein eine höchst nötige Erfrischung darbot, so lagerten wir uns daran, aßen etwas und füllten unsere Jagdflaschen wieder mit vorrätigem Wasser.

Bald machten wir uns wieder auf die Füße, um unsern Streifzug fortzusetzen, und traten in ein fruchtbares Tal. Es war mit lachendem Grün bedeckt, mit romantischen Wäldchen besät, die uns einen höchst erquickenden Anblick gewährten und ungemein vorteilhaft gegen die dürre, höchst einförmige Aussicht über die Karrugefilde abstachen, die wir bisher so mühselig durchwandert hatten.

Wohlgemut und ohne sonderliche Beschwerde von der Sonnenhitze durchzogen wir das schöne Ländchen, dem wir einmütig den Namen Grüntal zuerkannten. Hin und wieder sahen wir in der Entfernung verschiedene Herden, dem Anscheine nach Büffel und Antilopen, die ruhig weideten; sobald sie aber nur von weitem unserer Hunde ansichtig wurden, die fast immer an hundert Schritte vor uns hertrabten, zerstoben sie wie Spreu im Winde und verloren sich alsbald in den verschiedenen Klüften, die links nach der Savanne oder dem Karrufelde hinausführten.

Unvermerkt jedoch hatte sich das ganze Tal immer links gezogen und öffnete sich jetzt gegen eine Anhöhe zu, die wir nicht ohne Mißbehagen als dieselbe erkannten, an deren jenseitigem Abhange wir vormittags geruht hatten. Obschon wir den ganzen Tag kein Wildbret erlegt hatten, so beschloß ich doch, den Eiern zulieb, nach unserer Hütte zurückzukehren, indem ich die Hoffnung nicht aufgab, vielleicht auf dem Rückweg noch etwas erbeuten zu können. Da ich aber bemerkt hatte, daß unsere Hunde, die stets vor uns hertrabten, alles Wild verscheuchten, so mußte jeder von uns einen an die Leine nehmen, während Bill frei unter dem großen Rittmeister Märten, sonst Meister Knips genannt, neben uns hertrabte, da er seinem Reiter zulieb aller Jagdlust entsagt zu haben schien.

Wir hatten etwa noch eine halbe Stunde bis zu der Schakalhöhle zurückzulegen, wo wir diesmal einkehren und die schattige Wölbung zum Ausruhen genießen wollten. Ernst war mit Falb etwas vorgeschlichen, vermutlich, um die Kühlung der Felsgrotte zuerst genießen zu können; nicht lange indes, so hörten wir von seiner Seite her ein ganz jämmerliches Zetergeschrei, ein heftiges Hundegebell und ein tiefes, unwilliges Brummen. Wir eilten alle herbei, als er ganz totenbleich und ohne Hut uns entgegenrannte: »Ach Gott, Vater! ein Bär, ein Bär! er kommt, er kommt!« Hiermit umschlang mich der Knabe, und ich fühlte, daß er an allen Gliedern zitterte.

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»Holla! Da gilt’s Mut und Entschlossenheit«, rief ich. Mit festem Bedacht, mein Gewehr ganz schußfertig in den Händen, schritt ich zur Unterstützung der Hunde vor, die sich schon insgesamt frei gemacht und den Feind mutig angegriffen hatten. Zu meinem nicht geringen Schrecken sah ich jetzt einen gewaltigen Bären und bald darauf auch schon einen zweiten aus der Höhle gegen uns anrücken.

Fritz nahm diesen alsbald mit männlicher Ruhe aufs Korn und ich den andern. Jack stand halb verzagt, aber doch auch zum Schusse bereit, ein wenig in der Ferne; Ernst hingegen, von dem ich mich losgewunden hatte, floh in der Ratlosigkeit seines Schreckens noch weiter zurück. Jetzt knallten unsere zwei Schüsse, doch leider nicht tödlich; denn weil die Hunde rasch von allen Seiten die zwei Bären bedrängten und mit vieler Gewandtheit den mächtigen Streichen der Tatzen und den furchtbaren Umarmungen unter schnellen Sätzen auswichen, so hatten wir auch unsern Gegenstand nicht in einem ganz günstigen Augenblicke fassen können, da wir befürchten mußten, in dem lebhaften Gewühl einen von unsern wehrhaften Mitkämpfern zu verletzen oder umzubringen. Gleichwohl hatte doch mein Schuß dem einen der Bären den Unterkiefer zerschmettert, so daß mir vor seinen Bissen nicht länger bange war, und Fritz hatte dem andern die eine Vorderpfote an der Schulter dermaßen gelähmt, daß er zum Erdrücken eines Gegners wohl nicht mehr die Kraft gehabt hätte. Bald schienen auch die Hunde ihren Vorteil zu bemerken und drangen mit solcher Lebhaftigkeit, Kühnheit und Sicherheit vor, daß sie aller Orten sich einbissen, wo es ihnen nur gelang, die Feinde anzupacken; das Bärenvolk aber verteidigte wacker seine Haut und kämpfte bald aufrechtstehend, bald sitzend, bald auf allen vieren mit einem fürchterlichen Gebrüll des Schmerzes und der Wut. Ich durfte jedoch nicht ein zweites Mal wagen, aus der Ferne zu feuern; denn die Bewegung der Hunde war allzu groß, und ein Fehlschuß oder eine leichte Verwundung setzte die armen Gehilfen unseres Kampfes nur desto sicherer dem Tod oder den schwersten Verletzungen aus, da die zwei Petze den äußersten Grimm bewiesen. Rasch zog ich daher eine Pistole, trat ein paar Schritte näher zu dem stärkeren Bären hin und schoß ihn vor den Kopf, während Fritz im Augenblicke darauf den andern Feind, der gerade sich aufbäumte, durch einen glücklichen Schuß in das Herz niederstreckte.

»Gottlob!« rief ich aus, als nun beide mit dumpfem Gedröhn niederstürzten, »ein schweres, schweres Stück Arbeit ist vollbracht.«

Noch bissen und zerrten die Hunde an den erlegten zwei Ungeheuern, und damit kein Scheintod uns unvermutet Gefahr bringe, trat ich näher hinzu und versetzte noch jedem einen Stich zum völligen Verbluten. Jetzt erst rief Jack ein jubelndes Viktoria und eilte zurück, um auch Ernst auf das Schlachtfeld zu holen, der immer noch totenblaß vor Schrecken in der Ferne stand und auch jetzt nur zögernd sich zu nähern wagte.

»Aber, Vater!« rief Fritz aufatmend aus, »was das für Kerle sind! Der eine mißt gewiß seine sieben Fuß und der andere nicht viel weniger.«

»Ja«, sagte ich, »Schlangen haben wir zwar nicht angetroffen, aber wir haben nichtsdestoweniger für die Sicherheit unserer Wohnung viel getan, denn diese beiden Ungeheuer hätten uns manche Unruhe bereiten können.«

Jetzt erst brach der Jubel über unser »fürchterliches Jagdglück« bei den Jungen aus. Breitspurig setzten sie sich an die erlegten Gewaltstiere und besahen ihre Wunden, ihre starken Zähne, ihre mächtigen Krallen, bewunderten die Stärke der Schultern und des Nackens, die Kraft der Glieder, die Dichtigkeit und die Schönheit des silbernen Haares. In der Tat waren die sonst dunkel- oder lichtbraunen Haare an den Spitzen weißlich und beinahe glänzend, so daß mir die sogenannten Silberbären in den Sinn kamen, die der Kapitän Clarke und seine Reisegesellschaft auf ihrer Landreise nach der nordwestlichen Küste von Amerika angetroffen hatten.

»Was fangen wir aber an mit dieser ungeheuren Beute?« fragte ich zuletzt die Jungen.

»Ausziehen müssen wir die Burschen«, sagte Fritz; »das wird vortreffliche Pelze geben.«

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Da wir aber an die Heimkehr denken mußten, so war es für jetzt nicht möglich, uns bei solchem Geschäfte aufzuhalten. Wir schleiften die Bären in ihre Höhle, bedeckten sie mit Zweigen und schützten sie mit einer Art von leichtem Zaune gegen Schakale und ähnliches Raubgesindel. Auch die Straußeneier ließen wir zurück, um leichter marschieren zu können; sie wurden in den Sand eingegraben und mit einem Zeichen versehen. Mit Sonnenuntergang trafen wir bei der Mutter und Fränzchen wieder ein. Zum Glück war alle Arbeit hier schon getan, und wir waren doppelt froh, daß die Mutter für Reisighaufen zu den Wachtfeuern und für ein hinlängliches Mahl bereits gesorgt hatte.

Nur wenig vor Tagesanbruch wurde ich, nicht ohne Kampf mit der lieben Trägheit, wieder wach und ermunterte mein schlafendes Hausgesinde. Sobald wir dann unser Morgenbrot eingenommen hatten, wurde das Zugvieh gerüstet und der Weg nach der Bärenhöhle angetreten, der wir uns ohne weitern Zufall näherten. Vor der Höhle scheuchten wir eine Anzahl Geier auf, die durch das Aas angezogen worden waren; doch hatte sie unser Zaun genügend abgehalten, so daß sie nur die Zunge eines Bären herauszufressen vermocht hatten. Ein Schuß, den Fritz abfeuerte, schien einen Vogel getroffen zu haben; die Schar entfernte sich schweren Flügelschlages und nahm den Getroffenen mit, so daß er für uns unerreichbar war.

Hierauf ging ich an die Ausweidung der Bären, was mir übrigens viel zu schaffen gab, so daß ich auch noch den folgenden Tag dazu verwenden mußte; endlich aber brachte ich den Pelz von beiden noch glücklich genug herunter. Aus dem Leibe schnitt ich dann die Schenkel zu ordentlichen Schinken heraus, nachdem ich die Füße davon getrennt und zum gegenwärtigen Verbrauch bestimmt hatte, weil ja Bärentatzen, nach dem Urteil der Leckermäuler, ein vortrefflicher Bissen sein sollen. Das übrige Fleisch wurde in langen Streifen abgeschält oder zu einem etwa fingerdicken Riemen geschnitten, wie es die Westindier machen sollen, endlich alles wohl eingesalzen und in den Rauch gehängt; das Fett aber hielt ich sorgfältig zusammen und empfahl es der Mutter zum Ausschmelzen und Verwahren, indem ich ihr bemerkte, daß es in den Nordländern zum Kochen gebraucht und auch wohl wie frische Butter mit Brot gegessen werde.

Von beiden Tieren sowohl als von den schon geräucherten Peccari brachten wir einen Zentner reines ausgekochtes Schmalz zusammen, das in ein Fäßchen von starkem Bambusrohr gegossen und, nachdem es erkaltet war, zur bequemen Fortschaffung und längeren Aufbewahrung sehr fest verschlagen wurde. Das Gerippe und die Eingeweide der Bären ließ ich durch unser Zugvieh weit zur Seite schleppen und es den Vögeln des Himmels preisgeben, die sich bald bei diesem Freitisch hordenweise einfanden und vereinigt mit allerlei Insekten nach kurzer Zeit mit jedem Fleischreste dergestalt fertig wurden, daß wir die beiden Schädel ganz rein und von der Sonne vollkommen gebleicht für unser Museum mitnehmen konnten. Die zwei Häute dagegen wurden ein paar Tage eingesalzen, dann ausgewaschen, mit Asche bestreut und wieder getrocknet, nachdem wir sie noch zuvor mit unsern Messern, soviel es sich tun ließ, rein geschabt hatten. Zu Hause wurden sie dann in mühsamer Arbeit fertig gegerbt.

Das Räuchern des Fleisches nahm uns aber drei Tage vollauf in Anspruch, und es blieb uns nichts anderes übrig, als bei der Bärenhöhle zu bleiben. Die Erfahrung mit den Petzen hatte uns aber vorsichtig gemacht. Jeden Abend und nach dem Abendessen wurden die Wachtfeuer angezündet und die Fackeln in Bereitschaft gelegt, um jene zu ersetzen, wenn sie allenfalls ausgehen sollten. Wir pflegten stets zwei Wachtfeuer zu unterhalten, teils weil wir hier wirklich einen Überfall von wilden Tieren doch eher befürchten mußten, teils weil das Räuchern des Bärenfleisches bei Nacht fortgesetzt werden mußte, wenn es nicht gar zu lange anhalten sollte.

Wir schliefen übrigens ganz unvergleichlich und gottlob ohne die mindeste Beunruhigung.

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Sofort bei Anbruch des vierten Tages trieb ich die Jungen auf vom Lager, weil wir uns schnell zur Rückreise anzuschicken hatten. Die Arbeit an dieser Stelle war nämlich soviel als vollendet, das Bärenfleisch geräuchert und hinlänglich gedörrt, das Schmer ausgelassen und in ein Stück Bambusrohr wie in ein Fäßchen eingeschlagen; auch war die Regenzeit schon wieder im Anzug, die wir bei der Klus, weit entfernt von so vielen Mitteln zu unserer Erhaltung und Bequemlichkeit, nicht eben abzuwarten Lust hatten. Hingegen wollte ich die entdeckten Straußeneier nicht im Stiche lassen, sie vielmehr, trotz der Entfernung, noch herbeiholen, da wir, beritten, nur die Hälfte der sonst nötigen Zeit dazu gebrauchten.

Zu dieser Unternehmung eben rief ich die Jungen so früh wach, und bald waren wir insgesamt mit allem Nötigen versehen, um unsern nochmaligen Streifzug nach der Steppe zu beginnen.

Fritz hatte mir diesmal seinen Wildling zum Reiten abgetreten und saß, weil er denn doch leichter zu tragen war als ich, auf dem jungen Esel. Ernst blieb auch diesmal bei der Mutter, weil er ihr von ungleich größerer Hilfe sein konnte als Fränzchen, außerdem ließen wir noch die jüngern Hunde, Braun und Falb, zur Leibgarde bei ihnen zurück.

Wir folgten wieder dem Laufe des Grüntals, jedoch in entgegengesetzter Richtung als das letzte Mal, da wir auf die Bärenhöhle mit ihren Schrecknissen gestoßen waren. Bald befanden wir uns auch bei dem Schildkrötensumpf, wo wir unsere Wassergefäße mit frischem Vorrate füllten und sofort wieder aufbrachen bis zu der Warte der Araber, wie wir zum Scherz jene Erhöhung des Vorgebirges nannten, von der wir die ganze vorliegende Savanne so weit hinaus überschaut und die fern wandelnden Strauße für Araber zu Pferd angesehen hatten.

Jack und Fränzchen stürmten hier voraus, und ich ließ sie gewähren, weil sie mir auf dem flachen, weit ausgedehnten Felde nicht aus dem Gesicht kommen konnten. Wir folgten den übermütigen Jungen etwas langsamer auf unsern Reittieren nach. Die Knaben waren längst keck in die Steppe hineingestürmt, und wir erkannten nur undeutlich, wie sie bereits das früher entdeckte Straußennest überholt hatten und jetzt im Begriffe waren, dasselbe von jenseits her im Rücken zu überfallen, um uns die allfällig dort befindlichen Strauße gerade entgegenjagen zu können.

Fritz, der die Absicht hatte, den ersten besten Strauß, der in seinen Bereich kommen würde, womöglich mit besserem Erfolg als früher lebendig einzufangen, hatte vorsichtig den Schnabel seines Adlers mit Baumwolle umwunden und bis an die Wachshaut bei den Nasenlöchern eingehüllt, damit von seinen Hieben für das Leben des Flüchtlings nichts mehr zu besorgen sei; auch hatte ich ihm wieder den Wildling zum Reiten überlassen, damit er auf diesem schneller als auf dem jungen Rasch fortkommen und den gehetzten Strauß verfolgen könnte. So gerüstet stellten wir uns mit der sehnlichsten Ungeduld in einiger Entfernung voneinander diesseits des Straußennestes auf.

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Nicht lange hatten wir geharrt, als bald hier, bald da sich lebendige Massen aus dem Strauchwerk in der unmittelbaren Umgebung des Straußennestes erhoben, die sich gleichsam auf dem Winde wiegten und mit unbegreiflicher Schnelligkeit gegen uns herstürmten. Wir hielten indes so mauerfest, daß die armen Tiere uns, wie ich glaubte, kaum wahrnahmen oder wenigstens nicht für so gefährlich hielten als die Hunde, die ihnen schon auf den Fersen nachfolgten. Auch die Knaben von jenseits her waren ihnen ziemlich nahe auf der Spur, und die armen Vögel sputeten sich dergestalt, daß wir in kurzem sogar ein Männchen erkennen konnten, das entweder schon früher zu dem Trupp gehört oder erst seit der Niederlage jenes frühern sich hinzugesellt hatte; dieses wurde auch sogleich der Gegenstand unserer heftigsten Jagdlust. Der Weibchen waren drei vorhanden, die stracks hinter dem Männchen her auf uns losrannten, bis dieses nur noch auf den Abstand eines kleinen Pistolenschusses in unsere Nähe gekommen war. Jetzt warf ich ihm ungesäumt meine Wurfkugel an; da ich jedoch noch keine große Fertigkeit in dieser eigentümlichen Jägerei besaß, so traf ich anstatt der Schenkel oder Beine, auf die ich gezielt hatte, vielmehr den Vorderteil des Leibes und die Fittiche, um die zwar der Kugelriemen sich herumschwang, aber so, daß er nur wenig zur Verhinderung der Flucht des getroffenen Tieres beitrug, vielmehr durch den plötzlich erregten Schrecken sie eher beschleunigte und ihr eine andere Richtung gab.

Die Weibchen ihrerseits stoben sofort auch rechts und links auseinander und wurden von uns ihrem guten Glück überlassen; dem Männchen hingegen folgten wir nach bestem Vermögen, und Jack samt Fränzchen kamen gerade im rechten Augenblick von der andern Seite her, um den Ausreißer nach dem lauernden Fritz hinzutreiben. Dieser warf ihm seinen flüchtigen Adler entgegen, der sich aber anfangs in seinen verbundenen Schnabel nicht finden konnte und mehr über dem Strauße nur flatterte, ohne ihn eigentlich anzugreifen. Der Anblick dieses neuen Feindes in den Lüften, der sich nahe genug, um Furcht zu erregen, über dem Haupte des armen Straußes hielt, machte diesen jedoch ganz irre, und planlos schoß er bald hier, bald dort hinaus, wodurch wir Zeit gewannen, vollends in seine Nähe zu kommen. In diesem Augenblicke senkte sich der Adler so weit herab, daß er mit kräftigem Flügelschlag den Kopf des Geängstigten erreichen und ihn völlig betäuben konnte, so daß nun Jack dem gewaltigen Renner nahe genug kam, um ihm seine Wurfkugeln aufs vorteilhafteste an die Beine zu werfen. Im Nu fanden sich diese von den Riemen umschlungen; der Vogel stürzte hin. »Hurra!« schrien wir und stürzten in größtmöglichster Eile hinzu, denn es galt nun, einerseits den Adler und die Hunde von jeder weitern Beschädigung abzuhalten, andererseits dem Erlegenen keine Zeit zu lassen, sich von dem Fangstricke wieder loszuarbeiten.

Das fürchterliche Zappeln und Ausschlagen indes mit den beiden halbgefesselten Füßen machte uns besorgt, der Strauß könnte die Stricke endlich zerreißen und uns wieder entwischen. Wir getrauten uns nicht, ihm von dieser Seite zu nahen; von der andern schlug er jedoch fast ebenso kräftig mit den bewaffneten Flügeln um sich, obwohl auch dies ihm wegen der von mir geworfenen ersten Schlinge nicht vollkommen gelang. Wir waren daher eine Weile recht übel daran; da geriet ich auf den glücklichen, nur in dunkler Erinnerung mir noch vorschwebenden Ausweg, dem Tiere meine Jacke über den Kopf zu werfen und diese schnell an dem Halse festzubinden. Sofort hatten wir gewonnenes Spiel; denn, sowie der Strauß seine Augen nicht mehr gebrauchen konnte, ließ er sich von uns binden und fesseln, wo und wie wir nur wollten. Vor allem spannten wir ihm nun die Beine und Füße, so daß er zwar aufstehen und fortschreiten, aber weder ausschlagen noch eigentlich laufen konnte. Hierauf umschnallte ich ihm den Leib mit einem sehr breiten Riemen von Seehundshaut, den ich für alle Fälle mitgenommen hatte und in den ich an passender Stelle zwei Durchläufe einschnitt. In diese hinein zwang ich auf beiden Seiten die Flügel, so daß mein Riemen dem Gefangenen ansaß wie das Flückbändchen einem Lockfinken auf dem Vogelherd und wir ihn ganz leicht daran leiten konnten.

Fritz warf indessen doch den Zweifel auf, ob wir das kräftige Tier wohl völlig bändigen und zu irgendeinem Gebrauche abrichten könnten.

»Weißt du nicht«, fragte ich, »wie die Indier und Singalesen einen frisch eingefangenen Elefanten bändigen?«

»Jawohl!« antwortete er. »Sie binden den wilden mit sehr starken Lederriemen zwischen zwei zahme und fesseln ihm auch den Rüssel, so daß er damit nicht um sich schlagen kann. Da muß er gern oder ungern parieren; denn wenn er ungebärdig tut, so dreschen die zwei Flügelmänner ihrerseits mit dem Rüssel auf ihn los, daß ihm die Schwarte kracht, und die zwei Kornake oder Elefantenführer auf den gezähmten zwei Tieren kitzeln ihn mit ihren stählernen Haken so unsäuberlich hinter den Ohren, daß der Wildling bald zahm wird.«

»Da sollten wir also zwei zahme Strauße haben«, rief Jack aus, »um unserm Gefangenen den Marsch zu machen; denn ich glaube nicht, daß es dem Herrn sonderlichen Eindruck machen würde, wenn du ihn etwa zwischen mich und Fritz fesseln wolltest.«

»Allerdings nicht«, lachte ich; »aber müssen es denn gerade ein paar Strauße sein, um einen Strauß zu meistern? Haben wir nicht andere kräftige Tiere? Haben wir nicht Sturm und Brummer, um solch einem Burschen hinlänglich die Stange zu halten? Sogar zwei wackere Kornake haben wir an Fränzchen und dir, die mit ihren langen Peitschen den Zögling schon in Ordnung halten werden, zumal ihm die Füße, sein vornehmstes Verteidigungsmittel, gespannt oder gefesselt sind wie dem zu zähmenden Elefanten der Rüssel.«

»Ach ja!« riefen alle drei voll Freude, »das ist vortrefflich! das geht! das geht! Es kann gar nicht fehlen!«

Ich befestigte nun auf jeder Seite des Leibgurts, gerade unter den Flügeln unseres neuen Gefangenen einen andern starken Riemen, und so lang, daß wenn man das äußere Ende festhielt, man zu weit von dem Strauße abstand, um Gefahr zu laufen, allfällig von ihm erreicht und verletzt zu werden. Das Ende des einen Riemens wurde Brummer, das andere Sturm um die Hörner gewunden und wohl befestigt. Hierauf mußten meine zwei jungen Kornake auf ihre Reittiere sitzen und sich aufmerksam vorsehen; denn jetzt machte ich mich daran, dem noch immer liegenden Tiere die hemmenden zwei Kugelriemen abzulösen und den übergeworfenen Schleier zu lüften, was mir ohne den mindesten Widerstand gelang.

Erbost und tückisch lag er noch eine Weile ohne Bewegung ausgestreckt auf der Erde und schien nur die Freiheit seiner Blicke benutzen zu wollen; dann aber sprang er unversehens auf die Füße und glaubte gerade vorwärts, wo er niemand stehen sah, Reißaus nehmen zu können. Doch plötzlich sank er wieder in die Knie, weil er einen allzu heftigen Sprung getan hatte; er stand indes schnell wieder auf, zeigte sich zwar etwas behutsamer, wollte aber doch immer noch, bald hier, bald dort hinaus, das Weite suchen. Die zwei Straußenbändiger auf den zwei Flanken waren aber zu schwer und zu kräftig, um sich von ihrer Linie wegschnellen zu lassen. Er versuchte nun zu flattern und auszuschlagen; allein die Flügel waren teils zu kurz, teils zu sehr durch den Ledergurt gehindert, und die Füße fanden so viel Widerstand in den Spannriemen, daß endlich sein Gestrampel den Vogel aus dem Gleichgewicht brachte und er niederstürzte. Hierbei rutschten die Spannstricke freilich bis oben hinauf unter die Federn, und bei der Ungebärdigkeit des Tieres war eine Änderung unmöglich. Allein sie taten trotzdem ihre Dienste. Ein paar Peitschenhiebe brachten ihn bald wieder auf die Füße, und nun versuchte er sich umzuwenden und nach hinten zu entfliehen. Weil aber die Knaben zur Anspannung der Riemen auf beiden Seiten sich in so großem Abstände hielten als möglich, so mißlang auch dieser Versuch. Kurz, das geplagte Tier fand so lange keinen Ausweg, bis es sich endlich bequemte, geradeaus zu rennen. Die beiden Flügelmänner begleiteten ihn in angemessenem Galopp. Der Chor der Jungen jubelte, wodurch der Strauß noch mehr angetrieben zu werden schien; aber die zwei Kornake ermüdeten und hinderten ihn durch verschiedene Schwenkungen allgemach doch, bis er, durch die ungewohnten Spannstricke gequält, nach und nach von selbst einen gesetztem Schritt annahm.

Währenddessen begab ich mich mit Fritz nach dem Straußennest, das wir bald an unserm früher angebrachten Zeichen wieder erkannten.

Ich hatte mich zum voraus schon auf diese Plünderung eingerichtet und die nötigen paar Säcke dazu samt Baumwolle mitgenommen, um die Eier gehörig einwickeln und die Last unsern Reittieren anhängen zu können. Wir waren dem Nest bis auf wenige Schritte nahegekommen, als plötzlich noch eine Bruthenne davon aufsprang, und zwar so unerwartet, daß wir vor Überraschung ihr gar nichts anhaben konnten; sie war uns aber ein Beweis, daß das Nest seit unserem Besuch nicht verlassen und das Brutgeschäft somit fortgesetzt worden war. Wir nahmen daher nur etwa zehn Stück mit und ließen alle übrigen unberührt, damit sie, wie sich hoffen ließ, aufs neue gebrütet werden möchten.

Wir packten unsere Beute mit der möglichsten Sorgfalt ein, hängten sie mit gleicher Behutsamkeit unsern Reittieren an und traten den Rückweg zu unsern zwei Straußenbändigern an.

Da wir uns schon sattsam beladen und bereichert fanden, begaben wir uns, der Strauß nebst Zugehör stets weit voran, unverzüglich auf den Heimweg, durch das Grüntal hinab, bis nach Bärenburg, wo wir glücklich bei den Unsrigen wieder eintrafen.

»Aber ums Himmels willen, was bringt ihr da für einen Vielfresser mit?« rief die Mutter aus. – »Nun wird es auch Zeit, daß ihr nächstens die Entdeckung einer Eisenmine macht; denn diese Gesellen stehen in dem Rufe, daß sie sogar Eisen fressen. Womit in aller Welt sollen wir einen solchen Nimmersatt erhalten? Und wozu sollte er uns denn wohl dienen können?«

»Extrapost will ich auf diesem herrlichen Läufer reiten!« rief Jack aus. »Und wenn unser Ländchen hier durch festes Erdreich mit Asien oder Afrika zusammenhängt, so werde ich uns einst in wenigen Tagen bei der ersten besten europäischen Kolonie Hilfe holen. Zu guter Vorbedeutung indes soll der Bursche von nun an Brausewind heißen, und dir Ernst trete ich meinen Bucephalus, den Sturm, mit Freude ab, sobald dieser Neuling zugeritten sein wird.«

»Aber Vater!« sagte Fränzchen halb weinerlich, »schon maßt sich Jack den Strauß vollkommen an, obwohl ich doch auch bei der Jagd dabei gewesen bin und Fritz mit seinem Adler nicht wenig beigetragen hat, ihn zu fangen.«

»Nun gut«, versetzte ich, »so wollen wir lieber den Unglücksvogel gleich nach Gebühr teilen. Ich bekomme den Leib, den mein Wurfriemen umschlungen hat. Fritz gehört der Kopf, weil sein Adler ihn bedrohte und gleichsam im Schach hielt. Für Jack werden die Schenkel und die Beine sein, da diese von ihm mit seinem Wurfzeuge verstrickt worden sind. Und endlich du, mein Fränzchen, trägst mit vollem Recht ein paar kleine Schwanzfedern davon, bei denen du den Vogel gezupft hast, als er endlich am Boden lag.«

Die Jungen mußten lachen und verstanden die ihnen gegebene Lehre. »Freilich«, fügte ich hinzu, »hätte Jack nicht allzu voreilig das Tier sich aneignen sollen. Aber seine Frechheit gewinnt ihm nicht nur eine Gabe, sondern gebiert ihm auch eine Plage; denn von nun an ist die Hut und die Zucht des Straußes ihm doppelt so nahe ans Gewissen gelegt als uns übrigen allen.«

Da es schon viel zu weit am Tage war, um noch an unsere Heimreise nach Felsenheim denken zu können, so mußten natürlich unsere Straußenbändiger ausgespannt und der Gefangene auf die Nacht gesichert werden. Das letztere ward durch festes Anbinden zwischen zwei Bäume in der Nähe der Bärenhöhle bewerkstelligt. Den Rest des Tages brachten wir mit Zusammenpacken unserer Gerätschaften und der vielen neugewonnenen Dinge zu, deren wir keines gern im Stiche gelassen hätten; denn nie trennt man sich so ungern von einem Gegenstand, als wenn man ihn erst eben erhalten und sich die Hoffnung seines Genusses lebhaft ausgemalt hat.

Am folgenden Tage brachen wir bei guter Zeit auf, aber es kostete nicht wenig Mühe und Überlegung, ehe wir unsern Kamelstrauß in Gang setzen konnten; er war wieder entsetzlich wild und wütend. Wir konnten ihn nur dadurch bewältigen, daß wir ihm abermals ein Tuch über den Kopf warfen und es um den Hals festbanden. Überdies befestigte ich einen Zugriemen vorn an die Hörner Sturms, während ein anderer an die Brummers nach hinten zu lief, so daß das gefesselte Tier weder vorwärts noch rückwärts ausreißen konnte, sondern hübsch in der Linie zwischen dem Vortraber und Nachtraber blieb, die wieder von ihren Reitern bestiegen wurden. Alle drei wurden dann durch lange, zur Seite laufende Seile an die Gabel des Wagens gespannt, in der die bedächtige Kuh als Stellvertreterin eines Gabelpferdes lief. Ernst saß behaglich auf dieser, die Mutter auf dem Wagen, ich auf dem Leichtfuß und endlich Fritz auf dem Rasch, so daß wir zwar eine seltsame, aber doch ziemlich wohlberittene Karawane bildeten und allmählich auch ziemlich vom Flecke rückten.

Wir wollten auf jeden Fall noch vor Einbruch der Nacht die Waldegghütte erreichen; bei Zuckertop luden wir jedoch im Vorbeigehen unsere Peccarischinken auf, die wir in der Rauchhütte ganz wohlbehalten wiederfanden.

Ermüdet und ziemlich spät langten wir endlich an, und nachdem wir noch unser Zugvieh ausgespannt, den Strauß zwischen zwei Bäume festgebunden und ein Abendbrot von kalter Küche mit Beschleunigung eingenommen hatten, verfügten wir uns auf unser Baumwollager in der Hütte und schliefen herrlich bis in den folgenden Morgen hinein.

Bei Tagesanbruch aber sputeten wir uns, unser Frühstück abzutun und nach unserer Felsenwohnung zu gelangen, wohin uns, nach so langer Abwesenheit, eine Art von Heimweh zog. Ohne Aufenthalt verfolgten wir den nächsten Weg dahin und langten auch noch am Vormittag, etwas von dem eiligen Marsche erschöpft, dort an, um uns eine geraume Zeit nicht wieder zu entfernen.

Bald wurde auch der Strauß, der immer noch wütend und verzweifelt um sich sah, samt seinen beiden Zwingherren abgespannt und vor unserer Wohnung unter der Laube zwischen zwei Bambussäulen, die das Dach der Galerie trugen, angebunden, wo er bis zu gänzlicher Zähmung und Bändigung bleiben sollte, worauf erst die eigentliche Abrichtung folgen konnte.

Unsere Straußeneier wurden in lauem Wasser geschwemmt, und diejenigen, in denen noch Leben zu sein schien, auf eine Unterlage von Baumwolle in unsern Dörrofen gelegt, in dem ich die nötige Brutwärme fortwährend zu erhalten suchte. Mit dem Thermometer überzeugte ich mich von Zeit zu Zeit, daß die Wärme auf gleicher Höhe blieb.

Zunächst war aber mein vornehmstes Augenmerk die Bestellung eines Ackers und die Besorgung mehrerer daraus hervorgehender Nebenarbeiten. Dann beschäftigte uns die Zähmung des Straußes, die Behandlung der Straußeneier und die Zubereitung der Bärenhäute, welches alles mir keinen Aufschub zu leiden schien.

Der Ackerbau kam uns höchst sauer an und ließ uns recht lebhaft empfinden, was es vor alters für Anstrengung und Überredung gebraucht haben mochte, Hirten- und Jägervölker zu dieser schweren Arbeit zu überreden und seßhaft zu machen. Auch beackerten wir für diesmal höchstens zwei Morgen gerade neben der Zuckerrohrpflanzung der Mutter, und das aufgebrochene Erdreich wurde in drei gesonderten Abteilungen mit Weizen, Mais und Gerste besät, während wir einstweilen die übrigen Getreidearten wie früherhin hie und da in gelegentlich aufgebrochene Erdflecke streuten, weil uns schien, daß sie ungleich weniger als jene drei genannten in diesem Klima gedeihen wollten.

Jenseits des Schakalbachs legte ich außerdem zwei Pflanzungen an, die eine von Kartoffeln, die andere von Maniok, die wir einlegten, damit wir diese durch ihre Einfachheit stets sich wieder empfehlenden Nahrungsmittel recht in der Nähe hätten und besser gegen die herumirrenden Schweine beschützen könnten. Unsere Ochsen waren schon vor dem Zuge nach der Klus so ziemlich in das Joch gewöhnt worden, und das Pflügen für das Getreide ging ordentlich vonstatten, weil bei der Vortrefflichkeit des Bodens nur etwa vier Finger tief aufzureißen nötig war. Allein bei den zwei anderen Pflanzungen, wo tiefer gepflügt werden mußte, war die Not schon ungleich größer, und da fühlten wir recht, was das Wort der Wahrheit sagen will: Im Schweiß deines Angesichts sollst du dein Brot essen. Gleichwohl befaßten wir uns allemal nur höchstens zwei Stunden lang in der Morgen- und Abendkühle mit diesem mühseligen Geschäfte des Ackerbaues.

Der schweizerische Robinson

In der Zwischenzeit hatte vorzüglich der arme Brausewind, wie nun einmal Jack den Strauß benannt hatte, gewaltig viel auszustehen. Er wurde wie weiland Fritzens Adler, sooft er in die Schule genommen ward, mit Tabak beräuchert, bis ihm so dämlich und vermutlich auch schwindlig wurde, daß er nicht mehr vermochte, sich auf den Beinen zu halten, und dann mit sich anfangen ließ, was man nur wollte. Wenn er nun so betäubt auf dem Boden hockte, wurde er von den Jungen der Reihe nach wie ein Pferd bestiegen, damit er sich beizeiten an dieses Hauptmanöver gewöhne. Wir hatten ihm eine gute Streu von Schilf untergelegt, und seine Fesseln waren lang genug, daß er sich mit Bequemlichkeit auf seine hartschwielige Brust niederlassen, wieder aufstehen und selbst die Bambussäule gravitätisch umwandeln konnte. Es war auch für seine Nahrung hinlänglich und mit gehöriger Auswahl dessen, was ihm schmecken konnte, gesorgt worden. Während drei voller Tage indessen wollte der arme Gefangene, vermutlich aus Verzweiflung über seine Lage, nicht das mindeste von all den ködernden Leckerbissen genießen und ward darüber so matt, daß wir zu befürchten anfingen, er würde uns zugrunde gehen. Da verfertigte die vielerfahrene Mutter aus gehackten Maiskörnern und frischer Butter sogenannte Kapaunenkügelchen, die wir dem Patienten in den Schnabel steckten und sanft dem Schlunde nach hinunterpreßten. Wir hatten ihn kaum ein paarmal auf solche Weise gestopft, als er sich zusehends wieder erholte; von nun an schien auch seine Wildheit und Scheu völlig verschwunden, und ein neugieriges, täppisches, beinahe drolliges Wesen war an deren Stelle getreten. Er kostete jetzt alle Speisen, und fast alle schienen ihm auch vortrefflich zu schmecken. Während wir zuvor an jede Leckerei gedacht hatten, um endlich seine Freßlust zu erwecken, so befiel uns jetzt schon ein Grauen über die Gefräßigkeit des Kameraden; ja sogar Kieselsteinchen wurden von dem Fresser, wie etwa gute Pillen zur Verdauung, frischweg hinuntergeschlungen. Besonders aber schien Meister Brausewind den Mais und die süßen Eicheln vorzuziehen, und wir konnten ihn damit kirren, wie wir nur wollten; ein Umstand, der uns doppelt willkommen war, da es uns wenigstens an den letztern wohl niemals fehlen konnte. In ungefähr Monatsfrist war der Strauß so schulgerecht eingewöhnt, daß ich bereits an seine völlige Ausrüstung gehen durfte. Am meisten machte mir Zaum und Gebiß zu schaffen, weil sich hier nicht das Bekannte zum Muster nehmen ließ, indem eine Maulstange für einen Schnabel sich keineswegs eignete. Da ich aber wußte, daß man durch Zulassung oder Entfernung des Tageslichts sehr wesentlich auf das Tier einwirken könne, so verfertigte ich eine Lederkappe, fast wie Fritzens Adler sie trug, doch etwas tiefer am Halse hinuntergehend und über ihrer Mitte mit zwei leichten messingenen Ringen versehen. Auf den Seiten waren Ausschnitte für die Augen und Ohren angebracht; bei den Augenlöchern befestigte ich herabstehende Lederklappen, in deren Mitte die Oberschalen zweier Landschildkröten aufgenäht wurden, so daß das Hohle einwärts stand, damit bei dem Zuschließen der Klappen die Augen unverletzt blieben. Von beiden Klappen liefen dann Schnürchen durch kleinere Ringe oben an der Kappe, und eine Vorrichtung von Fischbeinen drückte mit Federkraft auf die Klappen hin, daß sie zufielen, wenn man nicht geflissentlich anzog. Nun waren die Klappenschnüre an zwei stärkere Riemen befestigt, die über den größern zwei Ringen sehr gut angenäht worden waren und durch diese hindurch als Zügel- oder Leitseile rückwärts liefen. Zog man dann an dem Seile rechts auch nur leise, so hielt die Klappe auf dieser Seite sich offen, und ebenso war es links, so daß, indem man die Leitseile ohne Anstrengung in der Hand hielt, beide Klappen zugleich geöffnet standen, während stracks beide zufielen, wenn man die Seile nachließ. Hatte nun der Strauß auf beiden Seiten Licht, so lief er meist von selber geradeaus; wenn aber die Klappe der einen Seite hinuntergelassen wurde, so nahm er seine Richtung alsbald nach der andern hin, und wenn beide Klappen geschlossen waren, hielt er unverzüglich still und wagte nicht einen Schritt mehr zu tun.

Der schweizerische Robinson

Die ganze Vorrichtung war freilich nicht die einfachste und wollte auch lange nicht so gut spielen, als ich’s erwartet hatte; doch mit einigen Nachhilfen und leichten Veränderungen kam endlich alles noch leidlich ins Gleis, wiewohl es besonders Mühe kostete, bis wir uns selber recht an die Leitung gewöhnten. Da sie nämlich bei den Pferden gerade umgekehrt ist, indem man die Zügel anziehen muß, um haltzumachen, geschah es alle Augenblicke, daß wir den geplagten Strauß auf gleiche Weise behandelten, den Mißgriff nicht inne wurden und törichterweise über den Märtyrer erbosten.

Nun aber galt es auch, einen Sattel anzufertigen, der wieder seine eigenen Vorrichtungen erforderte und mir gewiß auf dem Vorgebirge der guten Hoffnung auch ein englisches Patent als Straußensattler verdient haben würde. Das kleine Monstrum hier vollständig zu beschreiben will ich jedoch keineswegs versuchen; genug, es wurde mit Riemen um die Brust und zu beiden Seiten an den Gurtringen unter den Flügeln des Straußes befestigt. Nach vorne, wegen der Vertiefung zwischen Hals und Rücken des Vogels, wurde er stark gepolstert und erhielt sowohl hier als auf der Rückseite einen steif emporstehenden Rand wie ein alter Turniersattel, weil mir alles daran lag, daß der Reiter gegen das Hinunterstürzen gesichert sei.

Die Gewöhnung des Straußes an diese neue Ausrüstung kostete freilich wieder Zeit und Mühe genug; allein er war durch die Abrichtung für den Zug schon gleichsam mürbe gemacht worden und stellte sich viel gebärdiger an zu der neuen Rolle eines Kurierpferdes, in der er auch bald so herrliche Proben ablegte, daß der Name Brausewind ihm von nun an mit dem vollsten Rechte zugeteilt blieb. Im Drittel der Zeit eines schleunigen Menschenlaufes rannte er nach Falkenhorst und wieder zurück; eine Schnelligkeit, die mir außerordentlich viele Vorteile für die Zukunft versprach. Jetzt kostete es aber auch Arbeit, den vorläufig angemaßten Eigentümer des Tieres, den lustigen Jack, in seinem Besitze zu erhalten; denn die andern Knaben wurden nachgerade fast neidisch darauf, und ich mußte mein väterliches Ansehen geltend machen, wenn es bei der ersten Verordnung sein Bewenden haben sollte. Da Jack indessen durch Leichtigkeit und Gewandtheit vor Fritz und Ernst sowie durch etwas mehr Kraft, Reife und Selbständigkeit vor Fränzchen den Vorzug hatte, überdies aber ganz besonders bei der Abrichtung des Straußes tätig gewesen war, so entschied ich, daß dieser in der Regel stets ihm als Reittier überlassen sein, in besondern Fällen aber, je nach meinem Gutfinden, auch mir oder den andern Knaben zu Diensten bereit sein sollte.

Weit früher schon, als wir mit diesem langen Geschäfte der Abrichtung und Ausrüstung des Straußes zu Ende kamen, hatte Fritz zu drei verschiedenen Malen mir ein junges ausgehecktes Sträußchen aus unserm Brutofen überbracht, indem er sorgfältig für die Erhaltung der nötigen Wärme darin bemüht gewesen war. Die andern zwei Eier verunglückten, und eines der drei Sträußchen blieb nur einen Tag lang am Leben. Es waren überhaupt ziemlich unförmige und fast lächerliche Geschöpfe; denn sie glichen einer jungen Gans in grauem Flaum und auf unbeholfenen Stelzbeinen, auf denen sie täppisch einherschwankten. Wir zogen sie mit gehackten und angebrühten Maiskörnern oder süßen Eicheln auf, nachdem wir ihnen zuvor ein paar Tage lang mit gutem Erfolg zerhackte, dick gesottene Eier und in Milch eingeweichte Kassave vorgelegt hatten.