Ein Kajak wird gebaut und auf italienische Art Getreide gedroschen. Fritz erlegt ein Walroß und gerät in einen Sturm. Die Knaben rüsten sich zu einer großen Expedition.

Der schweizerische Robinson

Climatische Verhältnisse bedingen gar oft die Tätigkeit der Menschen. So erging es auch uns; denn da wir uns erst etwa in der Mitte der Regenzeit befanden und doch manche Arbeit schon getan war, auch das Zureiten des Straußes, dem wir in regenlosen Stunden fleißig oblagen, uns die Zeit lange nicht genügend ausfüllte, so wären mir die Knaben gegen alle Regel eines guten Hausstandes bald in Untätigkeit und Faulenzerei versunken, wenn ich nicht alsbald zur Ausführung irgendeines neuen, uns ersprießlichen Unternehmens aufgefordert hätte.

Da ward alles gleich wieder rege, und namentlich Fritz schlug mit großem Nachdruck ein grönländisches Kajak vor. »An dem Brausewind haben wir nun eine großartige Schnellpost zu Lande. Nun müssen wir ganz notwendig auch eine zu Wasser haben; dann könnten wir in kurzer Zeit von den äußersten Grenzen unseres Königreiches Berichte einholen und jenseits derselben wohl noch manche nützliche Entdeckung machen!«

Der Vorschlag wurde einhellig gutgeheißen und sofort auch angenommen. Gleich machten wir uns wohlgemut an die Arbeit, um wenigstens das Gerippe des neuen Fahrzeugs herzustellen, ehe die Regenzeit verstriche; ich nahm mir aber vor, auch hier, so gut als vormals bei dem Boote, in Form und Einrichtung meinen eigenen Weg zu gehen, weil ich mir denn doch einbildete, als ein kluger Europäer die Baukunst der dürftigen Grönländer wohl übertreffen zu können.

Demnach verfertigte ich vorerst zwei Kiele aus leicht gekrümmtem Holz und befestigte ihrer zwei für jeden Kiel in entgegengesetzter Richtung so aneinander, daß die Bogen, in gerader Linie voneinander abstehend, wie Schlittenkufen in die Höhe standen. Die Fügung wurde dann glatt ineinandergelassen, damit nicht der Kiel an dieser Stelle dicker werde als an andern Teilen; auch verpichte ich diese Fügung mit jenem zähen und festen Harze, mit dem schon unser Boot kalfatert worden war. So standen denn die Spitzen an den zwei Bugen ungefähr zwölf Fuß auseinander, in jedem Kiel aber brachte ich unten der Länge nach zwei Kerben an, um daselbst metallene Rädchen von einem alten Flaschenzug einzulassen, die fast zwei Zoll aus dem Einschnitt hervorragten und dazu dienen sollten, mein Fahrzeug allenfalls auf festem Boden bequemer fortzustoßen oder fortzuziehen. – Nun wurden die zwei vollendeten Kiele parallellaufend, ungefähr anderthalb Fuß voneinander, mit Zwischenstücken von Bambusrohr so befestigt, daß sie, mit Ausnahme der zwei gebogenen Enden, einer Leiter mit ihren Sprossen glichen. Diese wurden dann mit ihren Enden aneinandergedrängt und fest zusammengebunden, so daß vorn und hinten eine gleiche Spitze gebildet ward; zwischen die Hörner einer jeden hatte ich aber noch ein drittes Stück Fischbein in senkrechter Stellung angebracht, um die erhöhten Seitenwände des Kajaks damit zu verbinden. Auch befestigte ich eiserne Ringe da, wo ich mit einem kupfernen Bande die Spitzen meiner Kiele verbunden hatte, um nach Belieben das Schifflein daran ziehen oder befestigen zu können. Meine Laden oder Balken für die Länge des Fahrzeugs verfertigte ich aus gespaltenen Bambusrohren, mit Ausnahme des obersten auf beiden Seiten, der aus einem ganzen spanischen Rohre bestand, die wir von beliebiger Länge in dem Gänsesumpf vorrätig fanden. Zu den Bughölzern hingegen, die mir die Bauchungen geben sollten, nahm ich nur in zwei Hälften gespaltene Rohre, die sich wegen ihrer Biegsamkeit ganz dazu eigneten und sich leichter in die von mir gewünschte Form schmiegten. Diese Form nämlich zeigte drei Fuß oder etwas mehr als Bauch in der Mitte und fiel dann nach oben und unten zu wieder ab. Gegen das Vorderteil und das Hinterteil endlich liefen die Wände mit allmählicher Verjüngung aus, und ein Verdeck schloß überall das Schifflein zu, mit Ausnahme eines ziemlich engen Einschlupfs oder Sitzloches in der Mitte, dessen Umfang ich aus dem leichtesten Holz zurüstete, das ich nur auffand, und mit einer Kerbe versah, in die das übergeworfene Schwimmwams des Ruderers eingepackt werden konnte. So war er mit seinem Fahrzeug gleichsam verwachsen, und kein Wellenschlag würde Wasser durch das Sitzloch neben ihm hineinspritzen können. In der Mitte unter dem Sitzloch war ein Schemelchen angebracht, auf dem der Fahrer sitzen konnte, was bei der grönländischen Bauart, wo er nur einfach kniet, nicht der Fall ist.

Der schweizerische Robinson

So war denn das Gerippe meines Kajaks so ziemlich nach meinem Wunsch, vielleicht nur des lieben Schemelchens wegen ein paar Zoll zu hoch, vollendet worden und versprach schon vermöge seiner elastischen Baustoffe recht herrliche Dienste zu tun; denn als ich es zur Probe nach allen Kräften auf einen steinigen Boden niederwarf, prallte es fast wie ein Lederball zurück, und im Wasser schwamm es so leicht, daß es selbst bei versuchter Befrachtung mit ziemlich schwerem Gewichte nicht um einen Zoll einsank.

Jetzt mußte aber erst zur Vollendung geschritten werden, und diese zog sich noch eine geraume Zeit hinaus. Ich wählte dazu zwei der größten Häute, die ich den Tieren über den Kopf abgezogen hatte, ohne sie erst der Länge nach aufzuschneiden. Diese wurden, nachdem sie hinlänglich bearbeitet worden waren, wie ein elastischer Sack über das Gerippe des Kajaks gezogen und in der Mitte, wo sie zusammentrafen, sowie an den beiden Enden aufs beste aneinandergenäht, worauf ich die Nähte mit elastischem Gummi überzog, um sie ganz wasserdicht zu machen.

Bevor jedoch dieser ganze Überzug des Kajaks in Arbeit kam, hatten wir das Inwendige mit Fell gleichsam tapeziert und den Boden zwischen den Kielen mit jener korkartigen Rinde verstärkt, die Fugen aber verpicht und verkittet, daß sie ebenfalls wasserdicht waren. Endlich kam die Reihe an das Verdeck des Schiffes, wo reichliche Querstäbe von Bambus ebenfalls mit Fellen überspannt wurden, und zwar so, daß zu beiden Seiten das oberste spanische Rohr der Seitenwände ein kleines Bord bildete und zugleich einen tüchtigen Anhalt gab, um den Überzug desto besser zu befestigen. Dieser ward dann ebenfalls in allen Fugen mit Federharz übergossen und dadurch um so viel haltbarer gemacht.

Mit Grund war die Sitzöffnung des Kajaks etwas mehr nach hinten zu angebracht worden, weil ich hoffte, künftig vielleicht das Vorderteil zur Aufrichtung eines kleines Segels benutzen zu können; einstweilen aber sollte das Schiffchen mit einem zweischlächtigen oder zweischaufligen Ruder getrieben werden, das ich jedoch ein wenig länger als gewöhnlich aus Bambuslatten verfertigte und an der einen Schaufel mit einer großen, wohlverpichten Luftblase versah, die den Zweck hatte, das Werkzeug nach Belieben als einen Ausleger zu gebrauchen, indem man mit der Blase bei drohendem Umsturz sich einigermaßen auf die Fläche des Wassers stemmen konnte.

Soweit war für die Ausrüstung des Kajaks selbst gesorgt; aber nun wurde die Kunstfertigkeit der Mutter in Anspruch genommen, um ein paar Schwimmwämser zu schneidern, denn ohne ein solches hätte ich keinen der Knaben in das Kajak hineingelassen, weil sonst leicht eine Welle durch das Sitzloch hineinschlagen und das Schiffchen mit Wasser füllen konnte, wobei der Ruderer, auch wenn er ein Korkleibchen angehabt hätte, doch leicht in Gefahr gekommen wäre, sich nicht aus der Öffnung losmachen zu können und folglich samt dem Kajak unterzugehen. Die Wämser sollten, nach meiner Angabe, aus einem knapp am Leibe liegenden Futter bestehen, das nur oben und unten geöffnet war, so daß es über den Kopf und die aufgehobenen Arme an den Leib gezogen werden mußte, worauf es unterhalb in den Hosengurt eingeschoben ward. Über dieses Kleidfutter wurde ein sehr weiter Überzug genäht, der um Rücken, Brust und Bauch einen lockeren Sack bildete und bei den Öffnungen für die Arme und den Hals mit Bändern sehr genau angeschlossen werden konnte. Bei den Hüften ließ ich im Kreis herum einen Überschlag annähen; zwischen diesen und das Futter des Wamses wurde dann der gekerbte Reif des Sitzloches im Kajak beim Niedersitzen des Ruderers eingeführt. Nun konnte der Überschlag in die Kerbe eingezogen und ziemlich wasserdicht geschnürt werden, so daß der Kajakfahrer rings um seinen Leib mit dem Verdecke seines Schiffchens durch sein Wams aufs genaueste zusammenhing und gleichsam mit diesem aus einem und demselben Ganzen bestand, wo das Wasser nirgends einen Zugang hatte, um neben dem Ruderer hineinzudringen. Da nun das Futter auch unter den Armen, über die Brust und die Laffen mit dem Überzug genau vernäht war und ich alle Nähte mit Federharz wohl verpicht hatte, so entstand zwischen Brust und Hüften ein Schlauch; an diesen wurde ein Röhrchen von Darmhaut genäht, das oberhalb einen luftdichten Stöpsel erhielt und gerade noch bequem an den Mund hinaufgezogen werden konnte. Diese Vorrichtung war bestimmt, von dem Kajakschiffer gebraucht zu werden, um je nach Belieben, wenn er aufs Wasser ging, durch das Röhrchen Luft in den Zwischenraum des Überzugs und des Futters an seinem Schwimmröcklein zu blasen, das Röhrchen dann wieder zu verschließen und so bei allfälligem Umschlagen des Schiffchens doch flott auf dem Wasser zu bleiben.

Auf solche Weise beschäftigten wir uns anhaltend und mit großem Genuß während der ganzen Regenzeit, indem zur Abwechslung auch das Lesen guter Bücher, die Sprachübungen und manche häuslichen Einrichtungen vorgenommen wurden.

Sobald aber die Witterung sich nur etwas besserte, zogen wir auch gleich wieder aufs Feld und lüfteten uns bei allerlei Verrichtungen in freier Luft. Das erste fertig gearbeitete Schwimmleibchen war für Fritz bestimmt worden und sollte jetzt an einem hübschen Vormittag seine Probe bestehen. Das grönländisch-felsenheimische Kajak wurde daher ins Wasser gebracht, und Fritz warf sich in das seltsame Gewand des Ruderers. Aber sämtliche Zuschauer brachen in ein schallendes Gelächter aus, als er anfing, sich aufzublasen, so daß er vorn und hinten so stattliche Höcker bekam, wie die berühmten drei buckligen Quiredi in dem bekannten Märchen sie nur irgend gehabt haben. Gravitätisch marschierte er mit seiner Kamelszierde in das Wasser hinein, wo es nur ganz allmählich tiefer ward; und als er endlich unter den Füßen den Grund verlor, sank er doch nicht tiefer ein als höchstens bis an die Herzgrube. Munter stampfte er weiter, indem er auf gewohnte Weise, wie beim Schwimmen, Wasser trat, und es dauerte nicht lange, so erreichte er eine etwa fünfzig Schritt entfernte Sandbank uns gegenüber. Mit einem Jauchzer drehte er sich, kaum daß er festen Fuß gefaßt hatte, zu uns zurück, winkte, schrie, lachte und sprang, daß das Wasser spritzte. Die anderen Jungen hopsten ellenhoch vor Vergnügen über den buckligen Wassertreter, und die Mutter wurde nun von allen dreien stürmisch angefleht, auch für sie die Schwimmwämser zu beendigen.

Bevor das aber getan werden konnte, sprang uns ziemlich unerwartet eine schwere, unabweisliche Arbeit und nicht wenig zur Unzeit an den Hals, weil wir eben jetzt auch noch den regelmäßigen Heringszug und den allemal ihn begleitenden Strich der Seehunde erwarteten. Zudem jammerte die Mutter sehr, wie wir nur alles einsammeln und einfangen, bereiten, salzen und ausdreschen wollten, wobei sie vor lauter Hast über das Einpökeln des Reises, das Pflücken der Seehunde und das Dreschen der Heringe stöhnte. Endlich erwähnte sie des wohl schon nötigen Ausgrabens der lieben Erdäpfel und der Maniokwurzeln. Ich tröstete sie aber, daß sie namentlich die letztern geraume Zeit in der Erde selbst erhalten würden und die Kartoffeln hier in dem leichten Erdreich kein so mühsames Aushacken erheischten als in dem schweren, bald scholligen, bald steinigen Schweizer Boden. Auch bemerkte ich ihr, daß einstweilen eine neue Bestellung des Feldes für die Wurzelgewächse nicht vonnöten sei, weil es sicher genügen würde, wenn wir die kleinern Stücke und Pflanzen zu fernerem Wachstum zurückließen. »Das Getreide aber«, beschloß ich meine Trostrede, »wollen wir nach italienischer Manier einsammeln und ausdreschen; denn ist sie gleich nicht haushälterisch, so ist sie doch die sparsamste in Rücksicht der Vorkehrungen und des Zeitaufwandes. Daß aber etwas mehr dabei verlorengeht, das wollen wir bei der tröstlichen Aussicht auf zwei ergiebige Jahresernten uns gar nicht kümmern lassen.«

Sofort ebnete ich gerade vor unserer Wohnung eine beträchtliche Stelle des von Natur etwas festen lehmigen Bodens zu einer Art Tenne, die wir stark mit dünner Jauche aus den Ablaufbehältern unseres Viehstandes begossen. Dieses Stück Erdreich ließen wir dann durch unser Vieh, das darauf herumgetrieben wurde, fest eintreten, und halfen dabei durch Schlagen mit Rudern, Schaufeln und Ladenstücken nach Leibeskraft. Die Sonnenhitze trocknete schnell den Jaucheguß wieder auf; wir begossen aber immer von neuem, traten auch, kneteten und schlugen, bis endlich die Erde so dicht zusammengearbeitet war, daß sie nach dem Trocknen gar keinen Spalt mehr zeigte und mir so fest vorkam als die in unserm Vaterland üblichen Tennböden.

Alsbald zogen wir, mit Sicheln ausgerüstet, in die Ernte, von den Palankinträgern Sturm und Brummer begleitet, die denselben großen Korb zur Aufnahme des Getreides zwischen sich trugen, in dem damals Ernst gesessen hatte.

An Ort und Stelle angelangt, fragte plötzlich die Mutter etwas verblüfft nach Weidenbändern, um die Garben zu binden, ebenso die Knaben nach Harken oder Rechen, um die geschnittenen Halme zu Haufen zusammenzuziehen. »Nichts von allen diesen Weitläufigkeiten!« rief ich; »es geht heute ganz italienisch zu, und der Italiener ist eben kein Liebhaber von vielen Ausgaben für Ackergerät oder gar für Weidenruten; auch liebt er die Mühe nicht, diese zu schmiegsamen Bändern zu drehen.«

»Wie, der Tausend, binden sie denn die Garben zusammen? Und wie bringen sie sie nach Haus?« fragte Fritz.

»Sehr leicht«, versetzte ich; »denn sie machen gar keine Garben und dreschen auch wohl auf dem Felde selbst.«

»Ja so!« meinte Fritz und sah ein wenig verlegen aus, weil er nun gar nicht wußte, wie er sich zu dem Erntegeschäft anstellen sollte. Da zeigte ich ihm denn, wie er gar bequem mit der linken Hand eine Anzahl Ähren zusammenfassen und eine gute Spanne lang darunter mit der rechten absicheln, den Büschel mit einem Halm umwinden und so in den Sammelkorb werfen könne, was auch die Annehmlichkeit habe, nicht einmal den Rücken bei dieser sonst so sauern Feldarbeit allzusehr krümmen zu müssen.

Die Methode gefiel den Knaben überaus, und in kurzem stand der Acker mit langen, um eine Spanne geköpften Stoppeln zerkauzt und ausgeplündert da, während unser Korb sich ein paarmal mit den reichhaltigsten Ährenbüscheln angefüllt hatte.

Hiermit verfügten wir uns in Begleitung des letzten angefüllten Erntekorbes unter Schnittergesang und Jubel heim, und sofort wurde hier alles zu der italienischen Drescherei vorbereitet, indem Ernst und Fränzchen unter Anleitung der Mutter die Getreidebüschel auf der Tenne weitläufig im Kreise ausbreiteten, nachdem wir die verschiedenen Sorten des Getreides erst ordentlich in getrennten Haufen zusammengelegt hatten.

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Jetzt begann also ein neues, gar lustreiches Fest; denn jeder der Knaben setzte sich auf sein Reittier, und auch der Strauß wurde zu der ländlichen Arbeit ohne Schonung in Anspruch genommen. Die vier Jungen trabten und stampften unter beständigen Scherzen und Possenreißereien auf den Ähren herum, daß Staub und Abgang in Wolken davonflogen; ich aber und die Mutter, mit hölzernen Gabeln versehen, waren unablässig bemüht, die niedergetretenen und auseinandergetriebenen Büschel wieder aufzuschütteln und in das Laufgeleis der umkreisenden Drescher zu werfen. Freilich gab es da ein paar Zufälle, an die ich anfangs nicht gedacht hatte; denn die Tiere ließen Unrat in die Ernte gehen und erschnappten mitunter ein ganzes Maul voll der ausgedroschenen Körner, wobei mich die Jungen schelmisch fragten: »Ist das auch italienisch, Vater?« Die Mutter aber lächelte ganz spöttisch: »Nun, nun, wenn man diese Näscherei der Tiere nicht sparsam nennen kann, ein vereinfachtes Verfahren ist sie gewiß, denn sie kürzt das Aufbewahren des Getreides um ein namhaftes ab.« Ich redete mich indessen bestmöglich heraus und bemerkte, daß in diesem heißen Klima der Unrat in kurzem zerstiebe, den Tieren aber ihr Raub zu gönnen sei, da ja die Schrift ausdrücklich gebiete: »Dem Ochsen, der da drischt, sollst du das Maul nicht verbinden.« »Bei der so reichen Ernte«, fuhr ich fort, »dürfen wir keineswegs eben knauserig sein, und hin und wieder eine Handvoll bessere Nahrung wird unsere Gehilfen nur desto kräftiger und brauchbarer erhalten.«

Nachdem das Getreide genügend ausgedroschen worden war, schritten wir auch zu dessen Reinigung. Die abgedroschenen oder vielmehr abgestampften Ähren und Körner in ihren Spelzen wurden zu Häufchen zusammengeharkt und dann mit Wurfschaufeln hoch in den Wind geworfen, so daß die Spreu und losgegangenen Hülsen samt dem Staub und Unrat auf die Seite geweht wurden, das Kernhaltige aber durch sein Gewicht unmittelbar zu Boden fiel, wobei freilich Mund und Nase nicht wenig von dem Staube zu leiden hatten, weswegen ich die Jungen öfters einander ablösen ließ und sie überdies durch die schon früher gebrauchte Bienenkappe bestmöglich zu schützen suchte.

Während dieser Arbeit kam bald auch unser gesamtes Federvieh mit Gegacker und Geschnatter zu der offenen Dreschtenne gerannt und schnabelte so fürchterlich drauflos, daß die Mutter sich endlich genötigt sah, dem Übel Einhalt zu tun. Als aber auch die Knaben mit Ungestüm alle die Schnabler wegzutreiben begannen, hielt ich sie zurück: »Laßt doch den armen Kerlen auch ein paar Körner. Sie lohnen es uns später, indem sie fettere Braten liefern.«

Meine Fürbitte wurde angenommen, und nur die unverschämtesten Schmarotzer wurden fortan mit einem leichten Rutenschlag in die Schranken des Anstandes gewiesen.

Endlich maßen wir den Gesamtertrag unserer Ernte und fanden ihn, trotz aller Plünderung im Feld und auf der Tenne, doch wenigstens sechzig- bis achtzigfach, indem wir mehr als hundert Maß Weizen und über zweihundert an Gerste in unsern groben Körben zur Aufbewahrung in unsere Vorratskammern stellten.

Der Mais erforderte eine etwas andere Behandlung als das übrige Getreide. Die großen Zapfen wurden schon auf dem Acker von den Stengeln gebrochen, geschält und dann zum Trocknen auf unserer Tenne ausgebreitet; dann, als sie vollkommen getrocknet und spröde waren, peitschten wir sie mit langen Ruten tüchtig aus, wodurch die Körner von den Strünken absprangen, so daß wir in kurzer Zeit unsern Vorrat im reinen hatten, der von einem einzigen gesteckten Maße zu unserm Erstaunen mehr als deren achtzig betrug, so daß wir deutlich erkannten, diese Getreideart sei dem Klima und dem Erdreich dieser Küsten die angemessenste.

Wenn wir uns aber in diesem Jahre noch einer zweiten Ernte erfreuen sollten, so mußten wir gleich daran, unsern Acker aufs neue zu bestellen. Zu dem Zwecke wurden die langen übriggelassenen Stoppeln gänzlich abgemäht und die geköpften Maisstengel zur Feuerung nach Hause geschafft.

Das Stroh wurde daheim um einen Pfahl herum in einen Spitzhaufen zusammengeschlagen und allmählich unserm Vieh verfüttert; mit den Maisblättern füllten wir die Strohsäcke der Betten, weil wir sie ungleich elastischer und dauerhafter fanden als das gewöhnliche Stroh. Die verbrannten Stengel endlich gaben eine Asche, die sich durch ihre Reichhaltigkeit an Laugensalz der Mutter zur Aufbewahrung für ihre künftigen Wäschen besonders empfahl.

Nach Bestellung des Feldes wählte ich zur Aussaat, um mit den Getreidearten zweckmäßig abzuwechseln, für diesmal Roggen, Dinkel und Hafer, die mir vor der nächsten Regenzeit schon eine zeitige Ernte gewähren sollten.

Kaum war jedoch diese wichtige Arbeit ihrem Ende nahe, als schon der Heringszug eintraf, durch den wir uns aber nicht sonderlich stören ließen, weil wir sowohl für uns selbst als für unsere vierbeinigen Leibtrabanten nun schon so viele Lebensmittel vorrätig hatten, daß wir uns für diesmal bloß zu einiger Abwechslung der Gerichte zwei Fäßchen, das eine mit gesalzenen, das andere mit geräucherten Heringen zulegten; doch füllten wir alle Fischbehälter mit lebendigen Gefangenen an, um sie nach Gelegenheit frisch verschmausen zu können.

Die Seehunde dagegen, die gleich darauf folgten, machten wir uns mit allem Eifer zunutze. Nun wurde das Kajak noch völlig mit seinem Überzug ausgerüstet und auf dem Verdecke des Fahrzeuges ein wasserdichter, verschlossener Behälter hinzugefügt, der aber auch losgeschnallt und zu Hause gelassen werden konnte. Er sollte zum Mitnehmen von etwas Schießbedarf und Mundvorrat samt einer Blase voll süßen Wassers und einem Paar Pistolen dienen. Dann verfertigte ich zwei tüchtige Harpunen mit angehängten lufterfüllten Seehundsblasen und gab dieser Bewaffnung ihren Platz der Länge nach auf beiden Seiten des Schiffchens in einem zweckmäßigen Gehänge von Riemen, das ich angebracht hatte.

Nachdem dies insgesamt zustande gekommen war, mußte Fritz zur großen Hauptprobe, und zwar zuerst auf trockenem Boden sich einkleiden lassen, und jedermann drängte sich zum Knappendienst, um den erkorenen Ritter des Wasserpferdes zu wappnen und gehörig herauszumustern. Schwimmhosen von Seehundsdärmen, das vielbelobte Schwimmwams und eine grönländische Wasserkappe von starken Seehundsblasen stellten bei dieser Ausrüstung die Schutzwaffen vor; als Trutzwaffe aber nahm der Held das zweischlächtige Ruder und die Harpunen in die Hand, die er anstatt Neptuns Dreizack theatralisch in die Lüfte schwang und mit Virgils berühmtem »Quos ego!« allen Ungeheuern des Meeres entgegenhielt. Hierauf hockte er sich in das bereitstehende Kajak, legte die Harpunen rechts und links in ihr Gehäng, befestigte den Überschlag seines Leibchens in die Kerben des Sitzringes und blies sich dann wie ein Riesenfrosch auf. Alsbald zogen Ernst und Jack an einem Seile vorn, und Fränzchen stieß mit der ganzen Kraft seines Persönchens das Kajak von hinten, da es sich auf dem festen Boden des Strandes vermittels seiner Rädchen ganz ordentlich bewegen ließ. Zwei Kiekmuscheln stimmten dabei ein greuliches Triumphlied an, und Fritz, als Walfischfänger, krächzte und kollerte Töne hervor, die ganz gut für ein grönländisches Fischerlied genommen werden konnten. Unbändig lachten und jubelten wir über die höchst komische, dickwanstige Figur des kleinen Meergötzen in dem Lederfutteral und konnten selbst der Mutter ein Lächeln abgewinnen, ob sie schon mit ungleich mehr Besorgnis der neuen Ausrüstung ernsthaft zusah. Ich selbst war jedoch diesmal ziemlich unbesorgt, weil Fritz im Schwimmen große Fortschritte gemacht hatte und ich mich überhaupt, was Gewandtheit und Kraft betraf, bei schwierigen Unternehmungen am besten auf ihn verlassen konnte; aber um die Mutter zu beruhigen, setzte ich ohne Verzug unser Boot in den gehörigen Stand, damit ich sogleich dem Jungen zu Hilfe eilen könnte, wenn irgendein Unfall ihm zustoßen sollte.

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Das Kajak wurde daher an eine abschüssige Stelle des Ufers geführt und unter fröhlichem Hurra und Hussa in das Fahrwasser hinabgeschoben, daß es rasch von Stapel lief und wohl zehn Schritte weit in die ruhige Bucht hinausschoß, wo es sich lustig auf der Oberfläche des meergrünen Spiegels schaukelte. Da fing Fritz auch allen Ernstes an, die grönländischen Handgriffe mit dem Doppelruder auszuführen und allerlei Kunststücke mit seinem Kajak ins Werk zu setzen. Bald trieb er’s in gerader Linie pfeilschnell dahin, bald schwenkte er zur Rechten und plötzlich wieder zur Linken, bald sogar fuhr er rückwärts, und endlich, unter einem Schreckensruf der Mutter, warf er sich seitwärts um, wobei sich denn zeigte, daß das Fahrzeug eigentlich gar nicht sinken konnte und das Leibchen auch den Schiffer nicht untergehen ließ; denn leicht schnellte sich dieser mit einem geschickten Ruderschlag wieder in die Höhe und fuhr wohlbehalten weiter.

Wir hatten alle eine unbeschreibliche Freude an diesen abwechselnden Übungen und bezeugten bald unsern Beifall so laut, daß der Junge, zu noch größerer Kühnheit angetrieben, sich bis in die Strömung des Schakalbaches wagte, von dieser aber auch sofort mit ungeheurer Schnelle in die hohe See hinausgetragen ward.

Dies wollte mir freilich nun nicht gefallen, und ich hielt es für ratsam, jetzt in der Tat, von Ernst und Jack begleitet, mein bereitstehendes Boot zu besteigen und dem unfreiwilligen Ausreißer nachzujagen. Fritz war uns jedoch schon völlig aus den Augen, als wir von der Bucht in die offene See gelangten und uns freier nach ihm umsehen konnten; dennoch schossen auch wir mit dem Boot gleich einer Seemöve über die Oberfläche des Wassers hinweg und waren ziemlich bald bei dem Riffe, wo vormals unser Schiff gestrandet hatte und wo die Strömung Fritz hingetragen haben mußte. Hier gab es Felsen, die kaum vom Wasser bedeckt wurden, und andere, die mit ihrem Kopf oder ihrem Rumpf über die Wellen emporragten, während diese mit ziemlich starker Brandung anschlugen und sich schäumend zerschellten. Wir suchten sogleich eine Durchfahrt durch das Riff und trafen auch bald eine Stelle, wo sie mit ziemlicher Sicherheit zu wagen war, indem wir hinlänglich tiefes Wasser fanden und bald in ein Labyrinth von Klippen oder kleinen Felseninseln gerieten, die sich bis zu einem ziemlich entlegenen und wilden Vorgebirge hinzogen, aber auch alle entferntere Aussicht unmöglich machten.

Wir hatten indessen nicht lange gespäht und gesucht, als ich unversehens in beträchtlicher Entfernung von uns eine kleine Rauchsäule emporwirbeln sah. Dann vernahm ich einen schwachen Knall, den ich für einen Pistolenschuß erkannte.

»Da ist Fritz!« sagte ich mit einem Seufzer der Erleichterung.

»Wo, wo?« fragten die Jungen, indem sie die gesenkten Köpfe wieder aufhoben, und in diesem Augenblick stieg abermals ein kleiner Rauch auf und ein Knall folgte, und nun versicherte ich die Knaben, daß Fritz nicht weit von uns sei. Da brannten wir einen Signalschuß nach der Gegend der zwei aufgestiegenen Rauchwölklein los, und nicht lange, so wurde er schon knallend erwidert.

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Wir steuerten daher freudig, obgleich behutsam, nach der Richtung des antwortenden Schusses hin, und Ernst beobachtete die Zeit an seiner silbernen Taschenuhr. In ungefähr zehn Minuten wurden wir denn auch Fritzens ansichtig, und fünf Minuten darauf, unter lautem seemännischem Zuruf und der frohsten Bewillkommnung, trafen wir zusammen.

Jetzt sahen wir aber unser blaues Wunder an einem ganz stattlichen, wenn auch nicht ausgewachsenen Walroß, das der junge Seeheld nicht nur verletzt, sondern wirklich mit seinen zwei Harpunen erlegt hatte, und das völlig tot auf einer wenig hervorstehenden Klippe lag, wo wir bequem mit unserm Boote anlegen konnten.

Zuerst jedoch machte ich dem neuen Grönländer einige Vorwürfe, daß er sich so schnell und so weit von uns entfernt habe, und bemerkte ihm, wie wir dadurch in große Verlegenheit und Angst geraten seien. Er aber entschuldigte sich mit der gar zu heftigen Strömung des Schakalbaches, aus der er sich nicht habe hinausarbeiten können. »Dann«, sagte er, »traf ich auf einige schwimmende Walrosse, die mich an gar nichts mehr denken ließen, als wie ich sie ereilen und eines erbeuten könnte. Endlich gelang es mir, die erste Harpune dem hintersten der Flüchtlinge glücklich in den Rücken zu werfen; die Schwimmblase am Schafte hinderte das Tier am Untertauchen, die Wunde ermüdete es offenbar. So fuhr ich denn um so gieriger hinterher, bis ich ihm die zweite Harpune beibringen konnte, worauf es sich zwischen diese Klippen zu bergen suchte, bis es auf der Untiefe hier vollends strandete und endlich verschied. Zwar gefiel mir die Brandung da herum gar wenig, aber mein Kajak hüpfte wie ein Sturmvogel hindurch, und wenn ich auf die seichten Stellen geriet, wo die Felsen bis nahe an die Oberfläche des Wassers emporragten und mein Fahrzeug öfters aufstieß, so nahm es doch keinen Schaden, sondern prallte durch die Schnellkraft seines Überzuges unverletzt ab; es ist ein großartiges Ding! Endlich konnte ich hier anlegen und gab dem Walroß noch zwei Pistolenschüsse, um vollständig sicher zu sein.«

»Du hast da ein großes Wagstück übernommen, Fritz!« nahm ich jetzt das Wort, »nur gut, daß es glücklich ablief. – Wenn ich nun aber nur wüßte, was wir mit dem Walroß anfangen sollen; ist es doch an die drei Meter lang, ob es mir schon noch unausgewachsen scheint.«

»Ach, Vater!« bat Fritz, »wenn es nicht angeht, die fürchterliche Last des Tieres durch die Klippen hinauszubugsieren, so erlaube mir doch wenigstens, den Kopf mit den zwei schneeweißen Zähnen nach Hause zu nehmen! Ich möchte ihn gern an der aufstehenden Vorderspitze des Kajaks befestigen. Dann kriegt es auch gleich seinen Namen »Walroß«.

»Nun, freilich, mein Sohn, die schönen Hauzähne wollen wir nicht zurücklassen!« versetzte ich; »zwar sind sie nicht volle zwei Fuß lang, wie die ausgewachsenen es sein sollen, aber gleichwohl sind sie das Schätzbarste an dem Tier, und gerade wegen der feineren, dauerhafteren Weiße ihrer zwei Hauer, in Vergleichung mit dem Elfenbein, werden die Walrosse vorzugsweise getötet. Hingegen soll das Fleisch wenig taugen und wäre uns für diesmal nur eine Überlast; dafür will ich mir jedoch einige tüchtige Zugriemen aus der dicken Haut ausschneiden; die sind des Mitnehmens immerhin wert, und während ich sie mir losschäle, kannst du den Kopf ablösen. Aber spute dich! denn die Luft fängt an so schwül zu werden, als wollte sich ein Gewitter zusammenziehen.«

»Den Walroßkopf darfst du beileibe nicht im Stiche lassen!« rief Jack; »der wird auf deinem Kajak prächtig stehen, und es wird aussehen, als ob du selbst auf dem Rücken eines Walrosses über das Meer hinsaustest.«

»Wie aber«, bemerkte Ernst, »wenn der Kopf in Fäulnis übergeht, wird es dann auch prächtig riechen für den Ruderer?«

»Ei, dem wollen wir schon zuvorkommen!« versetzte Fritz; »ich beize, höhle, reinige und dörre den Kopf, daß er so hart und hölzern wird wie jener in dem Museum unserer Vaterstadt, dem man auch gar nichts Tierisches mehr angerochen hat.«

Während dieses Gespräches waren wir beschäftigt, unsere Beute von dem Walroß herunterzuschneiden, und Fritz bemerkte dabei, daß es für die Zukunft rätlich sein dürfte, dem Kajak eine Lanze beizufügen, ein Handbeil und eine kleine Magnetnadel, welch letztere in einem Kästchen mit gläsernem Deckel vor dem Sitzloch des Ruderers anzubringen wäre, damit er auf der Fahrt, wohin auch ein Sturm ihn verschlüge, sich wieder zurechtfinden könne. – Ich fand diesen dreifachen Rat auch so treffend, daß ich ihm nachzukommen versprach, da ich Lanze und Beil zu endlicher Tötung und Zerlegung größerer Seetiere vollkommen dienlich hielt und wir überdies auch Pulver ersparten.

Nachdem wir endlich unser Geschäft an dem Walroß abgetan hatten, wollte ich Fritz samt seinem Kajak in unser Boot herübernehmen; ich gab jedoch seinen Bitten nach, auch die Rückfahrt allein machen und als Wasserkurier die Nachricht von unserer Heimkehr lange voraus bei der Mutter verkündigen zu dürfen, und ohne Säumen stach er in See, worauf auch wir mit dem Boot, doch schon von Anfang an etwas langsamer, ihm folgten.

Die schwarzen Wolken, die wir vorhin bemerkt hatten, waren indessen immer drohender geworden, und ich hatte kaum ausgesprochen, als uns ganz plötzlich ein fürchterliches Ungewitter mit Sturm und Regen überfiel. Fritz war uns leider schon so weit vorgeeilt, daß wir ihn durch die Streifen des fallenden Regens hindurch nicht mehr sehen, geschweige denn wegen des Brausens und Schlagens von Wind und Wellen noch rufen konnten, so daß ich ihn weder zu uns in das Boot nehmen, noch mich seines Beistandes erfreuen konnte. Sogleich hieß ich die Knaben, sowohl mir als ihnen unsere Korkwämser umschnallen und sich mit den Riemen, die am Boot angebracht waren, dergestalt an dieses festzubinden, daß sie nicht von den überschlagenden Wellen niedergeworfen und weggespült werden könnten. Nur mit Not brachten sie dies jedoch zustande, und sogar ich selbst nahm Zuflucht zu diesem Mittel, worauf wir uns dem lieben Gott empfahlen und, bei unserm Unvermögen, das Schifflein zu regieren, es zwischen Furcht und Hoffnung seinem Schicksale preisgaben.

Noch immer nahm das Gewitter überhand, obgleich sich seine Wut fast unmöglich vermehren zu können schien. Wie Berge türmten sich die Wogen bis zu den schwarzen, dichten, herabhängenden Wolken des Himmels empor; feurige Blitze durchzuckten die Finsternis und warfen eine blasse Schreckensfarbe bald auf die Spitzen, bald in die plötzlich klaffenden Abgründe der Wellen. Eine Windsbraut nach der andern brach vom umnachteten Horizont mit Geheul auf das schäumende Meer herein und wühlte es bis in sein Innerstes auf. Gewässer des Abgrundes schienen aufzuschäumen bis zum Firmament und abprallend zurückzukehren wie Wolkenbrüche. Bald saßen wir auf dem Gipfel eines Wasserberges, und bald fuhren wir mit der Schnelle des Blitzstrahles in eine Wasserschlucht hinab, während immer wieder einzelne Fluten über uns wegspritzten und das Boot mit ihrem Guß erfüllten oder mit furchtbarer Hast hinter uns herjagten und uns eine plötzliche Vernichtung drohten, aber im Nu gleichsam wieder einkrochen und unter unserm Fahrzeug hinwegschlüpften.

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Je gräßlicher indes das Ungewitter herangestürmt war, und je reichlicher es sich ergossen hatte, desto schneller schoß es auch vorüber. Es schien ein Wettrennen zwischen Wolken und Sturmwind und Meereswogen obgewaltet zu haben und der Wind endlich vorangelangt zu sein; aber düstere Wolken über uns und hochgehende Wellen unter uns währten noch lange fort und ängstigten uns sehr.

Bei all unserm Elend hatte ich indes die Genugtuung, zu sehen, daß unser Boot sich vortrefflich hielt, denn keine Gewalt der Wogen war imstande, es umzuwerfen, immer richtete das Übergewicht des Kiels es wieder auf; ja selbst die überschlagenden Wellen vermochten es nicht zum Sinken zu bringen, und wir fanden immer wieder Zeit, durch ein paar kräftige Züge an der Pumpe es wieder zu leeren und zu erleichtern. Auch gelang es mir, ob wir gleich von den Wellen in ihrer eigenen Richtung getragen wurden, ihm doch immer von Zeit zu Zeit mit dem Steuerruder einen Ruck zu geben, der uns gerader auf unserm Strich hielt.

Dies alles konnte mich zwar nicht eigentlich erheitern, aber es erhielt mir doch den Mut und die Besonnenheit. Was mich am meisten beängstigte, war das Schicksal Fritzens, den der Sturm so gut als uns ergriffen haben mußte; bald dachte ich mir den Herzensjungen an einer Klippe zertrümmert, bald auf die weite, unendliche See hinausgeschleudert, bald auf sonst eine Weise verunglückt, und in tödlicher Beklemmung sah ich der nächsten Stunde entgegen.

Endlich befand ich mich in der Höhe unserer Rettungsbucht, atmete lang und schwer aus, wie ein Taucher, der sich vom Abgrund erhebt, zog mit aller Manneskraft an meinem Ruder und gewann glücklich den Paß zwischen den wohlbekannten Klippen der Einfahrt. Fast augenblicklich schnaubten Sturm und Wogen uns hinter dem Rücken davon, wir bekamen ein leicht gekräuseltes Fahrwasser, so daß wir uns dem beglückenden Gefühle der Rettung und der Sicherheit überlassen konnten.

Und was sahen wir dort am Strand? Die Mutter, die Fritz in den Armen hielt. »Junge!« rief ich, und die Tränen stürzten mir aus den Augen. Mit einigen wuchtigen Ruderschlägen sausten wir ans Land. Ich sprang aus dem Boot, noch ehe es festlag, Fritz mir entgegen, und wortlos hielten wir uns fest, innig umschlungen. Aber die andern waren auch noch da. Alle hatten wir uns um einander gebangt. Die Mutter streichelte schweigend, mit zitternden Lippen, an ihren Jungen herum. Es war uns lange Zeit nicht zum Schwatzen zumute.

»Mütterchen«, sagte ich endlich und faßte sie um die Schulter, »bist du bös auf uns, schiltst du uns aus, daß wir dir solche Angst gemacht haben?«

Sie schüttelte mit nassen Augen den Kopf. »Daß ihr nur da seid«, sagte sie dann, »daß ihr nur da seid, das ist die Hauptsache.«

»Aber wißt ihr was?« meinte nun Jack, der zuerst wieder Herr seiner unverwüstlichen Munterkeit wurde, »trockene Kleider und was Warmes zu essen wäre nun nicht zu verachten.«

»Das ist aber auch wahr«, rief die Mutter, »ihr armen, nassen Kerle! Geht, zieht euch um, ich koche euch indes eine Suppe, die sich sehen lassen kann.«

Vergnügt saßen wir denn auch nach einem halben Stündchen um den Tisch versammelt und besprachen mit dem Wohlgefühl überstandener Gefahr alles Erlebte.

»Ich kann eigentlich nicht sagen«, meinte Fritz, »daß ich auch nur einen Augenblick Angst gehabt hätte, sobald ich erst merkte, daß mein Fahrzeug sich zu behaupten vermöge. Schlug ein Wasserschwall über mich herein, so hielt ich ein Weilchen den Atem zurück, und im Hui saß ich wieder auf dem Rücken der nächsten Welle. Was ich allein ersorgte, war der Verlust meines Ruders im Andrang der Wassergewalt, und dann freilich wäre es schlimm mit mir bestellt gewesen. Übrigens jagten mich Wind und Wellenbewegung mit unbegreiflicher Schnelligkeit bis in das bekannte Fahrwasser oder in die Strömung nach dem alten Wracke zu; jedesmal aber, wenn ich hoch auf einer Woge saß, nahm ich mein Augenmerk gegen das Land, das sich mir wieder verbarg, wenn die Woge mich abwärts in einen der tausend Rachen schleuderte, die ringsum sich immer öffneten und wieder schlossen. Zugleich gelang es mir zuweilen, mit meinem Ruder etwas zu steuern, und ich fuhr schon in die Rettungsbucht ein, als der letzte, heftige Platzregen hinter meinem Rücken anfing, so daß ich mit der Mutter und Fränzchen den gräßlichen Wolkenbruch in Sicherheit vorüberstreichen lassen konnte. Wir waren eben erst wieder an den Strand hinausgetreten, um nach euch und dem Boot auszusehen, da kamt ihr schon an.«

»Für mich war das Ereignis schrecklich«, fiel die Mutter ein, »ich saß ganz in Angst erstarrt und versteinert.«

»Arme Mutter«, sagte ich, »ich glaube wirklich, du warst von uns allen am schlimmsten daran. Aber wahrhaftig, jetzt, da Gefahr und Angst vorüber sind, wollte ich nicht vieles darum geben, die Erfahrung nicht gemacht zu haben; denn nun sind wir von der Festigkeit und Wasserdichtigkeit unsres Bootes so vollkommen überzeugt worden, daß ich mit größter Zuversicht einem notleidenden Schiff in sturmbewegter See zu Hilfe rudern wollte.«

»Oh, mein Kajak hat diese scharfe Prüfung nicht weniger glücklich überstanden!« rief Fritz, »und ich wollte nicht der letzte sein, auf solch einer Fahrt das Boot zu begleiten. – Da wäre es vielleicht besser, schon im voraus und selbst in der Weite den notleidenden Schiffen behilflich zu sein.«

»Ja«, bemerkte Jack, »wenn man sie nur so mit einer tausend Ellen langen Fastnacht- oder Hühnerschere beim Schnabel ergreifen und in unsere friedliche Rettungsbucht ziehen könnte.«

»Das geht freilich nicht«, lachte Fritz, »aber wir könnten auf dem Felsen der Haifischinsel eine kleine Signalkanone samt einem Flaggenstock aufpflanzen, um bei trübem Wetter und großen Stürmen einem notleidenden Fahrzeuge durch Schüsse oder bei heiterer Witterung selbst den sicher Vorüberfahrenden durch das bloße Wehen der Flagge ein Zeichen von unserm Dasein und von dem guten Ankerplatz in der Rettungsbucht zu geben.«

»Oh, das wäre hübsch! Das wäre ganz unvergleichlich!« riefen alle durcheinander.

»Kein Zweifel!« nahm ich jetzt das Wort; »hätte ich nur das Wünschhütlein des weiland hochberühmten Fortunatus, so nähme ich einfach zwei Kanonen unter die Arme und flöge damit hinüber auf das Inselchen, wie der Vogel Rock mit einem gepackten Elefanten oder Rhinozerosse zu fliegen pflegte. Was ihr doch alle für eine bewegliche Einbildungskraft entwickelt, wenn es gilt, daß der Vater irgend etwas Neues machen soll.«

»Solcherlei Pläne«, sprach die Mutter, indem sie mich streichelte, »werden immer im festesten Vertrauen auf deine vielbewährte Geschicklichkeit ausgeheckt, mein lieber Mann, und machen dir folglich ungemein viel Ehre, so daß du sie wahrlich mit Anerkennung aufnehmen solltest.«

»Mag sein!« versetzte ich, mich lächelnd verneigend, »und ich will mich auch diesmal der Ausführung nicht entziehen, wenn nur erst ein einziger von uns auf den Gipfel jenes Inselfelsens gekommen sein wird.«

Das Boot wurde jetzt nach eingenommener Erfrischung auf den Strand emporgezogen und ferner samt seiner ganzen Ladung, dem Walroßkopf und den Hautriemen, auf untergelegten Walzen durch die Zugtiere nach der Felsenhöhle geschleppt und dort, nebst dem Kajak, das von Fritz und Ernst getragen worden war, in der Vorratskammer niedergelegt. Der Walroßkopf kam gleich den Riemen alsbald in unsere Werkstätte, wo diese gegerbt und geschmeidig gemacht wurden, jener hingegen einbalsamiert und gedörrt ward, so daß er sich wirklich nach Fritzens Wunsch an der Spitze seines Kajaks befestigen ließ. – Das Ding sah einfach großartig aus.

Unter diesen und ähnlichen Beschäftigungen waren mehrere Tage ganz ruhig vorübergegangen; plötzlich aber in einer schönen, mondhellen Nacht erweckte mich ein heftiges Gebell unserer wachsamen Leibgarde, vermischt mit einem wirren Getrampel, Geschnarch und Gequiek aus dem besten Schlaf und brachte mir alle Schrecken des Überfalls der Schakale wieder in Erinnerung. Es war, als ob der wilde Jäger seinen Nachtritt über unserm Hofraum hielte und immer wieder von vorn anfinge. Meine Einbildungskraft füllte sich mit hunderterlei Schreckbildern, wo nebst den Schakalen jetzt Büffel, Bären und Riesenschlangen eine Rolle spielten; ich ließ mich aber nicht lange von Möglichkeiten und Vermutungen ängstigen, sondern sprang auf, warf ein paar Kleidungsstücke um mich und ergriff die nächste beste Waffe, die mir unter die Hände kam, worauf ich an die Haustür eilte, von der, wie gewöhnlich in Sommernächten, die untere Hälfte zwar eingeklinkt war, die obere hingegen der Kühle wegen ganz offen stand.

Kaum steckte ich jedoch hier den Oberleib zum Spähen hinaus, als auch schon aus dem nahen Fenster Fritzens Kopf hervorguckte und ich die Frage vernahm: »Bist du unten, Vater? Was in aller Welt nur gibt es da?« – Ich antwortete, daß ich mich auf alles Schlimme gefaßt hätte, jetzt aber anfange zu merken, daß wieder einmal die heillosen Schweine im Spiele seien, und zwar mit einer Fopperei auf neue Manier. »Mich dünkt aber auch«, sagte ich, »unsere Hunde nehmen den Spaß ein bißchen schief und sind den frechen Schäkern bereits auf den Fersen, wo nicht sogar in den Rippen. Komm nur flink heraus, daß wir Mord und Totschlag verhindern!«

Ohne weiteres sprang Fritz halb angekleidet aus dem Fenster, und wir eilten nach dem Tummelplatz, wo der Spektakel sich hingezogen hatte; wir erkannten gleich das ganze noch übrige Trüppchen unserer verwilderten Schweine, die sich über die Brücke des Schakalbaches herangeschlichen hatten und gerade in die Pflanzungen der Mutter einbrechen wollten. Allein die Hunde übten soeben gestrenge Polizei, und während zwei derselben rechts und links den Eber an den Ohren festhielten, verfolgten die zwei andern unsere alte Bache samt ihren Frischlingen, die miteinander über die Brücke des Schakalbaches hinaus und dem ersten besten Gebüsche zuflohen.

Mein Dringendstes war, diesen armen Wicht von seinen zwei Häschern zu befreien, während Fritz dem Jagdzug nachlief, um die beiden andern Hunde zurückzurufen. Beides kostete indessen große Mühe, denn ich mußte unsern alten Kämpen das Gebiß mit einem Knebel auseinandersperren, um die Ohren des Ebers frei zu machen, worauf dieser ohne die mindeste Danksagung schneuzend und grunzend im härtesten Trabe dem Mutterschweine über den Schakalbach hinaus nachzog.

Jetzt fing ich an ein wenig über die Saumseligkeit zu schelten und zu eifern, daß die Brücke nicht, wie gewöhnlich, auf die Nacht abgetragen worden sei; allein als ich zur Besichtigung hinging, fand ich die Bretter in der Tat doch aufgehoben, und die Schweine hatten mit einer Geschicklichkeit, die ich ihnen nicht zugetraut hätte, den Weg über die drei Balken genommen, die den Brettern zur Unterlage dienten und auch des Nachts an ihrer Stelle blieben. Dies bewog mich alsbald zu dem Entschluß, die Ladenbrücke in eine Zugbrücke zu verwandeln, die jeden Abend aufgezogen würde und uns hoffentlich für die Zukunft solcher ungebetenen Gäste überhöbe; auch wurde gleich mit Anbruch des folgenden Tages, unter vielen Beifallsbezeugungen der Mutter und der Jüngern Knaben, dieses Werk der Sicherheit begonnen.

Der schweizerische Robinson

Ich verfertigte zu dem Zwecke zwei starke Pfosten, die oben und unten vermittelst zweier Querbalken zu einem länglichen Viereck verbunden wurden. Hie und da ließ ich einige kurze Sprossen einbohren, auf denen man zur Not auf- und absteigen könnte. Jeder Pfosten erhielt ferner einen Einschnitt oberhalb, wo ein Arm meiner Fallbrücke angebracht werden sollte; das längliche Quadrat wurde dann auf ein anderes ähnliches eingerammt, das horizontal in die Erde gelegt und hinten mit Pfählen so fest gepflöckt wurde, daß es die Pfosten wohl zu tragen vermochte und noch einen Fuß über das Ufer des Baches hinausstand, damit die Fallbrücke beim Niederlassen darauf ruhen könnte. Sodann ward von der alten Brücke so viel weggezimmert und abgesägt, daß nur das Äußerste des großen Fallbretts mit ungefähr acht oder zehn Zoll dort aufliegen konnte. Hierauf ging es an die zwei Waagbalken, die oben bei den Einschnitten mit eisernen Zapfen dergestalt angebracht wurden, daß sie mit ziemlicher Leichtigkeit aufwärts und abwärts spielten. Am innern Ende wurden diese zwei Schlagbäume wieder durch ein tüchtiges Querholz verbunden, damit sie sich stets in gleichmäßiger Hebung und Senkung bewegen müßten; auch stützte ich die Pfosten noch hinterwärts mit Strebehölzern, daß sie sich beim Aufziehen oder Niederlassen der Fallbrücke nicht leicht verrücken könnten.

So war meine Fallbrücke wenigstens gegen Tiere vollkommen ausreichend zustande gebracht. Gegen einen menschlichen Angriff, wenn wir nämlich zu Hause waren, konnten wir uns schnell mit ein paar Ketten sichern, indem wir auf den Sprossen der Torpfosten emporkletterten und dort das Fallbrett an den Querbalken befestigten oder auch nur, indem wir die Waagbalken nach Aufziehung der Brücke mit den Pfosten verketteten, wozu ich ebenfalls eine Einrichtung anbrachte.

Das war also nun das herrliche Ding, das uns trotz aller Roheit und Plumpheit in der Ausführung dennoch das ganze Sicherheitsgefühl einer trefflichen Befestigung gab, obschon ein einziger Kanonenschuß alles darniedergeworfen haben würde und übrigens der Bach weder Breite noch Tiefe genug hatte, um einen entschlossenen Gegner irgend am Übergang zu verhindern. Genug, wir hofften, die Anlage immer mehr zu vervollkommnen, und fanden sie im Verhältnis zu unseren Kräften schon ganz ansehnlich.

Während wir an dieser großen Arbeit begriffen waren, kletterten die Knaben oft teils zum Vergnügen, teils zum Behuf der nötigen Vorrichtungen an den zwei Pfosten des neuen Brückentores hinauf und erblickten dann nicht selten jenseits in der Entfernung Antilopen und Gazellen, die sie in einer glücklichen Stunde in unsern Uferpark hineingejagt hatten. Manchmal weideten die Tierchen einzeln, manchmal truppweise am Rand des Waldes oder des großen Buschwerks gegen Falkenhorst hin, zuweilen auch scherzten und hüpften sie lustig im offenen Felde herum, fuhren aber jedesmal bei irgendeinem sich erhebenden Geräusch plötzlich mit erschrockener Gebärde zurück und flüchteten sich mit Windeseile in das Dickicht davon.

»Schade doch«, meinte Fritz eines Tages, »daß die niedlichen Geschöpfe nicht so kirre sind wie unser altes Hausvieh hier! Welch eine Lust, wenn sie so an den Bach zur Tränke herkämen, während wir da zimmern, hobeln und hämmern.«

»Ja gewiß, Vater!« sagte Ernst, »wir sollten eine Salzlecke anlegen, dann würden die Gazellen schon herkommen.«

»Was sind denn das: Salzlecken, Vater?« fragte Fritz.

»Eine solche«, erklärte ich ihm, »besteht aus einem großen Kasten von Brettern oder Balken, etwa vier Fuß hoch und von beträchtlichem Umfang. Man errichtet einen solchen aus freier Erde in irgendeiner abgelegenen Gegend des Waldes oder des Parkes, wo man pirschen will; dieser wird mit absichtlich gesalzenem Lehm ausgefüllt und ganz festgestampft, auch wohl zu größerer Täuschung der Tiere mit grünen Tannreisern besteckt. Das Wildbret fängt hierauf an sich einzufinden und schleckt an dem Lehm mit Wohlgefallen; in der Nähe aber lauscht der Jäger, der schießfertig ist, oder man errichtet eine geflochtene Laube, um das Wild beobachten zu können, was zum Beispiel für einen Tiermaler ganz erwünscht sein müßte.«

»O Vater!« riefen jetzt alle wie aus einem Munde, »solch eine Salzlecke müssen wir wahrlich anlegen! Da kann es ja Hirsche, Bisamtiere, Gazellen, Büffel, kurz einen ganzen Tiergarten voll des herrlichsten Wildbrets zu schießen oder einzufangen geben.«

»Schon gut, ihr unersättlichen Jäger!« sagte ich, »und ihr seht, daß die Salzlecke sich in unsern Verhältnissen, auf unserm Grund und Boden ziemlich gut einführen ließe. Aber, wo sollte ich nur Zeit und Kräfte genug hernehmen, um alles auszuführen, was euch Quecksilberköpfen in den Sinn kommt und angenehm dünkt?«

»Ei, wir wollen ja helfen, herbeischaffen und arbeiten, was du nur willst, Vater!« tönte es mir wieder aus allen Kehlen entgegen; »der Jägerberuf ist doch gesund und zweckmäßig für unsere Lage hier.«

»Nun wohl, wenn die Sache euch gar so sehr anzieht, so wollen wir sehen!« versetzte ich; »aber dann geht es wieder in die Ferne, um alles herbeizuschaffen. So macht, daß wir uns baldigst reisefertig befinden.«

»Dank, Dank, lieber Vater! tausend Dank!« jubelten alle. – »Nun gibt es wieder zu wandern, zu jagen und zu entdecken, was doch ungleich hübscher ist als die vierzehntägige Brückenarbeit.«

»Ich will dann schon ausfindig machen«, nahm Ernst wieder das Wort, »wo wir mit dem besten Erfolg die Salzlecke anlegen dürften.«

»Und ich will Pemmikan für die Reise zurüsten«, bemerkte Fritz. – »Wir haben noch Bärenfleisch genug dazu, und es taugt in anderer Form doch nicht viel.«

»Und ich will Tauben auswählen und zum Mitnehmen bereithalten«, setzte Jack hinzu; »ich weiß schon wozu, aber es bleibt noch Staatsgeheimnis.«

»Und ich besorge das Fuhrwesen«, fiel Fränzchen ein, »oder, wenn Fritz will, auch sein Kajak, daß es aufgeladen werde, so könnten wir doch einmal den Waldeggsee befahren.«

Diese Äußerungen insgesamt verrieten mir, daß die Jungen wohl schon länger einen abermaligen Ausflug unter sich verabredet hätten, wogegen ich im Grunde nichts Wesentliches einwenden konnte, denn die schöne Jahreszeit lockte mächtig dazu an, und eine Abwechslung zwischen einförmiger Arbeit daheim und mannigfaltig verschiedenen Unternehmungen auswärts schien mir in unserer Lage höchst zweckmäßig zu sein, so daß ich die Jungen nach ihren verschiedenen Wünschen gewähren ließ.

Alsbald sprang Fritz zu der Mutter hin, die nicht weit von uns in den Pflanzungen beschäftigt war, und sprach sie ganz höflich um einige Stücke Bärenfleisch an, aus denen er Pemmikan zu verfertigen denke.

»Zuvor, mein Lieber«, sagte die Mutter, »mußt du mir sagen, was Pemmikan ist und wozu es dienen soll.«

»Es ist nordamerikanischer Mundvorrat«, erklärte Fritz, »den die kanadischen Rauch- oder Pelzhändler auf ihren langen Handelsreisen zu den Wilden mit sich nehmen. Es besteht aus Bären- oder Rehfleisch, das zu Mehl gestampft worden und bei kleinen Portionen doch außerordentlich nahrhaft ist, so daß man nicht leicht bequemer und gedrängter einen Vorrat von Lebensmitteln bei sich führen könnte.«

»Wozu aber die ganze Geschichte?« fuhr die Mutter fort.

»Ja, wir haben einen prächtigen Streifzug verabredet«, antwortete Fritz, »und da wollen wir doch unsere hübschen Vorräte nicht ungenutzt daheim verfaulen oder verdorren lassen.«

Obgleich die Mutter, die den Ausflügen nicht ganz hold war, zuerst einige Einwendungen machte, ließ sie sich doch wie gewöhnlich bereden, ihre Einwilligung zu geben und auch bei der Zubereitung des Pemmikans behilflich zu sein, die sogleich mit aller Lebhaftigkeit vor sich ging. Da ward denn Fleisch zerschnitten, gehackt, zerstampft und zermörsert, wieder getrocknet und gesiebt, daß es schien, als sollten wenigstens zwanzig Mann zu einer ganzen Sommerreise ausgestattet werden, und ich am zweiten Tag, als wohl schon ein halbes Maß Pemmikan beisammen war, dem Eifer gemessenen Einhalt tat, übrigens aber die Speise ziemlich genießbar fand.

Als nächstes suchten sich die Knaben mehrere Säcke, in die sie runde Körbe schoben, wie man sie zum Fortschaffen von kleinem, lebendem Geflügel braucht. Dann verfertigten sie von dünnem Draht verschiedene Schlingen oder Dohnen zum Vogelfang und rüsteten sich überhaupt zu einer wahren Freibeuterei. Ich ließ sie also lächelnd gewähren. Zur Fortschaffung aller Herrlichkeiten wurde auch unser alter Schleifkarren zurechtgemacht, der freilich schon früher durch Räder von Schiffskanonen zu einem höhern Rang erhoben worden war und nun vorzugsweise erwählt wurde, weil er sich am leichtesten befrachten ließ. Man salbte ihn, flickte ihn und belud ihn dann am Abend vor dem Aufbruch mit Mundvorrat, Schießbedarf, dem Reisezelt und Fritzens Kajak nebst einer Menge anderer Dinge.

Endlich brach der langersehnte Morgen an, und jedermann war frühzeitig auf den Beinen, wobei ich bemerkte, daß Jack mit einiger Heimlichkeit zwei Paare von unsern europäischen Tauben nacheinander zu dem Packwagen trug und in einen der eingebundenen Korbsäcke sorgfältig hinunterschob. Es waren große, dunkle Halbschnabler, mit einem roten Kreis um die Augen, und folglich solche, die, wenn mir recht ist, von Büffon türkische Tauben genannt werden.

Der schweizerische Robinson

»Ei«, dachte ich, »es scheint, die Bürschchen denken klüglich auf einen Ersatz, wenn der Pemmikan nicht sonderlich munden sollte. Wohl bekomme der Leckerbissen, den die alten paar Tauben mit ihrem zähen Fleische ausmachen werden.«

Hiermit aber forderte ich die Knaben auf, sich alsbald marschfertig zu machen. Da zeigte sich’s denn wider mein Erwarten, daß die Mutter im Bedürfnis größerer Ruhe für diesmal wünsche, daheim zu bleiben, worauf Ernst, der lange schon mit Fritz und Jack ein heimliches Geflüster und Kichern getrieben hatte, sich ebenfalls erklärte, lieber nicht von dem Ausfluge zu sein. Dies bewog endlich mich selbst, der Streiferei zu entsagen und lieber die Zeit zu benutzen, um mit Ernstens Hilfe die längst von der Mutter gewünschte Zuckermühle oder Zuckerrohrpresse zu verfertigen.

Wir entließen die drei stürmischen Brauseköpfe mit einer Last von klugen Weisungen und Ermahnungen, die freilich nicht eben schwer aufgenommen wurden, und schon galoppierten Fritz und Fränzchen auf unsern Zugtieren, Jack aber auf seinem Strauß über die neue Zugbrücke dahin, während Braun und Falb und der Jager mit furchtbarem Gekläff nebenherliefen, so daß die ganze Felsenwand widerhallte und manches Wild erschrocken aus seinem Lager auffuhr.

Unverweilt dachte ich jetzt an meine Zuckermühle, die aus drei emporstehenden Zylindern bestehen und eine Art Kelter vorstellen sollte, wobei ich sie entweder durch unsere Hunde oder durch Sturm und Brummer in Bewegung zu setzen gedachte. Doch, da ich im ganzen von der gewöhnlichen Einrichtung der sogenannten Zuckermühlen nicht wesentlich abwich, so will ich sie nicht weitläufig beschreiben; genug, daß sie mich einige Tage tüchtig in Atem hielt, obgleich mir Ernst gar fleißig handlangerte und selbst die Mutter uns mitunter zu Hilfe kam.