Am Morgen der Schlacht war Napoleon zufrieden. Und er hatte Recht, denn der von ihm entworfene Schlachtplan war, wie schon erwähnt, in der That bewundernswürdig.

Die verschiedenen Kreislinien der einmal begonnenen Schlacht: der Widerstand Hougomonts; die Zähigkeit von La Haie-Saint; der Tod Bauduins; die Kampfunfähigkeit Foy’s; die unerwartete Mauer, an welcher die Brigade Soye sich brach; die verhängnißvolle Unbesonnenheit Guilleminots, der weder Petarden noch Pulversäcke hatte; das Steckenbleiben der Batterien; die fünfzehn Kanonen ohne Bedienung, welche Uxbridge in einen Hohlweg geworfen hatte; die geringe Wirkung der in die englischen Linien geworfenen Bomben, welche sich in die von den Regengüssen aufgeweichte Erde eingruben und nur Schmutzvulkane machten, so daß die Kanonade den Feind statt mit Kartätschen mit Koth überschüttete; die Nutzlosigkeit der Demonstration Piré’s gegen Braine-l’Alleud; die fast vollständige Vernichtung dieser ganzen, fünfzehn Schwadronen starken Kavallerie; die unbedeutende Beunruhigung des rechten englischen Flügels; der matte Stoß gegen den linken; das seltsame Mißverständniß Ney’s, der die vier Divisionen des ersten Corps auf einen Haufen zusammenzog, statt sie staffelweise aufzustellen, so daß eine Masse von siebenundzwanzig Reihen und zweihundert Mann Front der Kanonade ausgesetzt war; die entsetzlichen Lücken, welche dadurch in diesen Massen entstanden; die Auflösung der Angriffscolonnen; die plötzlich in ihrer Flanke demaskirte Batterie; Bourgeois, Donzelot und Durutte blosgestellt; Quiot zurückgestoßen; der Lieutenant Vieux, jener aus der polytechnischen Schule hervorgegangene Herkules, in dem Augenblicke verwundet, wo er mit Axthieben unter dem Feuer der englischen Batterie das Thor von La Haie-Sainte einschlug; die Division Marcognet, eingekeilt zwischen feindlicher Infanterie und Kavallerie, auf den Getreidefeldern von Best und Pack mit Kugeln überschüttet und von Ponsonby zusammengehalten; ihre Batterie von sieben Geschützen vernagelt; der Prinz von Sachsen-Weimar, der trotz des Grafen Erlon in Frischemont und Smohain in beobachtender Stellung Stand hielt; die Wegnahme der Fahne des 105. und des 45. Regiments; jener preußische schwarze Husar, welcher von den 300 Chasseurs aufgefangen wurde, welche die Straße zwischen Wavre und Planchenoit bestrichen; die beunruhigenden Dinge, welche dieser Gefangene aussagte; das Ausbleiben Grouchy’s; die binnen weniger als einer Stunde in dem Garten von Hougomont getödteten 1500 Mann; die achtzehnhundert Mann, die in noch kürzerer Zeit um La Haie-Sainte umher lagen: – alle diese stürmischen Zufälle, welche sich vor den Augen Napoleons wie Wolken der Schlacht dahinzogen, hatten seinen Blick kaum getrübt und hatten auf sein kaiserliches Antlitz auch nicht den leisesten Schatten von Ungewißheit geworfen. Napoleon war daran gewöhnt, dem Kriege fest ins Gesicht zu sehen; er unterließ stets das schmerzliche Zusammenzählen des Einzelnen; auf die Zahlen kam ihm wenig an, wenn sie nur zuletzt die Summe: Sieg ergaben.

Wenn es auch im Anfange nicht recht gut ging, das beunruhigte ihn nicht im Geringsten, ihn, der sich für den Herrn und Besitzer des Endes hielt; er verstand in objectiver Ruhe zu warten und unterhandelte mit dem Geschick wie mit seines Gleichen. Er schien zu ihm zu sagen: »Du wirst es nicht wagen!«

Halb Licht, halb Schatten fühlte sich Napoleon im Guten beschützt, im Ueblen tolerirt. Er hatte oder glaubte wenigstens eine Nachsicht, ja man könnte beinahe sagen eine Mitschuld der Ereignisse für sich zu haben, was wohl die Bedeutung und Geltung der antiken Unverwundbarkeit ist.

Wenn man indeß die Beresina, Leipzig und Fontainebleau hinter sich hat, sollte man wohl vor Waterloo auf der Hut sein. Ein geheimnißvolles Stirnrunzeln wird sichtbar im Hintergrunde des Himmels.

In dem Augenblick, als Wellington eine rückgängige Bewegung machte, zuckte Napoleon zusammen. Er sah das Plateau von Mont-Saint-Jean plötzlich frei werden und die Front der englischen Armee verschwinden. Sie sammelte sich wieder, entzog sich aber den Blicken. Der Kaiser richtete sich in den Steigbügeln halb empor. Der Blick des Sieges schoß aus seinen Augen.

Wellington, an den Wald von Soignes gedrängt und vernichtet, das hieß soviel als die endliche Unterwerfung Englands durch Frankreich, die Rache für Crecy, Poitiers, Malplaquet und Ramillies. Der Held von Marengo hat Azincourt ausgewetzt.

Da musterte der Kaiser nachdenkend noch einmal durch sein Fernrohr alle Punkte des Schlachtfeldes. Seine Garde, Gewehr bei Fuß hinter ihm, betrachtete ihn von unten mit einer Art religiöser Verehrung. Er dachte nach; prüfte die Abhänge, merkte sich das Steigen und Fallen des Terrains, durchforschte die Baumgruppe, das Getreidefeld, den Fußweg; jeden Busch schien er zu zählen. Mit besonders festem Blicke betrachtete er die englischen Barrikaden auf den beiden Chausseen, zwei gewaltige Verhaue von Bäumen: die auf der Chaussee von Genappe oberhalb La Haie-Sainte mit zwei Kanonen, die einzigen der ganzen englischen Artillerie, welche mitten ins Schlachtfeld hineinreichten und die auf der Chaussee von Nivelles, wo die holländischen Bayonnette der Brigade Chassé blitzten. In der Nähe dieser Barricade bemerkte er die weißangestrichene alte Kapelle des heiligen Nicolaus, welche an der Stelle steht, wo sich der Weg nach Braine l’Alleud abzweigt. Er neigte sich zu dem Führer Lacoste und sprach halblaut zu ihm. Der Führer machte mit dem Kopf ein, wahrscheinlich falsch und hinterlistig, verneinendes Zeichen.

Der Kaiser richtete sich wieder in die Höhe und dachte weiter nach.

Wellington war zurückgewichen.

Es war nur noch nöthig, dieses Zurückweichen durch Vernichtung zu vollenden.

Napoleon drehte sich plötzlich um und sendete eine Staffelte in gestrecktem Galopp nach Paris, um zu melden, daß die Schlacht gewonnen sei.

Er war eines jener Genies, aus denen der Donner hervorgeht. Er hatte seinen Blitzstrahl gefunden.

Er befahl den Kürassiren Milhauds, das Plateau von Mont-Saint-Jean zu nehmen.