Die Reihe der Buden unter freiem Himmel, welche bei der Kirche begann, erstreckte sich, wie man sich erinnert, von da an bis zur Herberge Thenardier. Diese Buden waren, weil die Passage der Kirchenbesucher, welche sich in die Mitternachtsmesse begeben wollten, hier vorüberging, alle mit Lichtern erleuchtet, welche in papiernen Trichtern steckten, was, wie der Schulmeister sagte, der an jenem Abend auch bei Thenardiers war, »einen magischen Eindruck« hervorbrachte. Dafür sah man aber auch am Himmel nicht einen einzigen Stern.

Die letzte dieser Baracken, welche sich grade der Thenardierschen Kneipe gegenüber befand, war eine Bude mit Kinderspielwaaren, glänzend von allerlei Spielsachen von Glas und Blech. Ganz vorn im Vordergrunde hatte der Trödler auf weißen Tüchern eine ungeheure, ungefähr zwei Fuß hohe Puppe hingestellt, die in ein Rosakrepkleid mit goldenen Aehren auf dem Kopfe gekleidet war und wirkliche Haare, sowie Augen von Email hatte. Alle Tage war dieses Wunder zum Staunen aller derjenigen Vorübergehenden, welche noch nicht zehn Jahre alt waren, ausgestellt gewesen, ohne daß sich in Montfermeil eine Mutter gefunden hätte, welche entweder reich oder verschwenderisch genug gewesen wäre, die Puppe für ihr Kind zu kaufen. Stundenlang hatten Eponine und Azelma sich vor die Bude hingestellt und die Puppe betrachtet, und Cosette selbst hatte es gewagt, hin und wieder einen verstohlenen Blick auf dieselbe zu werfen.

In dem Augenblick, als Cosette aus dem Hause trat, mit ihrem Eimer in der Hand, traurig und niedergeschlagen wie sie war, konnte sie nicht umhin die Augen zu dieser wunderbaren Puppe zu erheben, zu »der Dame«, wie sie dieselbe nannte. Das arme Kind blieb wie versteinert vor der Puppe stehen. So nahe hatte es die Puppe noch nicht gesehen. Die ganze Bude kam ihr wie ein Palast vor. Die Puppe war keine Puppe mehr, sie war eine Erscheinung. Freude, Glanz, Reichthum, Glück erschienen diesem unglücklichen, so tief in kaltes, düsteres Unglück versunkenen kleinen Wesen in einer Art fabelhafter, strahlender Pracht. Cosette bemaß mit jenem, der Kindheit eigentümlichen, naiven und traurigen Scharfsinn die Kluft, welche sie von dieser Puppe trennte. Nach ihren Gedanken mußte sie entweder eine Königin oder wenigstens eine Prinzessin sein, wenn sie »Etwas wie das« besitzen könnte. Sie betrachtete das schöne Rosakleid, die schönen glatten Haare und dachte: »Wie glücklich muß doch diese Puppe sein!« Sie konnte sich nicht satt genug sehen, sie konnte ihre Augen von dieser phantastischen Bude nicht los bekommen. Je länger sie hinsah, desto mehr wurde sie geblendet. Sie glaubte das Paradies zu sehen. Hinter der großen Puppe standen noch andere, die kamen ihr wie Feen und Genien vor. Der Trödler, welcher im Hintergrund der Bude auf und nieder ging, machte auf sie den Eindruck des lieben Gottes.

In diese Andacht versunken vergaß sie Alles, selbst den Auftrag, der ihr ertheilt worden war. Plötzlich rief sie die rauhe Stimme der Thenardier in die Wirklichkeit zurück: – »Wie, Du Faulenzerin, Du bist noch nicht fort! Warte! Ich werde Dir schon Beine machen! Was thust Du denn da? Du Ungethüm!«

Die Thenardier hatte einen Blick auf die Straße geworfen und Cosetten in ihrer Verzückung bemerkt.

Cosette machte, daß sie fort kam, und lief, den Eimer in der Hand, so schnell sie konnte davon.