Diejenigen, welche sich die Schlacht von Waterloo genau vorstellen wollen, brauchen nur in Gedanken ein großes A auf den Boden zu machen. Der linke Schenkel dieses A ist die Straße von Nivelles, der rechte jener von Genappe und der Querstrich der Hohlweg von Ohain nach Braine-l’Alleud. Die obere Spitze des A ist Mont-Saint-Jean, wo sich Wellington befindet; die untere linke Spitze ist Hougomont mit Reille und Hieronymus Bonaparte; die untere rechte dagegen Belle-Alliance mit Napoleon. Etwas unterhalb des Punktes, wo der kleine Strich des A den rechten Schenkel trifft und schneidet, ist Haie-Saint. In der Mitte dieses Querstrichs liegt die Stelle, wo das letzte Wort der Entscheidung der Schlacht gesprochen wurde. Dorthin hat man auch den Löwen gestellt, das unfreiwillige Symbol des höchsten Heroismus der kaiserlichen Garde. Das Dreieck in der Spitze des A zwischen den beiden Schenkeln und dem Querstrich ist das Plateau von Mont-Saint-Jean. Der Kampf um dieses Plateau war die ganze Schlacht.

Die Flügel der beiden Armeen dehnten sich rechts und links von den beiden Straßen von Genappe und von Nivelles aus, d’Erlon gegenüber Picton, Reille gegenüber Hill.

Hinter der oberen Spitze des A, hinter der Hochebene von Mont-Saint-Jean, liegt der Wald von Soignes.

Man stelle sich die Ebene als ein großes Terrain vor, in welchem immer die, eine Erhöhung die nächstfolgende beherrscht. Alle Hügel steigen nach Mont-Saint-Jean zu auf und enden im Walde.

Zwei feindliche Truppen auf einem Schlachtfelde sind zwei Kämpfer, wovon der Eine den andern niederzuwerfen sucht. Man klammert sich an Allem an! Ein Gebüsch ist ein Stützpunkt, eine Mauerecke eine Schulterwehr. Ein Regiment weicht, weil es keinen Stützpunkt hat: eine Senkung oder Erhebung des Terrains, ein Querweg, ein Baum, eine Schlucht können den Fuß dieses Riesen, welchen man Armee nennt, aufhalten und ihn hindern sich zurückzuziehen. Wer das Feld verläßt ist geschlagen. Deshalb liegt dem verantwortlichen Chef die Notwendigkeit ob, die geringste Baumgruppe zu prüfen, die unscheinlichsten Terrainverhältnisse genau zu untersuchen.

Die beiden Generäle hatten die Ebene von Mont-Saint-Jean, welche heut zu Tage die Ebene von Waterloo heißt, aufmerksam studirt. Schon im Jahre vorher hatte sie Wellington als ein mögliches Schlachtfeld mit voraussehendem Scharfblick einer Untersuchung unterzogen. Auf diesem Terrain und zu diesem Duell vom achtzehnten Juni hatte Wellington die gute, Napoleon die schlechte Seite. Die englische Armee stand oben, die französische unten.

Es wäre wohl überflüßig, wollten wir hier von dem Aussehen Napoleons eine Skizze entwerfen: wie er auf seinem Pferde, mit dem Glase in der Hand, beim Anbruch des achtzehnten Juni auf der Höhe von Rossomme sich befand. Jedermann hat ihn schon gesehen. Dieses ruhige Profil unter dem kleinen Hute der Schule von Brienne, die grüne Uniform, die weißen, den Stern verdeckenden Aufschlage; der Oberrock, welcher die Epauletten verbirgt, das Stück des rothen Ordensbandes unter der Weste, die ledernen Beinkleider, das weiße Pferd mit seiner purpurnen Sammetdecke, in deren Ecken N’s mit Krone und Adler eingestickt sind, die Reitstiefeln über seidenen Strümpfen, die silbernen Sporen, der Degen von Marengo – diese ganze Gestalt des letzten Cäsars lebt in der Vorstellung eines Jeden, von Einigen bewundert, von Anderen mit strengen Blicken betrachtet.

Diese Gestalt stand lange ganz im Lichte. Das hing mit einer gewissen legendenhaften Verdunkelung zusammen, welche den größten Theil der Heroen ergreift und längere Zeit mehr oder weniger die Wahrheit verschleiert. Heute aber spricht die Geschichte, heut ist es Tag geworden.

Diese Klarheit, die Geschichte, ist unerbittlich. Sie hat das Eigenthümliche und zugleich Göttliche, daß sie, obwohl oder vielmehr weil sie Licht ist, daß sie da, wo man sonst Strahlen sah, Schatten wirft. Aus demselben, Menschen macht sie zwei verschiedene Gestalten, wovon die eine die andere angreift: die Finsterniß des Despoten kämpft mit dem Glanze des Feldherrn. Daraus folgt ein wahrer Maaßstab für die endgültige Schätzung der Völker. Das verletzte Babylon verkleinert Alexander, das gefesselte Rom verkleinert Cäsar, das getödtete Jerusalem verkleinert Titus. Die Tyrannei folgt dem Tyrannen. Es ist ein Unglück für den Mann, welcher die Nacht seiner Gestalt hinter sich läßt.