Der Bisara von Pooree

Ein Teil der Eingeborenen sagt, daß er von jenseits Kulu stamme, wo der elf Zoll hohe Tempelsaphir zu finden ist. Andere behaupten, er wäre vor dem Teufelsschrein von Ao-Chung in Thibet entstanden und von einem Kafir gestohlen worden, dem ihm ein Ghorka entwendete, der seinerseits von einem Lahuli beraubt wurde, den ein Khitmatgar oder Eingeborenendiener bestahl, der ihn an einen Engländer weiterverkaufte, wodurch er ihm all seine Zauberkräfte nahm; denn um zu wirken, muß der Bisara von Pooree gestohlen werden – wenn möglich unter Blutvergießen, gestohlen aber jedenfalls.

Alle diese Erzählungen, wie er nach Indien gelangte, sind falsch. Er wurde vor Jahrhunderten in Pooree selbst gemacht. – Wie? das würde ein kleines Buch füllen. Dann wurde er von einer Tempelbajadere gestohlen, die damit ihre eigenen Zwecke verfolgte, und wanderte immer in gerader nördlicher Richtung von Hand zu Hand, bis er Hanlé erreichte: und immer trug er den gleichen Namen – der Bisara von Pooree. Seine Form ist die eines winzig kleinen Kästchens aus Silber, außen mit acht kleinen Balarubinen besetzt. Im Innern des Kästchens, das sich durch eine Feder öffnen läßt, ruht ein kleiner, augenloser Fisch, der aus einer dunklen Nußholzart geschnitzt und in einen Fetzen vergilbten Goldbrokats gewickelt ist. Das ist der Bisara von Pooree, und besser wäre es für einen Menschen, er nähme eine Königskobra in die Hand, als daß er den Bisara von Pooree berührte.

Magie jeglicher Art ist heute unmodern geworden und abgetan, außer in Indien, wo nichts sich ändert, trotz des glänzenden, oberflächlichen und billigen Lacks, den man als »Zivilisation« bezeichnet. Jeder, der über den Bisara von Pooree Bescheid weiß, kann sagen, welches seine Kräfte sind – immer vorausgesetzt, daß der Bisara ehrlich gestohlen wurde. Er stellt mit einer Ausnahme den einzigen zuverlässigen, wirksamen Liebeszauber Indiens dar. (Die Ausnahme ist im Besitz eines Gemeinen von der Nizam Kavallerie an einem Ort, Tuprani genannt, direkt nördlich von Hyderabad.) Man kann sich auf diese Tatsache verlassen. Erklären mag sie jemand anders.

Wird der Bisara nicht gestohlen, sondern verschenkt, gekauft oder gefunden, so wendet er sich innerhalb dreier Jahre gegen seinen Besitzer und führt zum Ruin oder zum Tode. Das ist eine weitere Tatsache, die aufklären mag, wer Zeit dazu hat. Inzwischen kann man sich ja darüber lustig machen. Gegenwärtig ist der Bisara von Pooree sicher aufgehoben an eines Ekka-Ponnys Hals hinter der Schnur aus blauen Glasperlen, die den bösen Blick abwehrt. Falls der Ekka-Kutscher ihn finden und tragen oder seiner Frau schenken sollte, tut er mir leid.

1884 befand sich der Bisara in Theog im Besitze einer sehr schmutzigen Kulifrau aus den Bergen. Ich kam vom Norden her nach Simla, kurz ehe Churtons Khitmatgar oder Speisenträger den Bisara erstand und für seinen dreifachen Silberwert an Churton, der Kuriositäten sammelte, weiterverkaufte. Der Diener wußte ebensowenig wie sein Herr, was er gekauft hatte; ein Mann jedoch, der eines Tages Churtons Raritätensammlung durchsah, entdeckte das Amulett – und schwieg. Er war zwar ein Engländer, verstand aber zu glauben. Was beweißt, daß er sich von den meisten Engländern unterschied. Er wußte, es war gefährlich, mit dem kleinen Kästchen, ganz gleich, ob es aktiv oder latent war, etwas zu tun zu haben; denn ungewollte Liebe ist ein furchtbares Geschenk.

Pack – wir nannten ihn »die Made« – war in jeder Hinsicht ein so widerlicher kleiner Kerl, als sich nur je durch einen Irrtum in die Armee eingeschlichen hatte. Er war genau drei Zoll größer als sein Degen, aber nicht halb so stark. Dabei war der Degen nicht mehr als fünfzig Schillinge wert und Fabrikware. Niemand konnte Pack leiden, und es war wohl aus seiner allgemeinen Verkümmerung und Wertlosigkeit heraus, daß er sich so hoffnungslos in Miß Hollis verliebte, die gut und reizend war und fünf Fuß, sieben Zoll in ihren Tennischuhen maß. Er begnügte sich obendrein nicht damit, sich still und anständig zu verlieben, sondern legte die ganze Kraft seiner elenden Zwergnatur in diese Sache. Wäre er nicht so unsympathisch gewesen, man hätte ihn bemitleiden können. Er war übellaunig, reizbar und ungeduldig, immer auf dem Qui Vive, und versuchte vergeblich, sich in den stillen, großen, grauen Augen von Miß Hollis liebenswert zu machen. Es war einer von den Fällen, denen man selbst in diesem Lande begegnet, wo alle nach dem Standesregister heiraten, ein Fall von wirklich blinder, einseitiger Liebe ohne die leiseste Hoffnung auf Gegenliebe. Miß Hollis betrachtete Pack, wie man irgendeine Art Ungeziefer betrachtet, das einem über den Weg kriecht. Aussichten hatte er zudem keine, außer es dereinst zum Hauptmann zu bringen, und so wenig Geist, daß er nicht einmal einen Kupfergroschen nebenher verdienen konnte. Bei einem kräftigen, ausgewachsenen Manne wirkt eine derartige Hingabe rührend, bei einem guten Manne groß. Aber bei einem Menschen wie Pack war sie einfach lästig.

Soweit wird man mir glauben. Was man nicht glauben wird, ist das Folgende: Churton und der Mann, der über die Beschaffenheit des Bisara von Pooree Bescheid wußte, speisten zusammen im Simlaer Klubhaus. Churton erging sich in allgemeinen Klagen über das Leben. Seine beste Stute war direkt aus dem Stall heraus den Berg hinunter gerollt und hatte sich das Rückgrat gebrochen; seine beruflichen Entscheidungen wurden von den oberen Instanzen wieder umgestoßen, und zwar in einem Maße, wie es ein Mann nach achtjähriger Tätigkeit an exponierter Stelle gleich Churton kaum erwarten durfte. Er wußte, was Fieber und Leberleiden sind, kurz, fühlte sich seit Wochen nicht mehr auf dem Posten.

Der Speisesaal des Simlaer Klubhauses hat, wie alle Welt weiß, zwei Abteilungen, die durch eine Art Torbogen voneinander getrennt sind. Wenn man sich am Eingang direkt nach links wendet und den Tisch am Fenster wählt, kann man niemanden sehen, der sich nach seinem Zutritt direkt nach rechts wendet und an einem Tisch auf der rechten Seite des Bogens Platz nimmt. Seltsamerweise ist jedoch jedes Wort, das man selber spricht, nicht nur von dem anderen Gast, nein auch von den Kellnern zu hören, die von der anderen Seite des Wandschirms her die Speisen auftragen. Es lohnt sich, das zu wissen; ein so stark widerhallender Raum ist eine Falle, vor der man gewarnt sein will.

Halb aus Scherz und halb in der Hoffnung, Glauben zu finden, erzählte der Mann, der Bescheid wußte, Churton die Geschichte des Bisaras von Pooree, und zwar etwas ausführlicher, als sie hier erzählt wurde. Er schloß mit dem Vorschlag, das verhängnisvolle Kästchen doch lieber den Berg hinunterzuwerfen und abzuwarten, ob es nicht alle Sorgen und Unannehmlichkeiten mitnähme. Für gewöhnliche Ohren – europäische Ohren – war das Ganze nichts als ein interessantes Stückchen Volksaberglaube. Churton lachte auch nur; er meinte, jetzt nach dem Lunch wäre ihm schon viel wohler, und ging. Pack hatte für sich allein auf der rechten Seite des Bogens gefrühstückt und alles mitangehört. Er war inzwischen dank seiner lächerlichen Vernarrtheit in Miß Hollis, über die ganz Simla lachte, halb verrückt geworden.

Merkwürdig ist, daß ein Mann, der über das vernünftige Maß hinaus haßt oder liebt, bereit ist, auch unvernünftige Schritte zu tun, um seine Leidenschaft zu befriedigen; Dinge, die er lediglich um des Geldes oder der Macht willen nie tun würde. Verlaßt euch darauf, Salomo hätte nie und nimmer Ashtaroth und all den anderen Damen mit den fremdartigen Namen Altäre gebaut, wenn es nicht in seiner Zenana – nirgends sonst – Schwierigkeiten gegeben hätte. Aber das hat nichts mit unserer Geschichte zu tun. Die Tatsachen sind folgende: Tags darauf besuchte Pack Churton, als Churton nicht zu Hause war, gab seine Visitenkarte ab und stahl den Bisara von Pooree von seinem Platz unter der Uhr auf dem Kaminsims! Stahl ihn, Diebsnatur, die er war! Drei Tage später wurde ganz Simla durch die Nachricht elektrisiert, daß Miß Hollis Pack ihr Jawort gegeben hätte – Pack, der elenden, verschrumpelten Ratte! Braucht man noch klarere Beweise als diese? Der Bisara von Pooree war gestohlen worden und hatte seine Macht bewiesen – wie er das immer tat, wenn er auf unrechtmäßige Weise erworben wurde.

Jeder Mensch kommt in seinem Leben drei-, viermal in die Lage, sich mit Recht in anderer Leute Angelegenheit zu mischen und die Vorsehung zu spielen.

Der Mann, der Bescheid wußte, fühlte sich hierzu berechtigt, aber Fühlen und nach seinem Glauben Handeln sind zwei ganz verschiedene Dinge. Die unverschämte Befriedigung, mit der Pack neben Miß Hollis einhertrabte, sowie Churtons überraschende Erholung von seinem Leberleiden im Augenblick, da er von dem Bisara befreit war, brachten indes die Sache zum Klappen. Der Mann, der Bescheid wußte, klärte Churton auf, und Churton lachte, weil man ihn nicht dazu erzogen hatte, Leute, die auf der vizeköniglichen Einladungsliste stehen, des Diebstahls für fähig zu halten – wenigstens, wenn es sich um kleine Dinge handelt. Jedoch die ans Wunderbare grenzende Erhörung des Schneidergesellen Pack bewog ihn dazu, auf den schieren Verdacht hin Schritte zu ergreifen. Er schwor, daß ihm nur daran gelegen sei, sein rubinenbesetztes Silberkästchen ausfindig zu machen. Nun kann man aber einen Menschen, dessen Name auf der vizeköniglichen Einladungsliste steht, nicht des Diebstahls bezichtigen. Und wenn man sein Zimmer plündert, ist man selbst ein Dieb. Churton, getrieben von dem Manne, der Bescheid wußte, entschied sich für den Einbruch. Falls er in Packs Zimmer nichts entdeckte – – aber es ist nicht angenehm, zu bedenken, was in diesem Falle geschehen wäre.

Pack besuchte einen Ball in Beninore – Benmore war damals noch Benmore und kein Büro – und tanzte fünfzehn von zweiundzwanzig Walzern mit Miß Hollis. Churton und der betreffende Mann nahmen alle Schlüssel, die ihnen in die Hände fielen, und begaben sich auf Packs Hotelzimmer, überzeugt, daß die Dienerschaft ausgegangen wäre. Pack war ein schäbiger Kerl. Er hatte nicht einmal eine anständige Kassette gekauft, um seine Papiere aufzubewahren, sondern eine von den billigen inländischen Imitationen, die für zehn Rupien zu haben sind. Sie ließ sich mit jedem beliebigen Schlüssel öffnen, und da – auf ihrem Boden unter Packs Versicherungspolice lag der Bisara von Pooree!

Churton gab Pack alle möglichen schmeichelhaften Namen, steckte den Bisara von Pooree in die Tasche und ging mit »dem Mann« auf den Ball. Wenigstens kam er noch rechtzeitig zum Souper und erblickte in Miß Hollis Augen den Anfang vom Ende. Sie bekam nach dem Souper einen hysterischen Anfall und wurde von ihrer Mama nach Hause gebracht.

Auf dem Ball verstauchte sich Churton, der den abscheulichen Bisara in der Tasche trug, den Fuß, während er die Treppe, die nach der alten Rollschuhbahn führte, hinabging, und mußte murrend in einer Rickshaw nach Hause gebracht werden. Er glaubte trotz dieses erneuten Beweises nicht an den Bisara, aber er suchte Pack auf und warf ihm einige unfreundliche Bezeichnungen an den Kopf, von denen der Ausdruck »Dieb« noch der mildeste war. Pack nahm die Beschimpfung mit dem nervösen Lächeln des Schwächlings auf, dem es sowohl an körperlicher wie an seelischer Kraft gebricht, eine Beleidigung zu verübeln. Dann ging er still seines Wegs. Einen öffentlichen Skandal gab es nicht.

Eine Woche später erhielt Pack von Miß Hollis einen endgültigen Korb. Sie sagte, sie hätte sich in ihren Gefühlen geirrt. So ließ er sich nach Madras versetzen, wo er, selbst wenn er alt genug wird, um Oberst zu werden, keinen großen Schaden anrichten kann.

Churton bestand darauf, dem Manne, der Bescheid wußte, den Bisara von Pooree zu schenken. Der Mann nahm ihn in Empfang und eilte damit nach der großen Wagenstraße, wo er ein Ekka-Pony mit einer blauen Glasperlenkette fand und den Bisara von Pooree mittels eines Schnürsenkels unterhalb der Halskette befestigte. Dann dankte er dem Himmel, daß er sich der Gefahr entledigt hatte. Falls man selber einmal den Bisara von Pooree finden sollte, denke man daran, daß man ihn nicht zerstören darf. Die genauen Gründe hierfür habe ich nicht die Zeit, auseinanderzusetzen, aber die Kraft liegt in dem kleinen hölzernen Fisch. Mr. Gubernatis oder Max Müller werden darüber mehr zu berichten haben als ich.

Man wird behaupten, die Geschichte sei von Anfang bis zu Ende erlogen. Gut. Wem jemals ein kleines, rubinenbesetztes Silberkästchen in die Hände fällt, sieben Achtel mal dreiviertel Zoll groß, in dessen Innern ein dunkelbrauner, mit Goldbrokat umwickelter Fisch ruht, der behalte es. Er behalte es drei Jahre lang und sehe selbst, ob meine Geschichte wahr oder falsch ist.

Besser noch, er stiehlt es, wie Pack es tat; es wird ihm leid tun, daß er sich nicht gleich zu Anfang aufgehängt hat.