Der Bazillentöter

Es freut die tönerne Götterwelt,
Wenn der ewige Zeus sein Schläfchen hält.
Doch die kleine Gesellschaft hat nicht bedacht,
Daß zu seiner Stunde auch Zeus erwacht.

In der Regel ist es nicht ratsam, sich in einem Lande in Staatsangelegenheiten zu mischen, wo Leute hoch genug bezahlt werden, damit sie sie für uns erledigen. Aber unsere Geschichte bedeutet eine berechtigte Ausnahme.

Bekanntlich erleben wir alle fünf Jahre ein tief einschneidendes Ereignis. Ein neuer Vizekönig zieht ein und bringt mit seinem anderen Gepäck einen Privatsekretär mit, der manchmal der eigentliche Vizekönig ist, manchmal aber auch nicht, ganz wie das Geschick es fügt. Denn das Geschick wacht über dem indischen Reich, weil es so groß und hilflos ist.

Es war einmal ein Vizekönig, der einen unruhigen Geist als Privatsekretär mitbrachte, – einen unbeugsamen Mann mit schmiegsamen Umgangsformen und einer fast krankhaften Arbeitswut. Dieser Sekretär hieß Wonder, – John Fennil Wonder. Der Vizekönig hatte keinen Namen, aber er besaß eine lange Kette Grafschaften und eine ebensolange Ordenskette. Unter guten Freunden pflegte er zu sagen, er wäre die galvanisierte Buggallione des goldenen Staatsschiffes. Und er sah bald träumerisch, bald belustigt Wonder zu, der völlig außerhalb seines Amtskreises liegende Dinge in seine Hand zu bringen suchte. »Und wenn wir erst alle Engel sind,« sagte Se. Exzellenz einmal, »dann wird mein lieber, guter Freund Wonder sicher eine Verschwörung anzetteln, um dem Erzengel Gabriel die Schwanzfedern auszurupfen oder Sankt Peter die Schlüssel zu stehlen. Aber dann werde ich Anzeige erstatten.«

Die Leute murrten über Wonders Übereifer, obwohl doch der Vizekönig sich nicht weiter darüber beklagte. Bei den Staatsräten fing es an, und schließlich stimmte ganz Simla darin überein, daß in dem gegenwärtigen Regime »zu viel Wonder« und »zu wenig Vizekönig« wäre. Wonder führte andauernd Se. Exzellenz im Munde. »Se. Exzellenz hin, Se. Exzellenz her; Se. Exzellenz sind der Meinung« und so fort. Der Vizekönig lächelte darüber, aber er kehrte sich nicht daran. Er meinte, daß seine »guten, alten Räte« den »ehrwürdigen Orient« in Frieden ruhen lassen würden, solange sie sich mit »seinem lieben Freunde Wonder« herumzankten.

»Sicherlich wird sich kein weiser Mann politisch festlegen,« versicherte der Vizekönig. »Denn feste politische Versicherungen sind Sicherstellungen, die sich nur ein Narr von unberechenbaren Eventualitäten abpressen läßt. Ein Narr bin ich nicht, und das andere glaube ich nicht.«

Ich weiß nicht ganz genau, was er damit sagen wollte, wenn er nicht eine Versicherungspolice meinte. Vielleicht war es auch nur ein eigener Ausdruck des Vizekönigs für: »Gewehr in Ruh!«

Nun kam zu dieser Zeit einer von jenen Leuten nach Simla, die im Leben nur eine gute Idee haben. Solche Menschen bringen die Welt vorwärts, aber für den gesellschaftlichen Verkehr sind sie wenig geeignet. Der Betreffende hieß Mellish. Er hatte fünfzehn Jahre auf seinem Besitztum im unteren Bengalien gelebt, wo er die Cholera studiert hatte. Er hielt den Träger der Cholera für einen Bazillus, der sich in unreiner Luft vermehrt und sich in dicken Flocken auf Baumzweigen festsetzt. Und dieser Bazillus konnte seiner Ansicht nach unschädlich gemacht werden durch »Mellishs unübertreffliches Räuchermittel«, – ein schwarzblaues Pulver – »das Ergebnis fünfzehnjähriger wissenschaftlicher Untersuchungen, werter Herr!«

Erfinder sind, scheint’s, alle gleichen Schlages. Sie reden alle mit erhobener Stimme mit Vorliebe über »monopolistische Ausbeutungsversuche«; sie schlagen mit der Faust auf den Tisch und tragen immer versteckt Proben ihrer Erfindungen bei sich.

Mellish behauptete, es bestünde in Simla eine medizinische Clique mit dem Generalarzt an der Spitze, die alle Krankenhausärzte des Reiches in sich begriffe. Ich weiß nicht mehr, wie er es bewies, aber er sprach von »Durchstechereien usw.«, und Mellish wollte das unbeeinflußte Zeugnis des Vizekönigs, »des Statthalters unseres allergnädigsten Kaisers und Königs, werter Herr!« Darum kam Mellish nach Simla mit einem halben Zentner Räucherpulver im Koffer, um dem Vizekönig in einer Audienz die Vorzüge seiner Erfindung darzulegen.

Aber es ist leichter, einen Vizekönig zu Gesicht zu bekommen, als ihn zu sprechen, wenn man nicht gerade ein so bedeutender Mann ist wie Mellishe aus Madras. Er war ein vermögender Mann, so vermögend, daß seine Töchter nicht heirateten, sondern »eheliche Verbindungen eingingen«. Er selber wurde nicht bezahlt, er erhielt »Remunerationen«, und seine Reisen im Lande waren »Informationsreisen«. Sein Geschäft war es, Madras mit einer langen Stange aufzurühren, wie man Karpfen in einem Teiche aufrührt; und die Leute mußten aus ihrer altgewohnten Gemütlichkeit emportauchen, nach Luft schnappen und staunend ausrufen: »Hier steht Aufklärung und Fortschritt. Ist es nicht eine Lust?« Und man setzte Mellishe Denkmäler und baute ihm aus Blumen Ehrenpforten, in der Hoffnung, ihn loszuwerden.

Mellishe kam nach Simla zu einer »Konferenz« mit dem Vizekönig. Das gehörte zu seinen Nebenbeschäftigungen. Der Vizekönig wußte von Mellishe nichts weiter, als daß er einer der »kleinbürgerlichen Götzen« war, die »scheinbar dem geistigen Wohlbehagen Indiens, dem Paradiese des Kleinbürgertums, unumgänglich notwendig sind«. Und der Vizekönig nahm es als gegeben hin, daß Mellishe »alle öffentlichen Einrichtungen in Madras vorgeschlagen, entworfen, begründet und ausgestattet habe«. Das beweist, daß Se. Exzellenz trotz aller Träumerei solche Leute sehr gut kannte.

Mellishes Name war E. Melishe, und Mellishs Name war E. S. Mellish. Beide wohnten im gleichen Hotel, und das Geschick, das über dem Indischen Reich wacht, fügte es, daß Wonder sich versah, und das »e« am Schlusse des Namens wegließ. Der Amtsdiener förderte den Fehler und übergab den Brief Mellish mit dem Räucherpulver. »Sehr verehrter Herr Mellish, würden sie möglicherweise morgen abkommen können und mittags zwei Uhr mit uns speisen? Der Vizekönig wird eine Stunde zu Ihrer Verfügung halten.« Mellish weinte fast vor Glück und Stolz und ritt zur festgesetzten Stunde nach »Peterhoff« mit einer großen Tüte Räucherpulver im Rockschoß. Seine Stunde war gekommen, und es galt sie zu nutzen. – Mellishe hatte die »Konferenz« so verdächtig bedeutsam gemacht, daß Wonder für ihn ein Frühstück im engsten Kreise veranstaltete, ohne Adjutanten, ohne Wonder, mit dem Vizekönig allein. Und der Vizekönig klagte, er fürchte sich, mit einem so selbstherrlichen Menschen wie Mellishe aus Madras zwanglos allein sein zu müssen.

Aber der Gast langweilte den Vizekönig gar nicht. Im Gegenteil, er belustigte ihn. Mellish war ängstlich erregt und besorgt, möglichst bald auf sein Räucherpulver zukommen. Er redete hin und her, bis das Essen zu Ende war, und Se. Exzellenz ihn aufforderte, zu rauchen. Mellish gefiel dem Vizekönig, weil er nicht fachsimpelte.

Sobald die Zigarren brannten, sprach Mellish frei von der Leber weg. Er fing mit seiner Choleratheorie an, beleuchtete seine »fünfzehnjährige wissenschaftliche Arbeit«, die Machinationen der Simlaer Ärzteclique und die Vorzüglichkeit seines Räuchermittels. Der Vizekönig sah ihn mit halbgeschlossenen Lidern an und dachte: »Das scheint mir wohl doch nicht der Richtige zu sein. Aber ein originelles Huhn ist er.«

Mellishs Haar sträubte sich vor Erregung, und er stotterte. Er wühlte in seinen Rockschößen, und ehe sich’s der Vizekönig versah, hatte er eine Handvoll Pulver in den großen silbernen Aschenbecher geschüttet.

»Ich b–b–b–bitte Sie, sich selbst zu überzeugen, werter Herr!« rief Mellish. »Exzellenz haben die Güte aus eigener Anschauung zu urteilen. Völlig unfehlbar, mein Wort darauf!«

Er tauchte seine glimmende Zigarre in das Pulver; und es begann zu dampfen wie ein Vulkan. Schwere, fettige, kupferfarbene Rauchringe stiegen auf, und im Handumdrehen füllte sich das Zimmer mit einem beißenden, widerlichen Geruch, einem Gestank, der einem gewaltsam die Kehle zuschnürte. Das Pulver sprühte und zischte und schoß blaugrüne Funken, und der Qualm stieg auf, bis man weder sehen, noch hören, noch atmen konnte. Aber Mellish war daran gewöhnt.

»Salpetersaurer Strontian,« schrie er. »Baryt, Knochenmehl usw. Tausend Kubikfuß Rauch auf einen Kubikzoll! Nicht ein Bazillus kann leben bleiben, nicht einer, Exzellenz!«

Aber Se. Exzellenz war geflüchtet und stand hustend auf dem Treppenabsatz, während es in ganz »Peterhoff« wie in einem Bienenkorb zu surren begann. – Die roten Ulanen stürzten herbei und der Oberamtsdiener, der Englisch spricht, und die Leibtrabanten, und die Damen liefen die Treppen hinab und riefen: »Feuer!« Denn der Rauch zog durch das ganze Gebäude, schwelte durch die Fenster, schwoll auf die Veranden, und kräuselte und säuselte über dem Park. Niemand konnte das Zimmer, wo Mellish über sein Räucherpulver Vortrag hielt, betreten, bis das unbeschreibliche Zeug ausgebrannt war.

Dann stürzte ein Adjutant, der sich das Ehrenkreuz verdienen wollte, durch die Rauchwolken und schleifte Mellish in die Vorhalle. Den Vizekönig hatte sein Lachen völlig entkräftet. Erschöpft winkte er Mellish zu, der eine frische Tüte hin und her schwenkte.

»Großartig! Großartig!« stöhnte Se. Exzellenz. »Nicht ein Bazillus kann leben bleiben. Sie haben ganz recht. Ich kann’s beschwören. Ein glänzender Erfolg!«

Er lachte, bis ihm die Tränen kamen. Und Wonder, der den wahren Mellishe wutschnaubend auf der Promenade getroffen hatte, trat ein und war ungemein entrüstet über die Szene. Aber der Vizekönig war begeistert, denn jetzt war er sicher, daß Wonder sehr bald werde gehen müssen. Mellish mit dem Räucherpulver war auch sehr befriedigt, denn jetzt war die Simlaer Ärzteclique bankerott.

*

Wenige Leute können eine Geschichte so gut erzählen wie Se. Exzellenz, wenn er Lust dazu hatte. Und seine Erzählung von »meines lieben, guten Wonders Freund mit dem Räucherpulver« machte in Simla die Runde. Und frivole Leute elendeten Wonder mit ihren Bemerkungen.

Aber Se. Exzellenz erzählte die Geschichte einmal zu viel, – zu viel für Wonder, und zwar mit Absicht. Es war bei einem Picknick. Wonder saß hinter dem Vizekönig.

»Und einen Augenblick war ich wirklich der Meinung,« schloß Se. Exzellenz, »daß mein lieber, guter Wonder einen Meuchelmörder gedungen hatte, um sich den Weg zum Thron zu bahnen.«

Alle lachten. Aber es war ein leiser Unterton in der Stimme des Vizekönigs. Und Wonder verstand ihn. Er fand, daß seine Gesundheit nachließe, und der Vizekönig willigte in seinen Abschied. Er schilderte ihn in den leuchtendsten Farben, um ihn in den maßgebenden Kreisen zu fördern.

»Es war lediglich meine Schuld,« sagte Se. Exzellenz später mit vielsagendem Blinzeln. »Meine Unbeständigkeit muß einer so starken Natur von jeher zuwider gewesen sein.«