Im Versteck.

I.

Im Sommer bauten sich alle vernünftigen Jungen Hütten in den Ginsterbüschen auf dem Hügel hinter dem Schulgrundstück. Es waren eigentlich nur kleine Schlupfwinkel, die sie da mitten aus dem stachligen Strauchwerke herausschnitten, voll von stumpfen, Wurzeln und Dornen, seitdem das aber streng verboten war, erschienen sie als Prachtpaläste. »Latte«, »M’Turk« und »Käfer« hatten sich jetzt schon den fünften Sommer mit Biberemsigkeit einen Platz der Ruhe und des Nachdenkens gebaut. Und dort rauchten sie.

Nach Mister Prouts, ihres Hausmeisters, Ansicht, hatten sie nicht die geringsten Achtung einflößenden Charaktereigenschaften, und Foxy, der verschmitzte rothaarige Schuldiener, traute ihnen erst recht nicht. Sein Geschäft war, Tennisschuhe zu tragen, mit einem Krimstecher herumzulaufen und wie ein Habicht auf schlimme Jungen niederzustoßen. Wäre es nach ihm gegangen, dann hätte man die Hütte mit einer plötzlichen Razzia überrascht, denn Foxy kannte seine Leute. Die Vorsehung bewog indes Mister Prout, dessen Spitzname, von der Größe und Gestalt seiner Füße hergeleitet, Huftier lautete, auf eigene Rechnung zu untersuchen. Es war der vorsichtige Corkran, seiner Länge wegen »Latte« genannt, der die Spuren seiner Pfötchen in der Gegend ihres Lagers fand, an einem friedlichen Nachmittag, als er gerne Prout und Schularbeiten bei einem Indianerbuch und einer neuen Holzpfeife vergessen hätte. Robinson, beim Anblick der Fußspur, raffte sich nicht schneller auf als Latte. Er brachte die Pfeifen weg, fegte die umherliegenden Streichhölzchen fort und eilte dann, Käfer und M’Turk zu warnen.

Es war aber charakteristisch für den Jungen, daß er seine Verbündeten nicht eher aufsuchte, als bis er sich an den kleinen Hartopp gewandt hatte, den Leiter des Naturwissenschaftlichen Vereins, eines Instituts, das Latte aus tiefstem Herzen verachtete. Hartopp war höchlichst überrascht, als der Junge äußerst sanftmütig – er wußte, wie er’s anfangen mußte – ihn bat, ihn selbst, Käfer und M’Turk als Kandidaten aufzunehmen. Er bekannte ein lange gehegtes Interesse für Frühblumen, Schmetterlinge und neue Funde, und erklärte sich bereit, wenn Mister Hartopp ihn für würdig befinde, sogleich dies neue Leben zu beginnen. Hartopp war Lehrer und deshalb argwöhnisch; er war aber auch Enthusiast, und seine leicht empfindliche Seele war oft durch zufällig gehörte Bemerkungen der drei und besonders Käfers verletzt worden. So zeigte er sich dem reuigen Sünder gnädig und trug die drei Namen in sein Buch ein.

Jetzt erst, und nicht früher, suchte Latte Käfer und M’Turk im Arbeitszimmer ihres Hauses auf. Sie packten gerade Bücher ein für einen ruhigen Nachmittag im Ginsterbusch, den sie »Das Holz« nannten.

»Alles vorbei«, sprach Latte ernst. »Hab‘ nach dem Essen Huftiers schöne Fußtapfen bei unserer Hütte gesehen, ’n Glück, daß sie so groß sind.«

»Verdammt! Hast du unsere Pfeifen versteckt?« fragte Käfer.

»I wo. Hab‘ sie mitten in der Hütte gelassen, selbstverständlich. – Was für’n Schafskopf du doch bist, Käfer! Glaubst wohl, niemand denkt als du allein? – Ja, nun können wir die Hütte nicht mehr gebrauchen. Huftier wird jetzt drauf aufpassen.«

»Verfluchte Geschichte!« sprach M’Turk gedankenvoll und packte die Bücher wieder fort, mit denen er seine Brust gepanzert hatte. Die Jungen pflegten ihre Bibliothek zwischen Gürtel und Kragen zu transportieren, »Schöner Spaß! Das heißt also, daß man bis zu den Ferien auf uns aufpassen wird.«

»Warum? Alles, was Huftier gefunden hat, ist eine Hütte. Er und Foxy werden sie bewachen. Daß wir damit zu tun haben, weiß ja keiner; mir müssen uns nur nicht in der Gegend sehen lassen.«

»Gut, und wo sollen wir sonst anders hingehn?« meinte Käfer. »Du hast den Platz ausgesucht, und – ja, ich wollte heute nachmittag schmökern.«

Latte saß auf einem Tisch und trommelte mit den Absätzen gegen die Bank.

»Du bist ein Schlappschwanz, Käfer. Manchmal glaub‘ ich, es wär‘ am besten, überhaupt nichts mehr mit dir zu tun zu haben, hast du schon mal gemerkt, daß euer Onkel Latte euch vergessen hätte? His rebus infectis – nachdem ich Hufviehs Trampelspuren bei unserer Hütte entdeckt, traf ich den kleinen Hartopp – destricto ense – ein Schmetterlingsnetz schwingend. Ich hab‘ Hartopp versöhnt. Hab‘ ihm erzählt, ihr würdet auch sammeln für die Wanzenjäger, wenn er euch mitmachen ließe, Käfer. Hab‘ ihm gesagt, du hättest Schmetterlinge gern, Turkey. Kurz und gut, ich besänftigte Hartöpfchen, und jetzt sind wir auch Wanzenjäger.«

»Und was soll dabei ‚rauskommen?« fragte Käfer.

»O, Turkey, gib ihm ’nen Fußtritt!«

Im Interesse der Wissenschaft waren den Mitgliedern des Naturwissenschaftlichen Vereins die Grenzen sehr weit gezogen. Sie konnten wandern, wohin sie wollten, wenn sie sich nur von allen Häusern fernhielten. Mister Hartopp war für ihre Führung verantwortlich. Käfer fing an, dies einzusehen, als M’Turk mit den Fußtritten begann.

»Ich bin ein Esel, Latte!« rief er und suchte den bedrohten Körperteil zu schützen, »Pax, Turkey. Ich bin ein Esel.«

»Nicht aufhören, Turkey. Ist euer Onkel Latte nicht ein großer Mann?«

»Ein großer Mann«, versicherte Käfer.

»Wenn auch – die Wanzenjägerei ist eine elende Beschäftigung«, sagte M’Turk. »Wie, zum Deiwel, fängt man das an?«

»So«, erklärte Latte und wandte sich zu den Schubkästen einiger Füchse. »Die Füchse sind gut angeschrieben bei der Naturgeschichte. Hier ist dem kleinen Braybrooke seine Botanisiertrommel.« Er warf ein Büschel vertrockneter Wurzeln heraus und stellte den Riemen für sich zurecht. »Sieht das nicht ziemlich handwerksmäßig aus, – ich denke doch. Hier ist Clay II sein Geologiehammer. Den kann Käfer nehmen. Turkey, du könntest dich irgendwo nach einem Schmetterlingsnetz umsehn.«

»Müßt‘ ich Tinte gesoffen haben«, sprach M’Turk einfach, aber mit tiefem Gefühl. »Käfer, gib mir den Hammer.«

»Meinetwegen. Ich bin nicht stolz. Latte, schmeiß doch das Netz ‚runter, das auf dem obersten Fach liegt.«

»Das ist gut. ’ne verwickelte Konstruktion, es ist zusammenzuklappen, Verflucht feine Hunde sind diese Füchse, wie eine Angel ist das Ding gebaut, wahrhaftig, wir sehen richtig aus wie Wanzenjäger. Nun horcht auf euren Onkel Latte! Wir gehen längs der Klippen nach Schmetterlingen. Da trifft man wenig Leute, wir müssen tüchtig rennen. Du könntest dein Buch lieber hier lassen.«

»Fällt mir nicht ein«, sagte Käfer fest. »Ich werde doch nicht wegen ein paar lumpiger Schmetterlinge mein Schmökern aufgeben.«

»Du wirst schön schwitzen. Dann könntest du auch noch mein Buch nehmen, das würd‘ dich auch nicht viel heißer machen.« –

Sie schwitzten alle drei, denn Latte führte sie in scharfem Trab westwärts entlang der Klippen unter den Ginsterhügeln, Dickicht und dorniges Strauchwerk durchkreuzend. Sie kümmerten sich nicht um eilig fliehende Kaninchen oder herumschwirrende Falter, und alles, was Turkey in Bezug auf die Wissenschaft der Geologie vorbrachte, läßt sich ganz und gar nicht wiedergeben.

»Gehn wir denn nach Clovelty?« stieß er schließlich hervor, und sie warfen sich alle drei in das kurze, elastische Gras nieder, von unten her tönte das Brausen der See herauf, und in den Bäumen weiter oben auf dem Lande spielte der leichte Sommerwind. Sie schauten nach einem Wäldchen hinüber, in dem alter, hoher Ginster in fröhlicher Blüte stand; Brombeersträucher zogen sich am Rande des Gehölzes dahin, in dem Stechpalmen und andere Hölzer bunt durcheinander standen. Es war, als ob das halbe Dickicht bis zum Rande der Klippen von goldigem Feuer erfüllt wäre. Nach der Seite zu, wo die Jungen lagen, dehnte sich die offene Wiese aus. Sie war über und über gespickt mit Warnungstafeln.

»Verrückter alter Kerl, der«, sagte Latte und las die nächste. »Das Betreten dieses Grundstücks wird unnachsichtig gerichtlich verfolgt. G. M. Dabney, Oberst, J. P.«, und so weiter. Kann mir nicht denken, daß ’n vernünftiger Mensch hier vorübergehen würde, – nich‘ wahr?«

»Erst muß man überhaupt Schaden nachweisen, eh‘ man einen anzeigen kann. Für bloßes Betreten kann man niemand anzeigen«, erklärte M’Turk, dessen Vater viele Morgen Land in Bland besaß. »Alles Quatsch!«

»Freut mich; scheint mir so, als ob wir das brauchen könnten. Nicht geradeaus, Käfer, du blindes Mondkalb. Man kann uns ja aus ’ner Meile Entfernung anhalten. Diesen Weg hier, und wickle dein verfluchtes Schmetterlingsnetz zusammen.«

Käfer nahm den Ring auseinander, stopfte das Netz in eine Tasche, schob den Stiel zu einem zwei Fuß langen Stock zusammen und legte sich den Ring um den Leib. Latte führte sie landeinwärts auf den Wald zu, der vielleicht eine Viertelmeile von der See entfernt lag.

»Jetzt können wir geradeaus durchs Gestrüpp gehn, ohne daß uns einer seh’n kann«, sagte der Taktiker, als sie die Brombeersträucher erreicht hatten. »Käfer, geh voran und kundschafte. Sch! Sch! Stinkt irgendwo hier verflucht nach Füchsen!«

Auf allen Vieren, außer, wenn er nach der rutschenden Brille griff, wand sich Käfer in das Gestrüpp hinein und kündigte plötzlich, unter grunzenden Tönen des Schmerzes, an, daß er einen ausgezeichneten Fuchspfad gefunden hätte. Das war gut für Käfer, denn Latte zwickte ihn energisch a tergo. Diesen schmalen Gang krochen sie hinunter. Er war augenscheinlich eine Hauptverkehrsstraße für die Bewohner des Dickichts und endete, zu ihrer unaussprechlichen Freude, ganz am Ende der Klippe in einen wenigen Quadratfuß großen trockenen Rasenplatz, den undurchdringliches Gebüsch von oben und von allen Seiten umgab.

»Famos, wahrhaftig! Man hat nichts weiter zu tun, als sich hinzulegen«, sagte Latte und steckte sein Messer wieder in die Tasche. »Seht mal!«

Er bog die stämmigen Zweige auseinander, und ein Durchblick öffnete sich, der eine weite Aussicht gestattete, bis nach Lundy und auf die tiefe See, die ein paar hundert Fuß tiefer unten schläfrig die Ufersteine bespülte. Sie konnten junge Dohlen an den Kanten der Klippen quieken hören und das Zischen und Kreischen aus einem Falkennest, das irgendwo außer Sicht sich befand. Latte spuckte mit viel Ueberlegung einem jungen Kaninchen auf den Rücken, das sich tief unten sonnte, an einer Stelle, wo nur ein Klippenkaninchen Fuß fassen konnte. Große graue und schwarze Möwen suchten das Geschrei der Dohlen zu übertönen; der blütenduftende Boden ringsum war belebt von erdnistenden Vögeln, die sangen oder schwiegen, je nachdem der Schatten der kreisenden Falken verschwand oder wiederkehrte, und auf dem niedrigen Rasen jenseits des Gehölzes sprangen und spielten fröhlich die Kaninchen.

»Uff! Das ist ein Platz! Naturgeschichte, sagte ich; hier ist sie«, sprach Latte und stopfte sich eine Pfeife. »Nich‘ famos? Gute alte See!« – Wiederum spuckte er befriedigt aus und war dann still.

M’Turk und Käfer hatten ihre Bücher hervorgeholt und lagen auf dem Bauch, das Kinn in die Hand gestützt. Die See schnarchte und gurgelte; die Vögel, die für einen Augenblick durch diese neuen Tiere verscheucht worden waren, kehrten zu ihrer Beschäftigung zurück, und die Jungen lasen in der reichen, warmen, schläfrigen Stille.

»Horch, da kommt’n Förster«, sagte Latte, schloß behutsam sein Buch und spähte durch das Dickicht. Ein Mann mit einer Flinte erschien im Osten am Horizont, »Verdammt noch mal, er setzt sich ruhig hin!« »Er wird darauf schwören, daß wir Nester ausgenommen haben«, meinte Käfer. »Zu was taugen Fasaneneier? Sie sind immer faul.«

»Wir könnten lieber tiefer in den Wald ‚rein gehen, mein‘ ich«, sagte Latte. »Gar nicht nötig, daß uns Oberst G. M. Dabney, I. P. so bald auf den Hals kommt. In das Holz und ganz ruhig! Vielleicht ist er uns schon nachgegangen.«

Käfer war schon weit im Tunnel drinnen. Sie hörten ihn unbeschreiblich keuchen; dann kam ein Krachen von Zweigen, als wenn ein schwerer Körper durch den Ginster sprang.

»Aha, du kleiner roter Lump! Ich seh‘ dich!« Der Förster riß die Flinte an die Schulter und feuerte beide Läufe in der Richtung der Knaben ab. Die Schrotkörner schlugen durch die trockenen Zweige rund um sie herum, während ein großer Fuchs durch Lattes Beine hindurchstürzte und über die Klippe hinausrannte.

Sie blieben still, bis sie den Wald erreichten, zerzaust, mit wirrem Haar, aber ungesehen.

»Gerade so knapp entwischt«, sagte Latte. »Ich möchte drauf schwören, einige von den Schrotkörnern gingen durch mein Haar.«

»Habt ihr ihn gesehen?« fragte Käfer. »Ich konnte ihn beinah‘ mit der Hand packen. Ein großes Biest, nicht wahr? Stank verflucht! Hollah, Turkey, was ist los? Bist du getroffen?« M’Turks mageres Gesicht war perlenweiß geworden; sein Mund, gewöhnlich halb offen, war fest geschlossen, und seine Augen flammten. Sie hatten ihn nur einmal so gesehen, in der trüben Periode eines Bürgerkrieges.

»Wißt ihr auch, daß der ebenso schlimm war wie ein Mörder?« fragte er mit scharfer Stimme und strich sich die Dornen aus dem Haar.

»Na, er hat uns ja nicht getroffen«, meinte Latte. »Schließlich, glaub‘ ich, war’s auch mehr Spaß. Holla, wo willst du denn hin?«

»Ich will nach dem Hause, wenn eins da ist«, sagte M’Turk und wand sich durch die Stechpalmen. »Ich will zum Oberst Dabney und ihm dies erzählen.«

»Bist wohl verrückt? Er wird schwören, daß uns ganz recht geschehen ist. Er wird uns anzeigen. Wir werden Prügel kriegen vor der ganzen Klasse. Turken, sei kein Esel! Denk‘ doch an uns!«

»Schafsköpfe!« sagte M’Turk und drehte sich wild herum. »Meint ihr, ich denke an uns? Der Förster ist’s.«

»Er ist übergeschnappt«, seufzte Käfer kläglich, während sie ihm folgten. In der Tat, das war auch ein ganz neuer Turkey, – ein hochmütiger, höchst abweisender Turkey, der die Nase stolz in die Höhe hob. Sie begleiteten ihn durch dichtes Gebüsch hindurch auf einen Rasenplatz, wo ein alter Herr mit weißem Backenbart abwechselnd mit einer Baumschere herumknipste und kräftige Verwünschungen ausstieß.

»Sind Sie Oberst Dabney?« fing M’Turk in seinem neuen, knarrenden Tonfall an.

»Ich. – Ja, der bin ich, und« – er sah den Jungen von oben bis unten an – »was hat dich der Deiwel hierhergekarrt? Ihr habt meine Fasanen erschreckt. Sagt nicht etwa noch nein! Du brauchst gar nicht drüber zu lachen. (M’Turks nicht gerade liebliche Miene hatte sich bei dem Wort ›Fasanen‹ zu einem schrecklichen Grinsen verzogen.) Ihr habt Nester ausgenommen. Du brauchst deinen Hut gar nicht zu verstecken. Ich kann schon sehen, daß du zum Institut gehörst. Sag‘ nicht etwa noch nein! Na nich‘? Name und Nummer, ‚raus damit! – Du willst nicht sprechen – he? Hast du meine Warnungstafel nicht gesehen? Mußt sie gesehen haben! Sag‘ nicht etwa nein! Na nich‘? Verflucht noch mal, verflucht!«

Er würgte voll großer Erregung. M’Turk stampfte mit dem Absatz den Rasen und fing an, etwas zu stottern, zwei sichere Zeichen, daß er sich nicht mehr halten konnte. Was brachte aber ihn, den Angreifer, nur so auf?

»Se – – sehen Sie, Herr! Schi – schießen Sie Füchse? Denn w – wenn Sie’s nicht tun, tut’s Ihr Förster, wir haben ihn gesehen. Es ist – ist uns ganz gleich, wie sie uns schimpfen, – aber es ist sehr schlimm, das stört die Freundschaft zwischen Nachbarn. Man muß ein für allemal erklären, wie man’s mit der Schonzeit halten will. Es ist schlimmer als ’n Mord, denn es gibt keine gesetzliche Abhilfe dagegen.« M’Turk brachte konfus hervor, was er von seinem Vater gehört hatte, während der alte Herr aus seiner Gurgel allerlei Geräusche hervorstieß.

»Weißt du, wer ich bin?« gurgelte er schließlich. Latte und Käfer zitterten.

»Nein, Herr, is mir auch ganz gleich, und wenn Sie selbst zum Schloß gehörten. Antworten Sie mir nu‘, wie ein Gentleman dem andern. Schießen Sie Füchse oder nich‘?«

Und vier Jahre früher hatten Latte und Käfer M’Turk seinen irischen Dialekt höchst sorgfältig mit Fußtritten ausgetrieben. Sicherlich war er verrückt geworden und hatte den Sonnenstich bekommen, und ebenso sicher würde er seine Prügel bekommen – einmal von dem alten Herrn und einmal vom Direktor. Eine öffentliche Prügelexekution für alle drei war das Geringste, was ihnen in Aussicht stand. Doch – wenn sie ihren Augen und Ohren trauen konnten – der alte Herr gab klein bei. – Vielleicht war es nur eine Stille vor dem Sturm, aber –

»Nein, ich schieß‘ nicht!« Er gurgelte seine Worte noch immer heraus.

»Dann müssen Sie Ihren Förster ‚rausschmeißen. Er darf nicht in derselben Gegend mit einem ordentlichen Fuchs leben. Und dazu noch ’ne Füchsin, – in dieser Zeit!«

»Bist du gekommen, um mir das zu sagen?«

»Na gewiß, deshalb eben.« Er stampfte mit dem Fuße auf. »Hätten Sie für mich nicht dasselbe getan, wenn Sie gesehen hätten, das so was auf meinem Land passierte, wie?«

Vergessen – vergessen waren Schule und die Höflichkeit, die man Aelteren schuldig ist. M’Turk schritt wieder über die unfruchtbaren roten Berge der regenreichen Westküste, wo er in seinen Ferien Vizekönig über viertausend Morgen kahlen Landes war, einziger Sohn eines drei Jahrhunderte alten Hauses, Herr eines wracken Fischerbootes und der Abgott von seines Vaters armseligen Pächtersleuten. Der Grundbesitzer sprach hier zu seinesgleichen, Landmann zu Landmann, und der alte Herr sah das ebenso an.

»Ich bitte um Entschuldigung,« sagte er, »bedingungslos um Entschuldigung, – dich und unser altes Land. Willst du so gut sein und mir die Geschichte erzählen?«

»Wir waren in Ihrem Wäldchen«, fing M’Turk an und erzählte dann die ganze Geschichte, abwechselnd wie ein Schuljunge und, wenn die Erinnerung an den Vorfall ihn wieder überkam, wie ein aufgebrachter Gutsherr. »Sehen Sie also, er muß das schon so gewohnt sein«, schloß er. »Ich – wir – man soll eines Nachbars Leute nie anzeigen,‘ aber in diesem Fall nehm‘ ich mir die Freiheit –«

»Ja, ja. Ganz in der Ordnung. Natürlich hatt’st du Grund. Niederträchtig, ganz niederträchtig!« – Die beiden marschierten nebeneinander auf dem Rasen einher, und Oberst Dabney sprach wie ein Mann zum andern. »So geht’s, wenn man einem Fischer weiter hilft – einen Fischer von seinen Hummertöpfen wegnimmt. Das ist genug, um einem Erzengel die Reputation zu ruinieren. Sag‘ nur nicht noch nein! Na nich? Dein Vater hat dich gut erzogen. Ja, das hat er! Möcht‘ gern das Vergnügen seiner Bekanntschaft haben. Sehr gern, in der Tat. Und diese jungen Herren? Sind Engländer. Sagt nicht etwa nein! Sie sind auch mit dir ‚raufgekommen? Außerordentlich! Außerordentlich, wirklich! Bei dem gegenwärtigen Stande der Erziehung hätte ich nicht gedacht, daß es überhaupt drei Jungen gäbe, die wirklich gut erzogen sind … Aber Kinder und Narren sagen … Nein – nein! So meinte ich’s nicht. – Sherry packt mich immer an der Leber, aber Bier, wie wär’s? Eh? was meint ihr zu Bier, und ’n bißchen was zu essen? ’s lange her, seit ich ’n Junge war – schlimme Bande, solche Jungens,– doch Ausnahmen bestätigen die Regel. – Und dazu noch ’ne Füchsin!«

Ein grauhaariger Haushälter richtete auf der Terrasse den Tisch her. Latte und Käfer aßen nur, aber M’Turk setzte mit glänzenden Augen frei und erhaben die Unterhaltung fort; und die ganze Zeit behandelte ihn der alte Herr wie einen Bruder.

»Mein lieber Junge, natürlich könnt ihr wiederkommen. Sagt‘ ich nich‘, Ausnahmen bestätigen die Regel? Das untere Wäldchen? Junge, überall, wo es euch gefällt, solang‘ ihr nur meine Fasanen in Ruh‘ laßt. Beides verträgt sich nicht miteinander. Sagt mir nicht wie! Es verträgt sich nicht. Nie wieder soll mir hier ’ne Flinte getragen werden. Kommt und geht, wie’s euch paßt. Ich werd‘ euch nich‘ sehen, und ihr braucht mich nich‘ sehen. Gute Erziehung habt ihr! Noch ein Glas Bier, na? Ein Fischer sag ich, war er, und ein Fischer soll er noch heute abend wieder sein. Er soll! Wünscht‘, ich könnt‘ ihn ersäufen. Ich will euch bis zum Torhaus bringen. Meine Leute können Jungens – ah, nicht gerade gut besehn, aber euch sollen sie schon wiedererkennen.«

Mit vielen Komplimenten entließ er sie durch das große Tor in dem eichenen Staketzaun, der den Park umgab. Sie standen still. Selbst Latte, der zweite, um nicht zu sagen stumme Geige gespielt hatte, sah M’Turk wie den Abgesandten einer anderen Welt an. Die zwei Glas starken, eigengebrauten Biers hatten den Jungen in tiefe Melancholie versetzt, und langsam, die Hände in den Hosentaschen, dahinschlurrend, gröhlte er:

»O Paddy mein, hast du gehört, was rings man sich erzählt?«

Unter anderen Verhältnissen wären Latte und Käfer über ihn hergefallen, denn dies Lied war streng verpönt, anathema, wie ein sündiger Zaubersang. Sie hatten aber gesehen, was er zu erreichen vermochte, und so tanzten sie schweigend um ihn herum und warteten, bis es ihm beliebte, wieder auf die Erde herabzukommen.

Die Glocke zum Tee ertönte, als sie noch eine halbe Meile vom Institut entfernt waren. M’Turk schauerte zusammen und erwachte aus seinen Träumen. Die Glorie dieses freien Nachmittags war von ihm gewichen. Er war wieder ein Schüler des Instituts und sprach wieder ein gebildetes Englisch.

»Turkey, das war einfach großartig!« sagte Latte großmütig. »Hätt‘ nicht gedacht, daß du das in dir hatt’st. Du hast uns für das ganze Semester eine Hütte besorgt, wo man uns überhaupt nicht beim Kragen kriegen kann. Famos! Ganz famos! Ti–ra–la–la–itu!«

Sie drehten sich wild auf den Absätzen, mit einer Art Jodler, der sehr beliebt war und »Brüller« genannt wurde. Er wies große Aehnlichkeit mit dem Triumphgeheul eines Wilden auf. Sie rasten den Hügel herunter, den schmalen Weg hinab, der vom Gasometer herführte, gerade zu rechter Zeit, um auf ihren Hausmeister zu stoßen, der den Nachmittag damit verbracht hatte, ihre verlassene Hütte im Ginstergesträuch zu bewachen.

Mister Prouts Einbildungskraft beschäftigte sich unglücklicherweise lieber mit der dunkleren Seite des Lebens, und so schaute er mit höchst saurer Miene auf diese Cherubims mit glänzenden jungen Augen. Knaben, wie er sie haben wollte, nahmen an allen Spielen des Hauses teil und waren immer dafür zu haben. Er hatte aber ganz gut gehört, wie M’Turk offen seine Verachtung für Kricket aussprach – und sogar für die Spiele des Hauses; Käfers Ansichten über die Ehre des Hauses waren – das wußte er – die eines Brandstifters, und er war sich nie recht klar darüber, ob der mild grinsende Latte über ihn lachte. Demgemäß – da nun die menschliche Natur einmal so ist, wie sie ist – stand es für ihn fest, daß die Jungen irgendwo etwas ausgefressen hatten. Er hoffte, daß es nichts Ernstes wäre, aber …

»Ti–ra–la–la–i–tu!« ertönte ein lautes Gebrüll. Latte, noch immer auf den Absätzen, wirbelte wie ein tanzender Derwisch nach dem Speisesaal.

»Ti–ra–la–la–i–tu!« Käfer flog mit ausgestreckten Armen hinter ihm her.

»Ti–ra–la–la–i–tu!« M’Turks Stimme schnappte über. War nun nicht wirklich ein deutlicher Geruch von Bier zu verspüren, als sie an Mister Prout vorüberschossen, oder war das nicht der Fall?

Es war nicht vorteilhaft für Mister Prout, daß sein Hausmeistergewissen ihn bewog, seine Kollegen um Rat zu fragen. Wäre er mit seiner Pfeife und seinen Besorgnissen zum kleinen Hartopp gegangen, so hätte er sich vielleicht manche Unannehmlichkeit erspart, denn Hartopp verstand sich auf Jungen und wußte ein wenig mit ihren Geschichten Bescheid. Sein Schicksal führte ihn aber zu King, einem anderen Hausmeister, mit dem er zwar nicht besonders befreundet war, der aber von glühendem Haß gegen Latte und Genossen beseelt war.

»Aha«, sagte King und rieb sich die Hände, als er die Geschichte gehört hatte. »Merkwürdig! In meinem Haus denken sie nicht einmal im Traum an solche Geschichten.«

»Sie sehen aber, ich habe gar keinen genauen Beweis.«

»Beweis? Wenn unser prächtiger Käfer dabei ist! Als ob es dessen bedürfte! Ich denke, es wird dem Sergeanten nicht schwerhalten, ihn zu liefern. In meinem Haus wenigstens ist Foxy jedem Jungen gewachsen, und wenn er noch so viel Ausflüchte hat. Natürlich haben sie irgendwo geraucht und getrunken. Die Sorte Jungen tut das immer. Sie halten es für mannhaft.« »Sie haben aber keinen Anhang in der Schule, und sie sind besonders grob gegen die Jüngeren«, meinte Prout, der aus der Entfernung mit Interesse gesehen hatte, wie Käfer einem heulenden Fuchs sein Schmetterlingsnetz wieder aushändigte.

»Ah! Sie fühlen sich über gewöhnliche Streiche erhaben. Eingebildete kleine Kreaturen! In M’Turks irischem Grinsen liegt etwas, das mich an Ihrer Stelle doch beunruhigen würde. Und außerdem sind sie sorgsam darauf bedacht, alle offenen Taten zu vermeiden. Das ist fein ausgedachte Unverschämtheit. Ich bin, wie Sie wissen, sehr dagegen, mich in die Angelegenheiten eines anderen Hauses zu mischen, aber sie brauchen eine Lektion, Prout. Eine scharfe Lektion brauchen sie, schon, um ihnen ihr aufgeblasenes Selbstvertrauen auszutreiben. Ich an Ihrer Stelle würde mich mal eine Woche lang um ihr Treiben kümmern. Jungen von der Sorte – ich will mir nicht schmeicheln, aber ich glaube, ich verstehe mich auf Jungen – machen nicht aus Liebe zur Sache mit den Wanzenjägern mit. Sagen sie dem Sergeanten, er solle die Augen offen halten. Ich will mich auf meinen Spaziergängen natürlich auch ein bißchen umsehen.«

»Ti–ra–la–la–i–tu!« – – – erklang es weit unten im Korridor.

»Scheußlich!« sagte King. »Wo schnappen sie diese kommunen Laute nur auf? Eine scharfe Lektion, das ist es, was sie brauchen.« Die Jungen gaben sich mit Lektionen während der nächsten fünf Tage nicht viel ab. Oberst Dabneys ganzes Besitztum stand ihnen zur Verfügung, und sie durchforschten es mit der Heimlichkeit von Rothäuten und der Genauigkeit von Einbrechern. Sie konnten entweder auf dem oberen Wege durch das Tor hereinkommen – sie waren fürsorglich genug, sich mit dem Torwächter und seinem Weibe anzufreunden – in das Dickicht hinuntersteigen und längs der Klippen zurückkehren, oder sie konnten auch mit dem Dickicht anfangen und nachher auf den Weg hinaufklettern.

Sie vermieden es sorglich, des Obersten Wege zu kreuzen. Er hatte genug getan, und sie wollten sich nicht aufdrängen. Auch zeigten sie sich nicht offen, wenn sie besser verborgen dahinschleichen konnten. Das Versteck im Ginsterdickicht am Rand der Klippen war ihr erwählter Zufluchtsplatz. Käfer taufte ihn »die liebliche Insel Aves«, um des Friedens und des Schutzes willen, den er bot; und hier, nachdem man Pfeifen und Tabak einmal auf einer vorspringenden Kante in Armeslänge vom Klippenrande verborgen hatte, war ihre Position einfach unangreifbar.

Denn, man merke wohl, Oberst Dabney hatte sie nicht eingeladen, sein Haus aufzusuchen. Deshalb hatten sie es nicht nötig, besondere Erlaubnis für Besuche einzuholen – die Schulregeln waren in diesem Punkt streng. Er hatte ihnen nur seinen Grund und Boden freigegeben, und seit sie regelrechte Wanzenjäger geworden waren, reichten ihre erweiterten Grenzen eben bis zu den Warnungstafeln am Wäldchen und dem Torweg auf dem Hügel.

Sie bewunderten ihre eigene Tugendhaftigkeit.

»Und selbst wenn’s nicht so wär’«, sagte Latte, platt auf dem Rücken liegend, und starrte in das Blau hinauf. »Selbst wenn wir meilenweit aus den Grenzen heraus wären – niemand könnte uns hier ‚rauskriegen, wenn er nicht den Tunnel wüßte. Ist das hier nicht besser, als dicht hinter dem Haus zu liegen – in ewiger Angst jedesmal, wenn wir ’ne Pfeife angesteckt hatten? Ist es nicht euer Onkel Latte – – –«

»Nein,« erklärte Käfer, der sich über den Rand der Klippe gebeugt hatte und gedankenvoll in die Tiefe hinabspuckte, »das haben mir Turkey zu danken. Turkey ist der große Mann. Turkey, mein Sohn, du beunruhigst das Huftier.«

»Trauriger oller Esel!« sagte M’Turk, sehr in sein Buch vertieft.

»Sie haben Verdacht auf uns«, meinte Latte. »Hufbiest hat manchmal so ’nen Riecher; und Foxy tut bei jedem Schritt, als hätte er ’ne Art – ’ne Art von – – – «

»Skalp«, warf Käfer ein. »Foxy ist ’n quatschiger Chingangook.«

»Armer Foxy«, sagte Latte. Er möchte uns gern einmal an solchem Tage abfassen. Gestern abend in der Turnstunde sagt‘ er zu mir: ›Ich hab‘ ein Auge auf Sie geworfen, Mister Corkran. Ich warn‘ Sie man bloß zu Ihrem Besten‹. – Ich sagt‘ zu ihm: ›Na, dann heben Sie’s man hübsch wieder auf, oder Sie werden Ungelegenheiten haben. Ich warn‘ Sie man bloß zu Ihrem Besten‹. Foxy war wütend.«

»Ja, Foxy is wenigstens anständig dabei«, erklärte Käfer. »Aber Huftier – – ist gemein. Sollt‘ mich nich‘ wundern, wenn er glaubt‘, wir wären im Tran.«

»Ich war bloß einmal besoffen – in den Ferien,« erzählte Latte nachdenklich, »und ich wurd‘ scheußlich krank danach. ’s is aber auch wahrhaftig wahr, ’n Mann kann wirklich dazu kommen, zu trinken, wenn man ’n Biest wie Huf zum Hausmeister hat.«

»Wenn wir beim Spiel immer dabei wären und schrien: ›Gut getroffen, Sir!‹ und auf einem Bein ständen und grinsten, jedesmal, wenn Huftierchen sagte: ›So–o, meine Jungen, wirklich?‹ und sagten: ›Ja, Sir‹, und ›Nein, Sir‹, und ›O, Sir!‹ und ›Bitte, Sir!‹ wie ein Dutzend lumpige Füchse, dann würd‘ Huftier ’ne gewaltige Meinung von uns kriegen«, meinte M’Turk grinsend.

»Zu spät, damit anzufangen.«

»Ist auch so gut. Das Huftier meint’s ganz gut, er ist bloß ’n Esel. Und wir zeigen ihm, daß wir ihn für ’n Esel ansehen. Und deshalb liebt er uns natürlich nicht. Gestern abend nach dem Gebet erzählte er mir, daß er in loco parentis wäre«, grunzte Käfer.

»Deiwel noch mal!« schrie Latte. »Das heißt, er hat irgend was ganz Verfluchtes im Sinn. Neulich sagt‘ er zu mir, er würd‘ mir dreihundert Zeilen Abschrift geben, weil ich im Schlafzimmer Nummer zehn den Cachuca getanzt hatte. Loco parentis, verflucht! Aber was tut’s, solang man nur zufrieden ist. Wir können ganz zufrieden sein.«

Sie waren es auch. Prout, King und der Sergeant waren mit vollem Recht sehr beruhigt. Jungen, die ein schlechtes Gewissen haben, lassen sich das auch anmerken. Sie schleichen hastig zum Tor hinaus und lächeln nervös, wenn sie ausgefragt werden. Sie kommen ganz in Unordnung zurück, knapp zur Zeit, um den Aufruf nicht zu versäumen. Sie nicken und winken und grinsen einander zu und stieben auseinander, wenn ein Lehrer in die Nähe kommt. Doch Latte und seine Genossen hatten diese Eigentümlichkeiten der Jugend längst abgelegt. Sie strolchten unbesorgt darauf los und kehrten in ausgezeichneter Verfassung zurück, nach einer leichten Erfrischung an Stachelbeeren und Sahne im Torwärterhäuschen.

Der Torwärter war an Stelle des mörderischen Fischers zum Forstaufseher ernannt worden, und sein Weib hielt viel von den Knaben. Der Mann gab ihnen sogar ein Eichhörnchen, das sie dem Naturwissenschaftlichen Verein überreichten. Der kleine Hartopp, der sich schon angelegentlich danach erkundigt hatte, was sie denn eigentlich zum Besten der Wissenschaft täten, wurde dadurch schachmatt gemacht. Foxy legte voll Aufopferung förmliche Schleichwege hinter einem abseits gelegenen Wirtshause an, und es war merkwürdig, daß Prout und King, trotzdem Kollegen aus dem Konferenzzimmer selten befreundet sind, zusammen in derselben Richtung spazieren gingen, – und zwar nach Nordosten. Die liebliche Insel Aves lag aber gerade im Südwesten.

»Sie sind schlau, verdammt schlau«, sagte Latte, »was spüren sie gerade da ‚rum?«

»Ich war’s«, sprach Käfer milde. »Ich fragte Foxy, ob er schon mal das Bier dort versucht hätte. Das war genug für Foxy, und es heiterte ihn ein bißchen auf. Er und Huftier haben schon so lang‘ um unsere Hütte ‚rumgeschnüffelt, daß ich dachte, sie würden gern ’n bißchen Abwechslung haben.«

»Na, immer wird’s nich‘ so gehn«, sagte Latte. »Huftier schwillt an wie ’ne Gewitterwolke, und King geht ‚rum und reibt sich seine Quadrat-Hände und grinst wie ’ne Hyäne. Er demoralisiert King schrecklich. Er wird noch eines Tages platzen.«

Dieser Tag kam ein wenig früher, als sie erwarteten, kam, als der Sergeant, dessen Obliegenheit es war, die Fehlenden aufzuschreiben, an einem Nachmittag den Aufruf nicht besorgte.

»Aha, hat die Kneipen über! Er ist mit seinem Glas auf den Hügel ‚raufgegangen, um uns aufzuspionieren. ’n Wunder, daß er nich‘ früher dran gedacht hat. Saht ihr, wie das alte Huftier die Augen aufriß, als wir unsere Namen nannten? Huftier ist auch dabei. Ti–ra–la–la–i–tu! Los, marsch!«

»Aves?« fragte Käfer.

»Natürlich, aber ich rauche nicht aujourd’hui. Parce que je sicher pense, wir werden suivi. Wir wollen die Klippen lang gehen, langsam, und Foxy massig Zeit lassen, oben mitzukommen.«

Sie schlenderten auf die Schwimmbäder zu und standen plötzlich King gegenüber.

»Ah, laßt euch nicht stören«, sagte er. »Natürlich in Verfolgung wissenschaftlicher Interessen begriffen! Macht euch wohl viel Vergnügen, meine jungen Freunde?« –

»Seht ihr!« sagte Latte, als sie außer Hörweite waren. »Er kann nicht dicht halten. Er kommt uns nach, um uns den Rückzug abzuschneiden. Er wird beim Bad warten, bis Huftier entlang kommt, sie haben jeden gesegneten Platz abgesucht, außer an den Klippen, und jetzt denken sie, sie haben uns im Sack. Gar kein Grund, uns zu beeilen.«

Sie gingen gemütlich dahin, bis sie das Gebiet der Warnungstafeln erreichten.

»Horcht man! Foxy kommt ganz wild den Abhang ‚runter, wie verrückt. Wenn ihr ihn im Gebüsch hört, dann gerade durch nach Aves. Sie wollen uns flagranti delicto abfassen.«

Sie liefen über den freien Rasen, drangen im rechten Winkel zu dem schmalen Tunnel ins Dickicht ein und lagen dann still in Aves.

»Na, was hab‘ ich euch gesagt?« Latte packte sorgfältig Pfeifen und Tabak beiseite. Der Sergeant, ganz außer Atem, stand gegen die Einzäunung gelehnt und suchte mit seinem Krimstecher das Ginsterbuschwerk ab, was aber dasselbe war, als wenn er durch einen Sandsack hätte sehen wollen. Dann tauchten auch schon Prout und King hinter ihm auf. Sie berieten.

»Aha, Foxy gefallen die Warnungstafeln nicht, und die Dornen mag er auch nicht, wir wollen jetzt den Tunnel ‚rauf und nach dem Torhaus. Hallo! Sie haben Foxy in den Busch ‚reingeschickt.«

Der Sergeant stak bis zur Weste in dem brechenden, knackenden Ginster und erfüllte seine Ohren mit dem Lärm seines eigenen Vormarsches. Die Jungen erreichten den Schutz des Waldes und krochen durch eine Lücke zwischen den Stechpalmen hindurch.

»Verflucht viel Spektakel!« meinte Latte kritisch. »Glaub‘ kaum, daß das Oberst Dabney gefallen wird. Ich denk‘, wir gehen nach dem Torhaus ‚rauf und lassen uns was zu essen geben. Wir können da auch seh’n, wie der Spaß ausgeht.«

Plötzlich kam der Förster an ihnen vorbeigetrabt.

»Was for Kerls sind da zwischen die Büsche, zum Deiwel noch mal? Der Herr wird schön wild sein«, sagte er.

»Na, ganz einfach, Wilddiebe«, antwortete Latte in dem breiten Devonshire-Dialekt, der die langue de guerre bildete.

»Ich will ihnen schon das Wilddieben besorgen!« Er stürzte sich in das Dickicht, und bald begann es recht lebhaft darin zu werden. Man hörte Kings Stimme schreien: »Nur immer weiter, Sergeant! Wollen Sie ihn wohl lassen, Sir! Er führt nur meine Befehle aus.«

»Wem haben Sie denn hier Befehle zu geben, Sie Dreckbart? Sie kommen mit zum Herrn. Vorwärts, ‚raus hier aus’m Holz!« – Das galt dem Sergeanten. – »Jawoll, ich mein‘ schon, wir kennen die Jungens, wo ihr hinterher seid. Die haben viel zu lange Ohren und sind viel zu flink, lebendig kriegt ihr die nich‘! Kommen Sie man mit ‚rauf zum Herrn! Er wird euch eure Jungens schon anstreichen. Ihr anderen Kerle bleibt mir ja drüben über’m Zaun.«

»Setzen Sie dem Eigentümer die Sache auseinander. Sie können es ihm erklären, Sergeant«, schrie King. Der Sergeant mußte sich also der Uebermacht ergeben haben.

Käfer lag der Länge nach auf dem Rasen hinter dem Torwärterhäuschen und biß buchstäblich die Erde vor krampfhaften Freudenausbrüchen.

Latte brachte ihn mit Fußtritten wieder in die Höhe. Nur ein kleines Muskelzucken auf der Wange, das war das einzige Zeichen von Fröhlichkeit bei Latte und M’Turk.

Sie klopften an die Tür des Torhäuschens, wo sie immer willkommen waren.

»Kommen Sie man ‚rein und setzen Sie sich ’n bißchen, meine lieben jungen Herren«, sagte das Weib. »Sie werden meinem Mann schon nischt tun. Er wird ihnen schon das Wilddieben besorgen. Na nich‘? Frische Beeren und Schmand. Wir von Dartymoor vergessen unsere Freunde nich‘. Aber solche Wilddiebe von Bideror, das is‘ ja ’ne ganz powre Bande. Zucker? Mein Mann hat ’n Dachs ausgegraben, junge Herrchens, for Sie. Er is‘ in der Remise in ’ne Schachtel.«

»Wir werden ihn hernach mitnehmen, wenn wir gehn. Ich denk‘, Ihr habt wohl zu tun. Wir wollen noch hier bleiben, und – Ihr habt heut‘ Waschtag«, sagte Latte, »wir sind nich‘ Leute, um die man sich Umstände zu machen braucht. Kümmert Euch gar nich‘ um uns. Es is‘ genug Sahne da.«

Das Weib wischte sich die roten Hände an der Schürze ab und verschwand. Sie blieben im Zimmer. Auf einmal gab es ein Getrampel von Füßen auf dem Kies draußen vor den bleigefaßten bunten Glasscheiben, und dann erklang Oberst Dabneys Stimme, etwas klarer als die eines Bullen.

»Könnt Ihr lesen? Ihr habt doch Augen in Eurem Schädel! Sagt mir nicht noch einmal nein! Na nich‘?«

Käfer riß eine Häkelarbeit von dem glänzenden Roßhaar-Ledersofa, stopfte sie sich in den Mund und rollte in einen Winkel.

»Ihr seht meine Warnungstafeln. Eure Pflicht? Verdammte Unverschämtheit, Sir! Eure Pflicht war, von meinem Boden wegzubleiben. Will der zu mir von Pflicht sprechen! Was – was – was, so’n miserabler Wilddieb wird mir wohl nächstens noch ’s A-B-C beibringen wollen! Macht Spektakel wie ein Ochse da unten zwischen den Büschen! Jungen? Jungen? Jungen? behaltet eure Jungens zu Hause! Ich bin nich‘ verantwortlich für eure Bengels! Aber ich glaub‘ nich‘ – ich glaub‘ nich‘ ein Wort davon. Ihr habt so ’nen heimtückischen Blick im Aug‘ – so ’nen heimtückischen, kriechenden, wilddieberischen Blick im Aug‘, der einen Erzengel um Ehre und Reputation bringen könnt‘! Sagt nich‘ etwa noch nein! Ihr habt ihn! Ein Sergeant? Dann schämt Euch desto mehr; – das war der schlechteste Handel, den Ihre Majestät je gemacht hat. Ein Sergeant, der im Land ‚rumläuft um zu wildern. – Und hat seine Pension! Verdammt! Ah, verdammt! Aber ich will nich‘ streng sein. Ich will gnädig sein. Bei Gott, ich will wahrhaftig die reine Essenz von Humanität sein! Habt Ihr meine Warnungstafeln geseh’n oder nich‘? Sagt mir nich‘ etwa noch nein! Habt sie geseh’n! Ruhe, Sergeant!«

Einundzwanzig Jahre Dienstzeit übten noch jetzt auf Foxy ihren Einfluß aus. Er gehorchte.

»So. Nu‘ marsch!«

Das große Tor schloß sich schnappend. »Meine Pflicht! Ein Sergeant will mir meine Pflicht vorhalten!« pustete Oberst Dabney. »Gottsdunner! Noch mehr Sergeanten!«

»Jetzt kommt King, jetzt kommt King!« schluckte Latte, den Kopf auf das Roßhaarkissen gepreßt. M’Turk stopfte sich den Steppvorleger ein, der vor dem saubern Kamin lag, und das Sofa erstickte Käfers Ausbrüche. Durch die dicken Glasscheiben sahen die Gestalten draußen blau, verzerrt und drohend aus.

»Ich, ich protestiere gegen solche Beleidigung.« King mußte sich den Hügel herauf außer Atem gelaufen haben. »Der Mann tat nichts als seine Schuldigkeit. Ich – ich werde Ihnen meine Karte geben – –«

»Er hat Manschetten!« Latte vergrub von neuem den Kopf.

»O fatal, höchst fatal – ich habe keine einzige bei mir. Doch mein Name ist King, Sir, Lehrer am Institut, und ich bin bereit, Sir, vollkommen bereit, Ihnen das Vorgehen des Mannes zu erklären. Wir sahen drei …«

»Sahen Sie meine Warnungstafel?«

»Ich muß zugeben, ja, aber unter diesen Umständen – –«

»Ich stehe hier in loco parentis.« Prouts tiefe Stimme mischte sich jetzt in die Diskussion ein. Sie konnten hören, wie er keuchte.

»Wa–as?« Oberst Dabney wurde mehr und mehr irisch.

»Ich bin verantwortlich für die Knaben, die ich unter meiner Aufsicht habe.«

»Sie sind – sind Sie das? Dann kann ich Ihnen man bloß sagen, daß Sie ihnen ’n verflucht schlechtes Beispiel geben – ’n ganz verdammt schlechtes Beispiel, wenn man so sagen kann. Ich hab‘ Ihre Bengels nich‘. Ich hab‘ Ihre Jungens nich‘ geseh’n, un‘ ich sag‘ Ihnen, wenn hier auch hinter jedem Busch ’n Jung‘ vorgrinste, hätten Sie doch nich‘ für’n Dreier das Recht, hier den Weg ‚raufzukommen, g’rad‘ durch den Wald, und alles zu erschrecken, was drin is‘. Sagen Sie nich‘ etwa noch nein! Sie haben erschreckt! Sie hätten ans Tor kommen un‘ mich aufsuchen sollen, statt nach Ihren verdammten Bengels kreuz und quer durch meinen Grund zu jagen. In loco parentis sind Sie? Na, ich hab‘ mein Latein auch noch nich‘ vergessen, und ich will Ihnen bloß sagen: » Quis custodiet ipsos custodes?« Wenn die Aufseher auf fremdem Boden ‚rumlaufen, wie kann man da auf die Jungens schimpfen!«

»Aber – wenn ich Sie privatim sprechen könnte –« sagte Prout.

»Ich will nichts privatim mit Ihnen zu tun haben. Meintswegen können Sie so privat sein, wie Sie wollen, – aber auf der andern Seit‘ vom Tor. ’n schönen guten Abend wünsch‘ ich!«

Das Tor klappte zum zweitenmal. Sie warteten, bis Oberst Dabney ins Haus zurückgekehrt war, und fielen sich dann in die Arme, nach Atem ringend.

»O Himmel! O King! O mein Huftier! O mein Foxy! Eifrig, riesig eifrig, Mister Simple!« – Latte wischte sich die Augen. »Den Kerl hab‘ ich mir tüchtig vorgenommen. – Nu müssen wir aber hier ‚raus, sonst kommen wir zu spät zum Tee.«

»Neh – nehmt den Dachs und macht Hartöppchen glücklich. Ma – macht sie alle glücklich«, stöhnte M’Turk. Er steuerte auf die Tür zu, Käfer mit ein paar Fußtritten vor sich her befördernd.

Sie fanden das Tier in einer übelriechenden Schachtel, ließen zwei Halbkronenstücke als Bezahlung zurück und schwenkten heimwärts. Der Dachs ließ ein höchst wunderbares Grunzen hören, beinahe so wie Oberst Dabney, und sie ließen ihn zwei- oder dreimal halten, außer sich vor lautem Gelächter. Sie hatten sich nur unvollkommen erholt, als Foxy ihnen auf dem Hof begegnete, mit der Order, daß sie sich auf ihr Schlafzimmer verfügen und warten sollten, bis nach ihnen geschickt würde.

»Schön, dann bringen Sie die Schachtel hier in Mr. Hartopps Zimmer, wir haben wenigstens etwas für den Naturwissenschaftlichen Verein getan«, sagte Käfer.

»Fürchte man, das wird Ihnen nich‘ viel helfen, junge Herren«, meinte Foxy mit dräuender Stimme. Es gärte wild in ihm.

»Alles in Ordnung, Foxybus.« Latte hatte den »Schluckauf« bekommen, im höchsten Grade. »Wir – wir werden Sie nie verlassen, Foxy. Nach Füchsen im Wald auf die Jagd gehn, is‘ doch noch viel schlimmer, na nich‘? Nein – Sie haben ganz recht. Ich – ich bin nich‘ ganz wohl.«

»Diesmal haben sie sich doch zuviel zugetraut«, dachte Foxy bei sich. »Ganz gehörig voll, möcht‘ ich sagen, aber es ist nichts von Getränken zu riechen. Und sie sind eigentlich auch ’n bißchen anders als sonst. King und Prout haben aber ebensogut ihr Teil abgekriegt wie ich. Das ist wenigstens mein Trost.«

»Na, nu‘ müssen wir uns zusammennehmen«, meinte Latte und stand wieder von dem Bette auf, auf das er sich hingeworfen. »Wir sind unschuldig beleidigt – wie gewöhnlich, wir wissen nich‘, warum man uns hier ‚raufgeschickt hat; nich‘ wahr?«

»Keine Ahnung, vom Tee ausgeschlossen. Oeffentliche Blamage vor dem gangen Haus«, sagte M’Turk, dem die Augen tränten. »Verdammt ernste Sache.«

»Wir sind einfach ruhig, bis King sich nicht mehr halten kann«, schlug Käfer vor. »Er ist ein schimpfwütiger Kerl und wird in dollster Wut sein, Prout ist zu verflucht vorsichtig, wir müssen auf King aufpassen, und wenn er uns irgendwie Gelegenheit gibt, uns an den Direktor wenden. Das kann er nie vertragen.«

Sie wurden auf das Zimmer ihres Hausmeisters vorgeladen. King und Foxy waren zu Prouts Unterstützung da, und Foxy hatte drei Rohrstöcke unter dem Arm. King schielte triumphierend, denn er sah Tränen auf den Backen der Jungen – vom vielen Lachen vorher freilich nur. Dann begann das Verhör.

Ja, sie waren die Klippen entlang gegangen. Ja, sie hatten Oberst Dabneys Besitzung betreten. Ja, sie hatten die Warnungstafeln gesehen. (Hier räusperte sich Käfer krampfhaft.) Zu welchem Zweck hatten sie Oberst Dabneys Grund und Boden betreten?

»Ein Dachs war da, Sir.«

Hier konnte King, der den Naturwissenschaftlichen Verein verabscheute, weil er den kleinen Hartopp nicht leiden mochte, sich nicht länger zurückhalten. Er ersuchte sie, ihrer offenbaren Unverschämtheit nicht noch Lügen zuzufügen. »Aber der Dachs war da, in Mr. Hartopps Zimmer, Sir.« Der Sergeant war so freundlich, für sie einzutreten. Die Sache mit dem Dachs war dadurch erledigt, und dieser augenblickliche Dämpfer steigerte Kings Ungestüm bis zur Siedehitze. Man konnte hören, wie er mit dem Fuß auf dem Boden scharrte, während Prout seine langsamen Fragen vorbereitete. Sie wußten jetzt, wie sie vorzugehen hatten. Ihre Augen funkelten nicht mehr, ihre Gesichter waren bleich; sie ließen die Hände bewegungslos an den Seiten. Sie lernten jetzt, auf Kosten eines Landsmannes, die Lektion ihrer Rasse: sich jeder Erregung zu enthalten und den Fremden in dem geeigneten Moment in die Falle zu bringen.

So weit ging alles gut. King mischte sich jetzt mehr in die Verhandlung ein, rachsüchtig, wo Prout bekümmert war. Wußten sie, daß es strafbar wäre, fremdes Gebiet zu betreten? Mit einer geschickt zur Schau getragenen Unentschlossenheit gab Latte zu, daß er zufällig etwas, aber nur dunkel über diesen Punkt informiert sei, aber er hatte gedacht – – – der Satz wurde unendlich weit ausgesponnen, denn Latte wünschte seinen Trumpf nicht gegen einen solchen Gegner auszuspielen. Mr. King jedoch wünschte kein Aber, und Lattes Ausflüchte interessierten ihn nicht. Sie sollten sich an seine Meinung kehren. Knaben, die herumschlichen, herumkrochen – die versteckt lagen, außerhalb der Grenzen, selbst außerhalb der großmütig weit gesteckten Grenzen für den Naturwissenschaftlichen Verein, dem sie sich betrügerischerweise angeschlossen hatten, um ihn zum Deckmantel zu benutzen für ihre Schandtaten – ihre Laster – ihre Lumpereien – ihre Sünden.

»Im nächsten Augenblick geht er zu weit«, sagte Latte zu sich selbst. »Dann müssen wir ihn ‚rumkriegen, ehe er aufhört.«

Solche Knaben, Rauhbeine, moralisch Aussätzige, – der Strom seiner Worte riß King immer weiter fort – Verleumder, Lügner, Faultiere, ja, angehende Trunkenbolde – – –

Er arbeitete jetzt auf einen emphatischen Schluß hin, und die Jungen wußten das. M’Turk dämmte plötzlich den Sturzbach seiner Rede, und die andern echoten.

»Ich wende mich an den Direktor, Sir.«

»Ich wende mich an den Direktor, Sir.«

»Ich wende mich an den Direktor, Sir.«

Das war ihr zweifelloses Recht. Trunkenheit zog öffentliche Prügelstrafe und Relegierung nach sich. Man hatte sie dessen beschuldigt. Der Fall gehörte vor den Direktor, ganz allein vor den Direktor.

»Du hast an Cäsar appelliert, vor Cäsar sollst du kommen.« Sie hatten den Satz ein- oder zweimal vorher in ihrer Karriere gehört. »Trotz alledem«, sagte King, dem es unbehaglich wurde, »möcht‘ ich euch lieber raten, euch mit unserer Entscheidung zu begnügen, meine jungen Freunde.«

»Dürfen wir mit den andern zusammenbleiben, bis wir zum Direktor kommen, Sir?« fragte M’Turk seinen Hausmeister, ohne auf King zu achten. Die Situation erhielt auf einmal ihren erhabensten Anstrich. Und vor allem – es gab vorläufig keine Arbeit, denn die moralisch Aussätzigen wurden in strenger Quarantäne gehalten, und der Direktor fällte sein Urteil immer erst vierundzwanzig Stunden später.

»Schön – wenn ihr eben bei eurer trotzigen Haltung bleiben wollt«, sagte King mit einem verliebten Blick auf die Rohrstöcke unter Foxys Arm. »Da gibt’s keine andere Wahl.«

Zehn Minuten später war die Neuigkeit im ganzen Institut herum. Latte und Kompagnie waren schließlich doch hereingefallen – durch Trinken hereingefallen. Sie hatten getrunken. Total voll waren sie von einer Hütte zurückgekehrt. Sie lagen jetzt hoffnungslos betrunken auf dem Fußboden ihres Schlafzimmers. Ein paar kühne Geister schlichen sich herauf, um einmal nachzusehen und bekamen von den Verbrechern Stiefel an den Kopf.

»Jetzt haben wir ihn – haben ihn unters Kaudinische Joch gekriegt!« sagte Latte, nachdem sie den Neugierigen diese kleine Andeutung gemacht hatten. »King wird seine Anschuldigungen bis auf ’n i-Tipfel beweisen müssen.«

»Zu kitzliche Sache, wird vor Wut platzen«, zitierte Käfer aus einem Buche, das er gerade las. »Hab‘ ich’s nich‘ gesagt, er würd‘ sich schön ‚reinlegen, wenn wir nur ruhig abwarteten?«

»Und keine Arbeitsstunde außerdem, o ihr angehenden Trunkenbolde,« sagte M’Turk, »wo wir heut noch g’rad‘ die Mathematikarbeit haben. Hallo! Da ist unser teurer Freund Foxy. Noch mehr Foltern, Foxybus?«

»Ich hab‘ Ihnen was zu essen gebracht, junge Herren«, sagte der Sergeant hinter einem vollgepackten Speisebrett hervor. Ihre Kriege waren immer ohne Boß und Haß ausgekämpft worden, und in Foxy war der Verdacht aufgestiegen, daß Jungen, die sich so leicht hatten abfassen lassen, vielleicht doch noch etwas in Reserve haben mußten. Foxy hatte den irischen Aufstand mitgemacht, wo frühe und genaue Information viel wert war.

»Ich dachte daran, Sie haben ja nichts zu essen bekommen, und da sprach ich mit Gumbly, und er meinte, Sie wären nicht ganz vom Essen ausgeschlossen. Und deshalb hab‘ ich dies ‚raufgebracht. Dies is‘ Ihr Büchsenfleisch, na nich‘, Mr. Corkran?«

»Wahrhaftig, Foxy, Sie sind ’n anständiger Kerl«, sagte Latte. »Ich dacht‘ wirklich nicht, Sie hätten soviel – wie sagt man doch, Käfer?«

»Herz«, erwiderte Käfer prompt. »Schönen Dank, Sergeant. Das ist freilich dem kleinen Carter sein Büchsenfleisch.«

»Es war ein C drauf. Ich dacht‘, ’s gehörte Mr. Corkran. Das is‘ ’ne ganz ernste Geschichte, junge Herren, wahrhaftig ernst is‘ es. Ich kann’s nicht wissen, aber vielleicht, es kann ja doch noch was auf Ihrer Seite sein, was Sie Mr. King oder Mr. Prout noch nich‘ gesagt haben. Na nich‘?«

»Ist schon da. Massig, Foxybus.« Latte sprach mit vollem Munde.

»Dann dacht‘ ich mir, wenn das so is‘ – seh’n Sie – ich könnt‘ es vielleicht dem Herrn Direktor erzählen, so ganz ruhig, wenn er mich danach fragt. Ich muß ihm am Abend den Bericht bringen, und – die Sache sieht sehr schlimm aus.«

»Scheußlich schlimm, Foxy. Siebenundzwanzig Hiebe im Turnsaal vor der ganzen Schule, und dann geschaßt. Wein ist ein lustiger Spötter, Bier ein rasender Wüterich«, zitierte Käfer.

»Da is‘ gar nicht drüber zu spaßen, junger Herr. Ich muß mit dem Bericht zum Herrn Direktor. Na und – Sie haben’s wohl gar nicht gemerkt, wie ich Ihnen heut nachmittag nachgegangen bin, weil ich so meinen Verdacht hatte.«

»Saht Ihr meine Warnungstafel?« krächzte M’Turk, ganz mit dem irischen Akzent Oberst Dabneys. »Ihr habt Augen im Kopf. Sagt mir nicht etwa noch nein! Habt sie geseh’n!« sagte Käfer.

»Ein Sergeant! Läuft im Land ‚rum, um zu wildern, und hat seine Pension! Verdammt, ach verdammt!« fügte Latte mitleidslos hinzu.

»Gottsdunner!« schrie der Sergeant und ließ sich schwer auf ein Bett sinken, »wo – wo zum Deiwel haben Sie denn gesteckt? Ich hätt’s mir ja schon denken können, daß da irgend ’n Streich im Spiel war.«

»Oh, Sie schlauer Quatschkopf!« fuhr Latte fort, »wir sollten nich‘ gemerkt haben, wie ihr uns heut nachmittag nachgekommen seid – sollten nichts gemerkt haben? Habt wohl gedacht uns nachzuschleichen. Na, wir haben euch ‚reinfallen lassen, selbstverständlich. Oberst Dabney – halten Sie ihn nich‘ für’n netten Mann, Foxy? – Oberst Dabney is‘ unser lieber, spezieller Freund. Wochen und Wochen sind wir da schon hingegangen. Er hat uns eingeladen. Sie und Ihre Pflicht! verdammt noch mal, Ihre Pflicht, Sir! Ihre Pflicht war’s, von seinem Besitztum fernzubleiben.«

»Sie werden nie mehr den Kopf hoch tragen können, Foxy. Die Füchse werden Ihnen nachschreien«, meinte Käfer. »Denken Sie an Ihr wackliges Ansehen.«

Der Sergeant sann trübselig nach.

»Seh’n Sie mal, junge Herren,« sagte er ernst, »Sie werden’s doch nicht erzählen wollen, na nich‘? waren nich‘ Mr. Prout und Mr. King auch dabei?«

»Selbstverständlich, Foxybuskulus. Die auch – ganz scheußlich. Haben’s viel schlimmer gekriegt als Sie. Wir haben jedes Wort gehört. Sie sind noch ziemlich gut weggekommen, wenn ich Oberst Dabney gewesen wär‘ – wahrhaftig, ich hätt‘ euch alle eingespunnt. Ich denk‘, ich werd’s ihm morgen mal vorschlagen.«

»Und die ganze Geschichte kommt nu‘ vor’n Herrn Direktor. O du grundgütiger Herrgott!«

»Jedes lump’ge Wort davon, mein Chingangook«, sagte Käfer und tanzte herum. »Warum auch nich‘? Wir haben nichts Schlimmes getan, wir sind keine Wilddiebe, wir sind nich‘ ‚rumgegangen und haben den Charakter von armen, unschuldigen Jungen ‚runtergemacht und gesagt, sie wären betrunken.«

»Das hab‘ ich nich‘ getan«, verteidigte sich Foxy. »Ich hab‘ man bloß gesagt, Sie sind sehr komisch gewesen, als Sie mit dem Dachs zurückkamen. Mr. King kann das ja falsch verstanden haben.«

»Natürlich hat er’s falsch verstanden, und er wird ganz gemütlich die ganze Blamage auf Sie schieben, wenn er merkt, er hat unrecht. Wir kennen King, wenn Sie ihn nicht kennen. Ich schäme mich in Ihrer Seele. Sie taugen nich‘ mehr dazu, Sergeant zu sein«, sagte M’Turk.

»Nich‘ bei drei durchgängerischen jungen Deiwels, wie Sie – da nich‘. Ich bin schön an der Nase geführt worden. Ich bin schön angeschmiert worden. Schockschwerebrett – ich bin ‚reingelegt worden, und jetzt, nach der Geschichte, soll mal erst einer die Füchse im Zaum halten. Na, und dann, der Direktor wird mich noch mit ’nem Brief zum Oberst Dabney schicken und fragen, ob das wahr is‘, was Sie da von eingeladen sagen.«

»Dann werden Sie diesmal besser tun, durchs Tor ‚reinzugehen, anstatt Jagd auf Ihre verdammten Bengels zu machen – oh, das war die Epistel an King – so war’s. Na, Foxy?« Latte stützte das Kinn in die Hände und betrachtete sein Opfer mit höchstem Entzücken.

»Ti–ra–la–la–i–tu!« sagte M’Turk. »Foxy hat uns Tee gebracht, trotzdem wir moralisch Aussätzige sind. Foxy hat Herz. Foxy hat auch in der Armee gedient.«

»Ich wünscht‘ bloß, ich hätt‘ sie in meiner Kompagnie gehabt, junge Herren«, sprach der Sergeant aus der Tiefe seines Herzens heraus, »ich hätt‘ sie schön gezwiebelt.«

» Silentium, schleuniges Kriegsgericht!« fuhr M’Turk fort. »Ich verteidige den Gefangenen; und außerdem, das ist eine viel zu gute Geschichte, um sie der andern Bande im Institut zu erzählen. Sie würden sie nie verstehen. Sie spielen Kricket und sagen ›Ja, Sir‹ und ›Nein, Sir‹ und ›Oh, Sir‹.«

»Laß‘ das doch! Mach‘ weiter!« sagte Latte.

»Schön, Foxy ist ein guter Kerl, wenn er sich nur nicht einfallen läßt, sich für schlau zu halten.«

»Geh‘ nicht auf die Jagd an einem stark windigen Tage«, fiel Latte ein. »Mir macht’s nichts, wenn ihr ihn laufen laßt.«

»Mir auch nicht«, erklärte Käfer. »Huftier allein ist meine Freude – Huftier und King.«

»Ich mußte es doch tun«, sprach der Sergeant kläglich.

»Ganz richtig! wenn dich die bösen Buben – oder – oder so ungefähr kann man sagen. Sie sind mit einem Tadel entlassen, Foxy. wir werden nichts davon erzählen. Ich schwöre, wir werden’s nicht«, schloß M’Turk. »Es würde sonst schlimm um die Schuldisziplin bestellt sein. Scheußlich schlimm!«

»Schön,« sagte der Sergeant und packte das Teegeschirr zusammen, »wie ich die jungen Dei… Herren vom Institut kenne, freut’s mich, das zu hören, was soll ich aber dem Herrn Direktor sagen?«

»Was Sie grad‘ mögen, Foxy. Wir sind die Verbrecher nicht.« –

Zu sagen, daß der Direktor verdrießlich war, als Foxy nach dem Essen erschien, um den Kriminalfall des Tages zu rapportieren, wäre milde ausgedrückt.

»Corkran, M’Turk und Kompanie, na ja! wie gewöhnlich unzertrennlich. Hallo! was, zum Teufel, heißt das? Verdächtig, zu trinken. Wessen Anzeige?«

»Mr. Kings, Sir. Ich faßte sie außerhalb der Grenzen ab; wenigstens sah die Sache so aus. Aber es steckt noch was dahinter, Sir.« – Der Sergeant war in sichtlicher Verwirrung.

»Nur weiter«, sagte der Direktor. »Sagen sie nur, was Sie denken.«

Er und der Sergeant kannten sich nun schon gegen sieben Jahre, und der Direktor wußte, daß Mr. Kings Behauptungen sehr von Mr. Kings Launen abhingen.

»Ich dachte, sie wären außerhalb der Grenzen an den Klippen. Aber nu‘ kommt’s ‚raus, daß es gar nich‘ so war. Ich sah sie in Oberst Dabneys Wald gehen, und Mr. King und Mr. Prout kamen auch da entlang, und – die Sache war, Sir, wir wurden von Oberst Dabneys Leuten als Wilddiebe festgenommen – Mr. King und Mr. Prout und ich. Es gab ’n paar Worte, Sir, auf beiden Seiten. Die jungen Herren flitzten irgendwie nach Hause und sie schienen sehr lustig, Sir. Mr. King wurde von Oberst Dabney selbst ‚rangekriegt, und Oberst Dabney ist ’n bißchen heftig. Und dann zogen sie’s vor, gleich zu Ihnen zu kommen, Sir, wegen – wegen, was Mr. King vielleicht in Mr. Prouts Zimmer über ihre Gewohnheiten gesagt hat. Ich hab‘ man bloß gesagt, sie wären sehr lustig und lachten und grinsten und wären ’n bißchen ausgelassen. Sie haben mir hernacher erzählt, Sir, ganz lustig, Oberst Dabney hätt‘ sie eingeladen gehabt, in seinen Wald zu kommen.«

»Aha! Natürlich haben sie das ihrem Hausmeister nicht gesagt.«

»Sowie Mr. King was von ihren – Gewohnheiten sagte, sagten sie, sie wollten sich an Sie wenden, Sir. Fingen gleich davon an, Sir, und fragten, ob sie ins Schlafzimmer gehen und auf Sie warten sollten. Ich hab‘ hernacher zu hören gekriegt, Sir, in ihrer lustigen Manier, daß sie irgendwie oder wodurch beinah‘ jedes Wort gehört haben, das Oberst Dabney zu Mr. King und Mr. Prout sagte, als er sie wie Wilddiebe vernahm. Ich hätt’s wissen können, wenn sie mit mir so umspringen, daß sie nichts Schlimmes ausgefressen hatten, ’s ist – ’s ist ’n offenbarer Streich, Sir, und sie sitzen jetzt im Schlafzimmer un‘ freuen sich drüber.«

Der Direktor durchschaute alles – bis zum kleinsten i-Tipfel, und sein Mund verzog sich etwas unter dem Schnurrbart.

»Schickt sie mir gleich her, Sergeant. Die Sache braucht nicht aufgeschoben zu werden.« »Guten Abend«, sagte er, als die drei unter Eskorte erschienen. »Ich brauche eure ungeteilte Aufmerksamkeit für ein paar Minuten. Ihr kennt mich jetzt fünf Jahre, und ich kenne euch – so gut wie fünfundzwanzig. Ich denke, wir verstehen einander vollkommen. Ich will euch jetzt eine ganz gehörige Aufmerksamkeit erweisen. (Bitte den Braunen, Sergeant. Danke. Sie brauchen nicht zu warten.) Ich werde euch jetzt ganz ohne Grund und Ursache bestrafen, Käfer. Ich weiß, ihr gingt auf Oberst Dabneys Gut, weil ihr eingeladen wart. Ich will nicht einmal den Sergeanten mit einem Brief hinschicken und fragen lassen, ob eure Behauptung wahr ist, denn ich bin überzeugt, daß ihr in diesem Fall streng bei der Wahrheit geblieben seid. Ich weiß auch, daß ihr nicht getrunken habt. (Du kannst diese tugendhafte Miene ablegen, M’Turk, oder ich fange an, zu fürchten, daß du mich nicht verstehst.) Es ist kein einziger Fleck auf eurem Charakter. Und deshalb begehe ich jetzt eine schreiende Ungerechtigkeit. Eure Ehre ist verletzt worden, nicht wahr? Ihr seid vor dem Hause blamiert worden, nicht wahr? Ihr achtet ganz besonders scharf auf das Ansehen eures Hauses, nicht wahr? Schön, jetzt werde ich euch eure Prügel verabfolgen.«

Sechs für jeden – das war hierauf ihre Portion.

»Und damit, denke ich« – der Direktor legte den Stock wieder zurück und warf die Anzeige in den Papierkorb – »ist die Sache erledigt. Wenn man auf etwas stößt, was vom Gewöhnlichen abweicht – die Lehre wird euch später im Leben einmal nützen – muß man ihm auch immer in ungewöhnlicher Weise entgegentreten. Da fällt mir noch was ein. Da liegt ein Stoß Bücher in jenem Fach. Ihr könnt sie euch borgen, wenn ihr sie wieder zurückbringt. Ich denke, sie werden keinen Schaden nehmen, wenn sie auch im Freien gelesen werden. Vielleicht riechen sie dann nach Tabak. Ihr geht heute abend wie gewöhnlich zur Arbeitsstunde. Gute Nacht!« sagte der wunderbare Mann.

»Gute Nacht, und danke schön, Sir!«

»Wahrhaftig, heut‘ abend will ich für den Direktor beten«, schwur Käfer. »Diese beiden letzten Hiebe waren gerade Klapse auf meinen Kragen. Unten im Fach liegt ein »Monte Christo«. Ich hab‘ ihn geseh’n. Famos, ’s nächste Mal gehn wir wieder nach Aves!«

»Famoser Mann!« sagte M’Turk. »Kein Arrest, keine Strafarbeiten. Keine verdammten Fragen. Alles in Ordnung. Hallo! Was hat King da bei ihm zu tun – King und Prout?«

Welcher Art nun dies Interview auch immer sein mochte, jedenfalls hatte es weder Kings noch Prouts zerrupftes Gefieder schöner gemacht, denn als sie aus dem Hause des Direktors herauskamen, bemerkten sechs Augen, daß der eine vor Aufregung rot und blau bis an die Nase war, und daß der andere verschwenderisch Schweiß vergoß. Dieser Anblick entschädigte sie vollkommen für das Strafgericht, das die beiden über sie hatten ergehen lassen. Es scheint – und wer war mehr darüber erstaunt als sie? – daß die beiden greifbare Tatsachen verschwiegen hatten. Die Jungen hatten sich suppressio veri und suggestio falsi zuschulden kommen lassen (wohlbekannte Götter, gegen die sie oft sündigten); sie waren ferner bösartig in ihren Neigungen, unzuverlässigen Charakters, verderblich und aufhetzend in ihrem Einfluß und verfallen den Teufeln des Eigensinns, Hochmuts und eines unerträglichen Selbstbewußtseins. Kurz und gut, sie mußten sich vorsehen und in acht nehmen.

Sie nehmen sich auch in acht, wie es nur Jungen können, die jemand was am Zeuge flicken wollen. Sie warteten eine ganz unerträgliche Woche lang, bis Prout und King wieder ihr königliches Selbst erlangt hatten, warteten, bis ein Kricketmatch ihres eigenen Hauses stattfand, an dem auch Prout teilnahm, warteten ferner, bis er sich im Zelt die Kissen vor die Knie geschnallt hatte und bereit stand, vorwärts zu gehn. King war am Fenster und schrieb auf, und die drei saßen draußen auf einer Bank.

Da meinte Latte zu Käfer: »Na, Käfer, quis custodiet ipsos custodes?«

»Was fragst mich?« entgegnete Käfer. »Ich will nichts privatim mit dir zu tun haben. Du kannst so privat sein wie du willst, auf der andern Seite von der Bank, und ich wünsch‘ dir ’nen schönen guten Abend.«

M’Turk gähnte.

»Ihr hättet wie Christenmenschen ans Tor kommen sollen, statt nach euren – hm – Bengels kreuz und quer durch meinen Grund zu jagen. Ich denk‘, diese Spiele sind einfach Quatsch. Wir wollen zu Oberst Dabney ‚rübergehn und seh’n, ob er wieder ’n paar Wilddiebe abgefaßt hat.«

An diesem Nachmittag herrschte Freude in Aves.

  1. Unübersetzbares Wortspiel. Turkey – Truthahn.