Zweites Kapitel.

»Ich bin nicht ärgerlich über das britische Publikum, aber ich wünsche doch, wir hätten hier einige Tausend davon zwischen den Felsen zerstreut; sie würden dann gewiß nicht in solcher Eile sein, ihre Morgenzeitung zu erhalten. Könnt Ihr Euch den pedantischen Hausherrn – den Freund der Gerechtigkeit, den ständigen Leser, Paterfamilias und all das Zeug – vorstellen, schmorend auf heißem Kies?«

»Mit einem blauen Schleier über seinem Haupte und zerrissenen Kleidern. Hat irgend jemand hier eine Nadel? Ich habe ein Stück von einem Zuckersack bekommen.«

»Ich will Ihnen eine Stecknadel leihen für sechs Quadratzoll davon. Meine beiden Kniee sind durchgescheuert.«

»Weshalb nicht gleich sechs Quadrat-Acres, da Sie doch einmal beim Fordern sind? Doch leihen Sie mir die Nadel, und ich will sehen, was ich mit dem Fetzen anfangen kann. Ich glaube nicht, daß genug davon vorhanden ist, um meinen königlichen Leib gegen den kalten Zug zu beschützen, der augenblicklich weht. Was machen Sie denn mit Ihrem ewigen Skizzenbuche, Dick?«

»Studien von unserem Spezialkorrespondenten, seine Hosen ausbessernd,« antwortete Dick ernsthaft, während der andere Mann ein Paar sehr abgetragener Reithosen hervorzog und anfing, ein viereckiges Stück grober Sackleinwand auf die am meisten sichtbaren offenen Stellen zu setzen. Er murrte entmutigt, als sich die ungeheure Ausdehnung des leeren Raumes vor ihm entfaltete.

»Kaffeesäcke, in der That! Heda! Du, Lotse dort, leihe mir die sämtlichen Segel Deines Walfischbootes!«

Ein mit einem Fez bedeckter Kopf richtete sich in den Sternschooten auf, in zwei genau gleich große Hälften durch ein aufblitzendes Grinsen geteilt, und verschwand dann wieder. Der Mann mit den beschädigten Hosen, nur mit einem Norfolk-Jaquet und einem grauen Flanellhemd bekleidet, fuhr mit seiner Näharbeit fort, während Dick über seiner Skizze kicherte.

Einige zwanzig Walfischboote lagen mit der Nase auf einer Sandbank, die mit sich badenden oder ihre Kleider waschenden englischen Soldaten von einem halben Dutzend Corps bedeckt war. Ein Haufen von Bootwalzen, Kommissariatskisten, Zuckersäcken, Mehl- und Munitionskisten für Handfeuerwaffen zeigte, wo eins der Walfischboote gezwungen gewesen war, hastig seine Ladung zu löschen; ein Regimentszimmermann fluchte laut, als er versuchte, mit einem gänzlich unzureichenden Stück Zinn die von der Sonne ausgedörrten offenen Fugen des Bootes zu verstopfen.

»Erst bricht das verflixte Ruder ab,« sagte der Mann vor sich hin, »dann geht der Mast zum Henker, und zuletzt öffnet sich das Boot wie ein hahnenäugiger chinesischer Lotus!«

»Genau der Fall wie mit meinen Hosen,« sagte der Nähende, ohne aufzublicken. »Dick, ich bin wirklich neugierig, wann ich wieder einen anständigen Laden zu Gesicht bekommen werde.«

Er erhielt keine Antwort, nur das unaufhörliche starke Murmeln des Nil ließ sich hören, der um die Basaltufer einer Biegung strömte und eine halbe Meile stromaufwärts über ein Felsriff schäumte. Es war, als ob die braune Masse des Flusses die weißen Männer in ihr eigenes Land zurücktreiben wollte. Der unbeschreibliche Geruch des Nilschlammes verkündete, daß der Strom im Fallen begriffen sei und daß es für die Walfischboote keine leichte Arbeit sein würde, die nächsten paar Meilen zu überwinden. Die Wüste stieg bis zu den Ufern hinab, wo zwischen grauen, roten und schwarzen Hügeln ein Kamelcorps lagerte. Niemand durfte es wagen, auch nur für einen Tag die Fühlung mit den langsam sich vorwärts bewegenden Booten zu verlieren; seit Wochen hatte kein Gefecht stattgefunden und während der ganzen Zeit der Nil ihnen viel zu schaffen gemacht. Eine Stromschnelle war der andern gefolgt, ein Fels dem andern und Inselgruppe auf Inselgruppe, bis die ganze Kolonne seit langem jede Berechnung bezüglich der Richtung und beinahe auch der Zeit verloren hatte. Sie bewegten sich irgendwohin und wußten nicht, weshalb, und verrichteten Dinge, ohne zu wissen, was. Vor ihnen lag der Nil und am andern Ende desselben befand sich Gordon, kämpfend um sein teures Leben, in einer Stadt, genannt Khartum. In der Wüste, oder in einer der zahlreichen Wüsten, marschirten Kolonnen britischer Truppen, andere Kolonnen befanden sich auf dem Strome, während noch mehr Truppenkörper warteten, sich ebenfalls auf dem Flusse einzuschiffen; frische Fahrzeuge warteten in Assiut und Assuan; Lügen und Gerüchte waren von Suakim bis zum sechsten Katarakt über die ganze Ausdehnung des hoffnungslosen Landes verbreitet, und man vermutete allgemein, daß irgend jemand an der Spitze stehen müsse, welcher den Generalplan aller dieser mannigfachen Bewegungen dirigire. Die Aufgabe dieser besonderen Flußkolonne war, die Walfischboote flott auf dem Wasser zu erhalten, zu verhindern, daß die Ernte der Dorfbewohner niedergetreten werde, wenn die Leute die Boote mit Tauen von der Mitte des Stromes ans Ufer zogen, drittens so viel Schlaf und Nahrung als möglich zu sich zu nehmen und vor allem ohne Aufenthalt so weit als möglich den sprudelnden Nil aufwärts vorzudringen.

Mit den Soldaten gemeinschaftlich schwitzten und plagten sich die Korrespondenten der verschiedenen Zeitungen; sie waren meistens ebenso unwissend als ihre Gefährten über das, was vorging. Aber es war vor allen Dingen absolut notwendig, daß England beim Frühstück sich unterhielt, zitterte und sich interessirte, ob Gordon lebte oder tot sei, oder die Hälfte der britischen Armee im Wüstensande zu Grunde gegangen. Der Feldzug im Sudan war ein pittoresker und eignete sich vortrefflich dazu, eine Schilderung mit Worten durch Skizzen zu beleben, hin und wieder richtete ein Spezialkünstler es so ein, daß er erschlagen wurde – was nicht immer gerade ein Nachteil für das Blatt war, das ihn angestellt hatte – und noch häufiger bot der Verlauf der meistens aus Handgemengen bestehenden Gefechte Gelegenheit, wunderbare Rettungen und merkwürdiges Entrinnen, zu achtzehn Pence das Wort, nach der Heimat zu telegraphiren. Bei den verschiedenen Corps und Kolonnen gab es Korrespondenten aller Art, von den Veteranen, die der Kavallerie bei der 1882 ausgeführten Einnahme von Kairo, als Arabi-Pascha sich selbst noch König nannte, auf dem Fuße gefolgt waren, und dann die ersten elenden Schanzen rings um Suakim gesehen hatten, wo die Schildwachen des Nachts aufgehoben und ermordet wurden – von diesen Veteranen bis zu den telegraphisch berufenen jungen Korrespondenten, die an Stelle von getöteten oder invalid gewordenen, besseren Leuten treten, sollten.

Zu diesen Senioren, die jeden oft überraschenden Wechsel in den Posteinrichtungen ebenso gut kannten wie den Wert des elendesten Karrengauls in Kairo oder Alexandrien, die es verstanden, einen Telegraphenbeamten bis zur Liebenswürdigkeit zu bringen und die geräuschvolle Eitelkeit eines frisch ernannten Offiziers des Stabes zu besänftigen, wenn die Bestimmungen über die Presse zu lästig wurden – zu diesen Senioren gehörte auch der Mann im Flanellhemde, der schwarzhaarige Torpenhow. Er repräsentirte im Feldzuge das Central Southern Syndikat, wie er dasselbe bereits im ägyptischen Kriege und anderswo repräsentirt hatte. Das Syndikat befaßte sich selbst nicht besonders mit Kritiken über Attaken und dergleichen. Es sorgte für die Unterhaltung der Massen, und alles, was es verlangte, waren Skizzen und zahlreiche Einzelheiten; denn in England ist mehr Freude über einen Soldaten, der subordinationswidrig aus dem Carré heraustritt, um einen Kameraden zu befreien, als über zwanzig Generale, die mit den einfältigen Details des Transportes und der Verpflegung sich abquälen, bis sie kahlköpfig werden. Er hatte in Suakim einen jungen Mann angetroffen, der auf dem Rande einer vor kurzem verlassenen Redoute saß, die etwa die Gestalt einer Hutschachtel hatte, und einen Haufen von Leichen skizzirte, die, von Granaten zerrissen, auf der mit Kies bedeckten Ebene lagen.

»Für wen sind Sie hier?« fragte Torpenhow. Die Begrüßung eines Korrespondenten gleicht derjenigen eines Geschäftsreisenden auf der Landstraße. »Auf eigene Hand,« antwortete der junge Mann, ohne aufzublicken, »Haben Sie etwas Tabak?«

Torpenhow wartete, bis die Skizze beendigt war, und als er dieselbe betrachtet, sagte er: »Was für eine Beschäftigung haben Sie hier?«

»Gar keine; es bot sich mir Gelegenheit zu einer Ruderfahrt dar, und so kam ich her. Man nahm an, daß ich hier unten etwas an den gemalten Streifen der Boote zu thun hatte, oder auch beauftragt sei, den Kondensator auf einem der Wasserschiffe zu beaufsichtigen. Ich habe vergessen, auf welchem.«

»Sie haben Keckheit genug, um überall durchzukommen,« sagte Torpenhow und nahm die Skizzenmappe seines neuen Bekannten auf. »Zeichnen Sie immer so wie das hier?«

Der junge Mann zeigte ihm noch andere Skizzen.

»Ruderfahrt auf einem chinesischen Schweineboot,« sagte er erläuternd, ihm eine der Zeichnungen zeigend, »Obersteuermann, erdolcht von einem Comprador. – Dschunke an der Küste von Hakodate. – – Ein Somali-Maultiertreiber, der gepeitscht wird. – Eine Granate, über dem Lager von Berbera platzend. – Sklaven-Dhau in der Tajurrah-Bai gejagt. – Ein toter Soldat im Mondlicht außerhalb Suakims, die Kehle von Fuzzies durchgeschnitten.«

»Hm!« sagte Torpenhow, »kann gerade nicht behaupten, daß ich Werestschagin besonders liebe; aber über den Geschmack kann man nicht streiten, haben Sie jetzt irgend etwas zu thun?«

»Nein, ich amüsire mich hier.«

Torpenhow betrachtete die schreckliche Trostlosigkeit des Platzes.

»Wahrlich, Sie haben sonderbare Ansichten über Amusement. Haben Sie noch Geld?«

»Genug, um weiter zu gehen. Doch wohlan; können Sie mich für Kriegsarbeit gebrauchen?«

»Ich nicht, doch mein Syndikat vielleicht, Sie können mehr als ein bißchen zeichnen und ich vermute, Sie bekümmern sich nicht viel darum, was Sie bekommen können, nicht wahr?«

»Jetzt nicht. Ich warte auf die erste günstige Gelegenheit.«

Torpenhow betrachtete nochmals die Skizzen und nickte mit dem Kopfe, »Ja, Sie haben recht, Ihre erste günstige Gelegenheit zu benützen, wenn Sie eine ergreifen können.«

Er ritt schnell davon durch das Thor der »Zwei Kriegsschiffe«, klapperte über den Damm in die Stadt und telegraphirte an sein Syndikat: »Einen Mann hier gefunden, Maler. Gut und billig. Soll ich Sache arrangiren? Wird Skizzen liefern!«

Der Mann auf der Redoute saß da, mit den Beinen schlenkernd, und murmelte:

»Ich wußte, daß die Gelegenheit kommen würde, früher oder später. Bei Gott! Sie sollen schwitzen dafür, wenn ich lebendig aus diesem Geschäfte hier davonkomme!«

An demselben Abende war Torpenhow im stande, seinem jungen Freunde anzukündigen, daß die Central Southern Agentur willens sei, ihn aus Probe anzunehmen und alle Unkosten für die nächsten drei Monate zu bezahlen. »Und, beiläufig, wie ist Ihr Name?« fragte Torpenhow.

»Heldar. Laßt man mir freie Hand?«

»Man hat Sie auf Risiko angenommen; es ist an Ihnen, diese Wahl zu rechtfertigen. Sie würden besser thun, sich an mich anzuschließen. Ich gehe mit einer Kolonne das Land aufwärts, und will für Sie thun, was ich kann. Geben Sie mir einige von Ihren Skizzen, die Sie hier gemacht haben, ich will sie den Leuten hinschicken.« Zu sich selbst sagte er: »Das ist der beste Handel, den die Central Southern jemals gemacht hat; und sie hatten mich selbst doch billig genug bekommen.«

So ereignete es sich denn, daß, nachdem er einige Einkäufe von Pferdefleisch und finanzielle wie politische Arrangements getroffen, Dick als Geselle freigesprochen wurde von der »Neuen und Ehrenwerten Brüderschaft« der Kriegskorrespondenten, die alle das unveräußerliche Recht besitzen, so viel zu arbeiten, wie sie können und dafür so viel zu empfangen, wie es der Vorsehung und ihren Prinzipalen beliebt, ihnen zu geben. Zu diesen Vorrechten kommt noch die Macht hinzu, so eindringlich zu sprechen, daß weder Mann noch Weib widerstehen können, wenn es sich um eine Mahlzeit oder ein Bett handelt; ferner besitzt er das Auge eines Roßtäuschers, das Geschick eines Kochs, die Konstitution eines Stieres, die Verdauung eines Straußen und eine unbegrenzte Fähigkeit, sich allen Verhältnissen anzupassen. Indes sterben manche, bevor sie es zu diesem Grade von Vollkommenheit gebracht haben, und die Meister in der Kunst erscheinen meistenteils in elegantem Anzuge, wenn sie wieder in England sind, wodurch natürlich ihr Ruhm der großen Menge verborgen bleibt.

Dick folgte Torpenhow überall, wohin es dessen Phantasie beliebte, ihn zu führen, und sie fertigten zu zweien manche Arbeit an, die meistens sie selbst sehr befriedigte. Es war in keiner Hinsicht ein leichtes, gemächliches Leben, das sie führten, doch wurden sie durch dasselbe wirklich innig zu einander hingezogen; denn sie aßen aus derselben Schüssel, teilten dieselbe Wasserflasche mit einander und schickten, was sie am meisten verband, zusammen ihre Postsendungen ab. Dick war es, dem es gelang, einen Telegraphenbeamten in einer Palmenhütte, weit jenseits des zweiten Kataraktes, gewaltig betrunken zu machen und sich dann, während der Mann selig auf dem Fußboden lag, in den Besitz einiger mühsam erlangten, geheimen Informationen zu setzen, die von einem vertrauten Korrespondenten eines konkurrirenden Syndikates abgesandt worden waren. Er fertigte ein sorgfältiges Duplikat des Berichtes an und brachte Torpenhow das Resultat seiner Arbeit; der sagte, alles sei erlaubt in der Liebe oder in der Kriegskorrespondenz, und fertigte dann einen vortrefflichen Artikel aus seines Nebenbuhlers wortreichem Aufsatz an. Torpenhow war es – doch die Erzählung ihrer Abenteuer, gemeinschaftlicher und einzelner, von Philae bis zu der weiten Wildnis von Herawi und Muella, würde Bücher anfüllen. Sie waren Seite an Seite in einem Carré eingeschlossen gewesen, in der größten Gefahr, von den aufgeregten Soldaten erschossen zu werden; sie hatten in der kalten Dämmerung mit den Bagagekamelen gekämpft; sie waren in der blendenden Sonne auf unermüdlichen, kleinen ägyptischen Pferden schweigend dahingetrabt, und sie hatten sich abgemüht auf den Untiefen des Nils, wenn die Walfischboote, in denen sie einen Platz gefunden, auf einen verborgenen Felsen stießen und die Hälfte ihrer Bodenplanken aufgerissen wurde.

Jetzt saßen sie auf der Sandbank, während die Walfischboote die Nachzügler der Kolonne heranbrachten.

»Ja,« sagte Torpenhow, als er die letzten ungeschickten Stiche in seinen schon lange vernachlässigten Kleidern anbrachte, »es war eine schöne, herrliche Beschäftigung, die wir gehabt.«

»Das Flicken oder der Feldzug?« fragte Dick. »Ich, meinerseits, halte nicht besonders viel von beiden.«

»Sie wollen den ›Euryalus‹ bis oberhalb des dritten Kataraktes hinaufgebracht haben, nicht wahr? und Einundachtzig-Tonnen-Geschütze nach Jakdul? Nun, was mich anbetrifft, so bin ich sehr befriedigt über meine Hosen.« Er drehte sich ganz ernsthaft um sich selbst, um seine Person zu zeigen, auf die Art, wie es die Clowns machen.

»Es ist wirklich sehr hübsch, besonders die Buchstaben auf dem Sacke: G. B. T. ›Gouvernements-Büffel-Train‹. Das ist ein Sack aus Indien.«

»Es sind die Anfangsbuchstaben meines Namens: Gilbert Belling Torpenhow. Ich stahl das Zeug nur deswegen. Was für Unheil stiftet denn das Kamelcorps dort hinten an?« Torpenhow beschattete seine Augen mit der Hand und blickte über den Kies.

Ein Horn ertönte aus aller Macht; die Leute am Ufer liefen zu ihren Waffen und ihrer Ausrüstung.

»Eingeborene Soldaten beim Baden überrascht,« bemerkte Dick ruhig. »Erinnern Sie sich des Gemäldes? Es ist von Michel Angelo; alle Anfänger kopiren es. Der Kies wimmelt von lauter Feinden.«

Der Befehlshaber des Kamelcorps am Ufer schrie der Infanterie zu, sich mit ihm zu vereinigen, während ein heiseres Geschrei stromabwärts verkündete, daß die Nachzügler der Kolonne von dem Ueberfalle Wind bekommen hatten und sich beeilten, an dem Gefechte teilzunehmen. So plötzlich wie eine Fläche ruhigen Wassers vom Winde gekräuselt wird, so rasch belebten sich die felsigen Höhen und die mit Gesträuch bedeckten Hügel mit bewaffneten Männern. Glücklicherweise standen diese letzteren eine Zeit lang ziemlich entfernt und begnügten sich, laut zu schreien und lebhaft zu gestikuliren; ein Mann hielt ihnen sogar eine lange Rede. Das Kamelcorps feuerte nicht; die Soldaten waren sehr froh, einen Augenblick verschnaufen zu können, bis eine Art von Carré formirt werden konnte. Die Leute auf der Sandbank liefen dorthin und stellten sich seitwärts auf, während die Walfischboote, als sie bis auf Rufweite sich herangequält hatten, am nächsten Ufer anlegten und alle Gesunden ausschifften, nur die Kranken und einige Leute au Bord behaltend, um die Boote zu bewachen. Der arabische Redner hatte seine Ansprache beendigt, worauf seine Gefährten ein fürchterliches Geheul ausstießen.

»Sie sehen gerade so aus wie die Leute des Mahdi,« sagte Torpenhow, sich Bahn machend in das Gedränge des Carrés hinein, »aber wie viel Tausende von ihnen sind dort! Die Stämme hier aus der Umgegend sind uns nicht feindlich gesinnt, so viel ich weiß.«

»Dann haben die Truppen des Mahdi wieder eine Stadt eingenommen,« erwiderte Dick, »und alle diese bellenden Teufel losgelassen, um uns aufzufressen. Leihen Sie mir Ihr Glas.«

»Unsere Späher hätten uns von dieser Geschichte benachrichtigen sollen. Wir sind in eine Falle geraten,« bemerkte ein Subalternoffizier. »Werden denn die Kanonen des Kamelcorps nicht bald zu feuern anfangen? Rasch, ihr Leute, beeilt euch!«

Es bedurfte gar keines Befehles hierzu. Die Soldaten flogen von selbst keuchend nach den Seiten des Carrés, denn sie wußten nur zu gut, daß diejenigen, welche sich außerhalb desselben befanden, wenn das Gefecht begann, sehr wahrscheinlich auf eine außerordentlich unangenehme Weise getötet würden. Die kleinen, hundertundfünfzig Pfund schweren Geschütze des Kamelcorps, die an den Ecken des Carrés aufgestellt waren, eröffneten den Ball, als das Carré sich nach rechts vorwärts bewegte, um Besitz von einem kleinen Erdhügel auf dem ansteigenden Boden zu nehmen. Alle hatten auf diese Art bereits manchesmal gefochten, es war demnach nichts Neues mehr für die Soldaten; stets dieselbe heiße und erstickende Formation, der Geruch von Staub und Leder, derselbe plötzliche, blitzartige Ansturm des Feindes, dasselbe Gedränge und Drücken auf der schwächsten Seite des Carrés, einige Minuten lang ein verzweifeltes Handgemenge und darauf das Schweigen der Wüste, nur unterbrochen von dem Geschrei derjenigen, welche die Handvoll Kavallerie zu verfolgen versuchte. Die Leute waren sorglos geworden. Die Geschütze ließen in Zwischenpausen ihre Stimme ertönen, während das Carré inmitten der widerspenstigen Kamele langsam vorrückte. Darauf kam der Angriff von dreitausend Mann, die nicht aus Büchern gelernt hatten, daß es für eine undisziplinirte Truppe unmöglich ist, in geschlossener Ordnung ein mit Hinterladern bewaffnetes Carré anzugreifen. Einige wenige vereinzelte Schüsse verkündeten ihre Annäherung; einige Reiter führten die Angreifer an, doch die Masse des Feindes bestand aus nackten Menschen, wahnsinnig vor Wut, mit Speer und Schwert bewaffnet. Der Instinkt der Wüste, in der stets Krieg geführt wird, sagte ihnen, daß die rechte Flanke des Carrés die schwächste sei, denn sie schwenkten von der Front ab. Die Kamelkanonen beschossen sie, als sie vorüberstürmten, und öffneten für einen Augenblick förmliche Straßen mitten durch sie hindurch, ähnlich den sich rasch schließenden Durchblicken, wenn ein Eisenbahnzug bei einem Hopfengarten vorüber saust, während das Gewehrfeuer der Infanterie, bis zum günstigsten Augenblick zurückgehalten, sie in dichten Massen zu Hunderten über den Haufen warf. Keine zivilisirten Truppen der Welt hätten die Hölle ertragen, durch welche die Araber des Mahdi kamen, die Ueberlebenden hoch aufspringend, um die Sterbenden zu vermeiden, die sich an ihre Fersen anklammerten, die Verwundeten verfluchend und nur vorwärts stürzend, bis sie – gleich einem schwarzen Strom – wie das über einen Mühlendamm gleitende Wasser – auf die rechte Flanke des Carrés sich warfen. Dann verschwand die Linie der mit Staub bedeckten Soldaten und der hellblaue Himmel der Wüste über ihnen in dem aufwallenden Rauche, während die kleinen Steine auf dem erhitzten Boden und die zu Zunder gedörrten Haufen von Gestrüpp zu Gegenständen des größten Interesses wurden, denn sterbende Männer suchten hinter denselben Schutz und einen Augenblick Erholung, sich mechanisch einen Weg hauend durch die Zweige und hinter den Steinen sich verbergend. Der ganze Kampf zeigte nicht die mindeste Ähnlichkeit mit einem vorher geplanten, regelrechten Gefechte. Soviel die Soldaten aus Erfahrung wußten, würde der Feind versuchen, alle vier Seiten des Carrés zu gleicher Zeit anzugreifen; ihre Aufgabe bestand deshalb darin, alles zu vernichten, was vor ihrer Front sich befand, mit dem Bajonett diejenigen von hinten niederzustoßen, die über sie hinweggesprungen, um noch sterbend ihren Feind niederzureißen, bis irgend ein Gewehrkolben denselben den Kopf zerschmetterte.

Dick wartete ruhig mit Torpenhow und einem jungen Arzte, bis das Gedränge unerträglich wurde. Es bestand gar keine Hoffnung, den Verwundeten Beistand leisten zu können, bis der Angriff abgeschlagen sein würde, daher bewegten sich die drei Männer allmälich nach der schwächsten Flanke hin. Plötzlich erfolgte ein Ansturm von außen, das kurze »Huf-Huf« der Speerstöße ließ sich vernehmen, während ein Mann zu Pferde, gefolgt von dreißig bis vierzig anderen, schreiend und hauend durchbrach. Die rechte Flanke des Carrés zog sich hinter ihnen wieder zusammen, während die anderen Seiten Unterstützung sandten. Die Verwundeten, die wußten, daß sie nur noch wenige Stunden zu leben hatten, packten die Feinde an den Füßen und rissen sie von den Pferden oder schleppten sich zu einem fortgeworfenen Gewehre und feuerten blindlings in das Handgemenge, das im Zentrum des Carrés wütete. Dick war sich bewußt, daß ihn jemand heftig durch den Helm auf den Kopf gehauen, daß er seinen Revolver auf einen Schwarzen abgefeuert hatte, dessen mit Schaum bedecktes Gesicht keinem menschlichen Antlitze mehr ähnlich sah, und daß Torpenhow unter einem Araber niedergesunken war, den er versucht hatte, beim Kragen zu packen und zu Boden zu werfen, und sich nun mit seinem Gefangenen herumwälzte, nach des Mannes Augen tastend. Der Doktor focht auf gut Glück mit einem Bajonett, wahrend ein helmloser Soldat über Dicks Schulter feuerte, so daß die umherfliegenden Pulverkörner ihn in die Wange stachen. Dick wandte sich aus Instinkt Torpenhow zu. Der Repräsentant Central Southern Syndikates hatte sich selbst seinen Gegner abgeschüttelt und erhob sich gerade, seinen Daumen an den Hosen abwischend. Der Araber, beide Hände vor die Stirn haltend, brüllte laut, dann ergriff er seinen Speer und stürzte auf Torpenhow zu, der, unter dem Schutze von Dicks Revolver, keuchend dastand. Dick feuerte zweimal, worauf der Mann langsam zusammenbrach; in seinem aufwärts gekehrten Gesichte fehlte ein Auge. Das Gewehrfeuer verdoppelte sich, doch mischten sich bereits Hurrarufe in dasselbe. Der Angriff war mißlungen, der Feind befand sich auf der Flucht. Wenn es im Innern des Carrés wie in einer Fleischbank aussah, so glich der Boden rings um dasselbe einem Metzgerladen. Dick drängte sich durch die rasenden Leute. Der Rest des Feindes zog sich zurück, als die wenigen – wirklich sehr wenig zahlreichen – englischen Kavalleristen die Zögernden über den Haufen ritten.

Jenseits der Reihen von Toten lag ein breiter, blutbefleckter arabischer Speer, auf der Flucht fortgeworfen, über einem Baumstumpf, und hinter diesem Gestrüppe, dehnte sich die unbegrenzte dunkle Fläche der Wüste aus. Die Sonne schien auf den Stahl der Lanzenspitze und verwandelte dieselbe in eine rote Scheibe. Jemand hinter ihm sagte: »Ah, geh fort, Du Vieh!« Dick erhob seinen Revolver und zielte in die Wüste hinaus; sein Auge wurde gefesselt durch den roten Fleck in der Entfernung, und der Lärm um ihn her schien zu einem weit entfernten Flüstern herabzusinken, gleich dem Flüstern am Strande eines ruhigen Meeres. Da war der Revolver und das rote Licht, während die Stimme von irgend jemand etwas fortscheuchte, genau so, wie es irgendwo schon früher einmal vorgefallen war, wahrscheinlich in einem vergangenen Leben, Dick wartete, was weiter sich wohl ereignen würde. In seinem Kopfe schien etwas zu krachen, und einen Augenblick stand er im Finstern – eine Finsternis, die stach. Er schoß aufs Geratewohl; die Kugel flog hinaus in die Wüste, während er murmelte: »Mein Ziel gefehlt. Jetzt sind keine Patronen mehr da. Wir müssen nach Hause laufen.« Er brachte die Hand an den Kopf und zog sie mit Blut bedeckt zurück.

»Alter Freund, Sie haben einen bösen Hieb bekommen,« sagte Torpenhow. »Ich bin Ihnen für diese Affaire etwas schuldig. Danke! Stehen Sie auf! Sie können hier nicht krank sein, sage ich Ihnen.«

Dick war ganz steif in Torpenhows Arme gesunken und hatte etwas von »niedrig zielen und nach links« gemurmelt; dann fiel er zu Boden und sagte nichts mehr. Torpenhow schleppte ihn zu einem Arzte und setzte sich dann hin, um einen Bericht aufzusetzen über das, was ihm beliebte, »eine blutige Schlacht, in der unsere Waffen sich rühmlichst bewährt haben« und so weiter, zu nennen. Während der ganzen Nacht, nachdem die Truppen sich bei den Walfischbooten gelagert, tanzte eine schwarze Figur im hellen Mondlicht ans der Sandbarre und schrie, daß Khartum, die verfluchte, tot sei – tot sei – tot sei –, daß zwei Dampfer auf dem Nil festsäßen, auf den Felsen außerhalb der Stadt, und von ihrer ganzen Bemannung nicht ein einziger übrig geblieben sei; und Khartum sei tot – sei tot – sei tot!

Aber Torpenhow beachtete das alles nicht. Er wachte bei Dick, der laut über den ruhelos dahinströmenden Nil nach Maisie rief und immer wieder nach Maisie!

»Seht da ein Phänomen,« sagte Torpenhow, die Decke wieder zurecht ziehend. »Hier ist ein Mann, vermutlich ein menschlich fühlender, der nur immer den Namen einer Frau ruft; und ich habe doch gewiß ein gut Teil von Delirium in meinem Leben gesehen. Dick, hier ist ein erfrischendes Getränk.«

»Danke Dir, Maisie,« entgegnete Dick.