Ein Zwiegespräch

Alle meine seitherigen Reisen waren bloße Geschäftsreisen gewesen. Das letzte Maiwetter war so verführerisch, daß ich beschloß, nun auch einmal eine Vergnügungsreise zu machen. Schon einen Tag nach diesem Entschluß befand ich mich an Bord eines nach den Bermudas gehenden Dampfers. Nachdem ich mir mein Billet gelöst, wanderte ich auf dem Verdeck auf und nieder in dem frohen Gefühl der Freiheit und Muße, ein Genuß, der durch das Bewußtsein, daß sich die Entfernung zwischen mir und den Post- und Telegraphenanstalten beständig vermehrte, noch wesentlich erhöht wurde. Nach einer Weile ging ich in meine Kajüte und kleidete mich aus; aber die Nacht war zu prächtig, um sie ganz zu verschlafen. Ich stellte mich daher ans Fenster und beobachtete die rasch dahingleitenden Lichter am Ufer. Bald kamen zwei ältliche Männer, die sich gerade unter mein Fenster niedersetzten und ein Gespräch begannen. Ihr Gespräch ging mich eigentlich nichts an, aber aufgelegt und heiter gestimmt, wie ich war, ließ ich mir die Unterhaltung gern gefallen. Ich entdeckte bald, daß sie Brüder aus einem kleinen Dorf in Connecticut waren und daß sich ihre Unterhaltung um den Kirchhof drehte.

»Nun, Hans« – begann der eine – »wir haben die Sache des Langen und Breiten besprochen. Siehst du, alles räumte den alten Kirchhof und unsere Angehörigen blieben fast ganz allein zurück. Sie waren auch, wie du weißt, arg eng zusammengedrängt. Der Platz war von Anfang an nicht groß genug und als im letzten Jahr Seths Weib starb, konnten wir sie kaum noch unterbringen. Sie kam gerade noch etwas auf Dekan Shorbs Stelle herüberzuliegen und der wurde deswegen auf sie und uns ganz ärgerlich. Wir redeten also darüber und ich war für ’nen Ankauf auf dem neuen Kirchhof; die andern waren nicht dagegen, wenn es nicht zu teuer käme. Die zwei schönsten und größten Plätze waren Nummer 8 und 9 – beide von einer Größe: jeder bequem für sechsundzwanzig Erwachsene; wenn man Kinder mitrechnet, reicht er für dreißig, auch zwei- und dreiunddreißig, ganz hübsch.«

»Das ist übergenug, Wilhelm. Welchen hast du gekauft?« »Nun, darauf werde ich gleich kommen, Hans. Siehst du, Nummer 8 kostete 13 Dollars. Nummer 9 aber 14 – – «

»Sehe schon. Da hast du Nummer 8 genommen.«

»Warte nur. Ich nahm Nummer 9 und will dir auch sagen, warum. Erstens, weil der Dekan Nummer 9 haben wollte. Nach der Art und Weise, wie er sich darüber aufgehalten hat, daß Seths Weib etwas auf seinen Platz zu liegen kam, hätte ich ihm den Platz weggeschnappt und wenn er mich zwei statt einen Dollar mehr gekostet hätte. Was ist ein Dollar? dachte ich bei mir. Das Leben ist nur eine Pilgerschaft, sag‘ ich; wir sind ja nicht für immer da und können nichts mit uns nehmen. So legte ich denn das Geld hin und dachte: der Herr läßt ja keine gute That unbelohnt und, so Gott will, verdien‘ ich den Dollar an jemand anders bei nächster Gelegenheit zurück. Ich hatte aber auch noch einen anderen Grund. Nummer 9 ist weitaus der hübscheste Platz im ganzen Kirchhof und am schönsten gelegen; er liegt gerade auf dem Gipfel einer Anhöhe, mitten im Kirchhof. Man kann von dort aus Millport und Tracy und den Rumpfberg und eine ganze Reihe von Farmen sehen; im ganzen Staat ist keine schönere Aussicht von einem Begräbnisplatz aus, – so sagt wenigstens Higgins und der muß es wissen. Das ist aber noch nicht alles. Shorb mußte wohl oder übel Nummer 8 nehmen. Nun stößt Nummer 8 an Nummer 9 und da jene am Abhang liegt, so läuft alles Wasser zu den Shorbs hinab. Higgins meinte, wenn des Dekans Zeit einmal komme, möge er seine sterblichen Überreste nur gegen Feuer- und Wasserschaden zugleich versichern.«

Nach diesen Worten ließ sich ein leises, doppeltes Kichern vernehmen, das Beifall und Zufriedenheit ausdrückte.

»Sieh, Hans, da hab‘ ich eine rohe Skizze von dem Grundstück auf ein Stück Papier gebracht. Da oben in der Ecke linker Hand haben wir die Gestorbenen untergebracht; wir holten sie aus dem alten Friedhof und legten sie nebeneinander nach der alten Regel ›Wer zuerst kommt, mahlt zuerst‹, ganz unparteiisch, Großvater Jonas zuerst, weil er zufällig zuerst an die Reihe kam, Seths Zwillinge zuletzt. Daran schließen sich die künftigen Grabstätten: hier auf der Stelle, die mit A bezeichnet ist, wollen wir Maria und ihre Familie bestatten, wenn sie abgerufen werden; B ist für Bruder Hosea und die Seinen bestimmt, C für Calvin und sein Haus. Was noch übrig ist, sind diese zwei Plätze hier – just die Perle des ganzen Flecks, was das Äußere anbelangt; sie sind für mich und meine Leute und für dich und die Deinen bestimmt. Nun, in welchem möchtest du am liebsten begraben sein?«

»Da bin ich überfragt, Wilhelm! das kann ich dir nicht gleich sagen. Wahrhaftig, vor lauter Überlegen, wie man es den andern bequem machen könnte, habe ich an mein eigenes Begrabenwerden gar nicht gedacht.«

»Das Leben ist nur ein flüchtiger Traum, Hans, wie das Sprichwort sagt. Wir müssen alle fort, früher oder später. Die Hauptsache ist, daß unsere Rechnung mit dem Himmel glatt abgeht. Das ist das einzige, wonach wir trachten müssen!«

»Ja, so ist’s, Wilhelm, so ist’s; da kann man nicht herumkommen. – Zu welchem von den Plätzen würdest du mir raten?«

»Nun, das kommt auf dich an. Liegt dir viel an Aussicht?«

»Nicht gerade sehr viel, aber doch etwas. Hauptsächlich würde ich auf sonnige Lage Wert legen.«

»Dem ist schon geholfen, beide Plätze liegen gegen Süden. Sie bekommen die Sonne, und die Shorbs den Schatten.«

»Wie steht’s mit dem Boden, Wilhelm?«

» D ist Sandboden – E meistens Lehm.«

»Dann gieb mir lieber E, Wilhelm; ein sandiger Boden sinkt immer ein und macht Reparaturkosten.«

»Ganz recht; da, schreib‘ deinen Namen her, hier unter E. Und nun, wenn du mir deinen Anteil an den vierzehn Dollars bezahlen willst, da wir gerade bei dem Geschäft sind, so ist alles abgemacht.«

Nach einigem Warten und Feilschen wurde das Geld bezahlt, Hans sagte seinem Bruder Gutenacht und ging zur Ruhe. Es folgte ein minutenlanges Schweigen, dann ertönte ein leises Kichern herauf von dem einsamen Wilhelm und er murmelte: »Ei, der tausend! Da habe ich mich am Ende doch geirrt! D ist meistens Lehm, nicht E, und Hans hat jetzt doch einen sandigen Platz gekauft.«

Noch ein leises Kichern, dann suchte auch Wilhelm sein Lager auf.