Die Hunde von Konstantinopel

Ich glaube fast, daß die berühmten Hunde von Konstantinopel falsch dargestellt – ja verleumdet worden sind. Ich habe nie etwas anderes von ihnen gehört, als daß sie so haufenweise in den Straßen herumschweifen, daß sie einem stellenweise den Weg versperren –, daß sie förmlich organisierte Kompagnien und Regimenter bilden und durch entschlossenen und blutigen Angriff erobern, was sie nötig haben, – und endlich, daß sie in der Nacht alle andern Geräusche durch ihr fürchterliches Geheul übertäuben. Die Hunde, die ich jetzt bei meinem Aufenthalt in Konstantinopel sehe, können unmöglich dieselben sein, von denen ich gelesen habe.

Ich finde sie zwar überall, aber nicht in starken Rudeln. Die größte Zahl, die ich gefunden habe, war zehn bis zwanzig. Bei Tag und Nacht war ein guter Teil derselben fest eingeschlafen. Die, welche nicht schliefen, sahen immer aus, als ob sie sich sehr danach sehnten. Nie in meinem Leben habe ich solche erbarmenswürdige, ausgehungerte, trübselig blickende, jammervolle Köter gesehen. Es mußte einem als die reinste Satire erscheinen, wenn man Tiere gleich diesen anklagt, sie bemächtigten sich irgend einer Sache mit Gewalt. Sie schienen kaum Kraft oder Ehrgeiz genug zu besitzen, um sich über die Straße zu wagen. Ich entsinne mich nicht, daß ich auch nur einen einzigen so weit habe gehen sehen. Sie sind räudig, mit Beulen bedeckt und verstümmelt, und zuweilen begegnet man einem, dem das Haar in breiten und scharf abgegrenzten Streifen abgesengt ist, daß er wie eine Landkarte von unsern neuen Territorien aussieht. Sie sind die traurigsten Tiere, die atmen – die widerwärtigsten – die bemitleidenswertesten. In ihren Gesichtern liegt beständig der Ausdruck der Schwermut, die Miene hoffnungsloser Niedergeschlagenheit. Die haarlosen Stellen auf dem Rücken eines verbrühten Hundes werden von den Flöhen Konstantinopels einem weiteren größeren Tummelplätze auf einem gesünderen Hunde vorgezogen; dieselben finden dort ihre Rechnung ganz vortrefflich. Ich sah einen Hund von jener Sorte auffahren, um einen Floh wegzubeißen, – da lenkte eine Fliege seine Aufmerksamkeit auf sich, und er schnappte nach ihr. Der Floh machte ihm nochmals seinen Besuch, und das gab ihm für immer den Rest; er warf einen betrübten Blick auf den werdenden Floh, einen zweiten betrübten Blick auf den kahlen Fleck, dann that er einen Seufzer und ließ seinen Kopf – ergeben in sein Schicksal – auf seine Vorderpfoten fallen. Er war der Lage nicht gewachsen.

Die Hunde schlafen allenthalben in den Straßen, wohin man gehen mag. Von einem Ende der Straßen bis zum andern mögen nach meiner Schätzung acht oder zehn auf ein Häuserviertel kommen; zuweilen sind’s auch mehr: fünfzehn bis zwanzig. Sie gehören niemanden und scheinen keine persönlichen Freundschaftsbündnisse unter einander zu schließen. Aber sie teilen sich in die Stadt nach bestimmten Bezirken; und die Hunde jedes Bezirks, mag derselbe groß oder klein sein, müssen innerhalb seiner Grenzen verbleiben. Wehe dem Hunde, der diese Grenze überschreiten wollte! Seine Nachbarn würden ihm in einer Sekunde den Rest seiner Habe wegschnappen. So behauptet man wenigstens, wenn sie auch nicht danach aussehen.

Sie schlafen also in den Straßen. Sie dienen mir als Kompaß – als Führer. Wenn ich die Hunde gelassen weiter schlafen sehe, während Menschen, Schafe, Gänse und alle andern sich bewegenden Dinge ausweichen und um sie herumgehen, so weiß ich, daß ich nicht in der großen Straße bin, wo mein Hotel ist, und daß ich weiter gehen muß. In jener großen Straße sehen die Hunde aus, als ob sie auf ihrer Hut wären – was davon kommt, daß sie jeden Tag genötigt sind, vielen Kutschen und Wagen aus dem Wege zu gehen – und diesen Ausdruck erkennt man im Augenblick wieder. Er findet sich auf dem Gesichte keines einzigen Hundes außerhalb der Grenzlinien jener Straße. Alle andern schlafen gelassen und geben auf nichts acht. Sie würden sich nicht von der Stelle bewegen, und wenn der Sultan selber vorbeizöge.

In einer engen Straße (breit ist freilich keine einzige) sah ich drei Hunde zusammengerollt liegen, immer einer etwa einen oder zwei Fuß von dem andern entfernt. Sie lagen der Länge nach über die Straße, und so überbrückten sie dieselbe genau von Rinnstein zu Rinnstein. Auf einmal kam eine Herde von hundert Schafen daher. Sie liefen geradezu über die Hunde weg. Die Hunde blickten träge auf, zuckten ein wenig zusammen, wenn die ungeduldigen Füße der Schafe ihre roh geschundenen Rücken berührten, seufzten auf und legten sich friedlich wieder hin. Keine Sprache hätte deutlicher reden können. Als die ganze Herde über sie hinweggegangen war, niesten die Hunde in der Staubwolke ein wenig, rückten aber mit ihren Leibern auch nicht einen Zoll weit von der Stelle. Ich dachte immer, ich wäre träg, aber im Vergleich mit einem konstantinopolitanischen Hunde bin ich eine wahre Dampfmaschine.

Diese Hunde sind die Abdecker der Stadt. Das ist ihre offizielle Stellung und dieselbe ist recht schwer. Das ist es auch, was ihnen Schutz verleiht. Wären sie nicht so nützlich, indem sie diese fürchterlichen Straßen reinigten, so würden sie schwerlich geduldet werden. Sie fressen alles und jedes, was ihnen in den Wurf kommt, von Melonenschalen und verdorbenen Trauben angefangen bis hinauf zu ihren eignen toten Vettern und Freunden, und doch sind sie stets dürr, immer hungrig, immer niedergeschlagen. Die Leute hüten sich, einen Hund zu töten – dies kommt thatsächlich nicht vor. Man sagt, die Türken hätten eine angeborne Abneigung dagegen, irgend einem stummen beseelten Wesen das Leben zu nehmen. Aber sie thun Schlimmeres. Sie treten, steinigen und verbrühen diese unglücklichen Geschöpfe, bis sie beinahe tot sind, und lassen sie dann weiter leben und leiden.

Einmal setzte sich’s ein Sultan in den Kopf, alle Hunde in der Stadt zu töten, und begann wirklich mit dieser Arbeit; aber der Pöbel erhob ein solches Schreckensgeheul, daß dem Gemetzel Einhalt gethan wurde. Nach einer Weile nahm er sich vor, alle nach einer Insel im Marmara-Meere wegzuschaffen. Man erhob keine Einwendung dagegen, und eine oder ein paar Schiffsladungen davon wurden weggeschafft. Aber als bekannt wurde, daß irgendwie die Hunde niemals nach der Insel gelangten, sondern immer in der Nacht über Bord fielen und umkamen, erhob sich ein abermaliges Geheul, und so wurde der Deportierungsplan fallen gelassen.

So verblieben die Hunde denn im friedlichen Besitze der Straßen. Ich behaupte nicht, daß sie des Nachts in den Straßen nicht heulten, und daß sie nicht Leute anfielen, die kein rotes Feß auf dem Kopfe haben. Ich sage nur, daß es niederträchtig von mir sein würde, sie dieser Unziemlichkeiten anzuklagen, da ich mit meinen eigenen Augen und Ohren davon weder etwas gesehen noch gehört habe.