Des Kapitäns Bibel-Erklärung

Wir plauderten manch liebes Mal vergnüglich über den alten Kapitän ›Wirbelwind‹ im Stillen Ozean – Friede seiner Asche! – Zwei oder drei aus unserer Versammlung hatten ihn gekannt, ich insbesondere, denn ich hatte vier Seereisen mit ihm gemacht.

Es war ein sehr merkwürdiger Mann. Auf dem Schiff geboren, hatte er seine ganze Erziehung von den Schiffskameraden aufgeschnappt. Er fing seinen Lebenslauf auf dem Vorderdeck an und stieg Grad für Grad, bis zur Kapitänswürde. Mehr als fünfzig von seinen fünfundsechzig Jahren brachte er auf dem Wasser zu; alle Ozeane hat er durchsegelt, alle Länder gesehen und jedes Klima hat bei ihm seine Spur zurückgelassen. Wenn jemand fünfzig Jahre auf See ist, so weiß er natürlich wenig von den Menschen, kennt von der Welt nur die Oberfläche, nichts von ihren Gedanken, nichts von ihrem Wissen als das ABC und selbst dieses nur verwischt und entstellt durch die blinden Glaslinsen eines ungeübten Verstandes. Er ist ein grau gewordenes, bärtiges Kind – und das war der alte Kapitän Jones auch – einfach, ein unschuldiges, liebenswertes, altes Kind.

So lange er seine Gemütsruhe bewahrte, war er freundlich und sanft wie ein Mädchen; wenn er aber in Wut geriet, wurde er zu einem Orkan, von dem man sich nach seinem Spitznamen nur einen schwachen Begriff machen konnte.

Im Handgemenge zeigte sich seine Kraft, denn er besaß einen mächtigen Gliederbau und unerschütterlichen Mut. Vom Kopf bis zu den Fersen war er mit Bildern und Sprüchen in roter und blauer Tusche tätowiert. Ich war mit ihm auf der Reise, als er sich seine letzte leere Stelle um den linken Fußknöchel tätowieren ließ. Drei Tage lang humpelte er auf dem Schiff umher mit dem nackten, geschwollenen Fuß, auf dem der folgende Spruch in farbiger Tusche leuchtete:

»Die Tugend ist ihre eigene Bel – – « (zum Ende fehlte der Platz).

Jones war ernstlich und aufrichtig fromm, fluchte aber dabei wie ein Fischweib. Das Fluchen hielt er für untadelig, denn die Matrosen würden keinen Befehl ohne die Erläuterung eines Fluches verstehen. In der Bibel war er sehr belesen – das heißt, nach seinem Dafürhalten. Was in der Bibel stand, glaubte er alles, aber er hatte seine eigene Methode um zu seinem Glauben zu gelangen. Er gehörte zu der ›vorgeschrittenen‹ Schule der Denker und wandte Naturgesetze bei der Erklärung aller Wunder an – etwa nach dem Plan der Leute, welche die sechs Schöpfungstage in sechs geologische Perioden umwandeln – und dergleichen mehr. Ohne sich dessen bewußt zu sein, war er eine recht scharfe Satire auf die modernen, wissenschaftlichen Religionsforscher. Daß ein Mann, wie ich ihn eben beschrieben habe, leidenschaftlich gern disputiert und argumentiert, versteht sich von selbst.

Auf einer Fahrt hatte Kapitän ›Wirbelwind‹ einen Prediger an Bord, ohne zu wissen, daß es ein Geistlicher war, da die Passagierliste diese Thatsache nicht verriet. Er fand großes Wohlgefallen an dem Rev. Mr. Peters, sprach sehr viel mit ihm und erzählte ihm lange Geschichten. In die schmackhaften Proben aus seinem persönlichen Lebenslauf, die er ihm zum Besten gab, wob er eine glitzernde Perlenschnur von Kraftausdrücken, was für einen durch unsere matte, bilderlose Sprache ermüdeten Geist sehr erfrischend war. Eines Tages fragte der Kapitän: »Peters, leset Ihr wohl dann und wann in der Bibel?«

»Je nun – ja.«

»Na, mir scheint’s nicht oft, nach der Art, wie Ihr das sagt. Da rat‘ ich Euch, greift’s einmal in allem Ernst an und Ihr werdet sehen, daß es der Mühe lohnt. Laßt Euch nicht abschrecken, sondern macht immer fort. Zuerst versteht Ihr nichts, aber nach und nach wird’s klar und Ihr sollt sehen, Ihr legt das Buch nicht aus der Hand, um Eure Mahlzeit zu halten.«

»Ja, das habe ich schon sagen hören.«

»Und es ist auch wirklich so. Es giebt gar kein Buch wie die Bibel, Peters. Ein paar knifflige Punkte sind zwar drin – das kann man nicht ableugnen – aber laßt nur nicht locker und sinnt sie aus – seid Ihr erst einmal in das Inwendige gekommen, so ist alles hell wie der Tag.«

»Ach – auch die Wunder, Kapitän?«

»Jawohl, auch die Wunder, Herr; ein jedes einzelne, ohne Ausnahme. Da ist z.B. die Angelegenheit mit den Propheten Baals – he? Wahrscheinlich hat Euch die vor den Kopf gestoßen?«

»Ja, allerdings – ich weiß nicht, aber –«

»Na, bekennt’s nur gleich; das hat Euch verblüfft, ich glaub’s wohl. Ihr hattet noch keine Erfahrung, dergleichen Dinge auseinander zu wirren, da bliebt Ihr natürlich drin stecken. – Wär’s Euch recht, wenn ich Euch die Sache erklärte und Euch zeigte, wie Ihr auf den Kern dieser Dinge kommen könnt?«

»Ja, wirklich, das würde mir sehr lieb sein, Kapitän, wenn’s Euch paßt.«

Darauf fuhr der Kapitän fort wie folgt:

»Das werd‘ ich mit Vergnügen thun, Peters. Zuerst, seht Ihr, da hab‘ ich gelesen und gelesen und gedacht und gesonnen, bis ich dahin kam, zu verstehen, was das für eine Sorte von Leuten war, in den alten Bibelzeiten, und hernach war es mir klar und leicht. Auch mit der Geschichte von den Propheten des Baal und dem Isaak, hab‘ ich’s auf die gleiche Art angegriffen. Es gab nämlich in jenen alten Tagen unter den allgemein bekannten Persönlichkeiten mächtig gescheite Männer – und Isaak war einer von ihnen. Isaak hatte seine Fehler, das leugne ich gar nicht. Es kommt mir nicht zu, den Isaak rein zu waschen; er hat die Propheten des Baal hinters Licht geführt, doch kann man ihm das vielleicht zu gute halten, wenn man bedenkt, wie groß ihre Überzahl war. Nein, ich behaupte nur, daß es kein Wunder war und will es beweisen, so daß Ihr Euch selber davon überzeugen könnt. »Nun also – die Zeiten waren für die Propheten schlimmer und schlimmer geworden – das heißt für die Propheten von Isaaks Glaubensbekenntnis. In der Gemeinde waren vierhundertundfünfzig Propheten Baals und nur ein einziger Presbyterianer – wenn nämlich Isaak ein Presbyterianer war, wie ich denke, aber ich kann’s nicht gewiß sagen.

Natürlich hatten die Propheten Baals das ganze Geschäft in Händen; Isaak mag wohl recht niedergeschlagen gewesen sein, aber es steckte ein ganzer Mann in ihm. Wahrscheinlich ist er nun umhergezogen und hat prophezeit – just als wollte er sein Handwerk unter der Landbevölkerung treiben, aber das half alles nichts. Wider solche Gegenpartei konnte er nichts ausrichten, was sich verlohnte. Allmählich wurde die Sache ganz verzweifelt für ihn. Da fängt er an, mit dem Kopf zu arbeiten, denkt sich alles aus – und was thut er dann? – Nun, er giebt hier und da zu verstehen, es sei bei der andern Partei so und so – dies und das nicht ganz in Ordnung – vielleicht nichts Bestimmtes, aber gerade genug, um ihr Ansehen bei den Leuten in aller Stille zu untergraben. Das gab natürlich Geklatsch und endlich kam es dem König zu Ohren. Der König fragt den Isaak, was seine Reden bedeuten. Der Isaak sagt: ›O, nichts Besonderes; ich meine bloß – können Eure Propheten Feuer vom Himmel auf einen Altar herunter beten? Das ist vielleicht nichts Großes, Majestät; ich frage bloß – können sie es thun? Das möchte ich wissen.‹

»Den König beunruhigte das nun sehr, und er ging zu den Baalspropheten. Die antworteten ziemlich von oben herab: wenn der König einen Altar bereit hätte, so wären sie auch bereit; auch ließen sie nebenbei einfließen, er solle nur gleich für die Feuerversicherung sorgen.

»Den nächsten Morgen also versammelten sich alle Kinder Israels und ihre Eltern und das übrige Volk. Da war auf einer Seite der große Haufen der Propheten Baals zusammengedrängt und auf der andern Seite schritt Isaak allein auf und ab und überdachte sein Stück Arbeit.

»Als nun die Zeit gekommen war, that Isaak ganz gemütlich und gleichgültig; er rief der Gegenpartei zu, sie könnten die Vorhand haben. So fingen denn die ganzen vierhundertundfünfzig an, um den Altar herum zu beten, in großer Hoffnung und nach besten Kräften. Sie beteten eine Stunde – zwei Stunden – drei Stunden und immer fort, straks bis zum Nachmittag. Es half aber alles nichts – sie hatten keinen Kniff angewendet. Natürlich machten sie sich lächerlich vor allem Volk, und das fühlten sie auch. – Was hätte nun ein großmütiger Mann wohl gethan? – Stillgeschwiegen, nicht wahr? Versteht sich. Und was that Isaak? Er reizte und ärgerte die Propheten Baals auf alle erdenkliche Weise.

»Ihr schreit nicht laut genug,« sagte er, »euer Gott ist scheint’s eingeschlafen; oder, kann sein, er ist über Feld gegangen, ihr müßt brüllen, wenn er euch hören soll« – oder so ungefähr, ich besinne mich nicht auf die richtigen Worte. – Versteht mich recht – ich entschuldige den Isaak nicht – er hatte seine Fehler.

»Nun gut! Die Propheten beteten weiter, so eifrig sie konnten, den ganzen Nachmittag und brachten doch keinen Funken zuwege. Endlich, beim Sonnenuntergang hatten sie allesamt Kraft und Atem verloren, sie mußten es eingestehen und gaben’s auf.

»Was thut jetzt der Isaak? – Er tritt vor und sagt zu einigen seiner Freunde, welche in der Nähe waren: ›Meßt mir vier Tonnen Wasser auf den Altar!‹ – Jedermann war erstaunt, denn, seht Ihr, die andere Partei hatte trocken gebetet und war zu Schanden geworden. – Na, sie gossen es drauf. Dann ruft er: ›Laßt noch vier Tonnen drüber fließen!‹ Und dann: »Noch vier mehr draufgegossen.« – Also zwölf Tonnen zusammen. Das Wasser lief über den ganzen Altar und die Seiten herunter und füllte noch einen Graben rund herum, der wohl ein paar Oxhoft halten mochte. – Maß steht in der Bibel – ich meine, es bedeutet ungefähr ein Oxhoft. – Viele Leute zogen schon wieder ihre Sachen an, um heimzugehen; sie glaubten, der Mann wäre verrückt geworden. Aber da kannten sie den Isaak schlecht.

»Isaak kniete nieder und fing an zu beten. Er holte weit aus und konnte kein Ende finden; von den Heiden in fernen Ländern kam er auf die Schwesterkirchen, auf die, so da Macht haben in der Regierung, auf den Staat und das Land im großen und einzelnen und betete das ganze übliche Gebet herunter – Ihr wißt schon – bis jedermann es satt bekam und längst angefangen hatte, an andere Dinge zu denken. Dann aber, ganz plötzlich, als niemand drauf merkt, holt er ein Zündholz ‚raus, streicht damit – ritsch – von hinten über seine Beine und – paff! – los flammt die ganze Geschichte, wie ein Haus im Feuer!«

»Zwölf Tonnen Wasser?« –

»Nein, Petroleum, Herr, Petroleum! – das war’s! –«

»Petroleum, Kapitän?«

»Jawohl, Herr; das Land war voll davon, und Isaak wußte das wohl. – Lest nur die Bibel, Peters! Stoßt Euch nicht an die schwierigen Stellen. Sie sind nicht schwierig, wenn Ihr sie recht ausstudiert und beleuchtet. – Es giebt nichts in der Bibel, was nicht wahr ist. Alles, was man zu thun hat, ist, sich mit aufrichtigem Gebet daran zu machen und herauszufinden, wie es zugegangen ist.«‹

  1. Dies ist des Kapitäns eigene Verwechslung.