Neuntes Kapitel.

Es wird jetzt Zeit, daß wir uns danach umsehen, was inzwischen aus Roxy geworden ist.

Als sie freigelassen wurde und fortging, um sich eine Stelle zu suchen, war sie fünfunddreißig Jahre alt. Sie fand einen guten Platz als zweites Stubenmädchen auf dem ›Großmogul‹, einem Dampfboot, das zwischen Cincinnati und New Orleans Handel trieb. Nachdem sie die Fahrt ein paarmal gemacht hatte, war sie mit allen ihren Obliegenheiten genau vertraut und ganz entzückt von dem regen Leben und Treiben auf dem Dampfer und der Unabhängigkeit, die sie genoß. Bald darauf wurde sie zum ersten Stubenmädchen befördert, machte sich sehr beliebt bei den Offizieren und war stolz darauf, daß sie ihr so freundlich begegneten und Spaß mit ihr trieben.

Acht Jahre lang hatte sie während neun Monaten stets auf dem ›Großmogul‹ gedient, und den Winter über auf dem Vicksburger Postschiff. Jetzt litt sie aber schon seit vielen Wochen an Rheumatismus in den Armen und konnte die Wäsche nicht mehr besorgen. So mußte sie denn ihren Abschied nehmen, doch ihr bangte nicht vor der Zukunft, sie war nicht unbemittelt – sogar reich nach ihrer Ansicht. Ganz regelmäßig hatte sie nämlich jeden Monat vier Dollars auf eine Bank in New Orleans getragen, um im Alter einen Sparpfennig zu haben. Das hatte sie sich von vornherein vorgenommen. »Einmal bin ich so dumm gewesen und hab‘ ’nem barfüßigen Nigger Schuh angezogen, damit er auf mir herumtreten kann,« sagte sie sich, »aber, so was thu‘ ich nicht wieder!« Fortan wollte sie von keinem Menschen mehr abhängig sein, wenn sich das durch harte Arbeit und Sparsamkeit erreichen ließe. Als das Boot am Kai von New Orleans anlegte, sagte sie den Gefährten auf dem ›Großmogul‹ Lebewohl und ging mit ihren Habseligkeiten ans Land.

Eine Stunde später war sie aber schon wieder da. Das Geschäftshaus hatte Bankerott gemacht, und ihre vierhundert Dollars mit verpufft. So war sie denn bettelarm, heimatlos und wenigstens fürs erste außer stande, zu arbeiten. Die Offiziere hatten Mitleid mit ihrer traurigen Lage, sie veranstalteten eine Sammlung und übergaben ihr eine kleine Summe; mit diesem Geld wollte sie nach ihrem Geburtsort gehen, wo sie Freunde unter den Negern hatte. Sie wußte recht gut, daß die Unglücklichen ihren Schicksalsgenossen am ehesten beistehen; die armen Gefährten ihrer Jugend würden sie sicher nicht Hungers sterben lassen.

In Cairo bestieg sie das kleine Paketboot, das den Ortsverkehr vermittelte und näherte sich nun immer mehr der Heimat. Ihre Gefühle gegen ihren Sohn hatten in der langen Zeit alle Bitterkeit verloren und sie konnte mit Gemütsruhe an ihn denken. Alles, was er ihr Böses zugefügt, suchte sie zu vergessen und sich nur an die Freundlichkeiten zu erinnern, die er ihr ab und zu erwiesen. Sie schmückte seine Gutthaten so lange aus, bis sie ihr in goldenem Licht erschienen und sie ordentlich anfing, sich nach ihm zu sehnen. Vielleicht hatte die Zeit ihn etwas milder gestimmt; wenn sie ihm schmeichelnd und unterwürfig nahte, wie eine Sklavin, – was sie natürlich thun mußte – so würde er sich am Ende freuen, seine alte, längst vergessene Wärterin wiederzusehen und sie gütig behandeln. Das wäre wunderschön und sie könnte sich damit leicht über ihre Schmerzen und alle Verluste trösten.

Bei dem Gedanken an ihre Armut fing sie an, ein neues Luftschloß zu bauen: vielleicht würde er ihr dann und wann eine Kleinigkeit geben, etwa einen Dollar monatlich; das wäre doch schon eine große, große Hilfe für sie.

Als das Boot in Dawson landete, hatte sie ihr früheres Selbst glücklich wiedergefunden; mit ihrer Schwermut war es vorbei, sie fühlte sich heiter und frohgelaunt. Es konnte ihr ja nicht fehlen; in mancher Küche würden die Dienstleute gern die Mahlzeit mit ihr teilen, auch heimlich Zucker, Aepfel und allerlei Leckerbissen entwenden und ihr nach Hause mitgeben, oder – was ihr ebenso lieb wäre – ein Auge zudrücken, wenn sie selbst lange Finger machte. Und dann die Kirche! – Sie war eine so eifrige, fromme Methodistin wie je und nicht etwa scheinheilig bei ihren Andachtsübungen, sondern wahr und aufrichtig. Wenn es ihr nicht an leiblichen Genüssen mangelte und sie wieder an ihrem alten Kirchenplatz in der Ecke sitzen und Amen sagen konnte – ja, dann wollte sie vollkommen glücklich sein und in Frieden weiter leben, bis an ihr seliges Ende.

Zu allererst suchte sie die Driscollsche Küche auf, wo man sie höchst feierlich und mit großer Begeisterung empfing. Ihre wunderbaren Reisen, die fremden Länder, die sie gesehen und die Abenteuer, die sie erlebt hatte, machten sie zu einer wahren Romanheldin. Die Neger lauschten voll Entzücken auf ihre erstaunlichen Berichte, unterbrachen sie alle Augenblicke mit neugierigen Fragen, mit Gelächter, Beifallsklatschen oder Ausrufen der Verwunderung, bis sie selbst gestehen mußte, daß es auf dieser Welt doch noch etwas Schöneres gäbe, als das Leben auf dem Dampfschiff, nämlich den Ruhm, welchen man erwirbt, wenn man heimkehrt und davon zu erzählen weiß. Ihre Zuhörer tischten ihr vom Mittagsmahl auf, soviel sie nur essen konnte und plünderten dann die Speisekammer, um ihren Handkorb zu füllen.

Tom war in St. Louis; die Haussklaven sagten, er hätte in den zwei letzten Jahren seine Zeit meistens dort zugebracht. Roxy stellte sich nun täglich ein und ließ sich allerlei über die Familie und ihre Angelegenheiten berichten. Einmal fragte sie auch, warum denn Tom soviel auswärts wäre, worauf der vermeintliche ›Schamber‹ erwiderte:

»Das kommt daher, weil’s dem alten Massa viel wohler ist, wenn der junge Massa seiner Wege geht. Er liebt ihn auch mehr, wenn er nicht in der Stadt ist, und giebt ihm jeden Monat fünfzig Dollars –«

»Nein – ist das wahr, Schamber – oder sagst du’s nur im Spaß?«

»Bewahre, Mammy, du kannst’s glauben, ich weiß es von Massa Tom selbst. Aber, liebste Zeit, genug ist’s doch nicht.«

»Was – nicht genug – weshalb denn nicht?«

»Das sollst du gleich hören, Mammy, wenn du’s wissen willst. ‚S ist nicht genug, weil Massa Tom um Geld spielt.«

Roxy schlug erstaunt die Hände zusammen, und Schamber fuhr fort:

»Der alte Massa ist dahinter gekommen, als er zweihundert Dollars für Massa Toms Spielschulden zahlen mußte. So wahr ich hier stehe, Mammy, es ist, wie ich dir’s sage.«

»Zwei – hundert – Dollars! Weißt du auch, was das heißt? – Zwei – hundert – Dollars! Du meine Güte – da könnt‘ man ja fast ’nen starken Neger aus zweiter Hand dafür kaufen. Du lügst mich doch nicht an, Söhnchen – wirst doch deine alte Mammy nicht belügen?«

»’S ist die reine Wahrheit – zweihundert Dollars – ich sag‘ dir’s ja und will’s beschwören. Jemine, wie ist der alte Massa gesprungen – gekocht hat er vor Wut und gleich ist er hingegangen und hat Massa Tom enterbt.«

Roxy riß die Augen weit auf und starrte ihn verblüfft an. »Ent – was?« fragte sie.

»Enterbt,« wiederholte Schamber, »sein Testament zerrissen.«

»Zerrissen – nicht möglich. Das würde er nie thun. Nimm das gleich zurück, du erbärmlicher, unechter Neger, den ich mit Kummer und Schmerzen geboren habe.«

Roxys schönstes Luftschloß – der monatliche Dollar aus Toms Tasche – stürzte vor ihren Augen zusammen. Das war ein entsetzliches Mißgeschick, der Gedanke schien ihr unerträglich.

»Hahaha!« lachte Schamber belustigt, »hört nur mal das. Wenn ich ein unechter Neger bin, was bist du dann wohl? Wir sind zwei unechte Weiße, weiter nichts – sehr gut nachgemacht noch dazu, hahaha aber als Neger ganz mißlungen – eben drum –«

»Schweig‘ still mit deinem Gewäsch, sonst kriegst du eins um die Ohren – erzähl‘ weiter von dem Testament. Sag‘, daß es nicht zerrissen ist, thu’s, Schatz, und ich will dir’s gedenken.«

»Na, also – ’s ist wieder ganz – man hat ein neues gemacht und Massa Tom ist noch, was er war. Aber, du brauchst dich nicht so drüber zu erhitzen, Mammy. Was geht’s denn dich an?«

»Mich soll’s nichts angehen? Wen denn sonst, bitte? Bin ich nicht seine Mutter gewesen, bis er fünfzehn Jahre alt war? Und nun soll mir’s gleich sein, wenn man ihn kahl und leer in die Welt ’naus jagt! Du weißt nichts von Muttergefühlen, Schamber, sonst thätst du nicht solchen Unsinn reden.«

»Also – der alte Massa hat ihm vergeben und das Papier noch mal geschrieben – ist dir’s nun recht?«

Ja, sie war ganz glücklich und zufrieden und weinte ein bißchen vor Freuden. Alle Tage erschien sie wieder, bis es endlich einmal hieß, Tom sei nach Hause gekommen. Sie zitterte ordentlich vor innerer Erregung, schickte auch sogleich zu ihm und ließ ihn bitten, er möchte seiner armen alten Negermammy die schreckliche Freude machen, daß sie ihn nur einmal sehen dürfe.

Tom lag träge auf dem Sofa ausgestreckt, als Schamber kam und die Botschaft brachte. Der alte Widerwille, den er gegen den armen Packesel und Beschützer seiner Knabenjahre empfand, hatte sich mit der Zeit nicht gemildert; sein Ingrimm und seine Erbitterung waren noch ebenso stark wie damals. Jetzt richtete er sich auf und starrte mit zornigem Blick in das hübsche Gesicht des jungen Burschen, dessen Namen und Geburtsrecht er gestohlen hatte, ohne es zu wissen. Lange sah er ihn unverwandt an, bis der Geängstigte so schreckensbleich geworden war, wie es sein Peiniger wollte.

»Was will das alte Tier?«

Die Bitte wurde in aller Demut wiederholt.

»Wer hat dir erlaubt hereinzukommen und mich mit den Anliegen einer elenden Negerin zu belästigen?«

Tom war aufgesprungen. Der junge Bursche, der vor ihm stand, zitterte heftig. Er wußte, was jetzt kommen würde, bog den Kopf zur Seite und hob als Schild den linken Arm in die Höhe. Ohne ein Wort zu sagen, holte Tom aus, und Schlag auf Schlag hagelte nun auf Kopf und Schultern des armen Menschen nieder, der die Hiebe geduldig hinnahm und nur »bitte, Massa Tom – o bitte, Massa Tom!« flehte. Nach dem siebenten Schlag rief Tom: »Umkehren – hinaus – marsch!« Er folgte hinterdrein, um seinem Opfer noch einen, zwei, drei derbe Fußtritte zu versetzen.

Der letzte Tritt beförderte den weißen Sklaven zur Thür hinaus; er hinkte fort und wischte sich die Augen mit seinem alten zerlumpten Aermel. »Schick‘ sie herauf!« schrie ihm Tom noch nach.

Dann warf er sich keuchend wieder auf den Sofa und brummte: »Der kam wie gerufen. Ich war zum überfließen voll schwerer Gedanken und brauchte jemand, an dem ich meine Galle auslassen konnte. Es hat mir gut gethan, ich fühle mich ordentlich erfrischt.«

Jetzt trat Toms Mutter ein; sie schloß die Thür hinter sich und näherte sich ihm mit all der kriechenden, schmeichlerischen Unterwürfigkeit, welche Furcht und Eigennutz den Worten und Gebärden des geborenen Sklaven verleihen können. Zwei Schritte von ihrem Sohn entfernt blieb sie stehen und erging sich in bewundernden Ausrufungen über seine schöne Gestalt und sein ganzes männliches Aussehen. Tom legte seinen Arm unter den Kopf und warf ein Bein über die Sofalehne, um gehörig gleichgültig zu erscheinen.

»Potztausend, wie du gewachsen bist, mein Herzchen. Ich hätt‘ dich wahrhaftig nicht wiedererkannt, Massa Tom. Sieh mich mal an. Kennst du denn die alte Roxy noch, deine Negermammy von früher? – Ja, nun kann ich mich hinlegen und in Frieden sterben, weil meine alten Augen –«

»Laß das Geschwätz – komm zur Sache. Was willst du hier?«

»Du meine Güte!. Noch immer derselbe Massa Tom, so spaßhaft und lustig mit der alten Mammy. Ich wußt’s ja ganz gewiß – –«

»Hörst du nicht – mach’s kurz und packe dich wieder! Was willst du von mir?«

Das war eine bittere Enttäuschung. Roxy hatte sich so lange damit ergötzt und erquickt und in den Gedanken eingewiegt, Tom würde sich freuen, seine alte Wärterin zu sehen und sie durch ein paar herzliche Worte stolz und überglücklich machen. Da vermochte sie es kaum zu fassen, daß ihr schöner Traum nichts als die Eitelkeit ihres thörichten Herzens und ein jammervoller Irrtum war. Erst nachdem sie zum zweitenmal hart angelassen worden, begriff sie, daß es kein Scherz sein sollte. Es kränkte sie tief; vor Scham und Herzeleid wußte sie nicht gleich, was nun zu thun sei. Ihre Brust hob und senkte sich, Thränen traten ihr in die Augen und in ihrer Ratlosigkeit beschloß sie, den Versuch zu machen, ihren Sohn um Unterstützung zu bitten, damit wenigstens ihr anderer Traum in Erfüllung ginge. Ohne weitere Ueberlegung flehte sie ihn an:

»O Massa Tom, der armen alten Mammy ist’s so schlecht ergangen, sie hat großes Unglück gehabt, jetzt sind nun gar ihre Arme gelähmt und sie kann nicht arbeiten. Gebt ihr doch einen Dollar – nur einen einzigen Dol –«

Tom sprang so rasch auf die Füße, daß die Bittstellerin erschrocken zusammenfuhr.

»Was sagst du – einen Dollar! Erwürgen könnte ich dich. Du willst hier um Geld betteln? Pack‘ dich auf der Stelle, mach‘ daß du fortkommst!«

Roxy zog sich langsam nach der Thür zurück. Auf halbem Wege blieb sie stehen und sagte voll Trauer:

»Massa Tom, ich hab‘ Euch gewartet und gepflegt, als Ihr klein wart, und hab‘ Euch ganz allein aufgezogen. Jetzt seid Ihr jung und reich, und ich bin arm und krank. Da kam ich her und dachte, Ihr würdet der alten Mammy helfen, auf dem kurzen Weg, den sie noch hat, bis sie im Grabe liegt, und – –«

Tom gefiel dieser Ton noch weniger als der zuerst angeschlagene, denn er weckte sozusagen die Stimme seines Gewissens. Er fiel ihr daher ins Wort und sagte, nicht schroff, aber mit großer Bestimmtheit, daß er nicht in der Lage wäre, ihr zu helfen, und sie nichts von ihm zu hoffen habe.

»Wollt Ihr denn gar nichts für mich thun, Massa Tom?«

»Nein. Jetzt geh‘ deiner Wege und belästige mich nicht länger.«

Roxy stand mit gesenktem Haupt in demütiger Haltung vor ihm. Da flammte die Erinnerung an alles alte Unrecht, das sie erlitten, wieder auf und brannte in ihrer Brust wie Feuer. Langsam hob sie den Kopf und richtete sich empor, so daß ihre mächtige Gestalt noch zu wachsen schien und sie unwillkürlich eine Herrschermiene annahm, die ihr alle Würde und Anmut ihrer entschwundenen Jugend zurückgab.

»Du hast’s gesprochen, das Wort,« sagte sie mit drohend erhobenem Finger. »Ich gab‘ dir ’ne Gelegenheit – du hast sie mit Füßen getreten. Soll sie dir wieder geboten werden, so mußt du auf die Kniee fallen und darum betteln

Tom durchrieselte es kalt, er wußte selbst nicht warum. Die feierliche Rede klang so unheimlich und verwirrte ihn. Doch that er, was unter den Umständen natürlich war, er antwortete mit einem Hohngelächter.

»Du willst mir noch eine Gnadenfrist gewähren – du! Soll ich nicht lieber jetzt gleich vor dir auf die Kniee fallen? Aber, nehmen wir einmal an, ich hätte keine Lust dazu – was wird dann wohl geschehen – das möchte ich wissen.«

»Was dann geschehen wird? – Ich geh‘, wie ich bin, zu deinem Onkel und sag‘ ihm haarklein alles, was ich von dir weiß.«

Toms Wangen wurden bleich und sie sah es. Wirre Gedanken jagten sich in seinem Hirn. »Woher soll sie es wissen? – Und doch – sie muß es entdeckt haben, man sieht’s ihr am Gesicht an. Seit drei Monaten erst ist das neue Testament gemacht und schon bin ich wieder bis an den Hals in Schulden und muß Himmel und Erde in Bewegung setzen, um mich vor Schmach und Verderben zu retten. Ich hoffte, es sollte mir glücken, die Sache zu vertuschen, wenn sich niemand hineinmischt, und nun ist dies Teufelsweib irgendwie dahinter gekommen. Wie viel sie wohl wissen mag? – O Jammer, man möchte rasend werden. Aber, ich muß suchen, ihr gütlich beizukommen – ein anderes Mittel giebt es nicht.«

Mit Mühe zwang er sich dazu, ein scherzhaftes Wesen anzunehmen, sein lustiges Lachen klang hohl und er sagte mit verstellter Munterkeit:

»Weißt du was, Roxy, alte Freunde wie wir zwei dürfen nicht mit einander zanken. Hier hast du deinen Dollar – nun sage mir, was du weißt.«

Er hielt ihr das Papiergeld als Köder hin, aber sie rührte sich nicht vom Fleck. Jetzt war die Reihe an ihr, seine Ueberredungskünste mit Verachtung zu strafen, und sie ließ die Gelegenheit nicht unbenutzt. Tom lernte einsehen, daß selbst eine frühere Sklavin der Schmach und Mißachtung eingedenk sein kann, mit der er ihre Schmeichelreden und Artigkeiten vergolten hatte. Sie genoß jetzt die Süßigkeit der Rache, als sie im Ton unversöhnlichen Ingrimms erwiderte:

»Was ich weiß, das will ich dir sagen: So viel, daß dein Onkel sein Vermächtnis in tausend Stücke reißen wird – und noch weit mehr – hörst du – noch weit mehr.«

Tom sah sie entsetzt an.

»Mehr?« fragte er. »Was soll das heißen? Was kann noch mehr geschehen?«

Roxy lachte spöttisch, warf den Kopf in die Höhe und stemmte die Arme in die Seiten. »Jawohl, ich kann mir’s denken,« sagte sie voller Hohn, »möchtest es gern wissen – für deinen elenden Dollar. Wozu sollt‘ ich’s dir verraten – du hast ja kein Geld. Deinem Onkel will ich’s sagen – ich thu’s auf der Stelle – der giebt mir fünf Dollars für die Neuigkeit mit tausend Freuden.«

Sie drehte ihm verächtlich den Rücken und wollte gehen. Tom geriet in furchtbare Angst, er hielt sie am Kleide fest und flehte sie an, noch zu warten. Da wandte sie sich wieder um.

»Siehst du wohl, hab‘ ich dir’s nicht gesagt?« rief sie mit stolzer Miene.

»Was denn – ich erinnere mich nicht. Was hättest du mir gesagt?«

»Du würdest vor mir auf die Kniee fallen und mich drum bitten.«

Einen Augenblick stand Tom wie erstarrt, dann sagte er keuchend vor Aufregung:

»O Roxy, du wirst doch deinem jungen Herrn so etwas Schreckliches nicht zumuten? Das kann dein Ernst nicht sein.«

»Du wirst schon sehen, ob’s mein Spaß oder Ernst ist. Hast du mich nicht geschimpft und fast angespieen, als ich hergekommen bin, ich armes Weib, in aller Demut, um dir zu sagen, wie groß und hübsch du geworden bist, und wie ich dich gewartet Hab‘ und dich gepflegt, wenn du krank warst und keine Mutter hattest außer mir, in der ganzen weiten Welt? Die arme alte Negerin wollte nur ’nen Dollar haben, um sich Speise zu kaufen – du aber hast sie geschmäht und gescholten – straf‘ dich Gott! Jetzt geb‘ ich dir noch eine Frist – nur ’ne halbe Sekunde lang – ’s ist deine letzte – hörst du?«

Tom fiel auf die Kniee.

»Hier lieg‘ ich vor dir, Roxy – und ich bitte und flehe dich an – sage mir’s jetzt.«

Die Tochter der unglücklichen Rasse, welche zwei Jahrhunderte lang Schmach und Schimpf ungesühnt erduldet hatte, schaute auf ihn herab und schien ihre Seele mit Wonne an dem Anblick zu sättigen. Dann sagte sie:

»So ist’s recht. Der schöne, weiße, junge Herr kniet vor dem armen Negerweib. – Das hab‘ ich immer noch gern mal sehen wollen, so lang ich leb‘. Nun kann meinetwegen der Erzengel Gabriel in sein Horn stoßen, wann er will – ich bin bereit … Steh‘ auf!«

Tom erhob sich.

»Strafe mich jetzt nicht noch härter, Roxy,« bat er demütig. »Das hab‘ ich alles verdient, aber nun sei gut und laß mich frei. Gehe nicht zum Onkel. Sage mir alles – ich gebe dir die fünf Dollars.«

»Jawohl, das sollst du auch, und damit ist’s noch lange nicht genug. – Aber, ich sag‘ dir’s nicht hier –«

»Um Himmels willen, warum denn nicht?«

»Fürchtest du dich vor dem Gespensterhaus?«

»N – nein.«

»Gut, also dann komm um zehn oder elf Uhr heute nacht dorthin; steig‘ die Leiter ‚rauf, die Treppe ist abgebrochen – da wirst du mich finden. Ich wohn‘ im Gespensterhaus, weil ich keinen anderen Unterschlupf hab‘.« – Sie ging nach der Thür, stand aber wieder still. »Gieb mir den Dollarschein.« Er reichte ihr das Papier, sie betrachtete es nachdenklich: »Vielleicht will die Bank auch nicht mehr zahlen,« murmelte sie und wollte gehen; vorher aber fragte sie noch: »Hast du einen Schluck Branntwein?«

»Ja, einen Tropfen.«

»Hol‘ mir’s.«

Er lief in sein Zimmer hinauf und kam mit einer Flasche zurück, die noch über die Hälfte voll war. Ihre Augen funkelten; sie führte die Flasche zum Munde, trank daraus und steckte sie dann unter ihr Tuch. »Die Sorte ist gut,« sagte sie, »das nehm‘ ich mit.«

Tom geleitete sie bis zur Thür, die er öffnete, worauf sie wie ein Grenadier in stolzer, aufrechter Haltung hinausmarschierte.