Fünfzehntes Kapitel

Während Wilson die Vertreter der demokratischen Partei höflich hinausbegleitete, trat zur nämlichen Zeit Pembroke Howard drüben in das Nachbarhaus, um Bericht zu erstatten. Der alte Richter saß hoch aufgerichtet im Lehnstuhl und erwartete ihn mit ernster Miene.

»Nun, Howard – was für Nachricht bringst du?«

»Die beste, die man sich wünschen kann.«

»Der Italiener nimmt die Herausforderung an, nicht wahr?« Driscolls Auge blitzte in froher Kampfeslust.

»Jawohl, mit dem größten Eifer.«

»Wirklich? – nun das freut mich – das gefällt mir. Wann soll das Duell stattfinden?«

»Jetzt gleich. Auf der Stelle. Noch heute abend. Ein herrlicher, ein ganz vortrefflicher Mensch!«

»Ein wahrer Prachtsjunge! Es ist ja eine Ehre und Freude, sich mit dem jungen Mann zu schießen. Gehe nur schnell zu ihm und bringe alles ins reine – sage auch, ich lasse mich ihm bestens empfehlen. Wahrhaftig, du hast ganz recht – ein vortrefflicher Mensch!«

»Ehe noch eine Stunde vergeht, findest du ihn auf dem wüsten Platz zwischen Wilsons Wohnung und dem Gespensterhaus; ich bringe auch meine eigenen Pistolen mit,« sagte Howard davoneilend.

In erregter und doch befriedigter Stimmung ging der Richter eine Weile im Zimmer auf und ab; plötzlich stand er aber betroffen still – er dachte an Tom. Zweimal näherte er sich seinem Schreibpult und wandte wieder um, endlich faßte er einen Entschluß.

»Vielleicht ist dies meine letzte Nacht auf Erden,« sagte er nachdenklich; »ich darf die Sache nicht dem Zufall überlassen. Er ist ein unwürdiger Mensch, ein großer Nichtsnutz – aber, zum Teil bin ich selbst schuld daran. Mein Bruder hat ihn mir auf dem Totenbette anvertraut, und statt ihn streng zu erziehen und einen Mann aus ihm zu machen, habe ich ihm durch übermäßige Nachsicht geschadet. Wenn ich ihn nun zu guterletzt verstoße, so füge ich zu meiner Pflichtversäumnis nur noch ein neues Unrecht hinzu. Schon einmal habe ich mich mit ihm ausgesöhnt, und diesmal würde ich ihn erst einer langen und schweren Prüfung unterwerfen, bevor er meine Verzeihung erhielte. Allein, der Ausgang des Duells ist ungewiß. Deshalb will ich mein Testament wieder aufsetzen. Bleibe ich am Leben, so verberge ich es vor ihm; er soll nichts davon erfahren. Ich sage ihm nicht eher etwas, bis er sich gründlich bessert und ich sehe, daß seine Sinnesänderung von Dauer ist.«

Nun griff der Richter unverweilt zur Feder und machte den vermeintlichen Neffen wieder zum Erben seines Vermögens. Er war noch mit dieser Aufgabe beschäftigt, als Tom vom langen, trostlosen Umherirren ermüdet, das Haus betrat. Auf den Fußzehen an der Thür des Wohnzimmers vorbeischleichend, warf er einen flüchtigen Blick hinein und sah zu seinem Schrecken den Onkel am Schreibpult sitzen. Was konnte das bedeuten, zu so ungewöhnlich später Stunde? Tom durchrieselte es kalt. Ging das Schriftstück, das hier verfaßt wurde, vielleicht ihn selber an? – Höchst wahrscheinlich. Vielleicht war ein neues Unheil im Werke. Jedenfalls mußte er das Papier zu sehen bekommen, mochte daraus werden, was wollte. Jetzt hörte er Schritte und verbarg sich schnell, um unbemerkt zu bleiben. Es war Pembroke Howard. Da mußte etwas Besonderes vorgehen.«

»Alles in Ordnung,« sagte Howard mit großer Befriedigung. »Er ist mit seinem Bruder und dem Wundarzt auf den Kampfplatz gegangen – auch Wilson ist dabei, als sein Sekundant. Ich habe alles mit ihm verabredet. Fünfzehn Meter Abstand. Jeder soll drei Schüsse abfeuern.«

»Gut. Und der Mond?«

»Beinahe tageshell. Man kann deutlich auf die Entfernung sehen. Die Nacht ist warm und windstill, es rührt sich kein Hauch.«

»Vortrefflich, ganz ausgezeichnet. – Hier, Pembroke, lies das Papier und gieb mir deine Unterschrift als Zeuge.«

Howard las das Testament, schrieb seinen Namen darunter und schüttelte dem Richter kräftig die Hand.

»Recht so, York,« sagte er, »ich wußte es ja, daß du es thun würdest. Du konntest den armen Burschen unmöglich seinem Schicksal überlassen. Ohne Beruf im Leben und ohne Mittel wäre er sicher zu Grunde gegangen. Das hättest du nicht übers Herz gebracht, schon um seines toten Vaters willen.«

»Ich thu’s dem Andenken seines Vaters zuliebe. Du weißt ja, wie Percy und ich an einander hingen. Aber höre – Tom soll nichts davon wissen, außer wenn ich heute nacht falle.«

»Ich verstehe dich und will das Geheimnis bewahren.«

Die beiden Freunde begaben sich auf den Kampfplatz, nachdem der Richter zuvor das Testament fortgelegt hatte. Einen Augenblick später hielt Tom es bereits in Händen. All sein Elend war auf einmal vorbei, er fühlte sich wie neugeboren. Sorgfältig legte er das Papier wieder an den nämlichen Platz zurück, sperrte den Mund auf und schwang den Hut, einmal, zweimal, dreimal um den Kopf herum, was ein dreifaches, donnerndes Hurrah bedeuten sollte, doch kam kein Laut über seine Lippen. Vor freudiger Erregung hielt er lange, stumme Selbstgespräche, die er dann und wann durch ein neues, ebenso unhörbares Hurrahgeschrei unterbrach.

»Das Vermögen ist wieder mein,« sagte er bei sich, »aber ich verrate niemand, daß ich etwas davon weiß. Nun soll es mir nicht noch einmal verloren gehen, dafür will ich schon Sorge tragen. Ich gewöhne mir das Spielen und Trinken ab – ich brauche ja nur an keinen Ort mehr zu gehen, wo man derlei treibt. Das ist das sicherste Mittel, ich hätte es auch schon längst anwenden können, aber ich wollte nicht. Doch jetzt steht die Sache ganz anders. Er hat mir solchen Schrecken eingejagt, daß ich jeder Gefahr ausweichen will. Zwar habe ich mir den ganzen Abend vorgeredet, ich könnte ihn wieder herumbringen, falls ich mir rechte Mühe gebe, doch war das im Grunde genommen höchst zweifelhaft und machte mir schreckliche Sorge. Redet der Alte nicht von selbst über das Testament, so darf ich mir nichts merken lassen. Querkopf Wilson möchte ich es gern sagen, aber am Ende ist es besser, ich schweige auch gegen ihn.«

Wieder schwenkte er seinen Hut in der Luft.

»Nun bin ich ein anderer Mensch,« sagte er, »und diesmal wird die Besserung anhalten.«

Mitten in seinem Jubel fiel ihm plötzlich ein, daß Wilson ihm die Möglichkeit genommen hatte, das indische Messer zu versetzen oder zu verkaufen. Er sah sich außer stande, seine Gläubiger zu befriedigen, und wenn sie ihn verklagten, was dann? – Seine Freude war mit einem Schlage vorbei; jammernd und stöhnend über sein Mißgeschick, schlich er aus dem Wohnzimmer und schleppte sich die Treppe hinauf. In trostloser Stimmung saß er oben in seiner Stube; Luigis Dolchmesser wollte ihm gar nicht aus dem Sinn.

»Als ich noch glaubte, die Steine wären Glas und das Elfenbein Knochen, war mir das Ding gleichgiltig,« dachte er, »denn es konnte mir nicht aus der Not helfen. Aber jetzt ist es mir von höchstem Wert und macht mich zugleich totunglücklich. Es ist wie ein Sack voll Gold, der sich in meinen Händen zu Staub und Asche verwandelt. Wie leicht könnte es mir Hilfe bringen – und doch muß ich zu Grunde gehen. Ich ertrinke, während der Rettungsgürtel dicht neben mir liegt. Andere Leute haben Glück, ich dagegen werde förmlich verfolgt vom Unheil. Wenn ich nur an Querkopf Wilson denke – sogar seine Laufbahn nimmt jetzt einen Aufschwung, ich möchte wohl wissen, womit er das verdient hat! Ihm öffnet sich ein neuer Weg, aber statt froh darüber zu sein, weiß er nichts besseres, als mich in die Enge zu treiben. Die ganze Welt ist so niederträchtig und selbstsüchtig – am liebsten wäre ich tot. Er hielt die Scheide des Dolches an das Licht, daß die Juwelen funkelten und blitzten, aber der Glanz, an dem er sein Auge erfreuen wollte, war ihm nur ein Stich ins Herz. »Ich darf Roxy nichts von dem Messer sagen,« überlegte er, »sie ist zu tollkühn und wäre im stande, die Steine herauszubrechen, um sie zu verkaufen, – man würde sie einfach festnehmen, den Ursprung der Juwelen entdecken und –« rasch verbarg er den Dolch; ihm schauderte bei dem Gedanken. An allen Gliedern zitternd, blickte er verstohlen um sich, wie ein Missethäter, der glaubt, daß ihm die Verfolger schon auf den Fersen sind.

»Sollte er versuchen zu schlafen? – O nein, für ihn gab es keinen Schlummer; sein Unglück war zu quälend, zu unerträglich. Er brauchte jemand, der seine Bekümmernis teilte. Roxy sollte mit ihm trauern – er wollte zu ihr gehen.

In der Ferne ließen sich wiederholt Schüsse hören, aber das machte keinen Eindruck auf Tom, es war nichts Ungewöhnliches. Er ging zur Hinterthür hinaus und an Wilsons Wohnung vorüber. Als er durch den Heckenweg kam, sah er mehrere Personen über den unbebauten Platz auf Wilsons Haus zugehen. Es waren die Duellanten, die vom Kampfe zurückkehrten; Tom glaubte sie zu erkennen, wünschte jedoch eine Begegnung zu vermeiden, deshalb duckte er sich rasch hinter einen Zaun, bis er die Gesellschaft aus dem Gesicht verlor.

Roxy war in der besten Laune.

»Wo kommst du her, Kind?« fragte sie, »warst du nicht mit dabei?«

»Wobei denn?«

»Bei dem Duell!«

»Ist hier ein Duell gewesen?«

»Versteht sich. Der alte Richter hat sich mit einem Zwilling geschossen.«

»Du meine Güte! – Also, deshalb hat er das Testament wieder gemacht,« überlegte er im stillen; »der Gedanke, daß er fallen könnte, hat seinen Zorn gegen mich besänftigt. Das war es auch, was Howard und er so eifrig mit einander beredet haben!… O, wenn ihn der Zwilling nur totgeschossen hätte, dann wäre meine Qual auf einmal aus gewesen.«

»Was murmelst du da vor dich hin, Schamber? Wo warst du denn? Hast du von dem Duell gar nichts gewußt?«

»Kein Sterbenswort. Der Alte verlangte, ich sollte mich mit dem Grafen Luigi schlagen, doch da kam er an den Unrechten. Nun hat er wahrscheinlich selbst die Familienehre wieder zusammenflicken wollen.«

Er fand diesen Einfall höchst lächerlich und begann nun alle Einzelheiten seines Gesprächs mit dem Richter zu erzählen, auch wie entsetzt und außer sich der Alte gewesen war, daß ein Glied seiner Familie so feige sein könne. Beim Schluß des Berichts blickte er zu Roxana auf und bekam keinen geringen Schrecken, als er sah, wie sie in leidenschaftlicher Erregung mit fliegendem Atem dastand, während ein Ausdruck bodenloser Verachtung in ihren finstern Mienen lag.

»Der Mann hat dir ’nen Fußtritt gegeben, und du hast dich geweigert, mit ihm zu kämpfen, statt heilfroh zu sein über die Gelegenheit? Und du schämst dich gar nicht, vor mich hinzutreten und mir zu sagen, was ich für ’nen jammervollen erbärmlichen Furchthasen in die Welt gesetzt hab‘? Mir wird übel und weh davon. Es muß der Nigger sein, der in dir steckt. Du bist über und über weiß, bis auf ein einziges, winziges Stückchen, aber dies winzige schwarze Teilchen ist deine Seele. Die ist keinen Pfifferling wert, man thäte ihr noch zu viel Ehre an, wenn man sie mit ’ner Schaufel auf den Kehricht würfe. Du schändest deine Geburt. Was würde dein Vater von dir denken – er muß sich ja im Grabe ‚rumdrehn.«

Die letzten Worte machten Tom rasend vor Wut. Er sagte sich, daß wenn sein Vater noch am Leben wäre und ein Mordstahl ihn erreichen könnte, er seiner Mutter schon beweisen wollte, wie genau er wisse, was er dem Mann schuldig sei und wie gern er ihm alles heimzahlen würde, selbst auf Gefahr seines Lebens. Doch hielt er es bei Roxys augenblicklicher Stimmung für geraten, solche Gedanken nicht laut werden zu lassen.

»Was du mit deinem Essex-Blut gemacht hast, ist mir ein Rätsel. Aber das ist nicht etwa das einzige, edle Blut in dir. Mein Urururgroßvater und dein Ururururgroßvater war der alte Kapitän John Smith, der vornehmste Mann, den Altvirginien je gesehen hat. Seine Urahne aber aus ältester Zeit war Pocahontas, die Indianer-Königin, und ihr Mann war ein Negerkönig drunten in Afrika. Und bei solcher Abkunft stehst du da, fürchtest dich vor ’nem Zweikampf und entehrst deinen ganzen Stamm, als wärst du ’n elender gemeiner Hund. Ja, ja, das kommt von dem Nigger, der in dir steckt.«

Sie nahm auf ihrer Kiste Platz und versank in tiefes Sinnen. Tom saß schweigend dabei und störte sie nicht; wenn es ihm auch manchmal an der nötigen Klugheit fehlte, so doch nicht unter solchen Umständen. Der Sturm in Roxanas Innern war schwer zu beruhigen, doch legte er sich allmählich, nur von Zeit zu Zeit machte sie sich noch in einem Ausruf Luft, der dem fernen Grollen des Donners glich. »Nicht einmal an den Fingernägeln sieht man ihm den Neger an,« murmelte sie, »und da zeigt sich ’s doch immer am ersten – nur seine Seele ist schwarz gefärbt!«

Zuletzt wurde sie ganz still, und Tom nahm mit Vergnügen wahr, daß sich ihre Miene aufheiterte. Er kannte ihre verschiedenen Stimmungen genau genug, um zu wissen, daß sie nun bald wieder bei guter Laune sein würde. Zugleich fiel ihm auf, daß sie von Zeit zu Zeit mit dem Finger unwillkürlich ihre Nase berührte.

»Aber Mammy,« sagte er, sie näher betrachtend, »von deiner Nasenspitze ist ja die Haut herunter, wie geht das zu?«

Sie brach in ein schallendes Gelächter aus. Ein solches Lachen aus vollem, ungeteiltem Herzen ist eine Himmelsgabe, wie sie Gott niemand verliehen hat, außer den heiligen Engeln droben, und den armen, gequälten und zerschlagenen schwarzen Sklaven auf Erden.

»Das kommt von dem Duell,« rief sie, »ich hab‘ mitgethan.«

»Was? Hat dich etwa eine Kugel gestreift?«

»Jawohl, das will ich meinen.«

»Ist es möglich! Aber wie konnte das geschehen?«

»Ganz einfach. Ich sitze hier im Dunkeln und bin etwas eingenickt. Auf einmal – bumbum – knallt ein Schuß ganz in der Nähe. Da laufe ich nach der andern Seite, um zu sehen, was los ist, und stelle mich an das alte Fenster ohne Rahmen, das nach Querkopf Wilsons Haus geht – bei mir oben war’s dunkel, aber unten im hellen Mondschein steht einer von den Zwillingen – der braune war’s – und flucht ganz leise vor sich hin, die Kugel war ihm nämlich in die Schulter gedrungen. Doktor Claypool hatte ihn eben in der Mache und Querkopf Wilson half ihm dabei. Ein paar Schritte weiter aber stand der alte Richter Driscoll mit Pem Howard, die warteten, bis die andern fertig waren. Gleich darauf gaben sie das Zeichen, und – bums – gingen die Pistolen wieder los. ›Auweh!‹ rief der Zwilling, er war an der Hand getroffen, die Kugel aber flog in den Holzstoß unterm Fenster – ich hab’s gehört. Beim dritten Schuß rief der Zwilling wieder Auweh! und ich mußt‘ es ihm nachmachen. Die Kugel traf ihn am Backenknochen, kam hier heraufgehopst, prallte am Fenster ab, fuhr mir quer übers Gesicht und streifte mir die Haut von der Nasenspitze. Wär‘ ich nur ’nen Zoll näher gewesen, sie hätt‘ mir die ganze Nase mitgenommen und mich verunstaltet. Hier ist die Kugel, ich hab‘ sie gesucht und gefunden.«

»Bist du gar nicht vom Fenster fortgegangen?«

»So ’ne dumme Frage! Natürlich nicht. Bekommt man etwa alle Tage ein Duell zu sehen?«

»Du warst ja aber gerade in der Schußlinie. Hast du denn keine Furcht gehabt?«

Roxy lachte verächtlich.

»Furcht! Die Smith-Pocahontas fürchten nichts, und Kugeln erst gar nicht.«

»An Mut fehlt’s ihnen nicht, scheint mir, aber an Vorsicht desto mehr. Ich wäre da nicht stehen geblieben.«

»Das glaub‘ ich dir gern.«

»Ist denn sonst niemand verletzt?«

»Du hörst ja, es hat uns alle getroffen, außer dem Doktor, dem blonden Zwilling und den Sekundanten. Richter Driscoll ist nicht verwundet, aber ich hörte Querkopf sagen, die Kugel habe ihm ’nen Büschel Haare weggerissen.«

»O Jammer,« dachte Tom bei sich, »wie leicht hätte aller meiner Not ein Ende gemacht werden können. Nun er am Leben geblieben ist, wird er noch alles herausbekommen und mich an den ersten besten Sklavenhändler verkaufen – er würde sich gewiß nicht lange besinnen.« Zu Roxana gewandt, fuhr er in dumpfer Verzweiflung fort:

»Mutter, wir sind in einer furchtbaren Klemme.«

»Aber Kind,« rief sie mit stockendem Atem, »was erschreckst du mich denn so? Ist etwa ein Unglück geschehen?«

»Ja – etwas habe ich dir noch gar nicht gesagt: Als ich mich nicht mit dem Grafen schießen wollte, hat der Alte das Testament wieder zerrissen und –«

Roxana wurde leichenblaß. »Nun ist es vorbei mit dir – auf immer und ewig. Das ist das Ende vom Lied. Wir müssen beide Hungers sterben.«

»So warte doch nur und laß mich ausreden. Als er sich zu dem Duell entschlossen hatte, fiel ihm ein, daß er mir nicht mehr vergeben könne, falls es ihm das Leben kostete. So schrieb er denn sein Testament noch einmal – ich habe es gesehen, es ist ganz in Ordnung. Aber –«

»Dem Herrgott sei Dank, dann sind wir gerettet und alles ist wieder gut. Was brauchst du aber herzukommen und mir solchen Schrecken einzujagen, wenn –«

»So unterbrich mich doch nicht immer! – Mit der Beute von neulich kann ich meine Schulden kaum zur Hälfte decken, und wenn die Gläubiger nicht warten wollen – nun, du weißt ja, was dann geschieht.«

Roxana stützte das Kinn in die Hand und befahl ihrem Sohn zu schweigen, damit sie sich die Sache ruhig überlegen könne. Nach einer Weile sagte sie mit Nachdruck:

»Du mußt jetzt gewaltig auf deiner Hut sein, hörst du wohl. Er ist noch am Leben, und giebst du ihm den geringsten Grund zur Unzufriedenheit, so zerreißt er das Testament wieder und ’s ist zum letztenmal. Drum mußt du dich in den nächsten Tagen von deiner besten Seite zeigen, du mußt furchtbar brav sein und alles thun, damit er wieder Vertrauen zu dir faßt. Auch bei der alten Tante Pratt mußt du dich einschmeicheln – sie meint es nur zu gut mit dir, und der Richter hält große Stücke auf sie. Ist das geschehen, so gehst du nach St. Louis, damit du ihre Gunst nicht wieder verlierst. Dort machst du ’nen Vertrag mit den Gläubigern. Du sagst ihnen, der Alte wird nicht lange mehr leben – das ist ja auch wahr – und du wirst ihnen Zinsen zahlen, hohe Zinsen – zehn pro – wie nennt man’s doch?»

»Zehn Prozent den Monat?«

»Das ist’s. Nun verkaufst du deine Beute, ganz wenig auf einmal und bezahlst damit die Zinsen. Wie lange wird das reichen?«

»Ich glaube, es wird genug sein, um die Zinsen fünf oder sechs Monate lang zu zahlen.«

»Dann läßt sich’s machen. Stirbt er auch nicht in sechs Monaten, das thut nichts zur Sache. Die Vorsehung wird schon weiter sorgen. Es kann alles gut gehen, wenn du dich ordentlich aufführst. Und daß du auf geradem Wege bleibst,« fuhr sie fort, ihn mit strengem Blick musternd, »dafür werd‘ ich sorgen.« Er lachte und meinte, er würde es versuchen und sich alle Mühe geben. Aber das genügte ihr nicht.

»Von versuchen ist keine Rede mehr,« sagte sie mit ernster Stimme, »hier handelt’s sich um thun. Du stiehlst keine Stecknadel wieder, weil das jetzt gefährlich ist, auch gehst du mir nie mehr in schlechte Gesellschaft – nicht ein einziges Mal, hörst du wohl? Du trinkst auch keinen Tropfen mehr und rührst keine Karte wieder an. Das alles sollst du nicht versuchen, sondern wirklich thun. Und damit ich weiß, daß es geschieht, geh‘ ich auch nach St. Louis. Du kommst dort jeden Tag zu mir, daß ich sehen kann, wie’s um dich steht. Thust du aber nicht alles genau, wie ich’s dir sage, bist du mir auch nur ein einziges Mal zuwider – so geh‘ ich ohne viel Federlesens in die Stadt zurück, sage dem alten Richter, daß du ein Neger bist und ein Sklave – und liefere ihm die Beweise.« Sie hielt einen Augenblick inne, um den Eindruck ihrer Worte zu beobachten und fragte dann: »Glaubst du auch, daß ich thun werde, was ich sage, Schamber?«

Tom war jetzt in sehr ernster Stimmung. Aller Leichtsinn schien von ihm gewichen, als er erwiderte:

»Ja, Mutter. Ich weiß auch, daß ich jetzt neue Saiten aufziehen und mich ein- für allemal bessern muß. Keiner Versuchung will ich mehr nachgeben, und in Zukunft ein anderer Mensch werden.«

»Gut, dann geh‘ nach Hause und fang‘ gleich damit an.«