Fünftes Kapitel.

Es gibt einen alten goldenen Spruch, welcher lautet: »Wohl dir, wenn du beim Aufstieg zum Hügel des Glücks keinem Freunde begegnest.«

Querkopf Wilsons Kalender.

Zunächst wurden wir von Bekannten nach einem Dschain-Tempel mitgenommen; er war nicht groß und mit vielen flatternden Wimpeln geschmückt, die an Flaggenstangen befestigt sind; auf den Zinnen des Daches stehen ringsum eine Unmenge kleiner Götzenbilder. In der Mitte des innern Raumes sagte ein einsamer Dschain laut seine Gebete her und ließ sich durch unsere Gegenwart in keiner Weise stören. Seine Andacht galt einem kleinen, sitzenden, rosig gefärbten Götzen, der sich etwa zwölf Fuß vor ihm befand und einer schlecht geformten Wachsfigur glich. Mr. Gandhi, der dem Kongreß der Weltreligionen in Chicago als Abgeordneter beigewohnt hat, setzte uns die Lehren der Dschaina in trefflichem Englisch auseinander, aber was er sagte ist meinem Gedächtnis entschwunden. Ich weiß nur noch, daß sich ihre religiösen Vorstellungen in erhabene Formen kleiden, und grobe Sinnlichkeit ihnen fremd ist. Wie sich das mit der Anbetung des rohen Götzenbildes vereinbaren läßt, kann ich nicht erklären. Vermutlich stellt dieses ein Wesen dar, das nach vielhundertjährigen Seelenwanderungen, bei stetiger Zunahme an Frömmigkeit und Tugend, zuletzt zu einem Heiligen, einer Art Gottheit geworden ist, welche die Anbetung stellvertretend entgegennimmt, um sie der Himmelsbehörde zu übermitteln. So denke ich es mir wenigstens.

Von dort begaben wir uns nach Mr. Premchand Roychands Bungalow im Love Lane, Byculla, wo ein indischer Fürst, der kürzlich von der Kaiserin Viktoria zum Ritter des indischen Sternordens ernannt worden war, die Abgesandten der Dschaina empfangen wollte, welche ihm wegen dieser hohen Ehre ihre Glückwünsche darbrachten. Selbst der größte indische Fürst verschmäht die Auszeichnung nicht; er erläßt seinen Untertanen die Steuern und gibt viel Geld aus zur Verbesserung der öffentlichen Zustände, wenn er dafür die Ritterwürde erlangen kann. Alljährlich verleiht die Kaiserin verschiedenen einheimischen Fürsten zum Lohn für ihre Verdienste den Stern von Indien und teilt zugleich Kanonen an sie aus, welche sie beim Salutschießen abfeuern dürfen. Ein keiner Fürst hat drei oder vier Kanonen, die ihm den Ehrengruß bringen, und mit der Bedeutung des Fürsten nimmt auch die Zahl seiner Kanonen zu, bis auf elf Stück, ja vielleicht haben manche noch mehr, aber das weiß ich nicht bestimmt. Mir ist gesagt worden, daß wenn ein vier Kanonen-Fürst die fünfte erhält, seine Umgebung sehr darunter leidet, denn solange ihm die Sache noch neu ist, möchte er bei jeder Gelegenheit Salutschüsse haben, und die ohrenzerreißende Musik will gar kein Ende nehmen. Wie viele Kanonen so große Herrscher wie der Nizam von Hyderabad und der Gaikawar von Baroda haben, vermag ich, wie gesagt, nicht anzugeben.

Als wir das Bungalow betraten, fanden wir die große Halle im Erdgeschoß bereits voller Menschen, und noch immer kamen neue Wagen vorgefahren. Die Versammlung bot ein hübsches Schauspiel; alles funkelte und blitzte wie bei einem Feuerwerk, so bunt waren die Kostüme und so glänzend die Farben. Ganz besonders merkwürdig fand ich die Ausstellung der verschiedenen Turbans. Ihre wunderbare Mannigfaltigkeit erklärte sich dadurch, daß die Mitglieder der Dschaina-Gesandtschaft aus allen Teilen Indiens stammten und jeder einen Turban trug, wie er in seiner Gegend Sitte war.

Ich würde dort gern eine Konkurrenz-Ausstellung von christlichen Trachten und Kopfbedeckungen veranstaltet haben. Dazu hätte ich nur alle indische Herrlichkeit aus einer Hälfte des Raumes zu entfernen und diese mit Christen aus Amerika, England und den Kolonien anzufüllen brauchen, welche Hüte und Kleider trugen, wie sie vor zwanzig, vierzig, fünfzig Jahren Mode waren oder wie man sie heutzutage hat. Es wäre eine greuliche Sammlung gewesen, ein Anblick von ausgesuchter Scheußlichkeit. Auch die weiße Gesichtsfarbe hatte ihr Teil dazu beigetragen. Sie kommt uns zwar nicht gerade unleidlich vor, solange wir uns unter lauter Weißen befinden, sehen wir sie aber zusammen mit einer Menge brauner oder schwarzer Gesichter, so wird uns augenblicklich klar, daß nur die Gewohnheit sie erträglich macht. Eine schwarze oder braune Haut ist fast immer schön, eine weiße nur sehr selten. Will man sich hiervon überzeugen, so braucht man nur an einem Wochentage in Paris, New York oder London eine Straße hinunterzugehen – nicht gerade im vornehmsten Viertel – und sich zu merken, wie vielen Menschen mit gutem Teint man auf einer etwa meilenlangen Strecke begegnet. Neben dunkeln Gesichtern sehen die weißen ausgewaschen, ungesund, oft förmlich gespensterhaft aus. Schon als Knabe hatte ich daheim, zur Sklavenzeit vor dem Bürgerkrieg, Gelegenheit gehabt diese Beobachtung zu machen. Wahrhaft bewundernswert erschien mir aber die prächtige schwarze Haut der südafrikanischen Zulus aus Durban, die wie Atlas glänzte. Ich sehe sie noch vor mir, diese schwarzen Athleten, wie sie mit den Rickschas vor dem Hotel auf Kundschaft warteten. Die schönen Gestalten waren nur wenig verhüllt durch die leichte Sommerkleidung, deren schneeiges Weiß das tiefe Schwarz der Neger um so mehr hervortreten ließ. In Gedanken vergleiche ich jene Zulu-Gruppe mit den Bleichgesichtern, die soeben an meinem Fenster in London vorübergehen:

Erste Dame: Gesichtsfarbe: neues Pergament.

Zweite: Altes Pergament.

Dritte: Weiß und rot; sehr hübsch.

Ein Mann: Graues Gesicht mit roten Flecken.

Ein anderer Mann: Ungesunde, schuppige Haut.

Mädchen: Blaßgelb mit Sommersprossen.

Alte Frau: Weißlichgrau. Metzgerbursche: Stark gerötetes Gesicht.

Gelbsüchtiger Mann: Helle Senffarbe.

Aeltere Dame: Farblose Haut mit zwei großen Muttermälern.

Aelterer Mann (dem Trunk ergeben): Kartoffelnase in einem welken, von feuerroten Falten durchzogenen Gesicht.

Gesunder junger Herr: Schöner, frischer Teint.

Kranker junger Herr: Weiß, wie ein Gespenst.

Die Hautfarbe unzähliger Menschen ist nur eine matte, charakterlose Abschattierung dessen, was wir fälschlich ›weiß‹ zu nennen pflegen. Manche Gesichter sind mit Pusteln bedeckt oder tragen sonstige Zeichen eines ungesunden Blutes, während andere grell abstechende Narben und Flecken haben. Im Gesicht des weißen Mannes läßt sich nichts verbergen; durch alle erdenklichen Zufälligkeiten werden seine Reize beeinträchtigt. Die Damen schminken und pudern sich, brauchen Schönheitswasser, Arsenik, und mancherlei Mittel um die Haut zu glätten; sie streicheln und schmeicheln, sie schmieren und wirtschaften an ihr herum und geben sich unsägliche Mühe sie zu verschönern. Alles umsonst. Doch liefern ihre Anstrengungen uns den besten Beweis, welche geringe Meinung sie von der Beschaffenheit der Haut im allgemeinen haben. Was sie sich nachzuahmen bestreben, gewahrt die Natur nur sehr, sehr wenigen. Von hundert Personen haben neunundneunzig gewiß einen schlechten Teint, und wie lange vermag der Hundertste, dem ein guter verliehen ist, sich denselben zu erhalten? Höchstens zehn Jahre.

Nein, der Zulu ist entschieden im Vorteil. Er hat von Anfang an seine schöne Gesichtsfarbe und behält sie, solange er lebt. Und wie angenehm und wohltuend für das Auge ist erst das bestimmte, glatte, fleckenlose Braun des Inders; es braucht keine Farbe zu scheuen, es paßt zu allen und erhöht ihren Reiz. Daß sich der Durchschnittsteint des Weißen mit dieser wundervollen, köstlichen Färbung auch nur entfernt vergleichen ließe, davon kann gar keine Rede sein.

Doch kehren wir zum Bungalow zurück. Am prächtigsten gekleidet waren einige Kinder. Von den leuchtenden Farben ihrer kostbaren Stoffe und den Edelsteinen, mit denen sie behangen waren, ging ein förmlicher Strahlenglanz aus. Man hielt sie für Mädchen, und doch waren es Knaben, Natsch-Tänzer von Beruf. Einzeln, zu zweien oder zu vieren standen sie auf und tanzten und sangen zu den unheimlichen Klängen der Begleitung. Ihre Stellungen und Bewegungen waren höchst anmutig und kunstvoll, aber die Stimmen scharf und unangenehm und die Melodien größtenteils sehr eintönig.

Nicht lange, so erhob sich draußen ein lautes Hurra und Jubelrufen. Es galt dem Fürsten, der mit Gefolge seinen feierlichen Einzug hielt. Er war ein stattlicher Herr in wundervollem Kostüm, bedeckt mit Schnüren von Perlen und Edelsteinen; unter letzteren befanden sich einige Smaragde von erstaunlicher Größe, die in ganz Bombay wegen ihrer Schönheit und Kostbarkeit berühmt sind; das Auge konnte sich gar nicht satt daran sehen. Auch der kleine Prinz, der den Fürsten begleitete, war eine strahlende Erscheinung.

Langwierige Zeremonien fanden nicht statt. Der Fürst schritt mit ernster Würde und Majestät auf seinen Thron zu, neben welchem der des Prinzen stand. Feierlich saßen die beiden da, während sich rechts und links von ihnen das Gefolge gruppierte. Es war das getreue Abbild einer Schaustellung, wie wir sie oft in Büchern beschrieben finden. Seit Salomo einst die Königin von Saba empfing und seine Schätze vor ihr ausbreitete, haben die Fürsten aller Zeiten es für ihre Pflicht gehalten, sich mit solchem Gepränge zu zeigen.

Der Führer der Dschaina-Abordnung verlas seine Glückwunschadresse und steckte sie dann in ein schön verziertes Silberrohr, das er dem Fürsten ehrfurchtsvoll überreichte, worauf dieser es ohne weiteres einem seiner Beamten einhändigte. Ich will die Adresse hier mitteilen, denn es ist interessant zu sehen, wofür die Untertanen eines indischen Fürsten unter der heutigen englischen Herrschaft ihrem Monarchen alles zu danken haben. Zur Zeit seines Großvaters, vor anderthalb Jahrhunderten, als sich England noch nicht in die indische Verwaltung einmischte, hätte man sich bei der Dankadresse sehr kurz fassen können. In jenen Tagen der Freiheit würde das Volk dem Fürsten gedankt haben:

  1. Daß er nicht aus bloßer Laune zu viele seiner Untertanen erschlagen habe.
  2. Daß er sie nicht durch Erhebung willkürlicher Abgaben gänzlich ausgesogen und der Hungersnot preisgegeben habe.
  3. Daß er nicht unter nichtigem Vorwand die Reichen getötet und ihr Vermögen eingezogen habe.
  4. Daß er die Angehörigen des Königshauses nicht getötet, geblendet, eingekerkert oder verbannt habe, um seinen Thron gegen Verschwörungen zu sichern.
  5. Daß er sich nicht habe bestechen lassen, irgend einen seiner Untertanen heimlich den Banden berufsmäßiger Thugs zu überliefern, damit sie ihn im Hinterhof des Fürstenschlosses nach Belieben ermorden und ausplündern konnten.

Das waren die gebräuchlichsten Maßregeln der Fürsten in alter Zeit; aber diese sowohl wie einige andere, nicht minder harte, sind unter der englischen Herrschaft schon längst abgeschafft worden. Bessere Mittel und Zwecke sind seitdem an ihre Stelle getreten, wie uns die Glückwunschadresse der Dschaina sofort beweisen wird. Dieselbe lautete:

»Allergnädigster Fürst! – Wir, die unterzeichneten Mitglieder der Dschaina-Gemeinde von Bombay, nähern uns Eurer Hoheit mit aufrichtiger Freude, um wegen der kürzlich erfolgten Ernennung Eurer Hoheit zum Ritter des erhabenen Sternordens von Indien, unsere herzlichsten Glückwünsche darzubringen. Vor zehn Jahren durften wir Eure Hoheit unter Umständen in dieser Stadt willkommen heißen, welche in der Geschichte Ihrer Herrschaft eine denkwürdige Episode bezeichnen; denn ohne die Besonnenheit und Großmut, welche Eure Hoheit in den Verhandlungen zwischen dem Palitana Dunbar und der Dschain-Gemeinde an den Tag legten, hätte der versöhnliche Geist unseres Volkes keine Frucht tragen können. Das war der erste Schritt Eurer Hoheit bei Uebernahme der Verwaltung, durch welchen Sie sich nicht nur die dankbare Anerkennung der Dschain-Gemeinde, sondern auch der Regierung von Bombay gesichert haben. Nachdem nun Eure Hoheit zehn Jahre lang alle Erfahrung, Kraft und Fähigkeit in den Dienst der Verwaltung gestellt hat, ist Eurer Hoheit verdientermaßen die erhabene und ehrenvolle Auszeichnung der Ernennung zum Ritter des Sternordens zu teil geworden, den kein anderer Fürst vom Range Eurer Hoheit, soviel wir wissen, je zuvor erhalten hat. Wir können Eurer Hoheit die untertänige Versicherung geben, daß wir auf diese Ehrenbezeigung aus der Hand Ihrer Majestät, unserer gnädigsten Kaiserin und Königin, nicht weniger stolz sind als Eure Hoheit selbst. Wir verdanken Eurer Hoheit während dieser zehn Jahre die Einrichtung vieler Faktoreien, Schulen, Hospitäler und dergleichen im Staate, und wir hoffen, daß Eure Hoheit noch lange mit Weisheit und bewährter Umsicht über das Volk herrschen werde, um die vielen von Eurer Hoheit gütigst angebahnten Reformen auch künftig in Gnaden zu fördern. Indem wir nochmals unsere wärmsten Glückwünsche aussprechen, verharren wir als Eurer Hoheit untertänigste Diener.«

Faktoreien, Schulen, Hospitäler, Reformen! Das sind die Sachen, welche die Fürsten Indiens neuerdings unterstützen und wofür sie Orden und Kanonen erhalten!

Auf die Adresse antwortete der Fürst kurz und bündig, dann unterhielt er sich noch ein paar Augenblicke mit dem einen oder andern der Gäste auf Englisch und mit mehreren Beamten in einer indischen Sprache; zuletzt wurden, wie gewöhnlich, Kränze verteilt und die Festlichkeit war zu Ende.