Einunddreißigstes Kapitel.

Laßt uns Adam, unserm Wohltäter, dankbar sein, daß er den ›Segen‹ des Müßiggangs von uns genommen und den ›Fluch‹ der Arbeit über uns gebracht hat.

Querkopf Wilsons Kalender.

Am 20. November erreichten wir Auckland und hielten uns einige Tage in dieser schönen, sehr hoch gelegenen Stadt auf; man hat dort einen Ausblick über das Meer, an dem man sich gar nicht satt sehen kann. Wir machten wundervolle Spazierfahrten mit Bekannten in der Umgegend. Von dem grasbewachsenen Kratergipfel des Mount Eden schweift das Auge über eine weite und wechselvolle Landschaft: dicht belaubte Wälder, grüne Hügel, blumige Wiesen und dahinter lange ebene Strecken, auf denen sich hier und da hohe, ausgebrannte Krater erheben. Weiterhin glänzen und funkeln blaue Buchten, und in traumhafter Ferne schimmern die Berge gespenstisch durch ihre Nebelschleier.

Gewöhnlich fährt man von Auckland aus nach Rotorua zu den berühmten heißen Seen und Springquellen, welche als große Merkwürdigkeit Neuseelands gelten; aber ich war nicht wohl genug, um den Ausflug zu unternehmen. Die Regierung hat dort ein Sanatorium errichtet, wo für den Touristen sowohl wie den Kranken aufs angenehmste gesorgt wird. Der daselbst angestellte Arzt drückt sich stets sehr mäßig aus, wenn er von dem Heilerfolg der Bäder bei Rheumatismus, Gicht, Lähmung und ähnlichen Uebeln spricht; dagegen preist er die Wirkung des Wassers als unvergleichlich in Fällen von Trunksucht. Der Trinker wird unfehlbar geheilt, selbst wenn die Krankheit bei ihm noch so chronisch geworden ist, ja, er verliert sogar die Begierde nach berauschenden Getränken für alle Zeiten. Sobald es nur erst allgemein bekannt sein wird, daß für die Opfer des Alkoholismus hier sichere Rettung zu finden ist, werden die Leute scharenweise aus Europa und Amerika herbeiströmen.

Diese ganze, wegen ihrer Thermalquellen berühmte Gegend Neuseelands umfaßt eine Landstrecke von über 600 000 Morgen oder etwa 1000 Quadratmeilen. Rotorua ist am besuchtesten; es bildet den Mittelpunkt des schönen, gebirgigen Seedistrikts und dient den Reisenden zum Standquartier bei ihren Ausflügen. Die Zahl der Kranken ist groß und wächst beständig. Rotorua ist das Karlsbad Australiens.

In Auckland wird auch der Kauri-Kopal verschifft, hauptsächlich nach Amerika. Man bringt durchschnittlich 8000 Tonnen des Jahrs zur Stadt. Unassortiert hat er einen Wert von 309 Dollars die Tonne; die feinsten Sorten erzielen aber oft einen Preis von 1000 Dollars. Das Harz kommt in Stücken vor, ist hart und glatt und gleicht dem Bernstein; auch ist es, wie dieser, hellgelb bis dunkelbraun. Unter den hellfarbigen Stücken hätte man einige für ziemlich gute Nachahmungen roher südafrikanischer Diamanten halten können, sie waren so wundervoll glänzend, glatt und durchsichtig. Der Kauri-Kopal dient zur Bereitung von Lack und Firnis, er stammt von der Kaurifichte und wird meist aus dem Boden gegraben, wo das Harz seit Jahrhunderten liegt, da viele von den Bäumen, aus denen es geflossen ist, der heutigen Vegetation nicht mehr angehören. Dr. Campbell in Auckland erzählte mir, er habe schon vor fünfzig Jahren eine Ladung nach England geschickt, aber ohne Erfolg. Niemand wußte etwas damit anzufangen und man verkaufte es für fünf Pfund Sterling die Tonne zum Feueranzünden.

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26. November. 3 Uhr nachmittags abgesegelt. Der Hafen ist schön und ungeheuer groß; noch stundenweit hat man Land ringsumher. Der Tangariwa ragt empor – das ist der Berg, der, wie in Auckland allgemein behauptet wird, überall gleich aussieht, man mag ihn betrachten von welcher Seite man will. Ganz richtig – von welcher Seite man will – mit dreizehn Ausnahmen….

Herrliches Sommerwetter. In der Ferne tummelt sich eine große Schar Walfische. Der Staubregen, den sie emporspritzen, sieht zart und luftig aus in dem rosigen Schein der untergehenden Sonne oder wenn er sich abhebt gegen den dunkeln Hintergrund einer Insel, die im tiefblauen Schatten von Sturmwolken ruht… Zur Linken erhebt sich ein großer Felsblock mitten im Meer. Vor einiger Zeit stieß ein Schiff, das im Nebel zwanzig Meilen aus seinem Kurs gekommen war, bei voller Fahrt dagegen; 140 Menschen ertranken in den Wellen. Der Kapitän nahm sich auf der Stelle selbst das Leben, ohne sich erst zu besinnen. Mochte er schuld an dem Unfall sein oder nicht, er wußte, daß die Gesellschaft, der das Schiff gehörte, ihn jedenfalls sofort entlassen würde, um mit ihrer Sorge für die Sicherheit der Passagiere Reklame zu machen. Dadurch wurde es ihm aber fast unmöglich gemacht, seinen ferneren Lebensunterhalt zu verdienen.

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27. November. Heute kamen wir bis Gisborne und ankerten in einer großen Bucht, eine Meile weit vom Ufer. Die See ging hoch und wir blieben an Bord. Ein kleiner Schleppdampfer, der vom Lande auf uns zufuhr, war ein Gegenstand atemlosen Interesses. Er klomm bis zum Gipfel einer Welle, schwankte dort einen Augenblick als ein grauer Schatten wie betrunken hin und her, in dem vom Sturm zerstäubten Wasser, tauchte plötzlich in die Tiefe und blieb so lange unsichtbar bis man ihn für verloren hielt; dann schoß er auf einmal wieder in ganz schräger Richtung empor, während das Wasser in Strömen vom Vorderdeck herabstürzte. So trieb es der Dampfer die ganze Zeit über, bis er unser Schiff erreicht hatte. In seinem Bauche befanden sich fünfundzwanzig Passagiere, die zu uns an Bord wollten – Männer und Frauen, meistens Mitglieder einer reisenden Schauspielertruppe. Die Mannschaft war auf Deck in Südwestern, wasserdichten Anzügen von gelbem Segeltuch und hohen Stiefeln. Das Deck stand so schräg wie eine Leiter und schwankte auf und ab; große Wellen sprangen fortwährend an Bord und rollten darüber hin. Wir befestigten ein langes Seil an der Raanocke, hingen einen höchst kunstlosen Korbstuhl daran und ließen ihn im weiten Himmelsraum wie einen Pendel auf gut Glück hin und her schaukeln. Im geeigneten Moment wurde er von geschickten Händen hinabgelassen und drüben fingen zwei Männer am Vorderdeck die gut gezielte Leine auf. Ein junger Bursche von unserer Mannschaft saß im Korbstuhl, um den weiblichen Passagieren herüber zu helfen. Sofort erschienen einige Damen aus der Kajüte, setzten sich ihm auf den Schoß, und wir zogen sie über uns in den Himmel hinauf. Einige Augenblicke warteten wir noch, bis das Schlingern des Schiffes sie herüberbrachte, dann ließen wir das Seil herab und erfaßten den Korb, als er eben das Deck erreichte. So brachten wir alle fünfundzwanzig an Bord und schafften fünfundzwanzig unserer eigenen Passagiere in den Schleppdampfer – darunter mehrere alte Damen und eine Blinde – noch dazu ohne den geringsten Unfall. Es war ein schönes Stück Arbeit.

Wir sind mit unserm Schiff sehr zufrieden, es ist hübsch und geräumig, auch alles darin bequem und gut in Ordnung. In einem Hotel kommt es wohl vor, daß man auf eine Ratte tritt, aber an Bord haben wir lange nichts von Ratten gespürt, außer vielleicht auf der ›Flora‹; aber da waren wir mit wichtigeren Dingen beschäftigt. Es ist mir aufgefallen, daß man nur noch auf Schiffen und in Hotels Ratten findet, wo die abscheulichen chinesischen Gongs gebraucht werden. Der Grund kann nur sein, daß die Ratten nicht nach der Uhr zu sehen verstehen, um zu erfahren, in welcher Tageszeit sie leben, und einen Ort fliehen, an dem sie nie wissen, wann das Essen fertig ist.

2. Dezember. Montag. Von Napier nach Hastings benutzten wir den Schnellzug, der in Neuseeland zweimal die Woche fährt. In Waitukurau war zwanzig Minuten Aufenthalt und wir nahmen einen Imbiß. Ich saß oben am Tisch, so daß ich die rechte Wand sehen konnte, während meine Frau, meine Tochter und Mr. Carlyle Smythe, mein Geschäftsführer, der Wand den Rücken zukehrten. Auf dieser Wand hingen einige Bilder ziemlich weit von mir, so daß ich sie nicht deutlich erkennen konnte, aber nach der ganzen Gruppierung der Gestalten nahm ich an, daß eins derselben die Ermordung von Napoleons des Dritten Sohn durch die Zulus in Südafrika darstellte. Ich unterbrach das Gespräch, welches sich eben um Poesie, Kohlköpfe und bildende Kunst drehte und wandte mich an meine Frau mit der Frage:

»Weißt du noch, wie die Nachricht in Paris ankam –«

»Daß der Prinz ermordet wäre?«

(Ich hatte genau diese Worte im Sinn gehabt.) »Welcher Prinz denn?«

»Napoleon – Lulu.«

»Wie kommst du eben jetzt darauf?«

»Ich weiß nicht.«

Höchst sonderbar! – Wir hatten uns auf keine Weise miteinander verständigt. Die Bilder waren nicht erwähnt worden und meine Frau konnte sie nicht sehen. Vor sieben Monaten waren wir nach einem mehrjährigen Aufenthalt von Paris abgefahren, um diese Reise zu unternehmen und meine Frau hätte an irgend eine Nachricht denken müssen, die in jüngst vergangener Zeit nach Paris gekommen war. Statt dessen dachte sie an ein Erlebnis bei unserm kurzen Besuch in Paris vor sechzehn Jahren.

Es war ein deutliches Beispiel von Gedankentelegraphie, von geistiger Wechselwirkung. Ich hatte die Idee aus meinem Hirn an sie telegraphiert. – Woher ich das so bestimmt weiß? – Nun einfach deshalb, weil es ein Irrtum war. Es ergab sich nämlich, daß jenes Bild weder die Ermordung Lulus darstellte, noch überhaupt etwas, das sich irgendwie auf Lulu bezog. Ich mußte ihr den Irrtum telegraphiert haben, denn außer in meinem Kopfe war er nirgends vorhanden.