Dreizehntes Kapitel.

In den Thälern von Ellison, Eagle und Washoe sind die Berge sehr hoch und steil, und so beginnen, wenn der Schnee im Frühling schnell schmilzt und das warme obere Erdreich feucht und weich wird, die verderbenbringenden Erdrutsche. Der Leser kann nicht wissen, was ein Erdrutsch ist, wenn er nicht hier in der Gegend gelebt hat und gesehen, wie eines schönen Morgens die ganze Seite eines Berges gleichsam abgeblättert unten im Thale liegt, so daß nichts als eine ungeheure, baumlose, abschreckend kahle Wand am Bergeshange übrig bleibt, um das Andenken an den Vorfall lebendig zu erhalten.

General Buncombe war als Anwalt der Vereinigten Staaten nach Nevada verschickt worden. Dieser Territorialbeamte betrachtete sich gleichzeitig als Sachwalter für Privatpersonen und strebte sehr eifrig nach einer Gelegenheit zur Betätigung dieser Eigenschaft, teils aus reinem Wohlgefallen daran, teils weil sein Gehalt als Staatsbeamter eines Territoriums sehr mager war. Nun pflegen die älteren Bewohner eines neuen Territoriums auf die übrige Welt mit gelassenem, wohlwollendem Mitleid herabzusehen, d. h. solange man ihnen nicht in den Weg kommt; tritt man ihnen in den Weg, so wird man angeschnauzt. Bisweilen auch ziehen sie die Neulinge durch allerhand Streiche und Scherze auf.

Eines Morgens erschien Dick Hyde vor General Buncombes Thür in Carson-City zu Pferde im tollsten Lauf und stürzte zu ihm hinein, ohne sich nur Zeit zum Anbinden seines Pferdes zu lassen. Er befand sich in großer Aufregung und bat den General, einen Prozeß für ihn zu führen, für den er fünfhundert Dollars bekäme, falls er ihm den Sieg erstritte. Dann ließ er sich unter wilden Geberden und einer Flut gotteslästerlicher Flüche über seine Beschwerdepunkte aus. Es sei so ziemlich allgemein bekannt, sagte er, daß er seit etlichen Jahren im Distrikt Washoe eine Farm oder nach der gewöhnlichen Bezeichnung einen Rancho mit ganz gutem Erfolg bewirtschafte, und ebenso, daß Tom Morgan unmittelbar über ihm auch einen Rancho besitze. Unglücklicherweise habe nun ein solcher verhaßter und gefürchteter Erdrutsch stattgefunden, wodurch Morgans Rancho: Zäune, Hütten, Vieh, Scheunen, alles miteinander auf seinen Rancho herabgestürzt sei und sein Eigentum etwa achtunddreißig Fuß hoch vollständig zugedeckt habe. Morgan sei im Besitz des herabgerutschten Landes und weigere sich, es zu räumen. Er machte geltend, daß er in seiner eigenen Hütte sitze und niemand in der seinigen störe; die Hütte stehe auf demselben Erdreich und demselben Grundstück, wo sie immer gestanden, und er wolle den sehen, der ihn zwinge auszuziehen.

»Und als ich ihn daran erinnerte,« fuhr Hyde weinend fort, »daß er gerade doch auf meinem Rancho sitze und daß er rechtswidrig in denselben eingebrochen sei, hatte er die höllische Unverschämtheit, mich zu fragen, warum ich denn nicht in meinem Rancho geblieben sei, um den Besitz zu behaupten, als ich ihn hätte kommen sehen. Verrückter Faselhans, warum ich nicht geblieben bin? – bei Gott, als ich das Geprassel hörte und den Berg hinaufsah, war es gerade, als käme die ganze Welt den Hang herunter gepoltert und gekollert – Splitter und Holzstöße, Donner und Blitz, Hagel und Schnee, Bündel Heu und Stroh und fürchterliche Staubwolken! – Bäume kamen holterdipolter durch die Luft, Felsblöcke so groß wie ein Haus flogen aus einer Höhe von tausend Fuß und zerkrachten dann in zehn Millionen Stücke; Ochsen und Kühe, das Inwendige nach außen gekehrt, den Kopf voran, die Schwänze zwischen den Zähnen, kamen herunter gesaust – und mitten in dieser ganzen verkehrten und zertrümmerten Welt sitzt dieser verfluchte Morgan auf seinem Gartenthürpfosten und fragt, warum ich nicht geblieben sei, und meinen Besitz behauptet habe! Meiner Seel‘! Ich warf nur einen einzigen Blick auf die Bescherung, und in drei Sätzen war ich aus dem Bezirk.

»Aber was mich wurmt, das ist, daß dieser Morgan sich darauf herumtreibt und von dem Rancho nicht fort will – sagt er gehöre ihm und er behalte ihn – es gefalle ihm besser da unten, als oben am Berg. Zum Tollwerden! Na, ich war die beiden letzten Tage her so verdreht, daß ich nicht einmal den Weg in die Stadt finden konnte. Bin nach dem Umherlaufen in Feld und Wald ganz erschöpft; – einen Tropfen zu trinken, General? Aber jetzt bin ich hier und jetzt wird prozessiert. Sie haben’s gehört.«

Die Empörung des Generals kannte keine Grenzen. In seinem ganzen Leben, meinte er, sei ihm noch kein so anmaßender Mensch vorgekommen, wie dieser Morgan. Ein Prozeß, fuhr er fort, sei eigentlich ganz überflüssig; Morgan hätte keinen Schein von Recht, auf seinem jetzigen Platze zu bleiben – kein Mensch auf der ganzen Welt würde ihm das zugestehen, kein Sachwalter seine Sache führen, kein Richter ihn anhören. Hyde erwiderte, da sei er im Irrtum – die ganze Stadt gebe Morgan recht, Hal Brayton, ein sehr tüchtiger Anwalt, hätte seine Sache übernommen, und da Gerichtsferien wären, so sollte sie vor einem Schiedsmann verhandelt werden. Der frühere Gouverneur Roop wäre bereits zu diesem Amt ernannt worden und würde heute um zwei Uhr nachmittags in einem großen, öffentlichen Saal nahe beim Hotel die Verhandlungen eröffnen.

Der General war außer sich vor Staunen. Er hätte, sagte er, stets geglaubt, die Menschen in diesem Territorium müßten verrückt sein; jetzt wisse er es ganz gewiß. »Aber,« fuhr er fort, »nur ruhig Blut und Zeugen gesammelt; denn der Sieg ist uns so sicher, als wäre das Urteil bereits gesprochen.« Hyde trocknete seine Thränen und zog ab.

Um zwei Uhr wurde das Schiedsgericht eröffnet und Roop thronte mit so ehrfurchtgebietender Feierlichkeit unter seinen Sheriffs, den Zeugen und den Zuschauern, daß einige seiner Mitwisser schier Angst hatten, er habe am Ende nicht begriffen, daß es sich nur um einen Scherz handle. Eine unheimliche Stille herrschte, denn beim leisesten Geräusch sprach der Richter den ernsten Befehl aus: »Ruhe vor Gericht,« was die Sheriffs sofort wie ein Echo wiederholten. Kurz darauf drängte sich der General, beide Arme voll Gesetzbücher, durch die Menge und an sein Ohr schlug der Befehl des Richters: »Platz für den Herrn Anwalt der Vereinigten Staaten,« die erste achtungsvolle Anerkennung seiner hohen offiziellen Würde, die ihm bislang zu teil geworden war, und bei der es ihm behaglich durch alle Glieder prickelte.

Die Zeugen wurden aufgerufen; Gesetzgeber, hohe Regierungsbeamte, Bauern, Bergleute, Chinesen, Neger. Dreiviertel derselben waren von dem Beklagten Morgan aufgerufen, aber umsonst; ihr Zeugnis lautete ausnahmslos zu Gunsten des Klägers Hyde. Jeder neue Zeuge brachte nur neue Beweise dafür bei, wie abgeschmackt es sei, jemandes Eigentum deshalb zu beanspruchen, weil die eigene Farm darauf gerutscht sei. Dann hielten Morgans Advokaten ihre Reden, die erbärmlich matt ausfielen, sie thaten in Wirklichkeit nichts für den Sieg ihres Schutzbefohlenen. Jetzt erhob sich mit triumphierender Miene der General und nahm einen leidenschaftlichen Anlauf. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, klopfte auf die Gesetzbücher, schrie, brüllte und heulte, zitierte alle Sprachen und Schriftsteller, Poesie, Sarkasmen, Statistik, Geschichte, Pathetisches, Volkstümliches, Lächerliches, und schloß mit einem großen Schlachtruf für Redefreiheit, Preßfreiheit, Unterrichtsfreiheit, den ruhmreichen amerikanischen Adler und die Grundsätze ewiger Gerechtigkeit. (Beifall.)

Als der General sich niederließ, war er im Innersten überzeugt, daß wenn auf günstige Zeugenaussagen, eine großartige Rede und auf die gläubigen und bewundernden Gesichter ringsum das mindeste zu geben sei, Morgan verloren sein müsse. Exgouverneur Roop stützte sein Haupt einige Augenblicke sinnend in die Hand, während die Menge auf seine Entscheidung wartete, dann erhob er sich und dachte gebeugten Hauptes abermals nach. Darauf ging er mit langen Schritten hin und her, das Kinn in der Hand, während die Menge immer noch harrte. Endlich kehrte er auf seinen Thron zurück, setzte sich und begann in gewichtigem Tone:

»Meine Herren, ich fühle die große Verantwortlichkeit, die heute auf mir ruht. Dies ist kein gewöhnlicher Fall. Im Gegenteil, es ist der großartigste und bedeutsamste, den je ein Mensch zu entscheiden berufen wurde. Meine Herren, ich habe aufmerksam die Zeugenaussagen angehört und bemerkt, daß ihr Gewicht, ihr überwältigendes Gewicht zu Gunsten des Klägers Hyde spricht. Ich habe ferner mit hohem Interesse den Bemerkungen der Sachwalter zugehört, namentlich die meisterhafte und unwiderlegbare Logik des hochverehrlichen Anwalts, welcher den Kläger vertritt. Aber, meine Herren, lassen wir uns in einem so feierlichen Augenblick nicht von bloß menschlichem Zeugnis, menschlichem Scharfsinn und menschlichen Begriffen von Gerechtigkeit beeinflussen. Meine Herren, es steht uns Erdenwürmern sehr übel an, uns in die Beschlüsse des Himmels einzumischen. Für mich liegt es klar auf der Hand, daß der Himmel in seiner unerforschlichen Weisheit den Rancho des Angeklagten nicht ohne Grund von der Stelle gerückt hat. Wir sind nur Geschöpfe Gottes und müssen uns seinem Willen fügen. Wenn es dem Himmel beliebt hat, den Beklagten Morgan auf so merkwürdige und wunderbare Weise zu begünstigen, wenn der Himmel, unzufrieden mit der Lage von Morgans Rancho an der Bergflanke, denselben nach einer für seinen Besitzer bequemeren und vorteilhafteren Gegend befördern wollte, so steht es uns armen Eintagsfliegen nicht zu, die Gesetzmäßigkeit des Verfahrens in Frage zu ziehen oder nach der Ursache zu forschen, die dabei maßgebend war. Nein, der Himmel hat die Ranchos geschaffen, und es ist das Vorrecht des Himmels, sie anders zu ordnen, mit ihnen zu experimentieren, sie nach Belieben dahin oder dorthin zu schieben. Wir haben uns ohne Murren zu unterwerfen. Ich sage es euch zur Warnung, daß die unheiligen Hände, Köpfe und Zungen der Menschen sich mit diesem Ereignis nicht befassen dürfen. Meine Herren, der Wahlspruch des Gerichtshofs lautet, daß der Kläger Richard Hyde seines Ranchos durch die Heimsuchung Gottes verlustig gegangen ist! Und von dieser Entscheidung giebt es keine Berufung.«

Buncombe packte seine Ladung Bücher zusammen und stürzte damit aus dem Gerichtssaal, ganz außer sich vor Entrüstung. Er hieß Roop laut einen Narren, einen schwärmerischen Troddel. In seinem Eifer suchte er ihn bei Nacht nochmals auf, machte ihm Vorstellungen wegen seines ungereimten Wahrspruchs und bat ihn inständig, doch einmal eine halbe Stunde in der Stube auf und ab zu gehen und nachzudenken, ob sich der Spruch denn nicht irgendwie abändern lasse. Schließlich gab Roop nach und stand auf. Dritthalb Stunden lief er im Zimmer hin und her, bis er plötzlich mit strahlendem Gesicht ausrief, jetzt sei es ihm klar geworden, daß der Rancho unter dem Rancho Morgans noch immer Hyde gehöre und daß dieser noch gerade soviel Anrecht auf denselben habe wie vorher; deshalb sei er der Meinung, daß Hyde berechtigt sei, sich ihn darunter herauszugraben und –

Der General wartete nicht bis er ausgeredet hatte, er war stets ungeduldigen und jähzornigen Temperaments gewesen. – Es dauerte zwei Monate, bis die Thatsache, daß man nur Spaß mit ihm getrieben, sich durch den harten Diamantfels seines Begriffsvermögens hindurch gebohrt hatte.