Die Höhle – Das schwimmende Haus – Reiche Beute

9. Kapitel

Ich wollte nun noch einmal einen Ort aufsuchen, den ich bei meiner Expedition neulich entdeckt hatte, ungefähr in der Mitte der Insel. So machten wir uns auf die Beine und waren auch bald dort, denn die ganze Insel war nur ungefähr eine Stunde lang und eine halbe breit.

Der Ort, an den ich hin wollte, war ein ziemlich steiles Felsenriff oder eine Art Hügel, gegen 40 Fuß hoch. Das Hinaufklettern ward uns schön sauer, denn der steile Abhang war voll dichten Buschwerks. Oben krabbelten wir ringsherum und entdeckten auf der Seite nach Illinois, ziemlich an der Spitze, eine schöne, große Höhle. Sie war so groß wie zwei oder drei Zimmer zusammen, und Jim konnte aufrecht drin stehen. Und so schön kühl war’s da drinnen! Jim sagte, wir sollten gleich hier Quartiere aufschlagen, mir aber wollte das ewige Klettern nicht ganz passen.

Jim aber meinte, wenn wir unser Boot versteckten und alle unsere Sachen hierher brächten, so könnten wir uns so schön verbergen, wenn einmal irgend jemand käme; ohne Hunde könnte uns dann kein Kuckuck finden. Und, sagt er nochmals eindringlich, die jungen Vögel von vorhin hätten doch Regen angezeigt, ob ich durchaus alles eingeweicht haben wollte!

Das leuchtete mir ein! Wir trotteten also zurück und ruderten das Boot bis zu einem Platz am Ufer, der unserm Felsen möglichst nahe war, schifften unsre Habseligkeiten aus und verbargen sie in der Höhle. Dann fanden wir unter dichtem Weidengestrüpp ein Versteck für unser Boot, sahen nach der Fischleine, nahmen einige Fische weg, warfen die Leine wieder aus und dachten nun an unser Mittagbrot.

Die Öffnung der Höhle war ziemlich groß, und an einer Seite war der Boden etwas erhöht, wo man bequem ein Feuer anzünden konnte, was wir denn auch gleich taten und unser Essen kochten.

Unsere Decken legten wir als Teppiche auf den Boden, lagerten uns darauf und verzehrten unser Mahl. Alle andern Dinge ordneten wir im Hintergrund der Höhle. Bald danach sah man draußen wirklich graue, dicke Wolken, und es fing an zu blitzen und zu donnern; die jungen Vögel hatten diesmal also wahrhaftig recht gehabt! Ein solches Unwetter hatte ich noch nie erlebt. Das goß und goß; wahre Fluten sausten durch die Luft, daß alles draußen grauschwarz aussah und die nächsten Bäume nur noch wie Spinngewebe aussahen. Bei jedem Windstoß fuhren die Bäume mit den Kronen nach unten, als wollten sie Purzelbäume machen und zur Abwechslung einmal die Wurzeln in die Luft strecken; alles schien wie toll und losgelassen. Da – als es gerade noch am schwärzesten ist und am tollsten rast – wird auf einmal alles hell und klar, wie blankes Gold, daß man weit, weithin die Bäume herüber und hinüber schwanken sieht; im nächsten Moment ist wieder alles stockfinster, der Donner bricht mit einem furchtbaren Krach los und geht dann über in ein Gerumpel, als ob leere Fässer steile Treppen hinabgerollt würden, wo sie so recht stoßen und poltern und krachen können.

»Das ist nett, Jim«, sag‘ ich, »Gott sei Dank, daß wir im Trocknen sind. Reich mir doch den Fisch noch mal her und ein ordentliches Stück Brot.«

»Alte Jim aber sein schuld, daß du sein hier, Huck. Ohne alte Jim du wären naß un kalt un halber ertrinkt da drunten im Wald. Ja, ja, Kind, junge Hühner wissen, wann Regen kommt, un junge Vogel auch!«

Der Strom stieg und stieg, zehn oder zwölf Tage lang, bis er zuletzt aus dem Ufer trat. Die Insel war an den niedrigen Stellen drei bis vier Fuß unter Wasser. Am Tag ruderten wir überall drauf umher. Es war herrlich kühl inmitten des Waldes, während die Sonne draußen stach und brannte.

Der ganze Strom war wieder voll von Treibholz. Einmal fischten wir ein tüchtiges Stück von einem Holzfloß heraus, das aus neun dicken tannenen, fest zusammengezimmerten Bohlen bestand. Es war vielleicht zwölf Fuß breit und ungefähr fünfzehn bis sechzehn lang, ein starkes, solides Ding, das wir sogleich unter den Weiden versteckten, im Gedanken, daß es uns vielleicht noch einmal gute Dienste leisten könnte, was denn auch wirklich später der Fall war. In einer Nacht – tags wagten wir uns nicht heraus –, gerade ehe es zu dämmern anfing, sahen wir ein Haus, ein wirkliches Haus, aus Holz gezimmert, auf einem kurzen Floß dahertreiben. Wir natürlich drauflos, angelegt und zum untern Fenster hineingeguckt. Sehen konnten wir noch nichts, und so machten wir unser Boot fest und warteten geduldig, bis es tagen würde.

Wir waren noch nicht an der Insel vorbei, als es hell genug wurde, um alles unterscheiden zu können. Wir guckten also ins Zimmer hinein, sahen ein Bett, einen Tisch, zwei alte Stühle und eine Menge Dinge überall umhergestreut. In der Ecke lag etwas, das wie ein Mensch aussah, sich aber nicht rührte.

»Holla, ihr da!« ruft Jim. Es regt sich nichts. Nun schrei‘ ich – keine Antwort.

Dann sagt Jim: »Der nix schlafen, der sein tot. Du bleiben hier, Huck, Jim sehen nach.«

Er lief drauf zu, beugt sich über ihn, betrachtet ihn und sagt dann: »Der sein tote Mann! Ja, warraftig, un Kleider sein auch fort. Sein geschossen in den Rücken. Sein schon lange tot, vier Tag, fünf Tag. Komm rein. Huck, aber nix hinsehen, sein schauderhaft – puh!«

Ich sah mich also nicht um. Jim warf dann ein paar alte Lumpen über die Leiche, hätte es aber nicht zu tun brauchen, mich zog’s wahrlich nicht dahin. Alte schmutzige Karten lagen auf dem Boden herum, Schnapsflaschen dazwischen, auch zwei schwarze Tuchmasken, und die Wände waren mit dummen Sprüchlein und Bildern bemalt, die einer mit Kohle draufgeschmiert hatte. Ein paar schmutzige Kattun-Kleider, ein Frauenstrohhut und einige Unterröcke hingen an der Wand, auch Mannszeug war dabei. Auf dem Boden lag ein gestreifter Kinderstrohhut, unweit von einer zerbrochenen Milchflasche für einen Säugling. Ein alter Koffer, von dem die Scharniere losgerissen waren, lag offen da; es war nichts von Wert darin. Man sah, die Bewohner hatten keine Zeit zu einem feierlichen Abschied von ihrem Heim gehabt, als sie es verließen.

Wir schleppten eine Menge Sachen in unser Boot, weil wir dachten, mit der Zeit ließe sich alles verwenden. Eine alte Blechlaterne, ein Metzgermesser ohne Griff, ein nagelneues Taschenmesser, das in jedem Laden etwas wert gewesen wäre, eine Masse Talglichter, einen Blechleuchter, eine Feldflasche und eine Blechtasse, eine alte, zerfressene Bettdecke, dito Pferdeteppich, einen Arbeitsbeutel mit Näh- und Stecknadeln, Garn, Fingerhut, Wachs und Schere, Hammer und Nägel, eine dicke Fischleine mit festem Haken, eine alte Kuhhaut und ein Hundehalsband, ein Hufeisen und ein paar Medizinflaschen ohne Aufschrift, kurz, alles schleppten wir mit, und zu guter Letzt fand ich noch einen Kamm mit drei Zinken und Jim einen alten Fiedelbogen ohne Saiten, die mußten auch noch mit. Reich beladen stießen wir ab.

Alles in allem genommen hatten wir wahrhaftig eine reiche Beute gemacht und konnten recht zufrieden sein. Inzwischen war’s aber heller Tag geworden, und wir waren ziemlich weit von der Insel weg. So hieß ich Jim denn im Boot niederliegen und deckte ihn mit der alten Bettdecke zu, denn wenn er aufrecht dagesessen hätte, hätte jedes Kind sehen können, daß er ein Nigger war, und wenn’s eine Meile weit weg gewesen wäre. So ruderte ich denn eifrig unserer Insel zu, und ohne daß wir etwas oder irgend jemanden sahen oder selbst gesehen worden wären, kamen wir von unserem nächtlichen Abenteuer glücklich und ohne Unfall wieder nach Hause.