Schlafen im Walde – Auferweckung der Toten – Auf der Wacht! – Expedition ins Innere der Insel – Ruhelose Nacht – Jim erscheint – Jims Flucht – Schlimme Anzeichen – »Das einbeinerige Nigger« – »Balam«

8. Kapitel

Die Sonne stand hoch am Himmel, als ich erwachte, und es war sicher schon acht Uhr, wenn nicht mehr. Ich lag im Gras unter dem Schatten der Bäume und fühlte mich so behaglich und zufrieden, wie der Vogel im Nest. Die Sonne war nur durch einige Lücken zwischen ein paar Bäumen zu erblicken, sonst standen die Bäume jedoch so dicht, daß sie alles in dunklen Schatten hüllten. An der Stelle, wo sich das Licht durch die Blätter stahl, sah’s am Boden wie gesprenkelt aus, und an dem Hin- und Hertanzen der glänzenden Flecke merkte man, daß oben ein leiser Wind wehte. Ein paar Eichhörnchen saßen auf einem Ast und blinzelten mir freundlich zu.

Ich war mächtig faul und bequem und dachte gar nicht daran, aufzustehen und das Frühstück zu bereiten. Gerade schloß ich die Augen wieder, um noch einmal einzuduseln, als ich, freilich noch unbestimmt, ein tiefes, fernes ›Bum – bum‹ auf dem Fluß zu hören meinte. Ich richtete mich halb auf, stützte den Kopf in die Hand und horchte. Da schallt’s wieder! Nun aber auf und ans Ufer und durch’s Gebüsch hinausgespäht! Und richtig, eine gute Strecke weiter oben, ungefähr der Fähre gegenüber, sehe ich eine Rauchwolke auf dem Wasser liegen. Da kommt auch die Fähre und ist voller Leute. Jetzt wußte ich, woran ich war! Bum! Ein kleines Rauchwölkchen kommt aus der Seite des Schiffes, ich kann’s deutlich sehen. Weiß Gott! Sie feuern die Kanone über dem Wasser ab, um meinen Leichnam an die Oberfläche zu treiben!

Ich war unterdessen tüchtig hungrig geworden, durfte aber nicht dran denken, Feuer anzuzünden; der Rauch hätte mich verraten können. So setzte ich mich denn hin und hörte dem Bumbum der Kanone zu und sah dem Rauche nach. Der Fluß war hier eine halbe Stunde breit und sieht an einem Sommermorgen immer wundervoll aus – ich hatte also eine ganz vergnügliche Zeit, während sie dort nach meinen irdischen Resten suchten. Nur hätte ich gern etwas zu essen gehabt! Da fiel mir auf einmal ein, daß die Leute Quecksilber in einen Brotlaib zu stecken pflegen und den ins Wasser werfen, weil sie sagen, der treibe direkt dem toten Körper zu. Holla, denk‘ ich, kannst vielleicht so ein Totenbrot erwischen, wird dir viel besser schmecken als deinem Leichnam. Und richtig, kaum seh‘ ich mich um, kommt auch schon was dahergeschwommen, was einem Brot verzweifelt ähnlich sieht. Mit einer Stange zieh‘ ich’s ‚ran, erwisch’s auch glücklich, und wahrhaftig, es ist das schönste Bäckerbrot, wie’s die feinen Leute essen, keins von dem harten, grauen, armseligen Zeug, an dem sich unsereiner sonst die Zähne ausbeißt. Man muß wahrlich erst sterben, um so eins zu bekommen!

Da saß ich denn auf meinem Baumstamm, ließ mir mein Brot schmecken und sah den Anstrengungen meiner Leichenjäger zu. Auf einmal kommt mir der Gedanke, der mir ordentlich heiß macht. Siehst du, denk‘ ich so bei mir, da hat gewiß die Witwe oder der Pfarrer gebetet, daß mich das Brot erreichen solle, und weiß Gott, da ist’s zu mir hergeschwommen! Muß also doch etwas dran sein! Heißt das, nur wenn’s die Witwe oder der Pfarrer oder sonst jemand tut, denn mir selbst wollt’s nie gelingen, es mußte irgendwo einen Haken haben. Es wirkt eben nur bei der richtigen Sorte!

Nun zündete ich mir mein Pfeifchen an und schaute immerzu nach dem Fährboot aus. Es trieb mit der Strömung daher, und da die sich längs der Insel hinzog, kam es sicher dicht an mir vorüber, wie das Brot auch. Auf diese Weise konnte ich mir meine lachenden Erben genau betrachten. Wie’s näher und näher kam, löschte ich meine Pfeife, stieg zum Ufer hinunter und legte mich dicht hinter einen Baumstamm, der zwei Äste hatte, wo ich bequem durchschielen konnte.

Jetzt kamen sie heran, und zwar so dicht, daß sie auf einer Planke bequem ans Ufer hätten kommen können. Fast alle meine Bekannten waren im Boot. Der Alte, der doch ein wenig betreten aussah, und der Kreisrichter und seine Tochter, und Joe Harper und Tom Sawyer mit seinem Bruder, seiner Schwester und der alten Tante Polly und sonst noch andre. Die Witwe und Miss Watson vermißte ich, die waren wohl zu tief gebeugt vor Kummer. Alle sprachen von dem Mord, bis sie der Kapitän unterbrach, indem er rief: »Sehen Sie sich jetzt hier gut um, meine Herrschaften, hier an der Insel ist der Strom am reißendsten. Da ist es leicht möglich, daß er ans Ufer gespült worden ist und hier im Gestrüppe hängt. Wenigstens hoffe ich, daß wir ihn hier finden!«

Das hoffte ich nun gar nicht! – Sie drückten sich jetzt alle ans Geländer, starrten ins Wasser und wagten kaum zu atmen, ich hätte ihnen ins Gesicht lachen mögen, so komisch kamen mir die ernsten Mienen vor, die sie schnitten.

»Bumm – mm – m – m!« Die Kanone knallte diesmal so dicht neben mir los, daß ich beinah taub von dem Schlag und blind von dem Rauch wurde und meinte, ich sei des Todes. Wären ein paar Kugeln drin gewesen, dann hätten sie den Leichnam, nach dem sie suchten, gewiß bekommen. Ganz allmählich kam ich wieder zu mir und merkte, daß ich, Dank dem Himmel, wirklich noch heil und ganz sei. Inzwischen war das Boot schon weit an der Insel entlanggefahren und bald ganz außer Sicht. An der Spitze der Insel wendeten sie und fuhren an der andern Seite herauf, immer ab und zu ein Bum hören lassend. Ich rannte quer über die Insel und konnte sie nun noch einmal sehen, wie sie, der Totenjagd müde, der Stadt zusteuerten. Nun hoffte ich, wieder meine ungestörte Ruhe zu haben!

Ich schaffte meine Siebensachen aus dem Boot herauf und richtete mich mitten im dichtesten Walde häuslich ein. Mit meinen Decken machte ich mir eine Art Zelt und stellte meine Habseligkeiten darunter, um sie vor etwaigem Regen zu schützen. Hernach fing ich mir einen Fisch, zündete ein Feuer an und kochte mein Abendessen. Dann warf ich noch eine Leine aus, um auch für das Frühstück am andern Morgen gesorgt zu haben.

Als es dunkel wurde, setzte ich mich rauchend an mein Feuer und war sehr wohl zufrieden mit mir selbst. Allmählich aber fühlte ich mich ein bißchen einsam, ging ans Ufer und sah den Wellen zu, wie sie vorbeizogen, sah die Sterne am Himmel blitzen, zählte sie und dann die Stücke Holz, die vorbeitrieben, und darauf ging ich zurück und legte mich schlafen. Ein beßres Mittel, sich das Gefühl der Einsamkeit zu vertreiben, gibt es gar nicht.

So ging’s nun drei Tage und Nächte weiter, immer dasselbe ohne jede Abwechslung. Dann aber fiel mir ein, eine Expedition ins Innere zu unternehmen. Die Insel war mein Reich, ich war hier sozusagen Alleinherrscher und wollte jeden Winkel kennenlernen; vor allem aber galt’s, die Zeit totzuschlagen. Ich fand eine Masse schöner, reifer Erdbeeren und dabei eine Menge andrer noch unreifer Beeren, die aber alle mit der Zeit eßbar werden würden, wie ich hoffte.

Ich schlug mich also durch den dichten Wald, bis ich dachte, nun müsse das Ende der Insel ungefähr erreicht sein.

Meine Flinte hatt‘ ich auch mitgenommen, aber noch gar nichts geschossen, ich fürchtete, der Knall könne mich verraten. Fast wäre ich über eine ganz ansehnliche Schlange gestolpert; sie ringelte sich durch das Gras und die Blumen weiter, ich immer dahinter her, seh‘ weder rechts noch links und stehe plötzlich vor der Asche eines Lagerfeuers, die noch warm war und rauchte.

Mein Herz fiel mir fast in die Stiefel. Ohne mich viel umzusehen, schlich ich mich, so leise ich konnte, auf den Fußspitzen davon. Von Zeit zu Zeit stand ich ein wenig still und spitzte die Ohren, mein Herz schlug aber so laut, daß ich gar nichts hören konnte. Noch ein Stück weiter schleichend lauschte ich dann wieder, und so machte ich’s abwechselnd eine ganze Zeitlang. Sah ich einen Baumstamm, so hielt ich ihn für einen Menschen, trat ich auf einen Ast und der knackte, so war mir’s, als schnitte mir jemand den Atem entzwei und ließe mir nur die eine Hälfte davon, und zwar die kleinere.

In meinem Lager angelangt, war mir nicht mehr sonderlich unternehmungslustig zumute, mein Barometer war beträchtlich gesunken, und ich dachte bei mir: Sei kein solcher Narr und schnüffle da noch lange im Wald herum! Pack deine Siebensachen ins Boot, dann bist du zur Flucht bereit, wenn’s gilt! – Schlepp‘ ich also meinen ganzen Kram wieder ans Wasser und ins Boot hinein, lösch‘ mein Feuer und reiß‘ die Asche auseinander, so daß man denken konnte, es habe vor einem Jahr zum letztenmal gebrannt, und setze mich dann oben auf einen Baum, um Ausschau zu halten.

So saß ich also da oben eine oder zwei Stunden und hörte nichts und sah auch nichts, meinte aber immer tausenderlei zu sehen und zu hören. Ewig konnte ich dort nicht kleben bleiben, und so kroch ich denn wieder herunter, hielt mich aber doch immer im dichten Wald und gab gut acht auf alles um mich her. Zum Essen hatte ich nur Beeren und was mir vom Frühstück übriggeblieben war.

Als es dunkel wurde, war ich denn auch ziemlich hungrig geworden. Bevor der Mond aufging, nahm ich mein Boot, ruderte hinüber ans Illinoisufer, landete dort und kochte mir im Wald mein Essen. Eben wollte ich mir mein Nachtlager zurechtmachen, da – trab, trab, trab – höre ich Pferdehufe und kann auch Stimmen unterscheiden. Ich, nicht faul, auf, und alles ins Boot zurückgeschleppt, dann aber kroch ich wieder herbei, um zu sehen, was los sei.

Weit kam ich nicht, als ich plötzlich einen Mann sagen hörte: »Wenn wir einen geeigneten Platz finden, lagern wir am besten hier, die Pferde sind todmüde.«

Ich zögerte nicht lange, sondern kroch schleunigst zu meinem Boot zurück und ruderte davon. An der alten Stelle legte ich wieder an und entschloß mich, für heute im Boot zu übernachten.

Schlafen konnte ich aber nicht viel, die Gedanken hielten mich wach, und wenn ich dann einmal einnickte und wieder erwachte, meinte ich jedesmal, es habe mich schon einer am Kragen. Das war mir nun sehr ungemütlich. So konnte ich nicht weiterleben, und da denk‘ ich: Du gehst und siehst, wer mit dir auf der Insel wohnt, um jeden Preis, und wenn du darüber zugrunde gehst! Danach war mir besser zumute.

Gedacht, getan! Ich nehm‘ mein Ruder, geb‘ dem Boot einen leichten Stoß und laß es sachte im Schatten des Ufers an der Insel entlanggleiten. Der Mond schien so klar, und draußen auf dem Fluß war’s hell wie am Tage. Eine Stunde wohl trieb ich so dahin, alles um mich her war lautlos, wie im tiefsten Schlaf. Das Ende der Insel hatte ich nun beinahe erreicht. Ein kühles Lüftchen erhob sich und begann lustig zu wehen, und das war so gut, wie wenn mir einer gesagt hätte, nun sei’s vorbei mit der Nacht. Ich wendete also mein Boot und ließ den Schnabel ans Land stoßen, nahm meine Flinte und schlüpfte lautlos in den Wald. Dann setzte ich mich auf einen Baumstamm und sah zu, wie der Mond allmählich verschwand, Dunkelheit das Wasser deckte und dann im Osten ein schmaler, grauer Streifen den Tag ankündigte. Nun hing ich mein Gewehr über und stahl mich leise zu dem Ort, an dem ich das Lagerfeuer gesehen. Ich hatte aber kein Glück und konnte die Stelle lange nicht wiederfinden. Endlich erblickte ich einen Feuerschein durch die Bäume. Ich schlich sachte heran, und als ich ganz nahe war, fiel mein Blick auf einen Mann, der am Boden lag. Ich meinte, ich müsse vergehen. Der Mann hatte ein Tuch um seinen Kopf geschlungen und lag mit dem Kopf beinahe im Feuer. Ungefähr sechs Fuß entfernt kauerte ich im Gebüsch und wandte keinen Blick von ihm. Es war inzwischen dämmerig geworden und wurde heller und heller. – Mit einem Male reckt er sich, gähnt, streckt sich, fängt an, sich aus der Decke zu wickeln. Mir bleibt das Herz eine Sekunde still stehen, als ich dann aber genauer hinsehe, wen entdecke ich da? – Jim, Miss Watsons Jim, den alten, treuen Nigger! Wie froh war ich, ihn zu sehen!

»Jim, holla Jim!« schrei ich und jage hinterm Buschwerk vor.

Er starrt mich an mit rollenden Augen, faltet die Hände und sinkt in die Knie: »Nix tun, alte Jim nix tun! Sein nur arme alte Nigger, sein nix bös mit arme Geist! Alte Jim haben immer lieb gehabt arme Geist von tote Mensch. Du gehen wieder in die Wasser, wo du kommen her. Nix tun gute alte Jim, nix tun Geist von arme Huck, sein immer gewesen deine gute Freund!«

Bald hatte ich ihm begreiflich gemacht, daß ich nicht tot und auch nicht mein Geist sei. Ich war so froh, Jim gefunden zu haben; so war ich jetzt doch nicht mehr allein. Ich sagte ihm, mir sei nicht bange, daß er mich verraten würde. Ich schwatzte und schwatzte, und er saß da und starrte mich noch immer ungewiß an, tat aber den Mund nicht auf.

Endlich sag‘ ich: »Geh, ’s ist beinah hell, laß uns das Frühstück kochen. Schürs Feuer tüchtig, alter Kerl!«

»Warum sollen Jim schüren Feuer? Sollen kochen Erdbeeren un solcher Zeug? Du haben Flinte warraftig, du schießen anner Sach wie Erdbeeren!«

»Erdbeeren und solcher Zeug?« wiederhol‘ ich, »hast du davon gelebt bis jetzt, armer Teufel?«

»Haben nix können anners finden!« antwortete er.

»Wie lang bist du denn schon hier, Jim?«

»Sein Jim kommen in die Nacht, wenn du sein gestorben!«

»Was? Schon so lange?« – »Ja, warraftig!«

»Und die ganze Zeit hast du nur von Beeren und solcher Zeug gelebt?«

»Nur solcher schlechte Zeug, arme Jim!«

»Ei, du mußt ja halb verhungert sein, armer Kerl!«

»Jim könnten essen ganze Pferd, könnten Jim, warraftig! Wie lang du sein auf Insel?«

»Seit der Nacht, in der ich getötet wurde!«

»Warraftig! Was du haben gessen? Ach, du haben Flint! Das ’s gut! Jetzt du schießen gute Braten, Jim dann machen Feuer an!«

Nun gingen wir zuerst zum Boot, und während er einen guten Platz aussuchte zum Feueranmachen, holte ich Mehl, Speck, Kaffeetopf, Bratpfanne, Zucker und Blechtassen. Jim starrte nur so mit offenem Munde, als er die vielen Sachen sah, und dachte, es sei eine Hexerei im Spiel. Dann fing ich einen tüchtigen Fisch, Jim machte ihn zurecht und briet ihn.

Als das Frühstück fertig war, verschlangen wir’s kochend heiß, namentlich Jim ging mit Dampfkraft ans Werk; er war wirklich ganz ausgehungert, der arme Bursche. Als wir uns gehörig gestopft hatten, legten wir uns bequem in das Gras hin, und Jim sagte: » Aber, Huck, gute liebe Huck, hör mal alte Jim. Wer denn sein worden tot gestochen in alte Hütte drüben?«

Ich erzählte ihm alles, und er fand’s furchtbar klug und pfiffig. Er sagte, selbst Tom Sawyer hätte es nicht feiner fertigbringen können. Ich fühlte mich sehr stolz auf sein Lob hin und fragte dann: »Aber wie in der Welt kommst du hierher, Jim? Wie und warum?«

Er sah mich unruhig an, schwieg aber und sagte kein Wort. Dann meinte er: »Jim lieber nix sagen!«

»Warum, Jim?«

»Jim wissen warum! Du werden doch alte Jim nix verraten, Huck, werden doch nix?«

»Hol mich der und jener, wenn ich’s tu‘, Jim!«

»Jim dir glauben, alte Jim dir glauben, Huck! Jim, – arme alte Jim sein davongelaufen!«

»Jim!!!«

»Huck, du Jim nix verraten, du versprechen, Huck – du nix sagen von arme Jim!«

»Gut, ich hab’s versprochen, Jim, und ich halt‘ mein Wort, straf mich Gott, ich halt’s! Und wenn sie mich drum verachten und tothauen und einen Ablitionisten Abolitionisten hießen die Gegner der Sklaverei vor dem Bürgerkrieg. schimpfen, das ist mir alles eins. Ich sag‘ nichts und ich geh‘ auch nicht wieder zurück, Jim, also heraus mit der Sprache!«

»Ja, Huck, sein da gewesen so! Alte Missus – was sein Miss Watson – hat arme Jim so viel geplagt, sein gewesen so viel bös mit arme, alte Jim, hat aber immer versprochen, will arme Jim nix verkaufen nach New Orleans. Aber da sein gekommen Nigger-Händler, haben viel gehandelt mit alte Missus, sein Jim geworden so arg unruhig. Eine Abend spät arme, alte Jim sein gelegen vor die Türe, haben hören alte Missus sagen zu die Witwe: ›Missus Douglas‹, sie sagen, ›ich nix wollen verkaufen meine Nigger, aber achthundert Dollar sein schöne Stück Geld, sein viele, viele Geld, ich nix wissen was tun!‹ Sagen die Witwe: ›Oh, nix verkaufen arme, alte Jim, sein gute Kerl, sein brave Nigger!‹ Jim das hören un warten da nix länger, rennen nur fort, fort, schnell, schnell!

Rennen weiter, immer weiter an die Fluß, wollen stehlen Boot an die Wasser, sehen Jim aber Leute, Leute und immer Leute, warraftig die ganze Nacht, immer müssen jemand da sein. Legen sich Jim in die Schilf zum Warten. Kommen schon um sechs Uhr in die Morgen viele Menge Herren und Damens, steigen in die Boot, sagen, Huck sein tot gemacht drüben in die Wald, wollen gehen und sehen die Mordplatz. Waren arme Jim so traurig, wenn er das hören, denken er: Arme Huck, waren so brave Bursch, so junge Bursch, so lustige Bursch! Arme Huck!

Arme, alte Jim müssen liegen also in die Schilf ganze Tag lang. Sein er furchtbar hungrig, aber gar nix ängstlich. Er wissen, alte Missus und die Witwe wollen gehen früh in die Morgen über Land in große Gebetsversammlerung. Jim müssen treiben die Vieh in die Feld, werden sie ’n also nix suchen jetzt.

In die Abend kriechen Jim also raus un gehen weiter, Fluß nunter. Denken er, was tun? Denken er, wenn Jim gehen zu Fuß, kriegen ’n die Hunde, wenn er stehlen Schiff, kriegen ’n die Menschen, er müssen haben Floß, Floß sein gut, lassen keine Spur hinter sich.

Er also sehen um sich – un sehen bald Licht schwimmen in die Wasser. Er denken, das sein Floß, springen in die Wasser un schwimmen bis weit, weit in die Mitt! Kommen auch warraftig Floß daher, und Jim, alte, arme, nasse Jim halten sich fest un setzen sich drauf ganz hinten. Er denken, Nacht sein schwarz, Jim sein auch schwarz, werden also nix gesehen, und legen er sich so auf die Rücken. Sein viele Männer vorn bei die Licht, spielen un lachen un trinken, un arme Jim denken, er können fahren so die ganze Nacht.

Haben aber kein Glück nix, arme Jim! Kaum sein die Floß hier an ‚r Insel, kommen einer mit Latern auf Jim los. Arme Jim müssen wieder in kalte Wasser! Schwimmen so nach ‚r Insel, müssen lang suchen, bis er können landen, sein Ufer so viel steil. Er gehen in die Wald, wollen nix mehr wissen von Floß, wo Mann mit Latern kommen. Haben aber doch noch sein‘ Pfeif und trockene Schwefelhölzer in sein Kapp, so er sein ganz zufrieden, alte Jim!«

»Und so hast du die ganze Zeit gar kein Fleisch und gar kein Brot zu essen gehabt, armer Jim? Hast dich natürlich immer nur im dicksten Wald versteckt halten müssen! Hast du gehört, wie sie die Kanone losfeuerten?«

»Warraftig ja, Jim denken: Arme, kleine Huck, jetzt sie suchen nach seine Knochen! Jim haben auch Boot gesehen durch die Busch!«

Jetzt kamen ein paar junge Vögel daher, sie flogen immer einige Meter weit und ließen sich dann nieder. Sagt Jim, das sei ein Zeichen von Regen, wenigstens bei jungen Hühnern sei es eines, dann werd’s wohl auch so bei andern jungen Vögeln sein. Ich wollte mir ein paar fangen, Jim aber hielt mich zurück, das bedeute Tod, sagt er. Sein Vater sei einmal sehr krank gewesen, sagt er, und einer von ihnen habe einen Vogel gefangen, worauf die alte Großmutter gleich gesagt habe, nun werd‘ der Vater sterben, und richtig, so sei’s gewesen, er sei gestorben, aber freilich erst etwas später.

Jim sagt auch, man dürfe die Sachen nie aufzählen, die man zum Mittagessen kocht, das bringe Unglück, ebenso wenn man das Tischtuch nach Sonnenuntergang ausschüttle. Und er sagt, wenn ein Mann stirbt, der einen Bienenstock hat, so muß man’s den Bienen sagen, eh‘ die Sonne am nächsten Morgen aufgeht, oder sie hören alle auf zu arbeiten und sterben auch. Die Bienen stechen nie Dummköpfe, sagt Jim, das aber glaub‘ ich ihm nicht, denn oft und oft war ich hinter ihnen her, und sie haben mich noch nie gestochen, und ich halt‘ mich nicht gerade für einen Dummkopf.

Vieles hatte ich schon vorher gehört, aber doch nicht alles. Jim wußte alle Arten von Vorzeichen, sagte, er kenne beinahe alle. Mir schien’s, als ob alle Vorzeichen immer nur Schlechtes bedeuten, und so fragte ich ihn, ob’s nicht auch einige gäbe, die Glück brächten. Darauf meint‘ er: »Furchtbar wenig! – und die sein nix viel wert. Warum du denn wollen wissen, wenn Glück kommen? Du dich wollen schützen vor ihr? Glück sein mächtig stark, Glück kommen ganz von selbst ohne Zeichen. Wenn du haben Haar an die Brust un Haar auf die Arm, du werden noch reich einmal. Sein gutes Zeichen das! Wenn du sein arm und elend und wollen lieber gar nix mehr leben, du sehen auf die Haar und denken, warten mal noch bißchen, wird kommen besser – bald, bald!«

»Hast du haarige Brust und Arme, Jim?«

»Warum du fragen das? Du das nix selbst sehen? Jim haben Haare!«

»Drum eben! Bist du reich?«

»Nein, aber Jim sein gewesen so reich un Jim werden wieder reich einmal, bald! Einmal er haben vierzehn Dollars gehabt – vierzehn Dollars – aber Jim haben spekliert un alles – verloren!«

»In was hast du denn spekliert, Jim?«

»In ‚r Kuh, Huck, in ‚r lebendigen Kuh! Dumme, alte Jim, gehen hin und stecken zehn Dollars in alte, kranke Kuh, elend Vieh, was krepiert nach drei Tag!«

»Und die zehn Dollars, Jim, waren futsch?«

»Nein, nix ganz futsch! Nur neun! Jim gehen hin und verkaufen die Haut un den Talg für ein Dollar zehn Cents!«

»Sind dir also noch fünf Dollars und zehn Cents geblieben, Jim. Weiter! Hast du noch mehr spekliert

»Ja! Huck, du kennen das einbeinerige Nigger, das dem alten Mista Bradish sein? Altes Nigger da gründen eine Bank un sagen, jeder Nigger, was einen Dollar bringt, kriegen vier am End von die Jahr. Alle Niggers laufen un bringen sein Geld, haben aber nur nix viel. Sein Jim der einzige, wo hat viel, so er wollen haben auch mehr als wie annre Niggers. Er sagen, wenn Jim kriegen nix mehr, er selber wollen halten Bank. Das einbeinerige Nigger wollen das nicht haben, sagen, es sein zu wenig Geld für zwei Banken, er wollen Jim geben fünfunddreißig Dollars for fünf am End‘ von die Jahr.

Dumme Jim also geben fünf Dollars in die Bank. Denken dann, er gleich wollen anlegen die fünfunddreißig Dollars un nix warten auf die End von die Jahr. Eine annre Nigger, Bob, haben gefischt viele Holzstämme aus die Wasser, ganze Floß, ohne daß’s seine Herr wissen. Jim kaufen also die Holz un sagen, Bob sollen sich lassen geben die fünfunddreißig Dollars, wo sein in Bank am End von die Jahr. In die Nacht aber werden die Holz gestohlen, und die annre Morgen sagen das einbeinerige Nigger, Bank sei falliert un so keiner nix kriegen Geld, Jim sein fünf Dollars sein weg!«

»Und die zehn Cents, Jim, wo hast du sie hingebracht?«

»Erst Jim wollen sich was kaufen mit. Da er träumen in die Nacht, er sollen geben die zehn Cents alte Nigger Balam – Balams Esel er heißen, weil er sein so viel dumm –, haben aber immer Glück, alte Balam, un arme Jim haben gar nix Glück! Sagen also Traum: Jim sollen geben Balam Geld un lassen Balam ihr anlegen, dann Jim werden haben auch Glück! Balam also nehmen zehn Cents, gehen in die Kirche un hören Pfarrer sagen: ›Wenn du geben die Armen, du leihen die Herrn un du werden kriegen hundertfach alles zurück!‹ Alte Balam also, er geben die zehn Cents annre arme, alte Nigger un sitzen un warten, was jetzt kommen!«

»Nun, und was kam dann, Jim?«

»Nie nix, Huck! Arme Jim sein Cents war auch noch weg. Du werden kriegen hundertfach, sagt’r Pfarrer. Hundertfach! Jim wollten sein so froh mit sein arme, kleine zehn Cents, wenn er’s wieder hätten!«

»Na, Jim, laß gut sein! So lang du noch die Haare auf deiner Brust und deinen Armen hast, wirst du ja noch reich werden!«

»Warraftig! Un Jim sein schon reich jetzt! Jim sein doch sein eigen Herr! Hätten er nur die Geld, arme Jim, mehr er gar nix wollen!«