Das Wappen – Ein geschickter Aufseher – Unwillkommener Nachruhm – Ein reuiger Sünder

29. Kapitel

Das Herstellen der Schreibfedern war eine verteufelt schwierige Arbeit, und ebenso war’s mit der Säge, Jim aber meinte, das Einkratzen der Inschrift in die Wand sei noch das Schlimmste von allem. Das mußte aber geschehen, wohl oder übel, denn Tom sagte, nie in seinem Leben habe er noch von einem Staatsgefangenen gehört, der nicht eine Inschrift auf den Mauern seines Kerkers zurücklasse mit seinem Namen und seinem Wappen.

»Denk doch nur einmal an Lady Jane Grey und Gilford Dudley und den alten Northumberland! Wenn’s auch lange Zeit braucht und viel Arbeit macht, Huck, es muß eben sein, man kann sich nicht drumherumdrücken! Jim muß die Inschrift machen mit seinem Wappen, das tun sie alle!«

Sagt Jim: »Aber, junge Herr Tom, Jim haben gar keine Wappen nix, haben gar nix wie alte Hemd da, und Tom wissen selber, Jim sollen schreiben Tagebuch auf alte Hemd.«

»Ach, du verstehst mich nicht, Jim, ein Wappen ist ja ganz was anderes.«

»Na«, sag‘ ich »aber Jim hat doch jedenfalls recht, wenn er sagt, daß er kein Wappen hat, denn er hat einmal keins!«

»Das weiß ich selbst«, fährt mich Tom an, »das brauchst du mir nicht erst zu sagen, aber ich wett‘ mit dir, was du willst, er kriegt eins, eh‘ er hier herauskommt, denn – das versichere ich dir – es soll einmal später nicht heißen, daß so etwas versäumt worden sei!«

Während also Jim und ich, jeder auf einem Backstein, seine Feder schliff – Jim machte seine aus einem Stück Messing, ich die meine aus dem Blechlöffel –, saß Tom da und dachte sich ein Wappen aus.

Nach einiger Zeit sagte er, er habe so viele gute Ideen, daß er kaum wisse, welche er wählen solle, eine davon aber leuchte ihm ganz besonders ein: »Aufgepaßt«, erklärt er, »im Schild haben wir einen Querbalken und unten im rechten Feld ein dunkelrotes Andreaskreuz, unter dem ein Hund kauert und zu dessen Füßen eine zersprengte Kette liegt, Zeichen der Sklaverei, dann noch ein grüner Querbalken und in azurnem Feld eine siebenfach gezackte Krone. Gekreuzte Degen im andern Feld, drüber steht ein durchgebrannter Nigger in Zobel, der mühsam sein Bündel auf der Schulter trägt. Wappenhalter: zwei Säulen – das sind wir beide –, und als Motto: Maggiore fretta, minore atto. Das hab‘ ich aus meinem Buch, und das will sagen: Je mehr Hast, desto weniger Schnelligkeit. Was sagst du dazu?«

»Hui-i-i-i! Wundervoll! Aber verstehen tu ich’s nicht recht!«

»Na, damit können wir jetzt keine Zeit verlieren, Huck, jetzt müssen wir tüchtig an die Arbeit.«

»Was ist denn ein Feld zum Beispiel und ein Querbalken und ein Andreaskr…«

»Ach, plag mich doch nicht! Ein Feld? Na, ein Feld ist – wart, ich will’s Jim schon zeigen, wenn er drankommt.«

»Aber mir könntest du’s doch vorher sagen, Tom, nicht? Was ist ein Querbalken?«

»Ja, was weiß ich? Aber haben muß er’s, alle vom Adel haben’s!«

So war er immer. Wenn es ihm nicht paßte, einem etwas zu erklären, konnte man drei Wochen lang an ihm pumpen und erfuhr’s doch nie.

Da er mit dem Wappen jetzt im klaren war, fing er an und überlegte die Inschrift, die recht düster und schwermütig sein müsse. Jim müsse auch die haben, wie alle andern. Er hatte gleich eine Menge zur Auswahl fertig und schrieb sie auf ein Stück Papier. Dann las er uns vor:

  1. Hier barst ein gefangenes Herze
  2. Hier hauchte ein armer Gefangener, von Gott und den Menschen verlassen, sein trostloses Leben aus
  3. Hier brach ein einsames Herz, und ein müder, gequälter Geist ging zur ewigen Ruhe ein, nach siebenunddreißig langen Jahren martervollster Gefangenschaft
  4. Hier, heimat- und freundlos, nach siebenunddreißig bittren Jahren der Einkerkerung, hauchte ein edler Fremdling, natürlicher Sohn Ludwigs XIV., seinen großen Geist aus. Friede seiner Asche!

Toms Stimme zitterte und brach beinahe, als er las, so gerührt war er. Nachher konnte er sich für keine der vier Inschriften entscheiden, so lieb waren ihm alle, und gestattete schließlich, daß Jim alle vier an die Wand kritzle. Jim aber wehrte sich und sagte, er brauche ein Jahr, bis er all das Zeug hingekritzelt, und zudem könne er keinen Buchstaben machen; aber Tom versicherte, das wolle er ihm zeigen und alles erst für ihn hinmalen, dann habe er nur noch den Linien zu folgen.

Auf einmal sagt er: »Halt, was mir da einfällt! Wir haben ja hier Holzwände, und das ist ganz und gar nicht das Richtige. Fels muß es sein, richtiger, harter Fels, aus dem die Kerkermauern gemacht sind! Da müssen wir sehen, wie wir uns den verschaffen.«

Jim meinte, Fels sei noch schlimmer, da könne er vermodern, ehe er da alles hineinritze, da würde er nie frei; aber Tom sagte, ich dürfe ihm dabei helfen, und das tröstete Jim ein wenig. Dann sah Tom nach, wie weit wir mit unsern Federn seien. Das war eine ganz infam mühsame Arbeit, und meine armen Hände hatten wenig Aussicht, dabei die Blasen des Grabens loszuwerden, auch kamen wir gar nicht voran.

Sagt Tom: »Ich weiß, was wir tun! Wir müssen ja doch einen Felsen haben für das Wappen und die Trauer-Inschrift, und da können wir zwei Fliegen mit einer Klappe töten. Drunten bei der Mühle liegt ein prachtvoller alter Mühlstein, den schleppen wir her, und darauf machen wir Wappen und Inschrift und schleifen obendrein Federn und Säge!«

Das war mal eine grandiose Idee, der Mühlstein war aber auch grandios. Es war noch nicht Mitternacht, wir also hinaus zur Mühle, indes Jim bei der Arbeit blieb. Wir fanden den Mühlstein und brachten ihn auch ins Rollen, aber es war eine verteufelt schwierige Sache. Manchmal – wir mochten uns dagegenstemmen, soviel wir wollten – fiel der Stein zur Seite und hätte beinahe den einen oder andern zerquetscht; Tom meinte auch, das geschehe sicherlich noch, ehe wir an Ort und Stelle seien. Den halben Weg zur Hütte hatten wir den Kerl gelotst, dann waren unsre Kräfte ganz und gar zu Ende, und wir waren wie in Schweiß gebadet. Es half nichts, Jim mußte herbei und mit anpacken. Der hob also den Bettpfosten auf, machte die Kette los und wickelte sie dreifach um Hals und Leib; wir krochen also durch unser Loch und flink hinunter, und Jim und ich rollten den Stein spielend weiter, während Tom die Aufsicht führte. Darin war er stark, darin war er jedem Jungen überlegen. So was hab‘ ich nie wieder gesehen – er hatte eben Geschick zu allem!

Unser Loch war nun ziemlich groß, aber doch nicht groß genug, um den Stein durchzukriegen, aber Jim kam uns zu Hilfe, nahm Hacke und Schaufel, und bald war er samt dem Stein glücklich in der Hütte drin. Nun ritzte Tom mit einem Nagel ganz leicht die Buchstaben und das übrige auf den Stein, setzte dann Jim dran, mit dem Nagel als Meißel und einem Stück Eisen aus dem Schuppen als Hammer, und befahl ihm, an der Arbeit zu bleiben, solange sein Licht reiche, und erst dann zu Bett zu gehen, den Mühlstein aber unter seinem Strohsack zu verbergen und drauf zu schlafen. Dann halfen wir ihm die Kette wieder am Bettpfosten befestigen und wollten nun selbst schlafen gehen. Tom aber fiel noch etwas ein.

»Hast du Spinnen hier, Jim?«

»Nein, junge Herr, Jim danken dem Himmel, haben keine Spinnen nix!«

»Na, dann müssen wir dir welche verschaffen!«

»Aber, liebste Tom, Jim gar nix brauchen Spinnen, gar nix wollen haben Spinnen! Jim sich fürchten vor Spinnen, lieber noch wollen haben Klapperschlangen!«

Tom besann sich ein paar Minuten und sagte: »Das wär ’ne gute Idee, Jim, das war sicherlich auch schon da, es muß dagewesen sein. Das ist eine herrliche Idee! Jim, wo könntest du sie halten?«

»Halten was, Tom?«

»Ei, die Klapperschlangen!«

»Herr des Himmels! Wenn Klapperschlang kämen hier rein, Jim würden stoßen Loch in die Wand mit sein Kopf un springen durch, mit seine eigene, arme, alte Kopf zuerst. Oh, junge Herr Tom!«

»Was, Jim, du hast doch keine Angst davor, oder? Du könntest die Schlange ja zähmen!«

»Zähmen…?«

»Ja ganz leicht. Jedes Tier ist so dankbar, wenn man’s liebkost und freundlich mit ihm ist, und denkt nicht daran, jemanden zu verletzen, der gut mit ihm ist. Das kannst du in jedem Buch lesen! Probier’s doch einmal! Das ist alles, worum ich dich bitte, probier’s nur einmal zwei oder drei Tage lang. Ich bin überzeugt, du kriegst die Schlange noch so weit, daß sie dich wirklich lieb hat, und bei dir schlafen will, und dich keine Minute allein läßt, und es leidet, daß du sie dir um den Hals wickelst und ihren Kopf in deinen Mund nimmst.«

»Bitte, Massa Tom, nix das sagen, nix so sprechen. Jim nix wollen haben Kopf in Mund, Schlang können lang warten, bis Jim drum fragen! Un Jim auch nix wollen schlafen mit Schlang – nein, Jim gar nix wollen!«

»Jim, sei doch nicht so verrückt! Ein Gefangener muß ja irgendein zahmes Lieblingstier haben, und wenn sie’s bis jetzt noch nie mit einer Klapperschlange probiert haben, nun, dann ist’s um so mehr Ruhm und Ehre für dich, der erste zu sein, der das tut. Leichter wird es dir nie mehr im Leben gemacht werden, dir großen Nachruhm zu sichern!«

»Nein, nein, Massa Tom, Jim nix braueben solche Nachruhm! Schlang kommen un beißen Jim tot – nein, Jim nix brauchen Nachruhm!«

»Sei doch gescheit. Du sollst’s ja nur probieren, sag ich dir! Du kannst’s ja sein lassen, wenn’s wirklich nicht geht.«

»Oh, dann sein zu spät, wenn Schlang erst beißen arme Jim! Massa Tom, Jim wollen tun alles, was sein nix zu dumm und unvernünftig, aber wenn Massa Tom un Huck bringen Klapperschlang für Jim zu zähmen, Jim brennen durch, brennen gleich durch – sofort durch. Soviel sein sicher!«

»Na, dann laß es sein, wenn du so dickköpfig bist! Weißt du was, wir bringen dir ein paar Blindschleichen, und du bindest denen Knöpfe an den Schwanz, daß sie klappern, und tust, als wären’s Klapperschlangen – ja wahrhaftig, so machen wir’s!«

»Das können eher sein, Massa Tom, Jim nix haben Angst für Blindschleich, können aber gut sein ohne, das Jim sagen! Ach, was doch Gefangener für Geschäft un Plage machen; hätt’s nie gedacht.«

»Ja, das ist immer so, wenn’s die rechte Art haben soll. Ei, gibt’s hier Ratten?«

»Jim nie nix sehen keine!«

»Also, dafür müssen wir auch sorgen!«

»Ratten, Massa Tom? Jim nix brauchen Ratten! Sein ganz abscheulich verd… Kreaturen, stören Leut in Schlaf. Rennen un laufen un springen auf Bett un beißen in Nas un beißen in Fuß un können nie nix schlafen mit Ratt. Nein, Massa Tom, ihr geben Blindschleich, wenn Jim müssen haben etwas, aber nix geben Ratt. Jim nix können tun mit Ratt, nix brauchen Ratt, zu nix, nie!«

»Aber Jim, die Ratten mußt du wirklich haben, die sind immer dabei. Drum sträub dich lieber nicht. Gefangene sind nie ohne Ratten! Ich weiß gar kein Beispiel dafür. Man zähmt sie und liebkost sie und lehrt sie alle möglichen Kunststücke, und zuletzt werden sie so zutraulich wie Fliegen. Aber Musik mußt du ihnen machen! Hast du was, um Musik drauf zu machen?«

»Jim gar nix haben als alte Kamm un Stück Papier, un – ja, un kleine Mundharmonika! Ratt aber wohl nix lieben Harmonika, oder?«

»Ach gewiß, denen ist das Instrument ganz einerlei, wenn’s nur Musik ist. Eine Mundharmonika ist gut genug für die! Alle Tiere lieben Musik – und im Gefängnis schwärmen sie dafür. Besonders traurige Musik, und dazu ist die Mundharmonika grad recht. Das interessiert sie, und sie kommen zum Vorschein, um zu sehen, was los ist. Du setzt dich also abends vor dem Schlafengehen auf dein Bett, ebenso frühmorgens, und spielst auf deiner Harmonika. Spiel letzte Rose oder sonst etwas Trübseliges, und du wirst sehen, nach zwei Minuten kriechen die Ratten und die Schlangen und die Spinnen und sonst alles Getier heraus und kommen zu dir und sind zutraulich; wart, die tanzen nur so um dich herum!«

»Ja, die werden’s, das Jim glauben, Massa Tom, aber arme Jim! Der sich nix fühlen wohl. Können nix sehen Gutes drin, können nix sehen Nutzen! Jim aber wollen’s tun, natürlich, wenn’s müssen sein. Wollen machen Tierzeug zufrieden mit Musik, dann er nix haben Plag von Biester!«

Tom schien noch über etwas nachzusinnen, vielleicht fiel ihm noch ein Tier ein für Jims Menagerie. Bald aber sagt er: »Oh, da hab‘ ich noch was vergessen! Glaubst du, daß du hier eine Blume ziehen könntest, Jim?«

»Weiß nix, aber vielleicht. Dunkel sein’s freilich hier, un Jim auch nix brauchen Blum‘, sein viel Arbeit, un Jim nix von verstehen.«

»Na, probieren kannst du’s aber doch, andre Gefangene haben’s auch getan.«

»So ’ne alte, stachelige Distel oder gelbe Kuhblum‘ können wachsen hier, Massa Tom, aber die sein nix wert die Arbeit, wo sie machen!«

»Sag das nicht, Jim, sag das nicht. Wir holen dir eine kleine Kuhblume, und du pflanzt sie dort in die Ecke und ziehst sie groß, und du darfst auch nicht Kuhblume sagen, sondern Picciola, so heißen alle Blumen im Gefängnis, und du mußt sie mit deinen Tränen begießen.«

»Oh, Jim haben Wasser genug dort im Krug!«

»Wasser tut’s nicht, Tränen müssen’s sein, so machen’s alle Eingekerkerten!«

»Aber, Massa Tom, Jim können großziehen zwanzig Kuhblum mit Wasser, eh die ein auch nur wird angehen mit Tränen!«

»Darauf kommt’s gar nicht an, die Hauptsache sind die Tränen!«

»Dann Kuhblum welken gleich, Massa Tom, Jim nie nix weinen – beinah‘ nie nix!«

Das schlug denn Tom, aber er grübelte ein bißchen nach und sagte dann, Jim müsse eben sein Bestes tun und Zwiebeln zu Hilfe nehmen. Er versprach, einige bei den Niggern auszuführen und sie in Jims Kaffeetopf zu stecken. Jim meinte, er wolle dann gleich Tabak im Kaffee haben, und rebellierte dermaßen dagegen, wie auch gegen alles übrige: die Zucht der Kuhblume, das Musizieren für die Ratten, das Zähmen von Schlangen und Spinnen und besonders gegen die verrückte Plage, wie er sich ausdrückte, mit den Federn, Inschriften, Tagebüchern und so weiter, wovon er mehr Geschäft und Verantwortung als Gefangener habe, als je zuvor in seinem ganzen Leben, so daß Tom sehr ungeduldig und böse auf ihn wurde und sagte, er solle sich schämen, er habe doch gewiß allen Grund, dankbar zu sein; mehr Gelegenheit als er, sich einen berühmten Namen zu machen, habe noch gar kein Gefangener in der weiten Welt gehabt, und er wisse das nicht besser zu schätzen und zu würdigen, als wenn er ein unvernünftiges Tier wäre: es sei alles an ihm verschwendet. Und Jim ging in sich, sah’s ein, und es tat ihm leid, und er sagte, er wolle nie wieder so sein. Dann schlichen wir uns befriedigt zu Bett.