Der Blitzableiter – Sein Bestes – Ein Vermächtnis an die Nachwelt – Löffel stehlen – Unter den Hunden – Eine hohe Summe!

27. Kapitel

Alles ging früh zu Bett, wie wir es erwartet hatten, und das ganze Haus lag bald in tiefster Ruhe. Wir also am Blitzableiter hinunter, leise in den Schuppen geschlichen, unser Bündel faules Holz als brillante Beleuchtung vorgekriegt und nun los an die Arbeit! Erst räumten wir alles aus dem Weg, was auf dem Boden lag, gerade in der Richtung auf Jims Bett zu. Tom meinte, es sei gut, wenn der Gang, den wir graben wollten, unter dem Bett münde, da könne man die Öffnung doch nicht so leicht bemerken, denn Jims Decke hinge ziemlich auf den Boden herunter und es verfiele keiner so leicht darauf, diese aufzuheben und darunter nachzusehen. Na also! Wir gruben und gruben, stocherten und wühlten mit unsern Taschenmessern bis beinahe gegen Mitternacht. Dann waren wir hundemüde und unsre Hände voller Blasen, und doch konnte man kaum sehen, daß wir vorwärtsgekommen waren.

Endlich sag‘ ich: »Na, Tom, mir scheint’s, mit den siebenunddreißig Jahren, die wir nach der Regel zu der Arbeit brauchen sollen, kommen wir nicht aus; wenn da nicht mindestens achtunddreißig drauf gehen, will ich Hans heißen!«

Er sagte kein Wort, seufzte aber tief und hörte mit einemmal auf zu stochern. Da wußte ich, daß er jetzt nachdenke, und ließ ihn gewähren.

Plötzlich sagt‘ er: »Huck, so kann’s nicht weitergehen. Ja, wenn wir wirklich eingekerkert wären und so viele Jahre vor uns hätten, wie wir hierzu brauchen, und hätten keine Eile, sondern brauchten jeden Tag nur ein paar Minuten zu graben, während der Ablösung der Wachen, und bekämen dabei keine Blasen an die Hände, dann könnten wir’s so weitertreiben – jahrein, jahraus – und alles der Regel nach tun, wie’s sein müßte. So aber! Wir können nicht so zaudern, wir müssen flink zugreifen, haben gar kein bißchen Zeit zu verlieren. Wenn wir morgen noch einmal ein paar Stunden so weitermachen wollen, müssen wir gewiß eine Woche lang warten, bis unsere Hände wieder so sind, daß man ein Taschenmesser anrühren und weitergraben kann.«

»Was sollen wir nun tun, Tom?«

»Das will ich dir sagen, das ist ganz einfach! Schön ist’s nicht und recht auch nicht und nicht moralisch, und es darf’s nie einer erfahren. Wir haben aber keine Wahl. Herausgraben müssen wir ihn und schnell dazu, und so müssen wir eben die Hacken und Schaufeln nehmen und tun, als seien’s nur Taschenmesser!«

»Das nenn‘ ich doch endlich einmal vernünftig gesprochen, Tom, bravo, bravo! Dein Kopf wird klarer und klarer, scheint mir, tut sein bestes, übertrifft sich nächstens selbst«, frohlock ich. »Schaufeln ist die Losung, moralisch oder nicht moralisch! Ich für mein Teil kümmere mich einen Pfifferling um die Moralischkeit. Wenn ich ’nen Nigger stehlen will oder ’ne Wassermelone oder ein Sonntagsschulbuch, kommt mir’s gar nicht drauf an, wie ich’s mache, wenn ich’s nur kriege. Was ich will, ist mein Nigger oder meine Melone oder mein Buch, und wenn ich eine Schaufel brauche, um’s herauszugraben, muß eben eine Schaufel her, mögen die Autoritäten davon denken, was sie wollen, die können mir gestohlen werden!«

»Na«, meint er, »in unserm Fall sind wir allerdings entschuldigt, wenn wir Schaufeln nehmen und so tun, sonst tät‘ ich’s wahrhaftig nicht, denn Recht bleibt Recht und Unrecht bleibt Unrecht, und keiner soll’s Unrechte tun, wenn er’s besser weiß! Du kannst meinethalben Jim mit der Schaufel ausgraben, ohne zu tun, als sei’s ein Messer, bei mir aber ist das anders, ich weiß, was recht ist und wie es sein muß, also – gib mir ein Messer!«

Er hatte seins bei sich, doch reich‘ ich ihm das meine, ohne mir’s weiter zu überlegen.

Er wirft’s weit weg und wiederholt ungeduldig: »Gib mir ein Taschenmesser, Huck Finn!«

Erst starrt‘ ich ihn verblüfft an, dann dacht‘ ich nach: Und da ging mir ein Licht auf! Ich such‘ und kram‘ unter dem alten Werkzeug am Boden herum, find‘ ’ne Hacke und reich‘ sie ihm, und er nimmt sie und macht sich an die Arbeit, ohne weiter ein Wort zu sagen. So war er immer, stets voller Grundsätze!

Ich bewaffnete mich mit einer Schaufel, und nun ging’s lustig drauflos, daß die Brocken nur so kollerten und flogen. Eine halbe Stunde lang gruben wir fleißig, dann fielen wir beinahe um vor Schlaf, aber wir konnten doch auch ein Stück Arbeit aufweisen mit unsern Taschenmessern! Alsdann machte ich mich davon und eilte die Hintertreppe hinauf, ich dachte, Tom sei hinter mir her. Als er aber nicht kommt, seh‘ ich zu unserm Fenster hinaus und erblicke ihn am Blitzableiter, an dem er herauf klettern will. Er bringt es aber nicht fertig, da ihm seine blasigen Hände zu weh tun, und ruft mir ganz jämmerlich zu: »Ich kann’s nicht, Huck, es geht nicht! Was soll ich nun anfangen? So rat mir doch, Huck, denk nach! Weißt du gar nichts?«

»Ja«, sag‘ ich, »aber das wäre nicht moralisch und nicht nach der Regel. Komm eben einfach die Treppe herauf und tu, als sei’s der Blitzableiter!«

Schweigend schlich er davon und tat’s, aber gesprochen hat er an dem Abend kein Wort mehr.

Am andern Morgen entlehnte Tom einen Zinnlöffel und einen Messingleuchter im Hause, um Schreibfedern für Jim draus zu machen, sechs Talgkerzen ließ er außerdem noch mitgehen. Ich trieb mich bei den Negerhütten herum, wartete auf eine Gelegenheit und führte drei Zinnteller aus. Tom meinte, das sei lange nicht genug, ich aber sagte, wenn Jim die Teller herauswerfe, würden sie in dem Buschwerk vor dem Fensterloch von niemandem gesehen, und da könnten wir sie wieder herausholen und noch einmal benutzen.

Da war er denn auch zufrieden und sagte: »Jetzt müssen wir aber noch herauskriegen, wie wir all das Zeug dem Jim zustecken!«

»Na, durchs Loch natürlich, wenn wir es fertig haben!«

Er sah mich nur an, aber wie! Ich wußte, was er dachte, fast besser, als wenn er’s gesagt hätte, dabei brummte er etwas wie verrückt oder so, ich untersucht‘ es nicht weiter. Dann legte er sich aufs Nachsinnen, sagte auch nach einiger Zeit, er habe drei oder vier verschiedene Arten herausgefunden, es habe aber keine Eile mit der Entscheidung, wir müßten Jim doch zuerst alles klarzumachen suchen, wofür er die Sachen zu benutzen habe.

An dem Abend rutschten wir etwas nach zehn Uhr am Blitzableiter hinunter, nahmen eine von den Talgkerzen mit, horchten unter Jims Guckloch – Fenster konnte man das Ding nicht nennen –, hörten ihn schnarchen und warfen die Kerze hinein, wodurch er gar nicht einmal wach wurde. Jetzt ging’s frisch drauflos mit Hacke und Schaufel, und in vielleicht zwei Stunden oder etwas mehr waren wir fertig. Wir krochen durch das Loch unter Jims Bett in die Hütte, tappten auf dem Boden herum, fanden die Kerze, zündeten sie an und stellten uns ein Weilchen vor Jim hin, der immerzu schnarchte, dann weckten wir ihn allmählich. War der aber glücklich, uns zu sehen! Er nannte uns Herzchen und Zuckerpüppchen und gab uns sonst noch alle Schmeichelnamen, die sich nur erdenken lassen, und bat uns, sofort eine alte Feile zu holen und seine Kette abzufeilen und dann ohne viel Zeitverlust mit ihm auf und davon zu gehen. Das war nun ganz und gar nicht Toms Absicht, und der zeigte ihm denn auch bald, wie ganz gegen alle Regeln das wäre, und setzte ihm unsern Plan auseinander und wie wir ihn auch jeden Moment ändern könnten, wenn wirklich Gefahr in Verzug wäre, er brauche sich kein bißchen zu fürchten, denn wir würden dafür sorgen, daß er sicher frei würde. Jim sagte dann auch schließlich, ihm sei alles recht, und wir saßen und plauderten von alten Zeiten; Tom stellte eine Menge Fragen, und als Jim erzählte, Onkel Silas käme jeden Tag, um mit ihm zu beten, und Tante Sally, um nachzusehen, ob er genug zu essen habe, und daß beide so gut und freundlich seien, da sagte Tom: »So, nun weiß ich auch, was ich zu tun habe. Die müssen dir selbst die Sachen zutragen, die du brauchst, Jim!«

Sag‘ ich: »Das wirst du doch nicht tun, Tom, das ist ja das Tollste, was du bis jetzt ausgedacht hast!«

Er aber hörte gar nicht auf mich, sondern machte immer weiter, wie er’s zu tun pflegte, wenn ihm ein neuer Gedanke kam.

So sagte er denn Jim, daß wir ihm die Strickleiter in einem Brotlaib zuschmuggeln wollten, und andre größere Sachen durch den Nigger, der ihm das Essen bringe, er dürfe sich aber nichts merken lassen und müsse immer aufpassen und niemals etwas verraten. Die kleineren Sachen würden wir in des Onkels Rocktaschen stecken oder an der Tante Schürzenbänder befestigen, wo er sie dann unbemerkt wegnehmen müsse. Wir sagten ihm auch, zu was er jedes einzelne benutzen solle und wie er ein Tagebuch führen müsse auf dem Hemd mit seinem eignen Blut und dergleichen mehr. Tom unterrichtete ihn von allem. Jim konnte freilich nicht recht klug draus werden, meinte aber, wir seien doch kluge Weiße und müßten’s eben besser verstehen als so ein armer, dummer Nigger. Er war’s denn auch zufrieden und versprach, alles genau so zu machen, wie’s Tom angegeben.

Jim holte ein paar Pfeifen und Tabak heraus, und so waren wir lustig und guter Dinge. Dann krochen wir wieder zum Loch hinaus und gingen zu Bett, mit Händen, die aussahen, als seien sie mal von Ratten angenagt worden: So langes Graben ist doch kein Spaß! Tom war in der besten Laune. Er sagte, das sei das Schönste, Interessanteste, was er je erlebt hätte, und meinte, den Spaß könnten wir unser ganzes Leben lang fortsetzen, wenn wir nur erst wüßten wie, und es unsern Kindern einmal überlassen, Jim zu befreien, der ganz sicher mit der Zeit immer mehr Geschmack an seiner Gefangenschaft finden werde. Tom meinte auch, bei sorgfältiger Behandlung könne man Jim gewiß bis hoch in die Achtzig bringen und die Erzählung seiner Abenteuer dann als wertvolles Vermächtnis der Nachwelt überlassen, und alle, die damit zu tun gehabt hatten, würden Ruhm und Lorbeeren und einen gefeierten, hochgepriesenen Namen ernten. Na, mir soll’s recht sein!

Am Morgen gingen wir zum Holzplatz hin und zerlegten den Messingleuchter in handliche Stücke, die Tom samt dem Zinnlöffel in seine Tasche steckte. Dann schlenderten wir zu den Niggerhütten, und während ich Sam – das war der Nigger, der Jim das Essen brachte – anderweit beschäftigte, bohrte Tom ein Stück von dem Messingleuchter in ein großes Stück Brot, das auf Jims Schüssel lag, und wir trotteten nachher hinter Sam her, um zu sehen, was es für eine Wirkung habe. Die war nun über alle Beschreibung, denn Jim biß sich beinahe alle Zähne an dem Messing aus; das war ein Hauptspaß. Jim aber ließ sich nichts merken und tat, als wäre es ein Stein oder so etwas gewesen, das sich leicht einmal ins Brot verirrt; nachher aber biß er nie wieder in etwas hinein, ohne vorher mit seiner Gabel an drei oder vier Stellen probiert zu haben, ob alles mit rechten Dingen zugehe.

Und während wir noch dastehen, springen auf einmal zwei Hunde ganz seelenvergnügt unter Jims Bett hervor und andere drängen nach, mehr und immer mehr tauchen auf, bis vielleicht zwölf oder gar fünfzehn herumwimmeln und wir kaum Platz zum Atmen haben! Na, das war ein Schreck! Zum Henker, wir mußten ja wahrhaftig vergessen haben, die Schuppentüre zuzumachen. Unser Sam aber brachte vor Schrecken nur das Wort Geister heraus und fiel, so lang er war, auf den Boden, zwischen die Hunde, und wälzte sich und schlug um sich, als habe er Krämpfe. Tom riß geschwind die Tür auf, ergriff einen Fetzen Fleisch von Jims Schüssel, warf ihn hinaus, und die Hunde sausten wie toll hinterher, er selbst auch mit, und eh‘ ich noch Amen sagen konnte, war er leise wieder da. Ich wußte, er hatte flink die Schuppentür geschlossen, zog die Tür zur Hütte hinter sich zu und kauerte sich auf den Boden zu dem noch immer stöhnenden Sam. Er streichelte und schmeichelte an ihm herum, fragte, ob er denn wieder etwas gesehen habe und ob ihm die Geister noch immer keine Ruhe ließen. Sam kam wieder etwas zu sich, richtete sich auf und blinzelte scheu in alle Ecken.

»Massa Sid«, flüsterte er ängstlich, »du sagen, Sam sein Narr, aber Sam sehen ganze Million Hund oder Deibel oder so was, er wollen sterben, wenn er’s nix sehen ganz deutlich! Massa Sid, Sam sie riechen, sie fühlen! Sein gesprungen über arme, alte Sam! Das sein zuviel, zuviel! Sam nur einmal sollten fangen Geister, nur ein – einemal! Geister sollten bleiben weg dann nächstemal von arme, alte Sam! Sam das schwören!«

Sagt Tom: »Sam, ich will dir sagen, was ich glaube. Weißt du, warum die jedesmal kommen, wenn du dem Durchbrenner hier sein Frühstück bringst? Die sind hungrig, ganz sicher hungrig! Weißt du, was du tun mußt? Du mußt ihnen eine Zauberpastete machen, das allein kann dir helfen!«

»Aber, große Gott, Massa Sid, wie sollen alte Sam machen Zauberpastete? Er gar nix nicht wissen davon! Er nie nix haben gehört von solcher Pastet!«

»Na, da muß ich’s wohl für dich tun, he?«

»Massa Sid das wollen tun? Oh, sein so gut, so gut! Sam wollen küssen die Boden, wo Massa Sid gehen!«

»Na, schon gut, Alter, schon gut. Ich tu’s, weil du freundlich und gefällig warst und uns den Durchbrenner, den schlechten Kerl dort, gezeigt hast. Aber vorsichtig mußt du sein, hörst du? Du darfst nicht hören und nicht sehen, nicht merken und nicht merken wollen, was ich in die Pastete stecke, sonst ist alles umsonst, und die Geister packen dich beim Wickel, und wer weiß, ob sie dann das nächstemal so schnell verschwinden und dich nicht mit fortschleppen. Ich rat‘ dir auch, nicht danach zu schielen, wenn der Kerl dort die Pastete aufmacht, noch weniger, danach zu fassen.«

»Massa Sid, was du denken? Sam nix rühren dran mit kleinste Spitz von kleinste Finger, nix für zehnmalhunderttausend Dollahs!«