In Californien

Wir waren über den Rio Colorado gegangen, hatten das Gebiet des Pahutas glücklich hinter uns und dachten, nun bald die östlichen Ausläufer des Nevada-Gebirges zu erreichen, wo wir am Mono-See einige Tage Rast halten wollten. Von dem Gebiete der Comanchen bis hierher ist es ein wenig weit. Man hat unendlich scheinende Savannen, himmelhohe Gebirge und dann salzige, weite Wüstenflächen zu überwinden, und so kräftig Pferd und Reiter auch sein mögen, es machen sich die Folgen solcher Strapazen doch bei Mensch und Tier geltend.

Und was trieb uns, diesen weiten Weg zurückzulegen, auf welchem wir Californien vor uns liegen hatten? Erstens wollte Bernard Marshall dort seinen Bruder suchen; zweitens nahmen wir an, die beiden Morgans seien in das Land des Goldes gegangen, nachdem sie am Rio Pecos ihren Raub auf eine so plötzliche Weise verloren hatten.

Zu dieser Vermutung war aller Grund vorhanden.

Als wir damals das Zeltdorf der Comanchen verließen, ritten wir den Nachmittag und die ganze Nacht hindurch, so daß wir bereits am nächsten Mittag die obere Sierra Guadelupe vor uns sahen. Sams Stute und Winnetous Klepper hielten sich trotz der gewaltigen Anstrengung außerordentlich gut, und die andern Pferde waren ja so frisch, daß wir um sie keine Sorge hatten. Auch die Guadelupe wurde überwunden, ohne daß wir eine Spur von Verfolgung bemerkten, und als wir einige Tage später den Rio Grande überschritten hatten, brauchte es uns wegen der Comanchen nicht mehr bange zu sein.

Westlich vom Rio Grande schieben die Cordilleren von Sonora zahlreiche Höhenzüge nach Norden vor, welche wir ohne besondere Abenteuer erreichten. Hier aber trat ein wichtiges Ereignis ein.

Wir hatten uns nämlich um die Mittagszeit auf der Höhe eines Passes gelagert, und Winnetou stand als Ausguck an einem Felsen über uns, von wo aus sein Blick den ganzen Weg vor und hinter uns beherrschen konnte.

„Uff!“ rief er da plötzlich in jenem Gutturaltone, der den Indianern eigen ist, legte sich auf den Boden und glitt schnell zu uns herab.

Wir griffen natürlich sofort zu unsern Waffen und erhoben uns.

„Was gibt es?“ fragte Marshall.

„Rote Männer.“

„Wie viel?“

„So!“

Er hielt die fünf Finger der Rechten und drei der Linken in die Höhe.

„Acht! Von welchem Stamme?“

„Winnetou konnte es nicht sehen, denn die Männer haben alle Zeichen abgelegt.“

„Sind sie auf dem Kriegspfade?“

„Sie haben keine rote und blaue Erde im Gesicht, aber sie tragen Waffen.“

„Wie weit sind sie noch?“

„Im vierten Teile der Zeit, welche die Bleichgesichter eine Stunde nennen, werden sie hier sein. Meine Brüder mögen sich teilen. Winnetou geht mit Sans-ear vorwärts, und Marshall mit dem schwarzen Manne rückwärts, um sich hinter die Felsen zu verstecken. Mein Bruder Charlih wird hier bleiben bei seinem Pferde.“

Er nahm die andern vier Pferde bei den Zügeln und führte sie hinter das Gestein, wo sie nicht bemerkt werden konnten; dann wurde von ihm und den drei Gefährten die angegebene Stellung eingenommen. Ich blieb sitzen, der Richtung, aus welcher die Erwarteten kommen sollten, halb zugewandt; meine Büchse lag bereit.

Die Viertelstunde war kaum vergangen, so vernahm ich Pferdegetrappel; ich tat, als hätte ich es nicht gehört, hielt aber das halbe Auge scharf auf die acht Gestalten gerichtet, welche mich bereits bemerkt hatten und einen Augenblick lang ihre Pferde parierten. Sie wechselten einige Worte und kamen dann auf mich zu. Der Boden war hier so felsig, daß er keine Spuren annahm; sie konnten also nicht sehen, daß ich nicht allein war.

Ich stand jetzt ruhig auf und nahm meine Büchse zur Hand; sie blieben wohl zehn Schritte vor mir halten, und der vorderste fragte:

„Was tut das Bleichgesicht hier in den Bergen?“

„Der weiße Mann hält Rast von einem weiten Wege.“

„Woher kommt er?“

„Vom Ufer des Rio Grande.“

„Und wo will er hin?“

„Uff!“ rief da ein Anderer, noch ehe ich die letzte Frage beantworten konnte. „Die Krieger der Comanchen haben diesen weißen Mann am Wasser des Pecos gesehen. Er war da mit Ma-ram, dem Sohn des Häuptlings, und schoß auf die beiden Bleichgesichter, denen meine Brüder nachgejagt sind!“

Dieser Mann gehörte also zu den fünf Comanchen, welche durch ihren Angriff auf mich das Entkommen der Morgans verschuldet hatten. Ich hatte ihn nicht erkannt, weil er damals die Kriegsmalerei im Gesichte trug und mir nur ein kurzer Blick auf die Leute ermöglicht gewesen war.

„Wohin ist das Bleichgesicht mit Ma-ram gegangen?“ fragte mich nach dieser Erklärung der Anführer.

„Nach den Wigwams der Comanchen.“

„Wie kam der weiße Mann mit Ma-ram zusammen?“

„Ich nahm ihn gefangen in dem Tale, in welchem er zurückgeblieben war, als die Krieger der Comanchen Winnetou, Sans-ear, ein Bleichgesicht und einen Neger überfielen.“

Bei dieser Antwort griffen die Comanchen zu ihren Messern.

„Uff!“ rief der Anführer. „Er hat Ma-ram gefangen genommen! Wo blieben die andern roten Männer?“

„Ich tat ihnen kein Leid. Den Einen band ich, und die vier Anderen hatten keine Augen und Ohren, um zu sehen und zu hören, daß ich den Sohn des Häuptlings mit mir nahm.“

„Aber Ma-ram war nicht gebunden, als wir ihn bei dem Bleichgesichte sahen,“ bemerkte der frühere Sprecher.

„Ich gab ihn wieder frei, denn er versprach, mir ruhig nach den Wigwams der Comanchen zu folgen.“

„Uff! Was wollte der weiße Mann dort?“

„Den Häuptling der Apachen und Sans-ear befreien. Ich nahm die vier Häuptlinge der Racurroh gefangen und gab sie nur gegen ihre Gefangenen wieder los. Ich durfte mit ihnen gehen, und die Comanchen gaben uns den vierten Teil einer Sonne Zeit, zu enkommen.“

„Und die Gefangenen sind entkommen?“

„So ist es!“

Es machte mir Spaß, sie durch Darstellung dieser Verhältnisse in Harnisch zu bringen.

„Dann muß das Bleichgesicht sterben!“

Er ergriff sein Gewehr; es war das einzige vorhandene; die Andern hatten nur Bogen und Pfeile als Schußwaffen.

„Die roten Männer würden tot sein, noch ehe sie ihre Waffen erhoben haben, denn ich fürchte mich nicht vor acht Indsmen. Aber die Krieger der Comanchen werden mir nichts tun, wenn ich ihnen sage, daß sie Sans-ear, Winnetou und die beiden Übrigen heut wieder fangen können.“

„Uff! Wo?“

„Hier!“ Ich deutete nach rechts und nach links. „Dort steht Winnetou mit Sans-ear, dem Indianertöter, und hier der Weiße mit dem schwarzen Manne!“

Hüben und drüben waren die Genannten einige Schritte vorgetreten und hielten ihre Büchsen im Anschlage. Zu gleicher Zeit war ich um einige Schritte zurückgesprungen und richtete die meinige auf den Anführer.

„Die roten Männer sind unsere Gefangenen; sie mögen von ihren Pferden steigen!“ gebot ich ihnen.

Sie waren drei Männer mehr als wir, unsere fünf Büchsen aber waren ihnen überlegen. Zur Flucht gab es weder vor noch rückwärts eine Gelegenheit, und so wunderte ich mich nicht, als der Anführer die Hand von seinem Schießeisen nahm und fragte:

„Sieht mein weißer Bruder nicht, daß sich die roten Männer nicht auf dem Kriegspfade befinden?“

„Und dennoch wollten sie mich töten! Aber der weiße Mann will nicht das Blut seiner roten Brüder; sie mögen absteigen und mit uns das Calumet des Friedens rauchen!“

Sie zögerten, dieser Aufforderung, hinter welcher eine Kriegslist stecken konnte, zu folgen.

„Wie heißt mein weißer Bruder?“ fragte der Rote.

„Man nennt mich Old Shatterhand.“

„Uff! Dann dürfen wir seinen Worten glauben. Meine Brüder mögen von ihren Pferden steigen!“

Er nahm die Pfeife vom Sattel und setzte sich neben mir nieder. Seine Gefährten folgten ihm. Meine Kameraden kamen auch herbei und nahmen Platz. Die Pfeife wurde gestopft und herumgereicht. Bernard beging den Fehler, sie auch Winnetou anzubieten. Dieser wehrte ab.

„Der Häuptling der Apachen sitzt bei den Comanchen, weil sein Bruder Frieden mit ihnen wünscht, aber er raucht nicht das Calumet aus ihren Händen. Sie mögen sprechen mit meinen weißen Freunden, aber wenn sie gesprochen haben, so dürfen sie nicht wieder begegnen Winnetou, sonst versammelt er sie zu den toten Schakalen der Wüste!“

Bernard hätte das voraussehen können. Die Comanchen taten, als hätten sie diese Worte gar nicht gehört. Ich wandte mich an ihren Anführer:

„Die roten Männer sind nachgejagt den beiden weißen Verrätern?“

„Mein Bruder hat es bereits gehört!“

„Und haben sie nicht erreicht?“

„Nein. Die Verräter kamen auf das Gebiet der Feinde der Comanchen, wo diese umkehren mußten.“

„Wie konnten sie entkommen, da sie doch keine Pferde hatten?“

„Sie stahlen sich die Tiere der Comanchen.“

„Ah! Haben die Comanchen keine Augen, den Dieb zu sehen, und keine Ohren, seine Schritte zu hören?“

„Sie waren versammelt um das Grabmal ihres Häuptlings, und als sie zu den Pferden zurückkehrten, war die Wache getötet, und die zwei besten Tiere fehlten.“

Dies war wirklich der einzige Weg für die Morgans gewesen, sich zu retten; aber es hatte eine nicht geringe Verwegenheit dazu gehört, sich – die Verfolger im Rücken – in das Gebirge der Comanchen zu wagen, um ihnen ihre Pferde zu rauben. Die beiden Räuber waren wirklich kühne Männer, die als Gegner nicht unterschätzt werden durften. In unsere Hände mußten sie aber doch kommen, und wenn wir ihnen rund um die Erde folgen sollten; darum war mir das Zusammentreffen mit diesen Comanchen willkommener als jede andere Begegnung.

Sie hielten nur kurze Rast, und erst beim Aufbrechen fragte ich sie:

„Wo haben meine roten Brüder die Spur der weißen Männer zuletzt gesehen?“

„Zwei Sonnen von hier. Will mein Bruder ihnen folgen?“

„Ja. Wenn wir sie treffen, so sind sie verloren!“

„Uff! Der weiße Mann spricht aus dem Herzen der Comanchen. Er reite immer nach Sonnenuntergang, bis er nach einer Sonne ein großes Tal erreicht, welches von Mittag nach Mitternacht geht. Er folge diesem nach Mitternacht, wo er die Stelle ihres Feuers finden wird. Dann reite er über die Höhe bis an das Wasser, welches nach Westen fließt und folge ihm; er wird finden zweimal die Asche von ihrem Feuer. Hier mußten die Krieger der Comanchen umkehren, weil dort das Jagdgebiet der Navajoes beginnt.“

„Wie nahe waren meine Brüder, als sie umkehren mußten, den Verfolgten?“

„Nicht ganz eine halbe Sonne. Die roten Krieger wären ihnen doch gefolgt, aber sie erblickten in den Tälern die Wigwams der Feinde, bei denen sie den Tod gefunden hätten.“

„Die Krieger der Comanchen können To-kei-chun und den drei Häuptlingen sagen, daß Winnetou, Sans-ear und Old Shatterhand die beiden Verräter ereilen werden. Ma-ram mag sehr oft an Old Shatterhand denken, denn dieser denkt auch an ihn!“

„Wird Winnetou, der Apache, die Krieger der Comanchen verfolgen?“

„Nein; er ist ihr Feind, aber sie haben das Calumet des Friedens mit seinen Brüdern geraucht; er wird sie ziehen lassen!“

Sie stiegen auf und ritten fort. Wir taten dasselbe. Sie trugen nach Osten die Kunde, daß sie uns getroffen hatten, und wir nahmen mit nach Westen die Gewißheit, daß wir die Morgans fangen würden.

Wir fanden Alles genau nach ihrer Beschreibung. Da die Apachen mit den Navajoes in Freundschaft lebten, so konnten wir mit Winnetou bei ihnen einkehren. Hier erfuhren wir, daß die Gesuchten sich da nur einige Stunden aufgehalten und nach den nächsten Pfaden zum Colorado gefragt hatten. Auch den Mono-See hatten sie erwähnt, und obgleich wir etliche Tageslängen hinter ihnen waren, hatten wir ihre Spuren bisher doch so deutlich gefunden, daß wir überzeugt waren, sie endlich doch noch zu treffen.

Also jetzt hielten wir auf die Sierra Nevada zu und ritten auf einer weiten Ebene mit zahlreichen Büffelspuren. Wir wünschten sehr, eines dieser Tiere zu treffen; wir hatten sehr lange Zeit nur Dürrfleisch genossen, und wenn unser Vorrat auch noch auf einige Tage reichte, so wäre uns die frische Lende oder Keule eines Rindes doch höchst willkommen gewesen.

Aus diesem Grunde schweifte ich mit Bernard, der noch bei keiner Büffeljagd gewesen war, von unserer Richtung nach rechts ab, wo allerlei Strauchwerk auf Wasser und infolgedessen auf die Anwesenheit von Rindern schließen ließ. Es war jetzt die heiße Mittagsstunde, in welcher das Rind sich gern im Wasser kühlt oder in der Nähe desselben wiederkäut.

Wirklich sollte auch meine Hoffnung in Erfüllung gehen, denn am Horizonte tauchte eine Gruppe von vier Tieren auf, gegen welche wir uns sofort in Bewegung setzten. Leider hatten wir den Wind mit uns, so daß wir sehr bald bemerkt wurden; dadurch sahen wir uns gezwungen, unsere Pferde so weit wie möglich ausgreifen zu lassen. Hier bewährte sich mein Rapphengst auf das glänzendste. Er flog mit einer Leichtigkeit dahin, als ob ich ein ausgetrockneter Jockey von 0,10 spezifischem Gewicht sei, und ließ das Pferd Bernards weit hinter sich zurück. Diese wertvolle Seite des Pferdes bewog mich, es auch auf eine andere Eigenschaft zu prüfen, auf welche im Westen ein außerordentlicher Wert gelegt wird. Ich beschloß nämlich, nicht die Büchse, sondern den Lasso zu gebrauchen. Der meinige hatte kein Öhr, sondern einen Ring, durch welchen die Schlinge viel sicherer und besser läuft, als durch die bei den Indianern gebräuchliche Lederöse.

Unweit eines Weidengestrüppes erreichte ich die Tiere. Es war ein sehr starker Bulle mit drei Kühen, von denen ich mir diejenige auswählte, deren glattes Aussehen auf ein zarteres Fleisch schließen ließ. Ich schnitt sie von den anderen Tieren ab, hielt mich ihr nahe zur Seite und warf die Schlinge. Mein Pferd bewährte sich glänzend. Sobald der Lasso durch die Luft sauste, warf der Hengst sich ganz von selbst herum und stemmte die Beine mit weit nach vorn gebeugtem Körper auf die Erde. Die Schlinge zog sich um den Hals der Kuh zusammen – ein gewaltiger Ruck riß mein Pferd beinahe auf die Hinterschenkel nieder, aber es hielt sich fest und strengte den am Sattelknopfe befestigten Riemen so straff wie möglich an. Die Kuh war niedergerissen worden; ich sprang vom Pferde, zog das Messer und fing sie mit einem kräftigen Stoße in das Genick ab. Der Hengst war mir mit den Augen gefolgt und ließ den Lasso jetzt locker. Ich trat zu dem braven Tiere und streichelte liebkosend seinen Nacken, wofür es dankbar seinen Kopf an meiner Achsel rieb.

Jetzt nahm ich die Schlinge vom Halse der Kuh und wollte mich eben an das Aufbrechen derselben machen, als Bernard herbeikam.

„Zu spät!“ klagte er. „Soll ich weiter?“

„Nein. Wir haben genug, und Ihr könnt hier mithelfen!“

Er stieg ab, und ich warf das Rind auf die andere Seite. Dabei bemerkte ich, daß demselben ein Zeichen eingebrannt war.

„Ah, es gehört zur Herde einer Estancia, einer Hacienda oder eines Rancho.“

„Durften wir die Kuh denn töten?“

„Ja. Die Rinder haben in diesen Gegenden nur den Wert, den ihre Haut besitzt. Jeder Reisende – so ist es gebräuchlich – darf eines derselben zu seinem Bedarfe töten, muß aber die Haut an den Besitzer abliefern.“

„Dann müssen wir diesen aufsuchen?“

„Wieder nein. Sollte ja ein Meierhof hier in der Nähe liegen, so brauchen wir nur zu melden, wo das Fell zu finden ist. Bei dem großen alljährlichen Schlachten kann es gar nicht umgangen werden, daß der eine Herdenbesitzer eines oder auch mehrere Tiere eines Andern mit tötet; diesem Andern geht es ebenso, und man wechselt dann die Felle gegenseitig aus.“

Die Kuh lag höchstens fünf Schritte von dem erwähnten Gebüsch. Ich hatte meine Auseinandersetzung kaum beendet, so hörte ich ein scharf sausendes Geräusch, und Bernard stieß einen Schrei aus. Von meiner Arbeit aufblickend, gewahrte ich noch, daß er mit einem Lasso quer durch den schmalen Gebüschstreifen geschleift wurde. Ich raffte die neben mir liegende Büchse auf, sprang durch die Sträucher vor und gewahrte einen Reiter in mexikanischer Tracht, welcher mit Marshal am Riemen davon galoppierte.

Hier gab es kein Zaudern, sonst wurde Bernard zu Tode geschleift. Ich erhob die Büchse, zielte nach dem Pferde des Reiters und drückte ab. Es tat noch einige Schritte und brach dann zusammen. Ich eilte hinzu. Der Reiter war abgeworfen worden; er erhob sich, und als er mich erblickte, ließ er Alles im Stiche und ergriff die Flucht.

Ich durfte ihm nicht folgen, sondern mußte zunächst nach Bernard sehen. Die Schlinge hatte ihm die Arme so fest an den Leib gezogen, daß er sich nicht zu rühren vermochte; ich löste sie, und er zeigte sich glücklicherweise so wenig beschädigt, daß er sich sofort mit heiler Haut zu erheben vermochte.

„Alle Wetter, war das eine Rutschpartie, Charley! Was wollte dieser Kerl?“

„Weiß es nicht!“

„Warum habt Ihr die Kugel nicht ihm statt dem Pferde gegeben?“

„Erstens ist er ein Mensch und das Pferd ein Tier, und zweitens hätte Euch sein Tod gar nicht viel genützt, denn der Lasso ist, wie Ihr seht, an den Sattel befestigt, und das Pferd hätte Euch also auch ohne Reiter weiter geschleift.“

„Konnte diesen Gedanken auch haben!“ meinte er, seine Glieder untersuchend, ob sie noch in gutem Zustande seien.

„Kommt zurück zur Kuh! Wir wollen machen, daß wir mit ihr fertig werden, denn hier scheint es nicht recht geheuer zu sein.“

„Ich denke, wir sind hier ähnlichen Gefahren gar nicht mehr ausgesetzt, da das Gebiet der Indsmen hinter uns liegt!“

„Da irrt Ihr Euch sehr. Wir befinden uns bereits auf jenem gefährlichen Terrain, wo statt der Indianos bravos, wie der Spanier die Wilden nennt, die mexikanischen Straßenräuber und Yankeegauner ihr Unwesen treiben. Ihr werdet bald von ihnen zu sehen und zu hören bekommen!“

Wir nahmen nur die besten Stücke von dem Rinde, packten sie hinter uns auf den Sattel und suchten den Unsern nachzukommen. Dieses wurde uns nicht schwer, da sie inzwischen Halt gemacht hatten. Als Bob unsern Fleischvorrat bemerkte, rief er schon von weitem:

„Oh, ah, da kommen Massa mit Beefsteak! Nigger Bob gleich holen Holz, daß machen Feuer und braten Schinken von Büffel!“

Wir ließen ihn gewähren und besprachen, während er emsig als Koch beschäftigt war, unser Abenteuer. Als der Braten die richtige Bräune zeigte, war es zum Verwundern, welch gewaltige Stücke davon hinter den dicken Lippen des Negers verschwanden. Er war so in seine Beschäftigung vertieft, daß er gar nicht auf den Ruf Sams merkte:

Behold, kommen da drüben Reiter, oder sind es nur Pferde?“

Ich sah durch das Fernrohr.

„Reiter – drei, fünf, acht, ja – acht.“

„Ob sie uns sehen werden?“

„Natürlich. Sie müssen den Rauch längst bemerkt haben.

„Welche Sorte von Menschen ist es?“

„Mexikaner, nach den breiten Hüten und hohen Sätteln zu schließen.“

„Dann wollen wir zum Beispiel die Waffen zwischen die Finger nehmen, denn dieser Besuch könnte mit eurem Lassoreiter in Verbindung stehen!“

Die Truppe kam immer näher, bis sie in einiger Entfernung von uns halten blieb. Es waren lauter Mexikaner, ein Herr und sieben Knechte, wie es schien, und ich erkannte in einem der Knechte den Mann, dessen Pferd ich erschossen hatte. Sie berieten sich augenscheinlich, schwenkten dann nach zwei Seiten ab und bildeten dann einen Kreis, in welchem wir eingeschlossen waren.

„Scheinen mit uns reden zu wollen, diese Männer, hihihi!“ kicherte Sam, der Kleine, in jenem Tone, der stets ein Zeichen war, daß er sich belustigt fühle, „Nehme es zum Beispiel ganz allein mit Allen auf!“

Der Kreis wurde enger gezogen, so daß sein Halbmesser höchstens zwanzig Pferdelängen betrug; dann ritt der Anführer einige Schritte vor. Er redete uns in dem in jenen Gegenden landläufigen Gemisch von Englisch und Spanisch an.

„Wer seid ihr?“

Sam antwortete für uns:

„Wir sind Mormonen aus der großen Salzseestadt und kommen als Missionare nach Californien.“

„Werdet schlechte Geschäfte machen, sage ich euch! Wer ist der Indianer bei euch?“

„Das ist kein Indianer, sondern ein Eskimo aus Neuholland, den wir für Geld sehen lassen werden, wenn unsere Geschäfte wirklich schlecht gehen sollten.“

„Und der Nigger?“

„Ist auch kein Nigger, sondern ein Lawyer aus Kamtschatka, der in San Francisco einen Prozeß zu verhandeln hat.“

Der gute Mexikaner war in der Geographie wohl nicht heimischer als seine Landsleute. Er antwortete:

„Saubere Gesellschaft! Drei mormonische Missionare und ein fremder Advokat stehlen mir eine Kuh und machen einen Mordversuch auf meinen Vaquero! Ich werde euch lehren, was das zu bedeuten hat. Ihr seid meine Gefangenen und begleitet mich nach meinem Rancho!“

Sam drehte sich mit pfiffigem Gesichtsausdruck zu mir herum.

„Wollen wir, Charley? Vielleicht gibt es in dem Rancho ein wenig mehr zu essen, als hier!“

„Können es probieren! Wenn der Mann kein Haciendero mit mehreren hundert Untergebenen, sondern ein kleiner Ranchero ist, kann er uns nichts anhaben.“

Well, werden uns also den Spaß machen!“

Er wandte sich wieder zu dem Mexikaner:

„Wollt Ihr Euch wirklich wegen solcher Kleinigkeiten mit uns belästigen, Sennor?“

„Ich bin kein Sennor; ich bin ein Don; ich bin ein Grande, und man nennt mich Don Fernando de Venango e Colonna de Molynares de Gajalpa y Rostredo; merkt Euch das!“ .

Heigh-day, seid Ihr ein großer Herr! Wir werden Euch also gehorchen müssen, doch hoffe ich, daß Ihr gnädig mit uns seid!“

Wir hatten keine Miene gemacht, uns zu widersetzen. Jetzt erhoben wir uns, löschten das Feuer aus und stiegen zu Pferde. Dabei lachte Bob vergnügt:

„Oh, ah, schön! Nigger Bob sein Lawyer aus – aus –Bob nicht mehr wissen! In Rancho werden sein viel gut Speis‘ und Trank, und Bob werden wohnen da sehr viel ganz schön!“

Wir wurden in die Mitte genommen, und fort ging es im sausenden Galopp, wie es diese Mexikaner nicht anders gewohnt sind. Dabei hatte ich reichlich Gelegenheit, die Kleidung dieser Leute in Augenschein zu nehmen.

Dieselbe ist so romantisch schön, wie man sie wohl kaum in einem anderen Lande findet. Das Haupt ist beschattet von einem niedrigen Hut mit sehr breiter Krempe, dem sogenannten Sombrero, welcher entweder aus schwarzem oder braunem Filz oder aus jenem weichen, feinen Grasgeflechte gefertigt ist, das wir auch in Europa kennen, da Kopfbedeckungen dieser Art unter dem Namen Panamahüte auch zu uns herüberkommen. Der Hut eines Sennors, also eines Herrn, mag dieser nun Haciendero, Ranchero oder Räuber sein, ist immer an der einen Seite aufgeschlagen, und eine Agraffe von Gold oder Messing, mit Edelsteinen oder buntem Glas besetzt, hält die Krempe in die Höhe und befestigt zugleich die Schmuckfeder, welche je nach dem Reichtume des Besitzers in der Höhe des Preises wechselt, aber niemals fehlen darf.

Der Mexikaner trägt eine kurze, offene Jacke mit weit aufgeschlitzten Ärmeln. An diesen Ärmeln sowohl als auch auf den Nähten des Rückens und auf den beiden Bruststücken ist sie mit möglichst reichen Stickereien versehen, welche von feinen Schnüren aus Wolle, Baumwolle oder Seide, aus unedlen Metallen oder aus Gold und Silber bestehen.

Um den Hals wird ein schwarzes Tuch geschlungen und vorn in einem kleinen Knoten vereinigt. Die Zipfel dieses Tuches würden lang genug sein, um bis über den Gürtel herabzureichen; doch ist es nicht Mode, dieselben in dieser Weise zu tragen, sondern sie werden über die Schultern geschlagen, was dem Träger ein höchst malerisches Aussehen gibt.

Das Beinkleid ist von ganz besonderem Stile; es schließt um den Gürtel fest an, liegt stramm und glatt auf den Hüften und dem übrigen Teil des Oberkörpers, den es bedeckt. Die Hose aber wird von ihrer Beinteilung an nach unten immer weiter; sie ist unten doppelt so weit als an dem dicksten Teile der Lenden. Überdies ist das Beinkleid an den äußeren Seiten aufgeschlitzt, mit breiten Tressen und Stickereien geschmückt und der Schlitz mit Seidenzeug gefüllt, dessen Farbe so gewählt wird, daß sie sehr lebhaft gegen diejenige der eigentlichen Hose absticht.

Auch die aus fein lackiertem Leder gefertigten Stiefel sind stets mit Stickereien geziert. Zu ihnen gehören unbedingt zwei Sporen von ungeheueren Dimensionen. Sie bestehen entweder aus Silber oder aus schönem durchbrochenen Stahl oder aus schlechtem Messing, vielleicht gar aus Horn, mit einer Knochenspitze, die ganz dazu geeignet ist, dem armen Pferde tiefe Wunden in die Seite zu bohren. Die Größe dieser Sporen übertrifft alles, was jemals die gepanzerten Ritter im Mittelalter trugen. Sie sind mit dem Gabelteile reichlich zehn Zoll lang, wovon also mindestens sechs auf die Stange kommen, welche das Rad trägt. Was wir bei uns Rädchen nennen und dann die ungefähre Größe eines Groschens hat, ist bei dem Mexikaner ein zwölfstrahliger Stern von sechs Zoll Durchmesser. Der ganze Sporn wiegt zwei Pfund und oft noch beträchtlich darüber.

Die Mexikaner sind immer beritten – mit wohl dressierten, höchst gelenkigen und jeder Strapaze gewachsenen Pferden. Und dabei besitzen sie eine außerordentliche Geschicklichkeit im Gebrauche aller von ihnen geführten Waffen. Sie legen dieselben kaum des Nachts von sich und sind bei der geringsten Veranlassung bereit, sich ihrer zu bedienen.

Besondere Fertigkeit entwickeln sie in der Führung einer sehr langen Reiterpistole mit gezogenem Rohre, welche stets so eingerichtet ist, daß man mit einem einzigen Drucke einen Gewehrkolben damit verbinden kann, wodurch die Pistole in eine kurzrohrige Büchse umgewandelt wird. Dieses Gewehr trägt in der Hand eines Mexikaners den sichern Tod auf eine Entfernung von hundertfünfzig Schritten hin, denn die Züge sind sehr kurz gewunden, das Geschoß bekommt folglich eine starke Achsendrehung und kann nicht leicht von der vorgeschriebenen Bahn abweichen; das Kammergeschütz aber fordert, der gedachten Einrichtung wegen, nur eine geringe Menge Pulver und stößt und schlägt nicht. Ein solches Gewehr ist in der Hand des Geübten ein wahrer Schatz, und die Pferde sind so gut dressiert, daß man auf ihnen sowohl dem Feinde zugewendet als auch ihm abgewendet schießen kann. Während des Reitens wird nämlich niemals seitwärts, sondern stets entweder vor- oder rückwärts geschossen. Steht das Pferd aber ruhig, so kann man das Gewehr nach jeder beliebigen Richtung hin brauchen; es genügt, dasselbe dem Pferde zu zeigen, um das kluge Tier für zehn Sekunden so unbeweglich zu machen, als ob es aus Stein gemeißelt oder aus Bronze gegossen sei.

Eine beinahe noch gefährlichere Waffe als dieses sicher treffende Schießeisen ist der Lasso, jene furchtbare Lederschlinge, mittels deren der Geübte den wilden Stier im Laufe, den schwarzen Tiger im Sprunge und den Menschen sowohl bei der Attacke als auch während der Flucht fängt und tötet. Der Lasso, ein wohl dreißig Ellen langer und mit einer Schlinge versehener Riemen, wird auf Mensch oder Tier meist während des Galoppierens geworfen, und es kommt vielleicht unter zehntausendmalen erst einmal vor, daß der zum Tode bestimmte Feind nicht getroffen wird. Mit dem Lasso üben sich schon die Kinder, und endlich scheint es, als ob er mit dem Menschen vollkommen verwachsen wäre; er gehorcht nicht bloß der Hand; man möchte sagen, er gehorcht dem Gedanken, denn die tödliche Schlinge fliegt dahin, wohin der Mensch sie haben will, gleichviel ob dieses im Spiel und Scherz, auf der Arena oder im ernsten Vernichtungskampfe sei.

Sitzt der Mexikaner zu Pferde, so hängt über dem Sattelknopf noch der Poncho, eine Decke, welche den ganzen Körper verhüllen kann und in der Mitte einen Schlitz hat, durch den man den Kopf steckt, so daß die eine Hälfte des Poncho über den Rücken und die andere über die Brust herabfällt.

Die Kleidung des Reiters und das Sattelzeug des Pferdes sind gleich kostspielig. An Sattel und Zaum befindet sich überall Silber und mitunter auch Gold. Bei reichen Leuten ist das Gebiß des Pferdes immer von schwerem, gediegenem Silber, und die Ketten, welche das Zaumzeug verzieren, sind nicht etwa hohl gearbeitet, sondern von massivem Golde; mitunter kostet ein so verziertes Gebiß nur fünfzig Escudos, aber sehr häufig ist ein bloßes Gebiß mit dem Zaumzeuge fünfhundert Escudos de oro wert.

Die Pferde tragen alle den berühmten, oder auch berüchtigten spanischen Sattel von ganz ungewöhnlicher Höhe, so daß man kaum aus demselben fallen kann, wenn man einmal fest sitzt; und wenn der Reiter nur einiges Geschick hat, so dürfte es für das Pferd sehr schwer werden, ihn abzuwerfen. Die Lehne schließt sich bis da, wo die kurzen Rippen beginnen, vollständig an den Rücken; der Vorderteil geht ebenso hoch hinauf, und da er in dem messingenen Sattelknopfe, welcher gewöhnlich einen Pferdekopf vorstellt, eine sechszöllige Verlängerung hat, so reicht er bis an das Brustbein.

Von dem Sattel geht bis nach dem Schwanzriemen hin ein Panzer von Sohlenleder, welcher die Kruppe und die Flanken des Tieres schützt. Die modernen Reiter lassen ihn immer weg; zu einer Reise aber wird er gewöhnlich hervorgeholt, besonders schon deshalb, weil er eine beträchtliche Menge von Taschen und andern sehr angebrachten Behältern birgt. Dieser Panzer führt den drolligen Namen Cala de Pato.

Die Steigbügel, häufig an silbernen Ketten hängend, sind doch gewöhnlich von Holz und waren in alten Zeiten wirkliche, eigentliche Schuhe, welche den Fuß bedeckten und gegen jede Verletzung oder Beschädigung beschützten. Die Holzschuhe hat man abgelegt, dagegen die hölzernen Bügel beibehalten; um aber den Fuß dennoch gegen eine Verletzung zu schützen, trägt der vordere Teil des Bügels lederne Decken (Tapageres), die schön mit Drahtstickereien verziert sind und den Vorderfuß umschließen. Sehr reiche Leute haben oft Steigbügel von durchbrochenem Eisenblech, kostbar gearbeitet, ganz so, wie wir sie in alten Rüstkammern zu sehen bekommen. Da sich der Reiter gegen alles mögliche schützen will, so hat er auch noch die Armas de Pelo an jeder Seite des Sattelknopfes hängen. Das sind derbe Ziegenfelle, mit der Haarseite nach außen, welche bei Regenwetter über die Lenden und die Kniee gedeckt werden. Auch wenn man durch dorniges Gestrüpp reitet, gewähren sie einen sehr guten Schutz für die Beine. – –

Nach ungefähr einer halben Stunde tauchte ein Gebäude vor uns auf, in welchem wir den Rancho vermuteten. Wir sprengten in den geräumigen Hof und stiegen ab.

„Sennora Eulalia, Sennorita Alma, kommt, kommt, und seht, wen ich bringe!“ rief der Ranchero, gegen das Hauptgebäude gewendet, mit lauter Stimme.

Auf diesen Ruf kamen zwei Wesen mit solcher Hast und Eile aus der Türe gerannt, daß ich unwillkürlich an Schillers Worte dachte:

„Da speit das doppelt geöffnete Haus
Zwei – Damen auf einmal aus.“

Ja, Damen waren es, eine Sennora und eine Sennorita, wie wir gehört hatten, aber die Stallmagd eines Lüneburger Heidebauern hätte gegen sie wie eine Donna ausgesehen. Beide waren barfuß und barhäuptig; ob das seltsame Gewirr, welches sie auf dem Kopfe trugen, Haare sein sollten, konnte ich nicht unterscheiden. Ein kurzer Rock deckte die oberen Beine, während die unteren einen Schmutzüberzug zeigten, den man sehr leicht für Stulpenstiefel hätte halten können. Den Oberkörper schützte nur ein Hemd, welches vor Jahren vielleicht einmal weiß gewesen war, nun aber aussah, als sei es zum Ausputzen des Kamins benutzt worden.

Also sie kamen aus der Tür heraus geschossen und starrten uns mit weit aufgerissenem Munde an.

„Wen bringt Ihr uns da, Don Fernando de Venango e Colonna?“ kreischte die ältere der beiden Frauen. „Was wird das für Arbeit geben, wenn fünf stockfremde Gäste essen, trinken, spielen, rauchen und schlafen wollen! Das kann ich nicht leiden; das kann ich nicht dulden; lieber laufe ich auf der Stelle fort und lasse Euch mit Eurem ganzen Gesindel in diesem unseligen Rancho allein. Ich wollte, ich hätte mich niemals von Euch bereden lassen, mein schönes San Jose zu verlassen und – –“

„Aber Mutter, siehst du denn nicht, daß dieser Don unserm guten Don Allano so ähnlich sieht!“ meinte die Jüngere, indem sie auf Marshall deutete.

„Mag er ihm ähnlich sehen, er ist es nicht!“ antwortete die Andere, sichtlich erbost über die Unterbrechung ihres ausgezeichneten Redeflusses. „Wer sind diese Männer, und wer wird die Arbeit mit ihnen haben? Ich, sonst kein anderer Mensch. Und das will etwas sagen, wenn man so schon für eine unendliche Wirtschaft zu sorgen hat, wie die unsrige ist. Ich weiß oftmals gar nicht, ob ich einen Kopf habe oder nicht, und wenn ich nun gar noch für fünf fremde Gäste zu – –“

„Aber Sennora Eulalia, es sind ja gar keine Gäste!“ fiel jetzt der Ranchero in die Rede.

„Keine Gäste? Was denn, Don Fernando de Venango e Colonna?“

„Gefangene, Sennora Eulalia.“

„Gefangene? Weshalb sind sie gefangen, Don Fernando de Venango de Molynares?“

„Sie haben uns eine Kuh und drei Vaqueros getötet, meine liebe Sennora Eulalia.“

Es war wirklich interessant, mit welcher Unverfrorenheit er unsere Untaten multiplizierte.

„Eine Kuh und drei Vaqueros!“ rief sie, die rußfarbenen Hände zusammenschlagend, daß unsere Pferde erschrocken die Ohren spitzten. „Das ist ja schrecklich – gräßlich – himmelschreiend! Habt Ihr sie auf der Tat ertappt, Don Fernando e Colonna de Gajalpa?“

„Nicht bloß auf einer, sondern auf allen Taten, Sennora EuIalia. Und sie haben sie nicht nur getötet, sondern auch gebraten und verzehrt.“

Die Augen der Donna wurden noch einmal so groß.

„Gebraten und verzehrt? Die Kuh oder die drei Vaqueros, Don Fernando de Gajalpa y Rostredo?“

„Zuerst die Kuh, Sennora Eulalia.“

„Zuerst! Und dann, Don Fernando Rostredo y Venango?“

„Dann? Weiter nichts, denn wir haben sie gestört und von allem Weiteren abgehalten. Wir haben sie arretiert und herbeigeschleppt, Sennora Eulalia.“

„Arretiert und herbeigeschleppt! O, alle Welt weiß, was für ein tapferer Ritter Ihr seid! Wer sind denn diese Menschen, Don Fernando de Molynares e Colonna?“

„Diese drei Weißen sind Missionare aus der Mormonenstadt, welche nach San Francisco wollen, um Californien zu bekehren.“

„Hilfe, Hilfe! Missionare, welche Kühe stehlen und töten und Vaqueros fressen wollen! Weiter, Don Fernando de Rostredo y Venango!“

„Dieser Schwarze, der grad wie ein Nigger aussieht, ist ein Advokat aus – aus – aus, wo die Feuerländer wohnen. Er will in San Francisco eine Erbschaft erschleichen, Sennora Eulalia!“

„Erschleichen! O, da ist es kein Wunder, daß er auch Kühe und Vaqueros erschleicht! Und der letzte, Don Fernando de Colonna y Gajalpa?“

„Der sieht aus grad wie eine Indiano bravo, ist aber ein Hottentott aus – aus – aus Grönland. Er will die Missionare für Geld sehen lassen, Sennora Eulalia!“

„O! O! O! Was werdet Ihr mit diesen Leuten tun, Don Fernando de Molynares y Gajalpa e Venango?“

„Ich werde sie aufhängen und erschießen lassen. Ruft alle meine Leute herbei, Sennora Eulalia!“

„Alle Eure Leute? Sie sind ja alle da, außer der alten Negerin Betty, und auch die kommt dort geschlichen. Aber, da fällt mir eben ein, daß niemand fehlt, und doch haben diese Männer drei von Euren Vaqueros getötet, Don Fernando e Rostredo de Colonna!“

„Das wird sich schon noch finden, Sennora Eulalia. Macht alle Tore und Türen zu, Sennores, damit die Gefangenen nicht entfliehen können! Ich werde sofort ein strenges Gericht über sie halten.“

Es war nur ein einziges Tor vorhanden; dieses wurde durch einen starken Riegel so fest verschlossen, daß wir den guten Don mit allen seinen Sennores sicher hatten.

„So!“ meinte der Ranchero. „Jetzt bringt mir einen Stuhl herbei; die Pferde, auch die der Gefangenen, werden an die Balken gebunden, und dann können wir beginnen.“

Wir störten die Leute nicht im mindesten in der Vollziehung dieser Befehle; durch die Entfernung der Pferde erhielten wir den nötigen Raum, und natürlich hatten wir nicht die mindeste Angst vor dem zu beginnenden Gerichtsverfahren.

Es wurden aber drei Stühle gebracht. Auf dem mittelsten nahm Don Fernando Platz, und ihm zur Seite setzten sich Sennora Eulalia und Sennorita Alma in ihren vorhin beschriebenen amtsrichterlichen Talaren nieder. Wir selbst hatten uns in eine Gruppe zusammengezogen und wurden von den Vaqueros in das Zentrum genommen.

„Ich werde euch zunächst nach euren Namen fragen,“ begann der Ranchero. „Wie heißest du?“

„Bob,“ antwortete der Neger, an den die Frage gerichtet war.

„Ein richtiger Spitzbubenname. Und du?“

„Winnetou.“

„Winnetou? Ein gestohlener Name, denn so heißt der größte und berühmteste Indianerhäuptling, den es nur geben kann. Und du?“

„Marshall.“

„Siehst du, daß er auch seinen Namen hat!“ schaltete schnell die Sennorita ein, indem sie sich zu ihrer Mutter wandte.

„Ein Yankeename,“ meinte der Ranchero, „und diese taugen alle nichts. Und du?“

„Sans-ear.“

„Auch ein gestohlener Name, denn so heißt ein alter Jäger, der weit und breit als der tapferste Jäger und berühmteste Indianerfeind bekannt ist. Und du?“

„Old Shatterhand.“

„Wieder gestohlen. Ihr seid nicht nur Räuber, sondern auch freche Lügner!“

Ich trat ein wenig vor, so daß ich hart neben den rohen Vaquero zu stehen kam, der Bernard mit dem Lasso geschleift hatte und einen Denkzettel verdiente.

„Wir lügen nicht. Soll ich es Euch beweisen?“

„Beweise es!“

Im Nu fuhr meine geballte Faust dem Vaquero an den Kopf, daß er lautlos niederstürzte.

„Ist diese Faust nicht eine Schmetterhand?“

„Halte mich, Alma; ich falle in Ohnmacht; ich habe die Vapeurs; ich bekomme den Starrkrampf!“ rief Sennora Eulalia, breitete die Arme aus und sank dem guten Don Fernando an das Herz.

Dieser wollte aufspringen, konnte sich aber seiner süßen Bürde, die ihn fest gepackt hielt, nicht entledigen. Er schrie Zeter und Mord, und Sennorita Alma stimmte kräftig ein. Der Mexikaner ist zu Pferde ein sehr guter, zu Fuße aber ein desto schlechterer Kämpfer; die Vaqueros waren von dieser Regel nicht ausgenommen, denn als wir fünf sofort nach meinem Jagdhiebe die Büchsen gegen sie erhoben, gerieten sie sichtlich in Verlegenheit. Ich nahm das Wort:

„Fürchtet Euch nicht, Sennores; es wird Euch kein Leid geschehen, wenn Ihr verständig seid. Wir wollen Euch nur auf einen kleinen Irrtum aufmerksam machen, und dann steht es Euch frei, ganz nach Belieben mit uns zu verfahren.“

Jetzt trat ich etwas näher an die Stühle heran und machte meine tiefste und respektvollste Verbeugung.

„Donna Eulalia, ich bin ein Verehrer der Schönheit und ein leidenschaftlicher Bewunderer der weiblichen Tugenden. Darf ich Euch bitten, zu erwachen und mir einen Blick aus Euren holden Augen zu schenken?“

„Ahhh!“

Mit diesem langgedehnten Seufzer der Erleichterung öffnete sie ihre kleinen Basiliskenaugen und gab ihrem gelben Gesichte einen Ausdruck, welcher schmachtend sein sollte, aber mehr angstvoll und verlegen war.

„Schöne Donna, Ihr habt gewißlich gehört von den cours d’amour, von den Liebeshöfen früherer Zeiten, in welchen die bewundertste der Damen zu Gerichte saß und ein jeder sich ihrem Ausspruche fügen mußte. Das Gericht, welches Don Fernando über uns halten will, kann kein gerechtes sein, da er selbst Partei ist. Wir bitten ihn, seine Gewalt in Eure zarten Hände zu legen, und sind überzeugt, daß Euer Urteil nur den wirklichen Missetäter treffen wird!“

„Ist das wirklich Euer Wunsch, Sennor?“ flötete sie mit einer Stimme, welche genau so klang, als ob ihre Stimmritze zwischen zwei Scheuerbürsten angebracht sei.

„Es ist unser voller Ernst, Donna Eulalia! Zwar sind wir eigentlich nicht in der Lage, einer Dame von Euren Vorzügen unsere Aufwartung zu machen, denn wir befinden uns bereits seit Monaten im wilden Westen; aber die Güte ist ja der schönste Schmuck des weiblichen Geschlechtes, und so hoffen wir, daß Ihr unsere Bitte erhören werdet!“

„Seid Ihr wirklich die Männer, deren Namen Ihr Euch gegeben habt?“

„Wirklich!“

„Hört Ihr es, Don Fernando de Venango y Gajalpa? Diese berühmten Sennores haben mich zur Richterin über sie gesetzt. Ihr wißt, daß ich keinen Widerstand dulde. Seid Ihr’s zufrieden?“

Er machte eine sehr saure Miene, schien aber seiner Donna keineswegs gewachsen zu sein und war wohl auch froh, wieder freien Atem schöpfen zu können.

„Übernehmt das Amt, Sennora Eulalia! Ich bin überzeugt, daß Ihr die Bursche hängen werdet.“

„Je nach ihren Verdiensten, Don Fernando de Colonna e Molynares!“

Dann wandte sie sich zu mir:

„Sprecht, Sennor; ich gebe Euch das Wort!“

Ach setze den Fall, Donna Eulalia, Ihr wäret ein hungriger, müder Reisender und fändet in der Savanne eine Kuh, deren Fleisch Euren Hunger stillen könnte. Dürftet Ihr diese Kuh töten, wenn Ihr das Fell derselben Ihrem Besitzer lassen wolltet?“

„Natürlich; so ist es ja überall der Brauch!“

„Nein, so ist es nicht überall der – – –“ wollte der Ranchero einfallen; sie aber unterbrach ihn schnell:

„Still, Don Fernando! Ich habe jetzt hier zu befehlen, und Ihr dürft nur dann sprechen, wenn ich Euch dazu auffordere!“

Er legte sich mit Resignation in den Stuhl zurück. Auch aus den Mienen der Vaqueros ließ sich schließen, daß Sennora Eulalia die eigentliche Gebieterin des Rancho sei.

„Das war unser ganzes Verbrechen, Donna,“ fuhr ich fort. „Da kam dieser Vaquero, welcher hier am Boden liegt, warf den Lasso über Sennor Marshall, der hier vor Euch steht, und riß ihn mit sich fort. Er hätte ihn getötet, wenn ich das Pferd des Vaquero nicht niedergeschossen hätte!“

„Märshall! Dieser Name ist mir teuer. Ein Sennor Marshall, Allano Marshall, wohnte bei meiner Schwester in San Francisco.“

„Allan Marshall? Vielleicht aus Louisville in den Vereinigten Staaten?“ rief ich verwundert.

„Natürlich, natürlich; dieser und kein Anderer ist es! Kennt lhr ihn?“

„Freilich! Dieser Sennor Bernard Marshall, Juwelier aus Louisville, ist sein Bruder.“

„Santa Lauretta! Ja, das stimmt! Juwelier war er, und er hatte einen Bruder, welcher Bernardo heißt. Alma, dein Herz hat dich nicht getäuscht. Kommt in meine Arme, Sennor Bernardo, denn Ihr seid mir willkommen!“

Dieser plötzliche Freudenerguß entbehrte allerdings ein wenig der Erklärung, und obgleich Bernard hoch erfreut war, so unerwartet eine Kunde vom Gesuchten zu erhalten, zog er es doch vor, nur die Hand der Sennora leise in die Gegend zu bringen, in welcher sich seine Lippen befanden, die Umarmung aber zu unterlassen.

„Ich bin hierher gekommmen,“ meinte er dann, „nur um meinen Bruder zu suchen. Wo befindet er sich jetzt, Donna Eulalia?“

„Alma, meine Tochter, war bei meiner Schwester. Als sie hierher zurückkehren mußte, bereitete er sich vor, nach den Minen zu gehen. Sind diese alle Eure Freunde, Sennor Bernardo?“

„Alle! Ich habe ihnen viel, sehr viel, sogar die Freiheit und das Leben zu verdanken. Dieser Sennor Old Shatterhand hat mich vom Tode des Verschmachtens, aus der Hand der Pfahlmänner und aus der Gefangenschaft der Comanchen befreit.“

Sie schlug aufs neue ihre Hände zusammen.

„Ist’s möglich! Solche Abenteuer habt Ihr erlebt? O, die müßt Ihr uns erzählen! Aber, wie kommt es, daß Ihr ein Mormone seid, und Euer Bruder nicht?“

„Wir sind keine Mormonen, Donna Eulalia! Wir machten nur einen Scherz.“

Schnell drehte sich die Dame zu dem Ranchero herum.

„Hört Ihr’s, Don Fernando de Venango e Gajalpa, sie sind keine Mormonen und keine Räuber und Mörder! Ich spreche sie frei. Sie werden unsere Gäste sein und bei uns bleiben, solange es ihnen gefällt. Alma, laufe schnell in die Küche und hole die Flasche mit Basilikjulep! Wir müssen den Willkomm trinken.“

Bei dem Worte Basilikjulep heiterte sich die Miene des Ranchero augenblicklich auf. Es schien, als ob er nur bei besonders festlichen Angelegenheiten mit dieser Flasche in Berührung käme, und daher war es ihm auch nicht zu verargen, daß er sich freute, unser Erscheinen als eine solche Angelegenheit behandelt zu sehen. Ich erkannte bereits jetzt in dem Julep das beste Mittel zur Versöhnung zwischen ihm und uns.

Sennorita Alma sprang fort – fast möchte ich sagen, daß der Schmutz an ihren Füßen platzte – und kehrte in eben diesem Laufe mit einer großbauchigen Flasche und einem Glase von entsprechender Größe zurück. Wer da weiß, welche elenden Fusel die Yankees unter dem Titel Julep in jene Gegenden bringen, der wird sicher der Überzeugung sein, daß wir von dem Zeuge höchstens genippt, die Damen von demselben gar nicht getrunken haben. In Beziehung auf uns mußte ich ihm Recht geben; von den Damen aber trank jede ihr Glas mit einem Behagen aus, als ob sie Lunel vor sich hätten. Winnetou genoß nicht einen Tropfen, wie er überhaupt niemals Feuerwasser trank. Der Ranchero schenkte sich jedoch so lange ein, bis ihm seine resolute Wirtschafterin die Flasche entriß.

„Nicht zu viel, Don Fernando de Venango c Rostredo y Colonna! Ihr wißt, daß ich nur noch zwei Flaschen von dieser Sorte habe. Führt die Sennores in das Zimmer. Die Damen werden zunächst Toilette machen und dann den Hunger stillen, den ihr Alle gewiß haben werdet. Komm, Alma! A dios, Sennores!“

Die Damen verschwanden in einem Mauerloche, hinter welchem entweder ihre Garderobe oder die Küche, vielleicht auch beides zugleich liegen mußte; wir aber wurden von dem Ranchero in den Raum geleitet, welchen Sennora Eulalia mit dem Namen Zimmer beehrt hatte, der aber anderorts mit dem Worte Tenne bezeichnet worden wäre. Einen Tisch gab es da, einige aus rohen Stangen zusammengenagelte Bänke auch; wir konnten also Platz nehmen. Dabei bemerkten wir, daß sich die Vaqueros sehr eilfertig über unsere Pferde machten, um den Inhalt unserer Satteltaschen zu untersuchen. Ich ging daher hinaus, um den Inhalt mit den Taschen selbst in Sicherheit zu bringen, denn ich kannte die vielbewährte Ansicht, daß der beste Vaquero unbedingt auch der größte Spitzbube ist. Bob mußte bei den Pferden bleiben, um sie bei der Weide, die sie vor dem Tore fanden, zu beaufsichtigen. Er beklagte sich bitter über diese Maßregel.

„Massa jetzt essen viel‘ gut‘ schön‘ Sachen in Zimmer. Warum da Nigger Bob bleiben müssen bei Pferden?“

„Weil du stärker und tapferer bist, als Winnetou und Sans-ear, und ich dir also unsere guten Pferde ruhig anvertrauen kann.“

„Oh, ah, das sein richtig! Bob sein stark und mutig und werden aufpassen, daß Niemand angreifen Pferde!“

Er war zufriedengestellt. In das Zimmer zurückgekehrt, fand ich eine sehr einsilbige Unterhaltung vor, bis endlich die Damen erschienen. Sie waren gegen vorhin jetzt allerdings äußerlich gänzlich umgewandelt und trugen sich wie Damen auf der Alameda zu Mexiko.

Die Kleidung der mexikanischen Damen ist nur hin und wieder die europäisch moderne. Hüte und Hauben sind selbst bei den größten Putznärrinnen etwas Unbekanntes; eine allen gemeinsame Tracht dagegen besteht in dem Rebozo, einem vier Ellen langen Shawl, welcher zugleich als Kopfputz dient. Die Damen tragen ihn in Gesellschaft gewöhnlich über die Schulter gehängt, so ungefähr, wie man ihn bei uns zu tragen pflegt. Wenn man aber ausgehen, nach der Siesta seine Freundinnen besuchen oder abends promenieren will, so wird der Rebozo über den Kopf genommen; er bedeckt nach hinten zu die Frisur, läßt aber das Gesicht frei. Da er nun in der Regel fein und schleierartig ist, so kann er auch als Schleier benützt werden, und in diesem Falle bedeckt er nicht nur den Kopf, das Gesicht und die Schultern, sondern er hüllt die ganze Figur ein.

Der Rebozo einer vornehmen Mexikanerin muß von indianischen Händen gewebt sein – geflochten könnte man vielmehr sagen, und da er die Arbeit zweier Jahre verlangt, so ist der Preis von achtzig Piastern gewiß ein sehr mäßiger. Es gibt übrigens solche, welche das Doppelte dieser Summe kosten.

In solchen Rebozo’s präsentierten sich jetzt unsere zwei Damen. Sie hatten Gesicht und Hände gewaschen; die Füße staken in Strümpfen und Schuhen. Wenn ich sie nicht vorher in ihrem Haus- oder vielmehr Ranchokleide gesehen hätte, würde wenigstens die jüngere einen recht befriedigenden Eindruck hervorgebracht haben.

Sie nahmen am Tische Platz, um die Honneurs zu machen, überließen aber die Beschickung der Tafel bis in das Kleinste der alten Negerin. Auffallend war, daß sie unausgesetzt von Sennor Allano sprachen, und es stellte sich infolgedessen bei mir der Verdacht ein, daß die kleine Sennorita Alma auf den schmucken Juwelier ein wenig Jagd gemacht habe und ihn auch heute noch nicht vergessen könne.

Die Gerichte, welche es gab, waren echt mexikanisch: Rindfleisch mit Reis, der durch spanischen Pfeffer ziegelrot gefärbt war; Mehlspeisen mit Knoblauch, trockene Gemüse mit Zwiebeln, Hammelfleisch, durch gewöhnlichen Pfeffer schwarz gefärbt, junge Hühner mit Zwiebeln und Knoblauch und zuletzt ein Rippenbraten mit spanischem Pfeffer und Zwiebeln und gewöhnlichem Pfeffer und Knoblauch. Mir war der Mund so gepfeffert, der Schlund so gezwiebelt und der Magen so geknoblaucht, daß ich hätte improvisieren mögen:

„Und hab ich das Zeug hinuntergedruckt,
So ist’s mir ganz zum Verzweifeln,
Als hätt‘ ich die Hölle hinuntergeschluckt
Mit Millionen von Teufeln.“

Die zarten Damen indessen waren weniger empfindlich als Old Shatterhand und steigerten den Genuß durch fleißige Schlücke Basilikjulep, denen dann die unvermeidliche Zigarette folgte, und damit unser Bob nicht zu kurz kam, mußte ihm einer der Vaqueros auf einer alten, abgetretenen Strohmatte seine Portion hinaus zu den Pferden tragen, zu welcher auch ein Julep gehörte, der in einer leeren Pomadebüchse beigefügt wurde. Vielleicht verwandelte sich der Fusel unterwegs mit den in der Büchse noch befindlichen kosmetischen Resten in eine heilsame und empfehlungswerte Karfunkelsalbe!

Von einer Fortsetzung unserer Reise war für heute keine Rede. Sennorita Alma kam nicht von der Seite meines guten Bernard fort, und ich unglückseliger Westmann hatte meine wohlberechnete Höflichkeit mit der unzertrennlichen Gesellschaft der Sennora Eulalia zu büßen. So sehr sich diese bei ihrem ersten Auftreten – gut bayerisch gesprochen – als eine echte Zuwiderwurzen gezeigt hatte, so viele Liebenswürdigkeit träufelte jetzt aus jedem ihrer Worte. Ich avancierte in ihrer Titulatur von Old Shatterhand über Sennor Carlos zu Don Carlos, und als Bernard seine Schicksale erzählte, erlitt ich eine schnelle Metamorphose zum braven und wackeren Carlos. Schließlich, als wir uns von der Tafel erhoben, fragte sie ihren lieben Carlos, was er seiner Braut als Reiseandenken mit nach Deutschland nehmen werde. Ich konnte natürlich diese so schlau versteckte Erkundigung nicht mit einer Unwahrheit beantworten und sagte ihr, daß ich nicht das mindeste Recht habe, ein Souvenir de voyage mitzubringen, da ich in den Personalstandsregistern als eine ledige Mannsperson zu verzeichnen sei. Um sie ihren häuslichen Pflichten nicht weiter zu entziehen, teilte ich ihr mit, daß ich unsere Pferde inspizieren müsse, und ging hinaus zu Bob.

Dieser lag mit seinem Bauche auf der Erde, machte mit Händen und Füßen allerlei mir unverständliche Bewegungen und stieß dabei so fabelhafte Töne aus, daß es mir schien, als studiere er auf einem javanesischen Anklong die Richard Wagnersche Zukunftsmusik.

„Bob!“

Bei diesem Rufe hob er den Kopf empor.

„Oh Massa – Massa – Massa!“

„Was gibt es?“

„Oh, oh, oh, Massaaaah! Bob haben essen all‘ ganz‘ Zeug, und nun brennen Feuer in Bob, als sein Bob ein Ofen. Massa helfen Bob, sonst sterben Bob!“

Das waren die Folgen von Doppelpfeffer, Zwiebeln und Knoblauch! Auch die Pomadebüchse war vollständig leer. Hier war schnelle Hilfe notwendig, denn der brave Bob schnitt ein Gesicht, als ob er bereits im Sterben liege.

„Du mußt etwas trinken, das die Schmerzen stillt, sonst bist du verloren, mein armer Bob! Was hältst du für besser: Milch, Wasser oder Basilikjulep?“

Er schnellte sich empor und blickte mir mit dankbarer, verständnisinniger Miene in mein höchst besorgtes Angesicht.

„Massa, oh, ah, Milch und Wasser nicht helfen; bloß Julep können retten arm‘ Nigger Bob!“

„So laufe schnell hinein zu Donna Eulalia, und sage ihr, daß du sterben mußt, wenn du nicht augenblicklich Basilikjulep bekommst!“

Er rannte spornstreichs davon und kehrte wirklich nach einiger Zeit mit – ich erstaunte, als ich es sah – mit einer halben Flasche Julep zurück; er hatte den Rest des ganzen Vorrats erhalten.

„Miß Eula‘ nicht wollen geben Julep, aber Bob sagen, daß haben schicken Massa Charley, dann geben Miß Eula‘ gleich her ganz Julep!“

„So trink; er wird helfen!“

Das Abendessen wurde wieder im Zimmer eingenommen. Die Sennora saß neben mir. Während der Unterhaltung raunte sie mir zu:

„Don Carlos, ich habe Euch ein Geheimnis zu offenbaren!“

„Welches?“

„Nicht hier! Kommt gleich nach Tische zu den drei Platanen draußen!“

Ein Stelldichein! Ich durfte es ihr nicht abschlagen, da immerhin die Möglichkeit vorhanden war, daß sie mir eine beachtenswerte Mitteilung zu machen hatte. Während der Mahlzeit waren die Pferde in den Hof hereingeschafft worden, doch fand ich das Tor noch offen. Ich ging hinaus und streckte mich unter den Platanen nieder. Ich mußte mich aber aus dieser bequemen Lage sehr bald erheben, denn Eulalia ließ nicht lange auf sich warten. Sie begann:

„Don Carlos, ich danke Euch! Ich mußte Euch um diese Unterredung bitten, weil ich Euch ein Geheimnis mitzuteilen habe. Ich hätte die Sache auch Andern sagen können, aber ich habe just Euch allein gewählt, weil – –“

„Weil wir nebeneinander saßen und Ihr mich also am allerleichtesten hierherbescheiden konntet, nicht wahr, Donna Eulalia?“

„Allerdings! Nämlich: Sennor Bernardo erzählte von zwei Räubern, welche Ihr verfolgt. Diese sind hier auf unserm Rancho gewesen.“

„Ah! Wann?“

„Sie gingen vorgestern früh wieder fort.“

„Wohin?“

„Über die Sierra Nevada nach San Francisco. Ich sprach viel mit ihnen von Sennor Allano, und sie wollen ihn besuchen.“

Das war allerdings eine mir wertvolle Mitteilung, und ich erriet sehr leicht den ganzen Zusammenhang. Die Sennora sprach mit jedermann gern von Allan; sie hatte ihn auch gegen die Morgans erwähnt, und von diesen war die treffliche Gelegenheit, sich an Bernard zu rächen und seinen jedenfalls mit bedeutenden Mitteln ausgerüsteten Bruder zu berauben, sofort mit Freuden ergriffen worden.

„Wißt Ihr genau, daß es diese Beiden waren, Donna Eulalia?“

„Sie waren es, denn alles stimmt, obgleich sie andere Namen nannten.“

„Ihr seid von ihnen über Eure Schwester und Sennor Allan sehr genau ausgefragt worden?“

„Ja. Ich mußte ihnen sogar ein Zeichen mitgeben, daß sie bei mir gewesen waren.“

„Worin bestand dieses Zeichen?“

„Aus einem Briefe, den mir der Mann meiner Schwester einmal nach San Jose schrieb.“

„Lebt dieser noch?“

„Ja. Es ist der Besitzer vom Hotel Valladolid in der Sutterstreet und heißt Henrico Gonzalez.“

„Seit wann ist Sennorita Alma von ihm fort?“

„Seit drei Monaten.“

„Wollt Ihr mir einmal die Beiden, welchen Ihr diesen Brief gegeben habt, recht genau beschreiben?“

Sie tat es, und ich gewann die Überzeugung, daß es allerdings die beiden Morgans gewesen waren. Sie hätte diese Mitteilung ganz offen bei Tafel machen können, doch konnte ich ihr bei der Wichtigkeit ihrer Mitteilung nicht zürnen, daß sie mir Veranlassung zu dem gegenwärtigen kleinen Spaziergang gegeben hatte. Darum dankte ich ihr verbindlichst, worauf sie wieder dem Tore zuschritt.

Als auch ich ein wenig später in das Zimmer trat, war ich bereits erwartet worden. Die Gefährten wollten sich zur Ruhe legen, und es sollte die Wache ausgelost werden, da wir diese Maßregel selbst hier im Rancho für notwendig hielten. Als dies geschehen war, suchten wir unser Lager auf.

Um die Beschaffenheit desselben beurteilen zu können, muß man mit dem Innern eines Rancho bekannt sein. Ein solches Gebäude hat meist nur einen einzigen wirklichen Wohnraum, denjenigen, welchen Sennora Eulalia Zimmer genannt hatte. Hier wohnt und schläft Alles, was zum Hause gehört, nebst den etwaigen Gästen in patriarchalischer Weise beisammen. Unter – was zum Hause gehört – sind oft auch die milchenden Kühe, zugerittenen Pferde, Schafe, Schweine, Hühner, Hunde und Katzen gemeint. Der Boden besteht aus steinfest geschlagenem Lehm, und auf demselben ist etwas Gras oder Moos ausgebreitet, welches ein permanenter Aufenthaltsort von Skorpionen, Spinnen, Tausendfüßen und anderem Gewürm ist und des Nachts als Unterbett gebraucht wird. Der Poncho dient dabei als Decke.

So war es auch in unserem Rancho. Don Fernando de Venango, Sennora Eulalia, Sennorita Alma, die alte Negerin, sämtliche Vaqueros und endlich auch wir lagen dicht nebeneinander wie in einer deutschen Herberge, in welcher man für drei Pfennige das Recht erhält, auf der Streu zu schlafen und sich der Lehne eines umgelegten Stuhles als Kopfkissen zu bedienen. Ich hätte mir lieber draußen im Freien einen Platz gesucht, durfte aber diesen Verstoß gegen die Gastpflichten nicht wagen, da hierin eine außerordentliche Beleidigung gelegen hätte.

Am andern Morgen brachen wir auf, gefolgt von den freundlichen Wünschen aller Bewohner des Rancho; selbst der Vaquero, welchen ich niedergeschlagen hatte, mußte uns – Sennora Eulalia zu Gefallen – wohl oder übel eine glückliche Reise wünschen.

Don Fernando de Venango e Colonna de Molynares de Gajalpa y Rostredo begleitete uns eine bedeutende Strecke Weges zu Pferde und kehrte erst gegen Mittag wieder um. Er schien die Mormonenmissionare ungern scheiden zu sehen, trotzdem er durch sie um seinen ganzen Basilikjulep gekommen war.

Infolge der geheimnisvollen Mitteilung Sennora Eulalias brauchten wir unsern früheren Reiseplan nicht streng einzuhalten, und als wir den Mono-See erreichten, hielten wir dort eine viel kürzere Rast, als vorher geplant gewesen war; unsere Pferde hatten ja im Rancho beinahe einen vollen Tag ausgeruht.

Dann ging es in raschen Tagemärschen über die Sierra Nevada, hinab nach Stockton und endlich von da nach San Francisco, dem Ziele unserer Wanderung.

Die Stadt liegt auf der äußersten Spitze einer Landzunge, hat das große Weltmeer im Westen, die herrliche Bai im Osten und den Eingang zu dieser Bai im Norden. Der Hafen von San Francisco ist vielleicht der schönste und sicherste der Erde und hat zugleich eine Ausdehnung, welche gestatten würde, die Flotten aller Länder darin zu versammeln. Allüberall sieht man das geschäftigste Treiben, ein unbeschreiblich wirres Durcheinanderlaufen der buntesten Bevölkerung, die man sich nur vorstellen kann. Zu den Europäern aller Nationalitäten gesellen sich die wilden oder halbzivilisierten Rothäute, welche ihr Wild hier zu Markte bringen und dafür vielleicht zum erstenmal einen Preis erhalten, der nicht geradezu ein betrügerischer genannt werden kann. Hier geht der stolze, malerisch gekleidete Mexikaner neben dem schlichten Schwaben, der langweilige Engländer neben dem beweglichen Franzosen; der indische Kuli im weißen Baumwollenkleide begegnet dem schmutzigen polnischen Juden, der elegante Dandy dem rauhen Hinterwäldler, der handelnde Tiroler dem Goldsucher, dessen Haut gebräunt, dessen Haar ungekämmt und unter dessen wirrem Barte alles verschwunden ist, was man gewöhnlich mit dem Ausdruck Physiognomie zu bezeichnen pflegt. Hier ist zu treffen der Mongole aus den Hochebenen Asiens, der Parsi aus Kleinasien oder Indien, der Malaie der Sunda-Insel und der Chinese vom Strande des Yang-tse-kiang.

Diese Söhne aus dem Reiche der Mitte bilden den hervorragendsten fremdländischen Typus der hiesigen Bevölkerung. Sie scheinen alle samt und sonders über einen Kamm geschoren und über einen Leisten geschlagen zu sein. Bei allen ist die Nase kurz und gestülpt; bei allen ragt der Unterkiefer über den Oberkiefer hervor; alle haben die häßlich aufgeworfenen Lippen, die eckig hervorstehenden Backenknochen, die schief geschlitzten Augen, die nämliche Gesichtsfarbe, bräunlich grün ohne alle Schattierung, ohne eine Spur von dunklerer Färbung der Wangen, hellerer Farbe der Stirne; überall sieht man in den häßlichen, nichtssagenden Zügen den Ausdruck, den man mit dem Worte leer bezeichnen möchte und der infolgedessen nicht einmal ein Ausdruck wäre, wenn nicht aus den zugeblinzten Augen ein Etwas blickte, welches sie alle kennzeichnet: die List.

Die Chinesen sind die fleißigsten, man möchte sagen, die einzigen Arbeiter San Franciscos. Diese kleinen, runden, wohlgenährten und dabei doch außerordentlich beweglichen Gestalten besitzen eine seltene Anlage für alle nur erdenkliche Art von Verrichtung und besonders eine ebenso große Fertigkeit in allen erdenklichen Arbeiten, bei denen es auf Geschicklichkeit der Hände und auf Geduld ankommt. Sie schnitzen in Elfenbein oder Holz, drechseln in Metall, sticken auf Tuch, Leder, Baumwolle, Leinen und Seide; sie stricken und weben, zeichnen und malen, klöppeln und posamentieren; sie flechten die scheinbar unschmiegsamsten Dinge zusammen und bringen seltsame, bewundernswerte Arbeiten hervor, die ihnen die Kundschaft aller Kuriositätensammler sichern.

Dazu kommt, daß sie bescheiden sind und mit dem kleinsten Profit fürlieb nehmen. Sie fordern zwar unverschämt, aber man weiß, daß sie mit sich handeln lassen und zuschlagen werden, wenn man ihnen ein Drittel oder gar ein Viertel ihrer Forderung bietet. Auch der Taglohn, welchen man ihnen zahlt, ist geringer, als derjenige, den man einem Weißen gibt; allein derselbe ist doch noch zehnmal höher, als in ihrem Vaterlande, und da sie wenig ausgeben, weil sie über alle Begriffe genügsam und sparsam leben, so kommen sie sehr gut voran. Die sämtlichen kleinen Handwerke sind in ihren Händen, und sowohl die Wäsche, als auch die Bedienung des Hauses und der Küche wird von ihren Weibern besorgt.

Aber nicht bloß die Chinesen sind tätig, sondern fabelhaft ist überhaupt die Geschäftstätigkeit aller Bewohner der Stadt. Die Leute haben alle nur einen Zweck: sie wollen Geld verdienen, und zwar möglichst viel und schnell. Alle wissen, daß Zeit Geld ist, und daß, wer den Andern aufhält, sich selbst hinderlich ist. Aufgehalten aber will Niemand sein, und darum geht stets alles ohne Stockung ab. Jeder bemüht sich so viel wie möglich, dem Andern aus dem Wege zu gehen, um für sich selbst freie Bahn zu haben.

So ist es in den Häusern und Höfen, so ist es auch auf den Straßen und Plätzen der Stadt. Die blasse, schmächtige Amerikanerin, die stolze, schwarzäugige Spanierin, die blonde Deutsche, die elegante Französin, die farbigen Damen alle, sie gehen, schweben, eilen, trippeln hin und her; der reiche Bankier mit Frack, Handschuh und Zylinder trägt in der einen Hand einen Schinken und in der andern einen Gemüsekorb; der Ranchero schwingt ein Netz mit Fischen über die Schulter, um damit den Festtag zu feiern; ein Milizoffizier hält einen gemästeten Kapaun gefangen; ein Quäker hat einige mächtige Hummern in die gleich einer Schürze aufgerafften Schöße seines langen Rockes verpackt – und das alles bewegt sich neben-, vor-, hinter- und durcheinander, ohne sich zu stören.

Wir kamen bei unserem Einzuge in die Metropole des Goldlandes unbehelligt und unbelästigt durch dieses Gewimmel und Getümmel bis in die Sutterstreet, wo wir sehr bald das Hotel Valladolid fanden. Es war ein Hotel im californischen Stile und bestand aus einem langen, tiefen und einstöckigen Brettergebäude, ganz ähnlich den Eintags-Trinkbuden, welche man auf unseren Schützenfesten findet.

Wir übergaben unsere Pferde dem Horsekeeper, welcher sie in einen kleinen Schuppen brachte; wir selbst aber traten in die Gaststube, die trotz ihrer ungeheuren Größe doch so voll war, daß wir kaum einen Tisch für uns zu erobern vermochten. Ein Barkeeper hatte uns bemerkt und kam herbei. Wir bestellten – jeder nach seinem Appetite, und als das Verlangte gebracht wurde, begannen auch sofort meine Erkundigungen:

„Ist Master oder Sennor Henrico Gonzalez zu sprechen?“

Yes, Sir. Wünscht Ihr ihn?“ lautete die Antwort.

„Ja, wenn ich bitten darf!“

Ein hoher, ernster Spanier kam auf uns zu und stellte sich als Sennor Henrico vor.

„Könnt Ihr uns nicht sagen, ob ein gewisser Allan Marshall noch bei Euch boardet?“ fragte ich ihn.

„Weiß nicht, Sennor; kenne ihn nicht; kenne keinen; bekümmere mich überhaupt ganz und gar nicht um die Namen meiner Gäste. Das gehört zum Ressort der Sennora.“

„Ist diese zu sprechen?“

„Weiß auch nicht. Müßt einmal eins der Mädchen fragen!“

Damit wandte er sich ab. Er schien zur Sennora in ganz demselben Verhältnisse zu stehen, wie der Ranchero Fernando de Venango zu Donna Eulalia, ihrer Schwester. Ich erhob mich also und steuerte derjenigen Himmelsrichtung zu, aus welcher sich ein höchst einladender Bratenduft über das ganze Etablissement verbreitete. Dabei traf ich wirklich auf eine kleine, schlanke Frauensperson, welche mit irgend etwas in der Hand vorbeihuschen wollte. Ich ergriff sie beim Arm und hielt sie fest.

„Wo ist die Sennora, meine Kleine?“

Ihre dunklen Augen blitzten mich zornig an.

Vous êtes un âne!“

Aha, eine Französin! Sie riß sich höchst indigniert los und eilte fort. Ich steuerte weiter. An der Ecke eines Tisches traf ich mit einer zweiten Hebe zusammen.

„Mademoiselle, wollen Sie mir wohl sagen, ob die Sennora zu sprechen ist?“

I am not mademoiselle!

Weg war sie. Also eine Engländerin oder Amerikanerin!

Aber wenn ich so der Reihe nach alle Nationalitäten durchzugehen hatte, ehe ich zu meiner Sennora gelangen konnte, so kam ich vor abends nicht zu ihr! Doch da drüben stand eine, die mir mit den Augen folgte und – ja wirklich, dieses Gesicht mußte ich schon gesehen haben! Ich stach von neuem in See und hielt direkt auf sie zu; aber noch hatte ich sie nicht ganz erreicht, so schlug sie die Hände zusammen und sprang auf mich los, als ob sie es darauf abgesehen habe, mich in den Sand zu rennen.

„Herr Nachbar, ist’s möglich? Fast hätte ich Sie gar nicht erkannt, so einen Bart lassen Sie sich hier stehen!“

„Alle Wetter! Gustel, Ebersbachs Gustel! Beinahe hätte auch ich Sie nicht erkannt, so herausgewachsen sind Sie! Aber wie kommen Sie von daheim herüber nach Amerika, nach Californien?“

„Die Mutter starb, kurz nachdem Sie wieder einmal in alle Welt gegangen waren; da kam ein Agent, und der Vater ließ sich bereden. Es ging anders, als er dachte. Er ist jetzt mit den Brüdern da oben, wo so viel Gold liegen soll, und hat mich hier gelassen, wo ich es gut habe und warten werde, bis sie zurückkehren.“

„Wir werden uns noch weiter sprechen; jetzt aber sagen Sie mir einmal, wo die Sennora zu finden ist! Ich habe zwei Ihrer Kolleginnen nach ihr gefragt und nur Grobheiten als Antwort erhalten.“

„Das ist leicht erklärlich, denn die Madame darf nur Donna genannt werden, am liebsten Donna Elvira.“

„Werde es beherzigen! Also, ist sie zu sprechen?“

„Ich will einmal nachsehen. Wo sitzen Sie?“

„Dort am zweiten Tische.“

„Gehen Sie hin; ich werde Sie benachrichtigen, Herr Nachbar!“

Das war wieder eines jener wunderbaren Zusammentreffen, deren ich so viele zu verzeichnen habe. Ihr Vater und der meinige waren Nachbarn und beide hatten sich gegenseitig Gevatter gestanden. Jetzt stak der alte Tischlermeister droben in den Goldminen; seine beiden Söhne, von denen der ältere mein Schulkamerad war, befanden sich bei ihm, und im ersten Wirtshause, welches ich hier in San Francisco betrat, mußte ich seine jüngste finden, die Gustel, die mir, als ich sie noch auf den Armen trug, immer das dicke, dichte Haar zerzauste, daß es kerzengerade in die Höhe stand. Dann lachte sie und pinselte mir mit dem kleinen Näschen im Gesicht herum – ich hätte damals nicht gedacht, daß wir uns einmal in Californien sehen würden!

Sie kam bereits nach kurzer Zeit zu mir.

„Die Sennora will Sie sehen, obgleich sie eigentlich jetzt ihre Sprechstunde nicht hat.“

„Sprechstunde? Eine Wirtin?“

Gustel zuckte die Achsel.

„Sie hat sie aber, und zwar täglich zweimal: morgens von elf bis zwölf und nachmittags von sechs bis sieben. Wer außer dieser Zeit kommt, muß warten, wenn er nicht gut empfohlen ist.“

„Aha, danke schön!“ lachte ich. „Man glaubt gar nicht, was eine freundliche Nachbarin zu bedeuten hat!“

„Nicht wahr? Na, da kommen Sie!“

Die Sache hatte ganz den Anstrich, als ob ich eine Audienz bei einer hervorragenden politischen oder sonstigen Größe haben sollte. Ich wurde in einen anstoßenden kleinen Raum geführt, welcher ganz à la Vorzimmer ausgestattet war, und in dem ich nach Gustels Weisung so lange warten sollte, bis hinter der daselbst befindlichen Portière eine Klingel ertönen werde.

Das war höchst interessant, zumal ich beinahe eine halbe Stunde warten mußte, bis das Zeichen gegeben wurde. Ich trat ein und befand mich in einem Zimmer, welches mit einer Sammlung von allen möglichen Mobiliar- und Ausstattungsgegenständen förmlich überladen war. Donna Elvira mußte unbedingt ein Zimmer haben, ein schön und reich möbliertes Zimmer, und sie hatte es sich auch möbliert und ausgestattet, daß man von der Wand nicht die Breite eines Zolls zu finden vermochte. Sie saß auf einem Sofa, sich mit der Hand auf eine Landkarte stützend, welche über die Seitenlehne herunter hing; auf ihrem Schoße lag eine Guitarre, neben ihr eine angefangene Stickerei, und vor ihr stand eine Staffelei, nota bene zwischen ihr und dem Fenster, so daß von Licht keine Rede war, und auf dem aufgeklebten weißen Bogen bemerkte ich zwei angefangene Skizzen; die eine sollte, wenn ich nicht irre, den Kopf eines Katers oder einer alten Frau vorstellen, der die Morgenhaube noch fehlte; und die andere war jedenfalls eine zoologische, nur konnte ich den Gegenstand nicht so recht klassifizieren. Entweder sollte diese Zeichnung einen Pottwal in homöopathischer Verdünnung oder einen Bandwurm in hydrooxigengas-mikroskopischer Verdickung darstellen.

Ich verbeugte mich sehr tief und sehr devot. Sie schien dies nicht zu bemerken, sondern hielt ihr Auge starr auf einen Punkt des Plafond gerichtet, an welchem ich nicht das Mindeste entdecken konnte. Plötzlich aber warf sie den Kopf mit einem schnellen Ruck herum und fragte:

„Wie weit ist der Mond von der Erde entfernt?“

Diese Frage überraschte mich nicht; ich hatte eine solche Extravaganz erwartet. Aber – kommst du mir so, so komme ich dir so:

„Zweiundfünfzigtausend Meilen, nämlich Montags; Sonnabends aber, in der Erdnähe, nur fünfzigtausend.“

„Richtig!“

Sie studierte den betreffenden Punkt von neuem; dann erfolgte derselbe plötzliche Ruck zu mir herum, und sie fragte:

„Woraus werden die Rosinen gemacht?“

„Aus, Weintrauben!“

„Sehr richtig!“

Der unglückliche Punkt mußte zum dritten Mal herhalten, dann schleuderte sie mir die Frage entgegen:

„Was ist Poil de chivre?!“

„Ein Kleiderstoff, fünfzehn Ellen für den Escudo d’oro, wird aber jetzt nicht mehr viel getragen.“

„Richtig! Und nun seid mir willkommen, Sennor! Augusta bat mich um meine Gunst für Euch; ich bin aber damit nicht sehr verschwenderisch und pflege jeden, der sich um dieselbe bewirbt, einem Examen zu unterwerfen. Ihr Deutschen seid wegen eurer Gelehrtheit bekannt, darum habe ich Euch aus verschiedenen Gebieten des menschlichen Wissens die schwierigsten Fragen hervorgesucht, und Ihr habt trefflich bestanden, obgleich Ihr eher das Aussehen eines Bären als eines Gelehrten habt. Aber Augusta sagte mir, daß Ihr viele Schulen besucht und alle Länder und Völker kennen gelernt habt; setzt Euch nieder, Sennor!“

„Danke, Donna Elvira de Gonzalez,“ antwortete ich, sehr bescheiden auf der Ecke eines Stuhles Platz nehmend.

„Ihr wünscht in meinem Hause zu logieren?“

„Ja.“

„Ihr dürft es, denn Ihr seid ein sehr höflicher Mann, wie ich sehe, und auch Euer Äußeres wird ein anständigeres werden, wenn Ihr Euch ein wenig Mühe gebt. Wart Ihr in Spanien?“

„Ja.“

„Was sagt Ihr zu dieser Karte, die ich über mein Vaterland entworfen habe?“

Sie reichte mir das Blatt hin. Es war durch Seidenpapier nachgezeichnet und zwar nach einem schlechten Originale.

„Sehr genau, Donna Elvira de Gonzalez!“

Sie nahm mein Lob als ein höchst selbstverständliches entgegen.

„Ja, wir Damen haben uns endlich emanzipiert, und unser größter Triumph ist es, in die Tiefen der Wissenschaft einzudringen und es auch in den schönen Künsten den Männern zuvorzutun. Seht Euch diese beiden Gemälde an; sie sind unübertrefflich in der Grandiosität des Objektes. Diese Feinheit der Linien, diese Schattierung, dieser Reflex des Lichtes! Ihr seid ein Kenner, aber dennoch muß ich Euch prüfen. Was stellt hier dieses vor?“

Ich hätte eine schmähliche Niederlage erlitten, wenn mir nicht die Grandiosität des Objektes einen deutlichen Fingerzeig gegeben hätte. Darum antwortete ich mit kalter Verwegenheit:

„Die Seeschlange natürlich!“

„Richtig! Zwar hat sie noch Niemand deutlich gesehen, aber wenn der Geist des Forschers Räume mißt, in die er niemals eindringen kann, so ist es auch dem Auge des Künstlers gegeben, Gestalten zu erfassen, die er noch nicht erblicken konnte. Und diese Zeichnung?“

„Ist der Gorilla des berühmten Du Chailly.“

„Richtig! Ihr seid der gelehrteste Mann, der mir vorgekommen ist, denn noch keiner hat vor Euch die Seeschlange und den Gorilla sofort erkannt; Ihr seid zu jeder akademischen Würde reif!“

Der gerechte Stolz, den diese Anerkennung in mir erweckte, hatte beinahe dieselbe Wirkung wie der Knoblauch und die Zwiebeln der guten Donna Eulalia. Deren geniale Schwester zeigte auf den Tisch, der am Eingange stand.

„Ich beherrsche auch mein Haus, ohne in nähere Berührung mit den materiellen Dingen der Wirtschaft zu kommen. Dort ist Tinte, Feder und das Buch. Schreibt Euren Namen ein!“

Ich tat es und fragte darauf:

„Darf ich vielleicht auch gleich die Namen meiner Gefährten eintragen?“

„Ihr habt Gefährten?“

„Ja.“

„Wer sind sie?“

Ich fing bei den Farbigen an:

„Bob, mein schwarzer Diener.“

„Natürlich, denn ein Mann, der meine Seeschlange auf den ersten Blick erkennt, kann nur mit Domestiken reisen, Aber diese trägt man nicht ein. Weiter!“

„Winnetou, der Häuptling der Apachen.“

Sie machte eine Bewegung der Überraschung.

„Der berühmte Winnetou?“

„Derselbe!“

„Den muß ich sehen; den stellt Ihr mir vor! Schreibt ihn ein!“

„Sodann ein gewisser Sans-ear, der – – –“

„Der Indianertöter?“

„Ja.“

„Tragt ihn ein, tragt ihn ein! Ihr reist ja in ganz außerordentlicher Gesellschaft. Weiter –“

„Der vierte und letzte ist ein Master Bernard Marshall, Juwelier aus Louisville, Kentucky.“

Jetzt wäre sie beinahe von ihrem Sitze aufgesprungen.

„Was Ihr da sagt! Ein Juwelier Marshall aus Louisville!“

„Er hat einen Bruder, Namens Allan, welcher so glücklich war, bei Euch logieren zu dürfen, Donna Elvira de Gonzalez.“

„So vermutete ich also richtig! Schreibt auch ihn sofort ein Sennor! Ihr sollt den besten Schlafraum haben. Zimmer gibt es natürlich im Hotel Valladolid nicht, aber Ihr sollt dennoch mit meinem Hause vollständig zufrieden sein, und für heute abend seid ihr Alle in mein Privatspeisezimmer zur Tafel geladen!“

„Danke, Donna Elvira! Ich gebe Euch die Versicherung, daß ich eine solche Auszeichnung sehr wohl zu schätzen weiß. Ich pflege die Erfahrungen, welche ich mir auf meinen Reisen sammle, im Drucke der Öffentlichkeit zu übergeben und werde nicht unterlassen, Hotel Valladolid sehr warm zu empfehlen.“

„Tut dies, Sennor, obgleich ich mir Eure Erscheinung nicht gut beim Schreibtische denken kann. Habt Ihr vielleicht eine Bitte? Ich werde sie Euch gern erfüllen!“

„Eine Bitte nicht, aber eine Erkundigung möchte ich mir gestatten.“

„Welche?“

„Allan Marshall wohnt nicht mehr bei Euch?“

„Nein. Er hat mein Haus vor wohl drei Monaten verlassen.“

„Wohin ging er?“

„Nach den Diggins am Sacramento.“

„Erhieltet Ihr einmal Nachricht von ihm?“

„Ja, einmal. Er gab mir den Platz an, wohin ich ihm etwaige Briefe nachsenden sollte.“

„Könnt Ihr Euch desselben entsinnen?“

„Sehr gut, denn der Betreffende ist ein Bekannter meines Hauses. Master Holfey, Yellow-water-ground, ein Kaufmann, bei dem die Goldsucher alles bekommen können.“

„Sind seit seiner Abreise von hier Briefe an Allan angekommen?“

„Einige, die ich ihm stets mit der nächsten Gelegenheit nachgeschickt habe. Und dann – ja, kürzlich waren zwei Männer da, welche nach ihm fragten – Geschäftsfreunde, die notwendig mit ihm zu verhandeln hatten; auch ihnen habe ich seine Adresse gegeben.“

„Winn sind sie fort?“

„Wartet einmal, ja – gestern früh ritten sie fort.“

„Es war ein Älterer und ein Jüngerer?“

„Allerdings. Sie schienen Vater und Sohn zu sein. Sie waren mir von meiner Schwester empfohlen, bei welcher sie Gastfreundschaft genossen hatten.“

Ich nickte und sagte:

„Ihr meint den Rancho von Don Fernando de Venango e Colonna de Molynares de Gajalpa y Rostredo!“

„Was, Ihr kennt diesen Mann?“

„Sehr gut, und ebenso auch Eure Schwester Donna Eulalia, bei welcher wir gewesen sind, ohne daß ich sie gebeten habe, mir einen Brief als Legitimation mitzugeben.“

„Ist das möglich? Erzählt, Sennor, erzählt!“

Ich stattete ihr den gewünschten Bericht ab, wobei ich allerdings nicht an allzu großer Offenherzigkeit litt. Sie hörte mir mit regem Interesse zu und meinte, als ich fertig war.

„Ich danke Euch, Sennor! Ihr seid der erste Deutsche, welcher mit einer spanischen Donna in der rechten Weise zu verkehren versteht. Ich freue mich auf das heutige Souper und werde Euch zeitig benachrichtigen lassen. A dios!“

Ich tat eine ehrfurchtsvolle Verbeugung, welche mit meinem äußeren Habitus gewiß in lebhaftem Zwiespalt gestanden hat, und bewegte mich rückwärts zur Portière hinaus. Als ich in die Gaststube trat, richteten sich die Blicke der bedienenden Geister mit sichtbarer Achtung auf mich. Gustel Ebersbach war gleich vorhanden und kam eilig herbei.

„Nein, Herr Nachbar, sind Sie ein Glückskind! So lange hat noch kein Mensch Audienz bei der Donna gehabt, nicht einmal halb so lang. Sie müssen ihr sehr gefallen haben!“

„Im Gegenteile!“ erwiderte ich lachend. „Sie will mich nur unter der Bedingung hier behalten, daß ich mich bessere. Sie meinte, ich sähe leibhaftig wie ein Bär aus.“

„Hm, so ganz unrecht hat sie nicht; aber da kann ich helfen. Ich werde Sie hinauf in meine Kammer führen und Ihnen alles besorgen, was Sie brauchen: Rasierzeug, Wasser, Seife, alles, alles!“

„Das wird nicht nötig sein, denn wir werden bald unser Logis angewiesen bekommen.“

„Glauben Sie das nicht. Die Befehle in Beziehung der Logis habe ich erst Punkt acht zu holen, keine Minute eher.“

„Wir sollen das beste Logis bekommen, sagte die Donna. Wo wird das sein?“

„Die Logiments sind allesamt droben unter dem Dache. Sie werden also denjenigen Verschlag erhalten, welcher sich durch die frischeste Luft auszeichnet.“

In diesem Augenblick ertönte der laute Schall einer Glocke.

„Das ist sie, Herr Nachbar. Ich muß hinein, denn wenn sie zur ungewöhnlichen Zeit ruft, muß etwas passiert sein.“

Sie eilte davon, und ich setzte mich zu den Gefährten, welche, trotzdem hier in San Francisco das Erscheinen eines Westmannes oder Indianers etwas ganz Gewöhnliches ist, dennoch die Blicke auf sich zogen. Besonders war es die majestätische Gestalt und das ganze charaktervolle Äußere Winnetous, welches die Aufmerksamkeit erregte, und daß Sam, dem Kleinen, die Ohren fehlten, mußte einen jeden zu der Überzeugung bringen, daß er Manches erlebt haben müsse, was keinem von ihnen widerfahren war.

„Nun?“ fragte Bernard.

„Er ist bereits vor drei Monaten fort und hat nur ein einzigesmal vom Yellow-water-ground Nachricht von sich gegeben. Eure Briefe sind ihm dahin nachgeschickt worden.“

„Wo ist dieser Ort?“

„Es ist, so viel ich mich besinne, ein Nebental des Sacramento, in welchem viel Gold gefunden worden ist. Es soll dort von Diggers förmlich gewimmelt haben, jetzt aber scheinen sie sich noch weiter am Flusse hinaufgezogen zu haben.“

„Hat er hier irgend etwas deponiert?“

„Habe wirklich Donna Elvira nicht danach gefragt.“

„Müssen sie aber dennoch danach fragen!“

„Dazu wird sich bald die Gelegenheit geben. Wir sind nämlich Alle zum Souper geladen.“

„Ah, das ist freundlich! Übrigens werde ich mich bei unserm Bankhause erkundigen, ob er dagewesen ist.“

Jetzt kam meine freundliche Nachbarin auf uns zu.

„Herr Nachbar, ich wurde Ihretwegen gerufen. Das Souper ist um neun, und Ihre Zimmer soll ich Ihnen schon jetzt anweisen.“

„Zimmer? Ich denke, solche sind gar nicht da!“

„Es gibt da hinten einen Anbau, welcher einige Räume enthält. Dabei sind zwei Stuben, welche die Donna nur benützt, wenn Besuch von Verwandten kommt.“

„Dort hat wohl auch Donna Alma gewohnt?“

„Ja, ich habe davon gehört, obgleich ich damals noch nicht hier gewesen bin.“

„Haben Sie nicht gehört, ob diese Dame einen gewissen Allan Marshall kannte, der damals hier logiert hat?“

„O ja. Man hat darüber viel gesprochen und gelacht. Sie hat diesem Herrn förmlich nachgestellt, so daß er sich ihrer kaum erwehren konnte. Doch kommen Sie; ich habe bereits die Schlüssel!“

Wir standen auf und folgten ihr. Die beiden Stuben, welche wir erhielten, waren gegen die übrige Ausstattung des Hotels kostbar zu nennen; die eine bekam Winnetou mit Sans-ear und die andere ich mit Bernard. Bob erhielt einen eigenen Raum angewiesen.

Die gefällige Nachbarstochter versorgte uns mit Allem, was nötig war, unserem äußeren Menschen ein mehr zivilisiertes Aussehen zu geben, und so waren wir bald in der Lage, ausgehen zu können. Winnetou blieb zurück; er war zu stolz, um den Menschen auf den Straßen und Plätzen der Stadt als Gegenstand der Schaulust zu dienen. Auch Sam streckte sich auf sein Lager.

„Was soll ich mit?“ meinte er. „Laufen kann ich; das brauche ich hier zum Beispiel nicht erst zu üben, und Häuser und Menschen habe ich bereits genug gesehen. Macht, daß wir aus diesem unruhigen Neste bald wieder hinauskommen in die Savanne, sonst wachsen mir vor lauter Langweile die Ohren wieder, und dann hat es mit Sans-ear ein Ende!“

Der gute Sam befand sich erst einige Viertelstunden hier und empfand doch bereits Sehnsucht nach der freien Prairie. Wie muß es den Wilden zu Mute sein, wenn sie, um gebessert zu werden, in die enge einsame Zelle einer Philädelphischen oder Auburnschen Zwingburg gesteckt werden, weil sie sich wehren, hinausgeworfen zu werden aus den Gründen, die ihre Heimat sind, ihnen Nahrung geben und die Grabhügel ihrer Väter und Brüder bergen!

Wir gingen, nämlich ich und Marshall, zu dem Bankier, mit welchem dieser in Geschäftsbeziehung gestanden hatte, und erfuhren nur, daß Allan einige Male vorgesprochen habe und dann nach einem kurzen Abschiede in die Minen gezogen sei. Er hatte alle Geldmittel flüssig gemacht und mitgenommen, um damit Nuggets zu kaufen.

Nach diesem erfolglosen Besuche schlenderten wir durch die Stadt, bis mich Bernard plötzlich in einen Store zog, in welchem alle möglichen Arten und Größen von Kleidungsstücken zum Verkaufe hingen. Hier konnte man sich die feinste mexikanische Tracht auswählen, ebenso wie den leinenen Arbeitskittel des Kuli. Jede Tracht dieser verschiedenen Gewänder hatte ihren besonderen Platz, und jeder einzelne Anzug war vollständig.

Die Absicht Bernards war sehr leicht zu erraten. Unsere Anzüge, aus so festem Stoffe sie auch bestanden, hatten während der langen Reise so gelitten, daß wir wirklich nicht nur ein wenig, sondern sogar recht sehr schäbig aussahen. Rasiert waren wir; das Haar hatten wir einander auch geschnitten, aber das Habit, mit dem sah es gewaltig schlimm aus. Ich merkte beim Einkaufe, daß der gute Bernard Geschmack besaß. Er kaufte sich einen halb Indianer- und halb Trapperanzug, der ihm ganz nett stand; nur war der Preis auch den Verhältnissen San Franciscos angemessen.

„Nun kommt, Charley; auch für Euch einen!“ meinte er, als er vollständig ausstaffiert war. „Ich werde Euch aussuchen helfen.“

Hm, ich brauchte allerdings so Etwas höchst notwendig, aber für diese Art von Preis war meine Kasse nicht ganz eingerichtet. Ich habe niemals zu denjenigen unglücklichen Leuten gehört, welche überall, wo sie hingreifen, einen Hundertmarkschein zwischen die Finger bekommen und überall, wo sie hingehen, über einen Sack mit Sovereigns stolpern; sondern ich gehöre zu jenen beneidenswerten Menschen, welche das süße Bewußtsein haben, heut zu verdienen, was sie morgen brauchen, und darum mag ich wohl ein etwas resigniertes Gesicht gemacht haben, als sich Marshall gleich nach seinen Worten auch sofort an das Aussuchen machte.

Seine Wahl fiel auf einen Anzug, welcher aus folgenden Stücken bestand: – ein Jagdhemd von schneeweiß gegerbtem Hirschkalbleder, von Indianerinnenhänden zierlich mit Rot gestickt; Leggins aus Hirschrücken, an den Seiten ausgefranst; einen Jagdrock von Büffelhaut, aber doch geschmeidig wie ein Eichhörnchenfell; Stiefel von Bärenseite, deren Schäfte ich weit über die Lenden heraufziehen konnte; die Sohlen aus dem besten Stoffe, den es für diesen Zweck nur geben kann, nämlich aus der Haut vom Schwanze eines ausgewachsenen Alligators – und endlich eine Bibermütze, deren oberer Rand und Deckel mit einer künstlich dauerhaft gemachten Klapperschlangenhaut verziert war. Bernard tat es nicht anders, ich mußte in einer kleinen Nebenkabine den Anzug anprobieren, und als ich heraustrat, hatte er ihn bereits bezahlt. Ich wäre ihm gern ein wenig bös darüber geworden, brachte dies aber, offen gestanden, nicht recht fertig.

„Laßt das gut sein, Charley; ich bin Euch noch sehr viel schuldig, und wenn Ihr das nicht zugeben wollt, so werde ich diese Sachen auf Euer Konto schreiben, welches wir schon einmal begleichen werden!“

Auch für Sam wollte er Einiges mitnehmen; ich riet ihm aber davon ab, weil ich die Anhänglichkeit des Kleinen an seinen uralten Habitus sehr genau kannte und überdies unser Sans-ear eine Statur besaß, die ganz unberechenbar war.

Die größte Freude über meine Umwandlung verriet Bob, als wir in das Hotel Valladolid zurückkehrten.

„Oh, Massa, nun sehen sehr viel gut schön aus, so schön wie Bob, wenn hätten bekommen auch neu Rock und Mütze!“

Ich konnte nicht anders, ich mußte ihn mit einem dankbaren Blick für diesen gütigen Vergleich belohnen, denn ich wußte, daß der Neger damit das Höchste geleistet hatte, was er im Lobe zu leisten vermochte.

Sam Hawerfield war es in seinem Zimmer doch etwas zu enge geworden. Er saß an einem der Tische ganz allein, und winkte mir, als er uns eintreten sah, uns zu ihm zu setzen.

„Hört!“ meinte er halblaut. „Da neben uns gibt es ein Gespräch, welches zum Beispiel auch uns interessieren wird.“

„Worüber?“

„Es sind da oben in den Minen und Diggins Dinge vorgegangen, die man nicht gutheißen kann. Es gibt dort eine Menge Bravos, aber keine Indianos, sondern Weiße, wie es scheint, die sich über die heimkehrenden Digger hermachen und ihnen das Leben nehmen und noch einiges dazu. Da sitzt Einer, der ihnen nur mit genauer Not entgangen ist. Er erzählt eben sein Abenteuer. Hört!“

An dem Tische hinter uns saßen mehrere Männer, denen man es ansah, daß sie des Lebens Gefahren und Drangsale kennen gelernt hatten, und einer von ihnen hielt einen Vortrag, dem alle Umsitzenden mit der größten Spannung zuhörten.

Well,“ meinte er soeben, „ich bin ein Ohiomann, und das soll heißen, daß ich etwas erfahren habe, auf dem Strome und in der Savanne, zu Wasser und zu Lande, auf den Bergen und unten in den Tälern des Westens. Ich habe die Flußpiraten des Mississippi und die Buschklepper der Woodlands kennen gelernt und gar manchen Strauß mit ihnen ausgefochten; ich halte manchen Streich für möglich, den ein Anderer grün und weiß bezweifeln würde; aber daß solche Dinge auf einer so belebten Straße vorkommen können, und noch dazu am hellen Tage, das geht doch über das alte Gun, mit welchem man um die Ecke zu schießen vermag.“

„Und dennoch klingt es nicht ganz nach Wahrheit,“ meinte ein Anderer. „Ihr waret doch eine ganze Karawane von fünfzehn Mann gegen acht Leute; wäre das nicht eine Schande, wenn es so ist, wie Ihr erzählt?“

„Ihr sprecht sehr klug und weise, Mann; aber macht es nur erst einmal mit! Wir waren allerdings fünfzehn Männer, das heißt nämlich sechs Tropeiros und neun Miners. Wenn Ihr Euch auf diese Tropeiros verlassen wollt, so seid Ihr verloren, und von den neun Miners hatten drei das Fieber; sie konnten sich kaum auf den Maultieren halten und wurden von der Krankheit bald hin, bald her geworfen, so daß sie weder einen sichern Schuß, noch einen guten Messerstoß abgeben konnten. Nun, waren wir also wirklich fünfzehn volle Männer, he?“

„Wenn Ihr die Sache so darstellt, so wird sie allerdings ein wenig einleuchtender. Aber die Straße ist doch so befahren, beritten und auch begangen, daß zu jeder Zeit Leute in der Nähe sind, von denen Hilfe zu erwarten ist!“

„Meint Ihr! Was hindert die Schelme, grad einen Augenblick abzuwarten, an dem dies nicht der Fall ist?“

„So erzählt das Ding nur richtig der Reihe nach, damit man daraus klug werden kann!“

„Ganz, wie es Euch beliebt, Mann! Also wir hatten da droben am Pyramidensee ein Plazer gefunden, wie es kein besseres und reichhaltigeres geben kann, und Ihr müßt es eben einmal glauben, daß nach acht Wochen ein jeder von uns Vieren seinen Zentner Staub und Nuggets beisammen hatte. Weiter ging es nicht, denn der Platz war ausgewaschen, und zwei von uns hatten die Kälte in die Gelenke bekommen. Es ist eben kein Leichtes, von früh bis Abend bis über die Hüften im Wasser zu stehen, um die Batea zu schütteln. Wir packten also zusammen und gingen zurück bis in den Yellow-water-ground, wo wir unsere Ausbeute an einen Yankee verkauften, der ein Beträchtliches mehr bezahlte, als die Schurken von Tauschhändler, bei denen man für eine Unze reines Gold ein Pfund schlechtes Mehl oder ein halbes Pfund noch schlechteren Tabak bekommt. Aber der Mann hat dennoch Geschäfte gemacht; ich glaube, er hieß Marshall und war in Kentucky oder da herum zu Hause.“

Schnell drehte sich Bernard um.

„Ist er noch dort an diesem Platze?“ fragte er.

„Weiß es nicht, geht mich auch nichts an. Aber laßt mich in Ruhe mit unnützen Fragen; denn wenn ich das Ding wirklich so der Reihe nach erzählen soll, wie es dieser Mann hier verlangt hat, so darf ich nicht gestört werden! Also dieser Marshall, Allan Marshall hieß er wohl, kaufte uns ab, was wir hatten. Wären wir nun klug gewesen, so hätten wir uns auf die Beine gemacht. Aber erstens wollten wir uns zunächst von den gehabten Strapazen ausruhen – denn unsere Kranken bedurften der Pflege – und zweitens war auch nicht gerade eine passende Reisegelegenheit da. Man munkelte so mancherlei von Raubanfällen und nannte sogar die Namen verschiedener Männer, welche die Diggins verlassen hatten und niemals in Sacramento oder San Francisco angekommen sind.“

„War dies wahr?“

„Werdet es hören! So warteten wir einige Wochen; aber das Leben da oben ist ganz verteufelt teuer, und da man wußte, daß wir keine leeren Taschen hatten, so bestand unser ganzes Vergnügen in einer immerwährenden Retirade vor falschen Spielern und ähnlichem Ungeziefer, welches uns stündlich umschwärmte. Auch war es mit den Gelenken der beiden Kameraden ein wenig besser geworden, und so beschlossen wir, nicht länger zu warten, sondern schlossen uns fünf Männern an, welche ebenso wie wir nicht mehr bleiben wollten. Wir waren also neun Personen und mieteten uns die nötigen Maultiere, wodurch unsere Anzahl um sechs Tropeiros vermehrt wurde. Bewaffnet waren wir Alle vorzüglich, auch die Tropeiros, von denen übrigens jeder Einzelne das Aussehen hatte, als ob er es recht gut mit zehn Gegnern aufnehmen werde. Die Reise wurde angetreten und ging im ganzen auch recht gut von statten; aber es begann so anhaltend zu regnen, daß sich das Fieber wieder einstellte. Übrigens weichte das Wasser den Weg in der Weise auf, daß nur außerordentlich schwer fortzukommen war. Wir legten an einem vollen Tage kaum acht Meilen zurück und waren des Nachts selbst in unseren Zelten nicht sicher vor der Flut, die vom Himmel stürzte, als ob jemand da oben eine Wolke umgeworfen hätte. Dadurch wurde das Fieber immer schlimmer, so daß wir die Kranken während des Rittes auf die Maultiere binden mußten.“

„Verdammt schlechte Geschichte,“ meinte einer der Umsitzenden. „Habe solche Staupen auch durchgemacht und weiß sehr genau, wie einem dabei zu Mute ist!“

Well! Also hatten wir ungefähr zwei Dritteile des Weges zurückgelegt und des Abends einen Lagerplatz gesucht. Wir waren beschäftigt, die Zelte aufzuschlagen, und schürten ein Feuer, welches groß genug war, die Gegend tageshell zu erleuchten. Da plötzlich krachte eine Salve rundherum. Ich kniete eben im Schatten eines Zeltes am Boden und war daran, eine Leine an den Pflock zu binden, weswegen man mich nicht gesehen hatte. Schnell fuhr ich in die Höhe und zwar grad zur rechten Zeit, um unsere Tropeiros aufsitzen und die Flucht ergreifen zu sehen. Das geschah aber mit solcher Gelassenheit, daß sie von den Bravos zehnmal hätten niedergeschossen werden können. Ich war im Begriffe gewesen, die Büchse zu erheben; aber was ich sah, hielt mich davon ab. Die Kugeln der acht Räuber hatten ihr Ziel so sicher getroffen, daß die fünf Gesunden, welche beim Scheine der Flamme gearbeitet hatten, tot am Boden lagen, und grad in dem Augenblick, als ich nach der Büchse griff, wurden die drei Kranken niedergemacht. Ich war also ganz allein am Leben. Was hättet Ihr in dieser Lage getan, he?“

Damn Ich hätte mich auf sie geworfen und getan, was in meinen Kräften stand!“ meinte Einer.

„Nein, ich hätte einige von ihnen mit meiner Kugel weggeputzt,“ versicherte ein Anderer.

„Sehr gut!“ antwortete der Erzähler. „Das sagt ihr, getan aber hättet ihr Alle nur das, was ich auch tat. Mich auf sie zu stürzen, das wäre Wahnsinn gewesen; auf sie zu schießen, war ebensowenig geraten, denn dann wäre ich auch verloren gewesen. Es durfte kein Zeuge des Überfalles leben bleiben, das verstand sich ja ganz von selbst; darum hätten sie mich verfolgt, so weit ich nur laufen mochte, und getötet hätte ich doch nur einen oder zwei.“

„Nun, was tatet Ihr denn?“

„Mein Geld hatte ich in guten Papieren in der Tasche; mein Maultier war unweit der Zelte bei den übrigen Tieren angebunden. Ich schlich mich also, als die Schurken eben die Zelte untersuchten, hinzu und band es los. Da stieß einer von ihnen einen Pfiff aus; ich hörte ein Getrappel, und – was denkt ihr, was geschah?“

„Nun?“

„Die Tropeiros kehrten zurück. Sie hatten uns an die Halunken verraten und sollten nun ihren Teil von der Beute erhalten. Jetzt waren die Schufte vierzehn Mann stark. Ich setzte mich auf mein Tier und galoppierte davon, so schnell es laufen konnte. Zu meinem Glück war es ein sehr sanftmütiges Geschöpf und kein so obstinates Viehzeug, wie man sie unter dieser Gattung so häufig trifft. Ich hörte zwar laute Flüche und einen tüchtigen Lärm hinter mir; dann vernahm ich auch Hufschlag, aber es war dunkel, und ich entkam glücklich.“

„Und nachher?“

„Was nachher! Ich habe gemacht, daß ich nach San Francisco kam, und bin froh, mit heiler Haut hier zu sitzen und mein Glas Porter hinunter zu schlürfen.“

„Habt Ihr keinen von den Bravos erkannt?“

„Sie trugen schwarze Masken. Nur als der Eine, welcher der Anführer zu sein schien, den Finger in den Mund steckte, um zu pfeifen, nahm er den Lappen herunter, und ich konnte also seine Physiognomie sehen. Ich würde den Kerl sicher sofort wieder erkennen, wenn er mir einmal vor die Augen käme. Es war ein Mulatte, und er hatte über die rechte Wange eine Wunde, die von einem Messerschnitt herrühren mußte.“

„Und die Tropeiros?“

„Würde ich alle wieder erkennen, aber ich komme ja nicht wieder hinauf in jene Hölle, in welcher der Teufel sein Gold siedet und schmilzt, um die Seelen in Tod und Verderben zu locken.“

„Wie heißt der Mulero? Es ist oft gut, wenn man den Namen eines solchen Ehrenmannes kennt!“

„Er nennt sich Sanchez, wird aber wohl früher schon einen oder einige andere Namen gehabt haben. Ich schätze, daß die meisten dieser Schurken zu den Hounds [Fußnote] gehören, welche Francisco über die sämtlichen Minendistrikte ausgespieen hat, und die nun als Agenten, Tropeiros, Muleros und Räuber einander in die Hände arbeiten. Es wäre am besten, die Miners bildeten, wie damals in San Francisco, ein Vigilance-Comité, welches die Verfolgung und Ausrottung dieser Banden übernehmen könnte, bis in den Plazers bessere Zustände zu herrschen beginnen. So, jetzt habe ich alles der Reihe nach erzählt, und ich bin fertig.“

„Wenn das ist,“ meinte Bernard, „so erlaubt Ihr mir wohl, mich noch einmal nach jenem Allan Marshall zu erkundigen, von dem Ihr vorhin gesprochen habt; er ist mein Bruder.“

„Euer Bruder? Wahrhaftig, mir scheint, daß Ihr ihm ähnlich seht! Da sagt also, was Ihr von ihm wissen wollt!“

„Alles, was Ihr selbst von ihm wißt. Wie lange ist es her, daß Ihr ihn zum letztenmal gesehen habt?“

„Nun wohl an die fünf Wochen!“

„Meint Ihr, daß er sich noch im Yellow-water-ground befinden wird?“

„Weiß es nicht. Da oben in den Minen ist man heut da und morgen dort, obgleich man sich heut vorgenommen hat, gewißlich nicht fortzugehen.“

„Er hat mir nie geschrieben, obgleich er meine Briefe erhalten hat.“

„Das dürft Ihr nicht für so sicher annehmen. Denkt nur an das, was ich jetzt erzählt habe! Gibt es eine Post von hier hinauf in die Minen? Ja; aber was Ihr so nennt, das ist keine Post. Ich sage Euch, es wird mancher Brief hinauf und herunter geschickt und kommt nie in die Hand, die ihn öffnen soll. Ihr kommt dort oben in eine Taverne, und der Wirt gehört zu den Hounds; Ihr geht in einen Store, und der Krämer ist ein Hound; Ihr spielt mit drei Männern Monte, und einer, vielleicht auch zwei oder gar alle drei sind Hounds; Ihr arbeitet mit Einem gemeinschaftlich an Eurem Plazer, und er ist ein Hound, der Euch entweder abnimmt, was Ihr ausbeutet, oder wenn Ihr ihm zu stark und wachsam seid, Euch an die Bravos verraten wird, um wenigstens einen Teil Eures Eigentums zu erhalten; bei der Platzdeputation sind Hounds, überall sind Hounds; warum sollten nicht auch bei der Post Hounds sein, denen daran liegt, Verschiedenes nicht an die Adresse gelangen zu lassen!“

Das war nun allerdings keine reizende Auseinandersetzung für die an den Minen herrschenden Verhältnisse.

„Wollt Ihr hinauf zu dem Bruder?“

„Allerdings.“

Well, so will ich Euch einen guten Rat geben. Ob Ihr ihn befolgen werdet, das ist Eure Sache. Von hier aus führen nämlich zwei Wege nach den verschiedenen Minendistrikten; der eine geht ganz südlich nach einem Bergstriche, den man Neu-Almaden nennt, wo man eine große Masse von Quecksilber und natürlichem Zinnober findet; der andere aber geht fast genau nach Norden und nur mit einer geringen Neigung gegen Ost zu den noch viel berühmteren Goldgegenden von Sacramento. Wißt Ihr, wo in dieser letzteren Gegend der Yellow-water-ground liegt?“

„Ich weiß bisher nur, daß er ein Seitental des Sacramento bildet; weiter nichts.“

„Der Weg geht drei Vierteile um die Bai von Francisco herum und dann über den Rio San Joaquin hinüber oder hinauf nach dem Sacramento-Tale. Hier braucht Ihr nur immer aufwärts zu gehen und könnt von jedem Begegnenden oder an jedem Plazer erfahren, wo Euer Ziel zu finden ist. Wenn Ihr nicht viel Gepäck bei Euch habt, mögt Ihr in fünf Tagen hingelangen. Von diesem Wege aber rate ich Euch ab.“

„Warum?“

„Erstens ist es zwar der bequemere, aber nicht der kürzere. Zweitens wird grad er durch diese Hounds ganz außerordentlich unsicher gemacht. Allerdings fallen sie lieber die von den Minen Kommenden als die dorthin Gehenden an, aber man weiß doch nicht, ob sie nicht vielleicht einmal das Gegenteil tun. Und endlich drittens ist dieser Weg gepflastert, und zwar mit Dollars, welche man den Reisenden förmlich aus der Tasche zieht. In den Gasthäusern ist man bereits in der Kultur so weit vorgeschritten, daß man Rechnungen schreibt. Aber ein solches Ding ist leichter zu lesen, als zu bezahlen. Ihr zahlt da: für das Zimmer einen Dollar – und schlaft im Hofe; für das Bett einen Dollar – und bekommt zwei Hände voll altes Stroh; für Licht einen Dollar – und habt den Mond zur Laterne; für Bedienung einen Dollar – und habt keinen Help zu sehen bekommen; für das Waschbecken einen Dollar – und müßt Euch im Sacramento waschen; für ein Handtuch einen Dollar – und wischt Euch an Euern eigenen Jagdrock. Der einzige Posten, den man bezahlt und wirklich auch bekommt, ist: für die Rechnung einen Dollar. Wie gefällt Euch das, Master Marshall?“

„Nicht übel!“

„Meine es auch. Darum werde ich Euch einen anderen und besseren Weg sagen, auf dem Ihr, wenn Ihr gut beritten seid, den Yellow-water-ground in vier Tagen erreichen könnt. Ihr setzt mit der Fähre über die Bai und haltet von da aus grad nach San John, wendet Euch dann nach Osten, und wenn Ihr den Sacramento erreicht, seid Ihr auch am Ziele, wenigstens ganz in der Nähe desselben. Wasserläufe, die Euch in dieser Richtung führen, gibt es genug.“

„Danke, Sir! Ich werde Euern Rat befolgen.“

Well! Und wenn Ihr dann am Sacramento oder irgendwo einen Mulatten trefft, der einen Schnitt über die rechte Wange hat, so gebt ihm Euer Messer oder Eure Kugel zu kosten, denn ich sage Euch, daß Ihr ein gutes Werk tut!“

Mittlerweile war die Zeit des Abendessens herangerückt, und Gustel kam, um uns zu benachrichtigen. Sie führte uns in ein Nebenzimmer, wo gedeckt war, als ob eine Gesellschaft spanischer Granden gespeist werden sollte. Donna Elvira erwartete uns bereits. Der Wirt war nicht zu sehen. Sie empfing ihre Gäste, welche ich ihr natürlich mit der nötigen Grandezza vorstellte, ganz mit der Miene einer Herrscherin, die eine Gnadenaudienz erteilt, und machte die Honneurs mit einer Würde, wie sie ein indischer Fürst nicht besser zuwege gebracht hätte.

Da ihr daran lag, möglichst zu imponieren, so bewegte sich die Unterhaltung zunächst in allerdings höchst drastischer Weise auf dem Gebiete der Kunst und Wissenschaft, später aber, als wir mit der gehörigen Hochachtung erfüllt schienen, gab sie dem Interesse für unsere Persönlichkeiten und Verhältnisse Raum, und wir mußten ihr unsere Erlebnisse erzählen.

Als sie die Tafel aufhob, sagte sie:

„Sennores, ich hoffe, euch bewiesen zu haben, daß ich euch meinen andern Gästen vorziehe, und denke, daß es euch bei mir recht lange gefallen soll!“

„Donna Elvira de Gonzalez, wir danken Euch für Eure Güte,“ antwortete ich. „Wir werden allerdings längere Zeit in Eurem gastlichen Hause verweilen, aber nicht jetzt, denn wir müssen schon morgen in der Frühe zunächst noch einen kleinen Abstecher machen.“

„Wohin, Sennor?“

„Nach dem Sacramento, um Allan aufzusuchen, den wir Euch bringen werden.“

„Recht so, Sennores! Nehmt euch von mir Alles mit, was ihr braucht; berechnen werde ich es später; und wenn ihr einen Wunsch noch habt, so wendet euch nur an Augusta. Natürlich hoffe ich, daß ihr mir a dios sagen werdet, ehe ihr morgen fortgeht!“

Sie rauschte hinaus, und wir folgten ihr, um nach unsern Pferden zu sehen und uns dann zur Ruhe zu begeben. Am andern Morgen schwammen wir bereits mit der Fähre über die Bai und stiegen an der San Francisco gegenüberliegenden Landzunge aus.

Wir folgten ganz der Richtung, welche uns der Goldsucher angedeutet hatte, erreichten am Abend des dritten Tages die Höhen von San John und wandten uns dann gegen Sonnenaufgang. Am andern Mittag ritten wir in das Tal des Sacramento nieder und fanden nun auf jedem Schritt zahlreiche Spuren jener fieberhaften Tätigkeit, welche überall die Erde aufgewühlt hatte, um nach dem deadly dust zu suchen, dessen Glanz das Auge blendet, die Sinne verwirrt und das Herz betört.

Es ist so viel über diese Arbeit geschrieben und gesprochen worden, daß ich mich einer Bemerkung über sie enthalte; aber ich muß gestehen, das Goldfieber ergreift auch den nüchternsten Mann, sobald er jene Gegend betritt und sich von den Männern umgeben sieht, die – oft mit hohlen Wangen und meist mit Lumpen umhüllt – ihre Gesundheit und vielleicht auch ihr Leben opfern, um – schnell reich zu werden, und diesen Reichtum, wenn sie ja so glücklich sein sollten, ihn zu erlangen, oft ebenso schnell wieder verlieren. Sie arbeiten häufig monatelang mit Aufbietung aller ihrer Kräfte, ohne einen nennenswerten Erfolg zu sehen; Flüche und Verwünschungen begleiten jeden Griff, den sie tun; das blasse Gespenst des Hungers, der Not, der Verzweiflung tritt an sie heran, und schon wollen sie die ermattete, zitternde Hand abziehen, da verbreitet sich das Gerücht von einem außerordentlichen Fund, den irgend jemand irgendwo gemacht hat oder gemacht haben soll, und sie legen wieder Hand an die Batea, um der gewaltigen Epidemie von neuem zum Opfer zu werden.

Am Abend erreichten wir den Yellow-water-ground. Es war ein langes, schmales Tal, welches einen dünnen Wasserlauf dem Sacramento zuführte. Von seinem obersten bis zum untersten Punkte aufgewühlt, ließ es die einzelnen Plazers deutlich erkennen. Erdhütten und Zelte gab es genug, und dennoch sah man auf den ersten Blick, daß die Glanzperiode dieses Teiles der Minen vorüber war.

Ungefähr in der Mitte des Tales stand eine niedrige, aber breite und tiefe Bretterbude, über deren Eingang mit Kreide die Worte Store and boarding-house of yellow-water-ground geschrieben waren. Der Wirt dieses Wohn-, Kauf- und Trinkladens war wohl am besten imstande, uns Auskunft zu erteilen. Wir stiegen also ab, ließen Bob bei den Pferden und traten ein.

Die roh gezimmerten Bänke und Tische waren teils von elend, teils von verwegen aussehenden Gestalten besetzt, welche uns neugierig betrachteten.

„Neue Miners!“ lachte Einer. „Werden vielleicht mehr finden als wir. Komm her, Rothaut, und tu‘ einen Drink mit mir!“

Winnetou tat, als ob er die Aufforderung gar nicht gehört habe. Da erhob sich der Mann von seinem Sitze, nahm das Schnapsglas zur Hand und trat mit herausfordernder Miene auf ihn zu.

„Schuft, weißt du nicht, daß es die größte Beleidigung für einen Miner ist, wenn man ihm den Drink ausschlägt? Ich frage dich, ob du trinken willst und auch einen zum besten geben wirst?“

„Der rote Krieger trinkt kein Feuerwasser, doch will er den weißen Mann nicht beleidigen!“

„So fahre zum Teufel!“

Der Miner schleuderte das Glas samt dem Branntwein dem Apachen in das Gesicht, riß das Messer heraus und tat einen Sprung, um es Winnetou in das Herz zu stoßen; er taumelte aber mit einem lauten Schrei zurück und stürzte röchelnd zu Boden. Der Apache besaß auch ein Messer – er hielt es noch in der Hand – die Klinge blank wie zuvor; es war nur den zehnten Teil einer Sekunde im Leibe des Miners gewesen; dieser aber lag mit zerstochenem Herzen am Boden.

Sofort erhoben sich die Andern. In ihren Fäusten funkelten die Messer. Aber auch unsere Büchsen lagen schon an den Wangen, und sogar Bob, der zufällig zur Tür hereingesehen hatte, stand unter derselben und hatte sein Gewehr schußfertig.

„Stopp!“ rief da der Wirt. „Setzt euch, ihr Leute; die Sache war nicht die eure; sie geht euch nichts an; sie war nur zwischen Jim und dem Indianer auszumachen, und sie ist ausgemacht. Nell, schaffe den Toten fort!“

Die Miners setzten sich; unsere drohende Haltung schien ebensoviel Einfluß auf sie auszuüben, wie die Worte des Wirtes. Hinter dem Büffet aber trat der Barkeeper hervor, nahm den Toten auf die Achsel und trug ihn hinaus, um ihn, wie wir dann bemerkten, in eine verlassene Grube zu legen und ein wenig Erde darauf zu werfen. Dieser Jim war auch hierher gekommen, um Gold zu suchen, und hatte, durch seine eigene Schuld, den Tod gefunden – deadly dust! Wie oft mochten sich ähnliche Auftritte in den Minen wiederholen!

Wir nahmen, abgesondert von den Übrigen, Platz.

„Was trinkt ihr, Mesch’schurs?“ fragte der Wirt.

„Bier,“ antwortete Bernard.

„Porter oder Ale?“

„Was besser ist!“

„Dann nehmt Ale, Mesch’schurs! Es ist echtes Burton-Ale aus Burton in Staffordshire.“

Ich war ein wenig neugierig auf diesen Trank, der aus England und dazu von dem Orte, welcher wegen des besten Bieres weltberühmt ist, nach dem Sacramento gekommen sein sollte. Wir bekamen fünf Flaschen, von denen ich gleich eine nahm, um sie Bob hinauszutragen. Er steckte den Hals der Bottle in den Mund, daß ich dachte, derselbe müsse ihm bis hinab in den Magen reichen, und leerte sie auf einen Zug. Kaum aber hatte er das Gefäß wieder herausgezogen, so verdrehte er die Augen, riß den Mund auf, daß derselbe drei Vierteile des Gesichtes einnahm, und stieß einen Laut aus, wie ein Schiffbrüchiger, der zum letzten Male über das Wasser kommt.

„Was ist’s?“ fragte ich, in der Meinung, er habe sich mit dem Halse der Flasche den Gaumen verletzt.

„Massa, oh, ah, Bob sterben! Bob haben getrunken Gift!“

„Gift? Es ist ja englisches Ale!“

„Ale? Nein, oh, nein! Bob kennen Ale. Bob haben getrunken Gift; Bob fühlen in Mund und Leib Arsen‘ und Tollkirsch‘!“

Unser guter Neger war kein Feinschmecker; wie also mußte dieses Ale erst einem raffinierten Gaumen munden! Ich trat wieder in den Store und kam grad recht, um die Frage des Wirtes zu hören:

„Könnt ihr auch zahlen, Mesch’schurs?“

Bernard machte eine sehr beleidigte Miene und griff in die Tasche.

„Halt, Master Bernard!“ meinte Sam. „Diese Rechnung werde ich abmachen. Was kostet das Bier?“

„Die Bottle drei Dollars, macht fünfzehn Dollars.“

„Das ist billig, Mann, zumal man die Bottle mitbekommt, nicht wahr?“

„Allerdings.“

„Wir werden sie Euch aber hier lassen, denn Leute, welche Plazers wissen, in denen das Gold sozusagen in schweren Stufen zutage tritt, brauchen sich um ein Stückchen Glas nicht zu kümmern. Holt Eure Wage!“

„Wollt Ihr in Gold bezahlen?“

„Ja.“

Sam öffnete seinen Kugelbeutel und zog einige Nuggets hervor, von denen eines die Größe eines Taubeneies hatte.

„Alle Wetter, Mann, wo habt Ihr diese Stücke gefunden?“ fragte der Wirt.

„Auf meinem Plazer.“

„Und wo ist das?“

„In Amerika ungefähr. Ich habe zum Beispiel ein schlechtes Gedächtnis und besinne mich auf den Ort gewöhnlich nur dann, wenn ich selbst etwas Gold brauche.“

Der Wirt mußte diese Zurechtweisung einstecken; aber seine Augen funkelten vor Begierde, als er eines der Nuggets abwog und den Überschuß in Geld herausgab. Er nahm das Gold zu einem sehr niedrigen Preise, und seine Wage mochte auch wohl einige kleine Eigentümlichkeiten besitzen; Sam aber steckte das herausbekommene Geld mit der Miene eines Mannes ein, dem es auf eine Unze mehr oder weniger nicht ankommt. Er hatte, ohne daß die Andern etwas davon ahnten, zwischen seinen Kugeln ein ganz allerliebstes Sümmchen mit sich herumgetragen, und ich mußte jetzt an seine bei unserem ersten Zusammentreffen gemachte Bemerkung denken, daß er in den Bergen genug Gold wisse, um einen Freund damit reich zu machen.

Jetzt wurde das Bier gekostet. Wären wir direkt aus der Savanne hierher gekommen, so hätten wir es vielleicht genießen können; da wir unsere zerrütteten Gaumen aber im Hotel Valladolid bei der gastfreundlichen Donna Elvira bereits wieder hergestellt hatten, so war das Zeug auf keinen Fall hinunterzubringen. Es war klar, der Mann kochte sich sein Ale aus irgend welchen Kräutern und Zutaten selbst zusammen und verkaufte es – die Flasche zu drei Dollars. Dies ist eins von den vielen Beispielen, daß in den Minen nicht immer der Goldsucher auch der Goldfinder ist.

Übrigens schien sich der Wirt mit der ihm von Sam gewordenen Zurechtweisung keineswegs zufrieden zu geben. Er setzte sich vielmehr zu uns und erkundigte sich weiter:

„Ist das Plazer, welches Ihr wißt, sehr weit von hier, Sir?“

„Welches? Ich weiß deren vier oder fünf.“

„Vier oder fünf? Unmöglich! Denn sonst würdet Ihr nicht nach diesem traurigen Yellow-water-ground kommen, wo fast gar nichts mehr gefunden wird.“

„Ob Ihr’s glaubt oder nicht, das ist zum Beispiel Eure Sache!“

„Und Ihr nehmt Euch bloß immer so viel hinweg, als Ihr braucht?“

„Ja.“

„Welcher Leichtsinn, welche Unvorsichtigkeit! Wenn nun Andere kommen und Euch wegnehmen, was Ihr Euch sichern könntet!“

„Das geschieht nicht, Master Ale-man!“

„Ich will Euch eines von diesen Plazers abkaufen, Sir!“

„Könnt Ihr gar nicht bezahlen! Oder hättet Ihr genug, um fünfzig oder sechzig Zentner Gold mit Dollars oder Noten aufzuwiegen?“

„Alle Wetter! So viel? Man müßte sich einen Compagnon anschaffen oder auch zwei und drei; hm, so einen zum Beispiel, wie dieser Allan Marshall war, der mit einigen tausend Dollars hergekommen und mit einem wirklichen Reichtum fortgegangen ist. Der verstand sein Fach!“

„Wie?“

„Er hatte einen Gehilfen, den er zurückgelassen hat, weil er von ihm bestohlen wurde. Dieser hat alles erzählt. Den Staub und die kleineren Körner hat er in Sacramento zu Banknoten gemacht und die größten Nuggets in seinem Zelte vergraben. Dann war er plötzlich verschwunden, man weiß nicht wie und auch nicht wohin.“

„Hatte er Tiere in seinem Besitze?“

„Nur ein Pferd. Übrigens wurde er vorgestern gesucht.“

„Ah! Von wem?“

„Von drei Männern – zwei Weiße und ein Mulatte – die sich bei mir nach ihm erkundigten. Auch Ihr scheint ihn zu kennen?“

„Ein wenig, und darum wollten wir auch zu ihm. Wo gingen die Drei dann hin?“

„Sie suchten den Ort auf, wo sein Zelt gestanden hat; dann kamen sie zurück und saßen lange bei einem Stücke Papier, welches sie dort gefunden haben mußten. Ich sah einmal von ungefähr darauf und bemerkte, daß es eine Landkarte oder ein Plan sein müsse.“

„Und dann?“

„Fragten sie nach dem Short-Rivulet-Tale. Ich beschrieb es ihnen und den Weg dahin, und diesen haben sie auch eingeschlagen.“

„Den Short-Rivulet werden sie von hier aus nach einer bloßen Beschreibung schwerlich finden!“

„Kennt Ihr ihn?“

„Ich war einmal dort. Könnt Ihr uns den Platz nicht zeigen, wo das Zelt gestanden hat?“

„Ihr könnt ihn von hier aus sehen. Dort rechts am Hange bei den Dornsträuchern. Wenn Ihr hinkommt, bemerkt Ihr gleich die Feuerstelle und das Übrige.“

„Und wie heißt der Mann, der sein Diener gewesen ist?“

„Fred Buller. Er arbeitet im zweiten Plazer links, von oben herunter.“

Ich winkte Bernard. Wir verließen miteinander den Store und schritten den Bach hinauf. Bei dem angegebenen Plazer blieben wir halten. Es arbeiteten nur zwei Männer da.

Good day, Mesch’schurs! Ist hier bei euch ein Master Buller zu finden?“ fragte ich.

Yes, Sir; der bin ich!“ antwortete der Eine.

„Habt Ihr Zeit, mir auf einige Fragen zu antworten?“

„Vielleicht, wenn es gut lohnt. Bei dieser Arbeit kostet jede Minute ihr Geld.“

„Wie viel Geld wollt Ihr für zehn Minuten?“

„Drei Dollars.“

„Hier habt Ihr sie!“ sagte Marshall, ihm die Summe hinreichend.

„Danke, Sir; Ihr scheint mir generöse Gentlemen zu sein.“

„Vielleicht verspürt Ihr noch mehr von dieser Generosität, wenn Ihr unsere Fragen gut beantwortet!“ suchte ich ihn zu ködern.

„‚ Well, Sir; so fragt einmal!“

Dem Menschen sah der Spitzbube aus den Augen, Wie sollte ich ihn packen? Ich entschloß mich schnell, auch einmal den Halunken zu spielen:

„Wollt Ihr nicht ein wenig abseits mit uns kommen?“

„Alle Teufel, Sir; Ihr scheint gute Waffen zu haben!“

Aha, der Kerl hat ein böses Gewissen!

„Gute Waffen für unsere Feinde und gutes Geld für unsere Freunde. Wollt Ihr kommen?“

„Meinetwegen!“

Er stieg aus dem Wasser und kam mit uns auf die Seite.

„Es sind vorgestern drei Männer bei Euch gewesen?“

„Ja.“

„Zwei Weiße und ein Mulatte?“

„Ja. Warum?“

„Die Weißen waren Vater und Sohn?“

„Ja. Der Mulatte ist ein Bekannter von mir und auch von ihnen.“

„Ah!“ – Ich weiß nicht, woher mir der Gedanke kam, dem ich sofort Ausdruck gab: „Den Mulatten kenne auch ich. Er hat eine Messerwunde über seine rechte Wange?“

„Wirklich, Ihr kennt den Cap – Ihr kennt Sir Shelley! Wo habt Ihr ihn kennen gelernt?“

„Wir hatten Geschäfte miteinander, und ich möchte gern wissen, wo er hin ist.“

„Weiß es nicht, Sir!“

Er sprach mit diesen Worten die Wahrheit, das sah ich ihm an.

„Was wollten die Männer bei Euch?“ fragte ich weiter.

„Sir, es werden die zehn Minuten wohl bereits abgelaufen sein!“

„Noch nicht! Aber ich will Euch sagen, daß sie sich nach Eurem früheren Prinzipal, Master Marshall, erkundigt haben. Übrigens sollt Ihr bis zu Ende unserer Unterredung noch fünf Dollars haben!“

Bernard griff in die Tasche und gab sie ihm.

„Danke, Sir! Ihr seid andere Leute als diese Morgans und dieser Shelley, und ich werde Euch bessere Auskunft geben als ihm. Da Ihr mit ihm Geschäfte gemacht habt, so werdet Ihr auch wissen, wie filzig er ist. Er sollte doch einen Kameraden von Sid – – –“

Er stockte, beinahe erschrocken über das Wort, welches er begonnen hatte.

„Sidney-Coves, sagt es nur! Ich kenne das auch.“

„Auch? Nun seht, dann versteht Ihr jedenfalls zu beurteilen, was kleine Dienste oft zu bedeuten haben. Wohin die Drei sind, das weiß ich nicht, aber sie haben da drüben lange herum gesucht und ein Papier gefunden. Hätte Sir Shelley anders mit mir gesprochen, so hätte er andere Papiere bekommen.“

„Und wie muß man mit Euch sprechen, um diese zu bekommen?“

Er lachte niederträchtig und fügte bei – „Wie bisher!“

Also eine Unterhaltung mit Dollars! Der Kerl war jedenfalls ein ganz abgefeimter Bursche.

„Was sind es für Papiere?“ erkundigte ich mich.

„Briefe.“

„Von wem und an wen?“

„Hm, Sir, wie soll ich das sagen, ohne daß ich es weiß, ob Ihr auch wirklich in meiner Sprache mit mir reden werdet!“

„Sagt den Preis!“

„Hundert Dollars!“

„Nicht übel! Ihr unterschlagt die Briefe Eures Prinzipals, um sie diesem Kapitän der Bravos zu übergeben, und da dieser Euch zu wenig zahlt, unterschlagt Ihr weiter und behaltet die Briefe für Euch, weil Ihr denkt, daß, was Sir Shelley Nutzen bringt, auch Euch keinen Schaden tun werde. Ich sage Euch, das Ding kann Euch dennoch Schaden bringen! Wollt Ihr fünfzig?“

Ich hatte nur eine Vermutung ausgesprochen, die sich mir aus der einfachen Kombination dessen, was ich bisher gehört hatte, ganz von selbst bot; daß ich aber das Richtige getroffen hatte, sah ich der Miene des Mannes an. Er ging auch sofort auf mein Angebot ein:

„Nun sehe ich wirklich, daß Ihr mit dem Kapitän Geschäfte gemacht habt, da Ihr alles wißt. Deshalb will ich Euch nicht drücken und die fünfzig nehmen.“

„Wo sind die Papiere?“

„Kommt mit in unser Zelt!“

Wir gingen ein Stück zurück bis an das Ding, was dieser Mann unser Zelt nannte. Es bestand aus vier Erdwänden, über welche eine mehrfach durchlöcherte Filzdecke gespannt war. In jeder der vier Ecken befand sich ein Loch, welches als Spinde benutzt zu werden schien, denn Buller griff in eines derselben und brachte ein zerrissenes Tuch hervor, in welches er verschiedene Gegenstände eingeschlagen hatte. Er öffnete es und zog zwei Briefe heraus, die er mir entgegenstreckte. Ich wollte zugreifen, aber er zog schnell die Hand zurück.

„Halt, Sir. Erst das Geld!“

„Nicht eher, als bis ich wenigstens die Adressen gelesen habe.“

„Gut! Ich halte die Briefe und Ihr seht sie Euch an!“

Er hielt sie uns entgegen, und wir beide blickten zugleich darauf.

„Richtig,“ rief ich. „Gebt ihm das Geld, Bernard!“

Die Briefe waren an Bernards Vater adressiert, da Allan noch gar nicht wußte, daß derselbe ermordet worden war. Bernard zog das Geld eilig hervor, aber dennoch sah ich ihm an, daß es ihm wenigstens eigentümlich schien, eine Unterschlagung, die ihn jedenfalls sehr geschädigt hatte, noch mit einer solchen Summe belohnen zu müssen. Buller steckte das Geld mit höchst befriedigter Miene zu sich und wollte das Tuch zusammenschlagen. Da sahen wir Beide etwas Goldenes blinken, und sofort griff Bernard zu. Es war eine Uhr, die in einer gediegenen Goldkapsel stak.

„Was wollt Ihr mit meiner Uhr?“ fragte Buller.

„Sie einmal öffnen, um zu sehen, welche Zeit wir haben,“ antwortete Marshall.

„Sie ist nicht aufgezogen,“ meinte er, indem er hastig danach griff. „Gebt sie her, Sir!“

„Halt!“ antwortete ich und packte seinen Arm fest. „Wenn sie auch steht, werdet wenigstens Ihr vielleicht erfahren, welche Stunde es geschlagen hat!“

„Allans Uhr!“ rief Bernard.

„Wirklich? Wie kommt diese Uhr in Euere Hand, Mann?“ fragte ich.

„Geht Euch das etwas an?“ fragte er trotzig, indem er sich zu befreien suchte.

„Allerdings, denn dieser Gentleman ist der Bruder des Mannes, dem sie gehört hat. Also wie kommt Ihr zu der Uhr von Master Marshall?“

Der Mann befand sich in wirklicher Verlegenheit.

„Er hat sie mir geschenkt,“ antwortete er.

„Das ist eine Lüge!“ entgegnete Bernard. „Seht diese Steine, Charley! Eine Uhr für dreihundert Dollars schenkt man seinem Diener niemals.“

„‚ Well, Bernard; sucht einmal hier nach! Ich werde diesen Mann einstweilen festhalten.“

Ich hielt Buller an beiden Armen fest. Er suchte sich loszureißen, es gelang ihm aber nicht.

„Wer seid Ihr? Wer gibt Euch das Recht, in meinem Zelte eine Durchsuchung zu veranstalten? Ich werde um Hilfe rufen und Euch lynchen lassen!“ rief er aus.

„Macht keinen dummen Spaß, Mann, sonst könnte Master Lynch Euch selbst über den Hals kommen. Beim ersten Ruf, den Ihr tun solltet, drücke ich ein wenig fester zu!“ antwortete ich.

Ich hatte ihn mit der Linken beim Arme und mit der Rechten im Genick. Er befand sich vollständig in meiner Gewalt und sah, daß er sich fügen müsse.

„Ich finde weiter nichts!“ berichtete Bernard, als er fertig war.

„Nun also! Laßt mich los und gebt die Uhr heraus,“ sagte Buller.

„Sachte, sachte!“ antwortete ich. „Ich werde Euch noch halten, bis wir darüber einig sind, was mit Euch zu machen ist. Was meint Ihr, Bernard?“

„Er hat die Uhr gestohlen,“ antwortete dieser.

„Natürlich!“

„Er gibt sie her.“

„Ebenso natürlich!“

„Und seine Strafe?“

„Wollen es gnädig mit ihm machen. Ein Lynch kann uns nichts nützen; er mag also für die Unterschlagung und den Diebstahl die Briefe und die Uhr umsonst herausgeben.“

„Umsonst? Wie so!“

„Sehr einfach: er gibt die fünfzig, die fünf und auch die drei Dollars wieder heraus; das ist sehr gnädig von uns gehandelt. Greift nur getrost in seine Tasche; ich werde ihn festhalten!“

Das Geld wurde ihm trotz seines Sträubens wieder abgenommen; dann ließ ich ihn los. Kaum war dies geschehen, so rannte er aus dem Zelte hinaus, am Wasser hinunter und hinein in das Boardinghouse.

Wir gingen ihm langsam nach und vernahmen schon von weitem ein wütendes Geschrei. Jetzt verdoppelten wir unsere Schritte. Unsere Pferde standen vor der Tür, aber Bob war nicht zu sehen. Schnell traten wir ein und befanden uns auf dem Kampfplatze. In der einen Ecke stand Winnetou, mit der Linken den Uhrendieb bei der Kehle haltend und mit der Rechten die umgekehrte Büchse schwingend; neben ihm wehrte sich Sans-ear gegen einige Gäste. In der anderen Ecke befand sich Bob, dem die Büchse bereits entrissen worden war und der nun kräftig mit der Faust und mit dem Messer Widerstand leistete. Buller hatte, wie ich später erfuhr, die Miners aufgefordert, mich und Bernard gefangen zu nehmen, und Sam war diesem Vorhaben entgegengetreten. Da nun die Diggers noch wegen Jim ergrimmt waren und der Wirt die Überzeugung gewonnen hatte, daß mit Sans-ear kein Geschäft zu machen sei, so war unter seinem Schutze ein Angriff erfolgt, der den Dreien das Leben gekostet hätte, wenn wir Beide nicht zur rechten Zeit dazugekommen wären.

Winnetou und Sam konnten sich noch halten; wir mußten erst Bob heraushauen.

„Nur im Notfalle schießen; nehmt den Kolben, Bernard!“ sagte ich.

Mit diesen Worten warf ich mich auf die Diggers, und in kaum einer Minute war der Neger neben uns und hatte seine Büchse wieder in der Hand. Wie ein losgelassener Tiger sprang er nun auf die Feinde los. Dieselben hatten keine Schußwaffen; das war unser Glück.

„Ah, Charley,“ rief Sam; „weg jetzt mit den Kolben, und heraus zum Beispiel mit den Tomahawks! Nur flach aufschlagen!“

Wir folgten ihm. Das war nun kein Kampf, sondern eine Lust. Kaum blitzten unsere Schlachtbeile, und kaum hatten zwei oder drei ihren flachen Schädelhieb weg, so stob die ganze Schar zur Tür hinaus. Seit meinem Eintritt waren kaum zwei Minuten vergangen; jetzt befanden wir uns mit dem Wirt und Buller allein.

„Hast du diesem Manne wirklich die Uhr und das Geld gestohlen, Charley?“ fragte Sam.

„Pah! Er hat vielmehr Bernards Bruder die Briefe unterschlagen und ihm die Uhr gestohlen.“

„Und da laßt Ihr ihn laufen! Doch, das geht mich nichts an. Aber daß er diese Goldkäfer gegen uns gehetzt hat, das geht mich etwas an, und dafür soll er jetzt zum Beispiel seinen Lohn erhalten!“

„Du wirst ihn nicht töten, Sam!“

„Wär‘ der Kerl ja gar nicht wert! Festgehalten, Winnetou!“

Der Apache hielt den Mann so fest, daß er sich nicht zu rühren vermochte, Sam zog sein Messer und zielte. Ein kurzer Streich – ein Schrei Bullers – Sam hatte ihm die Nasenspitze abgehauen.

„So, mein Junge! Es ist nicht gut, wenn man erfahrene und ehrliche Westmänner lynchen will; denn steckt man seine Nase zum Beispiel in solche schlimme Angelegenheiten, so wird sie einem zuweilen abgeschnitten. Und unser Master Storeman? Dort ist er. Kommt doch einmal her, mein Lieber, und laßt mich sehen, wie viele Ellen Nase Ihr übrig habt!“

Mit dieser Aufforderung schien der Wirt nicht sehr zu sympathisieren. Er trat zögernd nur einen einzigen Schritt näher.

„Ich hoffe nicht, Gentlemen, daß Ihr meine Gastfreundschaft auf diese Weise belohnen werdet!“ sagte er.

„Gastfreundschaft! Nennt Ihr das Gastfreundschaft, wenn Ihr Euch für eine halbe Maß Erlen- oder Pottasche-Wasser drei Dollars bezahlen laßt?“

„Ich werde Euch das Geld sofort wiedergeben, Mesch’schurs!“

„Behaltet es, und habt keine Angst. Wer sollte fernerhin Porter und Ale kochen, wenn wir Euch das Handwerk legten? Nun aber fort, ihr Leute, sonst könnten uns die Goldwürmer zum Beispiel noch einmal auf den Nacken kommen!“

Damit war aber Bob nicht zufrieden.

„Massa Sam wollen gehen? Oh, ah, warum gehen und nicht strafen vorher Wirt für Gift und Operment? Nigger Bob werden strafen!“

Er packte eine der Flaschen und hielt sie dem Wirt vor.

„Trinken selbst Flasche hinein in Magen. Schnell, sonst Bob schießen tot Wirt!“

Der Wirt war gezwungen, die Flasche zu ergreifen und auszutrinken. Aber schon hielt ihm Bob eine zweite hin.

„Noch trinken eine!“

Auch diese wurde geleert.

„Wieder trinken eine!“

Auf diese Weise mußte der geängstigte Mann fünf Flaschen austrinken, und es war tragikomisch anzusehen, welch ein Mienenspiel er dabei produzierte.

„So, ah, oh, nun haben trinken Wirt fünfmal drei Dollars und haben in Leib viel gut‘ schön‘ Blausäure!“

Wir waren nun fertig. Winnetou ließ den Dieb los, der bisher unter dem festen Gurgelgriffe keinen Laut hatte von sich geben können, jetzt aber desto kräftiger zu heulen begann; wir schwangen uns auf unsere Pferde und ritten davon. Es war aber die höchste Zeit, denn unweit des Hauses begannen die Diggers, sich mit ihren Schießgewehren zu versammeln. Glücklicherweise aber waren sie noch lange nicht vollzählig, und so erreichten wir unangefochten den Sacramento.

„Wo liegt der Short-Rivulet?“ fragte Bernard.

„Einstweilen reiten wir am Flusse aufwärts,“ antwortete Sam.

So ging es im scharfen Trabe vorwärts, bis wir annehmen konnten, daß wir vor den Miners sicher seien.

„Jetzt halt!“ gebot Bernard. „Ich muß nun meine Briefe lesen!“

Wir stiegen ab und setzten uns. Marshall erbrach die Briefe und las sie.

„Es sind die beiden zuletzt geschriebenen,“ erklärte er; „Allan beklagt sich sehr, daß wir ihm keine Antwort zugehen lassen, und macht im letzten eine Bemerkung, die von großem Interesse für uns ist. Sie lautet:

„“- – – – übrigens mache ich hier noch bessere Geschäfte, als ich vorher dachte. Den Staub und die Golderbsen habe ich durch sichere Leute nach Sacramento und auch nach San Francisco geschickt, wo ich einen bedeutend höhern Preis erhalte, als ich selbst gebe. Auf diese Weise habe ich die Summe, welche mir zur Verfügung stand, verdoppelt. Jetzt aber verlasse ich den Yellow-water-ground, denn es gibt nicht mehr den vierten Teil der früheren Ausbeute, und außerdem ist der Weg so unsicher geworden, daß ich keine Sendung mehr riskieren kann. Ich vermute sogar aus verschiedenen Anzeichen, daß die Bravos meinem Zelte einen Besuch machen wollen. Daher werde ich ganz unerwartet von hier weggehen, ohne eine Spur zurückzulassen, da ich sonst gewärtig sein müßte, daß die Räuber mir folgen. Ich gehe mit mehr als hundert Pfund Nuggets von hier nach dem Short-Rivulet-Tale, wo höchst ergiebige Plazers entdeckt worden sind und ich in einem Monate dieselben Geschäfte machen kann, wie hier in der vierfachen Zeit. Von da gehe ich dann über die Lynn nach dem Humboldthafen, wo ich sicher ein Schiff finde, welches mich nach San Francisco zurückbringt – – –““

„Das stimmt also mit dem Short-Rivulet-Tale,“ ließ sich Sam vernehmen. „Ist das nicht eigentümlich, Charley? Diese Morgans haben das auch gewußt. Aber woher, he?“

„Jedenfalls hat auf dem Papiere, welches sie auf Allans Zeltplatze fanden, eine Andeutung gestanden.“

„Möglich,“ fiel Bernard ein. „Ich finde hier unten eine Stelle, welche uns vielleicht einen Anhalt bietet. Hört!“

„“– – – zumal ich keine zahlreiche Begleitung nötig habe. Nicht einmal einen Führer brauche ich, denn ich habe mir nach den neuesten Karten einen Reiseplan oder vielmehr eine Route vorgezeichnet, nach welcher ich mich mit Vertrauen richten darf. – – –““

„Sollte er diese Route verloren oder das Konzept derselben achtlos weggeworfen haben?“ fragte ich.

„Möglich,“ meinte Sam; „denn ein Westmann ist er doch nicht und hat also noch nicht gelernt, daß an dem kleinsten Umstande zum Beispiel das Leben hängen kann. Und wenn er glücklich hingekommen ist, fragt es sich dann, wie er mit den Schlangenindianern auskommt, die da oben ihre Dörfer und nach dem Lewis-Süd-Fork zu ihre Jagdgründe haben.“

„Sind sie so schlimm wie die Comanchen?“ erkundigte sich Bernard besorgt.

„Sie sind sich alle gleich, edel gegen den Freund und furchtbar dem Feinde. Wir übrigens brauchen keine Sorge vor ihnen zu haben, denn ich bin längere Zeit bei ihnen gewesen, und jeder Snake-Indsman kennt Sans-ear, wenn nicht persönlich, so doch dem Rufe nach.“

„Snake?“ fragte jetzt Winnetou. „Der Häuptling der Apachen kennt die Shoshones, die seine Brüder sind. Die Krieger der Shoshones sind tapfer und treu; sie werden sich freuen, zu sehen Winnetou, der das Calumet viele Male mit ihnen rauchte.“

Also zwei Sorgen waren auf einmal gehoben. Sowohl Winnetou als auch Sam waren Bekannte der dortigen Indianer, und beide kannten also auch die Gegend, in welcher das Short-Rivulet-Tal zu suchen war. Beide führten uns jetzt weiter.

Das Terrain, welches wir beschreiten mußten, war durchweg gebirgig, denn wir hatten das Sacramento-Tal bald verlassen und hielten auf die Berge von San Jose zu. Dies war ein beschwerlicher, aber der geradeste und kürzeste Weg, der es uns ermöglichte, den zwei Räubern vielleicht vorzukommen. Sie hatten zwar einen Vorsprung von zwei Tagen, aber ihr Weg war jedenfalls ein längerer, da wir sonst doch wohl ihre Spur getroffen hätten.

Von den Josefsbergen aus wandten wir uns gegen Nordost und gelangten eine volle Woche nach unserer Abreise vom Yellow-water-ground an einen mächtigen Bergstock, welcher mit einem Durchmesser von mehr als fünfzehn Meilen sich wie ein riesiger, abgestumpfter Kegel über das Gebirge erhob und an seinem Fuße dichte Laubhölzer, weiter oben aber sich von beinahe undurchdringlichem Nadelholz-Urwald bestanden zeigte.. Da oben lag grad in der Mitte seines Plateaus ein See, welcher seines finsteren Aussehens und seiner düsteren Umgebung wegen das black eye genannt wird. In ihn ergießt sich, von Westen herbeiströmend, der Short Rivulet.

Wie kam es, daß dort oben Gold zu finden war? Von andern Höhen konnte es nicht herabgespült worden sein, vielmehr mußte es einen plutonischen Ursprung haben. Die Gewalten des Erdinnern hatten bei dem Emportreiben dieses mächtigen Gebirgsstockes die goldenen Schätze der Unterwelt mit emporgeworfen, und es ließ sich sehr leicht denken, daß dort statt des goldhaltigen Sandes ganze Adern und Nester vorhanden seien, die eine größere Ausbeute gaben, als selbst das Tal des berühmten Sacramento.

Wir traten beim Ersteigen des Gebirges in eine Wildnis ein, welche so urwüchsig uns entgegenstarrte, daß wir beinahe den Mut verloren, in das unüberwindlich scheinende Gewirr von Fels und Waldung einzudringen. Aber je weiter wir kamen, desto besser ging es. Das beschwerliche Unterholz verlor sich nach und nach, und endlich ritten wir in einem riesigen Dome, dessen Decke aus dichtem Laubgewinde bestand und dessen Millionen von Säulen – so stark, daß eine von ihnen kaum von drei Männern umklaftert werden konnte – oft zwölf und mehrere Ellen auseinander standen.

Ein solcher Urwald macht auf das empfängliche Gemüt ganz denselben Eindruck, den das Gotteshaus auf ein Kind hervorbringt, welches dasselbe zum erstenmale betritt.

„Du hast die Säulen dir aufgebaut
Und deine Tempel gegründet;
Wohin mein gläubiges Auge schaut,
Es dich, Herr und Vater, nur findet!“

So hallt, webt und weht es einem aus allen Richtungen entgegen; das Herz wird weit und groß; der Glaube schlägt seine Wurzeln tiefer und fester, und der Sohn des Staubes dünkt sich so klein wie der Wurm, der sich dort vergeblich bemüht, an der Rinde der gigantischen Eiche emporzuklimmen. Ehe er die Spitzen derselben erreicht, ist er längst tot; so auch der Mensch, der sich Herr der Schöpfung dünkt und doch nur von der Gnade Gottes den obersten Platz unter den sterblichen Kreaturen als unverdientes Geschenk erhielt.

So ritten wir langsam und stetig empor, bis wir das Plateau erreichten. Nun war es leichter, rasch vorwärts zu kommen, und eben als es Abend wurde, erreichten wir das südliche Ufer des Schwarzauges, dessen tiefe und unbewegliche Wasser uns entgegen phosphoreszierten wie ein Rätsel, dessen Lösung den unvermeidlichen Tod mit sich bringt.

Für das Tal gab es keine Sonne mehr; hier oben aber war die Dämmerung eben erst angebrochen, und es wäre uns recht gut möglich gewesen, einen Teil des Ufers noch abzusuchen.

„Reiten wir weiter?“ fragte Marshall, welcher sich sehnte, das Wiedersehen mit seinem Bruder zu feiern.

„Meine Brüder werden hier lagern,“ antwortete Winnetou in seiner kurzen und bestimmten Weise.

Well,“ stimmte Sam bei. „Hier gibt es prachtvolles Moos für uns zum Lagern und am Wasser auch Gras für die Pferde. Und wenn wir uns einen versteckten Ort aussuchen, wozu es zum Beispiel später keine Zeit mehr wäre, können wir sogar ein kleines indianisches Feuer machen, um den Puter zu braten, den Bob heut geschossen hat.“

Ja, Bob hatte heut wirklich zum ersten Male einen Braten geschossen, und er war nicht wenig stolz auf diesen unumstößlichen Beweis, daß er ein höchst nützliches Mitglied unserer Gesellschaft sei. Nach einigem Suchen fanden wir einen Platz, wie Sam ihn wünschte, und wir lagerten uns.

Bald brannte das Feuer, und Bob war emsig beschäftigt, dem charakteristischen Vogel Nordamerikas sein Federkleid auszuziehen. Unterdessen wurde es nun wirklich Nacht – pechschwarze Nacht, und die leise flackernde Flamme ließ uns die Bäume, Äste und Zweige der Umgebung in grotesken Gestaltungen erscheinen. Jetzt war auch der Puter gebraten. Wir hielten eine köstliche Mahlzeit und schliefen dann ruhig bis früh.

Am Morgen brachen wir auf und gelangten bald in das Tal des Short-Rivulet. Es war nicht lang, wie ja auch sein Name sagte. Der Bach hat nur schwachen Zufluß von wenigen hügelförmigen Höhen her, und es schien, daß er während der warmen Jahreszeit ganz vertrocknete.

Wir fanden zerstörte Zelte, aufgewühlte Plazers, zerrissene Erdhütten und überall die Spuren eines heftigen Kampfes.

Kein Zweifel, die Goldgräber waren von Räubern überfallen worden. Aber wir sahen keine Leichen.

Nach längerem Suchen bemerkten wir drüben unter den Bäumen des Urwaldes ein größeres Zelt. Es war auch zerrissen, zerschnitten und zerfetzt. Keine einzige Spur, kein Fund, kein einziger kleiner Gegenstand verriet, wem es gehört hatte.

Wie enttäuscht war Bernard, welcher vollständig überzeugt gewesen war, seinen Bruder hier zu finden!

„Hier hat Allan gewohnt,“ behauptete er.

Er ahnte es, und die Ahnung mochte ihm wohl das Richtige sagen. Wir umritten das rings vom Urwald eingefaßte Tal und trafen die Spuren der abgezogenen Räuber; sie führten nach dem Westabhange des Gebirgsstocks zu.

„Allan wollte von hier aus über die Lynn nach dem Humboldtshafen. Die Räuber sind ihm nach!“ meinte Bernard.

„Gewiß; vorausgesetzt, daß er entkommen ist,“ antwortete ich. „Der Umstand, daß wir keine Leiche sehen, beweist noch nicht, daß die Überfallenen entkommen sind. Ich denke, die Toten wurden in den See geworfen.“

Tief unter den Wassern des Black-eye lagen wohl jetzt die Männer, welche von Reichtum, Glück und Genuß geträumt hatten. Der finstere Dämon, Gold genannt, hatte sie aus ihren Träumen gerissen und in den Tod gestürzt!

„Und wer waren die Mörder?“ fragte Marshall grimmig.

„Der Mulatte und die beiden Morgans, die uns so lange Zeit entgangen sind, trotzdem wir uns an ihre Fersen geheftet haben.“

„Jetzt aber werden sie unser,“ behauptete Sans-ear, „und dann gehören sie keinem Anderen als Sam Hawerfield, der seine Abrechnung mit ihnen zu halten hat.“

„Also vorwärts, und ihnen nach!“

Die Fährte war nicht so deutlich, daß wir die einzelnen Spuren hätten zählen können; weiter unten aber hatte sich im Hochwalde ein jeder seine eigene Bahn gesucht, und wir zählten zwanzig Tiere. Ich betrachtete die Eindrücke eine ganze Strecke lang genauer. Das Ergebnis war:

„Es sind sechzehn Reiter und vier bepackte Maultiere. Die Hufe der letzteren haben sich schärfer abgezeichnet, und Maultiere sind es, dies sieht man genugsam daraus, daß sie öfters störrisch gewesen sind. Die Räuber werden also nicht so schnell vorwärts kommen wie wir, und so ist alle Hoffnung vorhanden, daß wir an sie kommen, noch ehe sie Allan ereilen.“

Am Nachmittag erreichten wir die Stelle, an der sie ihr erstes Nachtlager gehalten hatten. Wir setzten unsern Ritt so lange fort, als wir die Fährte erkennen konnten, und legten uns dann nur auf einige Stunden zur Ruhe. Bei Tagesgrauen ging es schon wieder weiter, und bereits am Vormittag kamen wir an die Stelle ihres zweiten Nachtlagers. Wir waren ihnen also bereits um einen Tag näher gerückt.

Am Abend wollten wir den oberen Sacramento erreichen, der hier von der Shasta niederströmt, und durften dann hoffen, die Bravos morgen einzuholen; aber wir gerieten auf ein höchst unangenehmes Hindernis. Nämlich die Fährte teilte sich. Der Sacramento macht hier einen weiten Bogen, und grad auf die Mitte dieses Bogens hielten wir zu. Nun aber ging die Spur der vier Maultiere und von sechs Reitern nach links ab, um den Bogen abzuschneiden, während die Anderen die vorige Richtung beibehalten hatten.

All devils, das ist fatal,“ meinte Sam. „Ist das eine Kriegslist oder ist es zum Beispiel nur Zufall?“

„Uns gegenüber gewiß nur Zufall,“ antwortete ich.

„Aber weshalb teilen sie sich?“ fragte Bernard.

„Das ist sehr leicht einzusehen,“ antwortete ich. „Die Maultiere, welche die am Black-eye gemachte Beute tragen, sind den Bravos am schnellen Vorwärtskommen hinderlich; darum wird der Transport vorausgeschickt, während die Anderen nun mit vermehrter Eile Allan nachjagen. Haben sie ihm das Seinige abgenommen, so wird es wohl am Sacramento einen Ort geben, an welchem man sich wieder trifft.“

Well, so lassen wir die Maultiere zum Beispiel laufen, und machen uns mit vermehrter Eile hinter die Andern her. Meine Tony hat es bereits längst schon übel genommen, daß wir wie Schnecken ziehen!“

„Schöner Schneckenritt! Übrigens gibt es hier noch eins zu bedenken, Sam. Welchen von den beiden Morgans willst du für dich haben?“

Zounds, wie du nur noch fragen kannst, Charley; alle Beide natürlich!“

„Hm, das wird nicht gut gehen!“

„Warum?“

„Die Maultiere tragen Gold. Wenn Fred Morgan sie von sich schickt, wem wird er sie denn anvertrauen?“

„Nun?“

„Natürlich sonst niemand als seinem Sohne.“

„Da hast du Recht! Aber was machen?“

„Welchen möchtest du eher haben?“

„Den Alten!“

„Nun gut; dann also vorwärts und gradaus!“

Wir setzten wirklich zur vorhergedachten Zeit über den Sacramento und hielten dann drüben unser Lager. Dann ging es am Morgen weiter in das Land hinein, immer der Fährte nach, welche stets deutlich blieb. Am Mittag erreichten wir die Ebene, und die Spuren waren so frisch, daß die Truppe kaum noch fünf Meilen vor uns sein konnte.

Jetzt strengten wir unsere Pferde zu einem letzten Ritt an. Wir mußten den Verfolgten so nahe kommen, daß wir uns an ihr Nachtlager schleichen konnten. Wir befanden uns Alle in einer beinahe fieberhaften Aufregung; wir hatten ja nun die Mörder, denen wir so lange vergeblich nachgejagt waren, zum Greifen vor uns. Mein Rapphengst trug mich immer voran; hart hinter mir kam der Klepper des Apachen. Da, was ist das? Eine solche Menge von Pferdespuren, daß hier wenigstens hundert Reiter gewesen sein mußten. Der Boden zeigte Spuren eines Kampfes, und an einer großblätterigen Pflanze sah ich sogar Blut kleben!

Wir durchforschten den Platz genau. Links hinüber führten die Spuren dreier Pferde in die Ebene, während eine breite Hufbahn gradaus ging.

Wir folgten der breiten Bahn, und zwar in höchster Eile. Die Reiter waren jedenfalls Indianer gewesen, und da Allan keinen großen Vorsprung hatte, konnte er recht gut in ihre Hände geraten sein. Noch nicht weiter als eine Meile waren wir gekommen, so sahen wir die Zelte eines Indianerlagers vor uns.

„Shoshones!“ rief Winnetou.

„Schlangenindianer!“ stimmte Sam bei, und wir ritten, ohne anzuhalten, in das Lager ein.

In der Mitte desselben standen mehr als hundert Krieger um einen Häuptling versammelt. Als sie uns kommen sahen, griffen sie zu ihren Büchsen und Tomahawks und öffneten den Kreis.

„Ko-tu-cho!“ rief Winnetou, auf den Häuptling zusprengend, als wolle er ihn über den Haufen reiten; einen einzigen Schritt vor ihm aber parierte er sein Pferd.

Der Angeredete hatte bei dem waghalsigen Reiterstückchen Winnetous mit keiner Wimper gezuckt, jetzt aber streckte er die Hand aus.

„Winnetou, der Häuptling der Apachen! Es kehrt Freude ein bei den Kriegern der Shoshones und Wonne in dem Herzen ihres Häuptlings, denn Ko-tu-cho hat sich gesehnt wiederzusehen seinen tapferen Bruder!“

„Und mich,“ rief Sam. „Kennt der Häuptling der Schlangen nicht mehr Sans-ear, seinen Freund?“

„Ko-tu-cho kennt all seine Freunde und Brüder. Sie seien willkommen in den Wigwams seiner Krieger!“

Da ertönte seitwärts ein gräßlicher Schrei. Ich wandte mich um und sah Bernard bei einer menschlichen Gestalt am Boden knien. Schnell trat ich hinzu. Der da neben der Hütte lag, war tot; eine Kugel war ihm in die Brust gegangen. Es war ein Weißer, und er sah Bernard so ähnlich wie ein Bruder dem andern – ich wußte Alles!

Auch die Andern kamen herbei. Keiner sprach ein Wort. Bernard kniete lautlos neben dem Ermordeten, küßte ihn auf Lippen, Stirn und Wangen, streichelte ihm das wirre Haar aus dem Gesicht und schlang die Arme um seinen Nacken. Dann erhob er sich.

„Wer hat ihn getötet?“ fragte er.

Der Häuptling antwortete:

„Ko-tu-cho sandte seine Krieger aus, ihre Rosse zu üben; da sahen sie drei Bleichgesichter kommen und hinter ihnen andere Bleichgesichter als Verfolger. Wenn vierzehn Männer drei Männer verfolgen, so sind die vierzehn Männer nicht gut und tapfer; daher eilten die roten Krieger den dreien entgegen, um ihnen zu helfen. Aber die vierzehn schossen auf die Weißen, und dieses Bleichgesicht wurde getroffen. Da nahmen die roten Krieger elf gefangen und drei entkamen. Dieses Bleichgesicht aber starb in ihren Armen, und die beiden, die mit ihm waren, ruhen aus auf den Matten des Wigwams.“

„Ich muß sie sehen, auf der Stelle! Dieser Tote ist mein Bruder, ist der Sohn meines Vaters,“ fügte Bernard hinzu, an die weitere Bedeutung denkend, welche bei den Wilden das Wort Bruder hat.

„Mein weißer Bruder ist gekommen mit Winnetou und Sans-ear, den Freunden der Shoshonen, darum wird Ko-tu cho tun, was er begehrt. Er folge mir!“

Wir wurden in ein großes Zelt geführt, in welchem die Gefangenen lagen, mit Riemen an Händen und Füßen gebunden. Der Mulatte war dabei: er hatte eine Narbe über die rechte Wange. Die beiden Morgans waren nicht zu sehen.

„Was werden meine roten Brüder mit diesen Bleichgesichtern tun?“ fragte ich.

„Mein weißer Bruder kennt sie auch?“

„Ich kenne sie; es sind Räuber, welche den Tod vieler Männer auf ihrem Gewissen haben.“

„So mögen meine weißen Brüder über sie richten.“

Ich tauschte mit den Andern einen Blick des Einverständnisses und antwortete:

„Sie haben den Tod verdient, doch fehlt uns die Zeit, sie zu richten. Wir übergeben sie unseren roten Brüdern.“

„Mein Bruder tut recht daran!“

„Wo sind die beiden Weißen, welche bei dem Toten waren?“

„Meine Brüder mögen mir folgen!“

Wir wurden in ein zweites Zelt geführt, in welchem zwei Männer im Schlafe lagen; sie waren wie Tropeiros gekleidet. Sie wurden geweckt, aber ihre Antworten überzeugten uns, daß sie in einem rein dienstlichen Verhältnisse zu Allan gestanden hatten und uns nur über Äußerlichkeiten Auskunft erteilen konnten. Wir kehrten wieder zu dem Toten zurück.

Bernard hatte während der letzten Monate eine harte Schule durchgemacht; er war äußerlich und innerlich stärker geworden, aber seine Hände zitterten dennoch, als er die Taschen des so lange gesuchten Bruders untersuchte. Er entnahm ihnen Alles, was sie enthielten. Er betrachtete jeden einzelnen der ihm bekannten Gegenstände, und als er das Taschenbuch aufschlug und die lieben Schriftzüge erblickte, küßte er die Blätter und brach in ein bitteres Schluchzen aus. Ich stand neben ihm und konnte nicht verhindern, daß auch mir die Tränen über die Wangen rannen.

Die Shoshonen standen dabei, und in den Mienen des Häuptlings zuckte es wie Verachtung über unsere Schwäche. Winnetou mochte das nicht leiden; er deutete auf uns:

„Der Häuptling der Shoshonen denke nicht, daß diese Männer Weiber sind. Der Bruder dieses Toten hat gekämpft mit den Pfahlmännern und Comanchen und eine starke Hand gezeigt, und mein roter Bruder kennt dieses Bleichgesicht: es ist Old Shatterhand.“

Ein leises Gemurmel durchlief die Reihen der Schlangenindianer, und ihr Häuptling trat näher und bot uns seine Hand.

„Dieser Tag wird gefeiert werden in allen Wigwams der Shoshonen. Meine Brüder werden bleiben in unsern Hütten; sie werden von unserm Fleische essen, die Pfeife der Freundschaft mit uns trinken und schauen die Spiele unserer Krieger.“

„Die weißen Männer sind die Gäste der roten Brüder, aber nicht heut, sondern sie werden wiederkommen. Sie werden zurücklassen die Leiche und die Habe ihres erschlagenen Bruders und sofort nachjagen den entflohenen Mördern,“ antwortete ich.

„Ja,“ bestätigte Bernard, „ich lasse Allan und seine Diener hier zurück und werde keine Minute länger warten. Wer geht mit zur Verfolgung?“

„Wir Alle natürlich!“ meinte ich.

Auch Winnetou und Sam schritten zu ihren Pferden. Der Häuptling gab den Seinigen einige leise Befehle; ein prächtiges, indianisch aufgezäumtes Roß wurde ihm gebracht.

„Ko-tu-cho wird gehen mit seinen Brüdern. Das Eigentum des toten Bleichgesichts wird aufbewahrt werden im Wigwam des Häuptlings, und seine Frauen werden weinen und singen für den Toten!“

Das war ein kurzer Besuch bei den tapfern Snakes; wir nahmen eine tüchtige Kraft mit fort zur Verfolgung der Räuber.

Ihre Spur war leicht zu sehen. Sie hatten wenig über zwei Stunden Vorsprung; aber es war, als ob unsere Pferde unsere Absicht verständen: – sie fegten über die Ebene, daß die Funken gesprüht hätten, wenn der Boden ein steiniger gewesen wäre. Nur Bobs Brauner zeigte sich ermüdet, aber der Neger trieb das Tier unaufhörlich an, daß es Schritt halten mußte.

„Hoh, hüh, hüüh!“ brüllte er. „Pferd müssen laufen, müssen viel rennen, daß Bob erwischen Mörder von gut Massa Allan!“

Wir brausten dahin.

Die Mitte des Nachmittages war bereits da, und die Fliehenden mußten vor Einbruch des Abends erreicht werden. So ging es fort über drei Stunden lang. Da stieg ich denn doch vom Pferde, um die Spur zu untersuchen. Sie erschien außerordentlich scharf, obgleich der Boden mit dichtem, kurzen Grase bedeckt war; noch kein einziger Halm hatte sich aufgerichtet. Die Räuber konnten also höchstens eine Meile von uns entfernt sein.

Jetzt nahm ich von Zeit zu Zeit mein Fernrohr zur Hand, um in der Richtung der Fährte den Horizont abzusuchen. Da, endlich erblickte ich drei Punkte, welche sich scheinbar langsam vor uns her bewegten. „Da vorn sind sie!“

„Halloo, drauf!“ rief Bernard und trieb sein Pferd an.

„Halt!“ rief ich ihm zu. „Damit ist uns nicht gedient. Wir müssen sie umfangen. Mein Hengst und das Pferd des Häuptlings der Schlangen halten den Ritt noch aus. Ich reite rechts, Ko-tu-cho links; in zwanzig Minuten haben wir sie überholt, ohne daß sie uns bemerken, und dann reitet ihr auf sie los.“

„Uff!“ rief der Häuptling der Shoshonen, und wie von einer Sehne geschnellt, flog er nach links hinüber.

Ich ebenso nach rechts, und in zehn Minuten hatte ich unsere Gefährten, obgleich sie ebenfalls vorwärts ritten, aus den Augen verloren. Ich mußte mich bereits parallel mit den Verfolgten befinden. Mein Hengst zeigte trotz der Anstrengungen der letzten Tage keine Ermattung; er hatte keinen Flocken Schaum vor seinem Maule und keinen Anflug irgend eines Schweißes auf seiner glatten Haut und fegte dahin, so elastisch, als ob sein schön gebauter Körper aus lauter Gummi bestände.

Nach fünfzehn Minuten bog ich links ein, und nach weiteren fünf Minuten sah ich durch das Rohr die drei Mörder seitwärts hinter mir und den Häuptling der Schlangenindianer, wenn auch ein wenig zurück im Verhältnisse zu mir, gleichfalls vor ihnen. Er hielt jetzt auf sie zu, und ich tat dasselbe.

Da wir uns nun gegenseitig entgegenritten, bemerkten sie uns sehr bald. Sie blickten hinter sich – und sahen sich hier auch verfolgt; es gab für sie nur eine Art des Entkommens, das Durchbrechen. Sie wandten sich hinüber zu dem Shoshonen.

„Jetzt halte aus, mein Rappe!“

Jenen schrillen, scharfen Schrei ausstoßend, der ein indianisch dressiertes Pferd zur Aufbietung seiner ganzen Kraft und Schnelligkeit antreibt, warf ich den Arm empor und stellte mich aufrecht in die Bügel, um dem Tiere die Last und das Atmen zu erleichtern. Es war ein Ritt, wie man ihn nur macht, wenn der Savannenbrand hinter dem Reiter hertobt.

Da hielt der Eine, in dem ich sofort Fred Morgan erkannte, sein Pferd an und legte die Büchse an die Wange. In demselben Augenblick, in welchem es aufblitzte, stürzte der Häuptling, wie vom Wetter getroffen, samt dem Pferde zur Erde. Ich glaubte, daß der Schuß ihn oder sein Pferd getötet habe, und stieß einen Schrei der Wut aus; ich hatte mich aber geirrt, denn schon im nächsten Moment saß er wieder auf und stürmte mit geschwungenem Tomahawk auf die Drei ein. Es war eines jener Kunststücke gewesen, zu welchen die Indianer ihre Pferde jahrelang dressieren. Sein Pferd war abgerichtet, auf ein bestimmtes Wort sich blitzschnell zur Erde zu werfen; dann mußte die Kugel über Beide hinwegfliegen.

Eben schlug er den Einen nieder, als ich auf Fred Morgan einstürmte. Ich mußte ihn lebendig haben und achtete nicht darauf, daß er seine Büchse, deren anderer Lauf noch geladen war, auf mich richtete. Sein Pferd stand nicht ruhig; der Schuß krachte, und die Kugel fuhr durch den Ärmel meines Jagdrockes.

„Hurra, hier ist Old Shatterhand!“ rief ich.

Der Lasso sauste; mein Pferd warf sich herum und galoppierte rückwärts; ich fühlte einen starken Ruck, doch lange nicht so stark wie damals bei der Büffelkuh des ehrenwerten Don Fernando de Venango e Colonna de Molynares de Gajalpa y Rostredo, und blickte um mich. Die Schlinge hatte ihm beide Arme an den Leib gezogen und riß ihn hinter mir her. Zu gleicher Zeit sah ich, daß auch Sam mit den beiden Andern den Platz erreicht hatte. Der dritte Räuber schoß auf Bernard, wurde aber in einem und demselben Augenblicke von der Kugel Sams und des Häuptlings niedergestreckt.

Ich sprang ab. Endlich hatten wir Fred Morgan! Er war durch den Sturz vom Pferde betäubt. Ich nahm meinen Lasso von ihm ab und band ihn mit seinem eigenen. Nun waren auch die Andern da. Bob war der Erste, der vom Pferde sprang; er zog das Messer.

„Oh, ah, da sein Nigger Bob mit Messer, der stechen langsam zu Tode schlecht‘ bös‘ Räuber und Mörder!“

„Stopp!“ rief Sam, ihn bei der Hand erfassend. „Dieser Mann ist mein!“

„Sind die Andern tot?“ fragte ich.

„Beide!“ antwortete Bernard, dem das Blut von seinem rechten Schenkel niederlief.

„Seid Ihr verwundet?“

„Bloß gestreift.“

„Das ist trotzdem schlimm, da wir noch einen weiten Ritt vor uns haben. Wir müssen ja den Maultieren nach! Was tun wir mit Morgan?“

„Er ist mein,“ antwortete Sam, „und so habe ich über ihn zu bestimmen. Ich übergebe ihn Master Bernard und Bob, die ihn nach dem Lager der Shoshonen bringen und dort bewachen, bis wir zurückkehren. Bernard ist verwundet und hat zum Beispiel mit seinem Bruder zu schaffen; Bob muß bei ihm sein, und wir Vier sind, wie ich denke, Manns genug für die sechs Männer bei den Maultieren.“

„Der Plan ist gut, also rasch!“

Morgan wurde sorgsam auf sein Pferd gebunden; Bernard und Bob nahmen den Gefangenen in ihre Mitte und kehrten nach dem Lager der Shoshonen zurück. Wir aber blieben, um unsere Pferde zunächst verschnaufen und ein wenig weiden zu lassen.

„Lange dürfen wir nicht verweilen,“ meinte ich. „Wir müssen den Tag noch benutzen, um vorwärts zu kommen.“

„Wohin gehen meine Brüder?“ fragte Ko-tu-cho.

„Nach dem Wasser des Sacramento zwischen den Bergen von San John und San Josef,“ antwortete Sam.

„So mögen sie nicht Sorge haben! Der Häuptling der Shoshonen kennt jeden Schritt des Weges nach diesem Wasser. Sie können ihre Tiere grasen lassen und dann des Nachts reiten.“

„Wir hätten diesen Morgan doch nicht so schnell fortschicken, sondern ihn erst ausfragen sollen,“ bemerkte Sam.

„Warum?“

„Wir konnten ihn verhören.“

„Das werden wir später tun, oder vielmehr, das brauchen wir gar nicht zu tun. Seine Schuld ist zehnmal erwiesen.“

„Aber wir konnten von ihm erfahren, wo er mit den Maultieren zusammentreffen wollte!“

Pshaw! Glaubst du wirklich, daß er uns das gesagt hätte?“

„Möglich!“

„Nein. Er wird uns seinen Sohn und die geraubten Schätze nicht an das Messer liefern, besonders da er sehr genau weiß, daß er damit sein Schicksal nicht zu ändern vermag.“

„Mein Bruder Shar-Iih hat recht!“ bestätigte auch Winnetou. „Und die Augen der roten und weißen Jäger sind scharf genug, um zu finden die Spuren der Maultiere.“

Da hatte er allerdings nicht ganz unrecht, doch hätten wir sicher Zeit erspart, wenn wir den Ort erfahren konnten.

„Wen suchen meine Brüder?“ fragte der Shoshone, ganz gegen die sonstige Gewohnheit dieser Leute, welche Fremden gegenüber niemals Neugierde verraten. Hier aber befand er sich bei Männern, die er sich ebenbürtig dachte, und konnte also von der sonst gebotenen Zurückhaltung abweichen.

„Die Gefährten der Räuber, welche von den Kriegern der Shoshonen gefangen wurden.“

„Wie viel sind es?“

„Sechs.“

„Die wird ein Einzelner meiner Brüder töten. Wir werden sie finden und zu den Übrigen versammeln.“

Als die Dämmerung hereinbrechen wollte, waren unsere Pferde so frisch, daß wir sie von Neuem anstrengen durften. Wir saßen auf und überließen uns der Führung des Häuptlings, welcher während des Abends und der ganzen Nacht uns voranritt und dabei eine Sicherheit bekundete, die uns die Wahrheit seiner Worte bewies, daß er jeden Schritt des Weges kenne.

Die Prairie lag längst hinter uns. Wir hatten bald Berge zu erklimmen, bald Täler zu durchreiten und bald kurze Wald- oder Savannenstrecken zu durchschneiden. Nach einer Rast, welche wir am Morgen hielten, folgten wir der eingeschlagenen Richtung, bis wir das Tal des Sacramento vor uns sahen.

Wir ritten in dasselbe hinab. Grad vor uns lag an einer Stelle, von welcher aus sich links und rechts ein Seitental in die Berge zog, ein aus Erdmauern, die mit Brettern verkleidet waren, aufgeführtes Haus, dessen Türüberschrift es als Hotel bezeichnete. Der Besitzer desselben hatte einen sehr günstigen Punkt für seine Niederlassung gewählt; das zeigte die Frequenz, deren er sich zu erfreuen haben mochte, denn vor dem Hause stand eine Menge von Karren, Reit- und Lasttieren, und das Innere desselben mochte wohl nicht alle Gäste fassen, da die im Freien angebrachten Tische und Bänke sehr zahlreich besetzt waren.

„Gehen wir dort hinein, um uns zu erkundigen?“ fragte mich Sam.

„Hast du noch Nuggets für Ale aus Burton in Staffordshire?“ entgegnete ich ihm lachend.

„Habe noch einiges von dieser Sorte!“

„So gehen wir hinein!“

„Hinein nicht, sondern bloß hin, wenn es dir gefällig ist; denn ich liebe zum Beispiel nichts so sehr wie eine Handvoll freier, frischer Luft.“

Wir ritten hinzu, banden unsere Pferde an und setzten uns in einen Bretterverschlag, über welchem die stolze Inschrift Veranda prangte.

„Was trinken die Herren?“ fragte der herbeieilende Ganymed.

„Bier. Was kostet es?“

Aha, der gute Sam war heut vorsichtiger, als damals im Yellow-water-ground.

„Porter einen halben Dollar, Ale ebenso.“

„Dann Porter!“

Er brachte vier Flaschen und eben wollte trotz seiner Eilfertigkeit Sam die Erkundigung beginnen, als ich einen Blick durch das Loch warf, welches auf der Straßenseite als Fenster diente, und ihm schleunigst einen Wink gab.

Das eine Seitental herab kamen nämlich sechs Reiter, von denen zwei vier Maultiere am Zügel führten, und der Vorderste war kein Anderer als Patrik Morgan. Sie hielten auf das Hotel zu, banden ihre Tiere an und setzten sich dann an einen Tisch, welcher draußen unter unserm Fenster stand. Besser und bequemer konnten wir es uns ja gar nicht wünschen!

Aber warum waren ihre Maultiere nicht mehr beladen? Sicher hatten sie die geraubten Gegenstände in irgend einem Versteck untergebracht und begaben sich nun nach dem Stelldichein, an welchem sie mit ihren Gefährten zusammentreffen wollten.

Sie bestellten Brandy und begannen dann ihre Unterhaltung, von welcher wir jedes Wort verstanden.

„Ob wir Euren Vater und den Kapitän schon treffen werden?“ fragte der Eine.

„Möglich,“ antwortete Patrik. „Sie konnten rascher reiten als wir, und werden mit diesem Marshall wohl leicht fertig geworden sein. Er hatte ja bloß zwei Begleiter.“

„Ein höchst unvorsichtiger Mensch; solche Schätze bei sich führen und nur zu dreien reisen!“

„Desto besser für uns! Unvorsichtig scheint er überhaupt stets gewesen zu sein, sonst hätte er im Yellow-water-ground nicht seinen geschriebenen Reiseplan weggeworfen. Aber, alle Teufel, was ist denn das!“

„Was?“

„Seht Euch einmal dort die Pferde an!“

„Drei prächtige Tiere; aber das vierte ist ja ein wahres Unikum. Welcher vernünftige Mensch setzt sich auf eine solche miserable Kreatur!“

Sam ballte die Faust.

„Werde euch bekreaturen, daß euch zum Beispiel die Seele aus der Haut fahren soll!“ brummte er.

„Ja, ein Unikum ist es allerdings, dieses Pferd; trotz seines häßlichen Aussehens ist es eines der bekanntesten und berühmtesten Pferde des wilden Westens. Wißt Ihr, wem es gehört?“

„Nun?“

„Sans-ear.“

„Alle Wetter! Der soll allerdings einen solchen Ziegenbock reiten!“

„Dieser Kerl ist also wirklich hier! Trinkt aus! Ich habe einmal ein kleines Zusammentreffen mit ihm gehabt und mag mich nicht von ihm erkennen lassen.“

„Wirst es aber doch nicht umgehen können,“ murmelte Sam.

Die Sechs stiegen auf und ritten talabwärts davon.

„Das sind die Männer, welche wir suchen,“ erklärte ich dem Shoshonen. „Meine beiden roten Brüder werden sie überholen, und ich folge mit Sam nach. Dann nehmen wir sie zwischen uns.“

„Uff!“ antwortete er und stand auf.

Er und Winnetou stiegen zu Pferde. Sam bezahlte das Porterbier, welches gar nicht so übel gewesen war, und dann ritten wir hinterdrein, uns immer so haltend, daß wir vor den Blicken der Verfolgten gedeckt waren.

Die Gegend wurde schnell einsam, und als wir ein Terrain erreichten, wo uns kein Gebüsch und keine Ecke des Weges mehr verbergen konnte, ließen wir unsere Pferde weit ausgreifen. Wir erreichten die Galgenvögel, ehe sie sich nur recht bewußt wurden, daß es ihnen galt. Hart vor ihnen befand sich Winnetou mit Ko-tu-cho.

Good day, Master Merkroft!“ grüßte Sam. „Sind das noch immer die Pferde, die ihr den Comanchen gestohlen habt?“

s‘ death!“ fluchte der Angeredete und raffte die Büchse empor, wurde aber vom Pferde gerissen, ehe er losdrücken konnte.

Die beiden Häuptlinge hatten sich nur wenige Schritte vor den Bravos gehalten, und der Lasso Winnetous war ihm um die Schultern geflogen. Im Nu stoben die andern Fünf auseinander. Sam und der Shoshone schossen ihre Büchsen auf sie ab und wollten ihnen folgen.

„Halt, laßt sie!“ rief ich. „Wir haben ja den Hauptspitzbuben!“

Sie gehorchten nicht. Noch zwei Schüsse krachten, und den Letzten schlug der nachsetzende Ko-tu-cho vom Pferde.

„Was tut ihr nur?“ schalt ich Sam. „Ihre Spur hätte uns sicherlich erst zum Stelldichein und dann an den Ort geführt, wo sie ihren Raub verborgen haben!“

„Dieser Morgan hier wird ihn uns auch sagen müssen!“

„Wird sich hüten!“

Es zeigte sich bald, daß ich recht hatte, denn er gab trotz aller Drohungen auf keine unserer Fragen eine Antwort. Das Gold, wegen dessen so viele Menschen hatten sterben müssen, war verloren – deadly dust!

Wir banden ihn, wie vorher seinen Vater, auf das Pferd, ritten, um das Hotel zu vermeiden, durch den Sacramento, der hier nicht tief war, und erreichten die Berge, ohne von jemand behelligt zu werden.

Auch während unseres ganzen weiteren Rittes war kein Wort aus dem Gefangenen herauszubringen, und nur, als wir das Lager erreichten und er den uns entgegenkommenden Juwelier erkannte, murmelte er einen Fluch in den Bart. Ich schaffte ihn in das Zelt, in welchem sich noch die andern Gefangenen befanden. Auch sein Vater lag da.

„Master Morgan, hier stelle ich Euch Euern Sohn vor, nach dem Ihr wohl eine große Sehnsucht gehabt habt,“ sagte ich zu ihm.

Der Alte blitzte mich mit wutvollen Augen an, sprach aber kein Wort. Es war gegen Abend, als wir das Lager erreicht hatten; das Gericht über die Gefangenen mußte also bis morgen verschoben werden. Wir hielten als Gäste des Häuptlings in dessen Zelt unser Nachtmahl und rauchten das Calumet des Friedens. Dann begab sich jeder in das ihm angewiesene Zelt.

Die letzten Tage hatten mich doch ermüdet, und ich schlief außerordentlich fest, was hier mitten im Lager auch der Fall sein durfte, draußen in der Prairie aber sicherlich nicht geschehen wäre. Träumte ich oder war es Wahrheit? Ich befand mich im Kampfe mit wilden Gestalten, welche mich drohend umringten; ich schlug rasend um mich, und doch wuchsen die Feinde zu Dutzenden immer wieder aus dem Boden empor. Der Schweiß lief mir von der Stirn, ich sah meine letzte Stunde kommen und fühlte zum ersten Male die Angst des Todes mich erfassen. Es war ein Traum, und die Beklemmung erweckte mich doch endlich, und kaum halb wach geworden, vernahm ich draußen ein entsetzliches Getümmel.

Ich sprang auf, griff, ohne vollständig bekleidet zu sein, zu den Waffen und eilte hinaus. Die Gefangenen hatten sich auf eine auch später nicht zu erklärende Weise ihrer Fesseln entledigt, waren aus dem Zelte entkommen und hatten die glücklicherweise zahlreich dort aufgestellten Wachen überrumpeln wollen.

Aus allen Zelten sprangen die braunen Gestalten der Indianer hervor, der Eine nur mit dem Messer, der Andere mit dem Schlachtbeile und ein Dritter mit der Büchse bewaffnet. Eben kam auch Winnetou herbei und überflog mit einem raschen Blick die Szene, welche sich im Scheine der Wachtfeuer abspielte.

„Rund um das Lager!“ donnerte er in das Getümmel hinein, und sofort huschten sechzig bis achtzig Gestalten zwischen die Zelte.

Ich erkannte, daß meine Teilnahme am Kampfe nicht nötig sei. Die Gefangenen hatten keine Feuerwaffen, und die Indianer waren ihnen an Zahl zehnfach überlegen. Als ich auch Sams Stimme mitten im Knäuel der Ringenden vernahm, konnte ich vollends beruhigt sein. Und in der Tat, es dauerte keine zehn Minuten, so erscholl der Todesschrei des letzten, welcher niedergemacht wurde. Ich sah von weitem sein fahles Gesicht; es war Fred Morgan, den Sams Messer getroffen hatte.

Langsam kam dieser nun zwischen den Zelten heraufgeschritten. Er erblickte mich und fragte:

„Charley! Warum warst du nicht dabei?“

„Ich dachte, ihr wäret euer genug.“

Well, ist auch so gewesen! Aber wenn ich nicht selbst vor dem Zelte der Gefangenen gesessen hätte, so wären sie zum Beispiel glücklich durchgekommen. Ich lag ganz an der Wand und hörte das Geräusch innen, und weil ich sofort die Wachen warnte, waren sie aufmerksam.“

„Ist jemand entkommen?“

„Keiner! Habe sie gezählt. Hatte mir aber meine Abrechnung mit den Morgans anders gedacht!“

Er kauerte sich vor mir nieder und schnitt die lange ersehnten zwei Kerben in seine Büchse ein.

„So, jetzt sind sie gerächt, die ich lieb hatte, Charley, und nun mag der Tod kommen, heut oder morgen!“

„Sam, wir wollen als Christen hinzufügen: Möge Gott den Verbrechern ein gnädiger Richter sein!“

Well, Charley; ich hasse sie nicht über das Grab hinaus. Es sei ihnen verziehen!“

Er ging langsam weiter und kroch in sein Zelt.

Am andern Tage gab es eine traurige Feier: Allan Marshall wurde begraben. In Ermangelung eines Sarges war er in mehrere Büffelfelle eingeschlagen worden. Die Shoshonen hatten von Steinen ein Viereck aufgebaut, in welches die Leiche gelegt wurde. Dann wurde das Viereck zur Pyramide zugespitzt, um welche man so viele Steine häufte, als zu finden waren. Oben auf die Spitze steckte ich ein Kreuz aus Baumästen – das Siegeszeichen der Erlösung. Bernard bat mich, eine kurze Leichenrede zu sprechen und ein Vaterunser vorzubeten. Ich tat es tief ergriffen und sah mit inniger Rührung, daß sämtliche Shoshonen, welche ernst im Kreise standen, unserm Beispiel folgten und ihre Hände falteten.

Als das Begräbnis beendigt war, ließen die Snakes dem trauernden Bernard keine Zeit, seinem Schmerze nachzuhängen. Wir blieben eine ganze Woche da, welche wir so mit Jagd, Kampfspielen und andern Unterhaltungen verbrachten, daß sie uns wie ein Tag wurde. Dann kehrten wir nach San Francisco zurück. – – –

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