Die Railtroublers

Der Senat und das Haus der Repräsentanten der Vereinigten Staaten beschließen:

„1. Der Landstrich, in den Territorien Montana und Wyoming liegend, nahe dem Ursprunge des Yellowstone River, ist hierdurch von jeder Besitznahme, Besiedelung und jedem Verkaufe unter den Gesetzen der Vereinigten Staaten ausgenommen und soll als ein öffentlicher Park oder Lustplatz zum Wohle und Vergnügen des Volkes betrachtet werden. Jedermann, der sich diesen Bestimmungen zuwider dort niederläßt oder von irgend einem Teile Besitz ergreift, soll als Übertreter des Gesetzes angesehen und ausgewiesen werden.

2. Der Park soll unter die ausschließliche Kontrolle des Sekretärs des Innern gestellt werden, dessen Aufgabe es sein wird, so bald als tunlich solche Vorschriften und Anordnungen zu erlassen, als er zur Pflege und Erhaltung desselben für notwendig erachtet.“

Als mir die Bekanntmachung dieses Gesetzes in die Hände kam, freute ich mich herzlich über die Hochherzigkeit, mit welcher der Vereinigte-Staaten-Kongreß durch diese Beschlußfassung dem Volke ein Geschenk erhielt, welches zu kostbar war, als daß man es hätte gestatten können, daß die Spekulation und Gewinnsucht sich seiner bemächtige.

Tausende werden diese Bekanntmachung gelesen haben, ohne zu ahnen, was ihnen damit geboten wurde. Viele, sehr viele werden vielleicht gelächelt haben, daß die Regierung der Vereinigten Staaten einen 9500 Quadratkilometer großen Park, eine im wilden, unzugänglichen Felsengebirge liegende Landesfläche als Lust- und Erholungsplatz der Unterthanen reserviert. Die Zukunft aber wird beweisen und hat schon bewiesen, daß diese ganz ohne Beispiel dastehende Handlung einer der dankeswertesten Vorgänge ist, den Millionen seiner Zeit noch segnen werden.

Dieser Park ist nämlich ein Stück Wunderland, wie es auf Erden wohl kaum zum zweitenmal gefunden werden dürfte. Die ersten märchenhaften Nachrichten von demselben erhielt General Warren im Jahre 1856. Er fühlte sich durch dieselben veranlaßt, eine Expedition dahin auszurüsten, welche aber nicht so glücklich war, ihr Ziel zu erreichen. Erst zehn Jahre später gelang es Anderen, den Schleier teilweise zu lüften und die Welt eine reiche, nie geahnte Fülle der großartigsten Naturwunder ahnen zu lassen. Im Sommer des Jahres 1871 drang Professor Hayden erfolgreich vor, und seine Berichte, so sachlich und nüchtern sie auch gehalten waren, begeisterten den Kongreß zu dem Entschlusse, jenes außerordentliche Land nicht dem gemeinen Schacher in die Hände zu liefern.

Jenseits der weiten westlichen Prairien, fern noch hinter dem Höhenzuge der Blackhills, ragen die gigantischen Mauern des Felsengebirges zum Himmel empor. Man möchte sagen, hier habe nicht die Hand, sondern die Faust des Schöpfers gewaltet. Wo sind die Zyklopen, die solche Basteien zu türmen vermögen? Wo sind die Titanen, die solche Lasten bis über die Wolken treiben könnten? Wo ist der Meister, der jene Firnen mit ewigem Schnee und Eise krönte? Hier hat der Schöpfer ein Gedächtnis seiner Wunder errichtet, welches nicht imposanter und ergreifender sein könnte.

Und hinter jenen gigantischen Mauern, da wallet und siedet, da dampft und brodelt es noch heut aus den kochenden Tiefen des Erdinnern hervor; da treibt die dünne Erdkruste Blasen, da zischen glühende Schwefeldämpfe empor, und mit einem Getöse, welches dem Kanonendonner gleicht, sprühen riesige Geyser ihre siedenden Wassermassen in die zitternden Lüfte. Plutonische und vulkanische Gewalten kämpfen gegen die Gestaltungen des Lichtes. Die Unterwelt öffnet von Minute zu Minute den Rachen, um die Feuer der Tiefe emporzuspeien und die Gebilde des Tages in den tosenden Schlund hinabzusaugen.

Hier ist oft jeder einzelne Schritt mit Todesgefahren verbunden. Der Fuß kann durch die trügerische Kruste brechen, der dampfende Katarakt den müden Wanderer erfassen, der unterhöhlte Felsen mit dem Ruhenden in den gähnenden Abgrund stürzen. Aber diese Todesfelder werden einst Tausende von Wallfahrern sehen, welche in den heißen Quellen und ozonreichen Lüften Heilung ihrer Leiden suchen, und dann wird man auch jene wunderbaren Schlüfte und Klüfte entdecken, in denen die geizige Einsamkeit Schätze an Steinen und anderen Werten aufgespeichert hat, welche man an anderen Orten mit Gold aufwiegen würde. – – –

Es rief mich eine kleine geschäftliche Angelegenheit nach Hamburg, wo ich einen Bekannten traf, dessen Anblick alle Erinnerungen plötzlich aufleben ließ. Er war aus St. Louis, und wir hatten in den Sümpfen des Mississippi gar manches Stück Wild miteinander geschossen. Er war reich, sehr reich und bot mir freie Passage an, wenn ich ihm die Freude machen wolle, ihn nach St. Louis zu begleiten. Da ergriff mich die Prairiekrankheit mit voller, siegreicher Gewalt; ich sagte zu, telegraphierte nach Hause, um mir meine Gewehre und sonstigen Ausrüstungsstücke schleunigst kommen zu lassen, und nur fünf Tage nach unserem Wiedersehen schwammen wir bereits auf dem dienstfertigen Rücken der Elbe dem deutschen Meere und dem Ozean entgegen.

Drüben angekommen, vertieften wir uns für einige Wochen in die Wälder des untern Missouri; dann mußte er zurückkehren, während ich stromaufwärts nach Omaha City ging, um von da aus auf der großen Pacific-Bahn weiter nach Westen vorzudringen.

Ich hatte meine guten Gründe, gerade diese Route einzuschlagen. Ich hatte das Felsengebirge von den Quellen des Frazer-Flusses bis zum Hell Gate Paß, vom Nordpark bis hinunter zur Wüste Mapimi kennen gelernt, doch die Strecke vom Hell Gate Paß bis zum Nordpark, also eine Strecke von über sechs Breitegraden, war mir noch fremd geblieben. Und gerade hier sind die interessantesten Punkte des Gebirges zu suchen: die drei Tetons, die Windriverberge, der Südpaß und ganz besonders die Quellgegenden des Yellow Stone, Schlangenflusses und Columbia.

Dorthin war außer dem schleichenden Indianer oder einem flüchtigen Trapper noch kein Mensch gekommen, und es zog mich förmlich, mich an dem Wagnisse zu versuchen, in jene unwirtlichen, nach der Sage der Rothäute von bösen Geistern belebten Schluchten und Canons einzudringen.

Freilich war dies nicht so leicht, wie es sich erzählen läßt. Welche umständlichen und umfangreichen Vorbereitungen trifft der Schweizreisende, ehe er sich anschickt, einen der Alpenberge zu besteigen! Und was ist sein Unternehmen gegen dasjenige eines einsamen Westmannes, der es wagt, im Vertrauen nur auf sich allein und seine gute Büchse Gefahren entgegen zu gehen, von denen der zahme europäische Tourist gar keine Ahnung hat! Aber gerade diese Gefahren sind es, die ihn locken und bezaubern. Seine Muskeln sind von Eisen und seine Sehnen von Stahl; sein Körper kennt keine Anstrengungen und Entbehrungen, und alle Tätigkeiten seines Geistes haben durch unausgesetzte Übung eine Energie und Schärfe erlangt, die ihn selbst noch in der größten Not ein Rettungsmittel finden lassen. Daher ist seines Bleibens nicht in zivilisierten Distrikten, wo er seine Fähigkeiten nicht üben und betätigen kann; er muß hinaus in die wilde Savanne, hinein in die todbringenden Abgründe des Gebirges, und je drohender die Gefahren auf ihn einstürmen, desto mehr fühlt er sich in seinem Elemente, desto höher wächst sein Mut, desto größer wird sein Selbstvertrauen, und desto inniger hält er die Überzeugung fest, daß er selbst in der tiefsten Einsamkeit von einer Hand geleitet wird, die stärker ist als alle irdische Gewalt.

Was mich betrifft, so war ich zu einem solchen Unternehmen wohl vorbereitet. Nur eins fehlte mir, ohne das es geradezu unmöglich ist, in den dark and bloody grounds zu bestehen – ein gutes, zuverlässiges Pferd; doch verursachte mir dieser Mangel keine Kopfschmerzen. Den alten Wallach, der mich bis Omaha getragen hatte, verkaufte ich dort und setzte mich mit der festen Überzeugung in den Bahnwagen, daß ich ein gutes Pferd, sobald ich es brauchte, auch wohl bekommen würde.

Es gab damals auf dieser Bahn noch immer Strecken, welche nur interimistisch befahrbar waren. Daher erblickte man während der Fahrt an vielen Stellen noch Arbeiter, welche beschäftigt waren, den Bau von Brücken und Viadukten nachzuholen oder solche Punkte, welche bereits schadhaft geworden waren, wieder auszubessern. Diese Leute hatten, wenn sie nicht in der Nähe einer der damals wie Pilze aus der Erde schießenden Ansiedelungen arbeiteten, sich gewöhnlich ein Camp, ein Lager errichtet, welches mit einigen Befestigungen versehen war. Dieses letztere war notwendig der Indianer wegen, welche den Bau der Eisenbahn als einen Eingriff in ihre Rechte betrachteten und ihn auf alle Weise zu verhindern und zu erschweren suchten.

Aber auch noch andere Feinde gab es, Feinde, welche fast noch furchtbarer als die Rothäute waren.

Es treibt sich nämlich in der Prairie eine Menge Gesindels umher, welches sich aus denjenigen Elementen rekrutiert, welche der zivilisierte Osten ausgestoßen hat, Existenzen, welche auf alle Weise bankerott geworden sind und nun vom Leben nichts weiter zu erwarten haben, als was sie durch ein verbrecherisches Durchschweifen des Westens zu erreichen vermögen. Diese Menschen rotten sich bald zu diesem, bald zu jenem verderblichen Zwecke zusammen und sind mehr zu fürchten, als selbst die wildesten Indianerhorden. Zur Zeit des Eisenbahnbaues hatten sie es ganz besonders auf die jungen Ansiedelungen und auf die Camps abgesehen, welche entlang der Bahnstrecke entstanden, und es war daher nicht zu verwundern, daß diese Camps Befestigungen erhielten und die Bewohner derselben selbst während der Arbeit bewaffnet gingen.

Wegen der Angriffe, welche diese Räuber auf die Camps und kleinen Wagentrains unternahmen, wobei sie gewöhnlich den Schienenweg zerstörten, um den Zug zum Stehen zu bringen, wurden sie Railtroublers, Schienenstörer genannt. Man hatte ein scharfes Auge auf sie, so daß sie schließlich ihre Überfälle nur dann unternehmen konnten, wenn sich mehrere ihrer Trupps vereinigt hatten, so daß sie sich also zahlreich genug wußten. Übrigens herrschte gegen sie eine solche Erbitterung, daß jeder gefangene Railtroubler nichts anderes als den sicheren Tod zu erwarten hatte. Diese Banden mordeten ohne Unterschied des Alters und Geschlechtes, darum konnte auch gegen sie von keiner Gnade die Rede sein.

Es war Sonntag nachmittag, als wir mit dem Zuge Omaha verließen. Unter den Reisegefährten befand sich kein einziger, der mein Interesse mehr als vorübergehend in Anspruch nahm. Erst am nächsten Tage stieg in Fremont ein Mann ein, dessen Äußeres sofort meine Aufmerksamkeit auf ihn lenkte. Da er in meiner unmittelbaren Nähe Platz nahm, so hatte ich die beste Gelegenheit, ihn zu beobachten.

Sein Anblick bot eigentlich etwas so Komisches, daß ein oberflächlicher Beobachter gewißlich Mühe hatte, ein belustigtes Lächeln zu verbeißen; ich aber war an derartige Erscheinungen gewöhnt, um meinen vollen Ernst bewahren zu können. Der Mann war von kleiner Statur, dabei aber so dick, daß man ihn ohne große Mühe hätte kugeln können. Er trug einen Schafpelz, dessen rauhe Seite nach außen gekehrt war. Diese rauhe Seite war früher jedenfalls behaart gewesen, jetzt aber war die Wolle verschwunden, und nur hier und da erblickte man ein kleines, einsames Flöckchen, welches auf dem nackt gewordenen Leder das Aussehen einer Oase in der Sahara hatte. Vor Zeiten mochte dieser Pelz seinem Besitzer gepaßt haben, dann aber war er unter dem Einflusse von Schnee und Regen, von Hitze und Kälte so zusammengeschwunden, daß sein unterer Rand das Knie nicht mehr erreichte; er konnte nicht mehr zugeknöpft werden, und die Ärmel hatten sich bis in die Gegend des Ellbogens nach rückwärts konzentriert. Unter diesem Pelze sah man eine rotflanellene Jacke und eine Lederhose, welche jedenfalls einmal schwarz gewesen war, jetzt aber in allen Regenbogenfarben funkelte und ganz das Aussehen hatte, als ob es ihre Bestimmung sei, dem Besitzer als Wisch-, Tisch- und Taschentuch zu dienen. Unterhalb dieser antediluvianischen Hose erblickte man die nackten, blau gefrorenen Fußknöchel des Mannes und dann ein Paar Schuhe, die eine ganze Ewigkeit aushalten konnten. Sie waren aus rindsledernen Stiefeln geschnitten und hatten Doppelsohlen, die mit so starken Nägeln beschlagen waren, daß man mit ihnen hätte ein Krokodil tottreten können. Auf dem Kopfe trug er einen Hut, der außer der Fasson auch einen Teil der Krämpe verloren hatte. Um diejenige Körpergegend, welche vor Jahren einmal Taille gewesen war, jetzt aber eine wahrhaft staunenswerte Ausdehnung erhalten hatte, schlang sich ein alter Schal, dessen Farbe leider vollständig abhanden gekommen war und in welchem eine urahnenhafte Reiterpistole neben einem Bowiemesser steckte. Neben diesen beiden Waffen hing ein Kugel- und ein Tabakbeutel, ein kleiner Spiegel, wie man ihn auf deutschen Jahrmärkten für zehn Pfennige kauft, eine eingestrickte Feldflasche und vier Patenthufeisen, welche dem Pferde wie Schuhe angezogen und dann festgeschraubt werden können. Daneben erblickte ich ein Etui, dessen Inhalt mir jetzt noch verborgen war; später erfuhr ich, daß es ein vollständiges Rasierzeug enthielt, in der wilden Prairie höchst unnütz, wie mir schien.

Das Wunderlichste aber an diesem Manne war sein Angesicht. Dasselbe war so vollständig glatt rasiert, als ob er soeben aus dem Laden eines Friseurs gekommen sei. Die beinahe rosenroten Wangen waren so dick und fest, daß das kleine, kurze Stumpfnäschen zwischen ihnen beinahe verschwand und die zwei braunen, lebhaften Augen Mühe hatten, über sie hinwegzusehen. Sobald die mehr als vollen Lippen sich öffneten, erblickte man zwei Reihen blendend weißer Zähne, die ich aber sofort in Verdacht hatte, unecht zu sein. An der linken Seite des Kinnes hing eine gurkenähnlich gestaltete Verhärtung oder Wucherung, welche das Spaßhafte der Erscheinung dieses Mannes noch erhöhte, ihn aber nicht im mindesten zu genieren schien.

So saß er vor mir und hielt zwischen den kurzen, dicken Elefantenbeinen ein Schießgewehr eingeklemmt, welches der Flinte meines alten Sam Hawkens ähnelte wie ein Ei dem andern. Es erinnerte mich überhaupt fast noch mehr an diesen, als mich Sans-ear an ihn erinnert hatte.

Er hatte mit einem einfachen „Good day, Sir!“ bei mir Platz genommen und schien sich dann nicht im geringsten weiter um mich zu bekümmern. Erst eine Stunde später bat er mich um die Erlaubnis, eine Pfeife rauchen zu dürfen. Das fiel mir auf, denn ein echter, rechter Trapper oder Fallensteller kümmert sich nicht darum, ob das, was ihm zu tun beliebt, von Andern gutgeheißen wird.

„Raucht, soviel Ihr wollt, Master!“ antwortete ich. „Ich werde Euch Gesellschaft leisten. Wollt Ihr Euch eine von meinen Zigarren anstecken?“

„Danke, Sir!“ meinte er. „Diese Dinger, welche man Zigarren nennt, sind mir zu nobel. Ich halte es mit meiner Pfeife.“

Er hatte nach Trapperart die kurze, schmierige Pfeife an einer Schnur am Halse hängen. Als er sie gestopft hatte, beeilte ich mich, ein Hölzchen hervorzulangen; er aber schüttelte abwehrend mit dein Kopfe, griff in die Tasche seines Pelzes und brachte eines jener Prairien-Feuerzeuge zum Vorschein, welche Punks genannt werden und trockenen Baummoder als Zunder enthalten.

„Auch so eine noble Erfindung, diese Zündhölzer, die nichts für die Savanne taugen,“ bemerkte er. „Man darf sich nicht verwöhnen.“

Damit war das kurze Gespräch beendet, und er schien nicht die mindeste Lust zu haben, ein neues anzuknüpfen. Er rauchte ein Kraut, dessen Duft mich sehr lebhaft an Walnußblätter erinnerte, und widmete dabei der Gegend seine ganze Aufmerksamkeit. So erreichten wir die Station Nordplatte an dem Vereinigungspunkte des Nord- und Südplatte-Stromes, Hier stieg er für kurze Zeit aus und machte sich an einem der vorderen Wagen zu schaffen. Ich bemerkte, daß sich in demselben ein Pferd befand, welches jedenfalls ihm gehörte.

Als er wieder eingestiegen war und der Zug sich in Bewegung gesetzt hatte, beobachtete er sein bisheriges Schweigen, und erst als wir am Nachmittage in Cheyenne am Fuße der Black Hills hielten, fragte er:

„Geht Ihr von hier aus vielleicht mit der Koloradobahn nach Denver zu, Sir?“

„Nein,“ antwortete ich.

Well, so bleiben wir Nachbarn.“

„Fahrt Ihr sehr weit mit der Pacific?“ fragte ich ihn.

„Hm! Ja und nein – wie es mir einfällt. Und Ihr?“

„Ich möchte am liebsten nach Ogden City.“

„Ah! Ihr wollt die Mormonenstadt sehen?“

„Ein weniges, und dann hinauf nach den Windriverbergen und den Tetons.“

Er musterte mich mit einem sehr ungläubigen Blick und meinte:

„Da hinauf? Das bringt nur ein sehr kühner Westmann fertig. Habt Ihr Gesellschaft?“

„Nein.“

Jetzt blickten mich seine kleinen Äuglein förmlich belustigt an, und er fragte:

„Allein? Hinauf nach den drei Tetons? Mitten unter die Sioux und grauen Bären! Pshaw! Habt Ihr vielleicht einmal gehört, was ein Sioux oder ein grauer Bär zu bedeuten hat?“

„Ich denke!“

„Ah! Hm! Darf ich fragen, was Ihr seid, Sir?“

„Ich bin Writer.“

„Writer? Schriftsteller? So! Ihr macht also Bücher?“

„Ja.“

Jetzt lachte er am ganzen Gesichte. Es gab ihm, ganz so wie früher dem kleinen Sans-ear, gewaltigen Spaß, daß ein Schriftsteller den Gedanken gefaßt hatte, ganz allein und nur auf sich selbst angewiesen, den gefährlichsten Teil des Felsengebirges aufzusuchen.

„Schön!“ sagte er kichernd. „So wollt Ihr wohl über die drei Tetons ein Buch schreiben, mein werter Master?“

„Vielleicht!“

„Und Ihr habt wohl einmal ein Buch gesehen, in welchem ein Indianer oder ein Bär abgebildet war?“

„Versteht sich,“ antwortete ich sehr ernsthaft.

„Und nun glaubt Ihr, daß Ihr da mitmachen könnt?“

„Allerdings.“

„Und Ihr habt wohl gar auch eine Flinte mit, die da in Euere Decke eingewickelt ist?“

„Ja.“

„So will ich Euch einen guten Rat geben, Sir! Steigt schleunigst aus, und macht, daß Ihr wieder nach Hause kommt! Ihr seid zwar ein langer, starker Kerl, aber Ihr seht mir gar nicht aus, als ob Ihr ein Eichhorn schießen könntet, viel weniger einen Bären. Das Lesen hat Euch den Kopf benebelt. Es wäre jammerschade um Euer junges Leben, wenn Euch beim Anblick eines Wildkätzchens der Schlag rühren sollte! Ihr habt gewiß einmal den Cooper gelesen?“

„Ja.“

„Dachte es mir! Habt vielleicht auch von berühmten Prairiemännern gehört!“

„Ja,“ antwortete ich abermals im bescheidensten Tone.

„Von Winnetou, von Old Firehand, von Old Shatterhand, von dem dicken Walker oder von dem langen Hilbers?“

„Von allen,“ nickte ich.

Das dicke Männchen ahnte gar nicht, daß er mir wenigstens ebensoviel Spaß machte, wie ich ihm.

„Ja,“ meinte er, „solche Bücher und Geschichten sind gefährlich, denn sie stecken an. Das klingt so schön und leicht, aber Master, nehmt mir’s nicht übel, Ihr dauert mich! Dieser Winnetou ist ein Apachen-Häuptling, der mit tausend Teufeln kämpfen würde; dieser Old Firehand schießt Euch jede einzelne Mücke aus dem Schwarm heraus, und Old Shatterhand hat noch niemals einen Fehlschuß getan und schlägt die stärkste Rothaut mit einem einzigen Hiebe zu Brei. Wenn einer von diesen Kerls sagt, daß er hinauf will zu den drei Tetons, so ist das zwar immer noch ein ganz gewaltiges Wagnis, aber man denkt doch, daß er es bestehen kann; aber Ihr – ein Büchermacher? Pshaw! Wo habt Ihr denn Euer Pferd?“

„Ich habe keines.“

Jetzt konnte er sich nicht länger halten; er platzte mit einem lauten Gelächter heraus:

„Hihihihi, kein Pferd, und hinauf nach den drei Tetons! Seid Ihr verrückt, Sir?“

„Ich glaube nicht. Wenn ich jetzt noch kein Pferd habe, so werde ich mir doch eins kaufen oder fangen.“

„Ah! Wo denn?“

„Da, wo es paßt.“

„Ihr, Ihr selbst wollt es Euch fangen?“

„Ja.“

„Das ist lustig, Sir! Ihr habt zwar einen Lasso da um Eure Schultern gewickelt, aber damit fangt Ihr keine Fliege, viel weniger einen wilden Mustang!“

„Warum?“

„Warum? Na, weil Ihr das seid, was man da drüben im alten Lande einen Sonntagsjäger nennt!“

„Und warum haltet Ihr mich für einen solchen?“

„Das ist doch einfach! Weil alles an Euch so nett und sauber ist. Seht Euch einmal einen tüchtigen Waldläufer an, und vergleicht ihn mit Euch! Eure hohen Reitstiefel sind neu und, wahrhaftig, sie sind ganz blank gewichst! Euere Leggins sind vorn feinsten Elenleder; Euer Jagdhemde ist ein Meisterstück aus der Hand einer indianischen Squaw; Euer Hut hat wenigstens zwölf Dollar gekostet, und Euer Messer samt den Revolvern haben sicherlich noch keinem Menschen weh getan! Könnt Ihr schießen, Sir?“

„Ja, ein wenig. Ich bin sogar einmal Schützenkönig gewesen!“ antwortete ich mit einer sehr wichtigen Miene.

„Schützenkönig! Ah, dann seid Ihr am Ende gar ein Deutscher?“

„Freilich!“

„Hm! So, so! Also ein Deutscher seid Ihr? Nach einem hölzernen Vogel habt Ihr geschossen, und Schützenkönig seid Ihr da geworden? So sind diese Deutschen! Old Shatterhand soll zwar auch ein Deutscher sein, aber das ist ja nur eine Ausnahme! Sir, ich bitte Euch herzlich, kehrt sobald wie möglich um, sonst geht Ihr zu Grunde!“

„Wollen sehen! Wo steckt denn eigentlich dieser Old Shatterhand, von dem Ihr redet?“

„Ja, wer weiß das! Als ich das letztemal da droben am Fox-Head war, traf ich den berühmten Sans-ear, der mit ihm geritten war. Dieser sagte mir, daß Old Shatterhand wieder hinüber sei ins Afrika, in die dumme Gegend, welche man die Wüste Sahara nennt. Dort schlägt er sich wohl mit den Indianern herum, welche den Namen Araber führen. Dieser Mann hat seinen Namen Shatterhand davon, daß es ihm ein Leichtes ist, mit der bloßen Faust einen Feind niederzuschlagen; er hat das sehr oft getan. Seht Euch dagegen einmal Eure Händchen an! Sie sind so zart und weiß wie die Hände einer Lady, und man merkt sofort, daß Ihr nur mit Papier umgeht und keine andere Waffe kennt als den Gänsekiel. Nehmt meinen Rat zu Herzen, Sir, und geht nach dem alten Germany zurück. Unser Westen ist keine Gegend für einen Gentleman von Eurer Sorte!“

Mit dieser Warnung beendete er das Gespräch, und ich gab mir keine Mühe, es wieder anzuknüpfen. Richtig war allerdings, daß ich zu Sans-ear gesagt hatte, ich würde später in die Sahara gehen.

Wir passierten die Station Sherman; dann wurde es wieder Abend. Die erste Station, welche wir beim Lichte des folgenden Morgens erblickten, war Rawlins. Hinter diesem Orte beginnt eine öde, wüste Gebirgslandschaft, deren einzige Vegetation in Artemisia-Büschen besteht, ein ungeheueres, unfruchtbares Bassin ohne Leben, ohne Flüsse oder Bäche, eine Gebirgs-Sahara, die keine einzige Oase kennt. Bald schmerzt der mit Alkalien gesättigte Boden mit seiner blendenden Weiße das müde Auge, und bald nimmt diese Wüste einen Charakter finsterer, tief melancholischer Größe an, hervorgebracht durch nackte Lehnen, dürre Abhänge und steile Felswände, welche von Sturm, Flut und Blitz zerrissen worden sind.

In dieser trostlosen Gegend liegt die Station Bitterer Bach, doch ist von einem Bache keine Rede, sondern das Wasser muß über siebzig Meilen weit herbeigeholt werden. Und dennoch wird sich hier einst ein reges, vielleicht großartiges Leben entfalten; denn es befinden sich hier unerschöpfliche Kohlenfelder, welche dieser Wüste eine Zukunft garantieren.

Wir dampften weiter, über Station Carbon und Green River hinaus, welche letztere 846 Meilen westlich von Omaha liegt. Das traurige Aussehen der Gegend hörte auf; die Vegetation begann wieder, und die Höhenzüge erhielten ein freundliches, erquickendes Kolorit. Wir hatten eben ein herrliches Tal durchsaust und fuhren hinaus auf eine freie, offene Ebene, als die Maschine in kurzer Reihenfolge jene gellenden Pfiffe ausstieß, welche das Zeichen einer drohenden Gefahr sind. Wir schnellten von unseren Sitzen empor; die Bremsen kreischten, die Räder knirschten – der Zug kam zum Stehen, und wir sprangen aus den Waggons hinaus auf die sichere Erde.

Der Anblick, welcher sich uns bot, war ein schauderhafter. Man hatte hier einen Arbeiter- und Fouragezug überfallen, und die Strecke war bedeckt von den verbrannten und halbverkohlten Trümmern desselben. Der Überfall war während der Nacht geschehen. Die Railtroublers hatten die Schienen aufgerissen, und infolgedessen war der Zug entgleist und den ziemlich hohen Damm hinabgestürzt. Was nun geschehen war, konnte man ahnen. Es waren beinahe nur noch die Eisenteile des verunglückten Zuges vorhanden. Man hatte in jeden Waggon, nachdem er beraubt worden war, ein riesiges Feuer gelegt, und in der Asche fanden wir die traurigen Überreste vieler Menschen, welche bereits bei dem Sturze verunglückt oder dann später von Railtroublers getötet worden waren. Kein Einziger schien lebend entkommen zu sein.

Es war ein Glück für uns, daß die offene Gegend es unserem Maschinisten erlaubt hatte, die Gefahr noch rechtzeitig zu bemerken, sonst wären wir auch den Damm hinabgestürzt. Die Lokomotive hielt kaum einige wenige Ellen von der Stelle, wo die Zerstörung begann.

Die Aufregung der Passagiere und des Zugpersonales war eine ganz bedeutende, und es ist geradezu unmöglich, die Kraftworte und Interjektionen wiederzugeben, welche ringsum zu hören waren. Man durchwühlte die noch rauchenden Trümmer, aber es gab nichts mehr zu retten, und nachdem der Tatbestand konstatiert worden war, konnte man nichts weiter tun, als die Strecke schleunigst wieder herzustellen, wozu jeder amerikanische Zug die notwendigen Werkzeuge bei sich führt. Der Zugführer erklärte, er müsse sich darauf beschränken, auf der nächsten Station Anzeige zu erstatten; das Übrige, und also auch die Verfolgung der Verbrecher, sei dann Sache der Jury, welche dort jedenfalls sogleich gebildet werde.

Während die andern Passagiere noch unnötigerweise in den Trümmern wühlten, hielt ich es für das Beste, mich einmal nach den Spuren der Railtroublers umzusehen. Das Terrain zeigte eine offene, mit Gras bewachsene und nur von wenigen Büschen unterbrochene Fläche. Ich ging eine ziemliche Strecke auf dem Geleise zurück und schlug sodann um die rechte Seite der Unglücksstelle einen Halbkreis, dessen Grundlinie von dem Bahnkörper gebildet wurde. Auf diese Weise konnte mir bei nur einiger Aufmerksamkeit nichts entgehen.

In der Entfernung von vielleicht dreihundert Schritten von der Unglücksstätte fand ich zwischen einigen Büschen das Gras niedergedrückt, als ob hier eine ziemliche Anzahl von Menschen gesessen hätte, und die noch im Grase erkennbaren Spuren führten mich an eine zweite Stelle, wo man die Pferde angehobbelt gehabt hatte. Diesen Platz untersuchte ich sehr sorgfältig, um die Anzahl und Beschaffenheit der Pferde kennen zu lernen; dann setzte ich meine Forschung weiter fort.

Am Schienenwege traf ich mit meinem dicken Nachbar zusammen, welcher, wie ich erst jetzt bemerkte, denselben Gedanken mit mir gehabt und die links von der Unglücksstelle gelegene Gegend abgesucht hatte. Er blickte verwundert auf und fragte:

„Ihr hier, Sir? Was tut Ihr?“

„Das, was ein jeder Westmann tun wird, wenn er in eine ähnliche Lage kommt: ich suche nach den Spuren der Railtroublers.“

„Ihr? Ah! Werdet auch viel finden! Das sind gescheite Kerls gewesen, welche es verstanden haben, ihre Spuren wieder zu verwischen. Ich habe nicht das Mindeste entdeckt; was wird da so ein Greenhorn finden, wie Ihr doch seid?“

„Vielleicht hat das Greenhorn bessere Augen gehabt als Ihr, Master,“ antwortete ich lächelnd. „Warum sucht Ihr hier auf der linken Seite nach Spuren? Ihr wollt ein alter, erfahrener Savannenläufer sein und seht doch nicht, daß sich das Terrain hier rechts viel besser zu einem Lagerplatze und Versteck eignet als links da drüben, wo fast gar kein Buschwerk zu sehen ist.“

Er blickte mir sichtlich überrascht in das Gesicht und meinte dann:

„Hm, diese Ansicht ist nicht übel! So ein Büchermacher scheint doch zuweilen einen guten Gedanken zu haben. Habt Ihr etwas gefunden?“

„Ja.“

„Was?“

„Dort hinter den wilden Kirschensträuchern haben sie gelagert, und dahinten bei den Haselbüschen standen die Pferde.“

„Ah! Da muß ich hin, denn Ihr habt doch nicht die richtigen Augen, um zu sehen, wie viele Tiere es gewesen sind!“

„Es waren sechsundzwanzig.“

Wieder blickte er mich mit einer Gebärde der Überraschung an.

„Sechsundzwanzig?“ fragte er ungläubig. „Woraus erkennt Ihr das?“

„Aus den Wolken jedenfalls nicht, sondern aus den Spuren, Sir,“ lachte ich. „Von diesen sechsundzwanzig Pferden waren acht beschlagen und achtzehn unbeschlagen. Unter den Reitern befanden sich dreiundzwanzig Weiße und drei Indianer. Der Anführer der ganzen Truppe ist ein Weißer, welcher mit dem rechten Fuß hinkt; sein Pferd ist ein brauner Mustanghengst. Der Indianerhäuptling aber, der bei ihnen war, reitet einen Rapphengst, und ich glaube, daß er ein Sioux ist vom Stamme der Ogellallah.“

Das Gesicht, welches der Dicke mir jetzt machte, läßt sich gar nicht beschreiben. Der Mund stand ihm vor Erstaunen offen und die kleinen Äuglein blickten mich mit einem Ausdrucke an, als ob ich ein Gespenst sei.

All devils!“ rief er endlich. „Ihr phantasiert wohl, Sir?“

„Seht selbst nach!“ antwortete ich trocken.

„Aber wie wollt Ihr wissen, wie viel es Weiße oder Indsmen waren? Wie wollt Ihr wissen, welches Pferd braun oder schwarz gewesen ist, welcher Reiter hinkt und zu welchem Stamme die Rothäute gehörten?“

„Ich habe Euch gebeten, selbst nachzusehen! Und dann wird es sich ja zeigen, wer bessere Augen hat, ich, das Greenhorn, oder ihr, der erfahrene Westmann.“

Well! Schön! Werden sehen! Kommt, Sir! Ein Greenhorn und erraten, wer diese Kerls gewesen sind!“

Unter Lachen eilte er der bezeichneten Stelle zu, und ich folgte ihm langsamer nach.

Als ich ihn wieder erreichte, war er so eifrig mit der Betrachtung der Spuren beschäftigt, daß er mich gar nicht beachtete. Erst als er wohl zehn Minuten lang die Umgebung auf das sorgfältigste abgesucht hatte, kam er zu mir und sagte:

„Wahrhaftig, Ihr habt recht! Sechsundzwanzig sind es gewesen, und achtzehn Pferde waren unbeschlagen. Aber das andere ist Unsinn, reiner Unsinn! Hier haben sie gelagert, und in dieser Richtung sind sie auch wieder davongeritten. Weiter sieht man nichts!“

„So kommt, Sir,“ meinte ich. „Ich will Euch einmal zeigen, welchen Unsinn die Augen eines Greenhorns sehen!“

Well, ich bin neugierig!“ nickte er mit einer sehr belustigten Miene.

„Seht Euch einmal die Pferdespuren genauer an; drei Tiere wurden abseits gehalten und waren nicht vorn, sondern übers Kreuz gekoppelt; das waren also jedenfalls Indianerpferde.“

Er bückte sich nieder, um den Abstand der einzelnen Hufstapfen genau auszumessen. Der Grasboden war feucht und die Spuren waren für ein geübtes Auge recht leidlich zu erkennen.

By god, Ihr habt Recht!“ rief er erstaunt. „Das waren Indianergäule.“

„So kommt jetzt weiter, da zu der kleinen Wasserlache! Hier haben sich die Indsmen die Gesichter abgewaschen und dann wieder mit den Kriegsfarben neu bemalt. Die Farben waren mit Bärenfett abgerieben. Seht Ihr die kleinen, ringförmigen Eindrücke im weichen Boden? Da haben die Farbennäpfchen gestanden. Es ist warm gewesen, und die Farben waren infolgedessen dünn und haben getropft. Seht Ihr hier im Grase einen schwarzen, einen roten und zwei blaue Tropfen, Sir?“

Yes! Wahrhaftig, es ist wahr!“

„Und ist nicht schwarz, rot und blau die Kriegsfarbe der Ogellallah?“

Er nickte nur; sein verwundertes Gesicht sagte mir, was sein Mund verschwieg. Ich fuhr fort:

„Nun kommt weiter! Als die Truppe hier angekommen ist, hat sie hier neben der sumpfigen Lache gehalten; das zeigen die Hufeindrücke, welche sich mit Wasser gefüllt haben. Nur zwei sind vorgeritten, also jedenfalls die Anführer; sie wollten rekognoszieren und die Andern mußten bescheiden zurückbleiben. Seht hier die Pferdespur im Moraste! Das eine Pferd war beschlagen und das andere nicht; dieses letztere trat hinten tiefer als vorn; es saß ein Indianer darauf; der andere Reiter aber war ein Weißer, denn sein Pferd hatte Eisen und trat vorn tiefer als hinten. Ihr kennt wohl den Unterschied zwischen der Art und Weise, wie ein Indsman und ein Weißer zu Pferde sitzt?“

„Sir, ich möchte nur wissen, woher Ihr –“

„Gut!“ unterbrach ich ihn. „Nun paßt genau auf! Sechs Schritte weiter vor haben sich die Pferde gebissen; das aber tun nach einem so langen und anstrengenden Ritte, wie diese Leute hinter sich hatten, nur Hengste. Verstanden?“

„Aber wer sagt Euch denn, daß sie einander gebissen haben, he?“

„Erstens die Stellung der Hufstapfen. Das Indianerpferd ist hier gegen das andere aufgesprungen; das werdet Ihr zugeben. Und zweitens, seht Euch einmal die Haare an, welche ich hier in der Hand halte! Ich fand sie vorhin, als ich die Spuren untersuchte, ehe ich Euch traf. Da sind vier Mähnenhaare von brauner Farbe, welche das Indianerpferd dem anderen ausgerissen hat und sofort fallen ließ. Weiter vorn aber fand ich diese zwei schwarzen Schwanzhaare, und aus der Stellung der Stapfen ersehe ich ganz genau: das Indianerpferd biß das andere in die Mähne, wurde aber von seinem Reiter sogleich zurückgedrängt und dann vorwärts getrieben; dabei langte das andere Pferd herüber und riß ihm diese Haare aus dem Schwanze, welche noch einige Schritte weit im Maule hängen blieben und dann zur Erde fielen. Das Pferd des Roten ist also ein Rappe und dasjenige des Weißen ein Brauner. Kommt weiter! Hier ist der Weiße abgesprungen, um den Bahndamm zu ersteigen. Seine Fährte ist im weichen Sande bis heute sichtbar geblieben. Ihr könnt ganz genau sehen, daß er mit dem einen Fuße fester und heftiger aufgetreten ist als mit dem andern. Er hinkt. Übrigens waren diese Menschen ganz außerordentlich unvorsichtig. Sie haben sich nicht die mindeste Mühe gegeben, ihre Spuren unkenntlich zu machen; sie müssen sich also sehr sicher fühlen, und das kann nur zwei Gründe haben.“

„Welche?“

„Entweder waren sie gewillt, heute recht schnell eine bedeutende Strecke zwischen sich und die Verfolger zu legen, und das möchte ich bezweifeln, da aus den Spuren zu ersehen ist, daß ihre Pferde sehr angegriffen und ermüdet waren. Oder sie wußten eine größere Truppe der Ihrigen in der Nähe, auf die sie sich zurückziehen konnten. Dieser Fall scheint mir der wahrscheinlichere zu sein, und da sich drei vereinzelte Indsmen nicht an über zwanzig Weiße schließen, so vermute ich, daß da gegen Norden hin ein zahlreicher Trupp Ogellallahs zu suchen ist, bei dem sich jetzt die dreiundzwanzig Railtroublers befinden.“

Es war wirklich spaßhaft anzusehen, mit welch einer eigentümlichen Miene mich das dicke Männchen jetzt vom Kopfe bis herab zu den Füßen fixierte.

„Mann!“ rief er endlich. „Wer seid Ihr denn eigentlich, he?“

„Ich habe es Euch ja bereits gesagt.“

Pshaw! Ihr seid kein Greenhorn und auch kein Büchermacher, obgleich Ihr mit Euren gewichsten Stiefeln und Eurer Sonntags-Ausrüstung ganz danach ausseht. Ihr seid so abgeleckt und sauber, daß Ihr in einem Theaterstücke, in welchem ein Westmann aufzutreten hätte, gleich auf der Bühne erscheinen könntet; aber unter hundert wirklichen Westmännern ist kaum einer, der so wie Ihr die Fährte zu lesen versteht. By god, ich dachte bisher, daß ich auch etwas leiste, aber an Euch komme ich nicht, Sir!“

„Und dennoch bin ich ein Bücherschreiber. Aber ich habe bereits früher diese alte Prairie von Norden nach Süden und von Osten bis nach dein entferntesten Westen durchmessen; daher kommt es, daß ich mich so leidlich auf Spuren verstehe.“

„Und Ihr wollt wirklich hinauf nach den Windriverbergen?“

„Allerdings.“

„Aber, Sir, wer das ausführen will, der muß bedeutend mehr sein als ein guter Spurenfinder, und da – nehmt mir es nicht übel – scheint es bei Euch zu hapern.“

„Inwiefern?“

„Wer einen so gefährlichen Weg vor sich hat, der läuft nicht so leichtsinnig in das Blaue hinein wie Ihr, sondern er sieht sich vor allen Dingen nach einem guten Pferde um. Verstanden?“

„Das werde ich noch tun.“

„Wo denn?“

„Nun, ein Pferd ist an jeder Station zu kaufen, und wäre es auch nur ein alter Karrengaul. Bin ich dann beritten, so hole ich mir schon aus irgend einer wilden Herde einen Mustang, der mir paßt.“

„Ihr? Ah! Seid Ihr ein solcher Reiter? Könnt Ihr einen Mustang bändigen? Wird es da oben Pferde geben?“

„Ihr vergeßt, daß grad jetzt die Jahreszeit ist, in welcher die Büffel und Mustangs nach Norden gehen. Ich bin sehr überzeugt, daß ich zwischen hier und den Tetons auf eine Herde treffen werde.“

„Hm! Also ein Reiter seid Ihr. Aber wie steht es denn mit dem Schießen?“

„Wollt Ihr mich etwa examinieren, Sir?“ lachte ich.

„Einigermaßen,“ nickte er sehr ernsthaft. „Ich habe nämlich eine Absicht dabei.“

„Darf man erfahren, welche?“

„Später. Erst müßt Ihr einmal schießen. Holt Euer Gewehr!“

Dieses kleine Intermezzo gab mir Spaß. Ich hätte dem Manne einfach sagen können, daß ich Old Shatterhand sei, zog aber vor, es zu verschweigen. Ich ging also zum Waggon, um die Decke zu holen, in welche meine Gewehre gewickelt waren. Man bemerkte dies, und sofort schlossen die Passagiere einen Kreis um uns Beide. Der Amerikaner und besonders der Bewohner des Westens läßt sicherlich keine Gelegenheit, ein Gewehr abschießen zu sehen, unbenutzt vorübergehen.

Ich schlug die Decke auseinander.

Behold, ein Henrystutzen!“ rief der Dicke. „Ein wirklicher, richtiger Henrystutzen! Wie viele Schüsse hat er, Sir?“

„Fünfundzwanzig.“

„Ah, das ist viel. Das ist eine fürchterliche Waffe in der Nähe. Mann, um dieses Gewehr beneide ich Euch!“

„Diese Büchse ist mir noch lieber.“

Bei diesen Worten nahm ich meinen schweren Bärentöter empor.

Pshaw! Ein glattes, gut geputztes Schießeisen!“ meinte der Dicke geringschätzig. „Ich lobe mir eine alte, rostige Kentuckybüchse oder meinen alten Schießprügel da!“

„Wollt Ihr Euch nicht einmal die Firma ansehen, Sir?“ fragte ich ihn, indem ich ihm das Gewehr entgegenstreckte.

Er warf einen Blick auf die Gravierung und fuhr überrascht zurück.

„Verzeiht, Sir,“ rief er; „das ist etwas ganz Anderes. Solche Büchsen gibt es nicht sehr viele mehr. Ich habe gehört, daß Old Shatterhand eine hat. Aber wie kommt denn Ihr zu einem solchen Meisterstücke? Oder ist der Stempel nachgemacht? Hm, ja, so wird es wohl sein, denn dieses Gewehr sieht nicht aus, als ob man schon viele Male daraus geschossen hätte!“

„Wir wollen es probieren. Gebt einmal an, was ich schießen soll, Sir!“

„Ladet erst neu!“

„Pah, das ist nicht notwendig. Die Schüsse stecken trocken.“

Well, so schießt mir einmal mit dem Schrotlaufe den Vogel dort vom Busche!“

„Das ist zu weit!“ meinte einer der Umstehenden.

„Wollen sehen!“ bemerkte ich.

Ich langte nach der Schnur und setzte langsam und sehr bedächtig meinen Klemmer auf die Nase. Sofort brach der Dicke in ein lautes Gelächter aus.

„Hahahaha; eine Brille! Dieser deutsche Buchmacher kommt in diese alte Savanne, um mit dem Zwicker auf der Nase zu jagen! Hahahaha!“

Auch die Andern lachten; ich aber meinte sehr ernsthaft.

„Was lacht ihr, Mesch’schurs? Wenn man dreißig Jahre lang über den Büchern sitzt, so leiden die Augen, und es ist besser, man tut mit der Brille einen guten Schuß, als ohne dieselbe einen schlechten!“

„Richtig, Sir,“ lachte der Dicke. „Aber ich möchte Euch einmal sehen, wenn Ihr so recht unerwartet einmal von den Rothäuten überfallen würdet! Ehe Ihr den Klemmer geputzt und auf die Nase gebracht hättet, würdet Ihr zehnmal skalpiert sein. Seht, nicht einmal den Vogel könnt Ihr nun schießen, denn er ist bereits auf und davon geflogen!“

„So suchen wir ein anderes Ziel!“ meinte ich ebenso kaltblütig wie vorher.

Der betreffende Vogel hatte in einer Entfernung von vielleicht zweihundert Schritten auf dem Busche gesessen; das wäre also ein sehr gewöhnlicher Schuß gewesen. Ich aber hatte hoch über uns eine Lerche trillern gehört und blickte jetzt nach oben.

„Seht ihr die Lerche da oben, Mesch’schurs?“ fragte ich. „Ich werde sie herunter holen.“

„Das ist ganz unmöglich!“ rief der Dicke. „Laßt das sein, denn Ihr schießt doch nur ein Loch in die Luft. Das brächte nicht einmal der alte Sans-ear oder Old Firehand fertig!“

„Wollen sehen!“

Ich erhob die Büchse und drückte ab.

„Fort!“ lachte der Dicke. „Der Schuß hat sie erschreckt; sie ist ausgerissen!“

„Da sollt Ihr doch gleich sehen, wozu die Brille nützlich ist,“ meinte ich, die Büchse absetzend. „Geht doch einmal hinüber auf den Bahndamm; sie ist darauf niedergefallen, ungefähr achtzig Schritte von hier.“

Ich deutete mit der Hand die Stelle an, und sofort sprangen einige der Umstehenden hin. Sie brachten die Lerche, welche fast mitten durchschossen war. Der Dicke betrachtete abwechselnd sie und mich; dann rief er:

„Getroffen, wahrhaftig getroffen! Und nicht mit Schrot, sondern mit der Kugel!“

„Wollt Ihr mit Schrot in eine solche Höhe schießen, Sir?“ fragte ich. „Ein richtiger Savannenläufer wird sich überhaupt schämen, einen Schrotschuß zu tun. Das überläßt man den Kindern und den Aasjägern.“

„Aber Sir, das ist ja ein Schuß, wie ich noch gar keinen gesehen habe!“ wunderte sich der Dicke. „War das Zufall oder nicht?“

„Gebt mir ein zweites Ziel!“

„Es ist gut, Sir; ich glaube es! Ihr scheint es darauf abgesehen zu haben, mit mir ein wenig Komödie zu spielen! Aber nun ist es gut. Kommt doch einmal ein Weniges mit auf die Seite!“

Er zog mich von den Andern fort, dahin, wo die Pferdestapfen am deutlichsten zu sehen waren. Dort zog er ein Papier hervor und legte es in eine der Spuren.

Well, es ist so!“ meinte er gedankenvoll. „Sir, sagt mir einmal, ob Ihr vielleicht Herr Eurer Zeit seid, ob Ihr direkt hinauf nach den Tetons wollt, oder ob Ihr vorher noch einen andern Ritt unternehmen könntet!

„Ich kann tun, was mir gefällt.“

Well, so will ich Euch einmal etwas sagen. Habt Ihr vielleicht schon einmal von dem dicken Fred Walker gehört?“

„Ja. Er soll ein tüchtiger Westmann sein. Er ist einer der besten Pfadfinder des Gebirges und spricht mehrere Indianerdialekte.“

„Ich bin es, Sir!“

„Das konnte ich mir denken. Hier meine Hand! Es freut mich von ganzem Herzen, Euch getroffen zu haben, Sir.“

„Wirklich? Nun, vielleicht lernen wir uns besser kennen. Ich habe nämlich mit einem gewissen Haller einige ernsthafte Worte zu sprechen. Er war in letzter Zeit der Anführer einer Schar von Bushheaders und Pferdedieben, ganz abgesehen von dem, was er von früher her schon auf dem Gewissen hat. Jetzt ist er mit seiner Bande weiter nach dem Westen gezogen, und ich folgte ihm. Dieses Papier ist die genaue Abbildung von den beiden Hinterhufen seines Pferdes; sie stimmen ganz genau mit diesen Spuren überein, und da Haller mit dem rechten Beine hinkt, so bin ich überzeugt, daß er mit dem Anführer der Railtroublers hier ganz eine und dieselbe Person ist.“

„Haller?“ fragte ich. „Wie ist sein Vorname?“

„Sam, Samuel. Doch pflegt er verschiedene Namen zu tragen.“

„Samuel Haller? Ah, von dem habe ich gehört. Ist er nicht der Buchhalter des Ölprinzen Rallow gewesen? Er ging seinem Herrn mit einer ganz bedeutenden Summe durch!“

„Ja, das ist er. Er verführte den Kassierer, die Kasse zu räumen und mit ihm zu gehen. Dann erschoß er ihn. Er wurde von der Polizei verfolgt und tötete zwei Konstabler, die ihn fassen wollten. In New-Orleans wurde er ergriffen, als er sich grad einschiffen wollte; es gelang ihm auch dort, zu entkommen, indem er den Kerkermeister erschlug. Dann ging er nach dem Westen. Es blieb ihm nichts Anderes übrig, da man ihm den Raub abgenommen hatte. Seit dieser Zeit hat er Verbrechen auf Verbrechen gehäuft, und es wird Zeit, daß dies ein Ende nimmt.“

„Ihr wollt ihn ergreifen?“

„Mein muß er werden, tot oder lebendig.“

„Ihr habt also eine persönliche Abrechnung mit ihm zu halten?“

Er blickte eine Weile vor sich nieder und antwortete dann:

„Ich spreche nicht gern davon, Sir. Vielleicht teile ich es Euch noch mit, sobald wir uns erst näher kennen gelernt haben. Und daß wir uns kennen lernen, das hoffe ich, Sir. Es ist ein wunderlicher Zufall, daß ich mich grad in diesem Zuge befunden habe, aber trotzdem hätte ich die Spur dieses Hallers wohl noch lange vergebens gesucht, wenn Ihr es nicht gewesen wäret, der mich auf sie aufmerksam machte. Daß der Anführer der Railtroublers lahm geht und einen braunen Hengst reitet, hätte ich nicht herausgebracht, und doch ist es gerade dieses, was mir von der allergrößten Bedeutung ist. Ich werde hier den Zug verlassen, um der Spur zu folgen. Wollt Ihr mich begleiten, Sir?“

„Ich? Das Greenhorn?“ lächelte ich.

Pshaw! Ihr dürft mir dieses Wort gar nicht übel nehmen, denn Euer ganzes Aussehen ist das eines Mannes, der in den Salon gehört, aber nicht in die Savanne. Hab‘ doch all‘ mein Lebtage noch keinen Menschen gesehen, der sich mit dem Zwicker auf der Nase hierher mitten in die alte Prairie stellt, um einen Vogel zu schießen, der ihm davonfliegt. Das war ein Irrtum von mir, den ich Euch gern abbitten will. Also Sir, wollt Ihr mit aussteigen?“

„Hm! Wäre es nicht besser, Euch den Männern anzuschließen, welche bald von den nächsten Stationen eintreffen werden, um die Railtroublers zu verfolgen?“

„Nein. Redet mir nicht von einer solchen Verfolgung. Ein einziger Westmann wiegt da schwerer als ein ganzes Schock solcher hergelaufener Pulverschnapper. Ich muß allerdings ehrlich sein und sagen, daß es kein geringes Wagnis ist, hinter solchen Leuten herzulaufen; es hängt da das Leben eines Menschen nur an einem versengten Haare; aber ich meine, Ihr seid der Mann, welcher Abenteuer sucht, und hier findet Ihr eins, welches gar nicht interessanter sein könnte.“

„Das ist richtig,“ antwortete ich. „Es ist aber niemals meine Leidenschaft gewesen, mich in fremder Leute Sache zu mischen. Dieser Samuel Haller geht mich gar nichts an, und ich weiß ja auch nicht, ob ich zu Euch passen würde.“

Er blinzelte mich mit seinen kleinen Äuglein sehr schalkhaft an und sagte:

„Ihr meint es wohl umgedreht: ob ich zu Euch passen würde. Na, da dürft Ihr keine Sorge haben. Der dicke Walker ist nicht der Mann, der mit dem ersten besten Westläufer Kameradschaft macht; darauf könnt Ihr Euch getrost verlassen. Ich bleibe gern für mich, und wenn ich mich einmal einem Andern anschließe, so muß ich Vertrauen zu ihm haben und es darf kein gewöhnlicher Kerl sein. Verstanden?“

„In dieser Beziehung bin ich grad wie Ihr. Ich bleibe auch am allerliebsten für mich. Man kann hier in der Wahl seiner Gefährten nicht vorsichtig genug sein. Man findet hier einen Kameraden, legt sich des Abends nieder und ist am Morgen eine Leiche; der Kamerad aber reitet mit seinem Raube wohlgemut davon.“

Zounds; denkt Ihr etwa, daß ich ein solcher Schlingel bin, Sir?“

„Nein. Ihr seid ein ehrlicher Kerl; das sieht man Euch an. Ja, noch mehr, Ihr gehört sogar zur Polizei, die doch keine Schlingels unter sich duldet.“

Er erschrak und wechselte die Farbe.

„Sir!“ rief er. „Was fällt Euch ein?“

„Still, Master Walker! Euer ganzer Habitus ist zwar nicht sehr polizeimäßig, aber gerade deshalb seid Ihr vielleicht ein sehr brauchbarer Detektive. Ihr hieltet mich zwar für einen Neuling, aber ich habe Euch doch durchschaut. Seid in Zukunft vorsichtiger! Wenn es in diesen Breiten herumgesprochen wird, daß der dicke Walker nur deshalb die Prairie durchstreift, um als Geheimpolizist gewisse abhanden gekommene Gentlemen unschädlich zu machen, so habt Ihr sehr bald den letzten Schuß getan.“

„Ihr irrt Euch, Sir!“ versuchte er, mir zu versichern.

„Still! Euer Abenteuer spricht mich an, und ich würde mich Euch sofort anschließen, um diesen Railtroublers einen Streich zu spielen; die Gefahr könnte mich nicht abhalten, denn sie lauert ja überall auf unsereinen, soweit die Prairie reicht. Aber grad daß Ihr Versteckens spielt, das hält mich ab. Wenn ich mich einem Menschen anschließen soll, so muß ich wissen, woran ich mit ihm bin.“

Er blickte nachdenklich zu Boden; dann erhob er den Kopf und meinte:

„Gut, Sir, Ihr sollt wissen, woran Ihr mit mir seid. Ihr habt trotz Eures angeputzten Wesens etwas an Euch, was auch einem alten Wildläufer Vertrauen machen kann. Ich habe Euch im Waggon beobachtet und sage Euch aufrichtig, daß ich Euch gut geworden bin. Ich bin sonst ein einsamer, ungeselliger Junge, Euch aber hätte ich recht gern noch ein Weniges bei mir, und darum will ich aufrichtig sein! Ja, ich bin ein Beamter des Privat-Detektive-Korps von Dr. Sumter in St. Louis. Meine Aufgabe ist, entflohenen Subjekten im Hinterwalde nachzuspüren, gewiß kein leichtes Leben, aber ich verwende meine ganze Kraft darauf. Weshalb ich das tue, erzähle ich Euch später, wenn wir Zeit dazu haben; es ist eine traurige Geschichte. Und nun sagt mir, Sir, ob Ihr Euch mir anschließen wollt?“

„Ich will. Hier meine Hand; wir wollen treue Kameraden sein und alle Not und Gefahr miteinander teilen, Master Walker!“

Er schlug mit freudigem Gesichte ein und sagte.

„Das soll ein Wort sein, Sir! Habt Dank für Eure Einwilligung. Ich hoffe, daß wir uns nicht übel zusammenfinden werden. Aber laßt mir den Master Walker beiseite und nennt mich lieber Fred. Das ist kurz und bündig, und ich weiß genau, wer gemeint ist. Ich darf wohl auch wissen, wie ich Euch zu nennen habe?“

Ich nannte ihm meinen Namen und fügte hinzu.

„Ruft mich einfach Charles; das ist genug. Aber seht, der Damm ist ausgebessert und die Strecke wieder fahrbar. Man wird bald wieder einsteigen.“

„So will ich Viktory holen. Ihr braucht über ihn nicht zu erschrecken. Er sieht nach nichts mehr aus; aber er hat mich zwölf lange Jahre getragen, und ich möchte ihn nicht gegen den besten Renner der Welt vertauschen. Habt Ihr noch etwas im Waggon?“

„Nein. Aber Fred, wir werden diesen Leuten sagen, was wir vorhaben?“

„Nein. Je weniger man von uns weiß, desto sicherer sind wir.“

Er trat an den Wagen, in welchem sich sein Pferd befand, und ließ sich denselben öffnen. Das Terrain eignete sich nicht im mindesten zum Ausladen eines Pferdes, und es war auch kein Apparat dazu vorhanden; aber es ging ganz anders, als ich dachte.

„Viktory, come on!“

Auf diesen Ruf des Jägers steckte das alte Tier zuerst seinen Kopf heraus, um sich das Terrain anzusehen, legte bedenklich die langen Ohren nach hinten und sprang dann mit einem einzigen, wirklich verwegenen Satze heraus auf den Damm. Sämtliche Anwesende, welche bei diesem Sprunge zugegen waren, klatschten Beifall. Das Tier schien dies zu verstehen; es wedelte mit dem Schwanze und stieß ein lautes Wiehern aus.

Dieses Pferd sah gar nicht so aus, als wenn es seinen Namen Viktory, Sieger, mit nur der allergeringsten Spur von Recht trage. Es war ein dürrer, hochbeiniger Fuchs, der sicherlich bereits zwanzig Jahre zählte. Die Mähne war ihm ganz abhanden gekommen; der Schwanz zeigte nur noch einige ganz dürre Haarsträhnen, und die Ohren sahen aus wie zwei Kaninchenlöffel im Superlativ. Dennoch hatte ich alle Achtung vor dem Tiere, zumal da ich sah, daß es ausschlug und biß, als einer der Männer vertraulich nach ihm langte. Viktory hatte, wie man sieht, große Ähnlichkeit mit der alten Tony meines guten Sans-ear. Er war gesattelt und gezäumt. Fred bestieg ihn und sprengte den steilen Damm hinab, ohne den Anderen irgend eine Bemerkung zu machen. Sie bekümmerten sich auch nicht weiter um uns. Wir waren ihnen ja fremd, und es war ihnen also vollständig gleichgültig, daß wir den Zug verließen.

Unten am Damme hielt Walker an.

„Seht Ihr, Charles, wie gut es nun wäre, wenn Ihr ein Pferd hättet?“ meinte er.

„Es wird nicht lange dauern, so haben wir eins,“ antwortete ich. „Mit Hilfe Eures Viktory werde ich mir sehr leicht eins fangen.“

„Ihr? Das müßte ich fangen, denn ich gebe Euch mein Wort, daß Ihr den Viktory nicht reiten könnt. Er trägt keinen andern Menschen als nur mich allein.“

„Das würde sich finden!“

„Es ist aber so; ich versichere es Euch. Wir könnten, damit Euch das Laufen nicht so sehr angreift, zuweilen mit dem Pferde wechseln; aber es wirft Euch sicher ab, und so seid Ihr zum Marschieren verurteilt, bis wir eine Mustang-Herde treffen. Das ist höchst unangenehm, da wir auf diese Weise nur langsam vorwärts kommen und sehr viele Zeit versäumen. Aber seht, da steigen die Leute ein; der Zug will weiter gehen.“

Es war so, wie er sagte. Die Maschine gab Dampf; die Räder bewegten sich, und der Zug rollte dem Westen wieder entgegen. Nach wenigen Augenblicken war er unseren Augen entschwunden.

„Hängt Eure schwere Büchse an meinen Sattel,“ sagte Walker.

„Ein guter Jäger trennt sich keinen Augenblick von seinem Gewehre,“ antwortete ich. „Ich danke Euch, Fred. Vorwärts!“

„Ich werde langsam reiten, Charles.“

„Laßt den Viktory immer einen kräftigen Schritt nehmen; ich bin ein guter Läufer und halte aus.“

Well, so kommt!“

Ich warf die Decke über, hing den Stutzen über die Achsel, schulterte die Büchse und schritt an der Seite des Reiters vorwärts. Die Verfolgung der Railtroublers begann.

Ihre Fährte war so deutlich, daß wir uns nicht die mindeste Mühe zu geben brauchten, sie aufzuspüren. Sie wies beinahe grad nach Norden zu, und wir folgten ihr ohne Aufhalten bis um die Mittagszeit, wo wir einen kurzen Halt machten, um den Viktory ausruhen zu lassen und einen kleinen Imbiß zu uns zu nehmen. Er bestand aus dem wenigen, was wir zufällig eingesteckt hatten, denn es war uns nicht eingefallen, uns mit Hilfe der Vorräte des Zuges zu verproviantieren. So lange der Savannenmann eine Büchse und Munition besitzt, braucht er keinen Hunger zu leiden. Und in dieser Beziehung war ich gut versehen, denn mein wasserdichter Ledergürtel enthielt so viele Patronen, daß ich keine Sorge zu haben brauchte.

Das Land, in welchem wir uns befanden, war hügelig und recht gut bewaldet. Die Spur führte an einem kleinen Flusse aufwärts, dessen Ufer teils sandig und teils mit einem so fetten Grase bewachsen waren, daß die Hufe der Pferde einen stets sichtbaren Eindruck hinterlassen hatten. Am Nachmittage schoß ich einen recht feisten Waschbären, welcher uns ein gutes Nachtmahl versprach, und als es dunkel wurde, machten wir in einer kleinen, von dichtem Baumwuchse verhüllten Felsenschlucht Halt, wo wir ohne Sorge um Entdeckung ein Feuer anzünden und den Waschbären braten konnten. Wir fühlten uns an diesem Orte so vollständig sicher, daß wir es für überflüssig hielten, Wache zu halten, sondern uns alle Beide schlafen legten, nachdem Fred seinen Viktory versorgt hatte.

Am andern Morgen brachen wir sehr in der Frühe auf und erreichten am Nachmittage den Ort, an welchem die Railtroublers während der verflossenen Nacht gelagert hatten. Sie hatten mehrere offene Feuer gebrannt, schienen also jeder Verfolgung Hohn sprechen zu wollen. Gegen Abend ritten und gingen wir demselben Flüßchen entlang über eine Ebene hin und hielten auf eine Ecke zu, welche der Urwald gegen das Grasland bildete, Wir hatten die Verfolgten fast eine ganze Tagereise vor uns und fühlten uns um so sicherer, als wir auch nicht die mindeste Spur von der Anwesenheit eines andern Menschen bemerkt hatten. Wir erreichten die Ecke und wollten um dieselbe biegen, als wir Beide plötzlich zurückfuhren. Vor uns hielt ein Indianer, der zu derselben Minute im Begriffe gestanden hatte, von der andern Seite um die Spitze zu biegen. Er war mit einem Rappen beritten und führte ein mit einem beladenen Packsattel aufgeschirrtes Pferd neben sich.

In ganz demselben Momente, als er uns erblickte, glitt er blitzschnell vom Pferde, so daß er hinter demselben Deckung bekam, und schlug die Büchse auf uns an. Das ging so schnell, daß ich von ihm nur die Gestalt gesehen hatte, aber auch nur sehr flüchtig und undeutlich.

Auch Fred war mit derselben Gewandtheit von seinem Pferde gesprungen und hatte sich hinter dasselbe gestellt; ich aber schnellte mich mit einem raschen, weiten Satze in die Waldecke hinein und faßte hinter einer starken Blutbuche Posto. Kaum jedoch stand ich da, so blitzte die Büchse des Indianers auf, und seine Kugel schlug in den Stamm der Buche – nur den zehnten Teil eines Augenblickes früher, so hätte sie mich durchbohrt, Dieser Mann hatte sofort erkannt, daß ich ihm gefährlicher sei als Fred, weil ich, durch die Bäume gedeckt, ihn und seine Pferde umgehen und dann von hinten auf ihn schießen konnte.

Schon während meines Sprunges hatte ich die Büchse halb erhoben, jetzt aber, als die Kugel in den Baum schlug, ließ ich sie wieder sinken. Warum?

Ein jeder erfahrene Westmann weiß, daß ein jedes Gewehr seine eigene Stimme hat. Es ist unendlich schwierig, den Krach zweier Büchsen in dieser Beziehung zu unterscheiden; aber das Leben in der Wildnis schärft die Sinne bis zur höchsten Potenz, und wer eine Büchse öfters gehört hat, der kennt ihren Knall unter hunderten heraus. Daher kommt es, daß Jäger, die sich früher trafen, und dann lange Zeit nicht mehr sahen, sich bereits von weitem an der Stimme ihrer Gewehre wieder erkennen.

So ging es auch mir in diesem Augenblicke. Die Büchse, mit welcher der Wilde jetzt geschossen hatte, hätte ich während meines ganzen Lebens nicht vergessen können. Ich hatte ihren scharfen, sonoren Knall während langer Zeit nicht gehört, erkannte ihn aber im Augenblicke. Sie gehörte dem berühmten Apachenhäuptling Winnetou, jenem Indianer, von dem Walker gestern am Bahndamme gesprochen hatte, und der mein Lehrer und Freund gewesen war im wildesten Wald- und Savannenleben. War er es selbst, der sie jetzt noch trug, oder war sie in eine andere Hand übergegangen? Ich rief in der Mundart der Apachen hinter dem Baume hervor:

Toselkhita, shi shteke – schieß nicht, ich bin dein Freund!“

To tistsa tá ti. Ni peniyil – ich weiß nicht, wer du bist. Komm heraus!“ antwortete er.

Ni Winnetou, natan shis inté – bist du Winnetou, der Häuptling der Apachen?“ fragte ich, um ganz sicher zu gehen.

Ha-au – ich bin es!“ antwortete er.

Im Nu sprang ich hinter dem Baume hervor und auf ihn zu.

„Schar-lih!“ rief er frohlockend.

Er öffnete die Arme, und wir lagen uns am Herzen.

Schar-lih, shi shteke, shi nta-ye – Karl, mein Freund, mein Bruder!“ fuhr er, beinahe weinend vor Freude, fort. „Shi intá ni intá, shi itchi ni itchi – mein Auge ist dein Auge, und mein Herz ist dein Herz!“

Auch ich war so ergriffen von diesem so ganz und gar unerwarteten Wiedersehen, daß mir das Wasser in die Augen trat. Es konnte mir nichts Glücklicheres geschehen, als ihn hier zu treffen. Er blickte mich immer von Neuem mit liebevollen Augen an; er drückte mich immer von Neuem an seine Brust, bis er sich endlich erinnerte, daß wir nicht allein waren.

Ti ti ute – wer ist dieser Mann?“ fragte er, auf Walker deutend.

Aguan ute nshó, shi shteke ni shteke – er ist ein guter Mann, mein Freund und auch dein Freund,“ antwortete ich.

Ti tenlyé aguan – wie ist sein Name?“

The thick Walker,“ nannte ich englisch den Namen meines Gefährten.

Da streckte er auch Fred die Hand entgegen und begrüßte ihn:

„Der Freund meines Bruders ist auch mein Freund! Fast hätten wir uns erschossen, aber Schar-lih hat die Stimme meiner Büchse erkannt, wie ich auch die seinige erkannt hätte. Was tun meine weißen Brüder hier?“

„Wir verfolgen die Feinde, deren Fährte du hier im Grase siehst,“ antwortete ich.

„Ich habe sie erst vor einigen Minuten erblickt. Ich komme von Osten her an dieses Wasser. Was für eine Farbe haben diese Männer, denen ihr folgt?“

„Es sind Weiße und einige Ogellallah.“

Bei dem letzten Worte zogen sich seine Brauen zusammen. Er legte die Hand auf den glänzenden Tomahawk, welcher in seinem Gürtel steckte, und sagte:

„Die Söhne der Ogellallah sind wie die Kröten; wenn sie aus ihren Löchern kommen, so werde ich sie zertreten. Darf ich mit meinem Bruder Schar-lih gehen, um die Ogellallah zu sehen?“

Nichts konnte mir willkommener sein als diese Frage; wenn wir Winnetou zu unserm Verbündeten erhielten, so war das ebenso, als wenn zwanzig Westmänner zu uns gehalten hätten. Ich wußte zwar, daß er nach so langer Trennung mich keineswegs sogleich verlassen würde; aber daß er sich selbst zur Begleitung anbot, das war ein Zeichen, daß ihm unser Abenteuer ein willkommenes sei. Darum antwortete ich:

„Der große Häuptling der Apachen ist uns gekommen wie der Sonnenstrahl dem kalten Morgen. Sein Tomahawk mag wie der unserige sein.“

„Meine Hand ist eure Hand, und mein Leben ist euer Leben. Howgh!“

Was meinen dicken Fred betrifft, so war es ihm sehr deutlich anzusehen, welchen gewaltigen Eindruck der Apache auf ihn machte. Es wäre jedem Andern auch so ergangen, denn Winnetou war wirklich das Prachtexemplar eines Indianers, und sein Anblick mußte einen jeden Westmann entzücken.

Er war nicht etwa übermäßig hoch und massig gebaut, sondern grad die zierlichen, dabei aber äußerst nervigen Körperformen und die Spannkraft einer jeden seiner Bewegungen hätten auch dem stärksten und erfahrensten Trapper imponiert. Er trug ganz dieselbe Kleidung und Bewaffnung wie früher, als wir uns unten am Rio Pecos trafen und dann oben bei den Schlangen-Indianern wieder trennten. Wie er jetzt vor uns stand, so hatte ich ihn stets gesehen, nett und sauber in seiner ganzen Erscheinung, ritterlich und gebieterisch in dem ganzen Eindrucke, den er machte, jeder Zoll an ihm ein Mann, ein Held.

Der dicke Fred war jedenfalls am meisten darüber überrascht, daß an diesem Indsman alles glänzte und flimmerte, daß an ihm nicht die leiseste Spur eines Fleckes zu entdecken war, und der Blick der kleinen Äuglein flog so sprechend zwischen mir und Winnetou hin und her, daß ich erriet, welche Parallele er zwischen uns zog. –

„Meine Brüder mögen sich niedersetzen, um die Pfeife des Friedens mit mir zu rauchen,“ sagte der Apache.

Er setzte sich gleich da, wo er stand, in das Gras, langte in den Gürtel und zog ein kleines Quantum Tabak, welcher mit wilden Hanfblättern vermischt war, hervor, mit dem er sein mit Federn geschmücktes Calumet stopfte. Wir nahmen neben ihm Platz. Die Zeremonie der Friedenspfeife war unumgänglich notwendig, denn sie besiegelte das Bündnis, welches wir geschlossen hatten, und ehe sie nicht geraucht war, hätte Winnetou sicher kein einziges Wort über unsern Plan gesprochen.

Als er den Tabak in Brand gesteckt hatte, erhob er sich und stieß einen Mund voll Rauch grad zum Himmel empor und ebenso einen grad zur Erde nieder; dann verneigte er sich nach den vier Himmelsgegenden, indem er vier Züge aus der Pfeife tat und den Rauch nach den betreffenden Richtungen blies. Hierauf setzte er sich nieder und gab mir die Pfeife mit den Worten:

„Der große Geist hört meinen Schwur: meine Brüder sind wie ich, und ich bin wie sie; wir sind Freunde!“

Ich ergriff das Calumet, erhob mich, tat wie er und sagte dann:

„Der große Manitou, den wir verehren, beherrscht die Erden und die Sterne. Er ist mein Vater und dein Vater, o Winnetou; wir sind Brüder und werden uns beistehen in jeder Gefahr. Die Pfeife des Friedens hat unsern Bund erneut.“

Ich gab die Pfeife an Walker, der ebenso wie wir vorher den Rauch nach den vier Richtungen ausstieß und dann gelobte:

„Ich sehe den großen Winnetou, den herrlichsten Häuptling der Mescaleros, Mimbrenjos und Apachen; ich trinke den Rauch seiner Pfeife und bin sein Bruder. Seine Freunde sind meine Freunde und seine Feinde meine Feinde, und nie soll dieser Bund gebrochen werden!“

Er nahm dann wieder Platz und gab dem Apachen die Pfeife zurück, welcher diese weiterrauchte. Jetzt war der Sitte Genüge getan, und wir konnten uns besprechen.

„Mein lieber Bruder Schar-lih mag mir erzählen, was er erlebt hat, seit er von mir geschieden ist,“ bat mich jetzt Winnetou.

Ich folgte diesem Wunsche so kurz wie möglich. Was ich seit unserer letzten Trennung getan hatte, das konnte ich ihm später ausführlich erzählen. Dann forderte ich ihn auf:

„Mein Bruder Winnetou sage mir, was er erlebt hat, seit ich ihn nicht sah, und wie er so entfernt von dem Wigwam seiner Väter auf das Jagdgebiet der Sioux kommt!“

Er tat einen langen, bedächtigen Zug aus dem Calumet und antwortete dann:

„Das Wetter stürzt das Wasser aus den Wolken herab, und die Sonne trägt es wieder empor. So ist es mit dem Leben des Menschen. Die Tage kommen und verschwinden. Was soll Winnetou viel erzählen von den Sonnen, die vorüber sind? Ein Häuptling der Sioux-Dakota beleidigte mich; ich folgte ihm und nahm seinen Skalp; seine Leute verfolgten mich; ich vernichtete meine Fährte, kehrte zu ihren Wigwams zurück und holte mir die Zeichen meines Sieges, welche ich auf das Pferd des Häuptlings lud. Da steht es!“

Mit diesen wenigen, anspruchslosen Worten berichtete dieser Mann eine Heldentat, zu deren Erzählung ein Anderer die Zeit von Stunden gebraucht hätte. Aber so war er. Er hatte von den Ufern des Rio Grande im Süden bis weit hinauf zum Milk-River im Norden der Vereinigten Staaten Monate lang einen Feind durch Urwälder und Prairien verfolgt, diesen endlich im männlichen, offenen Kampfe besiegt, sich dann mitten in das Lager der Gegner gewagt und ihnen die köstlichsten Trophäen abgenommen. Das war ein Stück, welches ihm kein Anderer nachmachte, und wie bescheiden berichtete er es! Er fuhr fort:

„Meine Brüder wollen die Ogellallah und die weißen Männer verfolgen, welche man Railtroublers nennt. Dazu bedarf es guter Pferde. Will mein Freund Schar-lih das Roß des Sioux-Dakota reiten? Es hat die beste indianische Dressur, und er versteht sich auf dieselbe besser als ein anderes Bleichgesicht.“

Bereits früher hatte er mir einen herrlichen Mustang geschenkt; ich wollte also die Gabe ablehnen und antwortete daher:

„Ich bitte meinen Bruder um die Erlaubnis, mir ein Pferd selbst zu fangen. Das Roß des Dakota hat die Beute zu tragen.“

Er schüttelte den Kopf und entgegnete:

„Warum will mein Bruder vergessen, daß Alles sein ist, was mir gehört. Warum will er große Zeit versäumen mit der Pferdejagd? Soll diese Jagd uns den Ogellallah verraten? Glaubt er, daß Winnetou Beute bei sich führen wird, wenn er der Fährte der Sioux folgt? Winnetou wird sie vergraben, und das Pferd wird ledig sein. Howgh!“

Dagegen war nichts zu machen; ich mußte die Gabe annehmen. Übrigens hatte ich das Pferd schon längst mit bewundernden Augen betrachtet. Es war ein Schwarzschimmel von dunkelster Färbung, kurz gebaut, kurz gefesselt, fein und doch kräftig gegliedert und so sichtbar geädert, daß man seine Freude an ihm haben mußte. Die volle Mähne hing bis über den Hals herab; der Schweif berührte beinahe den Boden; das Innere der Nüstern zeigte jene rötliche Färbung, auf welche der Indianer so sehr viel gibt, und in den großen Augen lag bei allem Feuer des Ausdruckes doch eine Art ruhiger Überlegung, welche hoffen ließ, daß ein guter Reiter sich auf dieses Pferd verlassen könne.

„Aber der Sattel?“ bemerkte Fred. „Ihr könnt doch nicht auf einem Packsattel reiten, Charles!“

„Das ist das wenigste,“ antwortete ich. „Habt Ihr noch nicht gesehen, wie ein Indsman einen Reitsattel aus dem Packsattel macht? Seid Ihr noch nicht dabei gewesen, wenn ein geschickter Jäger sich mit Hilfe der noch rauchenden Haut eines frisch erlegten Wildes einen ganz leidlichen Sattel herstellt? Ihr sollt sehen, daß ich bereits morgen mit einem so bequemen Sitze versehen bin, daß Ihr mich um denselben beneiden werdet.“

Der Apache nickte zustimmend und meinte:

„Winnetou hat nicht weit von hier am Wasser die frische Spur eines großen Wolfes gesehen. Ehe die Sonne untergegangen ist, werden wir sein Fell und seine Rippen haben, welche einen guten Sattel geben. Haben meine Brüder Fleisch zu essen?“

Als ich bejahend antwortete, fuhr er fort:

„So mögen meine Brüder aufbrechen, um mit mir den Wolf zu holen und einen Lagerplatz zu suchen, an welchem ich die Beute vergraben kann. Sobald die Sonne am Morgen erscheint, werden wir den Spuren der Railtroublers folgen. Sie haben die Wagen des Feuerrosses zerstört; sie haben viele ihrer weißen Brüder beraubt, getötet und verbrannt. Der große Geist ist zornig über sie und wird sie in unsere Hände geben, denn sie haben nach dem Gesetze der Savanne den Tod verdient.“

Wir verließen den Platz, an welchem ein ebenso merkwürdiges wie glückliches Zusammentreffen stattgefunden hatte. Der Lagerplatz des Wolfes war bald gefunden; wir erlegten das Tier, welches zu der Art gehörte, welche der Indianer Coyote nennt, und saßen kurze Zeit später am Feuer, um einen Sattel anzufertigen. Am andern Morgen vergruben wir die Beute Winnetous, welche aus indianischen Waffen und Medizinsäcken bestand, und bezeichneten den Ort, um ihn später wiederfinden zu können. Dann brachen wir auf, den Mördern nach, die wohl verächtlich gelacht hätten, wenn ihnen bekannt gewesen wäre, daß drei Männer es wagten, sie, die an Zahl so Überlegenen, zur Rechenschaft zu ziehen. – – –

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