An der großen Westbahn

Ich hatte seit dem frühen Morgen eine tüchtige Strecke zurückgelegt. Jetzt fühlte ich mich einigermaßen ermüdet und von den kräftigen Strahlen der hoch im Zenit stehenden Sonne belästigt; daher beschloß ich, Rast zu halten und mein Mittagsmahl zu mir zu nehmen. Die Prairie dehnte sich, eine Bodenwelle nach der andern bildend, in unendlicher Weite vor mir aus. Seit fünf Tagen, wo unsere Gesellschaft durch einen zahlreichen Trupp Ogellallahs zersprengt worden war, hatte ich weder ein nennenswertes Tier noch die Spur eines Menschen bemerkt und begann nun endlich mich nach irgend einem vernünftigen Wesen zu sehnen, an welchem ich erproben konnte, ob mir nicht vielleicht infolge des lange anhaltenden Schweigens die Sprache verloren gegangen sei.

Einen Bach oder ein sonstiges Wasser gab es hier nicht, Wald oder Buschwerk ebensowenig; ich brauchte also nicht lange zu wählen und konnte Halt machen, wo es mir eben beliebte. Ich sprang in einem Wellentale zur Erde, hobbelte meinen Mustang an, nahm ihm die Decke ab und stieg die kleine Bodenerhebung empor, um mich dort niederzulassen. Das Pferd mußte unten bleiben, damit es im Falle einer feindlichen Annäherung nicht bemerkt würde; ich selbst aber mußte den erhöhten Punkt wählen, um die Gegend überblicken zu können, während es nicht leicht möglich war, mich zu sehen, wenn ich mich auf den Boden legte.

Ich hatte gute Gründe, vorsichtig zu sein. Wir waren in einer Gesellschaft von zwölf Männern vom Ufer des Platte aufgebrochen, um im Osten der Felsenberge hinabzugehen nach Texas. Zu derselben Zeit hatten die verschiedenen Stämme der Sioux ihre Lagerdörfer verlassen, weil einige ihrer Krieger getötet worden waren und sie nun Rache nehmen wollten. Wir wußten dies, fielen aber trotz aller List in ihre Hände und wurden nach einem harten, blutigen Kampfe, in welchem fünf von uns das Leben ließen, nach allen Richtungen über die Prairie zerstreut.

Da die Indsmen aus unserer Fährte, die wir nicht ganz zu verwischen vermochten, wohl ersehen hatten, daß wir nach Süden gingen, so war mit Sicherheit anzunehmen, daß sie uns folgen würden. Es galt also, die Augen offen zu halten, wenn man nicht das Glück haben wollte, sich eines Abends in die Decke zu wickeln und am Morgen dann ohne Skalp in den „ewigen Jagdgründen“ zu erwachen.

Ich legte mich nieder, langte ein Stück getrocknetes Büffelfleisch hervor, rieb es anstatt des Salzes mit Schießpulver ein und versuchte, es mit den Zähnen in einen Zustand zu bringen, welcher es mir ermöglichte, die lederharte Substanz in den Magen zu befördern. Dann nahm ich eine von meinen „Selbstgefertigten“, steckte sie mit Hilfe des Punks in Brand und blies Rauchfiguren mit einem Behagen, als sei ich ein virginischer Pflanzer und rauche die mit Glanzhandschuhen ausgezupften Herzblätter des besten Goosefoot.

Noch nicht lange hatte ich so auf meiner Decke gelegen, als ich, zufälligerweise hinter mich blickend, einen Punkt am Horizonte bemerkte, welcher sich in einem spitzen Winkel mit der von mir verfolgten Richtung grad auf mich zu bewegte, Ich schlüpfte von der Erhöhung so weit nieder, daß mein Leib durch dieselbe vollständig gedeckt wurde, und beobachtete die Erscheinung, in welcher ich nach und nach einen Reiter erkannte, welcher nach Indianerart weit vornüber auf dem Pferde hing.

Als ich ihn zuerst bemerkte, war er wohl anderthalb englische Meilen von mir entfernt. Sein Pferd ging in einem so langsamen Schlenderschritt, daß es beinahe eine halbe Stunde brauchte, um eine Meile zurückzulegen, Wieder hinaus in die Ferne blickend, aus welcher er kam, bemerkte ich zu meiner Überraschung noch vier Punkte, welche sich ganz genau auf seiner Fährte fortbewegten. Das mußte meine Aufmerksamkeit in hohem Grade erregen. Der erste Reiter war ein Weißer, wie ich jetzt an der Kleidung untrüglich erkannte. Waren die anderen vielleicht Indianer, welche ihn verfolgten? Ich zog mein Fernrohr hervor. Ich hatte mich nicht geirrt. Sie kamen näher, und ich konnte durch die Gläser sehr deutlich an ihrer Bewaffnung und Tätowierung erkennen, daß sie zu den Ogellallahs, dem kriegerischsten und grausamsten Stamme der Sioux, gehörten. Sie waren außerordentlich gut beritten, während das Pferd des Weißen ein sehr gewöhnliches Tier zu sein schien. Er war mir jetzt so nahe gekommen, daß ich ihn bis in das einzelnste betrachten konnte.

Er war von kleiner, sehr hagerer Statur und trug auf dem Kopfe einen alten Filzhut, dem die Krämpe vollständig fehlte, ein Umstand, der in der Prairie nicht auffallen konnte, hier aber einen Mangel hervorhob, der mir höchst auffällig erscheinen mußte: der Mann hatte nämlich keine Ohren. Die Stelle, an welcher sie sich befinden sollten, zeigte die Spuren einer gewalttätigen Behandlung, sie waren ihm jedenfalls abgeschnitten worden. Um die Schulter hing ihm eine ungeheure Decke, welche den Oberleib vollständig verhüllte und kaum die hageren Beine erkennen ließ, die in einem Paar so eigentümlicher Stiefel steckten, daß man drüben in Europa über dieselben gelacht hätte. Sie bestanden nämlich in derjenigen Sorte von Fußbekleidung, wie sie die Gauchos in Südamerika zu fertigen und zu tragen pflegen. Man zieht von einem enthuften Pferdefuße die Haut ab, steckt, wenn sie noch warm ist, das Bein hinein und läßt sie an demselben erkalten: die Haut legt sich eng und fest an Fuß und Unterbein und bildet so eine vortreffliche Fußbekleidung, welche allerdings die Eigentümlichkeit hat, daß man mit derselben auf seinen eigenen Sohlen geht. Am Sattel hatte er ein Ding hängen, welches jedenfalls eine Büchse sein sollte, eher aber einem Knittel ähnlich sah, wie man ihn zufällig im Walde findet. Sein Pferd war eine alte hoch- oder vielmehr kamelbeinige Stute, welcher der Schwanz vollständig fehlte; ihr Kopf war unverhältnismäßig groß, und die Ohren besaßen eine Länge, über welche man hätte erschrecken können. Das Tier sah aus, als sei es aus verschiedenen Körperteilen vom Pferd, Esel und Dromedar zusammengesetzt, hing beim Laufen den Kopf tief zur Erde und ließ dabei die Ohren wie ein Neufundländer Wasserhund hart am Kopfe herabfallen, wie wenn sie ihm zu schwer wären.

Unter anderen Verhältnissen oder als Neuling hätte man über Reiter und Pferd wohl lachen müssen, mir aber kam der Mann trotz der Sonderbarkeit seines Äußern doch vor wie einer jener Westmänner, welche man erst kennen lernen muß, um ihren Wert zu beurteilen. Er hatte wohl keine Ahnung, daß vier von den fürchterlichsten Feinden des Prairiejägers ihm so nahe seien, sonst hätte er nicht so langsam und sorglos seinen Weg verfolgt und sich doch zuweilen nach ihnen umgeschaut.

Er war jetzt bis auf hundert Schritte herbeigekommen und hatte meine Fährte erreicht. Wer sie eher bemerkte, er oder sein Pferd, das vermochte ich nicht zu sagen, aber ich sah ganz deutlich, daß die Stute von selbst stehen blieb, den Kopf noch tiefer als vorher zur Erde senkte, mit den Augen nach den Fußspuren meines Mustangs schielte und dabei überaus lebhaft mit den langen Ohren wedelte, welche bald auf- und bald niederwärts gingen, und sich bald vor-, bald rückwärts legten, daß es aussah, als ob sie von einer unsichtbaren Hand aus dem Kopfe gedreht werden sollten. Der Reiter wollte absteigen, um die Fährte genau zu untersuchen; dabei hätte er unnützerweise die so kostbare Zeit verloren, und daher kam ich ihm durch meinen Ruf zuvor:

„Halloo, heda, Mann! Haltet Euch unten und kommt doch einmal ein wenig näher heran!“

Ich hatte meine Stellung so verändert, daß er mich sehen konnte. Auch seine Stute hob den Kopf, legte die Ohren steif nach vorn, als wollte sie meinen Anruf wie einen Ball auffangen, und wedelte dabei emsig mit dem kurzen nackten Schwanzstumpfe.

„Halloo, Master,“ antwortete er, „nehmt ein andermal Eure Stimme in acht, und brüllt ein wenig leiser; auf dieser alten Wiese hier weiß man niemals richtig, ob es nicht vielleicht hier oder da Ohren gibt, die nichts zu hören brauchen! Komm, Tony!“

Die Stute setzte auf diesen Zuruf ihre unendlichen Beine in Bewegung und blieb dann ganz von selbst bei meinem Mustang stehen, dem sie nach einem hochmütigen und malitiösen Blick denjenigen Körperteil zukehrte, den man bei einem Schiffe den Stern zu nennen pflegt. Sie war wohl eines jener Reittiere, welche – wie sie in der Prairie nicht selten vorkommen – nur für ihren Herrn leben, jedem Andern aber sich so widerspenstig zeigen, daß sie für ihn unbrauchbar sind.

„Weiß ganz genau, wie laut ich reden darf!“ gab ich ihm zur Antwort. „Woher kommt ihr, und wohin wollt Ihr, Master?“

„Das geht Euch verteufelt wenig an!“ entgegnete er.

„Meint Ihr? Sehr übermäßig höflich seid Ihr nicht, Master; dies Zeugnis kann ich Euch schon jetzt mit gutem Gewissen geben, obgleich ich kaum zwei Worte mit Euch gesprochen habe. Doch will ich Euch aufrichtig gestehen, daß ich gewohnt bin, eine Antwort zu erhalten, wenn ich frage!“

„Hm, ja; Ihr scheint mir allerdings ein sehr vornehmer Gentleman zu sein,“ meinte er mit einem geringschätzigen Blick auf mich. „Daher werde ich Euch sogleich die verlangte Auskunft geben!“ – Er winkte rückwärts und dann vorwärts. „Ich komme von daher und will dorthin.“

Der Mann begann, mir zu gefallen. Jedenfalls hielt er mich für einen von seiner Gesellschaft abgekommenen Sonntagsjäger. Der echte Westmann gibt auf sein Äußeres nichts und hegt eine offen gezeigte Abneigung gegen alles, was sauber ist. Wer sich jahrelang im wilden Westen umhertreibt, ist in Beziehung auf seinen Habitus nicht salonfähig und vermutet in jedem, der sich propre trägt, einen Greenbill, dem nichts Rechtes zuzutrauen ist. Ich hatte mich droben in Fort Wilfers mit neuer Kleidung versehen und war von jeher gewohnt, meine Waffen blank zu halten, zwei Umstände, welche nicht geeignet waren, mich in den Augen eines Savannenläufers als vollgültig erscheinen zu lassen. Daher nahm ich das kurz angebundene Wesen des fremden Männchens nicht übel und antwortete nun ebenso wie er nach vorwärts deutend:

„So macht, daß Ihr dorthin kommt; nehmt Euch aber vor den vier Indsmen in acht, welche sich da hinten auf Eurer Fährte halten! Ihr habt sie wohl noch gar nicht bemerkt?“

Er fixierte mich aus den hellen, scharfen Äuglein mit einem Blick, in welchem sich Erstaunen und Belustigung zugleich kundgaben.

„Nicht bemerkt? Hihihihi! Vier Indsmen hinter mir, und ich sie nicht bemerken! Ihr scheint mir zum Beispiel ein sonderbarer Kauz zu sein! Die guten Leute sind bereits seit heut früh hinter mir her; ich aber brauche mich nach ihnen gar nicht umzusehen, denn man kennt ja die Weise dieser roten Mesch’schurs. Sie werden sich in gehöriger Entfernung halten, solange es Tag ist, und mich dann beschleichen, wenn ich mir irgendwo einen Lagerplatz gesucht habe. Aber sie sollen sich zum Beispiel sehr verrechnet haben, denn ich werde ihnen einen Ring schlagen, der mich in ihren Rücken bringt. Ich hatte nur bisher kein passendes Terrain dazu; hier zwischen diesen Wellen kann ich’s endlich tun, und wenn Ihr lernen und sehen wollt, wie ein alter Westmann es einrichtet, sich an die Redmen zu bringen, so dürft Ihr nur hier bleiben und zehn Minuten warten. Werdet es aber wohl bleiben lassen, denn ein Mann Eures Schlages pflegt zum Beispiel verteufelt wenig Lust zu haben, eine Portion Indianerparfum einzuschnobern! Come on, Tony!“

Ohne sich weiter um mich zu bekümmern, ritt er davon und war bereits nach einer halben Minute samt seiner famosen Stute zwischen den Bodenerhebungen verschwunden.

Sein Plan war mir sehr verständlich, denn ich an seiner Stelle hätte einen ähnlichen Gedanken ausgeführt. Er wollte einen Bogen reiten, der ihn hinter seine Verfolger brachte, denen er sich nähern mußte, noch ehe sie aus der veränderten Richtung auf seine Taktik schließen konnten. Um diesen Zweck zu erreichen, durfte er sich natürlich nur in den Wellentälern halten, und besser war es, wenn er sich nicht hinter die Indsmen brachte, sondern den Bogen so kurz schlug, daß sie an ihm vorüber mußten. Sie hatten ihn bisher genau beobachten können, wußten also, wie weit sie ihn vor sich hatten, und konnten nicht vermuten, daß er ihnen wieder nahe sei.

Es waren Vier gegen Einen, und die Möglichkeit lag vor, daß ich in die Lage kommen konnte, meine Waffen zu gebrauchen. Ich untersuchte sie daher und erwartete dann den Verlauf der Dinge.

Die Indianer kamen jeden Augenblick näher, immer einer hinter dem andern. Sie hatten beinahe die Stelle erreicht, an welcher die Spur des Kleinen mit der meinigen zusammenlief, als der vorderste von ihnen sein Pferd anhielt und sich zurückwandte. Es schien sie doch zu befremden, daß der von ihnen verfolgte Weiße nicht mehr zu sehen war. Sie hielten eine kurze Beratung, während welcher sie eng beisammen blieben. Mit einer Kugel meines Bärentöters konnte ich sie bereits erreichen; aber das war gar nicht nötig, denn jetzt krachte ein Schuß, und in der nächsten Sekunde ein zweiter. Zwei Indianer sanken tot von ihren Pferden, und zu gleicher Zeit ertönte ein lauter, triumphierender Ruf.

„O – hi – hi – hiiii!“ erscholl es in jenem Kehllaute, in welchem der Schlachtruf der Indianer ausgestoßen wird.

Aber nicht ein Indianer ließ ihn hören, sondern der kleine Jäger, welcher aus einer nahen Talrinne auftauchte. Er hatte seinen Vorsatz ausgeführt, war hinter mir verschwunden, und vor mir wieder zu sehen. Er tat, als ob er nach seinen beiden Schüssen fliehen wolle. Seine Stute schien jetzt auf einmal ein ganz anderes Wesen geworden zu sein; sie warf die Beine auseinander, daß der Rasen krachte; der Kopf mit den enthusiastisch gespitzten Ohren lag tief im Genick, und jede Sehne, jede Faser schien angespannt zu sein. Reiter und Pferd waren wie verwachsen miteinander. Der Erstere schwang sein Gewehr und lud es im Galopp mit einer Sicherheit, welche darauf schließen ließ, daß er sich nicht das erste Mal in einer solchen Lage befand.

Hinter ihm knatterten zwei Schüsse; die beiden Indianer hatten auf ihn abgedrückt, aber keine Kugel traf ihn. Die Indsmen stießen ein Wutgeheul aus, griffen zu den Tomahawks und sprengten hinter ihm her. Er hatte sich bisher noch gar nicht nach ihnen umgesehen; jetzt aber war er mit dem Laden fertig und riß sein Pferd herum. Es war, als ob das Tier die Entschlüsse seines Reiters mitdächte; es hielt, streckte sich und stand dann bewegungslos wie ein Sägebock. Er nahm das Gewehr empor und zielte kurz; in den nächsten Augenblicken blitzte es zweimal auf, ohne daß die Stute zuckte – die beiden Indsmen waren durch die Köpfe getroffen.

Ich hatte bisher im Anschlage gelegen, aber nicht losgedrückt, da der Kleine meiner Hilfe nicht bedurfte. Jetzt war er vom Pferde gestiegen, um die Gefallenen zu untersuchen, und ich ging zu ihm heran.

„Nun, Sir, wißt Ihr jetzt zum Beispiel, wie man diesen roten Halunken einen Ring schlägt, he?“ fragte er mich.

Thank you, Master! Ich sehe, daß man bei Euch etwas lernen kann!“

Mein Lächeln mußte ihm denn doch etwas zweideutig erscheinen; er blickte mich scharf an und meinte dann:

„Oder wäret etwa auch Ihr auf einen solchen Gedanken gekommen?“

„Ein Ring war gerade nicht notwendig. Bei diesem Terrain, wo man sich in den Wellentälern unsichtbar machen kann, genügt es, sich auf einem großen Vorsprunge dem Feinde zu zeigen, und dann reitet man einfach auf der eigenen Spur zurück. Der Ring ist weit angemessener für die ebene und offene Prairie.“

„Schaut, wo Ihr das alles her haben mögt! Wer seid Ihr denn eigentlich, he?“

„Ich schreibe Bücher.“

„Ihr – schreibt – Bücher –?“ Er trat erstaunt einen Schritt zurück und zog ein halb bedenkliches, halb mitleidiges Gesicht. „Seid Ihr krank, Sir?“

Er deutete dabei nach der Stirn, so daß ich ganz genau wissen konnte, welche Krankheit er im Sinne habe.

„Nein!“ antwortete ich.

„Nicht? So kann Euch vielleicht ein Bär begreifen, ich aber nicht! Ich schieße mir einen Büffel, weil ich essen muß; aus welchem guten Grunde schreibt Ihr denn Eure Bücher?“

„Damit sie gelesen werden.“

„Sir, nehmt es mir nicht übel, aber das ist ja die allergrößte Dummheit, die sich ausdenken läßt! Wer Bücher lesen will, mag sie sich selbst schreiben, das muß ja zum Beispiel jedes Kind einsehen. Ich schieße mein Fleisch ja auch nicht für Andere! Also, hm, ja, ein book-maker seid Ihr? Aber wozu kommt Ihr da in die Savanne, he? Wollt Ihr etwa hier zum Beispiel Bücher schreiben?“

„Das tue ich erst, wenn ich wieder daheim bin; dann erzähle ich alles, was ich erlebt und gesehen habe, und viele Tausende von Leuten lesen es und wissen dann sehr genau, wie es in der Savanne zugeht, ohne daß sie nötig haben, selbst in die Prairie zu gehen.“

„So erzählt Ihr wohl auch von mir?“

„Versteht sich!“

Er fuhr noch einen Schritt weiter zurück; dann trat er hart an mich heran, legte die Rechte an den Griff seines Bowiemessers, die Linke an meinen Arm und sagte:

„Sir, dort steht Euer Pferd; hängt Euch hinauf und macht, daß Ihr weiter kommt, wenn Ihr nicht wollt, daß Euch einige Zoll kaltes, spitzes Eisen zwischen die Rippen schleichen! Bei Euch dürfte man ja kein Wort sprechen und keinen Arm bewegen, ohne daß es alle Welt erfährt. Hole Euch dieser und jener; trollt Euch schleunigst von dannen!“

Der kleine Mann reichte mir gerade bis an die Schulter, und dennoch war es ihm mit seiner Drohung Ernst, was mich innerlich natürlich belustigte, ohne daß ich es mir merken ließ.

„Ich verspreche Euch, nur Gutes von Euch zu schreiben!“ sagte ich.

„Ihr geht! Ich habe es gesagt, und dabei muß es bleiben!“

„So gebe ich Euch mein Wort, daß ich gar nicht über Euch schreiben will!“

„Gilt nichts! Wer sich hinsetzt, um für andere Leute Bücher zu machen, der ist verrückt, und ein Verrückter wird sein Wort nie halten. Also vorwärts, Mann, sonst läuft mir zum Beispiel die Galle in die Finger, und ich tue etwas, was Euch nicht angenehm ist!“

„Was könnte das wohl sein?“

„Das würdet Ihr gleich sehen!“

Ich sah ihm lächelnd in die zornig funkelnden Augen und sagte ruhig:

„Nun, so laßt es einmal sehen!“

„Da schaut her! Wie gefällt Euch diese Klinge?“

„Nicht übel; das will ich Euch beweisen!“

Im Nu hatte ich ihn gepackt, riß ihm die Arme nach hinten, steckte zwischen dieselben und seinen Rücken meinen linken Arm hindurch, preßte sie fest an mich und legte ihm dann meine Rechte so fest um sein Handgelenk, daß er mit einem Schmerzensrufe das Messer fallen ließ. Dieser unerwartete Überfall hatte den kleinen Mann so perplex gemacht, daß ihm der Riemen meines Kugelbeutels die Hände auf dem Rücken zusammenschnürte, noch ehe er eine Bewegung des Widerstandes unternommen hatte.

All devils!“ rief er. „Was fällt Euch ein! Was wollt Ihr denn zum Beispiel mit mir machen?“

„Halloo, Master, nehmt Eure Stimme in acht und brüllt ein wenig leiser,“ antwortete ich ihm mit seinen eigenen früheren Worten; „auf dieser alten Wiese weiß man niemals richtig, ob es nicht vielleicht hier oder da Ohren gibt, die nichts zu hören brauchen!“

Ich ließ ihn los und hatte mit einer raschen Bewegung dann das Messer und auch die Büchse ergriffen, welche er vorhin bei der Untersuchung der Toten weggelegt hatte. Er versuchte, die Hände loszureißen; die Anstrengung trieb ihm das Blut in das Gesicht, aber es gelang ihm nicht, die Festigkeit des Riemens zu überwinden.

„Laßt das sein, Master, Ihr kommt doch nicht eher frei, als bis ich es will!“ riet ich ihm. „Ich will Euch nämlich nur beweisen, daß ein book-maker stets gewohnt ist, mit Leuten so zu sprechen, wie sie mit ihm reden. Ihr zogt das Messer gegen mich, ohne daß ich Euch beleidigt oder sonst geschädigt hatte, und seid mir nach den Gesetzen der Savanne so verfallen, daß ich mit Euch tun kann, was mir beliebt. Kein Mensch kann mir etwas sagen, wenn ich es jetzt so einzurichten suche, daß dieses kalte, spitze Eisen sich zwischen Eure Rippen schleicht, statt zwischen die meinigen, wie Ihr vorhin wolltet.“

„Stoßt zu, Mann,“ antwortete er finster. „Es ist mir ganz recht, wenn Ihr mich auslöscht, denn die Schande, von einem einzigen Menschen Auge in Auge und am hellen Tage überwunden und gebunden worden zu sein, ohne daß ich ihm ein einziges Haar gekrümmt habe, die mag Sans-ear nicht überleben!“

„Sans-ear? Ihr seid Sans-ear?“ rief ich.

Ich hatte viel, sehr viel von diesem berühmten Westmann gehört, welchen noch kein Mensch in der Gesellschaft eines Andern gesehen hatte, weil er keinen für würdig hielt, sich ihm anzuschließen. Er hatte vor langen Jahren bei den Navajoes seine Ohren gelassen und trug daher den eigentümlicherweise aus zwei Sprachen zusammengesetzten Namen „Ohnohr“, unter welchem er bekannt war, so weit die Savanne reichte und noch drüber hinaus.

Er schwieg auf meine Frage, und erst als ich sie wiederholt hatte, antwortete er:

„Mein Name geht Euch nichts an! Habe ich einen schlechten, so ist er nicht wert, genannt zu werden, und habe ich einen guten, so hat er es verdient, daß ich ihn vor der jetzigen Schande bewahre.“

Ich trat auf ihn zu und löste seine Fessel.

„Hier habt Ihr Euer Messer und Eure Büchse; Ihr seid frei. Geht, wohin es Euch beliebt!“

„Macht keinen dummen Spaß! Kann ich die Schande hier lassen, von einem Greenhorn besiegt worden zu sein? Wenn es ein richtiger Kerl gewesen wäre, wie der rote Winnetou, der lange Haller oder gar ein Pfadfinder wie Old Firehand und Old Shatterhand, ja dann, dann – – –“

Der Alte tat mir leid; mein Coup war ihm wirklich zu Herzen gegangen, und es war mir lieb, daß ich ihn trösten konnte, denn er hatte eben jetzt den Namen genannt, unter welchem ich am Lagerfeuer der Weißen und in den Wigwams der Indianer bekannt geworden war.

„Ein Greenhorn?“ fragte ich. „Glaubt Ihr wirklich, daß ein Neuling es vermag, dem wackeren Sans-ear einen solchen Streich zu spielen?“

„Was seid Ihr anders? Ihr seht ja aus, als kämt Ihr direkt aus einem Schneiderladen, und Eure Waffen sind so schön blank geputzt, wie man sie für den Maskenball herrichtet!“

„Aber sie sind gut; das sollt Ihr einmal sehen! Paßt scharf auf!“

Ich nahm einen losen Stein von der doppelten Größe eines Dollarstückes von der Erde auf, warf ihn hoch in die Luft, legte schnell an, und in dem Augenblick, in welchem ihn die Kräfte des Wurfes und der Anziehung den höchsten Punkt erreichen ließen und er bewegungslos in der Luft zu schweben schien, traf ihn meine Kugel, die ihn noch höher trieb.

Ich hatte früher zu meiner Übung diesen Schuß viele hundert Male versucht, ehe er mir gelang; es war kein besonderes Meisterstück. Der Kleine aber sah mich mit einem Paar Augen an, in denen ich fast den Ausdruck der Bestürzung zu erkennen glaubte.

Heavens, war das ein Schuß! Gelingt er immer?“

„Neunzehn Male unter zwanzig.“

„Ja, dann seid Ihr ja einer, den man suchen muß! Wie lautet denn zum Beispiel Euer Name?“

„Old Shatterhand.“

„Nicht möglich! Old Shatterhand muß viel, viel älter sein als Ihr, sonst würde man ihn nicht den alten Schmetterhand nennen.“

„Ihr vergeßt, daß das Wort old sehr oft anders gebraucht wird als zur Bezeichnung des Alters.“

„Richtig! Aber, hm, nehmt mir’s nicht übel, Sir; Old Shatterhand hat einmal unter einem Grizzlybären gelegen, der ihn im Schlafe überraschte und ihm das ganze Fleisch von der Schulter bis über die Rippe hinunterzog; er hat sich den Streifen Rumpsteak zwar glücklich wieder aufgeleimt, aber die Narbe muß doch zum Beispiel noch recht gut zu sehen sein!“

Ich öffnete meinen Büffelrock und das darunter befindliche weiße, hirschlederne Jagdhemd.

„Schaut her!“

„Potz alle Wetter, hat Euch der Kerl zugerichtet! Da müssen ja alle achtundsechzig Rippen blank zu Tage gelegen haben?“

„So war es beinahe auch. Es geschah unten am Redriver, und ich lag mit dieser fürchterlichen Wunde zwei Wochen lang neben dem Bären am Flusse, nur auf mich selbst angewiesen, bis mich Winnetou, der Apachenhäuptling, fand, dessen Namen Ihr vorhin genannt habt.“

„So seid Ihr also doch Old Shatterhand! Hm, ich will Euch einmal etwas sagen: Glaubt Ihr, daß ich zum Beispiel ein ganz entsetzlicher Dummkopf bin?“

„Nein, das glaube ich nicht. Ihr habt ja nur den Irrtum begangen, mich für ein Greenhorn zu halten, weiter nichts. Von einem Neuling konntet Ihr keinen solchen Angriff erwarten; Sans-ear ist nur durch Überraschung zu besiegen.“

„Oho! Bei Euch bedarf es, wie es scheint, keiner Überraschung. Es wird wohl wenige Männer geben, die Eure Büffelstärke besitzen. Von Euch überrumpelt zu werden, ist keine Schande. Mein richtiger Name ist eigentlich Sam Hawerfield, und wenn Ihr mir einen Gefallen tun wollt, so nennt mich Sam!“

„Und Ihr mich Charley, wie alle meine Freunde. Hier habt Ihr meine Hand!“

„Topp, so mag es sein, Sir! Der alte Sam ist nicht der Mann, der jedem gleich die Finger drücken mag; bei Euch jedoch schlage ich augenblicklich ein. Aber ich bitte Euch, macht es gnädig, daß Ihr mir nicht etwa die Hand zu Pudding quetscht! Ich brauche sie weiter.“

„Keine Angst, Sam! Diese Hand soll mir noch manchen Gefallen erweisen, ebenso wie die meinige bereit ist, Euch zu dienen. Aber jetzt darf ich wohl meine erste Frage zum zweiten Male aussprechen: Woher des Wegs und wohin?“

„Ich komme gerade jetzt ein wenig von Canada herunter, wo ich den Lumberstrikers Gesellschaft geleistet habe, und will nun zum Beispiel hinein in das Texas und Mexiko, wo es so viele Schufte geben soll, daß einem das Herz lacht bei dem Gedanken an die Kugeln und Messerstiche, welche man zu erwarten hat.“

„Das ist ja ganz mein Weg! Auch ich will nach Texas und Kalifornien, und dabei kann es mir sehr gleich sein, ob ich einen kleinen Seitenweg über Mexiko einschlage. Darf ich mit?“

„Ob Ihr dürft? Na und ob! Ihr seid bereits da unten im Süden gewesen und also just der richtige Mann, den ich brauche. Aber sagt mir nun einmal im Ernste: Macht Ihr wirklich Bücher?“

„Ja.“

„Hm! Wenn das Old Shatterhand tut, so muß es doch anders sein, als ich es mir gedacht habe; ich aber sage Euch, ich will lieber unversehenerweise und rücklings in eine Bärenhöhle stürzen, als eine Feder in die Tinte stopfen; ich brächte all mein lebenlang das erste Wort nicht fertig. Nun aber sagt mir einmal, wie die Indsmen hier in diese Gegend kommen! Es sind Ogellallahs, vor denen man sich schon in acht nehmen darf.

Ich erzählte ihm, was ich wußte.

„Hm!“ machte er dann. „So wird es geraten sein, nicht hier anzuwachsen. Ich traf gestern auf eine Fährte, vor welcher man Respekt haben muß. Ich zählte wenigstens sechzig Pferde. Die vier Bursche hier müssen zu der Truppe gehören und sind wohl als Streifpatrouille ausgeschickt worden. Waret Ihr schon einmal hier?“

„Nein.“

„Ungefähr zwanzig Meilen westlich von hier wird die Prairie vollständig eben, und noch zehn Meilen weiter gibt es ein Wasser, nach welchem sich die Indsmen gezogen haben werden, um ihre Pferde zu tränken. Wir gehen ihnen natürlich aus dem Wege und halten lieber grad nach Süden zu, obgleich wir da erst morgen nachmittag auf Wasser stoßen. Wenn wir bald aufbrechen, kommen wir heut noch vor Nacht an die Bahn, welche sie aus den Staaten hinüber nach den Westlanden gebaut haben, und wenn wir grad die richtige Zeit treffen, so können wir uns den Spaß machen, einen Zug zu sehen, der zum Beispiel an uns vorübergeht.“

„Ich bin zum Aufbruche bereit. Aber was tun wir mit den Leichen?“

„Was wir mit ihnen tun? Nicht viel. Wir lassen sie hier liegen; vorher aber will ich ihnen die Ohren nehmen.“

„Wir müssen sie vergraben, denn wenn man sie findet, ist unsere Anwesenheit verraten.“

„Man soll sie finden, Charley; das will ich eben.“

Er trug die toten Indianer auf die Spitze eines Wellenhügels, legte sie nebeneinander, schnitt ihnen die Ohren ab und gab sie ihnen in die Hände.

„So, Charley! Man wird sie finden und sogleich wissen, daß Sans-ear hier gewesen ist. Ich sage Euch, es ist ein ganz miserables Gefühl, wenn es einen im Winter an die Ohren frieren will, und man hat doch keine mehr. Ich war einst so ungeschickt, mich von den Roten fangen zu lassen. Ich hatte mehrere von ihnen getötet, einem aber nur das Ohr herabgehauen, statt ihn mit dem Tomahawk richtig zu treffen. Zum Spotte dafür schnitten sie mir die Ohren ab, ehe es mir an das Leben gehen sollte. Die Ohren haben sie, da Leben aber nicht, denn Sam Hawerfield machte sich ganz unerwartet auf und davon. Für meine zwei Ohren aber – na – da zählt einmal hier!“ Er nahm seine Büchse vor und zeigte mir gelassen die zahlreichen Kerben, welche er in dieselbe eingeschnitten hatte. „Jede Kerbe hat einem feindlichen Indsman das Leben gekostet. Jetzt kommen vier Kerben dazu.“

Er machte die vier neuen Einschnitte und fuhr dann fort:

„Das sind lauter Rote. Hier oben sind acht Kerben auf Weiße, die meine Kugel gekostet haben. Warum, das werde ich Euch schon einmal erzählen. Ich habe nur noch zwei zu suchen. Das sind Vater und Sohn, die größten Schurken, die es auf Gottes weiter Erde geben kann; habe ich diese gefunden, so ist mein Tagewerk vollbracht.“

Seine Augen glänzten auf einmal feucht, und über sein verwettertes Gesicht ging ein Zug von Wehmut, Rührung und Liebe; ich ahnte, daß das Herz des alten Jägers einst wohl auch seine Rechte geltend gemacht hatte. Vielleicht hatte auch ihn, wie so manchen Anderen, der Schmerz oder die Rache dem rauhen Leben der Wildnis in die Arme geworfen, denn der echte Prairiejäger weiß nichts mehr von dem erhabenen Gebot: „Liebet eure Feinde!“

Er hatte seine Büchse wieder geladen. Sie war eines jener furchtbaren Schießeisen, wie man sie in der Prairie nicht selten findet. Der Schaft hat seine ursprüngliche Form verloren; Kerbe sitzt an Kerbe, Schnitt an Schnitt; jedes einzelne dieser Zeichen erinnert an den Tod eines Feindes. Der Lauf ist mit dickem Roste bedeckt, scheint sich gezogen zu haben, und kein Fremder vermag auch nur einen leidlichen Schuß daraus abzugeben. In der Hand des Besitzers aber ist eine solche Büchse unfehlbar; er ist seit Lebenszeit auf sie eingeübt, kennt alle ihre Vorzüge, alle ihre Tücken und Gebrechen, und wenn er eine Kugel hinabstößt auf das Pulver, so wettet er Leben und Seligkeit, daß sie ihr Ziel erreicht.

„Tony!“ rief der Kleine.

Die Stute hatte bisher in der Nähe gegrast. Auf diesen Ruf kam sie herbeigesprungen und stellte sich so bequem neben ihn, daß er nur den Arm zu erheben brauchte, um sich aufzuschwingen.

„Sam, Ihr habt da ein ganz vorzügliches Pferd! Wer es zum erstenmal sieht, mag keinen Dollar bieten; wer es aber beobachtet, der bemerkt bald, daß es Euch für tausend Sovereigns nicht feil ist.“

„Tausend! Pshaw! Sagt eine Million! Ich kenne da droben in den Felsenbergen Adern, aus denen ich das Gold scheffelweise herausnehmen könnte, und wenn ich einmal einen treffe, der es verdient, daß ihn Sam Hawerfield von Herzen lieb hat, dem werde ich diese Placers zeigen. Für Geld also brauche ich meine Tony nicht wegzugeben. Ich will Euch nur so viel sagen, Charley: Der, welchen sie jetzt Sans-ear nennen, der war eines schönen Tages ein ganz anderer Kerl als heut, voll Glück und Wonne, wie der Tag voll Licht und das Meer voller Tropfen. Er war ein junger Farmer und hatte ein Weib, für welches er tausend Leben geopfert hätte, und ein Kind, welches ihm zehntausend Leben wert war. Das Weib hatte er einst auf seiner besten Stute heimgeholt, die Tony hieß. Und als nachher die Stute ein Füllen brachte, gesund, munter und klug wie selten ein Geschöpf, warum sollte es nicht auch Tony heißen, wie seine Mutter? Habe ich nicht recht, Charley?“

„Ja,“ antwortete ich, tief gerührt über die Kindlichkeit des Gemütes, welches jetzt aus der so unerwartet sich öffnenden rauhen Hülle zu mir sprach.

Well! Dann kamen die Zehn, von denen ich Euch vorhin sagte. Es war eine Bande Bushheaders, welche die Gegend damals unsicher machten. Sie verbrannten meine Farm, töteten mein Weib und Kind, erschossen meine Stute, die sie nicht gebrauchen konnten, weil sie keinen Fremden trug, und nur das Füllen entkam, weil es sich zufälligerweise verlaufen hatte. Ich kam von der Jagd zurück und fand das Tier als einzigen Zeugen meines Glückes. Was soll ich Euch weiter erzählen! Acht von den Schuften sind gefallen, gefallen durch meine Hand, durch Kugeln aus dieser Büchse; die beiden letzten werden auch noch mein, denn wessen Fährte der alte Sans-ear betritt, der mag laufen bis zu den Mongolen hinüber, er entkommt ihm nicht; grad deshalb will ich ja nach Texas und Mexiko hinunter. Aus dem jungen, munteren Farmer ist ein grauer Wald- und Prairieläufer geworden, der nur auf Blut und Rache sinnt, und das Füllen hat sich in ein Wesen verwandelt, welches einem Ziegenbocke ähnlicher sieht als einem guten Pferde; aber wacker sind beide noch heut, und sie werden auch tapfer miteinander aushalten, bis ein Pfeil schwirrt, eine Kugel pfeift oder ein Tomahawk hernieder saust, um dem Einen von ihnen ein Ende zu bereiten; der Andere – sei es nun das Pferd oder ich selber – stirbt dann vor Gram und Sehnsucht nach.“

Er fuhr sich mit der Hand über die Augen. Dann schwang er sich auf und meinte:

„So viel von den alten Geschichten, Charley. Ihr seid der Erste, zu dem ich von ihnen spreche, obgleich ich Euch zum erstenmal sehe, und werdet wohl auch der Letzte sein. Ihr werdet wohl oft von mir gehört haben, und auch von Euch wurde erzählt, wenn es mir einmal in den Sinn kam, mich zu diesen oder jenen Leuten auf eine Viertelstunde an das Feuer zu setzen. Daher wollte ich Euch zeigen, daß ich Euch für keinen Fremden halte. Nun tut mir noch den Gefallen und vergeßt, daß ich mich heut von Euch überrumpeln ließ! Ich werde Euch zu beweisen suchen, daß der alte Sam Hawerfield trotzdem zu jeder Zeit auf seinem Platze ist.“

Ich enthobbelte meinen Mustang und stieg auf. Er hatte gesagt, daß wir nach Süden halten wollten, dennoch aber ritt er grad dem Westen entgegen. Ich fragte ihn nicht; jedenfalls leitete ihn eine wohlüberlegte Absicht dabei. Auch darüber verlor ich kein Wort, daß er die Lanzen der vier Indianer mitnahm. Er erinnerte mich auf das lebhafteste an meinen alten Sam Hawkens, mit welchem er den gleichen Vornamen hatte.

Wir mochten eine ziemliche Strecke zurückgelegt haben, ohne daß einer von uns ein Wort gesprochen hatte, als er sein Pferd anhielt. Er stieg ab und steckte eine der Lanzen auf die Spitze einer Bodenwelle. Jetzt kannte ich seinen Zweck. Er wollte die Lanzen als Wegweiser aufrichten, durch welche die Indsmen zu ihren Toten geführt werden und erkennen sollten, daß die Rache des Sans-ear wieder vier neue Opfer gefordert habe.

Dann öffnete er eine alte Satteltasche und nahm acht starke Lappen heraus, welche er zwischen mir und sich teilte.

„Hier, Charley, steigt ab und wickelt die Hufe Eures Mustangs ein; sie geben dann auf dieser Art von Boden nicht die geringste Spur, und die Redmen müssen denken, daß wir durch die Luft davongeflogen sind. Jetzt reitet Ihr grad nach Süden, bis Ihr an die Bahn kommt, wo Ihr mich erwartet. Ich werde noch die drei anderen Lanzen aufpflanzen und dann zum Beispiel hinter Euch herkommen. Treffen werden wir uns sicher, und sollten wir uns doch auf eine kleine Strecke irren, so gilt bei Tag der Schrei des Geiers und bei Nacht das Heulen des Coyoten als Signal.“

Fünf Minuten später sahen wir einander nicht mehr. Ich ritt, in stilles Sinnen versunken, in der mir vorgezeichneten Richtung hin. Die Hufverhüllung meines Pferdes verhinderte es am schnellen Laufe, daher stieg ich, als ich vielleicht fünf englische Meilen zurückgelegt hatte, ab und nahm die Lappen weg. Sie hatten ja nur den Zweck gehabt, unsere Spuren in der nächsten Umgebung der Lanzenzeichen unbemerkbar zu machen.

Jetzt konnte der Mustang wieder ausgreifen. Die Prairie wurde nach und nach ebener und zeigte hier und da ein kleines Nuß- oder Wildkirschengesträuch, und noch stand die Sonne einige Grad über dem westlichen Horizonte, so bemerkte ich im Süden eine Linie, welche sich beinahe genau von West nach Ost hinzog.

Sollte sie das Gleis der bezeichneten Bahn bedeuten? Jedenfalls. Ich hielt auf sie zu und fand meine Erwartung nicht getäuscht. Die Bahn, deren Schienen auf einem beinahe manneshohen Damme lagen, lag vor mir.

Ein eigentümliches Gefühl erfaßte mich, dunkel zwar, doch auch verständlich. Auf meinem jetzigen Halte trat ich seit langer Zeit wieder in Beziehung zu der Zivilisation. Ich brauchte beim Nahen eines Zuges nur ein Zeichen zu geben, um einsteigen und nach West oder Ost davondampfen zu können.

Nachdem ich mein Pferd an den Lasso gepflockt hatte, suchte ich unter den Büschen nach Dürrholz für ein Lagerfeuer. Einer der Sträucher stand hart an der Böschung des Bahndammes. Ich bückte mich, um einiges Geäst zu nehmen, und gewahrte zu meinem Erstaunen einen Hammer, welcher da am Boden lag. Er konnte sich erst seit kurzer Zeit hier befinden, denn seine Kopfbahn war außerordentlich blank, also erst kürzlich noch in Gebrauch gewesen, und auch weder seine Backen, noch seine Haube oder seine Pinne zeigten eine Spur von demjenigen Roste, der sich sicher angesetzt hätte, wenn das Werkzeug nur einige Tage lang der Feuchtigkeit des nächtlichen Taues ausgesetzt gewesen wäre. Es mußten sich heut oder höchstens gestern Leute hier befunden haben.

Ich untersuchte zunächst die mir zugekehrte Seite des Dammes, fand aber nichts Auffälliges; dann stieg ich hinauf und suchte wieder lange Zeit erfolglos. Da aber bemerkte ich einen dichten Büschel duftenden, kurzlockigen Gramagrases, welches mir wegen seiner hiesigen Seltenheit auffiel. Wahrhaftig, es hatte ein Fuß darauf gestanden! Die Spur war noch neu, höchstens zwei Stunden alt; die vom Sohlenrande bloß umgebogenen Halme hatten sich bereits wieder erhoben, während der von der inneren Fußfläche niedergedrückte Teil des Büschels noch genau die Fersen- und Zehenbreite zeigte. Die Spur war durch einen indianischen Mokassin verursacht worden. Sollten Indianer in der Nähe sein? In welche Beziehung konnte ich sie dann zu dem Hammer bringen? Tragen nicht auch Weiße indianische Mokassins, und konnte nicht auch ein die Bahn revidierender Railroader sich dieser bequemen Art von Schuhwerk bedient haben? Trotzdem war es mir, als dürfe ich mich durch keinerlei Vermutung zu beruhigen suchen. Gewißheit war hier die Hauptsache.

Allerdings mußte ich mir sagen, daß eine Untersuchung der Strecke höchst gefährlich sei. An den beiden Seiten des Bahndammes hin konnte hinter jedem Busche ein Feind lauern, und auf dem Damme selbst war ich auf eine weite Entfernung hin zu bemerken. Unter anderen Verhältnissen hätte ich wegen des Hammers wenig Unruhe empfunden und die Nachforschung ohne Zögern begonnen; jetzt aber, da ich die Ogellallahs in der Gegend wußte, war selbst bei der geringsten Kleinigkeit die größte Vorsicht nötig. Ich hing die Büchse über und nahm nur den Revolver zur Hand. Mich von Busch zu Busch schleichend, pirschte ich mich eine weite Strecke vorwärts – ohne Erfolg. Ich kehrte auf der andern Seite zurück – auch vergeblich. Diese Untersuchung hatte sich nach Westen von der Stelle erstreckt, an welcher mein Pferd weidete. Ich setzte sie nach Osten hin fort, anfangs mit derselben Erfolglosigkeit. Jetzt wollte ich in vorsichtig gebückter Stellung über das Bahngleis hinüber. Auf Händen und Füßen kriechend, bewegte ich mich quer über die Schienen. Da war es mir, als ob ich eine Feuchtigkeit, ein eigentümliches Knirschen und Nachgeben des Sandes bemerkte; auch fiel es mir auf, daß grad hier der Sand eine kreisähnliche Figur bildete, welche den Anschein hatte, als sei er zur irgend einem Zwecke hierher gestreut worden. Ich scharrte mit den Fingern ein und – ich gestehe es – ich erschrak; meine Hand hatte sich blutig gefärbt, und auch der Sand war rot und naß. Ich untersuchte nun, mit dem ganzen Körper hart am Boden liegend, die Sache genauer und mußte erkennen, daß man eine große, tiefe Blutlache mit Sand zugestreut hatte.

Hier war ein Mord geschehen; das Blut eines Tieres hätte man nicht so zu verbergen gesucht. Wer war der Ermordete und wer der Mörder? Eine Spur war oben nicht zu sehen, da der Boden wegen seiner Härte keine aufnehmen konnte; aber als ich einen Blick jenseits nach der mit Büffelgras bewachsenen Böschung warf, bemerkte ich mehrere Fußspuren und auch zwei fortlaufende Eindrücke, als habe man hier einen beim Oberkörper gefaßten Menschen, dessen Füße nachschleiften, von dem Damme herabgezogen.

Es war außerordentlich gefährlich, an dieser Stelle nach jenseits zu gehen. Die Feuchtigkeit des Blutes war noch nicht in den Boden eingedrungen, und auch die Spuren zeigten sich so frisch und wohlerhalten, daß der vermutete Mord vor kurzer Zeit geschehen sein mußte und die Mörder noch ganz in der Nähe sein konnten. Ich kroch daher hüben wieder herab, kehrte eine bedeutende Strecke zurück, ging dort über den Damm und schlich mich nun erst auf der andern Seite nach Osten vor.

Dies geschah nur sehr langsam, da ich alle Schlauheit und Gewandtheit, alle möglichen Bewegungen und Körperstellungen anwenden mußte, um unbemerkt zu bleiben, wenn Gefahr in der Nähe wäre. Glücklicherweise standen hier die Sträucher näher aneinander, und wenn ich mich auch sorgfältig hinter jedem Busche verbergen und den nächsten Busch auf das schärfste mit den Augen durchdringen mußte, ehe ich es wagen konnte, den Zwischenraum zwischen beiden zu überspringen oder, mich schlangengleich an der Erde windend, zu durchkriechen, so gelangte ich doch ohne Unfall bis unterhalb der Stelle, an welcher ich vorhin auf dem Damme das Blut bemerkt hatte.

Ein dichtes Lentiskengesträuch stand gegenüber der Kirschgruppe, hinter der ich spähend lag, von ihr durch einen acht Meter breiten, freien Raum getrennt. So sehr mich das Kirschengebüsch am deutlichen Sehen verhinderte, und so dicht auch die Lentisken standen, es war mir doch, als liege etwas einem menschlichen Körper ähnliches unter ihnen. Der Gegenstand mochte zugedeckt sein, aber er bildete eine dunkle Masse, welche von der Umgebung abstach, durch welche das Licht zu dringen vermochte, und hatte die ganze Länge eines Menschen. War dort vielleicht der Ermordete verborgen? Es konnte auch einer der Mörder sein. Ich mußte versuchen, es zu erfahren.

Weshalb begab ich mich in eine solche Gefahr? Ich konnte ja das Eintreffen Sams abwarten und dann ruhig mit ihm weiter reiten! Der Prairiejäger muß aber wissen, welchen Feind er vor, hinter und neben sich hat; er untersucht außerdem jeden geringfügigen Umstand, weil ihm dieser Aufschluß gibt über Dinge, die er wissen muß, deren Kenntnis seine Sicherheit erhöht und an die selbst der scharfsinnigste Professor und Gelehrte nicht denken würde. Der Prairiejäger zieht aus den unbedeutendsten Dingen, die für den Uneingeweihten gar nicht im Zusammenhange stehen, Schlüsse, über welche ein Anderer oftmals lachen würde, die sich aber in der Regel als richtig erweisen. Während er an dem einen Tag auf dem Mustang vierzig und fünfzig englische Meilen zurücklegt, kommt er am nächsten Tage kaum eine halbe Meile vorwärts, weil er bei jedem Schritt zu forschen hat, ob er ihn tun darf. Und selbst wenn er aus seiner Vorsicht keinen Nutzen für sich selbst zu ziehen vermag, wird seine Erfahrung doch für Andere von Wert sein; er kann ihnen raten, sie warnen und ihnen Auskunft erteilen. Und außerdem liegt ja im Menschen überhaupt der Drang, sich über jede Gefahr Gewißheit zu verschaffen und jedem Bösen nach Kräften entgegen zu arbeiten, den Reiz gar nicht gerechnet, den auf jede kräftige Natur ein mutiges Unternehmen auszuüben pflegt.

Ich nahm einen daliegenden Ast, spießte meinen Hut auf und schob ihn, mit Absicht ein kleines Geräusch verursachend, durch das Kirschgesträuch, so daß es drüben scheinen mußte, als versuche hier jemand hindurchzudringen. Drüben regte sich nichts. Entweder war kein Feind vorhanden oder ich hatte es mit Einem zu tun, der zu schlau und zu erfahren war, um sich durch eine solche Finte irre machen zu lassen.

Ich beschloß, alles zu wagen. Ich kroch zurück und holte aus. Mit zwei Sprüngen hatte ich den freien Raum durchmessen und drang, das Messer zum Stoß bereit haltend, in die Lentisken ein. Unter abgebrochenen Zweigen lag ein Mensch; das fühlte ich sofort, aber er war nicht lebend. Ich hob die Zweige empor und erblickte ein von den Todeszuckungen gräßlich entstelltes Gesicht mit blutigem Schädel. Es war ein Weißer; man hatte ihn skalpiert. In dem Rücken steckte, wie ich bei der Untersuchung seines Körpers bemerkte, die mit Widerhaken versehene Spitze eines abgebrochenen Pfeiles. Ich hatte es also mit Indianern zu tun, die sich auf dem Kriegspfade befanden; das sagte mir der Widerhaken.

Hatten sie sich entfernt, oder befanden sie sich noch in der Nähe? Ich mußte das wissen. Ihre Spuren waren von hier aus deutlich zu bemerken; sie führten von dem Bahndamme in die Prairie hinein. Ich folgte ihnen, immer bereit, einen Pfeil zu erhalten oder mein Messer zu gebrauchen, von Busch zu Busch. Es waren vier Mann gewesen, zwei ältere und zwei Jünglinge, wie ich aus der Größe der Fußstapfen schließen konnte. Sie hatten, während ich mich bloß auf den Finger und Zehenspitzen fortbewegte – eine Aufgabe, welche große Übung und nicht unbedeutende Kraft erfordert – ihre Fährte gar nicht zu verbergen gesucht, mußten sich hier also vollständig sicher fühlen.

Der Wind blies aus Südost, aus derjenigen Richtung, welcher ich mich entgegen bewegte; daher erschrak ich nicht sehr, als ich das Schnauben eines Pferdes vernahm; denn es konnte mich nicht gewittert haben. Ich kroch weiter und befand mich endlich am Ziele oder bemerkte doch wenigstens genug, um mich wieder zurückziehen zu können. Vor mir sah ich nämlich zwischen den Büschen eine Anzahl von vielleicht sechzig Pferden, alle außer zweien auf indianische Weise angeschirrt. Die Sättel hatte man ihnen abgenommen, jedenfalls um sie an dem in der Nähe befindlichen Lagerplatz als Sitze oder Kopfunterlagen zu gebrauchen. Bei den Tieren standen nur zwei Mann Wache. Der eine, ein noch junger Mensch, hatte ein paar derbe, rindslederne Stiefel an, jedenfalls das frühere Eigentum des Ermordeten, den ich vollständig nackt gefunden hatte und dessen Kleider und Habseligkeiten unter seine Mörder verteilt worden waren. Er gehörte also wohl zu den Vieren, deren Fährte mich herbeigeführt hatte.

Der Indianer verkehrt öfters mit Weißen, welche seine Sprache nicht verstehen. Aus diesem Grunde hat sich zwischen den roten Männern und den Bleichgesichtern eine Pantomimensprache gebildet, deren Zeichen samt ihrer Bedeutung jeder kennen muß, welcher den wilden Westen betritt. Bei einem lebhaften Temperamente oder bei aufregenden Veranlassungen kommt es dann sehr häufig vor, daß sich jemand der mündlichen Ausdrucksweise bedient und dieselbe unwillkürlich mit Pantomimen begleitet, welche dieselbe Bedeutung wie die Worte haben. Die beiden Wächter unterhielten sich, und der Gegenstand ihres Gesprächs mußte sie sehr lebhaft interessieren, denn sie gestikulierten, sich hier für unbeobachtet haltend, in einer Weise, welche ihnen wohl mehr als einen tadelnden Blick der ernsteren, älteren Krieger zugezogen haben würde. Sie deuteten nach Westen, gaben das Zeichen des Feuers, des Pferdes, also Lokomotive, welche von den Indianern ja Feuerroß genannt wird, hieben mit ihren Bogen auf die Erde, als wollten sie hacken oder wuchtige Hammerschläge ausführen, zielten wie zum Schießen, machten die Bewegung des Stechens und des Tomahawkschwunges – – ich hatte genug gesehen und kehrte unverzüglich zurück, wobei ich die von mir verursachten Spuren so viel wie möglich vertilgte.

Aus diesem Grunde dauerte es lange, sehr lange, ehe ich mein Pferd wieder erreichte. Es hatte mittlerweile Gesellschaft gefunden, denn neben demselben weidete die Stute Sams, welcher gemütlich hinter einem Busche lag und an einem mächtigen Stück Dürrfleisch kaute.

„Wie viele sind es, Charley?“ fragte er mich.

„Wer?“

„Indsmen.“

„Wie kommt Ihr auf diese?“

„Der alte Sans-ear scheint Euch wohl auch ein Greenhorn zu sein, wie Ihr vorher ihm? Da irrt Ihr Euch aber gewaltig, hihihihi!“

Es war das halblaute, selbstbewußte Lachen, welches ich bereits einmal von ihm vernommen hatte, und das er wohl nur hören ließ, wenn er sich einem Andern überlegen wußte. Auch dies war eine Ähnlichkeit mit Sam Hawkens, welcher fast ebenso zu lachen pflegte.

„Inwiefern, Sam?“

„Muß ich Euch das erst sagen, Charley? Was hättet Ihr wohl getan, wenn Ihr hier angekommen wäret und hättet diesen Hammer da beim Pferde gefunden, nicht aber Euern Old Shatterhand?“

„Ich hätte gewartet, bis er zurückgekehrt wäre.“

„Wirklich? Das möchte ich zum Beispiel nicht gern glauben. Ihr fehltet, als ich kam; es konnte Euch etwas passiert sein, und so ging ich Euch nach.“

„Ich hätte aber auch bei einem Vorhaben sein können, welches durch Eure Gegenwart vereitelt werden konnte. Zudem denke ich, daß Old Shatterhand nichts unternimmt, ohne vorher die nötige Vorsicht anzuwenden. Wie weit seid Ihr mir nachgefolgt?“

„Erst dahin, dann dorthin, hüben und drüben, bis zu dem armen Mann, den die Indsmen ausgelöscht haben. Ich konnte rasch machen, denn ich wußte Euch vor mir; als ich dann den Toten sah, so dachte ich, daß Ihr nur auf Spähe wäret, und kehrte zurück, wo ich zum Beispiel nachher ganz ruhig auf Euch gewartet habe. Also wie viele sind es?“

„Sechzig vielleicht.“

„Schau! Also wohl die Truppe, deren Spur ich gestern schon bemerkte. Auf dem Kriegspfade?“

„Ja.“

„Kurzes Lager?“

„Sie haben abgesattelt.“

„Blitz! Da haben sie hier herum etwas vor! Habt Ihr nichts bemerkt?“

„Wie mir scheint, wollen sie die Schienen aufreißen, daß der Zug verunglückt, wenn er kommt, und ihn dann berauben.“

„Seid Ihr närrisch, Charley? Das wäre ja ein ganz außerordentlich gefährliches Ding für die Railroader samt ihren Passagieren! Woher wißt Ihr es?“

„Ich habe sie belauscht.“

„So versteht Ihr die Mundart der Ogellallahs?“

„Ja. Es war aber gar nicht nötig, denn die Pferdewache, in deren Nähe ich gelangte, sprach in deutlichen Pantomimen.“

„Das ist zuweilen trügerisch. Beschreibt mir doch einmal die Pantomimen, die Ihr gesehen habt!“

Ich tat es; der kleine Mann sprang empor, beherrschte sich aber und ließ sich wieder nieder.

„Dann habt Ihr sie richtig verstanden, und wir müssen dem Zuge Hilfe bringen. Aber wir wollen uns zum Beispiel nicht übereilen, denn solche bedeutende Dinge müssen mit Ruhe überlegt und besprochen werden. Also sechzig? Hm, ich bringe kaum noch zehn Kerben auf meine Büchse; wo schneide ich sie nachher hin?“

Ich hätte trotz der ernsten Situation beinahe laut gelacht. Das kleine Männchen hatte sechzig Indsmen vor sich und war, statt sich vor ihrer Überzahl zu fürchten, nur um den Platz für seine Kerben besorgt.

„Wie viel wollt Ihr denn niederstrecken?“ fragte ich ihn.

„Das weiß ich zum Beispiel selbst noch nicht; ich denke aber, höchstens zwei oder drei, denn sie werden davonlaufen, wenn sie zwanzig oder dreißig Weiße bemerken.“

Er zog also ebenso, wie ich es bereits im Stillen gemacht hatte, den Umstand mit in Berechnung, daß wir durch das Zugpersonal und die Passagiere verstärkt werden müßten.

„Die Hauptsache ist,“ bemerkte ich, „daß wir auch wirklich denjenigen Zug erraten, welchen sie überfallen wollen. Es wäre höchst verdrießlich, wenn wir die falsche Richtung einschlügen.“

„Nach ihren Pantomimen meinen sie den Mountainszug, der aus Westen kommt, und das wundert mich. Der Ostzug hat doch wohl bedeutend mehr von den Gütern oder Dingen bei sich, welche die Indsmen brauchen können, als der andere. Es wird uns da wohl nichts übrig bleiben, als uns zu teilen; der Eine geht nach Morgen und der Andere nach Abend.“

„Dazu sind wir allerdings gezwungen, wenn es uns nicht gelingt, Sicherheit zu bekommen. Ja, wenn wir wüßten, wie und wann die Züge gehen.“

„Wer soll das wissen! Ich habe all meine Lebtage noch nicht in so einem Ding gesteckt, das sie Waggon nennen, und in dem man vor Angst nicht weiß, wohin man seine Beine zu stecken hat; ich lobe mir die Prairie und meine Tony! An der Arbeit habt Ihr die Indsmen noch nicht getroffen?“

„Nein. Ich habe überhaupt nur die Pferde gesehen. Aus allem ist zu erraten, daß sie wissen, wann der Zug kommt, und, wie es scheint, werden sie vor nachts nicht an die Arbeit gehen. Es ist höchstens noch eine halbe Stunde bis zur Dämmerung, dann schleichen wir sie an, um vielleicht zu erfahren, was wir noch nicht wissen.“

Well, so mag es sein!“

„Dann aber ist es nötig, daß sich einer von uns hier auf den Damm postiert. Es könnte ja möglich sein, daß es den Roten einfiel, sich hier auf der andem Seite heranzumachen; wenigstens denke ich, daß sie nach unserer Richtung die Schienen aufreißen werden, da sie den Angriffsplatz zwischen sich und dem Zuge herrichten müssen.“

„Ist nicht notwendig, Charley. Da seht Euch einmal die Tony an! Ich pflocke oder hobbele sie nie an; sie ist ein glorios kluges Viehzeug und hat eine Nase, auf die ich mich verlassen kann. Habt Ihr einmal ein Pferd gesehen, welches nicht schnaubt, wenn es einen Feind wittert?“

„Nein.“

„Nun seht, es gibt auch nur ein einziges, und das ist die Tony. Das Schnauben warnt zwar den Herrn des Pferdes, aber es verrät auch zweierlei, nämlich erstens, wo sich Pferd und Mann befinden, und zweitens, daß der Mann eben gewarnt worden ist. Daher habe ich es der Tony abgewöhnt, und das gescheite Viehzeug hat mich sehr verstanden. Ich lasse sie stets frei grasen, und sobald sie eine Gefahr wittert, kommt sie herbei und stößt mich mit dem Maul.“

„Und wenn sie einmal, wie zum Beispiel heute, nichts bemerkt?“

Pshaw! Die Luft kommt gerade von den Indsmen her, und ich lasse mich von Euch auf der Stelle erschießen, wenn Tony nicht jede Rothaut auf tausend Schritte ankündigt. Übrigens haben diese Kerls Augen wie die Adler, und selbst wenn Ihr Euch der Länge nach auf den Damm legt, ist es möglich, daß sie Euch von weitem bemerken. Also bleibt nur ruhig hier, Charley!“

„Ihr habt recht, und ich will der Tony einmal ebenso vertrauen wie Ihr. Ich kenne sie noch nicht lange, aber ich habe doch beinahe schon die Überzeugung, daß man sich auf sie verlassen kann.“

Ich langte wieder eine meiner Selbstgefertigten hervor und steckte sie in Brand. Sam riß die kleinen Augen so weit wie möglich auf und tat mit dem Munde ganz dasselbe. Seine Nasenflügel erweiterten sich und sogen den Duft des Krautes begierig ein, während ein vollständiges Entzücken seine Züge verklärte. Der Westmann kommt nicht oft in die Lage, einen guten Tabak zu kosten und ist doch gewöhnlich dem Rauchen mit höchster Leidenschaft ergeben.

„O wonderful-! Charley –! Ist’s möglich, Ihr habt Zigarren?“

„Das versteht sich! Wohl noch ein Dutzend. Wollt Ihr eine?“

„Her damit! Ihr seid ein Kerl, von dem man einen ganzen Kürbis voll Achtung haben muß!“

Er brannte die seinige an der meinigen an, verschlang nach indianischer Gewohnheit den Rauch von einigen Zügen und blies ihn dann wieder aus dem Magen empor. Sein Angesicht zeigte dabei eine Verklärung, als sei er bis in den siebenten Himmel Mohammeds emporgestiegen.

Hang sorrow, ist das ein Vergnügen! Soll ich raten, was es für eine Sorte ist, Charley?“

„Ratet einmal! Seid Ihr ein Kenner?“

„Will es meinen!“

„Nun?“

„Goosefoot aus Virginien oder Maryland!“

„Nein!“

„Was! Dann irrte ich mich zum erstenmal. Es ist Goosefoot, denn diesen Geruch und diesen Geschmack kenne ich!“

„Es ist keiner!“

„Dann ist es sicher brasilianischer Legittimo!“

„Auch nicht!“

„Curassao aus Bahia?“

„Wieder nicht!“

„Nun, was denn?“

„Seht Euch die Zigarre an!“

Ich zog noch eine hervor, drehte sie auf und reichte ihm dann Deckblatt, Umblatt und Einlage hinüber.

„Seid Ihr verrückt, Charley, daß Ihr eine solche Zigarre zu Schanden macht! jeder Fallensteller gibt Euch unter Umständen, wenn er nämlich lange nicht geraucht hat, fünf bis acht Biberfelle dafür!“

„Ich werde in zwei oder drei Tagen wieder neue bekommen.“

„In drei Tagen –? Neue –? Woher denn?“

„Aus meiner Fabrik.“

„Was! Ihr habt eine Zigarrenfabrik?“

„Ja.“

„Wo denn?“

„Dort!“

Ich zeigte auf meinen Mustang.

„Charley, ich bitte Euch, macht mir nur dann einen Witz, wenn er zum Beispiel etwas taugt!“

„Es ist kein Witz, sondern Wahrheit.“

„Hm! Wenn Ihr nicht Old Shatterhand wäret, so dächte ich wirklich, daß es in Eurem Kopfe etwas zu viel oder zu wenig gibt!“

„Seht Euch erst den Tabak an!“

Er tat es mit aller Sorgfalt.

„Kenne ich nicht. Aber gut ist er, ausgezeichnet gut.“

„So will ich Euch meine Fabrik zeigen.“

Ich ging zu meinem Mustang, lockerte den Sattel und zog unter demselben ein kleines Kissen hervor, welches ich öffnete.

„Da, greift hinein!“ Er zog eine Hand voll Blätter hervor.

„Charley, macht mich nicht zum Narren! Das sind ja lauter Kirschen- und Lentiskenblätter!“

„Richtig! Ein wenig wilder Hanf dabei, und das Deckblatt hier ist weiter nichts als eine Ochsenzungenart, die Ihr hier wohl Verhally nennt. Dieses Kissen ist wirklich meine Tabakfabrik. Finde ich eine Sorte von diesen Blättern, so sammle ich sie nach Bedarf, stecke sie in das Kissen und lege dasselbe unter den Sattel; es entwickelt sich Wärme; die Blätter gären – da habt Ihr meine Kunst!“

„Unglaublich!“

„Aber wahr! Eine solche Zigarre ist allerdings nur ein höchst miserables Surrogat, und jeder Rippenpuffer, dessen Gaumen wie Büffelleder ist, wird höchstens einen Zug tun und sie dann wegwerfen; aber lauft einmal jahrelang in der Savanne umher und raucht dann ein solches Ding, so werden Euch die Ochsenzungenblätter wie der beste Goosefoot erscheinen. Ihr seht es ja an Eurem eigenen Beispiele!“

„Charley, Ihr steigt in meiner Achtung!“

„Verratet nur nichts davon, wenn Ihr einmal bei Leuten sitzt, die noch nicht im Westen waren! Man hält Euch sonst für einen Tungusen, Kirgisen oder Ostjäken, der seine Geschmacks- und Geruchswerkzeuge mit Teer eingerieben oder mit Pech verkleistert hat!“

„Tunguse oder Ostjäke, ist mir alles gleich, wenn nur die Zigarre schmeckt. Übrigens weiß ich gar nicht einmal, wo diese Art von Leuten zu finden ist.“

Er ließ sich durch die Enthüllung meines Fabrikationsgeheimnisses nicht im geringsten in seinem Genusse stören, sondern rauchte die Zigarre bis auf einen Stummel ab, der so winzig war, daß er ihn kaum noch zwischen den Lippen zu halten vermochte.

Mittlerweile hatte sich die Sonne gesenkt; die Dämmerung war hereingebrochen, und es begann so stark zu dunkeln, daß wir an unser Vorhaben denken konnten.

„Jetzt?“ fragte Sam.

„Ja.“

„Wie denn?“

„Wir gehen miteinander bis zu den Pferden der Rothäute; dann teilen wir uns, beschleichen ihr Lager und stoßen hinter demselben wieder zusammen.“

„Gut! Und sollte etwas geschehen, was uns zur Flucht treibt, wobei wir uns verlieren können, so kommen wir von hier aus grad nach Süden am Wasser zusammen. Ein Urwald, der von den Bergen niedersteigt, streckt dort seine letzte Spitze weit in die Prairie hinein. Zwei Meilen von dieser Spitze aus, am südlichen Rande des Waldes, gibt es eine Prairiebucht, in der wir uns leicht finden können.“

„Gut! Also vorwärts!“

Es schien mir nicht wahrscheinlich, daß wir versprengt würden, doch war es klug und vorsichtig gehandelt, sich auf alle Fälle sicher zu stellen.

Wir brachen auf.

Jetzt war es bereits so dunkel, daß wir gefahrlos in aufrechter Stellung über die Bahn gehen konnten. Dann wandten wir uns links und schritten, das Messer im Falle einer feindlichen Bewegung zum Stoße bereit haltend, längs des Dammes dahin. Das Auge gewöhnt sich in der Prairie sehr bald an die Dunkelheit; wir hätten auf einige Schritte Entfernung hin jeden Indianer erkannt. An der Leiche des getöteten Weißen vorüber gelangten wir an den Platz, wo vorhin die Pferde gehalten hatten. Sie standen noch da.

„Ihr rechts und ich links!“ raunte Sam und schlich von mir weg.

Ich wandte mich in einem Bogen um die Pferde herum und gelangte an einen von Gesträuch freien Platz, auf welchem die dunklen Gestalten der Indianer lagen. Sie hatten kein Feuer angezündet und verhielten sich so still, daß ich das Knistern eines Käfers in den Grasbüscheln zu hören vermochte. Etwas abseits von ihnen sah ich drei Gestalten sitzen, die Einzigen, die ein Gespräch zu führen schienen. Ich beschlich sie so vorsichtig wie möglich.

Als ich mich kaum noch sechs Schritte hinter ihrem Rücken befand, erkannte ich zu meinem Erstaunen in dem einen von ihnen einen Weißen. Was hatte dieser mit den Indsmen zu schaffen? Ein Gefangener war er nicht; das lag klar auf der Hand. Vielleicht war er einer jener Savannenklepper, welche es bald mit den Roten und bald mit den Weißen halten, je nachdem es ihre räuberischen Absichten erfordern. Er konnte allerdings auch einer jener Jäger sein, welche, von den Indianern gefangen genommen, sich ihr Leben dadurch retten, daß sie ein rotes Mädchen zur Squaw nehmen und nun fortan zu dem Stamme gehören. Dann aber wäre seine Kleidung, deren Bestandteile und Schnitt ich trotz der Dunkelheit ziemlich genau zu erkennen vermochte, eine mehr indianische gewesen.

Die beiden Anderen waren Häuptlinge, wie ich an den Rabenfedern erkannte, welche sie sich auf dem hoch aufgetürmten Schopfe befestigt hatten. Es schien also, als seien die Krieger von zwei verschiedenen Stämmen oder Dörfern zu dem beabsichtigten Unternehmen zusammengetreten.

Die Drei saßen am Rande des freien Platzes hart an einem Busche, welcher es mir ermöglichte, mich ihnen so zu nähern, daß ich vielleicht einige Worte ihres Gespräches erlauschen konnte. Ich schob mich zu ihnen hinan und lag bald in so unmittelbarer Nähe hinter ihnen, daß ich sie mit der Hand erreichen konnte.

Es schien eine Pause in ihrer Unterhaltung eingetreten zu sein. Das Schweigen währte wohl einige Minuten, dann fragte der eine Häuptling den Jäger in dem aus fremden und indianischen Worten gemischten Idiom, dessen sich der Indsman bedient, wenn er mit einem Weißen spricht:

„Und mein weißer Bruder weiß ganz genau, daß just mit dem nächsten Feuerroß das viele Gold kommen wird?“

„Ich weiß es,“ antwortete der Gefragte.

„Wer hat es ihm gesagt?“

„Einer der Männer, welche bei dem Stalle des Feuerrosses wohnen.“

„Das Gold kommt aus dem Lande der Waikur?“

„Ja.“

„Und es soll zum Vater der Bleichgesichter gehen, der Dollars daraus machen will?“

„So ist es!“

„Der Vater der Bleichgesichter wird nicht so viel von dem Golde erhalten, daß er sich einen Half-Dollar daraus machen kann! Werden viele Männer auf dem Feuerrosse reiten?“

„Das weiß ich nicht; aber es mögen ihrer noch so viele sein, mein roter Bruder wird sie mit seinen tapfern Kriegern alle besiegen.“

„Die Krieger der Ogellallah werden viele Skalpe heimbringen, und ihre Frauen und Mädchen werden den Tanz der Freude tanzen. Werden die Reiter des Feuerrosses vieles bei sich haben, was die roten Männer brauchen können? Kleider, Waffen, Callico?“

„Das alles werden sie bei sich haben und noch viel mehr. Aber werden die roten Männer ihrem weißen Bruder auch geben, was er verlangt hat?“

„Mein weißer Bruder wird erhalten alles Gold und Silber, welches das Feuerroß mit sich führt. Wir brauchen es nicht, denn in unsern Bergen sind so viele Nuggets, als wir nur haben wollen. Ka-wo-mien, der Häuptling der Ogellallah“ – und dabei zeigte er mit dem Finger auf sich selbst – „lernte einst ein kluges, tapferes Bleichgesicht kennen, welches sagte, das Gold sei nichts als deadly dust, geschaffen von dem bösen Geiste der Erde, um die Menschen zu Dieben und Mördern zu machen.“

„Dieses Bleichgesicht war ein großer Narr. Wie war sein Name?“

„Er war kein Narr, sondern ein sehr kluger und tapferer Krieger. Die Kinder der Ogellallah waren droben an den Wassern des Broad-fork versammelt, um sich die Skalpe einer Anzahl von Trappern zu holen, welche in ihrem Gebiete viele Biber gefangen hatten. Bei den Fallenstellern war ein weißer Mann, den sie für närrisch hielten, weil er Pflanzen und Käfer suchte und bloß gekommen war, um sich die Savanne anzusehen. Aber in seinem Kopfe wohnte die Weisheit und in seinem Arme die Stärke; seine Büchse fehlte nie, und sein Messer fürchtete sich nicht vor dem grauen Bären des Felsengebirges. Er wollte ihnen Klugheit geben gegen die roten Männer, sie aber verlachten ihn. Darum wurden sie alle getötet, und ihre Schädelhäute zieren noch heute die Wigwams der Ogellallah. Er hatte seine weißen Brüder nicht verlassen wollen und tötete viele rote Männer; aber ihrer waren so viele, daß sie ihn niederrissen, obgleich er stand wie die Eiche des Waldes, die alles zerschmettert, wenn sie fällt unter der Axt des Woodmannes. Er wurde gefangen genommen und nach den Dörfern der Ogellallah geführt. Sie töteten ihn nicht, denn er war ein mutiger Krieger, und manches Mädchen des roten Volkes wollte als Squaw mit ihm in seine Hütte gehen. Ma-ti-ru, der größte Häuptling der Ogellallah, wollte ihm das Wigwam seiner Tochter geben, oder er sollte sterben; er aber verschmähte die Blume der Prairie, raubte das Pferd des Häuptlings, stahl sich seine Waffen wieder, tötete mehrere Krieger und entkam.“

„Wie lange ist dies her?“

„Die Sonne hat seitdem vier Winter besiegt.“

„Und wie hieß er?“

„Seine Faust war wie die Tatze des Bären; er hat mit der bloßen Hand die Schädel vieler roten Männer und auch einiger Bleichgesichter zerschmettert; und daher nannten ihn die weißen Jäger Old Shatterhand.“

Es war wirklich eines meiner früheren Abenteuer, welches Ka-wo-mien erzählte. Jetzt erst erkannte ich ihn und auch den neben ihm sitzenden Ma-ti-ru, die mich einst gefangen genommen hatten. Der Erzähler hatte die Wahrheit berichtet, nur mußte ich ihm im Stillen den Vorwurf machen, daß er sich in Beziehung auf meine Person einer zu großen Ausschmückung bediente.

„Old Shatterhand? Den kenne ich!“ antwortete der Weiße. „Er befand sich einst in dem Hide-spot [Fußnote] von Old Firehand, als ich dasselbe mit einigen wackeren Männern angriff, um uns ihre Ottern- und Biberfelle zu holen. Ich entkam damals mit noch zwei Mann und möchte wünschen, dem Halunken einmal zu begegnen. Er sollte sein Kapital mit reichlichen Zinsen zurück erhalten!“

Jetzt erkannte ich auch ihn. Er war der Anführer jener Bushheaders, die uns droben am Süd-Saskatschawan überfallen hatten, von uns aber so empfangen worden waren, daß nur diese Drei entkamen. Er war einer jener Prairieräuber, welche man mehr zu fürchten hat, als die wildesten Indianer, da sie die schlimmen Eigenschaften beider Rassen in doppeltem Maße in sich vereinigen.

Ma-ti-ru, der bis jetzt noch nicht gesprochen hatte, erhob seine Hand.

„Wehe ihm, wenn er wieder in die Hände der roten Männer fällt! Er würde an den Marterpfahl gebunden, und Ma-ti-ru nähme ihm jede einzelne Muskel von den Knochen. Er hat die Krieger der Ogellallah getötet, das beste Pferd des Häuptlings geraubt und das Herz der schönsten Tochter der Savanne von sich gestoßen!“

Hätten die drei Männer gewußt, daß der, gegen den sie solche Drohungen ausstießen, kaum drei Spannen weit hinter ihnen lag!

„Die roten Männer werden ihn niemals wieder sehen, denn er ist weit über das Wasser nach dem Lande gegangen, wo die Sonne wie Feuer brennt, wo der Sand größer ist als die Savanne, wo der Löwe brüllt und die Männer viele Weiber haben dürfen.“

Ich hatte an einigen Lagerfeuern gelegentlich erwähnt, daß ich nach der Sahara gehen wolle. Das war auch geschehen, und nun erfuhr ich bei meinem jetzigen Streifzug durch die Prairie zu meinem Erstaunen, daß die Kunde davon sogar schon zu den Indianern gedrungen war. Es schien mir hier mit dem Bowiekneif besser gelungen zu sein, ein bekannter Mann zu werden, als drüben in der Heimat mit der Feder.

„Er wird wiederkommen,“ meinte Ma-ti-ru. „Wer den Atem der Prairie getrunken hat, dürstet nach ihr, so lange ihm der große Geist das Leben läßt!“

Darin hatte er recht. Wie der Gebirgsbewohner sich im flachen Lande bis zur Krankheit nach seinen Höhen sehnt und der Seemann nicht von dem Meere zu scheiden vermag, so tut es auch die Prairie jedem an, den sie einmal umfangen hat. Ich war wieder zurückgekehrt.

Jetzt deutete Ka-wo-mien nach den Sternen.

„Mein weißer Bruder sehe den Himmel an! Es ist Zeit, nach der Bahn des Feuerrosses zu gehen. Sind die eisernen Hände, welche meine Krieger dem weißen Diener des Rosses genommen haben, stark genug, seine Bahn zu zerreißen?“

Diese Frage sagte mir, wer der Ermordete gewesen war. Jedenfalls ein Bahnbeamter, welcher mit seinen Werkzeugen, die der Häuptling eiserne Hände nannte, die Strecke begangen hatte, um den Schienenweg zu revidieren.

„Sie sind stärker als die Hände von zwanzig roten Männern,“ antwortete der Weiße.

„Und versteht es mein weißer Bruder, sie zu gebrauchen?“

„Ja. Die roten Männer mögen mir folgen! In einer Stunde wird der Zug ankommen. Doch meine Brüder mögen noch einmal bedenken, daß alles Gold und Silber mir gehört!“

„Ma-ti-ru lügt nie!“ versicherte stolz der Häuptling, indem er sich erhob. „Das Gold ist dein, und alles Andere samt den Skalpen der Bleichgesichter gehört den tapfern Kriegern der Ogellallah.“

„Und ihr gebt mir Maultiere, um mein Gold zu tragen, und Männer, um mich zu beschützen auf dem Wege nach dem Canadian?“

„Du bekommst Maultiere, und die Krieger der Ogellallah werden dich bringen bis an die Grenzen des Landes Aztlan. Und trägt das Feuerroß sehr viele Dinge, die Ka-wo-mien und Ma-ti-ru gefallen, so führen sie dich auch noch weiter bis an die große Stadt Aztlan, wo dein Sohn auf dich wartet, wie du erzähltest.“

Der Sprecher stieß einen Ruf aus, und sofort erhoben sich alle Indianer. Ich wandte mich zurück. Unweit der Stelle, an welcher ich gelegen hatte, vernahm ich ein leises Geräusch, als ob ein leichter Luftzug über die Halme ginge.

„Sam!“

Ich hatte das Wort mehr gehaucht als gesprochen, und doch richtete sich in der Entfernung von einigen Schritten die kleine Gestalt meines Gefährten halb und nur auf einen einzigen Augenblick empor.

„Charley!“

Ich kroch zu ihm hin.

„Was habt Ihr gesehen?“ fragte ich ihn.

„Nicht viel; die Indsmen, grad wie Ihr.“

„Und gehört?“

„Gar nichts, kein einziges Wort. Und Ihr?“

„Sehr viel. Doch kommt! Sie brechen auf, jedenfalls nach Westen zu, und wir müssen eilen, daß wir unsere Pferde erreichen.“

Ich huschte voran, er mir nach. Wir gelangten an die Bahn und stiegen über den Damm nach der andern Seite desselben. Dort hielten wir an.

„Sam, geht zu den Pferden und reitet eine halbe Meile die Bahn entlang, wo Ihr auf mich wartet. Ich möchte die Roten doch nicht eher verlassen, als bis ich mich genau orientiert habe.“

„Kann ich das nicht auch auf mich nehmen? Ihr habt bisher so viel erspioniert, daß ich mich schämen muß, gar nichts getan zu haben.“

„Geht nicht, Sam! Mein Mustang gehorcht Euch; Euere Tony aber würde sich vielleicht von mir nicht fortbringen lassen.“

„Da habt Ihr zum Beispiel sehr recht, Charley, und deshalb will ich gehen!“

Er schritt aufrecht und schnell davon. Es wäre jetzt eine sehr überflüssige Mühe gewesen, darauf zu sehen, daß sein Fuß keine Fährte zurückließ. Er war kaum im Dunkel des Abends verschwunden, so erblickte ich, an der diesseitigen Böschung liegend, jenseits des Dammes die Indianer, welche – einer hinter dem andern – vorüberhuschten.

Ich folgte ihnen hüben in der Weise, daß ich immer parallel mit ihnen blieb. Nicht weit von der Stelle, wo ich den Hammer gefunden hatte, hielten sie an und bestiegen den Damm. Ich zog mich hinter die Büsche zurück und vernahm nach kurzer Zeit das Geklirr von Eisen an Eisen und dann laute Hammerschläge. Der Bushheader hatte sich an die Arbeit gemacht, mit den dem Bahnwärter abgenommenen Werkzeugen die Schienen von ihrer Unterlage zu reißen.

Nun war es Zeit. Ich verließ den Schauplatz des zu erwartenden Kampfes und eilte vorwärts. In fünf Minuten hatte ich Sam eingeholt.

„Sie arbeiten an den Schienen?“ fragte er mich.

„Ja.“

„Ich habe es gehört. Wenn man das Ohr hier auf dieselben legt, vernimmt man zum Beispiel jeden Hammerschlag.“

„Jetzt vorwärts, Sam! In drei Viertelstunden kommt der Zug, und ich muß ihn erreichen, noch bevor sie seine Lichter sehen können.“

„Hört, Charley, ich gehe nicht mit!“

„Warum?“

„Verlassen wir beide den Platz, so müssen wir nachher mit einem nochmaligen Rekognoszieren eine kostbare Zeit verlieren; gehe ich aber zu den Indsmen zurück, um sie zu beobachten, so kann ich Euch bei Eurer Rückkehr sofort genau unterrichten.“

„Das ist wahr! Und Eure Tony?“

„Lasse ich hier. Sie geht nicht von der Stelle, bis ich wiederkomme.“

„Gut! Ich weiß, daß Ihr an der Sache nichts verderben werdet.“

„Ich nicht, darauf könnt Ihr Euch sehr verlassen. Also macht, daß Ihr fortkommt, Charley! Ihr werdet mich hier wiederfinden.“

Ich stieg aufs Pferd und ritt, so schnell es die Dunkelheit gestattete, dem zu erwartenden Zuge entgegen. Es war notwendig, diesen in einer solchen Entfernung von hier zu erreichen, daß die Indianer nicht bemerken konnten, daß er anhielt. Die Nacht ward allmählich lichter; die Sterne stiegen auf und warfen ihren milden Schein über die Prairie, so daß man auf einige Pferdelängen hin alles ziemlich deutlich zu erkennen vermochte. Mein Ritt nahm infolgedessen an Schnelligkeit fortwährend zu und wurde durch keine Störung unterbrochen, bis ich eine Strecke von vielleicht drei Meilen zurückgelegt hatte.

Hier hielt ich an, stieg ab, pflockte meinen Mustang an und hobbelte ihm zugleich die Vorderbeine zusammen. Der durch den Eisenbahnzug entstehende Lärm hätte ihn sonst veranlassen können, auszubrechen.

Jetzt suchte ich so viel Dürrgras wie möglich zusammen, legte Reisig auf dasselbe und fertigte mir dann eine Fackel, indem ich einige Büschel Gras auf einen Ast befestigte, den ich mir vom Busche brach. So vorbereitet, konnte ich des Zuges warten, legte meine Decke auf das Bahngeleis und setzte mich, um von Zeit zu Zeit das Ohr an die Schienen zu legen und dann wieder hinauszuforschen nach der Gegend, aus welcher der Zug kommen mußte.

Ich hatte kaum zehn Minuten gewartet, so vernahm ich ein leises, ganz leises Rollen, welches von Sekunde zu Sekunde stärker anschwoll. Dann erblickte ich in weiter Ferne einen kleinen, lichten Punkt, der mitten unter den hart über dem Horizonte stehenden Sternen auftauchte, aber kein Stern sein konnte, da er sich auffällig vergrößerte und schnell näher rückte. Der Zug nahte.

In kurzem teilte sich das Licht in zwei Punkte. Jetzt war es Zeit. Ich zündete den Asthaufen an, der sofort eine hochauflodernde Flamme gab, die bereits jetzt von dem Zuge aus bemerkt werden konnte. Das Rollen desselben nahm immer zu; schon vermochte ich den durch die beiden Lichter verursachten Lichtkeil zu bemerken, welcher vor der Maschine die Dunkelheit durchbrach. In einer Minute mußte er mich erreicht haben.

Ich brannte meine Fackel an und lief, sie um den Kopf wirbelnd, dem Zuge entgegen. Der Maschinist erkannte natürlich, daß ich ihm ein Zeichen zum Halten geben wollte; er stoppte; drei schrille Pfiffe erschallten kurz hintereinander; die Bremsen legten sich kreischend an die Räder; ein ohrzerreißendes Rauschen, Rollen, Zischen und Prasseln, und die Lokomotive hielt grad an der Stelle, wo mein Feuer am Bahndamme brannte. Der Maschinist neigte sich zu mir herab und fragte:

„Halloo, Mann, was soll Euer Zeichen bedeuten? Wollt Ihr vielleicht einsteigen?“

„Nein, Sir; ich möchte Euch grad im Gegenteil ersuchen, ab- und auszusteigen.“

„Fällt mir nicht ein!“

„Werdet es aber dennoch tun, denn da vorn sind Indianer, welche die Schienen aufgerissen haben.“

„Was sagt Ihr? Indianer? ‚ s death! Redet Ihr die Wahrheit, Mann?“

„Habe keine Gründe, das Gegenteil zu tun!“

„Was wollt Ihr?“ fragte mich jetzt auch der Conductor, welcher abgestiegen und herbeigekommen war.

„Es sollen Rothäute vor uns sein,“ antwortete ihm der Maschinist.

„Ist’s wahr? – Habt Ihr sie gesehen?“

„Gesehen und belauscht. Es sind Ogellallahs.“

„Die schlimmsten, die es geben kann! Wie viel?“

„Ungefähr sechzig.“

„Zum Henker! Das ist in diesem Jahre bereits der dritte Überfall eines Zuges, den die Halunken unternehmen; aber wir werden sie heimschicken. Habe längst gewünscht, eine Gelegenheit zu finden, ihnen auf die Finger zu klopfen. Wie weit sind sie von hier?“

„Drei Meilen ungefähr.“

„Dann deckt die Lichter zu, Maschinist! Die Kerls haben scharfe Augen. Hört, Master, ich bin Euch großen Dank schuldig dafür, daß Ihr uns gewarnt habt! Ihr seid ein Prairiemann, wie ich an Eurem Habitus erkenne?“

„So etwas Ähnliches, ich habe noch einen bei mir, der die Roten beobachtet, bis wir kommen.“

„Das ist klug von Euch. Aber, gebt Raum, Ihr Leute! Die Sache ist ja gar kein Unglück, sondern verspricht uns sogar ein Vergnügen.“

Man hatte vom nächsten Wagen aus unser Gespräch gehört und sofort alle Türen geöffnet. Sämtliche Passagiere eilten herbei und drängten mit hundert Ausrufungen und Fragen durcheinander. Auf die Mahnung des Conductors aber wurde die nötige Ruhe hergestellt.

„Ihr habt einen Transport Gold und Silber bei Euch?“ fragte ich ihn.

„Wer sagt das?“

„Die Indsmen. Sie werden von einem weißen Bushheader angeführt, der das Metall als Anteil bekommt, während das Übrige samt allen Skalpen den Indianern zufallen soll.“

„Ah! Wie kann der Halunke wissen, was wir geladen haben!“

„Er scheint es von einem Bahnbeamten erfahren zu haben; auf welche Weise aber, das kann ich nicht sagen.“

„Werden schon dahinter kommen, wenn er lebendig in unsere Hände fällt, was ich sehr wünsche. Aber da sagt einmal, Master, wie Euer Name ist, damit man weiß, wie man Euch zu nennen hat!“

„Mein Kamerad heißt Sans-ear, und ich – – –“

„Sans-ear? Alle Wetter, ein tüchtiger Kerl, der bei der Sache so viel tun wird, wie ein Dutzend Andere! Und Ihr?“

„Mich heißen sie hier in der Prairie Old Shatterhand.“

„Old Shatterhand, der vor drei Monaten droben in Montana von mehr als hundert Sioux gejagt wurde und mit Schneeschuhen die ganze Strecke des Yellow-Stone vom Schneeberge an bis Fort Union in drei Tagen zurücklegte?“

„Ja.“

„Sir, ich habe manches über Euch gehört und freue mich, grad Euch einmal zu treffen! Aber sonderbar! Habt Ihr nicht bereits vor einiger Zeit einen Zug gerettet, den Parranoh, der weiße Häuptling der Sioux, vernichten wollte?“

„Allerdings. Ich hatte damals den Apachenhäuptling Winnetou bei mir, den berühmtesten Indianer, soweit die Prairie reicht. Aber bitte, Sir, faßt einen Entschluß! Die Indsmen wissen sehr genau, wann der Zug eintreffen muß, und könnten Verrat ahnen, wenn wir zu lange zögern.“

„Da habt Ihr Recht. Vor allen Dingen möchte ich da wissen, welche Stellung sie einnehmen. Wer einen Feind angreifen will, muß sich unterrichten, welche Disposition derselbe getroffen hat.“

„Ihr sprecht wie ein großer Feldherr, Sir; leider aber kann ich Euch keine genügende Auskunft geben. Ich konnte, um Euch zu warnen, nicht warten, bis die Indsmen schlagfertig dastehen. Wir werden von meinem Gefährten alles erfahren, was uns nötig ist. Wenn ich Euch bat, einen Entschluß zu fassen, so wollte ich damit nur wissen, ob Ihr überhaupt gesonnen seid, anzugreifen oder nicht.“

„Natürlich, natürlich werde ich sie angreifen,“ antwortete er eifrig. „Ich habe ja die Pflicht, diesem Volke den Appetit auf unsere Frachtgüter ein für allemal zu verleiden. Ihr und Euer Kamerad seid ja zu wenig gegen sechzig Indsmen und dürft es gar nicht wagen, an einen – –“

Pshaw, Sir!“ fiel ich ihm in die Rede. „Was wir wagen dürfen oder nicht, das wissen wir wohl genauer als andere Leute. Sans-ear hat heut am hellen Tage vier Rote angegriffen und sie binnen zwei Minuten ausgelöscht, und ich sage Euch, daß wir von den Ogellallahs einige Dutzend in die ewigen Jagdgründe senden werden, ohne Eurer Hilfe zu bedürfen. Es kommt hier weniger auf die Zahl als vielmehr auf andere Dinge an, die man in der Faust und im Kopfe hat. Wenn ich in der Finsternis des Abends mit meinem Henrystutzen allein fünfundzwanzig Schüsse abgeben kann, ohne laden zu müssen, so wissen die Indsmen nicht, ob sie zwei oder zwanzig gegen sich haben. Hört, ihr Männer, gibt es unter Euch welche, die Waffen bei sich tragen?“

Diese Frage war eigentlich überflüssig. Ich wußte, daß jeder dieser Leute eine Art von Schießgewehr bei sich führen werde; aber der Conductor hatte getan, als ob er die Direktion in die Hand nehmen wolle, und das konnte ich nicht zugeben. Einen nächtlichen Angriff gegen eine Indianertruppe zu leiten, dazu gehörte mehr, als ich einem Bahnbeamten zutrauen durfte, selbst wenn dieser ein ganz wackerer und mutiger Mann genannt werden mußte. Ich erhielt ein einstimmiges, rundumtönendes Ja!“ als Antwort, und der Conductor fügte hinzu:

„Ich habe als Passagiere sechzehn Bahnarbeiter, die mit ihren Messern und Büchsen ganz vortrefflich umzugehen verstehen, und zwanzig Milizmen, welche nach Fort Palwieh bestimmt sind und Flinte, Revolver und Messer tragen. Außerdem gibt es noch einige Gentlemen hier, welche sich gern das Vergnügen machen werden, den guten Indsmen ein wenig tiefer unter die Haut zu krabbeln. He, wer macht mit, ihr Leute?“

Alle ohne Ausnahme erklärten sich bereit, mit vorzugehen, und wenn es ja Einen gab, dem es eigentlich an Mut gebrach, so sagte er doch zu, um nicht als Feigling zu gelten. Solche Leute konnten mir freilich nicht viel nützen; es war besser, sie blieben zurück, und darum meinte ich:

„Hört, Mesch’schurs, ihr seid sehr wackere Männer, aber alle können doch nicht mit, das seht ihr doch wohl ein. Ich sehe da einige Ladies stehen, die wir unmöglich ohne Schutz lassen können. Selbst wenn wir siegen, was ich allerdings gar nicht bezweifle, ist es doch möglich, daß die flüchtigen und versprengten Indsmen hier vorbeikommen und sich auf den verlassenen Zug werfen würden. Daher müssen wir einige mutige Männer als Bedeckung zurücklassen. Wer diesen Posten übernehmen will, der mag sich melden!“

Wirklich erklärten sich acht bereit, den Zug mit ihrem Leben zu verteidigen. Es waren die Männer der drei vorhandenen Damen und fünf Reisende, die auf mich den Eindruck machten, als ob sie sich auf die Preise von Eisenwaren, Wein, Zigarren und Hanfsamen besser verständen, als auf die richtige Handhabung eines Bowiemessers. Den Ersteren konnte ich ihre Zurückhaltung nicht verargen; sie hatten vor allen Dingen die Pflichten gegen ihre Ladies zu erfüllen.

„Der Zug kann ohne Beamte nicht gelassen werden. Wer bleibt hier?“ fragte ich den Conductor.

„Der Maschinist mit dem Feuermanne,“ lautete die Antwort. „Er kann den Oberbefehl über diese tapfren Gentlemen übernehmen. Ich gehe natürlich mit Euch und werde die Truppe kommandieren.“

„Ganz, wie Ihr wollt, Sir! Ihr seid gewiß schon öfters gegen Indsmen im Felde gewesen?“

„Ist nicht nötig! Diese Yambarikos wissen ihre Gegner bloß hinterlistig zu überfallen und abzuschlachten. Bei einem offenen und regelrechten Angriffe gegen sie aber suchen sie ihr Heil stets in der Flucht. Wir werden auf alle Fälle leichte Arbeit haben.“

„Meine es nicht, Sir. Es sind Ogellallahs, die blutdürstigsten der Sioux, und werden angeführt von den berühmten Häuptlingen Ka-wo-mien und Ma-ti-ru.“

„Ihr wollt damit doch nicht etwa sagen, daß ich mich vor ihnen fürchten soll? Wir sind hier über vierzig Männer, und ich denke, die Sache ist sehr einfach. Ich habe die Lichter verdecken lassen, damit die Roten nicht merken, daß ich gewarnt wurde. Jetzt nehmen wir die Masken wieder ab; Ihr steigt auf die Maschine und laßt den Maschinisten bis hart an die zerstörte Stelle fahren. Dort halten wir, springen herab und fallen über die Kerls her, daß nicht einer von ihnen übrig bleibt. Wir stellen dann den Eisenstrang wieder her und haben einen Aufenthalt von höchstens einer Stunde einzubringen.“

„Ich muß gestehen, daß Ihr Anlagen zu einem ganz tüchtigen Kavallerieobersten verratet, der kein größeres Vergnügen kennt, als den Feind im Anprall niederzureiten. Doch dazu gehören andere Verhältnisse als die gegenwärtigen. Führt Ihr Euer Vorhaben wirklich aus, so werdet Ihr Euere vierzig Mann in den sicheren Tod treiben, und ich muß mich sehr hüten, an der Ausführung eines solchen Planes teilzunehmen.“

„Was? Ihr wollt uns nicht helfen? Ist dies Feigheit, oder ärgert Ihr Euch darüber, daß Ihr nicht den Anführer spielen sollt?“

„Feigheit? Pshaw! Wenn Ihr wirklich von mir gehört habt, so ist es sehr unüberlegt von Euch, dieses Wort auszusprechen, denn dann könnte Old Shatterhand sehr leicht Lust bekommen, mit seiner Faust auf Eurem Schädel zu beweisen, daß er seinen Namen mit Ehren trägt. Und was den Ärger anbelangt, so kann es mir ja sehr gleichgültig sein, wem der Zug und eure Skalpe nach einer Stunde gehören werden, euch oder den Indianern. Auf meine Kopfhaut aber hat kein Mensch ein Recht, als ich allein, und ich werde sie noch einige Zeit lang zu behalten suchen. Good evening, Mesch’schurs!“

Ich wandte mich um. Der Conductor faßte mich beim Arme.

„Stopp, Master! So geht das nicht! Ich habe hier den Oberbefehl übernommen, und Ihr habt mir zu gehorchen. Ich werde mich wohl hüten, den Zug hier in einer solchen Entfernung vom Kampfplatze stehen zu lassen, denn ich habe jeden Verlust zu verantworten. Es bleibt bei meinem Plane: Ihr führt uns bis zur Stelle, und wir verlassen die Wagen nicht eher, als bis wir dort angelangt sind. Ein guter Feldherr muß jeden Umstand in Berechnung ziehen, auch den, daß er die Schlacht verlieren kann. In diesem Falle bieten uns die Wagen einen sichern Zufluchtsort, von wo aus wir uns verteidigen können, bis wir mit dem nächsten Zuge von West oder Ost Hilfe erhalten. Ist’s nicht so, ihr Männer?“

Alle stimmten ihm bei. Es befand sich nicht ein einziger Westmann unter ihnen, und so hatte sein Plan für sie einen Schein von Praktik, durch den sie sich bestechen ließen. Er war sehr befriedigt von diesem Ergebnis und sagte zu mir:

„Also aufgestiegen, Sir!“

„Schön! Ihr befehlt, und ich gehorche!“

Ein rascher Sprung brachte mich auf den Rücken meines Mustangs, den ich während des Gespräches bereits losgehobbelt hatte.

„O nein, my dear; ich meine die Maschine!“

„Und ich das Pferd, Sir. Unsere Meinungen gehen eben auch hier auseinander.“

„Ich befehle Euch, abzusteigen!“

Ich drängte mein Pferd an seine Seite, bog mich zu ihm nieder und sagte:

„Mann, Ihr scheint noch niemals mit einem richtigen Westläufer zusammengeraten zu sein, sonst würdet Ihr in einem andern Tone mit mir sprechen. Seid so gut und stellt Euch selbst auf die Lokomotive!“

Ich faßte ihn mit der Rechten bei der Brust und zog ihn empor; ein kräftiger Schenkeldruck brachte meinen Mustang hart an die Maschine; im nächsten Augenblick flog der Eisenbahn-Stratege hinter den Wetterschirm, und ich galoppierte davon.

Es war jetzt so sternhell geworden, daß mich die Büsche nicht im geringsten am schnellen Ritt hinderten. Ich brauchte nicht viel mehr als eine Viertelstunde, um Sam zu erreichen.

„Nun?“ fragte er, als ich vom Pferde stieg. „Ich denke, Ihr bringt Leute!“

Ich erzählte ihm, warum dies nicht geschah.

„Habt’s recht gemacht, Charley, sehr recht! So ein Railroader sieht unsereinen über die Achsel an, weil man sich zum Beispiele nicht täglich dreimal frisieren lassen kann. Natürlich führen sie den Plan aus, werden sich aber wundern, hihihihi!“

Während dieses halblauten Gelächters machte er die Bewegung des Skalpierens und fuhr dann fort:

„Aber Ihr habt mir noch gar nicht erzählt, was Ihr da vorne erfahren habt!“

„Ka-wo-mien und Ma-ti-ru sind die Anführer.“

„Ah! Dann gibt es einen Kampf, an dem sich das alte Herz erfreuen kann.“

„Es ist ein Weißer bei ihnen, der ihnen verraten hat, daß der Zug Gold und Silber mit sich führt.“

„Das will er haben und ihnen das andere und die Skalpe lassen?“

„Ja.“

„Konnte mir es denken! Jedenfalls ein Bushheader!“

„Ich kenne ihn. Er überfiel einst mit seiner Bande das Hide-spot von Old Firehand, mußte aber die Hand davon lassen.“

„Wie heißt er?“

„Weiß es nicht; ist auch nicht von Interesse, da diese Sorte von Menschen sich täglich anders nennt. Ihr habt rekognosziert?“

„Ja. Sie haben sich geteilt und zu beiden Seiten der Bahn aufgestellt, ungefähr in der Mitte zwischen der zerstörten Stelle und ihren Pferden, bei denen ich wieder zwei Mann Wache fand. Aber was tun denn wir, Charley? Helfen wir den Railroaders oder gehen wir zum Beispiel fort?“

„Es ist unsere Pflicht, ihnen zu helfen, Sam. Oder seid Ihr vielleicht anderer Meinung?“

„Fällt mir gar nicht ein! Mit der Pflicht, da habt Ihr vollständig recht, und außerdem müßt Ihr an meine Ohren denken, die mir noch lange nicht vollständig bezahlt worden sind. Ich wette meine Tony gegen einen Laubfrosch, daß morgen in der Frühe einige tote Indsmen ohne Ohren an der Bahn liegen werden! Aber was jetzt tun, Charley?“

„Wir teilen uns auch und postieren uns zu beiden Seiten des Dammes zwischen die Indsmen und ihre Pferde.“

„Well! Aber da kommt mir ein Gedanke! Was meint Ihr zu einem guten Stampedo?“

„Hm! Wäre wohl gut, wenn wir überlegen wären und es auf die gänzliche Vertilgung der Indsmen absehen könnten. Hier aber möchte ich nicht dazu raten. Die Railroader werden den Kürzeren ziehen, und wir beide können nichts tun, als die Roten bis zum nächsten Zuge hinhalten oder ihnen einen plötzlichen Schreck einjagen, daß sie fliehen. In beiden Fällen ist es gut, wenn sie fort können; nehmen wir ihnen aber die Pferde, so behalten wir sie in der Nähe. Habt Ihr noch nichts gehört von der guten Regel, daß man dem Feinde unter Umständen goldene Brücken bauen muß?“

„Habe bisher nur hölzerne, steinerne und eiserne Brücken kennen gelernt! Euere Ansicht in Ehren, Charley, aber wenn ich mir zum Beispiel vorstelle, was die Roten für Gesichter schneiden werden, wenn sie aufsteigen wollen und kein Pferd mehr finden, so juckt es mich in allen Fingerspitzen. Und was die Hauptsache ist, können wir sie denn nicht grad dadurch panisch erschrecken, wenn wir ihnen die Pferde auf den Leib jagen?“

„Das ist richtig! Doch ist es besser, wir warten erst die Umstände ab.“

„Meinetwegen! Aber eins müßt Ihr mir auf alle Fälle zugeben!“

„Was?“

„Daß ich die beiden Wächter beseitige. Nicht?“

„Ich bin in keiner Lage ein Freund von unnützem Blutvergießen, doch sehe ich hier ein, daß Ihr Recht habt – es ist traurige Notwehr. Wenn die Wachen fallen, sind die Pferde ganz in unsere Hand gegeben. Bringen wir also zunächst unsere eigenen Tiere in Sicherheit, und dann vorwärts!“

Wir ritten etwas in das Land hinein, wo ich mein Pferd so befestigte, daß es kaum drei Schritte Spielraum hatte. Sam tat mit seiner Tony ganz dasselbe. So sicher er ihrer sonst war, im Falle eines Stampedo konnte leicht der ausbrechende Pferdetrupp die Richtung nach unseren Tieren nehmen und diese mit sich fortreißen.

Nun kehrten wir in einem Bogen, welcher uns hinter die Indsmen brachte, zurück. Noch immer ließen sich die Lichter der Lokomotive nicht bemerken. Entweder hatte der Plan des Conductors doch seine Gegner gefunden, oder man hatte sich nicht sofort entschließen können, nun ohne meine Führung weiter zu fahren.

Bei den Pferden angelangt, erkannten wir leicht die Gestalten der beiden Wächter, welche keine ruhige Stellung eingenommen hatten, sondern einzeln um die Lichtung patrouillierten. Der Eine von ihnen näherte sich langsam dem Strauch, hinter welchem wir standen. Als er vorüberschritt, blitzte die Klinge Sams und fuhr ihm ins Herz. Kein Laut ward ausgestoßen. Der Andere hatte das gleiche Schicksal, als er nachher vorbeikam. Wer die Prairie nicht kennt, ahnt nichts von der Glut der Erbitterung, mit welcher sich zwei Rassen bekämpfen, deren Angehörige von Schritt zu Schritt im Blute ihrer Gegner schreiten.

Bei der Bewegung, welche ich machte, um das Fallen des zweiten Opfers nicht mit ansehen zu müssen, fiel mein Blick auf ein Pferd, welches mir nahe hielt. Es trug den bequemen spanischen Sattel mit großen Steigbügelschuhen, wie er in Mittel- und Südamerika gebräuchlich ist, und war nicht auf indianische Weise aufgezäumt. Sollte es das Pferd des Weißen sein? Ich trat näher. Zu beiden Seiten waren am Sattelrande tiefe schmale Taschen angebracht, die ich untersuchte. Sie enthielten einige Papiere und zwei Beutel, deren Inhalt ich jetzt nicht erforschen konnte. Ich steckte alles zu mir.

„Was nun?“ fragte jetzt Sam.

„Wir teilen uns; ich rechts und Ihr links. Aber halt, schaut einmal nach vorn!“

„Der Zug, wahrhaftig, es ist der Zug, der jetzt zum Beispiel herangedampft kommt! Bleiben wir noch, Charley, um zu sehen, wie der Stecken schwimmen wird!“

Der Plan des Conducters war also doch aufrecht erhalten worden. Die beiden scharfen Lichter der Maschine kamen näher, aber langsam, sehr langsam, denn es galt, die Stelle zu erkennen, an welcher die Schienen aufgerissen worden waren. Bald hörten wir das Rollen der Räder, welches immer lauter wurde, und endlich, ja, da hielt der Zug hart an der Schienenbresche.

Welcher Grimm mußte die Wilden überkommen, wenn sie sahen, daß die Hauptbedingung ihres Sieges vereitelt war! Vielleicht errieten sie, daß die Railroader gewarnt worden waren. Für die Letzteren war es jetzt das Klügste, sich in ihren Waggons vollständig ruhig zu verhalten. Ich hoffte beinahe, daß sie es tun würden, sah mich aber enttäuscht, denn die Wagen öffneten sich, die Weißen sprangen heraus und schritten zum Angriff vor. Sie sollten die Unklugheit dieses Verfahrens augenblicklich erkennen. Im Vordringen kamen sie in das Bereich des intensiven Maschinenlichtes und boten den Indsmen so genaue Zielpunkte, daß diese sich nichts Besseres wünschen konnten. Eine Salve krachte, noch eine, und dann erhob sich ein Geheul, wie es gräßlicher und markerschütternder gar nicht gedacht werden konnte.

Mit den abgeschossenen Gewehren in der Hand stürzten sich die Wilden herbei, fanden aber nur die Toten und Verwundeten, da sich die Übrigen augenblicklich zurückgewandt hatten, um das Innere der Wagen zu gewinnen. Einige der Indsmen bückten sich nieder, um den Gefallenen die Skalpe zu nehmen, mußten aber davon ablassen, da man aus dem vordersten Waggon auf sie schoß.

Jetzt wäre es das Klügste gewesen, der Maschine Rückdampf zu geben. Es geschah nicht. Vielleicht hatte sich der Maschinist mit dem Feuermanne ebenso wie die Anderen in einen Wagen geflüchtet.

„Jetzt wird zum Beispiel eine regelrechte Belagerung beginnen,“ meinte Sam.

„Glaube es nicht! Die Roten wissen, daß sie nur Zeit bis zum nächsten Zuge haben, und werden einen Sturm versuchen, obgleich sie dies nie gern tun.“

„Und wir? Es ist hier sehr schwierig, einen guten Entschluß zu fassen.“

„Der Entschluß ist nur etwas wert, wenn er schnell kommt und ebenso rasch ausgeführt wird. Das beste Angriffsmittel ist das Feuer. Wir müssen zu den Pferden. Jeder reitet einen weiten Halbkreis und steigt alle fünfzig bis sechzig Pferdelängen ab, um die Prairie anzubrennen. Vorher aber lassen wir den Stampedo los, um die Feinde am schnellen Angriffe zu verhindern und ihnen die Mittel zur Flucht zu entziehen. Unter den jetzigen Verhältnissen gibt es allerdings nichts Besseres.“

„Alle Wetter, das ist ein schlimmer Plan für sie! Aber wir werden die Wagen mitverbrennen!“

„Bewahre! Zwar weiß ich nicht, ob sie feuergefährliche Gegenstände, wie Öl und Teer, geladen haben, aber das Holz der Wagen ist stark genug, einem Grasfeuer zu widerstehen, und dann müßt Ihr an das einzige Mittel denken, welches den Indianern bleibt, sich vor dem Schmoren zu retten: sie müssen Gegenfeuer anzünden und werden das in der unmittelbaren Nähe der Wagen tun, darauf könnt Ihr Euch verlassen. Ich zum Beispiel würde an ihrer Stelle auf jeden Fall das Geleise unter den Wagen zu gewinnen suchen.“

„Habt Ihr auch an die Zeit gedacht, welche wir brauchen werden, um mit unsern langsamen Punks Feuer zu bekommen? Und Fackeln dürfen wir nicht machen, weil diese uns verraten würden.“

„Ein guter Prairiemann muß für alle Fälle vorbereitet sein. Ich habe mir für ähnliche Gelegenheiten eine hinreichende Anzahl von Zündhölzern aufbewahrt. Hier nehmt!“

„Bravo, Charley! Nun aber den Stampedo und dann zu unsern Pferden!“

„Halt, Sam, da sehe ich eben ein, daß ich ganz unverzeihlich dumm gewesen bin! Wir brauchen ja unsere Tiere gar nicht; hier gibt es deren mehr als genug. Ich nehme gleich hier diesen Braunen!“

„Und ich den Fuchs daneben. Vorwärts, die Lassos durchgeschnitten!“

Dies taten wir, indem wir eiligst von einem Pferde zum andern schlüpften. Dann brannten wir das hinter den Tieren befindliche Gestrüpp an und stiegen auf. Die Flamme leckte bloß erst einige Zoll hoch empor und konnte von den Indsmen noch gar nicht gesehen werden; wir durften jetzt an das Werk gehen, ohne von ihrem Scheine verraten zu werden.

„Wo treffen wir uns wieder?“ fragte Sam.

„Droben an der Bahn stoßen wir wieder zusammen, aber nicht vor der Flamme, sondern zwischen den Feuern. Verstanden?“

„Sehr. Also go on, alter Fuchs!“

Das Lösen ihrer Fesseln hatte die Pferde bereits aufgeregt. Jetzt rochen sie den nahen Brand und sträubten die Mähnen. Mehrere bäumten sich schon, und der Ausbruch war also für jeden Augenblick zu erwarten. Ich ritt nach rechts ab in die Prairie hinein, schlug im Galopp einen Bogen mit einem Radius von beinahe einer englischen Meile, sprang fünfmal ab, um das Gras anzuzünden, und befand mich bereits wieder in der Nähe des Dammes, als mir einfiel, daß wir uns einer Gedankenlosigkeit ohnegleichen schuldig gemacht hatten; wir waren der Eingebung des Augenblickes gefolgt, ohne an unsere eigenen Tiere zu denken.

Sofort riß ich mein Pferd herum und sprengte in gerader Linie auf den Ort zu, an welchem wir sie zurückgelassen hatten. Der Feuerkreis um uns beleuchtete jetzt jeden Gegenstand. Weit draußen in der Savanne war der Hufesdonner der durchgegangenen Pferde zu hören; in der Nähe erschallte ein Wut- und Schreckensgeheul, wie es nur von indianischen Kehlen hervorgebracht werden kann; unter den Wagen des Zuges loderten mehrere kleine Flammen empor; ich hatte mich also in der Voraussetzung, daß die Wilden versuchen würden, sich durch Gegenfeuer zu retten, nicht geirrt; links da drüben hielt mein Mustang mit der langbeinigen Tony, und dort – wahrhaftig, dort kam Sam herbeigejagt, daß der Leib seines Pferdes beinahe den Boden berührte; auch er hatte sich im letzten Augenblick auf unsere Unterlassungssünde besonnen.

Aber unsere Tiere waren bereits auch von den Indianern bemerkt worden; eine ganze Anzahl von ihnen lief auf dieselben zu, und die zwei schnellsten befanden sich nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt. Ich zog den Riemen der Büchse fester an, richtete mich im Sattel empor und griff zum Tomahawk. In tigergleichen Sätzen schnellte mein Pferd vorwärts, und ich gelangte mit den Zweien zugleich an. Ein Blick genügte, sie zu erkennen. Es waren die beiden Häuptlinge.

„Zurück, Ma-ti-ru; die Pferde sind mein!“

Er drehte den Kopf zu mir herum und erkannte mich.

„Old Shatterhand! Stirb, du Kröte der Bleichgesichter!“

Er riß das Messer hervor; ein Sprung brachte ihn an die Seite meines Pferdes. Er holte zum Stoße aus, wurde aber von meinem Schlachtbeile so getroffen, daß er niederstürzte. Der Andere war bereits auf den Rücken meines Mustangs gesprungen, hatte aber nicht beachtet, daß das Pferd gefesselt war.

„Ka-wo-mien, du hast vorhin mit dem weißen Verräter von mir gesprochen; jetzt werde ich mit dir reden!“

Er sah, daß er auf dem unlenkbaren Pferd verloren war, und glitt wieder von demselben herab, um hinter den Büschen zu verschwinden. Ich schwang den Tomahawk zum Schleudern um den Kopf, und die schwere Waffe traf ihn so auf den mit Adlerfedern geschmückten Schädel, daß auch er zusammenbrach. Jetzt sprang ich ab, griff zum Henrystutzen und wandte mich nach den Andern zurück. Drei Schüsse warfen ebenso viele Wilde nieder, dann war das Feuer bereits so nahe gekommen, daß keine Zeit zum weiteren Kampfe übrig blieb. Ich durchschnitt die Fesseln meines Mustangs und sprang auf; der Braune war schon auf und davon.

„Hallo, Charley, dort in die Lücke hinein!“ rief Sam.

Er erreichte eben jetzt den Platz, sprang von dem Fuchse, welcher unverweilt weiter jagte, auf seine Stute herüber, bückte sich von ihrem Rücken nieder, um den Riemen zu trennen, und jagte dann neben mir einer noch offenen Stelle zu, wo die Flammen sich noch nicht vereinigt hatten.

Wir kamen glücklich hindurch, schwenkten nach links hinter die Flammen ein und hielten an. Der Ort, an welchem wir uns befanden, war derjenige, an welchem ich mein drittes Feuer angefacht hatte. Der Boden sah vom Brande schwarz aus und hatte sich bereits wieder abgekühlt. Vor und hinter uns bezeichnete ein dunkler, schon ausgebrannter Streifen meinen vorhin eingeschlagenen Weg; zu beiden Seiten desselben aber wogte das Feuermeer und verbreitete eine Glut, die den Sauerstoff der Luft in der Weise verzehrte, daß uns das Atmen beinahe zur Unmöglichkeit wurde.

Dieser die Brust beklemmende Zustand besserte sich jedoch von Minute zu Minute; die Luft kühlte sich desto mehr ab, je weiter das Feuer von uns wich, und nach kaum einer Viertelstunde glühte nur noch der Horizont in purpurnen Tinten. Um uns her aber lag die Prairie so schwarz, daß man kaum drei Schritte weit zu sehen vermochte, denn die Sterne waren durch Rauch verhüllt.

Bless me, war das eine Höllenglut!“ meinte Sam. „Es soll mich wundern, wenn der Zug keinen Schaden gelitten hat.“

„Das glaube ich nicht. Die Wagen sind ja für solche Fälle eingerichtet, da es öfters vorkommt, daß ein Zug einen Wald- oder Savannenbrand passieren muß.“

„Was jetzt tun, Charley? Man hat uns bemerkt und wird nun auf der Hut sein.“

„Man sieht uns auch jetzt noch, da wir zwischen den Indsmen und dem lichten Horizonte stehen. Wir müssen in ihnen den Glauben erwecken, daß wir fortgehen. Vielleicht halten sie uns für detachierte Mitglieder einer Jägertruppe und nehmen an, daß wir eilen werden, die Unseren zum Entsatze der Überfallenen herbeizuholen. Wir halten im Galopp nach Norden, wenden uns dann nach Osten und kehren in einem Bogen zurück.“

„Das ist zum Beispiel ganz auch meine Meinung von der Sache, und ich glaube, daß sie ein solches Ende nimmt, welches einigen Roten die Ohren kosten wird. Euer Tomahawk hat zum Beispiel vorhin auch wacker gearbeitet.“

„Und doch sind die Getroffenen nicht tot!“ erwiderte ich in trockenem Tone.

„Nicht tot? Inwiefern denn zum Beispiel?“

„Ich habe sie mit dem Tomahawk nur betäubt.“

„Nur betäubt? Seid Ihr bei Trost oder nicht? Einen Indsman nur betäuben, wo er einem so hiebgerecht unter das Beil kommt! Ihr bekommt es ja wieder von Neuem mit ihnen zu tun.“

„Und doch gibt es Gründe, von denen Ihr wohl einen wenigstens begreifen werdet.“

„Nein, keinen einzigen, Charley. Ich vermute, daß es die beiden Häuptlinge waren, und grad gegen diese darf erst recht keine Schonung gelten.“

„Ich war einst ihr Gefangener; sie konnten mich töten; aber sie taten es nicht. Ich mußte ihre Güte mit Undank lohnen, als ich von ihnen floh, und gab deshalb dem Tomahawk vorhin nur die halbe Kraft.“

„Nehmt mir’s nicht übel, Charley, aber das war zum Beispiel eine ganz schauderhafte Dummheit von Euch! Ja, wenn es Euch die Kerls Dank wüßten! Aber sie werden höchstens sagen, daß Old Shatterhand nicht einmal Mark genug im Arme hat, den Schädel eines Roten richtig zu behandeln. Ich hoffe jedoch, daß das Feuer Euren Fehler ausgebessert hat.“

Während dieses laut herüber und hinüber gerufenen Gespräches jagten wir nebeneinander über die Prairie hin. Die alte Stute warf ihre Sechzigmeterbeine so wacker durcheinander, daß sie mit meinem Mustang gleichen Schritt hielt, und es waren wirklich nur Minuten vergangen, als wir wieder bei der Bahn anlangten und zwar an einem Punkte, welcher vielleicht eine Meile östlich von der Stelle lag, wo der Zug hielt. Hier hobbelten wir unsere Pferde an und schlichen uns dem Schienenstrange entlang dem Orte des Überfalles wieder zu.

Die Atmosphäre war von einem starken Brandgeruche erfüllt, und feine Asche deckte die weite Ebene. Der leise Wind hob die Asche empor und führte sie den Atmungswerkzeugen zu, und es war schwierig, den Hustenreiz zu besiegen, welcher an uns zum Verräter hätte werden können. Wir sahen ganz deutlich die beiden Lichter der Maschine. Weder auf der einen noch auf der andren Seite des Bahndammes war aber einer der Wilden zu bemerken. Wir krochen näher; ich blickte schärfer hin, und wirklich, was ich vermutet hatte, war geschehen: sie hatten sich vor dem Feuer auf die Bahn und zwar unter die Waggons zurückgezogen. Dort lagen sie eng neben- und hintereinander und getrauten sich nicht vor, weil sie sich dann den Kugeln der Weißen ausgesetzt hätten.

Da kam mir ein Gedanke. Die Ausführung desselben war schwierig, mußte aber jedenfalls eine durchschlagende Wirkung haben.

„Sam, geht zurück zu den Pferden, daß sie uns nicht von den Indsmen genommen werden!“

Pshaw! Die sind froh, daß sie sicheres Quartier haben!“

„Ich werde sie aus demselben vertreiben.“

„Mit der Büchse?“

„Nein.“

Ich erklärte ihm meinen Plan, und er nickte vergnügt.

Well, Charley, das ist der richtige Gedanke. Macht nur schnell hinauf, daß sie Euch nicht während des Sprunges erwischen. Ich werde zum Beispiel im richtigen Augenblick mit den Pferden bei der Hand sein, und hihihihi, dann fahren wir unter sie, wie der Büffel unter die Coyoten!“

Er bewegte sich rückwärts, ich aber kroch hart am Boden weiter vor, das Messer immer in der Rechten haltend, um bei einer etwaigen Überraschung sofort zur Gegenwehr bereit zu sein. Ich kam glücklich und unbemerkt an der Stelle unten am Bahndamme an, wo oben die Lokomotive stand. Die großen Treibräder und mein niedriger Haltepunkt verhinderten mich, zu sehen, ob auch unter der Maschine Indianer lägen. Ich schob mich an der Böschung empor und schnellte mich dann mit zwei raschen Sprüngen auf das Feuerroß.

Ein lauter Ruf erscholl unter mir; ich legte die Hand an, und im nächsten Augenblick setzte sich der Train nach rückwärts in Bewegung. Ein vielstimmiger Schrei, teils des Schmerzes und teils der Überraschung erscholl. Als ich ungefähr dreißig Schritte zurückgelegt hatte, gab ich wieder Vordampf.

„Hund!“ rief es da neben mir, und eine Gestalt mit dem Messer in der Hand versuchte es, sich zu mir emporzuschwingen.

Es war der Weiße. Ein kräftiger Fußtritt vor seine Brust warf ihn hinab.

„Hier, Charley!“ hörte ich jetzt rufen. „Schnell, schnell!“

Zur Linken von mir war Sans-ear auf seiner Tony, mein Pferd in der einen Hand am Zügel haltend, während er mit der anderen Hand zwei Wilde von sich abwehrte, und vor mir liefen diejenigen Indsmen, welche von den Rädern nicht verletzt worden waren, nach der Richtung hin, wo ihre Pferde gestanden hatten. Sie konnten doch unmöglich hoffen, daß sich die Tiere trotz des Feuers am Platze gehalten hatten.

Ich stoppte sofort, sprang herab und eilte auf die Gruppe zu. Die beiden Indianer waren durch den Zuruf Sams aufmerksam geworden; sie bemerkten mich augenblicklich und flohen. Ich schwang mich auf, und bald befanden wir uns im dicksten Haufen der Fliehenden. Es war dies kein so gefährliches Unternehmen, als es vielleicht scheinen könnte; die Indsmen waren von einem wahrhaft panischen Schrecken ergriffen worden, und als sie gar bemerkten, daß ihre Pferde verloren seien, stoben sie vor uns auseinander wie ein furchtsames Rudel Wild, in welches die Meute des Jägers gebrochen ist.

Da hörte ich einen lauten Ruf aus Sams Munde:

All devils, da ist Fred Morgan! Hallo, du Satan, nieder mit dir!“

Ich blickte hinüber und sah gegen den Schein des noch am Horizont lohenden Brandes, daß er zu einem gewaltigen Hiebe ausholte, der aber nicht traf, denn der Gegner duckte sich augenblicklich nieder und verschwand dann im Schwarme der Fliehenden.

Sam spornte seine Stute zu einem unglaublichen Satze, der sie und ihn in ihre Mitte brachte; weiter konnte ich das Intermezzo nicht verfolgen, da sich mir einige Rothäute entgegengestellt hatten, die mir wacker zu tun gaben, ehe sie sich wieder wandten.

Ich folgte ihnen nicht; es war Blut genug geflossen, und ich konnte sicher sein, daß es den Indianern nach dieser Lektion nicht in den Sinn kommen werde, wieder umzukehren. Um Sam ein Zeichen zu geben, von der Verfolgung abzulassen, die ihm nichts als Gefahr bringen konnte, ahmte ich so laut wie möglich das Geheul des Coyoten nach und ritt dann zu dem Zug zurück.

Das Personal war ausgestiegen und suchte, während der Maschinist den Dampf ausströmen ließ, nach den Toten und Verwundeten. Der Conductor stand fluchend dabei. Als er mich erblickte, fuhr er wütend auf mich zu:

„Was fällt Euch ein, Euch an der Maschine zu vergreifen und uns die Roten zu vertreiben, die wir so fest hatten, daß wir sie bis auf den letzten Mann vertilgen konnten!“

„Sachte, sachte, Mann! Seid froh, daß sie fort sind, denn es hätte leicht kommen können, daß sie euch hatten, statt ihr sie. Gut genug hattet ihr es bereits eingefädelt!“

„Wer hat die Prairie angezündet?“

„Ich.“

„Seid Ihr verrückt! Und auch an mir habt Ihr Euch vergriffen! Wißt Ihr, daß ich Euch arretieren und der Court of justice überliefern kann?“

„Nein, das weiß ich nicht, aber ich gebe Euch recht gern die Erlaubnis dazu, Old Shatterhand vom Pferde herunterzuholen, in einen Waggon zu sperren und dem Gerichte zu übergeben; ich wäre doch neugierig, zu erfahren, wie Ihr das anfangt.“

Er schien einigermaßen in Verlegenheit zu geraten.

„So ist’s nicht gemeint, Sir! Ihr habt allerdings einen dummen Streich begangen, aber den will ich Euch vergeben.“

„Danke, Sir! Es berührt das Herz ungemein wohltuend, wenn die Mächtigen der Erde eine schöne Neigung zu Gnade und Barmherzigkeit verspüren lassen. Was werdet Ihr jetzt tun?“

„Was kann ich sonst tun, als die Schienen herstellen lassen und die Fahrt dann fortsetzen! Oder werden wir einen zweiten Angriff zu gewärtigen haben?“

„Denke es nicht, Sir. Eure Attacke war so ausgezeichnet ersonnen und ausgeführt, daß ihnen sicher die Lust vergehen wird, wiederzukommen.“

„Ihr wollt doch nicht etwa meiner spotten, Sir? Das möchte ich mir sehr streng verbitten. Ich konnte doch nicht dafür, daß es ihrer so viele waren und daß sie sich auf unsern Angriff in solcher Weise vorbereitet hatten!“

„Ich hatte es Euch gesagt. Die Ogellallahs wissen ihre Waffen vortrefflich zu gebrauchen. Seht hin; von Euren sechzehn Bahnarbeitern und zwanzig Milizmen sind nicht weniger als neun gefallen; ich habe das nicht zu verantworten. Und wenn Ihr bedenkt, daß ich und mein Kamerad nur zu zweien die ganze Rotte in die Flucht getrieben haben, so könnt Ihr ungefähr vermuten, wie es gegangen wäre, wenn Ihr mir statt Euch selbst gefolgt wäret.“

Er schien große Lust zu haben, mir zu widersprechen; es waren aber Andere hinzugetreten, welche mir Recht gaben, und so meinte er ziemlich kleinlaut:

„Bleibt Ihr noch hier, bis wir fort sind?“

„Das versteht sich! Ein rechter Westmann tut niemals halbe Arbeit. Macht euch ans Werk; zündet einige Feuer an, die euch dazu leuchten – Buschwerk ist ja genug dazu hier – und stellt einige Wachen aus für den unwahrscheinlichen Fall, daß die Redmen sich ja noch einmal zurückwenden sollten.“

„Wollt Ihr das nicht übernehmen, Sir?“

„Was?“

„Die Wache.“

„Denke nicht. Ich habe genug für Euch getan und noch genug Anstrengungen zu erwarten, während ihr dahin geht, wo Ihr Euch pflegen könnt. Eure Strategie wird Euch schon sagen, wie Ihr den Postendienst am besten einzurichten habt.“

„Aber wir haben keine so scharfen und geübten Augen und Ohren wie Ihr!“

„Strengt sie an, Sir, strengt sie ein wenig an; dann seht und hört Ihr ebenso scharf wie ich! Den Beweis will ich Euch sogleich geben. Seid still, ihr Leute, und horcht einmal nach links da hinaus! Hört ihr etwas?“

„Ja. Es kommt ein Pferd. Das ist sicher ein Wilder!“

Pshaw! Glaubt ihr wirklich, daß ein Indsman so laut herbeigeritten kommt, um euch zu überfallen? Es ist mein Maate, und ich rate euch sehr, ihn höflich zu empfangen. Es ist Sans-ear, der keinen Spaß versteht!“

Allerdings war es Sam, der herbeigeritten kam und mit einer Miene von seiner Tony stieg, als ob er die ganze Welt erwürgen wolle.

„Habt Ihr mein Zeichen gehört?“ fragte ich ihn.

Er nickte bloß und wandte sich an den Conductor:

„Seid Ihr der Mann, der so schöne Feldzugspläne aussinnen kann?“

„Ja,“ antwortete der Gefragte so naiv, so daß ich Mühe hatte, das Lachen zu unterdrücken.

Well, Sir, dann mache ich Euch mein Kompliment, denn da hier meine alte Stute, die Tony, hat mehr Grütze im Kopfe, als Ihr jemals gesehen habt. Aus Euch kann noch etwas werden. Nehmt Euch nur in acht, daß sie Euch nicht einmal gar zum Präsidenten wählen! Bleib, Tony; ich komme gleich wieder!“

Der brave Bahnbeamte stand ganz verblüfft da und wußte sichtlich gar nicht, was er sagen sollte. Selbst wenn er Worte gefunden hätte, so wäre es unmöglich gewesen, sie an den Mann zu bringen, denn Sans-ear war im Dunkel der Nacht verschwunden. Ich fragte mich natürlich, was meinen guten Sam in so ganz außerordentlich schlechte Laune versetzt haben könne, und konnte nichts anderes denken, als daß der Grund in jenem Fred Morgan liegen müsse. Jedenfalls war dies kein Anderer als der weiße Bushheader, den ich von der Lokomotive gestoßen hatte. Wohin Sam jetzt gegangen war, konnte ich mir wohl denken; ich hätte baldigst ganz dasselbe getan, hatte aber bisher noch keine Zeit dazu gehabt. Nach einigen Minuten kehrte er zurück. Ich hatte mich niedergesetzt und sah den Vorbereitungen zu, welche man beim Scheine der aufflammenden Feuer zur Reparatur des Bahngeleises traf. Er nahm neben mir Platz; seine Miene war nicht freundlicher, sondern womöglich noch grimmbartiger geworden.

„Nun?“ fragte ich ihn.

„Was nun?“ herrschte er mich an.

„Sind sie tot?“

„Tot? Lächerlich! Wie können ein paar Indianerhäuptlinge tot sein, wenn Ihr ihnen auf den Kopf krabbelt, wie einer Fliege, die gejuckt sein will! Wißt Ihr, was ich vorhin dem Conductor sagte?“

„Was?“

„Daß die Tony mehr Grütze im Kopf hat, als er.“

„Weiter!“

„Denkt es Euch selbst! Die Tony hätte Ka-wo-mien und Ma-ti-ru zum Beispiel ganz tot geschlagen, statt nur halb. Sie sind fort!“

„Ist mir lieb!“

„Lieb? Das ist ja ganz pitiful, ganz und gar jammervoll, zwei solche Kerls laufen zu lassen, wenn man ihre Skalpe bereits in den Händen hat!“

„Ich habe Euch meine Gründe gesagt, Sam; drum laßt das Räsonnieren! Sagt lieber, was Euch die Laune so verdorben hat!“

Well, ist auch danach. Wißt Ihr, wen ich getroffen habe?“

„Fred Morgan.“

Egad! Wer hat es Euch gesagt?“

„Ihr habt den Namen ja laut genug gerufen, als Ihr den Mann erkanntet.“

„So! Weiß nichts davon. Ratet, wer der Kerl ist!“

Bei dieser Frage und dem wut-erhitzten Benehmen des alten Jägers kam mir ein Gedanke.

„Doch nicht etwa gar der Mörder Eures Weibes und Kindes!“

„Natürlich! – Wer sonst?“

Ich fuhr empor.

„Das ist stark! Das ist viel! Habt Ihr ihn erwischt?“

„Entkommen ist mir der Halunke; fort ist der Schuft, weg über alle Berge! O, ich könnte mir die Ohren herausreißen vor Grimm, wenn ich noch welche hätte!“

„Ich sah doch, wie Ihr ihm zu Pferde nachschnelltet, mitten unter die Indianer hinein!“

„Hat nichts geholfen, gar nichts. Ich habe ihn gar nicht wiedergesehen. Vielleicht hat er sich zur Erde geworfen, so daß ich an ihm vorübergeritten bin. Aber mein wird er, finden muß ich ihn! Die Pferde sind fort, und so können wir uns an die Fußspuren halten.“

„Wird eine schwierige Aufgabe sein! Zwar sind die Spuren eines Weißen recht gut von der Fährte eines Roten zu unterscheiden, aber wer sagt Euch denn, daß er nicht klug genug ist, auch einwärts zu gehen, wie die Indianer? Und wird es auch immer ein Terrain geben, auf welchem die Fährte zu erkennen ist?“

„Ihr habt recht, Charley; aber was soll ich sonst tun?“

Ich griff in die Tasche und zog die zwei Beutel und die Papiere hervor, welche ich bei dem Pferde des Weißen gefunden hatte.

„Vielleicht finden wir hier einen Anhalt über das, was wir vorzunehmen haben.“

Ich öffnete die Beutel. Ganz in unserer Nähe brannte eines der Feuer; sein Schein fiel auf den Inhalt, den ich ganz deutlich zu erkennen vermochte. Ich stieß einen Ruf der Überraschung aus.

„Steine, echte Steine, Diamanten! Sam, ich halte einen außerordentlichen Reichtum in den Händen!“

Wo hatte sie dieser Bushheader her, und wie kamen sie mit ihm in die wilde Savanne? Auf eine rechtmäßige Weise konnte er sie nicht besitzen, das war sicher, und ich hatte unbedingt die Verpflichtung, den wahren Eigentümer ausfindig zu machen.

„Diamanten? ‚ s death, ist’s wahr? Zeigt her! Ich habe in meinem ganzen Leben zum Beispiel noch niemals das Glück gehabt, so ein teures Stückchen Erdreich zwischen meinen Fingern zu halten.“

Ich gab sie ihm hin.

„Es sind Brasilianer. Hier, schaut sie an!“

„Hm, was die Menschen doch für sonderbare Geschöpfe sind! Es ist doch nur Stein, nicht einmal ein rechtes, gutes Metall, nicht wahr, Charley?“

„Kohlenstoff, Sam, nichts als Kohlenstoff!“

„Kohlenstoff oder Koks meinetwegen; ich gebe für den ganzen Kram hier mein altes Schießeisen nicht hin! Was werdet Ihr mit den Schlacken tun?“

„Sie dem rechtmäßigen Eigentümer wiedergeben.“

„Und wer ist das?“

„Weiß es nicht, werde es aber wohl erfahren, denn ein so horribler Verlust wird nicht still ertragen, sondern in allen Zeitungen ausgeschrieben.“

„Hihihihi, so müssen wir gleich morgen abonnieren; nicht, Charley?“

„Ist vielleicht gar nicht nötig, am Ende finden wir in diesen Papieren irgend einen Aufschluß.“

„Da seht doch zum Beispiel gleich einmal nach!“

Ich tat es und fand zwei sehr gute Karten der Vereinigten Staaten und einen Brief, welchem das Kuvert fehlte. Er lautete:

„Galveston den …..

Lieber Vater!

Ich brauche Dich; komme so schnell wie möglich, ganz gleich, ob Dir Dein Streich mit den Steinen gelungen ist oder nicht. Reich werden wir auf alle Fälle. Mitte August triffst Du mich in der Sierra Rianca, da, wo der Rio Pecos zwischen dem Skettel- und Head-Pik heraustritt. Das Weitere nur mündlich.

Dein Patrik.“

Das Datum war bei Galveston abgerissen; ich konnte also nicht bestimmen, wann der Brief geschrieben worden war. Ich las ihn Sam vor.

Behold,“ meinte dieser, als ich fertig war; „das stimmt, denn sein Bube heißt zum Beispiel gar nicht anders als Patrik, und grad diese beiden fehlen mir noch zu meinen zehn, die ich haben muß. Aber sagt, wie heißen denn die beiden Berge?“

„Der Skettel- und der Head-Pik.“

„Kennt Ihr sie?“

„Ein wenig. Ich war von Santa Fe aus in den Organosbergen, und da es in der Sierra Rianca und Sierra Guadelupe Bären geben sollte, so machte ich einen Abstecher dahin.“

„Und kennt Ihr auch den Rio Pecos?“

„Sehr gut.“

„Dann seid Ihr der Mann, den ich brauche. Wir wollten nach Texas und Mexiko und können uns nebenbei einige Schritte weiter nach rechts halten. Übrigens wollte ich nur dorthin, weil ich zum Beispiel dachte, meine Leute dort zu finden; da sie uns aber so schön sagen, wo sie zu finden sind, so wäre ich ja ein Narr, wenn ich sie nicht einmal den alten Sans-ear mit seiner Tony sehen ließe. Geht Ihr mit, wenn wir morgen früh keine Spur von diesem Fred Morgan finden?“

„Natürlich! Ich muß ihn haben, denn bei ihm werde ich am sichersten erfahren, wem die Steine gehören.“

„Dann steckt diese Sachen wieder ein und laßt uns sehen, was die Railroader machen!“

Der Conductor hatte meinem Rate gemäß Wachen ausgestellt. Das Zugpersonal war nebst den Bahnarbeitern beschäftigt, den zerstörten Schienenweg wieder herzustellen, und die Passagiere standen teils dabei, um zuzuschauen, teils beschäftigten sie sich mit den Leichen der Gefallenen oder betrachteten uns Beide, deren Unterhaltung sie nicht zu stören gewagt hatten. Jetzt, da wir uns erhoben, traten einige zu uns heran, um uns ihren Dank für unsere Teilnahme abzustatten. Sie waren verständiger als der Zugführer und fragten uns, in welcher Weise sie uns ihre Erkenntlichkeit in Form eines Geschenkes erweisen könnten. Ich bat, mir Pulver, Blei, Tabak, Brot und Zündhölzer kaufen zu dürfen, wenn etwas von diesen Artikeln vorhanden sein sollte, und sofort griff jeder in seinen Vorrat, so daß wir mehr als reichlich mit dem Gewünschten versehen wurden. Eine Bezahlung, welche rundweg abgeschlagen wurde, konnte ich natürlich nicht aufdrängen.

So verging die kurze Zeit, welche zur Reparatur vonnöten war; die Werkzeuge wurden wieder aufbewahrt, und der Conductor trat zu uns, indem er fragte:

„Wollt Ihr mit einsteigen, Mesch’schurs? ich nehme Euch gerne eine Strecke mit, so weit es Euch gefällt.“

„Danke, Sir! Wir bleiben hier,“ antwortete ich.

„Ganz wie Ihr wollt. Ich habe natürlich über das heutige Ergebnis einen Bericht abzustatten und werde nicht verfehlen, Eurer ehrenvoll zu erwähnen; eine Belohnung wird dann jedenfalls nicht ausbleiben.“

„Danke; wird uns nichts nützen, da wir nicht im Lande bleiben!“

„Wem gehören die Trophäen, welche hier erbeutet werden?“

„Nach dem Gesetze der Savanne gehört alles Eigentum des Besiegten dem Sieger.“

„Wir haben gesiegt, folglich können wir den Indsmen abnehmen, was sie bei sich tragen. Greift zu, ihr Leute! Wir müssen doch jeder ein Andenken an den heutigen Kampf aufzuweisen haben!“

Da trat Sam nahe zu ihm heran und sagte:

„Wollt Ihr uns wohl den Indianer zeigen, den Ihr besiegt und getötet habt, Sir?“

Der Mann sah ihn einigermaßen verblüfft an.

„Wie meint Ihr das?“

„Wenn Ihr einen getötet habt, so könnt Ihr seine Habseligkeiten zum Beispiel an Euch nehmen, sonst aber nicht.“

„Sam, laßt Ihnen das Vergnügen,“ wandte ich mich zu dem Gefährten, „wir brauchen ja nichts von alledem!“

„Wenn Ihr meint, so mag es sein; aber die Skalpe rührt Ihr uns nicht an!“

„Und den ermordeten Wärter nehmt Ihr mit, der da drüben liegt,“ fügte ich hinzu; „das ist ja Eure Schuldigkeit!“

Dieser Wunsch mußte mir natürlich erfüllt werden. Die toten Indianer wurden aufgesucht und ihrer Waffen und sonstigen Habseligkeiten beraubt; dann lud man die toten Weißen in einen Wagen – ein kurzer Abschied, und der Zug dampfte davon. Einige Zeit lang noch vernahmen wir das immer schwächer werdende Rollen; dann waren wir wieder allein in der weiten, stillen Savanne.

„Was jetzt, Charley?“ fragte Sam.

„Schlafen.“

„Denkt Ihr nicht, daß die Indsmen zurückkehren, nun, da die tapfern Leute fort sind?“

„Ich vermute es nicht.“

„Sollte mich aber zum Beispiel wundern, wenn Fred Morgan nicht wiederkäme, um wenigstens den Versuch zu machen, sein Pferd und mit ihm die Steine wiederzufinden!“

„Möglich, aber wahrscheinlich nicht. Wer will ein Pferd, welches vor dem Feuer flieht, wiederfinden? Und dazu weiß er ja, daß außer den Railroaders noch andere Leute hier sind, vor denen er sich nicht sehen lassen darf, wenn er nicht die höchste Gefahr laufen will.“

„Er hat mich ebenso gut erkannt, wie ich ihn, und es sollte mich wundern, wenn er nicht Lust hätte, mir eine Kugel oder ein scharfes Eisen zu geben!“

„Das müssen wir abwarten; heute aber sind wir jedenfalls sicher. Trotzdem können wir uns von der Bahn eine Strecke zurückziehen, welche groß genug für die Überzeugung ist, daß wir nicht gestört werden.“

Well, also vorwärts!“

Er setzte sich auf; ich bestieg meinen Mustang, und wir ritten vielleicht eine englische Meile weit nach Norden. Hier machten wir Halt, hobbelten unsere Tiere an und wickelten uns in unsere Decken.

Ich war wirklich müde geworden und schlief sehr bald ein. Später war es mir einmal wie im Traume, als hörte ich den Zug von Ost nach West vorüberrollen; doch kam ich nicht zur rechten Munterkeit und schlief wieder ein.

Als ich erwachte und mich aus der Decke wickelte, war es noch sehr früh am Tage; dennoch saß Sam bereits vor mir und rauchte behaglich eine der Zigarren, die wir gestern abend erhalten hatten.

Good morning, Charley! Es ist wirklich ein Unterschied zwischen diesem Kraute und Euern Patent-Smokers, deren Manufaktur Ihr dort unterm Sattel habt. Nehmt Euch auch eine, und dann wollen wir an das Werk gehen. Auf das Frühstück müssen wir verzichten, bis wir Wasser finden.“

„Wenn wir es nur bald treffen; das ist wünschenswert um unserer Pferde willen, die kein Futter haben. Uebrigens kann ich meine Zigarre auch zu Pferde genießen.“

Ich steckte mir eine an und hobbelte dann mein Pferd los. „Wie reiten wir?“ fragte Sam.

„Eine Schneckenlinie von hier aus bis an den Ort, wo der Zug gestanden hat; da kann uns keine Spur entgehen.“

„Aber nicht nebeneinander.“

„Nein; wir nehmen natürlich genügenden Abstand. Vorwärts!“

Die feine Asche des niedergebrannten Grases hatte die Spuren der flüchtigen Ogellallahs sehr deutlich aufgenommen, wie sich vermuten ließ, aber der Luftzug hatte sie während der Nacht so vollständig verweht, daß nicht das Geringste zu bemerken war. So kamen wir endlich resultatlos an Ort und Stelle.

„Habt Ihr etwas gesehen, Charley?“ erkundigte sich Sam.

„Nein.“

„Ich auch nicht; der Kuckuck hole den Wind, der immer nur dann kommt, wenn er zum Beispiel gar nicht gebraucht werden kann! Hättet Ihr den Brief nicht gefunden, so wüßten wir wahrhaftig nicht, was wir anfangen sollten.“

„Also fort, nach dem Rio Pecos!“

Well! Vorher aber will ich den Roten sagen, wem sie das gestrige Vergnügen zu verdanken haben.“

Während ich abstieg und mich auf den Damm ausstreckte, begann er sein Werk, an dem ich mich nicht zu beteiligen vermochte, und bald lagen die toten Indsmen nebeneinander, die abgeschnittenen Ohren in den Händen.

„Nun kommt!“ meinte Sam. „Wir haben einen weiten Ritt bis zum nächsten Wasser, und ich bin begierig, zu erfahren, wer ihn besser aushält, Euer Mustang oder meine alte Tony.“

„Euer Tier hat etwas weniger zu tragen als das meinige.“

Well, Charley, etwas weniger Menschenfleisch, aber dafür etwas mehr Grütze. Mann, daß mir dieser Fred Morgan entkommen ist, dafür kann ich nicht; daß Ihr aber die beiden Häuptlinge nicht gehörig ausgelöscht habt, das vergebe ich Euch zum Beispiel erst dann, wenn Ihr mir den Morgan fangen helft!“ –

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