Klekih-petra.

Wir befanden uns beinahe am Ende des herrlichen nordamerikanischen Herbstes und waren schon über drei Monate in Tätigkeit, hatten unsere Aufgabe aber noch nicht gelöst, während die andern Sektionen meist schon nach Hause zurückgekehrt waren. Hierfür gab es zwei Gründe.

Der erste Grund lag in dem Umstande, daß wir eine sehr schwierige Gegend zu bearbeiten hatten. Die Bahn sollte durch die Prärieen dem Laufe des südlichen Kanadian folgen; die Richtung war also bis zum Quellgebiete desselben vorgezeichnet, während sie von New Mexiko an durch die Lage der Täler und Pässe ebenso vorgeschrieben wurde. Unsere Sektion aber lag zwischen dem Kanadian und New Mexiko, und wir hatten die geeignete Richtung also erst zu entdecken. Dazu waren zeitraubende Ritte, anstrengende Wanderungen und viele vergleichende Messungen nötig, ehe wir an die eigentliche Arbeit gehen konnten. Erschwert wurde dies alles noch dazu dadurch, daß wir uns in einer gefährlichen Gegend befanden, denn es trieben sich da die Kiowa-, Komanche- und Apache-Indianer herum, welche von einer Bahn durch das Terrain, welches sie als ihr Eigentum bezeichneten, nichts wissen wollten. Wir mußten uns ungemein in acht nehmen und stets auf unserer Hut sein, wodurch unsere Tätigkeit selbstverständlich außerordentlich erschwert und verlangsamt wurde.

In Rücksicht auf diese Indianer mußten wir darauf verzichten, uns durch die Erträgnisse der Jagd zu ernähren, denn wir hätten die Roten dadurch auf unsere Spur gelenkt. Wir bezogen vielmehr alles, was wir brauchten, durch Ochsenwagen aus Santa Fé. Leider war aber dieser Transport auch ein sehr unsicherer, und wir konnten wiederholt mit unseren Messungen nicht vorwärts schreiten, weil wir auf die Ankunft der Wagen warten mußten.

Die zweite Ursache lag in der Zusammensetzung unserer Gesellschaft. Ich habe erwähnt, daß ich in St. Louis von dem Oberingenieur und den drei Surveyors sehr freundlich begrüßt worden sei. Diese Aufnahme, welche ich bei ihnen fand, ließ mich ein gutes und erfolgreiches Zusammenwirken erwarten; darin sollte ich mich aber leider getäuscht haben.

Meine Kollegen waren echte Yankees, welche in mir das Greenhorn, den unerfahrenen Dutchman sahen, dieses letztere Wort als Schimpfwort genommen. Sie wollten Geld verdienen, ohne viel danach zu fragen, ob sie ihre Aufgabe auch wirklich gewissenhaft erfüllten. Ich war als ehrlicher Deutscher ihnen dabei ein Hemmschuh, dem sie die erst gezeigte Gunst sehr bald entzogen. Ich ließ mich dies nicht anfechten und tat meine Pflicht. Es war noch nicht viel Zeit vergangen, so machte ich die Bemerkung, daß es mit ihren Kenntnissen eigentlich nicht sehr weit her war; sie warfen mir die schwierigsten Arbeiten zu und machten sich das Leben so leicht wie möglich. Dagegen hatte ich nichts einzuwenden, denn ich bin stets der Ansicht gewesen, daß man um so stärker wird, je mehr man leisten muß.

Mr. Bancroft, der Oberingenieur, war der unterrichtetste von ihnen; leider aber stellte es sich heraus, daß er den Branntwein liebte. Es waren einige Fäßchen dieses verderblichen Getränkes aus Santa Fé gebracht worden, und seitdem beschäftigte er sich weit mehr mit dem Brandy als mit den Meßinstrumenten. Es kam vor, daß er halbe Tage lang total betrunken an der Erde lag. Riggs, Marcy und Wheeler, die drei Surveyors, hatten, ebenso wie auch ich, den Schnaps mit bezahlen müssen, und sie tranken, um ja nicht zu kurz zu kommen, mit ihm um die Wette. Es läßt sich denken, daß auch diese Gentlemen sich oft nicht in der besten Verfassung befanden. Da ich keinen Tropfen trank, so war ich natürlich der Arbeitsmann, während sie sich in steter Abwechslung zwischen dem Trinken und dem Ausschlafen ihres Rausches hielten. Wheeler war mir noch der liebste von ihnen, denn er hatte so viel Verstand, einzusehen, daß ich mich für sie plagte, ohne im mindesten dazu verpflichtet zu sein. Daß unsere Arbeit unter diesen Verhältnissen litt, versteht sich ganz von selbst.

Die übrige Gesellschaft ließ nicht weniger zu wünschen übrig. Wir hatten bei unserer Ankunft auf der Sektion zwölf auf uns wartende Westmänner angetroffen. Ich als Neuling hegte in der ersten Zeit ganz bedeutenden Respekt vor ihnen, erkannte aber nur zu bald, daß ich es mit Leuten von sehr niederem moralischem Range zu tun hatte.

Sie sollten uns beschützen und bei unsern Arbeiten Hilfe leisten. Glücklicherweise kam volle drei Monate lang nichts vor, was mir Veranlassung gegeben hätte, mich in diesen sehr zweifelhaften Schutz zu begeben, und was ihre Hilfeleistungen betraf, so konnte ich mit vollem Rechte behaupten, daß hier die zwölf größten Faulenzer der Vereinigten Staaten sich ein Stelldichein gegeben hatten.

Wie traurig mußte es unter solchen Umständen mit der Disziplin beschaffen sein!

Bancroft war dem Namen und dem Auftrage nach der Kommandierende, und er gebärdete sich auch ganz so, es zu sein, doch kein Mensch gehorchte ihm. Wenn er einen Befehl erteilte, so lachte man ihn aus; dann fluchte er, wie ich selten einen Menschen habe fluchen hören, und ging zum Brandyfasse, um sich für diese Anstrengung zu belohnen. Riggs, Marcy und Wheeler handelten nicht viel anders. Da hätte nun wohl ich allen Grund gehabt, mich der Zügel zu bemächtigen, und ich tat dies auch, doch so, daß man es nicht bemerkte. So ein junger und unerfahrener Mensch konnte von solchen Leuten unmöglich für voll angesehen werden. Wäre ich so unklug gewesen, einmal im gebieterischen Tone zu sprechen, so hätte der Erfolg ganz gewiß in einem schallenden Gelächter bestanden. Nein, ich mußte leise und vorsichtig verfahren, ungefähr so wie eine kluge Frau, welche ihren widerhaarigen Mann zu lenken und zu leiten weiß, ohne daß er eine Ahnung davon hat. Ich wurde von diesen halbwilden, schwer zu zügelnden Westmännern täglich wohl zehnmal ein Greenhorn genannt, und doch richteten sie sich unbewußt nach mir, indem ich sie bei der Meinung ließ, daß sie ihrem eigenen Willen folgten.

Hierbei hatte ich einen vorzüglichen Beistand an Sam Hawkens und seinen beiden Gefährten Dick Stone und Will Parker. Diese drei Männer waren durch und durch ehrlich und dabei, was ich dem kleinen Sam bei unserm ersten Zusammentreffen in St. Louis nicht hatte ansehen können, erfahrene, kluge und kühne Westläufer, deren Namen weithin einen guten Klang besaßen. Sie hielten sich meist zu mir und zogen sich von den Andern zurück, doch so, daß diese sich nicht etwa beleidigt fühlen konnten. Besonders verstand es Sam Hawkens trotz seiner komischen Eigentümlichkeiten, dem, was er wollte, bei der widerspenstigen Gesellschaft Achtung zu verschaffen, und so oft er in seiner halb strengen und halb drolligen Tonart etwas durchsetzte, so geschah dies stets, um mir zur Erringung dessen, was ich wollte, behilflich zu sein.

Es hatte sich zwischen ihm und mir im Stillen ein Verhältnis herausgebildet, welches ich am besten mit dem Worte Suzeränität, Oberlehnsherrlichkeit, bezeichnen möchte. Er hatte mich unter seinen Schutz genommen, und zwar wie einen Menschen, den man gar nicht danach zu fragen braucht, ob er damit einverstanden ist. Ich war das Greenhorn und er der erfahrene Westmann, dessen Worte und Taten für mich unfehlbar zu sein hatten. Er gab mir, so oft sich Zeit und Gelegenheit bot, theoretischen und praktischen Unterricht in allem, was man im wilden Westen wissen und auch können muß, und wenn ich heut der Wahrheit nach sagen muß, daß ich später an Winnetous Seite die hohe Schule durchmachte, so muß ich billig eingestehen, daß Sam Hawkens mein Elementarlehrer gewesen ist. Er fertigte mir sogar höchst eigenhändig einen Lasso an und erlaubte mir, mich im Werfen dieser gefährlichen Waffe an seiner eignen kleinen Person und seinem Pferde zu üben. Als ich es dann so weit gebracht hatte, daß die Schlinge bei jedem Wurfe ihr Ziel unfehlbar faßte, freute er sich herzlich und rief aus:

„Schön so, mein junger Sir; so ist’s recht! Doch bildet Euch auf dieses Lob ja nicht etwas ein! Ein Schulmeister muß selbst den dümmsten Jungen zuweilen loben, wenn dieser nicht ganz und gar sitzen bleiben soll. Ich bin der Lehrer schon manches jungen Westmannes gewesen, und sie alle haben viel, viel leichter gelernt und mich viel rascher begriffen als Ihr, doch wenn Ihr Euch so weiter übt, so ist es vielleicht möglich, daß man Euch nach sechs oder acht Jahren nicht mehr ein Greenhorn zu nennen braucht. Bis dahin mögt Ihr Euch mit der alten Erfahrung trösten, daß ein Dummer es zuweilen ebenso weit oder wohl gar noch weiter bringt als ein Gescheiter, wenn ich mich nicht irre!“

Er brachte dies scheinbar im größten Ernste vor, und ich nahm es mit demselben Ernste hin, wußte aber recht wohl, wie ganz anders er es meinte.

Von diesen Unterweisungen waren mir besonders die praktischen willkommen, denn die Berufsarbeit nahm mich so in Anspruch, daß ich, wenn Sam Hawkens nicht gewesen wäre, mir wohl nicht die Zeit genommen hätte, mich in den Fertigkeiten zu üben, welche ein Prairiejäger besitzen muß. Übrigens hielten wir diese Übungen geheim; sie wurden stets in solcher Entfernung vom Lager vorgenommen, daß man uns nicht beobachten konnte. Sam wollte es so, und als ich ihn einmal nach dem Grunde fragte, antwortete er:

„Geschieht Euch zuliebe, Sir. Ihr habt so wenig Geschick für solche Sachen, daß ich mich in Eure Seele hinein schämen müßte, wenn diese Kerls uns dabei sähen. So, nun wißt Ihr es, hihihihi. Nehmt es Euch zu Herzen!“

Die Folge davon war, daß die ganze Gesellschaft mir in Beziehung auf Waffenführung und körperliche Geschicklichkeit nichts zutraute, was mich aber nicht im mindesten kränken konnte.

Trotz aller vorhin erwähnten Hindernisse waren wir schließlich doch so weit gekommen, daß wir den Anschluß an die nächste Sektion nach Verlauf von vielleicht einer Woche erreichen konnten. Um dies dort zu melden, mußte ein Bote abgesandt werden. Bancroft erklärte, daß er diesen Ritt selbst machen und einen der Westmänner als Führer mitnehmen wolle. Diese Absendung einer Nachricht war nicht die erste, welche geschah, denn wir hatten sowohl mit der hinter als auch mit der vor uns liegenden Sektion in einem immerwährenden Botenverkehr stehen müssen. Infolge dessen wußte ich, daß der vor uns befehligende Ingenieur ein sehr tüchtiger Mann war.

Es war an einem Sonntage früh, als Bancroft aufbrechen wollte. Er hielt es für nötig, vorher einen Abschiedstrunk zu tun, an welchem sich alle beteiligen sollten. Ich allein wurde nicht dazu eingeladen, und Hawkens, Stone und Parker folgten der an sie ergangenen Aufforderung nicht. Der Trunk zog sich, wie ich gleich geahnt hatte, so sehr in die Länge, daß er erst dann aufhörte, als Bancroft kaum mehr lallen konnte. Seine Zechgenossen hatten gleichen Schritt mit ihm gehalten und waren nicht minder betrunken als er. Von dem beabsichtigten Ritte konnte für jetzt keine Rede sein. Die Kerls taten, was sie in diesem Zustande stets getan hatten: sie krochen hinter die Büsche, um auszuschlafen.

Was nun tun? Der Bote mußte fort, und diese Menschen schliefen nun jedenfalls bis weit in den Nachmittag hinein. Es war am besten, ich unternahm den Ritt; aber konnte ich fort? Ich war überzeugt, daß bis zu meiner Rückkehr nach voraussichtlich vier Tagen von Arbeit keine Rede sein werde. Während ich mit Sam Hawkens mich darüber beriet, deutete er mit der Hand nach Westen und sagte:

„Wird nicht nötig sein, daß Ihr reitet, Sir. Könnt die Botschaft den Beiden mitgeben, welche dort kommen.“

Als ich in die angegebene Richtung blickte, sah ich zwei Reiter, welche sich uns näherten. Es waren Weiße, und in dem einen erkannte ich einen alten Scout, welcher schon einige Male bei uns gewesen war, um uns von der nächsten Sektion Nachricht zu bringen. Neben ihm ritt ein jüngerer Mann, welcher nicht wie ein Westläufer gekleidet war. Den hatte ich noch nicht gesehen. Ich ging ihnen entgegen; als ich sie erreichte, hielten sie ihre Pferde an, und der Unbekannte fragte mich nach meinem Namen. Als ich ihm denselben genannt hatte, betrachtete er mich mit freundlich forschendem Blicke und sagte:

„So seid Ihr also der junge, deutsche Gentleman, der hier alle Arbeit tut, während die Andern auf der faulen Haut liegen. Ihr werdet wissen, wer ich bin, wenn ich Euch meinen Namen sage, Sir. Ich heiße White.“

Das war der Name des Dirigenten der westlich nächsten Sektion, zu welchem der Bote hatte geschickt werden sollen. Daß er selbst kam, mußte einen Grund haben. Er stieg vom Pferde, gab mir die Hand und ließ sein Auge suchend über unser Lager schweifen. Als er die Schläfer hinter den Büschen und dann auch das Branntweinfaß erblickte, ging ein verständnisvolles, aber keineswegs freundliches Lächeln über sein Gesicht.

„Sind wohl betrunken?“ fragte er.

Ich nickte.

„Alle?“

„Ja. Mr. Bancroft wollte zu Euch, und da hat es einen kleinen Abschiedstrunk gegeben. Ich werde ihn wecken und“

„Halt!“ fiel er mir in die Rede. „Laßt sie schlafen! Es ist mir lieb, daß ich mit Euch reden kann, ohne daß sie es hören. Gehen wir zur Seite, und wecken sie nicht auf! Wer sind die drei Männer, die dort bei Euch standen?“

„Sam Hawkens, Will Parker und Dick Stone, unsere drei zuverlässigen Scouts.“

„Ah, Hawkens, der kleine, sonderbare Jäger. Tüchtiger Kerl; habe von ihm gehört. Die Drei mögen mit uns kommen.“

Ich folgte dieser Aufforderung, indem ich sie zu uns winkte, und erkundigte mich dann:

„Ihr kommt selbst, Mr. White. Ist’s etwas Wichtiges, was Ihr uns bringt?“

„Nichts weiter, als daß ich hier einmal nach dem Rechten sehen und mit Euch, grad mit Euch reden wollte. Wir sind mit unserer Sektion fertig, Ihr mit der Eurigen noch nicht.“

„Daran tragen die Schwierigkeiten des Terrains die Schuld, und ich will“

„Weiß, weiß!“ unterbrach er mich. „Weiß leider alles. Wenn Ihr Euch nicht dreifach angestrengt hättet, so stände Bancroft noch da, wo er angefangen hat.“

„Das ist keineswegs der Fall, Mr. White. Ich weiß zwar nicht, wie Ihr zu der irrtümlichen Ansicht gekommen seid, daß ich allein fleißig gewesen sein soll, doch ist es meine Pflicht“

„Still, Sir, still! Es sind Boten zwischen Euch und uns hin und her gegangen; die habe ich ausgehorcht, ohne daß sie es bemerkten. Es ist sehr edelmütig von Euch, daß Ihr diese Säufer hier in Schutz nehmen wollt, aber ich will die Wahrheit hören. Und da ich sehe und höre, daß Ihr zu nobel seid, sie mir zu sagen, werde ich nicht Euch, sondern Sam Hawkens fragen. Setzen wir uns hier nieder!“

Wir waren nach unserm Zelte gegangen. Er setzte sich vor demselben in das Gras und winkte uns, dasselbe zu tun. Als wir dieser Aufforderung nachgekommen waren, begann er, Sam Hawkens, Stone und Parker auszufragen. Sie erzählten ihm alles, ohne zur Wahrheit ein überflüssiges Wort zu fügen; dennoch warf ich hier und da eine Bemerkung ein, um gewisse Härten zu mildern und meine Kollegen zu verteidigen, doch verfehlte dies den beabsichtigten Eindruck auf White. Er bat mich im Gegenteil wiederholt, diese meine Bemühungen einzustellen, da sie vollständig erfolglos seien.

Dann, als er alles wußte, forderte er mich auf, ihm unsere Zeichnungen und das Tagebuch zu zeigen. Ich brauchte ihm diesen Wunsch nicht zu erfüllen, tat es aber dennoch, weil ich ihn sonst beleidigt hätte, und ich sah doch, daß er es gut mit mir meinte. Er sah alles sehr aufmerksam durch, und als er mich danach fragte, konnte ich nicht leugnen, daß ich allein der Zeichner und Verfasser war, denn keiner von den Andern hatte einen Strich getan oder einen Buchstaben geschrieben.

„Aber aus diesem Tagebuche ersieht man nicht, wie viel oder wie wenig Arbeit auf den Einzelnen kommt,“ sagte er. „Ihr seid in Eurer löblichen Kollegialität viel zu weit gegangen.“

Da bemerkte Hawkens mit pfiffigem Gesichte:

„Greift ihm doch mal in die Brusttasche, Mr. White! Da steckt ein blechernes Dings, worin Ölsardinen gewesen sind. Die Sardinen sind heraus, aber dafür steckt etwas Papiernes drin. Wird wohl sein Privattagebuch sein, wenn ich mich nicht irre. In diesem wird es ganz anders lauten als hier in dem offiziellen Berichte, in dem er die Faulheit seiner Kollegen vertuscht.“

Sam wußte, daß ich mir private Aufzeichnungen gemacht hatte und sie in der leer gewordenen Sardinenbüchse bei mir trug. Es war mir unangenehm, daß er es sagte. White bat mich, ihm auch das zu zeigen. Was sollte ich tun? Verdienten es meine Kollegen, daß ich mich für sie plagte, ohne Dank zu finden, und dies dann auch noch verschwieg? Ich wollte ihnen keineswegs schaden, aber auch nicht unhöflich gegen White sein. Darum gab ich ihm mein Tagebuch, doch unter der Bedingung, daß er zu niemand von dem Inhalte spreche. Er las es durch, gab es mir dann zurück und sagte:

„Eigentlich sollte ich die Blätter mitnehmen und an der betreffenden Stelle abgeben. Eure Kollegen sind ganz unfähige Menschen, denen kein einziger Dollar mehr ausbezahlt werden sollte; Euch aber müßte man dreifach bezahlen. Doch, wie Ihr wollt. Nur mache ich Euch darauf aufmerksam, daß es gut für Euch sein wird, diese Privatnotizen gut aufzuheben. Sie können Euch später leicht von großem Nutzen sein. Und nun wollen wir die famosen Gentlemen wecken.“

Er stand auf und schlug Lärm. Die Gentlemen kamen mit stieren Augen und verstörten Gesichtern hinter ihren Büschen hervor. Bancroft wollte darüber, daß man ihn im Schlafe gestört hatte, grob werden, zeigte sich aber höflich, als ich ihm sagte, daß Mr. White von der nächsten Sektion angekommen sei. Die Beiden hatten sich noch nicht gesehen. Das Erste war, daß er ihm einen Becher Brandy anbot; aber damit kam er an den unrechten Mann. White benutzte dieses Anerbieten sofort als Anknüpfungspunkt zu einer Strafrede, wie Bancroft gewiß noch keine gehört oder gar selbst erhalten hatte. Dieser hörte sie, vor Erstaunen wortlos, eine Weile an, dann fuhr er auf den Redner los, faßte ihn am Arme und schrie ihn an:

„Herr, wollt Ihr mir wohl gleich sagen, wie Ihr heißt?“

„White heiße ich; das habt Ihr ja gehört.“

„Und was Ihr seid?“

„Oberingenieur der benachbarten Sektion.“

„Hat jemand von uns Euch dort etwas zu befehlen?“

„Ich denke, nein.“

„Nun wohl! Ich heiße Bancroft und bin Oberingenieur der hiesigen Sektion. Es hat mir kein Mensch etwas zu befehlen, am allerwenigsten aber Ihr, Mr. White.“

„Es ist richtig, daß wir uns vollständig gleichstehen,“ antwortete dieser ruhig. „Befehle von dem Andern anzunehmen, hat keiner von uns Beiden nötig. Aber wenn der Eine sieht, daß der Andere das Unternehmen, an welchem beide arbeiten sollen, schädigt, so ist es seine Pflicht, den Betreffenden auf seinen Fehler aufmerksam zu machen. Eure Lebensaufgabe scheint im Brandyfasse zu stecken. Ich zähle hier sechszehn Menschen, welche alle betrunken waren, als ich vor zwei Stunden hier ankam, und so“

„Vor zwei Stunden?“ fiel ihm Bancroft in die Rede. „So lange seid Ihr schon hier?“

„Allerdings. Ich habe mir die Aufnahmen angesehen und mich darüber unterrichtet, wer sie gemacht hat. Das ist ja das reine Schlaraffenleben hier gewesen, während ein Einziger und noch dazu der Jüngste von Euch allen, die ganze Arbeit zu bewältigen hatte!“

Da fuhr Bancroft zu mir herum und zischte mich an:

„Das habt Ihr gesagt, Ihr und kein Anderer! Leugnet es einmal, Ihr niederträchtiger Lügner, Ihr heimtückischer Verräter!“

„Nein,“ antwortete ihm White. „Euer junger Kollege hat als Gentleman gehandelt und nur Gutes über Euch gesprochen. Er hat Euch in Schutz genommen, und ich rate Euch, ihn um Verzeihung zu bitten, daß Ihr ihn einen Lügner und Verräter nanntet.“

„Um Verzeihung bitten? Fällt mir nicht ein!“ lachte Bancroft höhnisch auf. „Dieses Greenhorn weiß kein Dreieck von einem Vierecke zu unterscheiden und bildet sich trotzdem ein, Surveyor zu sein. Wir sind nicht vorwärts gekommen, weil er alles verkehrt gemacht und uns aufgehalten hat, und wenn er nun, anstatt dies einzusehen und zuzugeben, uns bei Euch verleumdet und anschwärzt, so“

Er kam nicht weiter. Ich war monatelang geduldig gewesen und hatte diese Leute nach ihrem Belieben über mich denken lassen. Jetzt war der Augenblick da, ihnen zu zeigen, daß sie sich in mir geirrt hatten. Ich ergriff Bancroft beim Arme, drückte ihn so, daß er vor Schmerz den angefangenen Satz unausgesprochen ließ, und sagte:

„Mr. Bancroft, Ihr habt zuviel Schnaps getrunken und nicht ausschlafen können. Ich nehme an, daß Ihr noch betrunken seid, und es mag also so sein, als ob Ihr nichts gesagt hättet.“

„Ich, betrunken? Ihr seid verrückt!“ antwortete er.

„Jawohl, betrunken! Denn wenn ich wüßte, daß Ihr nüchtern seid und die Beschimpfungen mit Ueberlegung ausgesprochen habt, so wäre ich gezwungen, Euch wie einen Buben zu Boden zu schlagen. Verstanden! Habt Ihr nun noch das Herz, Euren Rausch abzuleugnen?“

Ich hielt seinen Arm noch fest in meiner Hand. Er hatte gewiß nie geglaubt, jemals vor mir Angst haben zu müssen; jetzt aber fürchtete er sich; das sah ich ihm an. Er war keineswegs ein schwacher Mann; aber der Ausdruck meines Gesichtes schien ihn zu erschrecken. Er wollte nicht sagen, daß er noch betrunken sei, getraute sich aber auch nicht, seine Beschuldigungen aufrecht zu erhalten; darum wendete er sich um Hilfe an den Anführer der zwölf Westmänner, die uns zur Unterstützung beigegeben waren:

„Mr. Rattler, duldet Ihr es, daß dieser Mensch sich an mir vergreift? Seid Ihr nicht hier, um uns zu beschützen?“

Dieser Rattler war ein hoch und breit gebauter Kerl, welcher die Kraft von drei, vier Menschen zu besitzen schien, ein rohes Subjekt und zugleich Bancrofts liebster Trinkkumpan. Er konnte mich nicht leiden und nahm jetzt mit Freuden die Gelegenheit wahr, dem Grolle, den er gegen mich hegte, Luft machen zu dürfen. Er trat schnell herbei, faßte mich am Arme, so wie ich Bancroft noch immer bei dem seinigen hatte, und antwortete:

„Nein, das kann ich nicht dulden, Mr. Bancroft. Dieses Kind hat seine ersten Strümpfe noch nicht abgelaufen und will hier erwachsenen Männern drohen, sie verschänden und verleumden. Tu‘ die Hand von Mr. Bancroft weg, Junge, sonst zeige ich dir, was für ein Greenhorn du bist!“

Diese Aufforderung war an mich gerichtet. Er schüttelte mir bei derselben den Arm. Das mußte mir noch lieber sein, denn er war ein stärkerer Gegner als der Oberingenieur. Wenn ich ihn Mores lehrte, mußte es besser wirken, als wenn ich diesem zeigte, daß ich kein Feigling sei. Ich riß meinen Arm aus seiner Hand und entgegnete:

„Ich ein Junge, ein Greenhorn? Widerruft das augenblicklich, Mr. Rattler, sonst schmettere ich Euch zu Boden!“

„Ihr mich?“ lachte er. „So ein Greenhorn ist wirklich so albern, zu glauben, daß“

Er konnte nicht weiter reden, denn ich schlug ihm die Faust an die Schläfe, daß er steif wie ein Sack niederstürzte und betäubt liegen blieb. Einige kurze Augenblicke herrschte tiefes Schweigen; dann rief einer von Rattlers Kameraden:

„All devils! Sollen wir ruhig zusehen, wenn so ein hergelaufener Dutchman unsern Anführer schlägt? Drauf auf den Halunken!“

Er sprang auf mich ein. Ich empfing ihn mit einem Fußtritte in die Magengegend. Dies ist ein sichres Mittel, den Gegner zum Fall zu bringen, nur muß man dabei sehr fest auf dem andern Beine stehen. Der Kerl stürzte nieder. In demselben Momente kniete ich auf seinem Leibe und gab ihm den betäubenden Fausthieb an die Schläfe. Dann sprang ich schnell auf, riß die beiden Revolver aus dem Gürtel und rief:

„Wer noch? Der mag kommen!“

Rattlers ganze Bande hätte wohl nicht übel Lust gehabt, die Niederlage ihrer beiden Kameraden zu rächen. Einer blickte den Andern fragend an. Ich warnte aber:

„Hört mein Wort, ihr Leute: Wer einen Schritt nach mir tut oder mit der Hand nach der Waffe greift, bekommt augenblicklich eine Kugel in den Kopf! Denkt meinetwegen von den Greenhorns im allgemeinen, was und wie ihr wollt; von den deutschen Greenhorns aber will ich euch beweisen, daß ein einziges es recht gut mit zwölf solchen Westmännern aufnimmt, wie ihr seid!“

Da stellte sich Sam Hawkens an meine Seite und sagte:

„Und ich, Sam Hawkens, will euch auch warnen, wenn ich mich nicht irre. Dieses junge, deutsche Greenhorn steht unter meinem ganz besondern Schutze. Wer es wagen sollte, ihm nur ein Haar zu krümmen, dem schieße ich sofort ein Loch durch die Gestalt. Ist mein voller Ernst; könnt es euch merken, hihihihi!“

Dick Stone und Will Parker hielten es für angezeigt, sich auch neben mir aufzupflanzen, um anzudeuten, daß sie ganz der Meinung von Sam Hawkens seien. Das imponierte den Gegnern. Diese wendeten sich von mir ab, murmelten unterdrückte Flüche und Drohungen in die Bärte und beschäftigten sich dann angelegentlich mit den beiden Gefallenen, um sie zum Bewußtsein zurückzubringen.

Bancroft hielt es für das Klügste, nach dem Zelte zu gehen und in demselben zu verschwinden. White hatte mit großen, verwunderten Augen auf mich geblickt. Jetzt schüttelte er den Kopf und sagte im Tone ungekünstelten Erstaunens:

„Aber, Sir, das ist ja fürchterlich! In Eure Finger möchte ich auf keinen Fall geraten. Man sollte Euch wahrhaftig Shatterhand nennen, weil Ihr einen baumlangen und baumstarken Menschen mit einem einzigen Fausthiebe niederschmettert. So etwas habe ich noch nie gesehen.“

Dieser Vorschlag schien dem kleinen Hawkens zu gefallen. Er kicherte fröhlich:

„Shatterhand, hihihihi! Ein Greenhorn, und schon einen Kriegsnamen, und nun gar einen solchen! Ja, wenn Sam Hawkens seine Augen auf ein Greenhorn wirft, so kommt etwas dabei heraus, wenn ich mich nicht irre. Shatterhand, Old Shatterhand! Ganz ähnlich wie Old Firehand, der auch ein Westmann ist, stark wie ein Bär. Was sagt ihr dazu, Dick, Will, zu diesem Namen?“

Ich bekam nicht zu hören, was sie antworteten, denn ich hatte meine Aufmerksamkeit auf White zu richten, welcher, meine Hand ergreifend und mich beiseite führend, sagte:

„Ihr gefallt mir außerordentlich, Sir. Habt Ihr keine Lust, mit mir zu gehen?“

„Lust oder nicht, Mr.White, ich darf nicht.“

„Warum?“

„Weil meine Pflicht mich hier bindet.“

„Pshaw! Ich verantworte es.“

„Das nutzt mir nichts, wenn ich es nicht selbst verantworten kann. Ich bin hierher geschickt worden, um diese Sektion vermessen zu helfen, und darf nicht fort, weil wir noch nicht fertig sind.“

„Bancroft wird es mit den drei Andern fertig machen.“

„Ja, aber wann und wie! Nein, ich muß bleiben.“

„Aber bedenkt, daß dies gefährlich für Euch ist!“

„Warum?“

„Das fragt Ihr noch? Ihr müßt doch einsehen, daß Ihr Euch diese Leute spinnefeind gemacht habt.“

„Ich nicht. Ich habe ihnen nichts getan.“

„Das ist wahr, oder vielmehr es war bis vorhin wahr. Nun Ihr aber zwei von ihnen niedergeworfen habt, ist es aus zwischen Euch und ihnen.“

„Mag sein; ich fürchte mich nicht vor ihnen. Und grad diese beiden Fausthiebe haben mich in Respekt gesetzt; es wird sich nicht gleich jemand an mich wagen. Uebrigens stehen mir Hawkens, Stone und Parker zur Seite.“

„Wie Ihr wollt. Des Menschen Wille ist sein Himmelreich, doch oft auch seine Hölle. Ich hätte Euch gebrauchen können. Aber wenigstens ein Stück zurückbegleiten werdet Ihr mich doch?“

„Wann?“

„Jetzt.“

„Ihr wollt gleich aufbrechen, Mr. White?“

„Ja, ich habe die Verhältnisse hier so gefunden, daß es mich nicht gelüsten kann, länger, als notwendig ist, hier zu bleiben.“

„Aber etwas essen müßt Ihr doch, ehe Ihr aufbrecht, Sir?“

„Ist nicht nötig. Wir haben in unsern Satteltaschen, was wir brauchen.“

„Wollt Ihr Euch nicht von Bancroft verabschieden?“

„Habe keine Lust dazu.“

„Aber Ihr seid doch wohl gekommen, um Geschäftliches mit ihm zu besprechen!“

„Allerdings. Doch kann ich Euch das auch sagen. Bei Euch findet es sogar besseres Verständnis als bei ihm. Vor allen Dingen wollte ich ihn vor den Roten warnen.“

„Habt Ihr welche gesehen?“

„Nicht direkt, sondern nur ihre Fährten. Es ist jetzt die Zeit, in welcher die wilden Mustangs und Büffel südwärts ziehen; da verlassen die Roten ihre Dörfer, um zu jagen und Fleisch zu machen. Die Kiowas sind nicht zu fürchten, denn mit ihnen haben wir uns wegen der Bahn geeinigt; die Komanchen und Apachen aber wissen noch nichts davon, und so dürfen wir uns vor ihnen ja nicht sehen lassen. Was mich betrifft, so bin ich mit meiner Sektion fertig und verlasse diese Gegend. Macht, daß Ihr auch zu Ende kommt! Der hiesige Boden wird von Tag zu Tag gefährlicher für Euch. Sattelt jetzt Euer Pferd und fragt Sam Hawkens, ob er Lust hat, mitzukommen.“

Natürlich hatte Sam Lust.

Eigentlich hatte ich heut arbeiten wollen; aber es war Sonntag, der Tag des Herrn, an welchem jeder Christ, selbst wenn er sich in der Wildnis befindet, sich sammeln und mit seinen geistlichen Pflichten beschäftigen soll. Dazu hatte ich wohl einmal einen Ruhetag verdient. Ich ging also zu Bancroft in das Zelt und sagte ihm, daß ich heut nicht arbeiten, sondern White mit Sam Hawkens ein Stück begleiten würde.

„Geht in des Teufels Namen, und laßt euch von ihm die Hälse brechen!“ antwortete er, und ich dachte nicht, daß dieser rohe Wunsch in kurzer Zeit beinahe in Erfüllung gehen würde.

Ich war seit einigen Tagen nicht in den Sattel gekommen, und mein Rotschimmel wieherte freudig auf, als ich ihm das Zeug auflegte. Er hatte sich als ein vortreffliches Pferd bewährt, und ich freute mich schon im voraus darauf, dies meinem alten „Gunsmith“ Henry sagen zu dürfen.

Wir ritten munter in den schönen Herbstmorgen hinein, sprachen über das geplante, großartige Bahnunternehmen und über alles, was uns auf dem Herzen lag. White gab mir die nötigen Winke, welche sich auf den Anschluß an seine Sektion bezogen, und zu Mittag machten wir an einem Wasser Halt, um ein frugales Mahl zu genießen. Dann ritt White mit seinem Scout weiter, und wir blieben noch ein Weilchen liegen, um uns über religiöse Dinge zu unterhalten.

Hawkens war nämlich ein frommer Mensch, wenn er dies auch gegen Andere nicht zutage treten ließ.

Kurz, bevor wir aufbrachen, um zurückzukehren, bückte ich mich zum Wasser nieder, um mit der Hand zu schöpfen und zu trinken. Da sah ich durch die kristallhelle Flüssigkeit auf dem Boden einen Eindruck, welcher von einem Fuße herzurühren schien. Natürlich machte ich Sam darauf aufmerksam. Er betrachtete den Eindruck aufmerksam und sagte dann:

„Dieser Mr. White hatte ganz recht, als er uns vor den Indianern warnte.“

„Meint Ihr, Sam, daß diese Spur von einem Indianer herrührt?“

„Ja, von einem indianischen Mokassin. Wie wird Euch dabei zu Mute, Sir?“

„Gar nicht.“

„Fi! Ihr müßt doch etwas denken oder fühlen?“

„Was soll ich anderes denken, als daß ein Roter hier gewesen ist?“

„Also habt Ihr keine Angst?“

„Fällt mir nicht ein!“

„Wenigstens Sorge?“

„Auch nicht.“

„Ja, Ihr kennt die Roten nicht!“

„Hoffe sie aber kennen zu lernen. Sie werden wohl grad so wie andere Menschen sein, nämlich die Feinde ihrer Feinde und die Freunde ihrer Freunde. Und da es nicht meine Absicht ist, sie feindlich zu behandeln, so nehme ich an, daß ich nichts von ihnen zu befürchten habe.“

„Ihr seid eben ein Greenhorn und werdet es ewig bleiben.

Nehmt Euch noch so fest vor, wie Ihr die Roten behandeln wollt, es wird doch ganz, ganz anders kommen. Die Ereignisse sind doch nicht von Eurem Willen abhängig. Ihr werdet das erfahren, und ich will wünschen, daß diese Erfahrung Euch nicht einen tüchtigen Fetzen Menschenfleisch aus Eurem eigenen Leib oder gar das Leben kostet.“

„Wann mag dieser Indsman hier gewesen sein?“

„Vor ungefähr zwei Tagen. Wir würden seine Spuren hier im Grase sehen, wenn es sich nicht während der Zeit wieder aufgerichtet hätte.“

„Ein Kundschafter wohl?“

„Ein Kundschafter auf Büffelfleisch, ja; denn da jetzt Friede zwischen den hiesigen Stämmen herrscht, kann es kein Kriegskundschafter gewesen sein. Der Kerl war außerordentlich unvorsichtig, also sehr wahrscheinlich jung.“

„Wieso?“

„Ein erfahrener Krieger tritt nicht mit dem Fuße in ein Wasser wie dieses hier, wo die Spur auf dem seichten Grunde zurückbleibt und noch lange gesehen werden kann. So eine Dummheit kann nur von einem Dummkopfe begangen werden, der gerade so ein rotes Greenhorn ist, wie Ihr ein weißes seid, hihihihi. Und weiße Greenhorns pflegen sogar noch viel dümmer zu sein als rote. Könnt Euch das mit merken, Sir!“

Er kicherte leise in sich hinein und stand dann auf, um sein Pferd zu besteigen. Der gute Sam liebte es eben, mir seine herzliche Zuneigung dadurch zu verstehen zu geben, daß er mich für dumm erklärte.

Wir hätten auf dem Wege, den wir gekommen waren, zurückkehren können; aber als Surveyor war es meine Aufgabe, unsere Strecke kennen zu lernen; darum bogen wir erst ein Stück ab und schlugen dann die Parallele ein.

Dabei kamen wir in ein ziemlich breites Tal, welches mit saftigem Grase bewachsen war; die Lehnen, von denen es hüben und drüben eingesäumt wurde, trugen unten Gebüsch und weiter oben Wald. Das Tal war vielleicht eine halbe Wegstunde lang und so schnurgerade, daß man von dem Anfange desselben bis an das Ende sehen konnte. Wir waren nur wenige Schritte in dieser freundlichen Bodensenkung vorwärts gekommen, da hielt Sam sein Pferd an und blickte aufmerksam nach vorn.

„Heig-day!“ stieß er hervor. „Da sind sie! ja wirklich, da sind sie, die allerersten!“

„Was?“ fragte ich.

Ich sah ganz fern, weit vor uns, vielleicht achtzehn bis zwanzig dunkle Punkte, welche sich langsam bewegten.

„Was?“ wiederholte er meine Frage, indem er lebhaft im Sattel hin und her rutschte. „Schämt Euch doch, eine solche Frage auszusprechen! Ach so, Ihr seid ja ein Greenhorn, und zwar ein ganz gewaltiges! Solche Kerls, wie Ihr, pflegen mit offenen Augen nicht zu sehen. Habt doch einmal die freundliche Gewogenheit, verehrtester Sir, zu raten, was das für Dinger sind, auf denen dort Eure schönen Augen ruhen!“

„Raten? Hm! Ich würde sie für Rehe halten, wenn ich nicht wüßte, daß diese Wildgattung in Rudeln oder Sprüngen von nicht über zehn Stück beisammen lebt. Auch muß ich, wenn ich die Entfernung in Betracht ziehe, sagen, daß die Tiere dort, so klein sie von hier aus zu sein scheinen, bedeutend größer als Rehe sein müssen.“

„Rehe, hihihihi!“ lachte er. „Rehe hier oben an den Quellen des Kanadian! Das ist ein Meisterstück von Euch! Aber das andere, was Ihr sagtet, war gar nicht so übel überlegt. Ja, größer sind sie, diese Tiere, viel, viel größer als Rehe!“

„Ach, lieber Sam, doch nicht etwa gar Büffel?“

„Natürlich Büffel! Bisons sind es, echte, wahre Bisons, die sich auf der Wanderung befinden, die ersten, die ich heuer sehe. Nun wißt Ihr, daß Mr. White recht gehabt hat: Bisons und Indianer. Von den Roten sahen wir nur eine Fußspur; die Büffel aber haben wir in Lebensgröße vor den Augen. Was sagt Ihr dazu, he, wenn ich mich nicht irre?“

„Wir müssen hin!“

„Natürlich!“

„Sie beobachten!“

„Beobachten? Wirklich beobachten?“ fragte er, indem er mich ganz erstaunt von der Seite her anblickte.

„Ja. Ich habe noch nie Bisons gesehen und möchte diese hier so gerne belauschen.“

Ich fühlte jetzt nur das Interesse des Zoologen; das war dem kleinen Sam vollständig unbegreiflich. Er schlug die Hände zusammen, und meinte:

„Belauschen, nur belauschen. Grad so, wie ein kleiner Junge seine Augen neugierig an eine Ritze des Kaninchenstalles legt, um die Karnickels zu belauschen! O, Greenhorn, was muß ich alles an Euch erleben! Nicht beobachten und belauschen, sondern jagen werde ich sie, wirklich jagen!“

„Heut, am Sonntage!“

Das fuhr mir so unbedacht heraus. Er wurde wirklich zornig darüber und herrschte mich an:

„Haltet gefälligst Euren Schnabel, Sir! Was frägt ein richtiger Westmann nach dem Sonntage, wenn er die ersten Büffel vor sich sieht! Das gibt Fleisch, verstanden, Fleisch, und was für welches, wenn ich mich nicht irre! Ein Stück Bisonlende ist noch herrlicher als das himmlische Ambrosius oder Ambrosianna, oder wie das Zeug hieß, von welchem die alten griechischen Götter lebten. Ich muß eine Büffellende haben, und wenn es mich das Leben kosten sollte! Die Luft ist uns entgegen; das ist gut. Hier, an der linken, nördlichen Talwand ist nur Sonne; drüben rechts aber gibt es Schatten. Wenn wir uns in diesem halten, werden uns die Tiere nicht vorzeitig bemerken. Kommt!“

Er sah nach seiner Liddy, ob die beiden Läufe derselben in Ordnung seien, und trieb sein Pferd nach der südlichen Talwand hinüber. Diesem Beispiele folgend, untersuchte ich auch meinen Bärentöter. Er sah dies, hielt sofort sein Pferd an und fragte:

„Wollt Ihr Euch etwa gar beteiligen, Sir?“

„Natürlich!“

„Das laßt hübsch bleiben, wenn Ihr nicht binnen jetzt und zehn Minuten zu Brei zerstampft sein wollt! Ein Bison ist kein Kanarienvogel, den man auf den Finger nimmt und singen läßt. Ehe Ihr Euch an so gefährliches Wild wagen dürft, muß noch viel schönes und viel schlechtes Wetter über die Felsenberge gehen.“

„Aber ich will doch“

„Schweigt und gehorcht!“ unterbrach er mich in einem Tone, den er noch nie gegen mich angewendet hatte. „Ich will Euer Leben nicht auf dem Gewissen haben, und es ist der Rachen des sichersten Todes, in den Ihr reiten würdet. Macht zu andern Zeiten, was Ihr wollt; jetzt aber dulde ich keine Widersetzlichkeit!“

Hätte nicht ein so gutes Verhältnis zwischen uns bestanden, es wäre ihm gewiß eine sehr kräftige Antwort geworden, so aber schwieg ich und ritt langsam im Schattenstreifen, den der Wald herniederwarf, hinter ihm her. Dabei erklärte er mir, nun wieder in milderem Tone sprechend:

„Es sind zwanzig Stück, wie ich sehe. Aber seid einmal dabei, wenn tausend und noch mehr Stück über die Savanne brausen! Ich habe früher Herden von zehntausend und darüber gesehen. Das war des Indianers Brot; die Weißen haben es ihm genommen. Der Rote schonte das Wild, weil es ihm Nahrung gab; er erlegte nur so viel, wie er brauchte. Der Weiße aber hat unter den ungezählten Herden gewütet wie ein grimmiges Raubtier, welches auch dann, wenn es gesättigt ist, weiter mordet, nur um Blut zu vergießen. Wie lange wird es dauern, so gibt es keinen Büffel und dann nach kurzer Zeit auch keinen Indianer mehr. Gott sei es geklagt! Und grad so ist’s auch mit den Pferdeherden. Es gab Trupps von tausend Mustangs und noch höher. Jetzt ist man ganz entzückt, wenn man das Glück hat, einmal so ein hundert Stück beisammen zu sehen.“

Wir waren indessen bis auf ungefähr vierhundert Schritt an die Büffel gekommen, ohne daß sie uns bemerkten, und Hawkens hielt sein Pferd an. Die Tiere grasten langsam talaufwärts. Am weitesten vorgerückt war ein alter Bulle, dessen Riesenleib ich mit Erstaunen betrachtete. Er war ganz gewiß gegen zwei Meter hoch und wohl drei Meter lang; damals verstand ich das Gewicht eines Bisons noch nicht zu taxieren; heute sage ich, daß dieser hier wohl an die dreißig Zentner wiegen konnte, eine ganz erstaunliche Fleisch- und Knochenmasse. Er war auf eine Schlammlache gestoßen und wälzte sich behaglich in derselben.

„Das ist der Leitstier,“ flüsterte Sam, „der gefährlichste der ganzen Gesellschaft. Wer mit dem anbindet, muß sein Testament unterschrieben haben. Ich nehme die junge Kuh rechts dahinten. Paßt auf, wohin ich ihr die Kugel gebe! Hinter dem Schulterblatte von der Seite schräg in das Herz hinein; das ist der beste, ja der einzig sichre Schuß außer dem in das Auge; aber welcher nicht wahnsinnige Mensch wird einen Bison von vorn nehmen, um ihn in das Auge zu treffen! Bleibt hier halten, und drückt Euch mit dem Pferde ins Gesträuch! Wenn sie mich sehen und dann fliehen, wird die wilde Jagd grad hier vorübergehen. Laßt es Euch aber ja nicht einfallen, diese Stelle zu verlassen, ehe ich wiederkomme oder Euch rufe!“

Er wartete, bis ich mich zwischen zwei Büsche gedrückt hatte, und ritt dann, zunächst langsam und leise weiter. Mir war ganz sonderbar zu Mute. Wie man den Bison jagt, das hatte ich sehr oft gelesen; darüber konnte man mir nichts Neues sagen; aber es ist ein Unterschied zwischen dem Papiere, auf welches man solche Beschreibungen druckt, und der Wildnis, in der man diese Jagden erlebt. Heute sah ich zum erstenmal in meinem Leben Büffel. Was für Wild hatte ich bisher geschossen? Im Verhältnisse zu diesen riesigen, gefährlichen Tieren keins, gar keins. Da sollte man meinen, ich sei ganz einverstanden gewesen mit Sams Befehle, mich ja nicht zu beteiligen; aber es fand das gerade Gegenteil statt. Vorhin hatte ich nur beobachten, belauschen wollen, jetzt fühlte ich einen mächtigen, ja unwiderstehlichen Drang, mitzutun. An eine junge Kuh wollte Sam sich machen, pfui! dachte ich, dazu gehört kein Mut; ein rechter Mann wählt grad den stärksten Bullen!

Mein Pferd war außerordentlich unruhig geworden; es tanzte mit den Hufen; es hatte auch noch keine Büffel gesehen, fürchtete sich und wollte fliehen; kaum vermochte ich, es zurückzuhalten. War es da nicht besser, wenn ich es zwang, den Bullen anzunehmen? Ich war nicht etwa erregt, sondern überlegte, innerlich ganz ruhig, zwischen Ja und Nein. Da entschied der Eindruck des Augenblickes.

Sam hatte sich den Bisons bis auf dreihundert Schritte genähert; dann gab er seinem Pferde die Sporen und galoppierte auf die Herde zu und an dem mächtigen Bullen vorbei, um an die Kuh zu kommen, welche er mir bezeichnet hatte. Sie stutzte und versäumte die Flucht; er erreichte sie; ich sah, daß er im Vorüberjagen auf sie schoß. Sie zuckte zusammen und senkte den Kopf. Ob sie zusammenbrach, das sah ich nicht, denn mein Auge wurde durch einen andern Anblick gefesselt.

Der Riesenbulle war aufgesprungen; er stierte nach Sam Hawkens hin. Welch ein mächtiges Tier! Dieser dicke Kopf mit dem gewölbten Schädel, der breiten Stirn und den zwar kurzen, aber starken, aufwärts gekrümmten Hörnern, diese dichte, zottige Mähne um Hals und Brust! Dem Bilde ursprünglichster, rohester Kraft wurde durch den hohen Widerrist die höchste Vollendung gegeben. Ja, das war ein höchst gefährliches Geschöpf; aber sein Anblick reizte förmlich zu dem Verlangen, menschliches Können an dieser tierischen Stärke zu messen.

Wollte ich, oder wollte ich nicht? Ich weiß es nicht. Oder ging mein Rotschimmel mit mir durch? Er schoß aus den Büschen heraus und wollte nach links; ich riß ihn aber nach rechts herum und flog auf den Bullen zu. Er hörte mich kommen und wendete sich nach mir um; mich sehend, senkte er den Kopf, um Roß und Reiter mit den Hörnern zu empfangen. Ich hörte Sam aus allen Kräften schreien, hatte aber keine Zeit, den Blick nach ihm zu richten. Dem Bison eine Kugel geben, war unmöglich, denn erstens stand er mir nicht schußgerecht und zweitens wollte mir das Pferd nicht gehorchen; es schoß vor Angst grad auf die drohenden Hörner zu. Um es aufzuspießen, warf der Büffel seine Hinterbeine zur Seite und den Kopf mit einem gewaltigen Stoße in die Höhe; mit Anstrengung aller Kräfte gelang es mir, den Schimmel ein wenig abzubringen; er flog in einem weiten Satze über das Hinterteil des Bullen hinweg, während in demselben Augenblicke dessen Hörner ganz nahe an meinem Beine vorbeistießen. Unser Sprung ging grad in die Schlammlache hinein, in welcher der Büffel sich gewälzt hatte; ich sah es und nahm die Füße aus den Bügeln, zu meinem Glücke, denn das Pferd glitt aus und wir stürzten. Wie das so schnell geschehen konnte, ist mir heut noch unbegreiflich, doch stand ich schon im nächsten Augenblicke aufrecht neben der Lache, das Gewehr noch fest in der Hand. Der Büffel hatte sich nach uns umgedreht und sprang in ungelenken Sätzen auf das Pferd zu, welches sich auch aufgerafft hatte und im Begriffe stand, zu entfliehen. Dabei bot er mir seine Flanke zum Schusse; ich legte an; jetzt sollte sich der schwere Bärentöter zum erstenmal im Ernste bewähren. Noch einen Sprung, so hatte der Bison den Rotschimmel erreicht; ich drückte ab er blieb mitten im Laufe stehen, ob vor Schreck über den Schuß oder weil ich gut getroffen hatte, das wußte ich nicht; ich gab ihm sofort auch die zweite Kugel. Er hob langsam den Kopf, stieß ein mir durch alle Glieder gehendes Brüllen aus, wankte einigemal hin und her und brach dann auf derselben Stelle, wo er stand, zusammen.

Ich hätte vor Freude über diesen schweren Sieg hell aufjubeln mögen, hatte aber Notwendigeres zu tun. Mein Pferd setzte reiterlos nach rechts hinunter, während ich Sam Hawkens am jenseitigen Talrande dahingaloppieren sah, von einem Stiere verfolgt, welcher nicht viel kleiner als mein Bulle war.

Man muß wissen, daß der Bison, einmal gereizt, nicht von seinem Gegner läßt und es dabei an Schnelligkeit mit dem Pferde aufnimmt. Er entwickelt dann einen Mut, eine List und eine Ausdauer, die ihm vorher gewiß niemand zutraut.

So war auch dieser Stier dem Reiter hart auf den Fersen. Um ihm zu entgehen, mußte Hawkens die gewagtesten Wendungen machen, welche das Pferd ermüdeten; es hielt jedenfalls nicht so lange aus wie der Büffel; da war also Hilfe dringend nötig. Ich hatte keine Zeit, nachzusehen, ob mein Bulle wirklich tot sei oder nicht; ich lud schnell beide Läufe des Bärentöters und sprang dann über das Tal hinüber. Sam sah dies; er wollte der Hilfe entgegenkommen und warf sein Pferd in die Richtung nach mir herum. Das war ein großer Fehler, denn der Stier, welcher eng hinter ihm war, bekam dadurch das Pferd quer vor sich; ich sah, daß er die Hörner senkte; ein Stoß und er hob das Pferd samt dem Reiter empor und ließ, als sie dann zur Erde stürzten, mit wütenden und schüttelnden Stößen nicht von ihnen ab. Sam schrie um Hilfe, was er schreien konnte. Ich war wohl noch hundertfünfzig Schritte entfernt und durfte keinen Augenblick zögern. Der Schuß wäre zwar aus größerer Nähe sicherer gewesen, aber wenn ich zauderte, konnte Sam verloren sein, und wenn ich ja nicht gut traf, hatte ich doch hoffentlich den Erfolg, das Untier von dem Freunde abzulenken. Ich blieb also stehen, zielte hinter das linke Schulterblatt und schoß. Der Büffel hob den Kopf mit einer Bewegung, als ob er horchen wolle, und drehte sich langsam um. Da sah er mich und kam auf mich zugerannt, doch mit sich verringernder Schnelligkeit; dadurch glückte es mir, den abgeschossenen Lauf mit fiebernder Eile wieder zu laden, und ich war damit fertig, als das Tier höchstens noch dreißig Schritte zu mir zu machen hatte. Es konnte nicht mehr rennen; seine Bewegungen waren nur noch ein langsames Laufen; aber mit tief gesenktem Kopfe und blutunterlaufenen, grausam vorwärts glotzenden Augen kam es auf mich zu, näher und näher wie ein schweres Verhängnis, welches nicht aufzuhalten ist. Da kniete ich nieder und legte das Gewehr an. Diese Bewegung verursachte den Bison, stehen zu bleiben und den Kopf ein wenig zu heben, um mich besser oder voller sehen zu können. Das brachte die tückischen Augen vor meine beiden Läufe; ich schickte eine Kugel in das rechte und die andere in das linke ein kurzes Zittern ging durch den Leib, dann stürzte die Bestie nieder.

Ich sprang auf, um zu Sam zu eilen, doch war dies nicht notwendig, denn ich sah ihn gelaufen kommen.

„Halloo!“ rief ich ihm zu. „Ihr lebt? Ihr seid nicht schwer verletzt?“

„Gar nicht,“ antwortete er. „Nur die rechte Hüfte tut mir weh vom Sturze, oder ist’s die linke, wenn ich mich nicht irre; ich kann es nicht genau wegbekommen.“

„Und Euer Pferd?“

„Ist hin. Es lebt zwar noch, doch hat ihm der Büffel den ganzen Leib aufgerissen. Um seine Leiden abzukürzen, müssen wir es erschießen, das arme Tier. Ist der Bison tot?“

„Hoffe es; wollen ihn untersuchen.“

Wir taten dies und überzeugten uns, daß kein Leben mehr in ihm war. Da sagte Hawkens mit einem tiefen, tiefen Atemzuge:

„Hat mir dieser alte, brutale Ochse zu schaffen gemacht! Eine Kuh wäre zarter mit mir umgegangen. Freilich, Ochsen darf man nicht zumuten, ladylike zu sein, hihihihi!“

„Wie ist er denn auf den dummen Gedanken gekommen, mit Euch anzubinden?“

„Habt Ihr das nicht gesehen?“

„Nein.“

„Nun, ich schoß die Kuh nieder, und konnte, da mein Pferd im Galoppieren war, es grad erst in dem Augenblick anhalten, als es an diesen Ochsen anrannte. Das nahm er übel und nahm mich aufs Korn. Ich gab ihm zwar schnell die zweite Kugel, die ich in meiner Liddy hatte, sie scheint ihn aber nicht vernünftiger gemacht zu haben, denn er bewies mir eine Zuneigung, welche ich ihm nicht erwidern konnte. Er hat mich so gehetzt, daß es mir unmöglich war, das Gewehr wieder zu laden; ich habe es weggeworfen, weil es mir doch nichts nützte und ich dadurch die Hände zur besseren Leitung des Pferdes frei bekam, wenn ich mich nicht irre. Der arme Gaul hat sein Möglichstes getan, sich aber doch nicht retten können.“

„Weil Ihr die letzte schnelle, verhängnisvolle Wendung machtet. Ihr hättet einen Bogen reiten sollen; dadurch wäre das Pferd gerettet worden.“

„Gerettet worden? Ihr sprecht doch wie ein Alter. Das sollte man von einem Greenhorn nicht erwarten.“

„Pshaw! Greenhorns haben auch ihr Gutes!“

„Ja, denn wenn Ihr nicht gewesen wäret, so läge ich jetzt ebenso zerstochen und zerfetzt dort wie mein Pferd. Wollen doch einmal hin zu ihm.“

Wir fanden es in einem traurigen Zustande. Die Eingeweide hingen ihm aus dem aufgeschlitzten Leibe; es schnaubte vor Schmerzen. Sam holte seine weggeworfene Büchse, lud sie und gab ihm den Gnadenschuß. Dann schnallte er ihm die Zügel und den Sattel ab und sagte dabei:

„Jetzt kann ich mein eigenes Pferd machen und den Sattel auf meinen Rücken nehmen. Das hat man davon, wenn man mit einem Ochsen zusammenrennt.“

„Ja. Wo werdet Ihr nun ein anderes Pferd herbekommen?“ fragte ich.

„Das ist mein geringster Kummer. Ich fange mir eins, wenn ich mich nicht irre.“

„Einen Mustang?“

„Ja. Die Büffel sind da; sie haben ihre Wanderung nach Süden angetreten; da werden sich auch bald die Mustangs sehen lassen; ich kenne das.“

„Darf ich dabei sein, wenn Ihr Euch einen fangt?“

„Natürlich. Ihr müßt auch das kennen lernen. Doch kommt jetzt. Wir wollen uns den alten Bullen ansehen. Vielleicht lebt er noch. Solche Methusalems pflegen ein außerordentlich zähes Leben zu haben.“

Wir gingen hin. Das Tier war tot. Jetzt, da es still dalag, konnte man die kolossalen Formen noch besser mit den Augen messen als vorher. Sam ließ seine Augen zwischen dem Bullen und mir hin und her gehen, zog ein ganz unbeschreibliches Gesicht, schüttelte den Kopf und meinte:

„Es ist unerklärlich, ganz und gar unerklärlich! Wißt Ihr denn, wo Ihr ihn getroffen habt?“

„Nun, wo?“

„Grad an der richtigen Stelle. Es ist ein uralter Kerl, und ich hätte es mir gewiß vorher zehnmal überlegt, ehe ich so verwegen gewesen wäre, mit ihm anzubinden. Wißt Ihr, was Ihr seid, Sir?“

„Was?“

„Der leichtsinnigste Mensch, den es gibt.“

„Oho!“

„Ja, der leichtsinnigste Mensch, den es auf Erden geben kann.“

„Leichtsinn ist mein Fehler nie gewesen.“

„So habt Ihr Euch jetzt mit ihm befreundet. Verstanden! Ich hatte Euch doch befohlen, Eure Hände von den Büffeln zu lassen und in den Büschen stecken zu bleiben. Warum habt Ihr mir nicht gehorcht?“

„Weiß es selber nicht.“

„So! Ihr tut etwas, ohne den Grund davon zu kennen. Ist denn das nicht leichtsinnig?“

„Glaube nicht. Es wird wohl ein triftiger Grund vorhanden gewesen sein.“

„So müßtet Ihr ihn kennen!“

„Vielleicht ist’s der, daß Ihr mir einen Befehl erteilt habt, und ich lasse mir nichts befehlen.“

„So! Wenn man es gut mit Euch meint und Euch vor einer Gefahr warnt, so seid Ihr nun erst recht so obstinat, Euch in dieselbe zu werfen?“

„Ich bin nicht nach dem Westen gekommen, um den Gefahren, welche es da gibt, auszuweichen.“

„Ganz gut. Aber Ihr seid noch ein Greenhorn und habt Euch in acht zu nehmen. Und wenn Ihr mir nicht folgen wolltet, warum habt Ihr Euch da grad an dieses Riesenvieh und nicht an eine Kuh gemacht?“

„Weil es ritterlicher war.“

„Ritterlicher! Dieses Greenhorn will den Ritter spielen, wenn ich mich nicht irre, hihihihi!“

Er lachte, daß er sich den Bauch halten mußte, und fuhr dann, noch immer lachend, fort:

„Wenn Ihr es Euch wirklich in den Kopf gesetzt habt, als Ritter aufzutreten, so spielt den Ritter Toggenburg, aber keinen andern. Zu einem Bayard oder Roland fehlt Euch das Zeug. Verliebt Euch in eine Büffelkuh und setzt Euch täglich in die Abendsonne, um zu warten,

bis die Liebliche sich zeigt
und ins Tal herniederneigt.

Und sogar auch dann könnt Ihr eines Abends als Leiche dasitzen und von den Coyoten und Aasgeiern aufgefressen werden. Wenn ein richtiger Westmann etwas tut, so fragt er nicht, ob es ritterlich, sondern ob es nützlich für ihn ist.“

„Das ist doch hier der Fall.“

„Hier? Wie so?“

„Ich wählte den Büffel, weil er viel, viel mehr Fleisch hat, als eine Kuh.“

Er sah mir einen Augenblick lang verständnislos in das Gesicht und rief dann aus:

„Viel mehr Fleisch? Dieser junge Mann hier hat den Bullen des Fleisches wegen geschossen, hihihihi! Ich glaube gar, Ihr habt an meinem Mute gezweifelt, weil ich es nur auf eine Kuh absah?“

„Das nicht, obgleich ich es für mutiger hielt, sich ein starkes Tier auszuwählen.“

„Und Bullenfleisch zu essen? Was seid Ihr doch für ein ausnehmend kluger Mensch, Sir! Dieser Bulle hat sicher seine achtzehn bis zwanzig Jahre auf dem Rücken; er besteht aus einem Felle und vielen Knochen und Flechsen und Sehnen. Und das Fleisch, welches er dabei hat, ist nicht mehr Fleisch zu nennen, denn es ist so hart wie gegerbtes Leder, und wenn Ihr es tagelang bratet oder kocht, so könnt Ihr es doch nicht kauen. Jeder erfahrene Westmann zieht eine Kuh dem Ochsen vor, weil ihr Fleisch zarter und saftiger ist. Da seht Ihr nun wieder, was für ein Greenhorn Ihr seid. Ich hatte keine Zeit, auf Euch aufzupassen. Wie hat sich denn Euer leichtsinniger Angriff auf den Büffel abgespielt?“

Ich erzählte es ihm. Als ich fertig war, maß er mich mit großen Augen, schüttelte abermals den Kopf und forderte mich auf:

„Geht da hinunter, und holt Euer Pferd! Wir brauchen es, denn es soll das Fleisch tragen, welches wir mitnehmen werden.“

Ich folgte dieser Aufforderung. Aufrichtig gestanden, fühlte ich mich enttäuscht über sein Verhalten. Er hatte meine Darstellung angehört, ohne dann auch nur ein Wort zu sagen. Ich glaubte aber, eine, wenn auch noch so kleine Anerkennung erwarten zu dürfen. Anstatt dessen sagte er gar nichts, sondern schickte mich fort, mein Pferd zu holen. Ich war ihm trotzdem nicht bös, denn ich bin niemals ein Mensch gewesen, der um des Lobes willen etwas tut.

Als ich das Pferd brachte, kniete Sam bei der von ihm erlegten Büffelkuh, hatte von dem einen Hinterschenkel kunstgerecht das Fell entfernt und schälte nun die Lende heraus.

„So,“ sagte er; „das gibt für heut abend einen Braten, wie wir lange Zeit keinen gegessen haben. Diese Lende laden wir mit dem Sattel und dem Zaume auf Euer Pferd. Sie ist bloß für mich, Euch, Will und Dick. Wenn die Andern auch etwas haben wollen, so mögen sie hierher reiten und sich die Kuh holen.“

„Wenn sie nicht inzwischen von Aasvögeln und andern wilden Tieren weggefressen wird.“

„So? Wie klug Ihr da wieder seid! Es versteht sich ganz von selbst, daß wir sie mit Zweigen bedecken und dann Steine darauf legen. Es müßte schon ein Bär oder ein anderes großes Raubtier sein, das nachher dazu könnte.“

Ich schnitt also starke Zweige aus dem nahen Gebüsch und holte schwere Steine herbei. Wir bedeckten die Kuh damit und beluden dann mein Pferd. Dabei erkundigte ich mich:

„Was wird denn mit dem Bullen?“

„Mit dem? Was soll aus ihm werden?“

„Können wir denn nichts von ihm brauchen?“

„Gar nichts.“

„Auch nicht das Leder?“

„Seid Ihr ein Lohgerber? Ich bin keiner!“

„Ich habe aber doch gelesen, daß die Häute der erlegten Büffel in sogenannten Caches versteckt und aufgehoben werden!“

„So, das habt Ihr gelesen? Na, wenn Ihr es gelesen habt, so muß es ja wahr sein, denn alles, was man über den wilden Westen liest, ist wahr, ganz außerordentlich wahr, ganz unumstößlich wahr, hihihihi! Es gibt allerdings Westmänner, welche die Tiere um der Felle willen erlegen; ich habe es auch schon getan; aber jetzt gehören wir nicht dazu und werden uns hüten, uns mit dieser schweren Haut zu schleppen.“

Wir brachen auf und kamen, obgleich wir laufen mußten, schon nach einer halben Stunde im Lager an, denn weiter war dieses nicht von dem Tale entfernt, in welchem ich meinen ersten oder vielmehr meine zwei ersten Büffel erlegt hatte.

Daß wir zu Fuße kamen und Sams Pferd nicht mitbrachten, erregte Aufsehen. Wir wurden nach der Ursache gefragt.

„Haben Büffel gejagt, und mein Pferd ist dabei von einem Bullen aufgeschlitzt worden,“ antwortete Sam Hawkens.

„Büffel gejagt, Büffel, Büffel, Büffel!“ erklang es aus aller Mund. „Wo denn, wo?“

„Eine kleine halbe Stunde von hier. Haben uns die Lende mitgebracht; könnt euch das übrige holen.“

„Das werden wir; ja, das werden wir,“ rief Rattler, welcher so tat, als ob zwischen ihm und mir nichts vorgefallen sei. „Wo ist der Ort?“

„Reitet auf unserer Fährte zurück, so werdet ihr ihn finden; habt ja Augen genug, wenn ich mich nicht irre.“

„Wieviel Stück sind es denn gewesen?“

„Zwanzig.“

„Und wieviel habt ihr denn erlegt?“

„Eine Kuh.“

„Bloß? Wo sind die andern hin?“

„Fort. Könnt sie euch suchen. Habe mich nicht darum gekümmert, wohin sie spazieren wollten, und sie auch nicht danach gefragt, hihihihi!“

„Aber bloß eine Kuh! Zwei Jäger und von zwanzig Büffels nur einen zu schießen!“ meinte Einer in geringschätzigem Tone.

„Macht es besser, wenn Ihr könnt, Sir! Ihr hättet sie wahrscheinlich alle zwanzig erlegt und auch noch einige mehr. Ihr werdet übrigens, wenn Ihr hinkommt, noch zwei alte, zwanzigjährige Bullen sehen, auf welche hier dieser junge Gentleman geschossen hat.“

„Bullen, alte Bullen!“ rief es rundum. „Auf zwanzigjährige Bullen zu schießen, welch ein Greenhorn gehört dazu, eine solche Dummheit zu begehen!“

„Lacht ihn meinetwegen aus, Mesch’schurs; aber seht euch die Bullen nachher an! Ich sage euch, daß er mir dadurch das Leben gerettet hat.“

„Das Leben? Wieso?“

Sie waren begierig, das Abenteuer erzählt zu bekommen; er aber wies sie zurück:

„Habe keine Lust, darüber jetzt zu reden. Laßt es euch von ihm selbst erzählen, wenn ihr es für klug haltet, euch das Fleisch erst dann zu holen, wenn es dunkel geworden ist.“

Er hatte recht. Die Sonne hatte sich geneigt, und in kurzer Zeit mußte es Abend werden. Da sie sich übrigens sagen konnten, daß ich erst recht keine Lust haben würde, den Erzähler zu machen, so stiegen sie auf ihre Pferde und ritten alle fort. Ich sage, alle, denn keiner wollte zurückbleiben. Sie trauten einander nicht. Bei anständigen Jägern und da, wo ein freundschaftliches Verhältnis vorliegt, gehört jedes Wild, welches von einem Mitgliede erlegt wird, den Andern auch; dieser Gemeinsinn war aber bei diesen Leuten nicht vorhanden. Als sie zurückkamen, hörte ich dann auch, daß sie sich wie Wilde auf die Kuh geworfen hatten, und jeder war unter Zanken und Fluchen bemüht gewesen, sich mit dem Messer ein möglichst großes und gutes Fleischstück herunterzureißen.

Als sie fort waren, luden wir die Lende und den Sattel von meinem Pferde und ich führte dieses zur Seite, um es abzuzäumen und dann anzupflocken. Ich nahm mir dabei Zeit, wodurch Sam Gelegenheit fand, unser Abenteuer Parker und Stone zu erzählen. Sie standen so, daß das Zelt zwischen ihnen und mir lag und sie mich also nicht sahen, als ich mich ihnen wieder näherte. Schon war ich beinahe an das Zelt gekommen, da hörte ich Sam sagen:

„Könnt mir’s glauben; es ist so, wie ich sage: Nimmt der Kerl grad den größten und stärksten Bullen an und schießt ihn nieder wie ein alter, erfahrener Büffeljäger! Hab‘ freilich getan, als ob ich es für Leichtsinn hielte, und habe ihn gehörig ausgescholten; aber ich weiß, woran ich mit ihm bin.“

„Ich auch,“ stimmte Stone bei. „Es wird ein tüchtiger Westmann aus ihm werden.“

„Und zwar sehr bald,“ hörte ich Parker sagen.

„Yes,“ bestätigte Hawkens. „Wißt ihr, Gents, er ist dazu geboren, wahrhaftig und ganz regelrecht dazu geboren. Und dabei die Körperkraft! Hat er nicht gestern unsern schweren Ochsenwagen fortgezogen, ganz allein und ohne daß ihm dabei jemand geholfen hat? Wo der hinhaut, da wächst jahrelang kein Gras. Aber, wollt ihr mir eins versprechen?“

„Was?“ fragte Parker.

„Laßt’s ihn nicht wissen, wie wir von ihm denken.“

„Warum nicht?“

„Weil es ihm in den Kopf steigen könnte.“

„O nein!“

„O doch! Er ist ein ganz bescheidener Kerl und gar nicht zum Hochmut angelegt; aber es ist stets ein Fehler, wenn man einen Menschen lobt; man kann den besten Charakter damit verderben. Könnt ihn also getrost Greenhorn nennen; er ist ja auch wirklich eins, denn wenn er auch alle Eigenschaften besitzt, welche ein tüchtiger Westmann haben muß, so sind sie doch noch nicht ausgebildet, und er muß noch viel erfahren und sich noch viel üben.“

„Hast du dich denn dafür bedankt, daß er dir das Leben gerettet hat?“

„Ist mir nicht eingefallen!“

„Nicht? Was muß er da von dir denken!“

„Ist mir ganz egal, was er von mir denkt, vollständig egal, wenn ich mich nicht irre. Natürlich hält er mich für einen unverständigen und undankbaren Halunken; aber das ist Nebensache; die Hauptsache ist, daß er sich nicht überhebt, sondern so bleibt, wie er ist. Hätte ihn freilich am liebsten umarmen und küssen mögen.“

„Fi!“ rief Stone aus. „Dich küssen! Das Umärmeln könnte man noch riskieren, aber küssen, nein!“

„So? Etwa nicht? Warum?“ fragte Sam.

„Warum? Hast du denn noch nicht einen Spiegel in der Hand gehabt oder in einem klaren Wasser dein holdes Konterfei gesehen? Dieses Gesicht, dieser Bart und diese Nase! Mensch, wer auf den unsinnigen Gedanken kommen könnte, seine Lippen dahin zu plazieren, wo man die deinigen zu suchen hat, der hat entweder den Sonnenstich oder der Verstand ist ihm eingefroren.“

„So! Ah! Hm! Das klingt ja recht freundschaftlich von dir. Bin also ein häßlicher Kerl! Wofür hältst du denn dich? Etwa für einen schönen Menschen? Das laß dir ja nicht einfallen! Ich gebe dir mein Wort, wenn wir beide uns an einer Schönheitskonkurrenz beteiligen wollten, so würde ich den ersten Preis erhalten; du aber bekämst eine Niete, hihihihi! Aber das gehört nicht hierher. Wir sprachen von unserm Greenhorn. Ich habe mich nicht bei ihm bedankt und werde es auch nicht tun; aber wenn nachher unsere Lende gebraten ist, soll er das beste und saftigste Stück bekommen; ich schneide es ihm selbst herab; er hat es verdient. Und wißt ihr, was ich morgen mache?“

„Was?“ fragte Stone.

„Ihm eine große Freude.“

„Womit?“

„Er soll einen Mustang fangen dürfen.“

„Du willst auf Mustangs gehen?“

„Ja. Ich muß doch ein neues Pferd haben. Du borgst mir das deinige zur Jagd. Da sich heut die Büffel gezeigt haben, werden auch die Mustangs kommen. Ich denke, daß ich nur nach der Prairie hinunter zu reiten brauche, wo wir noch vorgestern die Bahn abgesteckt und vermessen haben. Dort muß es Mustangs geben, sobald diese wilden Pferde hier in dieser Breite angekommen sind.“

Ich lauschte nicht weiter, sondern ging wieder zurück und durch ein Buschwerk, um mich den drei Jägern von einer andern Seite zu nähern. Sie durften nicht erfahren, daß ich gehört hatte, was ich doch nicht hören sollte.

Es wurde ein Feuer angebrannt, neben welchem zwei Gabeläste in die Erde gesteckt wurden. Sie gaben die Unterlage für den Bratspieß, der aus einem starken, geraden Aste bestand. Die drei befestigten an ihm die ganze Lende, und dann begann Sam Hawkens den Spieß langsam und mit künstlerischem Verständnisse zu drehen. Das wonnevolle Gesicht, welches er dabei machte, machte mir heimlich Spaß.

Als die Andern mit dem Fleische zurückkehrten, folgten sie unserm Beispiele, indem sie sich auch einige Feuer anbrannten. Freilich ging es da bei ihnen nicht so ruhig und friedlich her wie bei uns. Da jeder für sich braten wollte, so mangelte es an Platz, und die Folge war, daß sie ihre Portionen halb roh verzehrten.

Ich bekam wirklich das beste Stück; es mochte drei Pfund wiegen, und ich aß es auf. Man halte mich ja nicht infolgedessen für einen Vielesser; ich habe im Gegenteile immer weniger gegessen als Andere, die sich in meinen Verhältnissen befanden; aber es ist für Einen, der es nicht weiß oder nicht selbst erlebt und mitgemacht hat, kaum zu glauben, was für Fleischmengen ein Westmann zu sich nehmen kann und auch zu sich nehmen muß, wenn er bestehen will.

Der Mensch braucht zu seiner Ernährung außer den anorganischen Stoffen eine gewisse Menge von Eiweiß und von Kohlenstoff und vermag sich beides gar wohl in der richtigen Mischung zu verschaffen, wenn er in einer zivilisierten Gegend lebt. Der Westmann, welcher viele Monate lang in keine bewohnte Gegend kommt oder kam, lebte nur vom Fleische, welches wenig Kohlenstoff enthält; er mußte also große Portionen essen, um seinem Körper die notwendige Menge Kohlenstoff zuzuführen. Daß er dabei unnötig viel Eiweiß genoß, welches seiner Ernährung nicht zugute kam, mußte ihm gleichgültig sein. Ich habe einen alten Trapper acht Pfund Fleisch auf einmal essen sehen, und als ich ihn dann fragte, ob er satt sei, antwortete er schmunzelnd:

„Muß es wohl sein, denn ich habe nicht mehr; wenn Ihr mir aber ein Stück von dem Euren geben wollt, so sollt Ihr nicht ewig zu warten brauchen, bis Ihr es nicht mehr seht.“

Während des Essens unterhielten sich unsere „Westmänner“ von unserer Büffeljagd. Sie hatten, wie ich hörte, als sie die beiden Bullen sahen, denn doch einen andern Begriff von der „Dummheit“ erhalten, die ich begangen haben sollte.

Am andern Morgen tat ich, als ob ich an die Arbeit gehen wolle; da kam Sam zu mir und sagte:

„Laßt Eure Instrumente nur immer liegen, Sir; es gibt etwas zu tun, was interessanter ist.“

„Was?“

„Werdet es erfahren. Macht Euer Pferd fertig; wir reiten aus.“

„Spazieren? Da geht die Arbeit vor!“

„Pshaw! Habt Euch genug geplagt. Ich denke übrigens, daß wir schon zu Mittag zurück sein werden. Dann könnt Ihr meinetwegen messen und rechnen, so viel Ihr wollt.“

Ich machte Bancroft die nötige Mitteilung, und dann ritten wir fort. Sam tat unterwegs sehr geheimnisvoll, und ich sagte ihm nicht, daß ich seine Absicht bereits kannte. Der Ritt ging auf der von uns vermessenen Strecke zurück, bis wir die Prairie erreichten, welche Sam gestern bezeichnet hatte.

Sie war wohl zwei englische Meilen breit und doppelt so lang und wurde von bewaldeten Höhen umrandet. Da sie von einem ziemlich breiten Bach durchflossen wurde, gab es Feuchtigkeit genug und infolgedessen einen saftigen Graswuchs. Im Norden konnte man zwischen zwei Bergen hervor auf diese Prairie gelangen, und im Süden endete sie in einem Tale, welches nach dieser Richtung weiterführte. Als wir hier angelangt waren, blieb Hawkens halten und überflog die Ebene mit einem forschenden Blicke; dann ritten wir weiter, nordwärts und am Bache hin. Plötzlich stieß er einen Ruf aus, parierte sein Pferd, welches freilich nicht das seinige, sondern ein geborgtes war, stieg ab, sprang über den Bach und ging auf eine Stelle zu, wo das Gras niedergetreten war. Er untersuchte den Ort, kam zurück, stieg wieder in den Sattel und ritt weiter, doch nicht wie bisher in nördlicher Richtung, sondern er bog von dieser in einem rechten Winkel ab, so daß wir nach kurzer Zeit den westlichen Rand der Prairie erreichten. Hier stieg er wieder ab und ließ sein Pferd grasen, band es aber sorgfältig an. Seit er die Spur untersucht hatte, war kein Wort aus seinem Munde gekommen, aber über sein bärtiges Gesicht war der Ausdruck der Zufriedenheit ausgebreitet wie Sonnenschein über eine waldige Gegend. Jetzt forderte er mich auf:

„Steigt auch ab, Sir, und bindet Euer Pferd fest an! Wir werden hier warten.“

„Warum fest anbinden?“ fragte ich, obgleich ich es recht gut wußte.

„Weil Ihr es sonst leicht verlieren könntet. Habe wiederholt gesehen, daß die Pferde bei solchen Gelegenheiten durchgegangen sind.“

„Was für Gelegenheiten?“

„Ahnt Ihr das nicht?“

„Hm!“

„Ratet einmal!“

„Mustangs?“

„Wie kommt Ihr darauf?“ fragte er, indem er mich rasch und verwundert anblickte.

„Weil ich es gelesen habe.“

„Was?“

„Daß die zahmen Pferde, wenn sie nicht fest angebunden werden, gern mit den wilden Mustangs durchgehen.“

„Hol Euch der Teufel! Alles habt Ihr gelesen, und da ist es nicht gut möglich, Euch zu überraschen. Da lobe ich mir die Leute, welche gar nicht lesen können!“

„Wollt Ihr mich überraschen?“

„Natürlich.“

„Mit einer Mustangjagd?“

„Ja.“

„Das würde nicht gut möglich sein. Eine Ueberraschung setzt doch voraus, daß man nicht vorher unterrichtet ist; Ihr aber hättet es mir, ehe die Pferde kommen, sagen müssen.“

„Das ist richtig, hm! Also hört, die Mustangs sind schon dagewesen.“

„War das vorhin ihre Spur?“

„Ja; sie sind gestern hier durch. Es war ein Vortrab, wißt Ihr, so die Kundschafter. Ich muß Euch nämlich sagen, daß diese Tiere ungeheuer klug sind. Sie senden immer kleine Trupps voraus und nach den Seiten. Sie haben ihre Offiziere, grad wie das Militär, und der Hauptanführer ist stets ein erfahrener, starker und mutiger Hengst. Mögen sie weiden oder sich in Bewegung befinden, stets wird die Peripherie der Herde von den Hengsten gebildet; dann folgen nach innen die Stuten, und ganz in der Mitte befinden sich die Jungen. Dies geschieht darum, daß die Hengste die Stuten und Füllen verteidigen können. Ich habe Euch schon wiederholt beschrieben, wie man einen Mustang mit dem Lasso fängt. Habt Ihr es Euch gemerkt?“

„Selbstverständlich.“

„Habt Ihr Lust, einen zu fangen?“

„Ja.“

„Dann werdet Ihr heute vormittag Gelegenheit dazu finden, Sir.“

„Danke! Ich werde sie nicht benutzen.“

„Nicht? All devils! Warum nicht?“

„Weil ich kein Pferd brauche.“

„Aber, ein Westmann fragt doch nicht danach, ob er ein Pferd braucht oder nicht!“

„Dann ist er keineswegs so, wie ich mir einen braven Westmann vorstelle.“

„Wie soll er denn sein?“

„Ihr habt gestern von Aasjägern gesprochen, von Weißen, welche die Büffel in Masse töten, ohne daß sie ihr Fleisch brauchen. Ich halte das für eine Versündigung an den Tieren und an den roten Menschen, denen dadurch Ihre Nahrung geraubt wird. Ihr doch auch?“

„Freilich!“

„Grad so ist’s auch mit den Pferden. Ich mag keinem dieser herrlichen Mustangs die Freiheit rauben, ohne mich damit entschuldigen zu können, daß ich ein Pferd brauche.“

„Das ist brav gedacht, Sir, sehr brav. Grad so, wie Ihr denkt und redet, muß jeder Mensch und Christ denken, reden und handeln. Aber wer hat denn gesagt, daß Ihr einem Mustang die Freiheit rauben sollt? Ihr habt Euch im Werfen des Lasso geübt und sollt nur die Probe machen. Ich will sehen, ob Ihr Euer Examen besteht. Verstanden?“

„Das ist etwas Anderes; ja, da mache ich mit.“

„Schön! Bei mir handelt es sich freilich um den Ernst. Ich brauche ein Pferd und werde mir eins holen. Ich habe es Euch schon oft gesagt und sage es Euch jetzt wieder: Sitzt ja recht fest im Sattel, und stemmt Euer Pferd gut ein in dem Augenblicke, an welchem sich der Lasso straff zieht und der Ruck erfolgt. Wenn Ihr das nicht tut, werdet Ihr umgerissen, und der Mustang rennt davon und zieht Euer Pferd am Lasso mit sich fort. Dann habt Ihr kein Pferd mehr und seid ein gemeiner Infanterist, so wie ich jetzt einer bin.“

Er wollte weiter sprechen, hielt aber inne und deutete mit der Hand nach den bereits erwähnten beiden Bergen am Nordende der Prairie. Dort erschien ein Pferd, ein einzelnes, lediges Pferd. Es lief langsam und ohne zu grasen vorwärts, warf den Kopf bald auf diese, bald auf jene Seite und sog die Luft durch die Nüstern ein.

„Seht Ihr es?“ flüsterte Sam. Er sprach vor Erregung nicht laut, sondern leise, obwohl das Pferd uns unmöglich hätte hören können. „Habe ich es nicht gesagt, daß sie kommen! Das ist der Späher, welcher vorausgesprungen ist, um zu sehen, ob die Gegend sicher ist. Ein schlauer Hengst. Wie er nach allen Richtungen äugt und windet! Uns bekommt er nicht weg, denn wir haben den Wind im Gesicht; ich habe deshalb diese Stelle gewählt.“

Jetzt schlug der Mustang einen Trab ein; er rannte geradeaus, dann nach rechts, hierauf nach links, warf sich schließlich herum und verschwand da, wo wir ihn hatten erscheinen sehen.

„Habt Ihr ihn beobachtet?“ fragte Sam. „Wie klug er sich benimmt und jeden Busch zur Deckung benutzt hat, um nicht gesehen zu werden! Ein indianischer Späher kann es kaum besser machen.“

„Das ist richtig. Ich bin ganz erstaunt darüber.“

„Nun ist er zurück, um seinem vierbeinigen Generale zu melden, daß die Luft rein ist. Sollen sich aber getäuscht haben, hihihihi! Ich wette, in höchstens zehn Minuten sind sie da; paßt einmal auf. Wißt Ihr, wie wir es machen?“

„Nun?“

„Ihr reitet jetzt schnell bis an den Ausgang der Prairie zurück und wartet dort. Ich aber reite bis in die Nähe des Einganges hinunter und verstecke mich dort im Walde. Kommt die Herde, so lasse ich sie vorüber und jage dann hinter ihr her. Sie wird zu Euch hinauf fliehen; dann laßt Ihr Euch sehen, und da flieht sie wieder zurück. So treiben wir sie zwischen uns hin und her, bis wir uns die zwei besten Pferde ausgewählt haben; die fangen wir; ich lese mir da wieder das beste aus, und das andere lassen wir laufen. Seid Ihr einverstanden?“

„Wie könnt Ihr so fragen! Ich verstehe ja gar nichts von der Pferdejagd, in welcher Ihr jedenfalls ein Meister seid, und habe mich also ganz nach Euren Anordnungen zu verhalten.“

„Well, habt recht. Habe schon manchen wilden Mustang unter mir gehabt und ihn bezwungen und kann wohl behaupten, daß Ihr mit dem Meister nichts Dummes gesagt habt. Also, macht Euch davon, sonst vergeht die Zeit und wir sind dann nicht an Ort und Stelle.“

Wir stiegen wieder auf und ritten auseinander, er nordwärts und ich nach Süden, bis dahin, wo wir die Prairie betreten hatten. Da mir mein schwerer Bärentöter bei dem, was wir vorhatten, hinderlich war, hätte ich mich gern einstweilen seiner entledigt; aber ich hatte gelesen und gehört, daß ein vorsichtiger Westmann sich nur dann von seinem Gewehre trennt, wenn er ganz sicher weiß, daß er nichts zu befürchten hat und es also nicht brauchen wird. Dies war aber hier nicht der Fall; es konnte in jedem Augenblick ein Indianer oder gar ein Raubtier erscheinen; darum sorgte ich nur dafür, daß das alte Gun fest am Riemen hing und mich nicht schlagen konnte.

Nun wartete ich mit Spannung auf das Erscheinen der Pferde. Ich hielt zwischen den ersten Bäumen des Waldes, an den die Prairie stieß, band das eine Ende des Lasso am Sattelknopfe fest und legte ihn dann in Schlingen so vor mich hin, daß ich ihn nur zu erfassen brauchte.

Das untere Ende der Prairie war so weit von mir entfernt, daß ich die Mustangs, wenn sie dort erschienen, nicht sehen konnte. Sie konnten mir erst dann, wenn Sam sie getrieben brachte, sichtbar werden. Ich war noch keine Viertelstunde am Platze, als ich da unten eine Menge von dunklen Punkten sah, welche sich schnell vergrößerten, indem sie sich aufwärts bewegten. Erst von der Größe von Sperlingen, schienen sie hierauf Katzen, Hunde, Kälber zu sein, bis sie sich so weit genähert hatten, daß ich sie in ihrer wirklichen Größe sah. Es waren die Mustangs, welche im wilden Jagen auf mich zugesprengt kamen.

Welch einen Anblick boten diese herrlichen Tiere! Die Mähnen wehten um die Hälse, und die Schwänze flogen wie Federbüsche im Winde. Es waren höchstens dreihundert Stück, und doch schien die Erde unter ihren Hufen zu zittern. Ein Schimmelhengst flog allen voran, ein prächtiges Tier, welches man sich hätte fangen mögen, aber es wird keinem Prairiejäger einfallen, einen Schimmel zu reiten. So ein helles Tier würde ihn jedem Feinde schon von weitem verraten.

Jetzt war es Zeit, mich ihnen zu zeigen. Ich lenkte unter den Bäumen heraus ins Freie, und die Wirkung trat augenblicklich ein: der führende Schimmel prallte zurück, als ob er eine Kugel in den Leib bekommen habe; die Herde hielt an und stutzte; ein lautes ängstliches Schnauben; dann hieß es: ganze Schwadron kehrt! und, den Schimmel schnell wieder an der jenseitigen Spitze, jagten die Tiere dahin zurück, woher sie gekommen waren.

Ich folgte ihnen langsam; ich hatte keine Eile, denn ich war sicher, daß Sam Hawkens sie mir wieder zutreiben würde. Dabei suchte ich mir einen Umstand zurecht zu legen, welcher mir aufgefallen war. Obgleich nämlich die Pferde nur einen kurzen Augenblick vor mir gehalten hatten, war es mir doch vorgekommen, als ob eins von diesen Tieren kein Pferd, sondern ein Maultier sei. Ich konnte mich zwar irren, aber ich glaubte doch, richtig gesehen zu haben. Beim zweitenmal wollte ich besser aufpassen. Dieses Maultier hatte sich in der vordersten Reihe, und zwar gleich hinter dem Leitschimmel befunden; es war also von den Pferden nicht nur als ihresgleichen anerkannt, sondern es besaß sogar einen Rang unter ihnen.

Nach einiger Zeit kam die Herde wieder aufwärts und kehrte bei meinem Anblicke abermals um. Das wiederholte sich noch einmal, und da sah ich, daß ich mich nicht geirrt hatte; es war ein Maultier unter ihnen, ein ziemlich hellbraunes Maultier mit dunklem Rückenstreifen. Es machte auf mich einen höchst vorteilhaften Eindruck und war trotz des großen Kopfes und der langen Ohren doch ein schönes Tier. Maultiere sind genügsamer als Pferde, haben einen viel sicherern Tritt und schwindeln nicht vor Abgründen. Das sind Vorzüge, welche in die Wage fallen. Freilich sind sie auch störrisch. Ich habe Maultiere gesehen, welche sich lieber totprügeln ließen, als daß sie einen Schritt vorwärts gingen, und doch hatte man ihnen gar nichts aufgeladen, und der Weg war prächtig. Sie wollten eben nicht.

Es war mir vorgekommen, als ob dieses Maultier viel Feuer zeige, als ob seine Augen heller glänzten und intelligenter blickten als diejenigen der Pferde, und ich nahm mir vor, es zu fangen. Es war jedenfalls seinem Besitzer beim Vorüberjagen einer wilden Pferdeherde entflohen und dann bei den Mustangs geblieben.

Jetzt brachte Sam den Trupp wieder getrieben. Wir waren einander so nahe gekommen, daß ich ihn sah. Nun konnten die Mustangs weder vor noch zurück; sie brachen nach der Seite aus. Wir folgten ihnen. Die Herde teilte sich, und ich sah, daß das Maultier bei der Hauptabteilung blieb; es jagte jetzt an der Seite des Schimmels dahin; es war ein außerordentlich schnelles und ausdauerndes Tier. Ich hielt mich also zu diesem Trupp, und Sam schien es auch auf denselben abgesehen zu haben.

„In die Mitte nehmen, ich links, Ihr rechts!“ rief er mir zu.

Wir gaben unsern Pferden die Sporen und hielten nun nicht nur gleichen Schritt mit den Mustangs, sondern kamen ihnen so schnell näher, daß wir sie eingeholt hatten, noch ehe sie den Wald erreichten. Da hinein gingen sie nicht; sie kehrten also wieder um und wollten zwischen uns durch. Um das zu verhindern, jagten wir schnell aufeinander zu; da stoben sie nach allen Seiten auseinander wie eine Hühnerschar, in welche der Habicht gestoßen ist. Der Schimmel und das Maultier schossen, von den andern abgesondert, zwischen uns hindurch; wir jagten ihnen nach. Dabei rief mir Sam, der seinen Lasso zum Wurfe schon über dem Kopfe wirbelte, zu:

„Wieder Greenhorn! Werdet es auch ewig bleiben!“

„Warum?“

„Weil Ihr nach dem Schimmel trachtet, und das kann doch nur ein Greenhorn tun, hihihihi!“

Ich antwortete ihm, aber er hörte es nicht, weil sein lautes Lachen meine Worte übertönte. Also er dachte, ich hätte es auf den Schimmel abgesehen. Meinetwegen! Ich überließ ihm also das Maultier und lenkte zur Seite, wo die Mustangs nun ängstlich schnaubend und wiehernd regellos durcheinanderjagten. Sam war dem Maultiere so nahe gekommen, daß er den Lasso warf. Die Schlinge fiel richtig; sie legte sich um den Hals des Tieres. Nun mußte Sam anhalten und, wie er mir ja so sorgsam angeraten hatte, sein Pferd nach rückwärts werfen, um den Ruck aushalten zu können, wenn der abgelaufene Lasso sich straff spannte. Er tat dies auch, aber um einen Augenblick zu spät; sein Pferd hatte sich noch nicht umgedreht, noch nicht eingestemmt und wurde von dem gewaltigen Rucke umgerissen. Sam Hawkens flog, einen unendlich brillanten Purzelbaum schlagend, weit durch die Luft und auf die Erde nieder. Das Pferd raffte sich rasch wieder auf und rannte weiter. Dadurch verlor der Lasso die Spannung, und das Maultier, welches festgestanden hatte und nicht umgerissen worden war, bekam Luft; es galoppierte auch fort und riß das Pferd, weil der Lasso am Sattelknopfe befestigt war, über die Prairie dahin.

Ich eilte zu Sam, um nachzusehen, ob er verletzt sei. Er war aufgestanden und rief mir erschrocken zu:

„Alle Wetter! Da reißt mir Dick Stones Gaul mitsamt dem Maultiere aus, ohne auch nur Adieu zu sagen, wenn ich mich nicht irre!“

„Habt Ihr Euch beschädigt?“

„Nein. Steigt schnell ab, und gebt mir Euer Pferd. Ich muß es haben!“

„Wozu?“

„Ich will natürlich den beiden Ausreißern nach. Also steigt schnell herunter!“

„Fällt mir nicht ein! Könntet wieder einen Purzelbaum riskieren, und dann wären alle beide Pferde zum Teufel.“

Bei diesen Worten trieb ich mein Pferd weiter, dem Maultiere nach. Dieses war schon eine bedeutende Strecke fort, kam aber jetzt mit dem Pferde in Konflikt. Dieses wollte hierhin und jenes dorthin, und dadurch hielten sie einander auf, weil sie mit dem Lasso zusammenhingen. Darum holte ich sie bald ein. Es kam mir gar nicht in den Sinn, meinen Lasso zu gebrauchen, sondern ich griff nach dem andern, welcher die beiden Tiere verband, wickelte ihn mir einigemal um die Hand und war nun sicher, das Maultier bändigen zu können. Ich ließ es zunächst weiterlaufen und galoppierte mit den beiden Pferden hinterdrein, zog aber den Riemen nach und nach kräftiger an, so daß die Schlinge sich immer mehr verengte. Dabei konnte ich das Tier ganz leidlich lenken; ich brachte es durch scheinbares Nachgeben soweit, daß es in einem Bogen dahin zurückkehrte, wo Sam Hawkens stand. Dort zog ich die Schlinge plötzlich so stark an, daß dem Maultiere der Hals zugeschnürt wurde; es verlor den Atem und stürzte zu Boden.

„Haltet fest, bis ich den Racker festhabe, und laßt dann los!“ rief Sam.

Er sprang hinzu und stellte sich, obgleich das auf dem Boden liegende Tier mit den Beinen um sich schlug, hart neben dasselbe.

„Jetzt!“ sagte er.

Ich ließ den Lasso los; das Maultier bekam Luft und sprang auf; ebenso schnell hatte sich Sam auf seinen Rücken geschwungen. Es blieb einige Augenblicke bewegungslos stehen, wie vor Schreck erstarrt; dann aber ging es in die Luft, bald vorn, bald hinten; dann sprang es plötzlich mit allen Vieren auf die Seite, machte einen Katzenbuckel, aber der kleine Sam saß fest.

„Bringt mich nicht herunter!“ rief er mir zu. „Jetzt wird es das Letzte versuchen und mit mir davonrasen. Wartet hier auf mich; ich bring es gezähmt zurück!“

Aber da hatte er sich geirrt. Es ging keineswegs mit ihm durch, sondern es warf sich plötzlich nieder und wälzte sich. Es konnte dem kleinen Kerl alle Rippen brechen; er mußte aus dem Sattel. Ich sprang aus dem Sattel, ergriff den am Boden schleifenden Lasso wieder und schlang ihn schnell zweimal um die starke Wurzel eines daneben stehenden Busches.

Da hatte das Maultier seinen Reiter abgestreift und sprang auf. Es wollte fortstürmen, aber die Wurzel hielt fest; der Lasso wurde angespannt und die Schlinge zog sich wieder scharf zusammen; das Tier stürzte abermals nieder.

Sam Hawkens hatte sich auf die Seite retiriert, betastete sich die Rippen und die Schenkel, zog ein Gesicht, als ob er Sauerkraut mit Pflaumenmus gegessen hätte, und sagte:

„Laßt die Bestie laufen; die bändigt kein Mensch, wenn ich mich nicht irre.“

„Das wäre! Möchte mich von keinem Maultiere beschämen lassen, dessen Vater kein Gentleman, sondern ein Esel gewesen ist. Es wird gehorchen müssen. Paßt auf!“

Ich schlang den Lasso von der Wurzel ab und stellte mich mit weit ausgespreizten Beinen über das Tier. Sobald es Luft bekam, sprang es auf. Jetzt kam es vor allen Dingen auf den kräftigsten Schenkeldruck an, und da war ich dem kleinen Sam wohl über. Eine Pferderippe muß sich unter dem Schenkel des Reiters biegen; das drückt die Eingeweide zusammen und macht Todesangst. Während das Maultier dieselben Mittel, mich abzuwerfen, wie vorher bei Sam versuchte, nahm ich den Lasso auf, welcher, vom Halse herabhängend, auf der Erde lag, wand ihn zusammen und faßte ihn dann hart hinter der Schlinge fest. Diese zog ich an, sobald ich bemerkte, daß sich das Tier niederwerfen wollte; durch diese Manipulation und den Schenkeldruck wurde es auf den Beinen gehalten. Es war ein böser Kampf, ich möchte sagen, Kraft gegen Kraft; ich begann aus allen Poren zu schwitzen; aber das Maultier schwitzte noch weit mehr; der Schweiß rann ihm vom Leibe, und vom Maule troff der Schaum in großen Flocken. Seine Bewegungen wurden schwächer und mehr unwillkürlich; sein erst wütendes Schnauben ging in ein kurzes Husten über, dann endlich brach es unter mir zusammen, nicht mit Willen, sondern weil es von seiner letzten Kraft verlassen worden war. Da blieb es bewegungslos und mit verdrehten Augen liegen. Ich holte tief, tief Atem; es war mir, als ob in meinem Körper alle Sehnen und Bänder zerrissen wären.

„Heavens, was seid Ihr für ein Mensch!“ rief Sam.

„Ihr habt ja mehr Kräfte als das Tier gehabt! Könntet Ihr Euer Gesicht sehen, so würdet Ihr erschrecken!“

„Glaube es.“

„Eure Augen sind herausgetreten, Eure Lippen geschwollen und Eure Wangen förmlich blau!“

„Das kommt daher, daß man ein Greenhorn ist und sich nicht abwerfen lassen will, während ein Anderer, der Meister in der Mustangjagd ist, klüger war und sich abstreifen ließ, nachdem es ihm vorher gar passierte, daß er sein eigenes Pferd ans Maultier hing und beide dann spazierenlaufen ließ.“

Er machte ein doppelt jämmerliches Gesicht und bat im kläglichsten Tone:

„Schweigt davon, Sir! Ich sage Euch, es kann dem tüchtigsten Jäger einmal so etwas passieren. Ihr habt gestern und heut zwei gute Tage gehabt.“

„Hoffe, noch mehr solche Tage zu erleben. Dafür waren sie für Euch um so schlimmer. Wie steht es denn mit Euren Rippen und den andern Knöchelchens?“

„Weiß nicht. Werde sie nachher einmal zusammensuchen und zählen, sobald mir besser ist. Jetzt klappern sie mir allüberall im Leib herum. Das war eine Bestie, wie ich noch keine zwischen den Beinen gehabt habe! Hoffe, daß sie nun zu Verstand kommen wird!“

„Das ist sie schon. Seht, wie matt sie daliegt, grad wie zum Erbarmen. Wollen ihr den Sattel auf- und den Zaum anlegen. Ihr reitet sie nach Hause.“

„Da wird sie wieder zu bocken anfangen!“

„Fällt ihr nicht ein! Die hat genug. Sie ist ein gescheites Viehzeug, und Ihr werdet ganz glücklich sein, sie gefangen zu haben.“

„Ja, das glaube ich. Hatte es aber auch von allem Anfang gleich auf sie abgesehen. Ihr auf den Schimmel, was eine sehr große Dummheit war.“

„Wißt Ihr das so genau?“

„Natürlich war es eine Dummheit!“

„Das meine ich nicht, sondern daß ich es auf den Schimmel abgesehen hatte.“

„Auf was denn?“

„Auch auf das Maultier.“

„Wirklich?“

„Ja. Wenn ich auch ein Greenhorn bin, so viel weiß ich doch, daß ein Schimmel nichts für einen Westmann taugt. Das Maultier gefiel mir gleich, als ich es sah.“

„Ja, einen guten Pferdeverstand habt Ihr, das muß man zugeben.“

„Will wünschen, daß bei Euch der Menschenverstand ebenso gut ist, lieber Sam! Jetzt kommt, und helft mir, das Tier von der Erde aufzubringen!“

Wir zogen das Maultier empor. Es stand still und zitterte an allen Gliedern. Es sträubte sich auch nicht, als wir ihm den Sattel aufschnallten und den Zaum anlegten. Und als Sam aufgestiegen war, gehorchte es dem Zügel willig und so feinfühlig wie ein zugerittenes Pferd.

„Es hat schon einen Herrn gehabt,“ meinte der Kleine, „der ein guter Reiter gewesen sein muß; das merke ich schon. Wird ihm davongelaufen sein. Wißt Ihr, wie ich es nennen werde?“

„Nun?“

„Mary. Habe schon früher einmal ein Maultier geritten, welches Mary hieß, und brauche mir nicht die Mühe zu geben, einen andern Namen auszusinnen.“

„Also das Maultier Mary und das Gewehr Liddy!“

„Ja. Sind zwei allerliebste Namen. Nicht? Und nun muß ich Euch bitten, mir einen großen Gefallen zu tun.“

„Gern. Welchen?“

„Sprecht nicht über das, was hier geschehen ist! Werde es Euch hoch anrechnen.“

„Unsinn! Etwas, was sich ganz von selbst versteht, braucht gar nicht angerechnet zu werden.“

„Dieses doch. Möchte die Bande da oben im Lager lachen hören, wenn sie erführe, wie Sam Hawkens zu seiner neuen, holden Mary gekommen ist! Würde ein Gaudium für sie sein, ein großes Gaudium. Wenn Ihr den Mund haltet, werde ich“

„Bitte, seid still!“ unterbrach ich ihn. „Es ist gar nicht notwendig, ein Wort darüber zu verlieren. Ihr seid mein Lehrer und mein Freund. Mehr brauch ich doch nicht zu sagen.“

Da wurden seine kleinen, listigen Aeuglein feucht, und er rief begeistert aus:

„Ja, Euer Freund bin ich, Sir, und wenn ich wüßte, daß Ihr mir auch ein klein wenig Liebe schenken wolltet, so würde das für mein altes Herz eine große, aufrichtige Freude und Wonne sein.“

Ich reichte ihm die Hand und antwortete:

„Diese Freude kann ich Euch machen, lieber Sam. Ihr könnt versichert sein, daß ich Euch lieb habe, so lieb, wie wie na, so, wie man ungefähr einen recht guten, braven und ehrlichen Onkel liebt. Ist Euch das genug?“

„Vollauf, Sir, vollauf! Ich bin so entzückt darüber, daß ich Euch dafür, womöglich gleich hier auf der Stelle, eine recht große Gegenfreude bereiten möchte. Sagt mir, was ich tun soll! Soll ich soll ich zum Beispiel hier diese neue Mary vor Euern Augen mit Haut und Haar auffressen? Oder soll ich, falls Euch das lieber ist, mich selbst marinieren, frikassieren und verschlingen? Oder soll ich“

„Haltet ein!“ lachte ich. „In jedem dieser beiden Fälle würde ich Euch verlieren, denn in dem einen würdet Ihr zerplatzen und in dem andern an einer bösen Indigestion zugrunde gehen, da Ihr doch Eure Perücke mit verschlingen müßtet, die Euer Magen doch unmöglich verdauen könnte. Ihr habt mir schon genug Gefallen getan und werdet mir wohl auch fernerhin noch manche Liebe zu erweisen haben. Laßt also vorderhand die Mary und auch Euch selbst am Leben, und macht, daß wir bald wieder in das Lager kommen. Ich möchte arbeiten.“

„Arbeiten! Das habt Ihr doch auch hier getan, denn wenn das keine Arbeit war, so weiß ich nicht, was ich Arbeit nennen soll.“

Ich band Dick Stones Pferd mit dem Lasso an das meinige, dann ritten wir fort. Die Mustangs waren indessen natürlich schon längst entwichen; das Maultier gehorchte seinem Reiter willig, und Sam rief unterwegs mehreremal freudig aus:

„Sie hat Schule, diese Mary, eine sehr gute Schule! Ich fühle und bemerke bei jedem Schritte immer mehr, daß ich von heut an vortrefflich beritten sein werde. Sie besinnt sich jetzt auf das, was sie früher gelernt und dann unter den Mustangs wieder vergessen hat. Hoffentlich hat sie nicht bloß Temperament, sondern auch Charakter.“

„Wenn sie ihn nicht hat, so könnt Ihr ihn ihr noch beibringen. Sie ist noch nicht zu alt dazu.“

„Wie alt denkt Ihr, daß sie ist?“

„Fünf Jahre, mehr nicht.“

„Das ist auch meine Ansicht. Werde sie nachher genau untersuchen, ob dies richtig ist. Habe das Tier Euch zu verdanken, nur Euch. Waren zwei böse Tage für mich, sehr böse, für Euch aber sehr ehrenvoll. Hättet Ihr geglaubt, die Bison- und auch die Mustangjagd so schnell hintereinander kennen zu lernen?“

„Warum nicht? Man muß hier im Westen auf alles gefaßt sein. Ich hoffe auch noch andere Jagden kennen zu lernen.“

„Hm, ja. Will wünschen, daß Ihr dann ebenso davon kommt wie gestern und heut. Gestern besonders hing Euer Leben an einem Haare. Habt zuviel gewagt. Ihr dürft nie vergessen, daß Ihr ein Greenhorn seid. Läßt dieser Mensch den Büffel ruhig an sich kommen und schießt ihn dann in die Augen! Hat man je so etwas erlebt! Ihr seid noch unerfahren und habt die Bisons unterschätzt. Nehmt Euch in Zukunft mehr in acht, und traut Euch nicht zuviel zu! Die Jagd auf den Bison ist höchst gefährlich. Es gibt nur eine einzige, welche noch gefährlicher ist.“

„Welche?“

„Auf den Bären.“

„Da meint Ihr doch nicht etwa den schwarzen Bären mit gelber Schnauze?“

„Den Baribal? Fällt mir nicht ein! Der ist ein sehr gutmütiges und friedfertiges Viehzeug, welchen man Wäscheplätten und Filetstricken lehren könnte. Nein, ich meine den Grizzly, den grauen Bären der Felsengebirge. Da Ihr von allem gelesen habt, so wohl auch von ihm?“

„Ja.“

„So seid froh, wenn Ihr keinen zu sehen bekommt. Wenn er sich aufrichtet, ist er über zwei Fuß länger als Ihr; mit einem einzigen Bisse verwandelt er Euern Kopf in Knochenbrei, und wenn er einmal angegriffen und in Wut versetzt worden ist, so ruht er nicht, bis er seinen Feind zerrissen und vernichtet hat.“

„Oder dieser ihn!“

„Oho! Seht, da tritt schon wieder Euer großer Leichtsinn zutage! Ihr redet von dem mächtigen, unüberwindlichen grauen Bären mit einer Geringschätzung, als ob es sich um einen kleinen, ungefährlichen Waschbären handle.“

„Das nicht. Es fällt mir gar nicht ein, ihn gering zu schätzen; aber unüberwindlich, wie Ihr sagt, ist er jedenfalls nicht. Kein Raubtier ist unüberwindlich, auch der Grizzly nicht.“

„Das habt Ihr wohl auch gelesen?“

„Ja.“

„Hm! Ich glaube, die Bücher, welche Ihr gelesen habt, sind an Euerm Leichtsinn schuld. Ihr seid doch sonst ein ganz verständiger Kerl, wenn ich mich nicht irre. Ihr wäret imstande und gingt auf einen grauen Bären grad so los wie gestern auf die Bisons.“

„Wenn ich nicht anders könnte ja.“

„Nicht anders könnte! Unsinn! Was meint Ihr mit diesen Worten? Jeder Mensch kann anders, wenn er will!“

„Das heißt, er kann ausreißen, wenn er feig ist. Das meint Ihr doch?“

„Ja; aber von feig sein ist dabei keine Rede. Es ist keine Feigheit, den Grizzly zu fliehen; im Gegenteile, es ist geradezu Selbstmord, der reinste Selbstmord, ihn anzugreifen.“

„Da gehen unsere Ansichten auseinander. Wenn er mich überrascht und mir keine Zeit zur Flucht läßt, muß ich mich wehren. Wenn er sich über einen Kameraden von mir hermacht, muß ich diesem zu Hilfe kommen. Das sind zwei Fälle, in denen ich nicht fliehen kann oder darf. Und außerdem kann ich es mir ganz gut denken, daß ein kühner Westmann es mit dem grauen Bären auch ohne Not aufnimmt, um seinen Mut zu betätigen, ein so gefährliches Raubtier unschädlich zu machen und nebenbei sich dann die Schinken und die Tatzen ausgezeichnet schmecken zu lassen.“

„Ihr seid ein ganz unverbesserlicher Mensch, und es wird mir himmelangst um Euch. Dankt lieber Gott, wenn Ihr diese Schinken und Tatzen niemals kennen lernt! Dabei will ich freilich nicht verhehlen, daß es keine größere Delikatesse gibt, soweit die Erde reicht; sie gehen sogar noch weit über die feinste Büffellende.“

„Wahrscheinlich braucht Ihr jetzt noch nicht um mich besorgt zu sein. Oder sollte es auch hier in dieser Gegend graue Bären geben?“

„Warum nicht? Der Grizzly kommt im ganzen Gebirge vor; er folgt den Flüssen und geht zuweilen sogar weit in die Prärie hinein. Wehe dem, auf den er trifft! Reden wir nicht mehr davon!“

Er ahnte ebensowenig wie ich, daß schon am nächsten Tage dieses Thema wieder und noch ganz anders als heut zur Sprache kommen und dieses so gefürchtete Tier uns in den Weg treten werde. Es gab überhaupt keine Zeit, das Gespräch fortzuführen, denn wir waren jetzt bei dem Lager angelangt. Man hatte es eine ziemliche Strecke vorgeschoben, weil dieselbe während unserer Abwesenheit vermessen worden war. Bancroft hatte sich mit den drei Surveyors außerordentlich ins Zeug gelegt, um endlich auch einmal zu zeigen, was er leisten konnte. Wir erregten Aufsehen.

„Ein Maultier, ein Maultier!“ wurde gerufen. „Wo habt Ihr es her, Hawkens, woher?“

„Direkt geschickt bekommen,“ antwortete er im ernsthaftesten Tone.

„Nicht möglich! Von wem, von wem?“

„Durch die Eilpost, per Kreuzband für zwei Cents. Wollt ihr den Umschlag vielleicht sehen?“

Einige lachten, die Andern schimpften; aber er hatte seinen Zweck erreicht; man fragte ihn nicht weiter. Ob er gegen Dick Stone und Will Parker jetzt gleich mitteilsamer war, konnte ich nicht beobachten, weil ich mich sofort an der Vermessungsarbeit beteiligte. Diese schritt bis zum Abend so weit fort, daß wir morgen früh das Tal in Angriff nehmen konnten, in welchem wir gestern das Zusammentreffen mit den Bisons gehabt hatten. Als wir am Abende davon sprachen, fragte ich Sam, ob wir da vielleicht von den Büffeln gestört werden könnten, da diese, wie es ja scheinen wollte, ihre Richtung durch das Tal einschlagen würden. Wir hatten es mit einem Vortrupp zu tun gehabt und konnten uns nun wohl auf das Erscheinen der Hauptherde gefaßt machen. Da antwortete er:

„Denkt das ja nicht, Sir! Die Bisons sind nicht weniger klug als die Mustangs. Die von uns verjagten Vorposten sind zurückgekehrt und haben die Herde gewarnt; diese schlägt nun sicher eine ganz andere Richtung ein und wird sich hüten, durch dieses Tal zu kommen.“

Als der Morgen anbrach, verlegten wir unser Lager nach dem oberen Teil desselben. Hawkens, Stone und Parker beteiligten sich nicht daran, denn der Erstere wollte seine neue Mary zureiten, und die beiden Andern begleiteten ihn, als er sich nach der Präirie entfernte, auf welcher wir das Maultier gefangen hatten; dort gab es für sein Vorhaben Platz genug.

Wir Surveyors beschäftigten uns zunächst mit dem Anbringen der Meßstangen, wobei uns einige Untergebene von Rattler halfen; dieser selbst schlenderte mit den Andern nichtstuend in der Umgebung herum. Dabei kamen wir und auch er der Stelle näher, an welcher ich die beiden Büffels erlegt hatte. Zu meinem Erstaunen bemerkte ich da, daß der alte Bulle nicht mehr da war. Wir gingen hin und sahen, daß von dem Punkte, wo er gelegen hatte, eine breite Spur nach den Büschen führte; das Gras war gegen zwei Ellen breit niedergeschleift.

„Alle Wetter! Ist so etwas möglich?“ rief Rattler aus. „Ich habe, als wir das Fleisch holten, die beiden Bullen doch genau untersucht; sie waren tot, und doch hat dieser hier noch Leben in sich gehabt.“

„Meint Ihr das?“ fragte ich ihn.

„Jawohl. Oder denkt Ihr, daß ein toter Büffel sich entfernen kann?“

„Muß er sich selbst entfernt haben? Er kann doch auch entfernt worden sein.“

„So? Von wem denn?“

„Von Indianern zum Beispiel. Wir haben weiter oben die Spur eines Indianerfußes entdeckt.“

„So! Wie klug und weise doch so ein Greenhorn reden kann! Wenn er von Indianern fortgeschafft worden wäre, woher sollen diese gekommen sein?“

„Irgend woher.“

„Das ist sehr richtig. Vielleicht sogar vom Himmel herunter! Denn von da herunter müssen sie gefallen sein, weil man sonst ihre Fährte sehen müßte. Nein, es ist noch Leben in dem Büffel gewesen, und er hat sich, als er erwachte, von hier fort und in die Büsche geschleppt; dort ist er natürlich inzwischen verendet. Wollen gleich einmal nachsuchen.“

Er ging mit seinen Leuten der Spur nach. Vielleicht hatte er geglaubt, ich würde mitgehen; ich tat dies aber nicht, denn die höhnische Art und Weise, in der er mit mir gesprochen hatte, gefiel mir nicht, und ich hatte zu arbeiten; übrigens konnte es mir auch sehr gleichgültig sein, wohin die Leiche des alten Bullen gekommen war. Ich wendete mich also meiner Beschäftigung wieder zu, hatte aber noch nicht zur Meßstange gegriffen, als aus dem Gebüsch ein vielstimmiges Angstgeschrei erscholl; zwei, drei Schüsse krachten, und dann hörte ich Rattler rufen:

„Auf die Bäume, schnell auf die Bäume, sonst seid ihr verloren! Er kann nicht klettern.“

Wen meinte er, der nicht klettern konnte? Da kam einer seiner Leute aus dem Gebüsch gesprungen, und zwar in Sätzen, wie man sie nur in der Todesangst zu machen vermag.

„Was ist’s, was gibt’s?“ rief ich ihm zu.

„Ein Bär, ein gewaltiger Bär, ein grauer Grizzlybär!“ keuchte er, indem er an mir vorüberrannte.

Zu gleicher Zeit schrie eine zeternde Stimme:

„Zu Hilfe, zu Hilfe! Er hat mich fest! Oh, oh!“

In dieser Weise konnte ein Mensch nur dann brüllen, wenn er den offenen Rachen des Todes vor sich gähnen sah. Der Mann befand sich jedenfalls in der äußersten Gefahr; es mußte ihm Hilfe werden. Aber wie? Ich hatte mein Gewehr beim Zelte gelassen, weil es mich bei der Arbeit hinderte. Dies war keine Unvorsichtigkeit von mir gewesen, da wir Surveyors ja die Westmänner zu unserem Schutze bei uns hatten. Wollte ich erst nach dem Zelte laufen, so wurde der Mann, ehe ich zurückkam, von dem Bären zerrissen; ich mußte also hin zu ihm, so wie ich war; ich hatte nur das Messer und die beiden Revolver im Gürtel. Was sind aber das für Waffen gegen einen Grizzlybären! Der Grizzly ist ein naher Verwandter des ausgestorbenen Höhlenbären und gehört eigentlich mehr der Urzeit als der Gegenwart an. Er wird bis neun Fuß lang, und ich habe Exemplare erlegt, welche ebenso viel Zentner schwer waren. Seine Muskelkraft ist so riesig, daß er, einen Hirsch, ein Fohlen oder eine Bisonfärse im Rachen, mit Leichtigkeit davontrabt. Ein Reiter kann ihm nur dann entfliehen, wenn er ein sehr kräftiges und ausdauerndes Pferd besitzt, sonst holt ihn der graue Bär sicher ein. Bei der riesigen Stärke, der absoluten Furchtlosigkeit und nie ermüdenden Ausdauer des Grizzlybären gilt seine Erlegung unter den Indianern natürlich für eine ungeheuer kühne Tat.

Also ich sprang ins Gebüsch. Die Spur führte noch weiter, bis dahin, wo die Bäume begannen. Dorthin hatte der Bär den Bullen geschleppt. Von dorther war er vorher gekommen; darum hatten wir seine Spur nicht sehen können, da sie durch das Fortschleifen des Bisons ausgelöscht worden war.

Es war ein böser Augenblick. Hinter mir riefen die Surveyors, welche nach dem Zelte zu ihren Waffen flohen; vor mir schrien die Westleute, und dazwischen ertönte das unbeschreibliche Schmerzgeheul desjenigen von ihnen, den der Bär in seinen Tatzen hatte.

Ich kam mit jedem Sprunge, den ich tat, näher; jetzt hörte ich die Stimme des Bären, oder vielmehr nicht die Stimme, denn auch dadurch, daß es keine Stimme hat, unterscheidet sich dieses gewaltige Tier von den andern Bärenarten; es brummt nicht, sondern sein einziger Laut in Zorn oder Schmerz ist ein eigentümliches, lautes und rasches Schnauben und Fauchen.

Nun war ich da. Vor mir lag der vollständig zerfleischte Leib des Bisons; rechts und links schrien mir die Westmänner zu, welche sich rasch auf die Bäume retiriert hatten und sich dort ziemlich sicher fühlten, denn man hat wohl selten oder gar nie einen Grizzly aufbäumen sehen. Gradaus, jenseits der Büffelleiche, hatte einer der Westmänner einen Baum erklimmen wollen, war aber von dem Bären dabei überrascht worden. Er lag mit dem Oberleib, sich mit beiden Armen am Stamme festhaltend, auf dem ersten, niedrigen Aste, und der Grizzly, welcher sich hoch aufgerichtet hatte, wühlte ihm mit den Vorderpranken in den Schenkeln und dem Unterleibe. Der Mann war dem Tode geweiht, unrettbar verloren; ich konnte ihm nicht helfen, und niemand hätte, wenn ich wieder fortgelaufen wäre, das Recht gehabt, mir darüber einen Vorwurf zu machen; aber der Anblick, welcher sich mir bot, wirkte mit unwiderstehlicher Gewalt. Ich raffte eins der weggeworfenen Gewehre auf; es war leider abgeschossen. Ich drehte es um, sprang über den Büffel hinüber und versetzte dem Bären aus allen mir zu Gebote stehenden Kräften einen Kolbenhieb gegen den Schädel. Lächerlich! Das Gewehr zerplitterte wie Glas in meinen Händen; so einem Schädel ist nicht einmal mit einem Schlachtbeile beizukommen; aber ich hatte doch den Erfolg, den Grizzly von seinem Opfer abzulenken. Er drehte den Kopf nach mir um, nicht etwa schnell, wie es bei einem katzen- oder hundeartigen Raubtiere der Fall gewesen wäre, sondern langsam, als ob er über meinen dummen Angriff ganz verwundert sei. Mich mit seinen kleinen Augen messend, schien er zu überlegen, ob er bei seinem bisherigen Opfer bleiben oder mich anpacken solle; diese wenigen Augenblicke retteten mir das Leben, denn es kam mir ein Gedanke, der einzige, der mir in der Lage, in welcher ich mich befand, Hilfe bringen konnte. Ich riß den einen Revolver heraus, sprang ganz nahe zu dem Bären heran, welcher mir zwar seinen Kopf, sonst aber den Rücken zukehrte, und schoß ihn ein-, zwei-, drei-, viermal in die Augen, so wie ich nicht weit von hier dem zweiten Büffelbullen zwei Schüsse in die Augen gegeben hatte. Dies geschah natürlich so schnell, wie es mir möglich war; dann sprang ich weit zur Seite und blieb da beobachtend stehen, indem ich nun das Bowiemesser zog.

Wäre ich stehen geblieben, so hätte ich es mit dem Leben bezahlt, denn das geblendete Raubtier ließ rasch vom Baume ab und warf sich nach der Stelle, an welcher ich mich einen Moment vorher befunden hatte. Ich war weg, und nun begann der Bär, unter giftigem Fauchen und wütenden Tatzenschlägen nach mir zu suchen. Er gebärdete sich wie wahnsinnig, drehte sich mit allen Vieren um sich selbst, riß die Erde auf, machte, mit den Vorderpranken weit um sich langend, Sprünge nach allen Seiten, um mich zu finden, konnte mich aber nicht erwischen, da ich zu meinem Glücke gut getroffen hatte. Vielleicht hätte ihm der Geruch als Führer zu mir dienen können; aber er war rasend vor Wut, und dies verhinderte ihn, ruhig seinen Sinnen, seinem Instinkt zu folgen.

Endlich richtete er seine Aufmerksamkeit mehr auf seine Verletzungen als auf denjenigen, dem er sie zu verdanken hatte. Er setzte sich nieder, richtete sich in dieser Stellung auf und fuhr sich schnaubend und zähnefletschend mit den Vordertatzen über die Augen. Schnell stand ich neben ihm, holte aus und stieß ihm das Messer zweimal zwischen die Rippen. Er griff augenblicklich nach mir, aber ich war schon wieder fort. Ich hatte das Herz nicht getroffen, und das Suchen nach mir begann mit erneuter und verdoppelter Wut. Dies dauerte wohl zehn Minuten lang. Er verlor dabei viel Blut und wurde sichtlich matt. Dann setzte er sich wieder aufrecht hin, um sich nach den Augen zu langen. Dies gab mir Gelegenheit zu zwei weiteren, schnell aufeinander folgenden Messerstößen, und diesmal traf ich besser; er sank, während ich rasch wieder zur Seite gesprungen war, vorn nieder, lief taumelnd und fauchend einige Schritte vorwärts, dann zur Seite und wieder zurück, wollte sich abermals aufrichten, hatte aber nicht die Kraft dazu, sondern fiel hin und kollerte im vergeblichen Bemühen, auf die Beine zu kommen, einige Male hin und her, bis er sich lang ausstreckte und dann ruhig liegen blieb.

„Gott sei Dank!“ schrie Rattler von seinem Baume herab. „Die Bestie ist tot. Das war eine schreckliche Gefahr, in der wir uns befanden.“

„Wüßte nicht, worin das Schreckliche für Euch liegen sollte,“ antwortete ich. „Ihr hattet ja sehr gut für Eure Sicherheit gesorgt. Jetzt könnt Ihr herunterkommen.“

„Nein, nein, noch nicht. Untersucht vorher den Grizzly, ob er wirklich tot ist.“

„Er ist tot.“

„Das könnt Ihr nicht behaupten. Ihr habt gar keine Ahnung, welch ein zähes Leben so ein Vieh hat. Also untersucht ihn doch!“

„Für Euch etwa? Wenn Ihr wissen wollt, ob er noch lebt, so untersucht ihn selbst; Ihr seid ja ein berühmter Westmann, während ich nur ein Greenhorn bin.“

Ich wendete mich nun zu seinem Kameraden, welcher noch immer in der vorhin beschriebenen Lage an dem Baume hing. Er hatte zu heulen aufgehört, und bewegte sich nicht mehr. Sein Gesicht war verzerrt, und seine weit offenen Augen stierten verglast zu mir herab. Das Fleisch war ihm bis auf die Knochen von den Schenkeln gerissen, und die Eingeweide quollen ihm aus dem Unterleibe. Ich beherrschte mein Grauen und rief ihm zu:

„Laßt fahren, Sir! Ich werde Euch herunternehmen.“

Er antwortete nicht, und keine noch so leise Bewegung verriet, daß er mich verstanden habe. Ich bat seine Kameraden, von den Bäumen herabzusteigen und mir zu helfen. Diese berühmten Westmänner waren nicht eher dazu zu bewegen, als bis ich den Bären einige Male hin- und hergewendet und ihnen dadurch bewiesen hatte, daß er wirklich tot sei. Dann erst getrauten sie sich herunter und halfen mir, den so gräßlich Verstümmelten auf die Erde zu bringen. Dies hatte seine Schwierigkeiten, denn seine Arme hielten den Baum so fest umschlungen, daß wir sie nur mit Anwendung von Gewalt losbringen konnten. Er war tot.

Dieses schreckliche Ende schien aber seine Kameraden nicht im geringsten anzugreifen, denn sie wendeten sich gleichgültig von ihm ab und dem Bären zu, und ihr Anführer sagte:

„Jetzt wird es umgekehrt: Vorhin hat der Bär uns fressen wollen, nun wird er von uns gefressen werden. Rasch, ihr Leute, das Fell herunter, daß wir zu dem Schinken und den Tatzen kommen!“

Er zog sein Messer und kniete nieder, um seinen Worten die Tat folgen zu lassen; da aber bemerkte ich ihm:

„Es wäre jedenfalls rühmlicher gewesen, wenn Ihr Euer Messer an ihm versucht hättet, als er noch am Leben war. Jetzt ist’s zu spät dazu. Gebt Euch keine Mühe.“

„Was?“ fuhr er auf. „Wollt Ihr mich etwa hindern, mir einen Braten herunter zu schneiden?“

„Das will ich allerdings, Mr. Rattler.“

„Mit welchem Rechte?“

„Mit dem besten, unbestreitbarsten Rechte. Ich habe den Bären erlegt.“

„Das ist nicht wahr. Ihr werdet doch nicht behaupten wollen, daß ein Greenhorn einen Grizzly mit dem Messer töten kann! Wir haben, als wir ihn erblickten, auf ihn geschossen.“

„Und Euch dann schleunigst auf die Bäume retiriert; ja, das ist wahr, sehr wahr!“

„Aber unsere Kugeln haben getroffen; an ihnen ist er schließlich verendet, nicht aber an den paar Nadelstichen, die Ihr ihm, als er schon halb tot war, mit Eurem Messer beigebracht habt. Der Bär ist unser, und wir machen mit ihm, was wir wollen. Verstanden?“

Er wollte sich wirklich an die Arbeit machen; ich aber warnte ihn:

„Laßt augenblicklich ab von ihm, Mr. Rattler; sonst lehre ich Euch, meine Worte zu achten! Auch verstanden?“

Da er trotzdem mit dem Messer in den Pelz des Bären fuhr, faßte ich ihn so, wie er niedergebückt vor demselben kniete, mit beiden Händen bei den Hüften, hob ihn empor und warf ihn an den nächsten Baum, daß es krachte. Es war mir in diesem Augenblicke des Zornes ganz gleichgültig, ob er dabei etwas brach oder nicht. Noch während er durch die Luft flog, riß ich meinen zweiten, noch geladenen Revolver heraus, um etwaigen Angriffen schnell zuvorzukommen. Er richtete sich wieder auf, blitzte mich mit vor Wut funkelnden Augen an, zog sein Messer und rief:

„Das sollt Ihr mir bezahlen! Ihr habt mich schon einmal geschlagen, und ich werde dafür sorgen, daß Ihr Euch nicht zum drittenmal an mir vergreifen könnt.“

Er wollte einen Schritt auf mich zu tun; da hielt ich ihm meinen Revolver entgegen und drohte:

„Noch einen weiteren Schritt, und ich jage Euch eine Kugel in den Kopf! Weg mit dem Messer! Bei drei schieße ich, wenn Ihr es in der Hand behaltet. Also: eins zwei und“

Er hielt das Messer fest, und ich hätte wirklich geschossen, wenn auch nicht ihm in den Kopf, sondern ich hätte ihm zwei oder drei Kugeln durch die Hand gejagt, denn es galt, mir Respekt zu verschaffen; aber ich kam glücklicherweise nicht dazu, denn in diesem kritischen Augenblicke erscholl eine laute Stimme:

„Gents, seid ihr toll! Was könnte es für einen guten Grund geben, daß Weiße sich einander die Hälse brechen! Haltet ein!“

Wir blickten in die Richtung, in welcher diese Worte gesprochen wurden, und sahen einen Mann hinter einem Baume hervortreten. Er war klein, hager und buckelig und fast wie ein Roter gekleidet und bewaffnet. Man konnte nicht recht unterscheiden, ob er ein Weißer oder ein Indianer war. Sein scharf geschnittenes Gesicht deutete auf das letztere, während die Farbe seines jetzt allerdings von der Sonne verbrannten Gesichtes wahrscheinlich früher weiß gewesen war. Er trug den Kopf unbedeckt; das dunkle Haar hing ihm bis auf die Schultern herab. Sein Anzug bestand aus einer indianischen Lederhose, einem Jagdhemde aus demselben Stoffe und einfachen Mokassins. Bewaffnet war er nur mit einem Gewehre und einem Messer. Sein Auge blickte außerordentlich intelligent, und er brachte trotz seiner Mißgestalt keineswegs einen lächerlichen Eindruck hervor. Es sind ja überhaupt nur rohe und unverständige Menschen, welche über einen unverdienten körperlichen Fehler oder Mangel die Nase rümpfen können. Zu dieser Sorte gehörte Rattler, denn als er den Ankömmling erblickte, rief er lachend aus:

„Halloo, was kommt denn da für ein Zwerg und Mißgeschöpf gelaufen! Darf es denn hier im schönen Westen auch solche Leute geben?“

Der Fremde maß ihn von unten bis oben und antwortete in ruhigem, überlegenem Tone:

„Dankt Gott, wenn Ihr gesunde Glieder habt! Uebrigens kommt es nicht auf den Körper, sondern auf das Herz und den Geist an, und da sage ich Euch, daß ich eine Vergleichung mit Euch nicht zu scheuen brauche.“

Er machte eine geringschätzige Bewegung mit der Hand und wendete sich dann an mich:

„Habt Ihr Kraft in den Knochen, Sir! Das Experiment, einen so schweren Menschen so weit durch die Luft fliegen zu lassen, macht Euch so leicht niemand nach. Es war wirklich eine Wonne, zuzuschauen.“

Dann stieß er den Grizzly mit dem Fuße an und fuhr in bedauerndem Tone fort:

„Also das ist der Kerl, den wir haben wollten. Wir sind zu spät gekommen; das ist schade!“

„Ihr wolltet ihn erlegen?“ fragte ich.

„Ja. Wir fanden gestern seine Fährte und sind ihr nach, kreuz und quer, durch dick und dünn, und nun wir an Ort und Stelle kommen, müssen wir leider sehen, daß die Arbeit schon getan ist.“

„Ihr redet in der Mehrzahl, Sir; seid Ihr nicht allein?“

„Nein. Es sind zwei Gentlemen bei mir.“

„Wer?“

„Werde es Euch dann sagen, wenn ich erfahren habe, wer Ihr seid. Ihr wißt, daß man in dieser Gegend nicht vorsichtig genug sein kann. Man stößt da mehr auf böse als auf gute Menschen.“

Er streifte dabei Rattler und dessen Leute mit seinem Blicke und fuhr dann freundlich fort:

„Uebrigens sieht man es einem Gentleman gleich an, daß man ihm trauen darf. Habe den letzten Teil eurer Unterhaltung gehört und weiß also so leidlich, woran ich bin.“

„Wir sind Surveyors, Sir,“ erklärte ich ihm. „Ein Oberingenieur, vier Surveyors, drei Scouts und zwölf Westmänner, welche uns gegen etwaige Angriffe zu beschützen haben.“

„Hm, was dieses anbelangt, so scheint Ihr ein Mann zu sein, der keinen Beschützer braucht. Also Surveyors seid Ihr. Ihr befindet Euch hier in Tätigkeit?“

„Ja.“

„Was vermeßt Ihr da?“

„Eine Bahn.“

„Die hier vorübergehen soll?“

„Ja.“

„So habt Ihr das Gebiet gekauft?“

Sein Auge war während dieser Frage stechend und sein Gesicht ernster geworden. Er schien Grund zu diesen Erkundigungen zu haben; darum antwortete ich:

„Ich bin beauftragt, mich an den Vermessungen zu beteiligen, und dies tue ich, ohne mich um das übrige zu bekümmern.“

„Hm, ja! Denke aber, Ihr wißt trotzdem sehr wohl, woran Ihr seid. Der Boden, auf welchem Ihr Euch befindet, gehört den Indianern, und zwar den Apachen vom Stamme der Mescaleros. Ich kann ganz bestimmt behaupten, daß sie dieses Land weder verkauft noch sonst in irgend einer Weise an irgend jemand abgetreten haben.“

„Was geht das Euch an!“ rief ihm da Rattler zu. „Bekümmert Euch nicht um fremde Angelegenheiten, sondern um die Eurigen.“

„Das tue ich auch, Sir, das tue ich, denn ich bin ein Apache, sogar ein Mescalero.“

„Ihr? Laßt Euch nicht auslachen! Man müßte ja blind sein, um Euch nicht anzusehen, daß Ihr ein Weißer seid.“

„Ihr irrt Euch doch! Ihr dürft Euch nicht nach meiner Haut, sondern nach meinem Namen richten. Ich werde Klekih-petra genannt.“

Dieser Name bedeutet in der Sprache der Apachen, deren Dialekte ich damals noch nicht kannte, so viel wie weißer Vater. Rattler schien diesen Namen schon gehört zu haben, denn er trat in ironischer Verwunderung einen Schritt zurück und sagte:

„Ah, Klekih-petra, der berühmte Schulmeister der Apachen! Schade, daß Ihr buckelig seid; es muß Euch da außerordentlich schwer werden, von den roten Bengels nicht ausgelacht zu werden.“

„O, das tut nichts, Sir. Ich bin es gewohnt, von Bengels verlacht zu werden, denn vernünftige Leute tun das nicht. Und nun ich weiß, wer Ihr seid und was Ihr hier treibt, kann ich Euch auch sagen, wer meine Begleiter sind. Es wird am besten sein, ich zeige sie Euch.“

Er rief ein Indianerwort, welches ich nicht verstand, in den Wald zurück, worauf zwei außerordentlich interessante Gestalten erschienen und langsam und würdevoll auf uns zukamen. Es waren Indianer, und zwar Vater und Sohn, wie man gleich auf den ersten Blick erkennen mußte.

Der Aeltere war von etwas mehr als mittlerer Gestalt, dabei sehr kräftig gebaut; seine Haltung zeigte etwas wirklich Edles, und aus seinen Bewegungen konnte man auf große körperliche Gewandtheit schließen. Sein ernstes Gesicht war ein echt indianisches, doch nicht so scharf und eckig, wie es bei den meisten Roten ist. Sein Auge besaß einen ruhigen, beinahe milden Ausdruck, den Ausdruck einer stillen, innern Sammlung, die ihn seinen gewöhnlichen Stammesgenossen gegenüber überlegen machen mußte. Sein Kopf war unbedeckt; das dunkle Haar hatte er in einen helmartigen Schopf aufgebunden, in welchem eine Adlerfeder, das Zeichen der Häuptlingswürde, steckte. Der Anzug bestand aus Mokassins, ausgefransten Leggins und einem ledernen Jagdrocke, dies alles sehr einfach und dauerhaft gefertigt. Im Gürtel steckte ein Messer, und an demselben hingen mehrere Beutel, in denen alle die Kleinigkeiten steckten, welche einem Westmanne nötig sind. Der Medizinbeutel hing an seinem Halse, daneben die Friedenspfeife mit dem aus heiligem Tone geschnittenen Kopfe. In der Hand hielt er ein doppelläufiges Gewehr, dessen Holzteile dicht mit silbernen Nägeln beschlagen waren. Dies war das Gewehr, welches sein Sohn Winnetou später unter dem Namen Silberbüchse zu so großer Berühmtheit bringen sollte.

Der Jüngere war genau so gekleidet wie sein Vater, nur daß sein Anzug zierlicher gefertigt worden war. Seine Mokassins waren mit Stachelschweinsborsten und die Nähte seiner Leggins und des Jagdrockes mit feinen, roten Nähten geschmückt. Auch er trug den Medizinbeutel am Halse und das Kalumet dazu. Seine Bewaffnung bestand wie bei seinem Vater aus einem Messer und einem Doppelgewehre. Auch er trug den Kopf unbedeckt und hatte das Haar zu einem Schopfe aufgewunden, aber ohne es mit einer Feder zu schmücken. Es war so lang, daß es dann noch reich und schwer auf den Rücken niederfiel. Gewiß hätte ihn manche Dame um dieses herrliche, blauschimmernde Haar beneidet. Sein Gesicht war fast noch edler als dasjenige seines Vaters und die Farbe desselben ein mattes Hellbraun mit einem leisen Bronzehauch. Er stand, wie ich jetzt erriet und später dann erfuhr, mit mir in gleichem Alter und machte gleich heut, wo ich ihn zum erstenmal erblickte, einen tiefen Eindruck auf mich. Ich fühlte, daß er ein guter Mensch sei und außerordentliche Begabung besitzen müsse. Wir betrachteten einander mit einem langen, forschenden Blicke, und dann glaubte ich, zu bemerken, daß in seinem ernsten, dunklen Auge, welches einen sammetartigen Glanz besaß, für einen kurzen Augenblick ein freundliches Licht aufglänzte, wie ein Gruß, den die Sonne durch eine Wolkenöffnung auf die Erde sendet.

„Das sind meine Freunde und Begleiter,“ sagte Klekih-petra, indem er erst auf den Vater und dann auf den Sohn deutete. „Dieser ist Intschu tschuna, der große Häuptling der Mescaleros, welcher auch von allen übrigen Apachenstämmen als Häuptling anerkannt wird. Und hier steht sein Sohn Winnetou, welcher trotz seiner Jugend schon mehr kühne Taten verrichtet hat, als sonst zehn alte Krieger in ihrem ganzen Leben ausgeführt haben. Sein Name wird einst genannt und gerühmt werden, so weit die Savannen und die Felsengebirge reichen.“

Das klang überschwänglich, war aber, wie ich später erfuhr, gar nicht zu viel gesagt. Rattler lachte höhnisch auf und rief aus:

„So ein junger Kerl und soll schon solche Taten begangen haben? Ich sage mit Absicht begangen, denn was er ausgeführt hat, werden doch nur Diebereien, Spitzbübereien und Räubereien gewesen sein. Man kennt das schon. Die Roten stehlen und rauben alle.“

Dies war eine schwere Beleidigung. Die drei Fremden taten so, als ob sie sie nicht gehört hätten. Sie traten zu dem Bären und betrachteten denselben. Klekih-petra bückte sich nieder und untersuchte ihn.

„Er ist an den Messerstichen und nicht an einer Kugel gestorben,“ sagte er, zu mir gewendet.

Er hatte meinen Streit mit Rattler heimlich angehört und wollte mir nun konstatieren, daß ich recht gehabt hatte.

„Wird sich finden,“ sagte Rattler. „Was versteht so ein buckeliger Schulmeister von der Bärenjagd. Wenn wir nachher dem Tiere das Fell abgezogen haben, so werden wir ganz deutlich sehen, welche Wunde tödlich gewesen ist. Von einem Greenhorn lasse ich mich nicht um mein Recht betrügen.“

Da bückte sich auch Winnetou zu dem Bären nieder, betastete ihn an den Stellen, wo er blutig war, und fragte mich, als er sich wieder aufgerichtet hatte:

„Wer hat dieses Tier mit dem Messer angegriffen?“

Er sprach ein sehr reines Englisch.

„Ich,“ antwortete ich.

„Warum hat mein junger, weißer Bruder nicht auf ihn geschossen?“

„Weil ich kein Gewehr bei mir hatte.“

„Hier liegen doch Flinten!“

„Die gehören nicht mir. Diejenigen, deren Eigentum sie sind, warfen sie weg und kletterten auf die Bäume.“

„Als wir der Spur des Bären folgten, hörten wir in der Ferne ein großes Angstgeschrei. Wo ist das gewesen?“

„Hier.“

„Uff! Die Eichhörnchen und Stinktiere sind da, um auf die Bäume zu fliehen, wenn ein Feind sich ihnen naht. Der Mann aber soll kämpfen, denn wenn er Mut besitzt, so ist ihm die Macht gegeben, selbst das stärkste Tier zu überwinden. Mein junger, weißer Bruder hat solchen Mut besessen. Warum wird er da ein Greenhorn genannt?“

„Weil ich zum erstenmal und nur erst kurze Zeit im Westen bin.“

„Die Bleichgesichter sind sonderbare Menschen. Bei ihnen wird ein Jüngling, welcher sich nur mit dem Messer an den schrecklichen Grizzly wagt, Greenhorn geschimpft; diejenigen aber, welche aus Furcht auf die Bäume klettern und da oben vor Entsetzen heulen, dürfen sich für tüchtige Westmänner halten. Die roten Männer sind gerechter. Bei ihnen kann ein Tapferer nie als Feigling und ein Feigling nie als Tapferer gelten.“

„Mein Sohn hat sehr richtig gesprochen,“ stimmte sein Vater in einem etwas weniger guten Englisch bei. „Dieses junge Bleichgesicht ist kein Greenhorn mehr. Wer den Grizzly in dieser Weise erlegt, der ist ein großer Held zu nennen. Und wer es gar noch tut, um Andere zu retten, die auf die Bäume entwichen sind, der kann von ihnen Dank aber nicht Schimpfreden erwarten. Howgh! Gehen wir hinaus ins Freie, um zu sehen, warum die Bleichgesichter sich hier in dieser Gegend befinden.“

Welch ein Unterschied zwischen meinen weißen Begleitern und diesen von ihnen verachteten Indianern! Der Gerechtigkeitssinn der Roten trieb sie, ohne daß sie es nötig hatten, sich zu meinen Gunsten auszusprechen. Es war sogar ein Wagnis, daß sie dies taten. Sie waren nur zu dreien und wußten nicht, wieviel Köpfe wir zählten; sie begaben sich gewiß in eine Gefahr, wenn sie sich unsere Westmänner zu Feinden machten. Daran schienen sie aber gar nicht zu denken. Sie gingen langsam und mit stolzen Schritten an uns vorüber und dann aus dem Gebüsch hinaus. Wir folgten ihnen. Da sah Intschu tschuna die Meßpfähle stecken, blieb stehen, wendete sich zu mir zurück und fragte:

„Was wird hier getrieben? Wollen die Bleichgesichter etwa dieses Land vermessen?“

„Ja.“

„Wozu?“

„Um einen Weg für das Feuerroß zu bauen.“

Sein Auge verlor den ruhigen, sinnenden Blick; es leuchtete zornig auf, und fast hastig erkundigte er sich:

„Du gehörst zu diesen Leuten?“

„Ja.“

„Und hast mit vermessen?“

„Ja.“

„Du wirst bezahlt dafür?“

„Ja.“

Da war es ein verächtlicher Blick, den er über mich hinweggleiten ließ, und ebenso verächtlich klang sein Ton, als er zu Klekih-petra sagte:

„Deine Lehren klingen sehr schön, aber sie treffen nicht oft zu. Da hat man endlich einmal ein junges Bleichgesicht gesehen mit einem tapferen Herzen, offenem Gesicht und ehrlichen Augen, und kaum hat man gefragt, was es hier tut, so ist es gekommen, um uns gegen Bezahlung unser Land zu stehlen. Die Gesichter der Weißen mögen gut sein oder bös, im Innern ist doch Einer wie der Andere!“

Wenn ich ehrlich sein will, so muß ich sagen, daß ich keine Worte zu meiner Verteidigung hätte finden können; ich fühlte mich innerlich beschämt. Der Häuptling hatte recht; es war so, wie er sagte. Konnte ich etwa stolz auf meinen Beruf sein, ich streng moralischer, christlicher Landesvermesser?

Der Oberingenieur hatte sich mit den drei Surveyors in das Zelt versteckt. Sie blickten durch ein Loch desselben nach dem gefürchteten Bären aus. Als sie uns kommen sahen, wagten sie sich hervor, nicht wenig erstaunt oder vielleicht auch betroffen darüber, daß sie die Indianer bei uns sahen. Sie empfingen uns natürlich mit der Frage, wie wir uns des Bären erwehrt hätten. Da antwortete Rattler schnell:

„Wir haben ihn erschossen, und zu Mittag wird es Bärentatzen, heut abend aber Bärenschinken zu essen geben.“

Unsere drei Gäste sahen mich an, ob ich mir dies gefallen lassen würde; darum machte ich die Bemerkung:

„Und ich behaupte, daß ich ihn erstochen habe. Hier stehen drei Sachverständige, welche mir recht gegeben haben; das soll aber gar nicht entscheidend sein. Wenn nachher Hawkens, Stone und Parker kommen, mögen sie ihre Urteile abgeben, nach denen wir uns richten werden. Bis dahin bleibt der Bär unangerührt liegen.“

„Den Teufel werde ich mich nach diesen dreien richten!“ murrte Rattler. „Ich gehe mit meinen Leuten hin, um den Bären aufzubrechen, und wer uns da hindern will, dem jagen wir ein halbes Dutzend Kugeln in den Leib!“

„Tut nicht so dick, sonst mache ich Euch dünn, Mr. Rattler! Vor Euren Kugeln fürchte ich mich nicht so, wie Ihr Euch vor dem Bären gefürchtet habt. Ihr jagt mich auf keinen Baum; das laßt Euch nur gesagt sein! Daß Ihr hingeht, dagegen habe ich nichts, erwarte aber, daß Ihr es nur Eures toten Kameraden wegen tut, den Ihr begraben mögt. So liegen lassen dürft Ihr ihn doch nicht.“

„Es ist einer tot?“ fragte Bancroft erschrocken.

„Ja, Rollins,“ antwortete Rattler. „Dieser arme Teufel hat auch nur wegen der Dummheit eines Andern sein Leben lassen müssen, sonst hätte er sich retten können.“

„Wieso? Wessen Dummheit?“

„Nun, er machte es grad so wie wir und sprang nach einem Baum; er wäre ganz gut hinaufgekommen, aber da kam dieses Greenhorn alberner Weise gerannt und reizte den Bären, welcher sich dann wütend auf Rollins stürzte und ihn zerfleischte.“

Das war die Schlechtigkeit denn doch zu weit getrieben; ich stand beinahe sprachlos vor Erstaunen. Die Sache in dieser Weise darzustellen, und noch dazu in meiner Gegenwart, das durfte ich denn doch nicht dulden! Darum wandte ich mich schnell mit der Frage an ihn:

„Das ist Eure Ueberzeugung, Mr. Rattler?“

„Yes,“ nickte er entschlossen. Er zog seinen Revolver heraus, denn er erwartete eine Tätlichkeit von mir.

„Rollins hätte sich retten können und wurde nur durch mich verhindert?“

„Yes.“

„Ich meine aber, daß der Bär ihn schon gefaßt hatte, ehe ich kam!“

„Das ist eine Lüge!“

„Well, so sollt Ihr jetzt die Wahrheit hören oder fühlen.“

Bei diesen Worten riß ich ihm mit der Linken den Revolver aus der Hand und gab ihm mit der Rechten eine so gewaltige Ohrfeige, daß er wohl sechs bis acht Schritte weit fort und da zur Erde flog. Er sprang auf, riß sein Messer heraus und kam, wie ein wütendes Tier brüllend, auf mich zugerannt. Ich parierte den Messerstich mit der linken Hand und schlug ihn mit der rechten Faust nieder, daß er zu meinen Füßen ohne Besinnung liegen blieb.

„Uff, uff!“ rief Intschu tschuna erstaunt, indem er vor Bewunderung dieses Jagdhiebes die gebotene indianische Zurückhaltung vergaß. Im nächsten Augenblicke jedoch sah man ihm schon an, daß er diese Anerkennung bereute.

„Das war wieder Shatterhand,“ sagte der Surveyor Wheeler.

Ich achtete nicht auf diese Worte, sondern hielt mein Auge auf Rattlers Kameraden gerichtet. Sie waren sichtlich wütend, aber es wagte keiner, mit mir anzubinden. Sie murrten und fluchten unter sich; aber das war auch alles, was sie taten.

„Nehmt Rattler doch einmal ernstlich vor, Mr. Bancroft,“ forderte ich den Oberingenieur auf. „Ich habe ihm nichts getan, und doch sucht er sich stets an mir zu reiben. Ich fürchte, es kommt noch Mord und Totschlag hier im Lager vor. Lohnt ihn ab, und wenn Euch das nicht beliebt, nun, so kann ich ja gehen.“

„Oho, Sir, so schlimm ist die Sache denn doch wohl nicht!“

„Ja, so schlimm ist sie. Hier habt Ihr sein Messer und seinen Revolver. Gebt ihm diese Waffen nicht eher, als bis er sich beruhigt hat, nachdem er wieder zu sich gekommen ist. Denn ich sage Euch, ich wehre mich meiner Haut, und wenn er mir noch einmal mit einer Waffe kommt, so schieße ich ihn nieder. Ihr nennt mich ein Greenhorn, aber ich kenne doch die Gesetze der Prairie. Wer mir mit dem Messer oder der Kugel droht, den darf ich augenblicklich erschießen.“

Dies galt natürlich nicht nur Rattlern, sondern auch seinen Westmännern, von denen keiner ein Wort dazu sagte. Jetzt wendete sich der Häuptling Intschu tschuna an den Oberingenieur:

„Mein Ohr hat jetzt vernommen, daß du unter den hiesigen Bleichgesichtern derjenige bist, welcher den Befehl führt. Ist dies so?“

„Ja,“ antwortete der Gefragte.

„So habe ich mit dir zu reden.“

„Was?“

„Das sollst du hören. Du stehst auf deinen Füßen; aber Männer sollen sitzen, wenn sie sich beraten.“

„Willst du unser Gast sein?“

„Nein, das ist unmöglich. Wie kann ich dein Gast sein, wenn du dich bei mir auf meinem Boden, in meinem Walde, meinem Tale, meiner Prairie befindest? Die weißen Männer mögen sich setzen. Was sind das für Bleichgesichter, welche da noch kommen?“

„Sie gehören zu uns.“

„So mögen sie sich auch mit zu uns setzen.“

Sam, Dick und Will kamen nämlich jetzt von ihrem Ritte zurück. Sie als erfahrene Westleute wunderten sich nicht über die Anwesenheit der Indianer, wurden aber besorgt, als sie hörten, wer die beiden seien.

„Und wer ist der dritte?“ fragte mich Sam.

„Er heißt Klekih-petra, und Rattler hat ihn Schulmeister genannt.“

„Klekih-petrah, der Schulmeister? Ach, von dem habe ich gehört, wenn ich nicht irre. Das ist ein sehr geheimnisvoller Mensch, ein Weißer, welcher schon lange bei den Apachen lebt und so eine Art von Missionär zu sein scheint, wenn er auch kein Priester ist. Freut mich, ihn zu sehen. Werde ihm einmal auf den Zahn fühlen, hihihihi.“

„Wenn er sich darauf fühlen läßt!“

„Wird mich doch nicht in die Finger beißen? Ist sonst noch etwas vorgekommen?“

„Ja.“

„Was?“

„Etwas sehr Wichtiges.“

„Dann heraus damit!“

„Ich habe das getan, wovor Ihr mich gestern warntet.“

„Weiß nicht, was Ihr meint. Habe Euch vor vielem gewarnt.“

„Grizzlybär.“

„Wie wo waaaaas? Etwa gar ein grauer Bär dagewesen?“

„Und was für einer!“

„Wo denn, wo? Ihr macht doch nur Spaß!“

„Fällt mir gar nicht ein. Da unten hinter dem Gebüsch im Walde. Hat den alten Bullen hineingeschafft.“

„Wirklich, wirklich? Alle Wetter, muß das grad dann passieren, wenn unsereiner nicht da ist! Hat es Tote gegeben?“

„Einen nämlich Rollins.“

„Und Ihr? Was habt Ihr getan? Habt Euch doch fern gehalten?“

„Ja.“

„Recht so! Möchte es aber fast nicht glauben.“

„Könnt es getrost glauben. Habe mich grad so fern von ihm gehalten, daß er mir nichts tun, ich ihm aber mein Messer viermal zwischen die Rippen stoßen konnte.“

„Seid Ihr gescheit! Habt ihn mit dem Messer angegriffen?“

„Ja. Hatte die Büchse nicht da.“

„Welch ein Kerl! Ein echtes, richtiges Greenhorn. Hat extra einen schweren Bärentöter mitgebracht, und nun der Bär kommt, schießt er mit dem Messer anstatt mit der Büchse. Sollte man so etwas für möglich halten? Wie ist es denn gekommen?“

„So, daß Rattler behauptet, ich hätte ihn nicht erlegt, sondern er.“

Ich erzählte ihm, wie sich der Vorgang abgespielt hatte, auch daß ich dann wieder mit Rattler zusammengeraten war.

„Mensch, Ihr seid wirklich ein ganz unglaublich leichtsinniger Kerl!“ rief er aus. „Hat noch nie einen Grizzly gesehen und geht darauf los, als ob es sich um einen alten Pudelhund handelte! Ich muß mir das Tier ansehen, sofort ansehen. Kommt, Dick und Will! Ihr müßt doch auch sehen, was dieses Greenhorn hier abermals für dumme Streiche gemacht hat.“ Er wollte fort, da aber in diesem Augenblicke Rattler wieder zu sich kam, wendete er sich zuvor an diesen:

„Hört, Mr. Rattler, ich habe Euch etwas mitzuteilen. Ihr habt abermals mit meinem jungen Freunde angebunden. Wenn Ihr dies noch einmal wagen solltet, so werde ich dafür sorgen, daß es überhaupt nicht wieder geschehen kann. Meine Geduld ist nun zu Ende. Merkt Euch das!“

Er entfernte sich mit Stone und Parker. Rattler machte ein grimmiges Gesicht, warf mir haßerfüllte Blicke zu, sagte aber nichts, doch war ihm anzusehen, daß er einer Mine glich, welche im nächsten Augenblicke platzen konnte.

Die beiden Indianer und Klekih-petra hatten sich in das Gras niedergelassen. Der Oberingenieur saß ihnen gegenüber, doch begannen sie ihre Unterhaltung noch nicht. Sie wollten die Rückkehr Sams abwarten, um zu hören, was für ein Urteil er abgeben werde. Er kam schon nach kurzer Zeit wieder und rief schon von weitem aus:

„Welch eine Dummheit ist es gewesen, auf den Grizzly zu schießen und dann zu fliehen. Wenn man ihm nicht standhalten will, so schießt man überhaupt nicht, sondern läßt ihn in Ruhe; dann tut er einem nichts. Dieser Rollins sieht gräßlich aus! Und wer soll den Bär erlegt haben?“

„Ich,“ rief Rattler rasch.

„Ihr? Womit denn?“

„Mit meiner Kugel.“

„Well, das stimmt ist richtig.“

„Dachte es!“

„Ja, der Bär ist an einer Kugel gestorben.“

„Also gehört er mir. Hört ihr es, ihr Leute! Sam Hawkens hat sich für mich erklärt,“ schrie Rattler triumphierend.

„Ja, für Euch. Eure Kugel ist ihm am Kopf vorbeigegangen und hat ihm ein Spitzchen vom Ohre weggenommen. Und an so einem Ohrenspitzchen stirbt so ein Grizzlybärchen natürlich auf der Stelle, hihihihi! Wenn es wirklich so ist, daß mehrere geschossen haben, so haben sie in ihrer Angst eben grad vorbeigeschossen; nur eine Kugel hat das Ohr gestreift; sonst ist keine Spur von einer Kugel vorhanden. Aber vier tüchtige Messerstiche sind da, zwei neben das Herz und zwei dann grad hinein. Wer aber hat gestochen?“

„Ich,“ antwortete ich.

„Ihr allein?“

„Weiter niemand.“

„So gehört der Bär Euch. Das heißt, da wir eine Gesellschaft bilden, so ist der Pelz Euer, und das Fleisch gehört allen; aber Ihr habt zu bestimmen, wie es verteilt wird. Das ist so Brauch im wilden Westen. Was sagt Ihr nun dazu, Mr. Rattler?“

„Hol Euch der Teufel!“

Er ließ noch einige grimmige Flüche hören und ging dann zum Wagen, auf welchem das Brandyfaß lag. Ich sah, daß er sich Branntwein in den Becher laufen ließ, und wußte, daß er nun so lange trinken würde, bis er nicht mehr konnte.

Diese Angelegenheit war nun geordnet, und so forderte Bancroft den Häuptling der Apachen auf, seinen Wunsch vorzutragen.

„Es ist kein Wunsch, sondern ein Befehl, welchen ich aussprechen will,“ antwortete Intschu tschuna stolz.

„Wir nehmen keine Befehle an,“ versicherte der Oberingenieur ebenso stolz.

Ueber das Gesicht des Häuptlings wollte es wie Aerger gleiten; er beherrschte sich aber und sagte in ruhigem Tone:

„Mein weißer Bruder mag mir einige Fragen beantworten und mir dabei die Wahrheit sagen. Hat er ein Haus da, wo er wohnt?“

„Ja.“

„Und einen Garten daran?“

„Ja.“

„Wenn nun der Nachbar einen Weg durch diesen Garten bauen wollte, würde das mein Bruder dulden?“

„Nein.“

„Die Länder jenseits der Felsenberge und im Osten des Mississippi gehören den Bleichgesichtern. Was würden diese dazu sagen, wenn die Indianer kämen und dort eiserne Pfade bauen wollten?“

„Sie würden sie fortjagen.“

„Mein Bruder hat die Wahrheit gesprochen. Nun aber kommen die Bleichgesichter hierher in dieses Land, welches uns gehört; sie fangen uns die Mustangs fort, sie töten unsre Büffel; sie suchen bei uns Gold und edle Steine. Nun wollen sie gar einen langen, langen Weg bauen, auf dem ihr Feuerroß laufen soll. Auf diesem Wege kommen dann immer mehr Bleichgesichter, welche über uns herfallen und uns auch noch das Wenige nehmen, was man uns gelassen hat. Was werden wir dazu sagen?“

Bancroft schwieg.

„Haben wir etwa weniger Recht als ihr? Ihr nennt euch Christen und sprecht immerfort von Liebe. Dabei aber sagt ihr: ihr könnt uns bestehlen und berauben; wir aber müssen ehrlich gegen euch sein. Ist das Liebe? Ihr sagt, euer Gott sei der gute Vater aller roten und aller weißen Menschen. Ist er nun unser Stiefvater, dagegen euer richtiger Vater? Gehörte nicht das ganze Land den roten Männern? Man hat es uns genommen. Was haben wir dafür bekommen? Elend, Elend und Elend! Ihr jagt uns immer weiter zurück und drängt uns immer weiter zusammen, so daß wir in kurzer Zeit elendiglich ersticken werden. Warum tut ihr das? Etwa aus Not, weil ihr keinen Raum mehr habt? Nein, sondern aus Habgier, denn in euern Ländern ist noch Platz für viele, viele Millionen. Jeder von euch möchte einen ganzen Staat, ein ganzes Land besitzen; der Rote aber, der wirkliche Eigentümer, darf nicht haben, wohin er sein Haupt zur Ruhe legt. Klekih-petra, welcher hier neben mir sitzt, hat mir von euerm heiligen Buche erzählt. Da ist zu lesen, daß der erste Mensch zwei Söhne hatte, von denen der eine den andern erschlug, so daß das Blut zum Himmel schrie. Wie ist es nun mit den zwei Brüdern, dem roten und dem weißen Bruder? Seid ihr nicht der Kain, und wir sind der Abel, dessen Blut zum Himmel schreit? Und dazu verlangt ihr noch, daß wir uns umbringen lassen sollen, ohne uns zu wehren! Nein, wir wehren uns! Wir sind von Ort zu Ort verjagt worden, weiter, immer weiter fort. Jetzt wohnen wir hier. Wir glaubten, einmal ausruhen und ruhig atmen zu können; aber da kommt ihr jetzt schon wieder, um einen Eisenweg abzustecken. Besitzen wir denn nicht dasselbe Recht, welches du in deinem Hause, in deinem Garten besitzest? Wollten wir unsere Gesetze anwenden, so müßten wir euch alle töten. Aber wir wünschen nur, daß eure Gesetze auch für uns gelten sollen. Tun sie das? Nein! Eure Gesetze haben zwei Gesichter, und diese dreht ihr uns zu, wie es zu euerm Vorteile ist. Du willst hier einen Weg bauen. Hast du uns um die Erlaubnis gefragt?“

„Nein, denn das habe ich nicht nötig.“

„Warum nicht? Ist dieses Land euer?“

„Ich denke es.“

„Nein. Es gehört uns. Hast du es uns abgekauft?“

„Nein.“

„Haben wir es dir geschenkt?“

„Nein, mir nicht.“

„Und auch keinem Andern. Bist du ein ehrlicher Mann und wirst hierher gesandt, um einen Weg für das Feuerroß zu bauen, so mußt du erst den Mann, der dich sendet, fragen, ob er das Recht dazu hat, und wenn er ja sagt, dir dies beweisen lassen. Das hast du aber nicht getan. Ich verbiete euch, hier weiter zu messen!“

Dieses letztere sagte er mit einem Nachdrucke, dem man den bittersten Ernst anhörte. Ich war erstaunt über diesen Indianer. Ich hatte viele Bücher über die rote Rasse und viele Reden gelesen, welche von Indianern gehalten worden waren, so eine aber nicht. Intschu tschuna sprach ein klares, deutliches Englisch; seine Logik war ebenso wie seine Ausdrucksweise diejenige eines gebildeten Mannes. Sollte er diese Vorzüge Klekih-petra, dem Schulmeister, zu verdanken haben?

Der Oberingenieur befand sich in großer Verlegenheit. Wenn er wahr und ehrlich sein wollte, so konnte er auf die vorgebrachten Beschuldigungen fast gar nichts entgegnen. Er brachte zwar einiges vor, aber das waren Spitzfindigkeiten, Verkehrungen und Trugschlüsse. Als ihm der Häuptling wieder antwortete und ihn in die Enge trieb, wendete er sich an mich:

„Aber, Sir, hört Ihr denn nicht, wovon gesprochen wird? Nehmt Euch doch der Sache an, und redet auch ein Wort!“

„Danke, Mr. Bancroft; ich bin als Surveyor hier, nicht aber als Advokat. Macht mit und aus der Sache, was Ihr wollt. Ich habe zu messen, nicht aber Reden zu halten.“

Da bemerkte der Häuptling im entscheidenden Tone:

„Es ist nicht nötig, daß fernere Reden gehalten werden. Ich habe gesagt, daß ich euch nicht dulde. Ich will, daß ihr noch heut von hier fortgeht, dahin, woher ihr gekommen seid. Entscheidet euch, ob ihr gehorchen wollt oder nicht. Ich gehe jetzt mit Winnetou, meinem Sohne, fort und werde wiederkommen nach der Zeit, welche die Bleichgesichter eine Stunde nennen. Dann sollt ihr mir Antwort geben. Geht ihr dann, so sind wir Brüder; geht ihr nicht, so wird das Kriegsbeil ausgegraben zwischen uns und euch. Ich bin Intschu tschuna, der Häuptling aller Apachen. Ich habe gesprochen. Howgh!“

Howgh ist ein indianisches Bekräftigungswort und heißt so viel wie Amen, basta, dabei bleibt’s, so geschieht’s und nicht anders! Er stand auf und Winnetou auch. Sie gingen fort und schritten langsam das Tal hinab, bis sie um eine Biegung verschwanden. Klekih-petra war sitzen geblieben. Der Oberingenieur wendete sich an ihn und bat ihn um guten Rat. Er antwortete:

„Macht was Ihr wollt, Sir! Ich bin ganz der Ansicht des Häuptlings. Es geschieht ein großes, fortgesetztes Verbrechen an der roten Rasse. Aber als Weißer weiß ich auch, daß der Indsman sich vergeblich wehrt. Wenn ihr heut von hier fortgeht, werden morgen Andere kommen, die euer Werk zu Ende führen. Aber warnen will ich euch. Der Häuptling meint es ernstlich.“

„Wohin ist er?“

„Er wird unsere Pferde holen.“

„Habt ihr denn welche mit?“

„Natürlich. Wir haben sie versteckt, als wir merkten, daß wir dem Bären nahe seien. Einen Grizzly sucht man doch nicht zu Pferde in seinem Verstecke auf.“

Er stand auch auf und schlenderte fort, jedenfalls um sich weiterem Fragen und Drängen zu entziehen. Ich ging ihm nach und fragte trotzdem:

„Sir, erlaubt Ihr mir, mit Euch zu gehen? Ich verspreche Euch, nichts zu sagen oder zu tun, was Euch inkommodiert. Es ist nur, weil ich mich so außerordentlich für Intschu tschuna interessiere und natürlich ebenso für Winnetou.“

Daß auch er selbst mir große Teilnahme einflößte, wollte ich ihm nicht sagen.

„Ja, kommt ein wenig mit, Sir,“ antwortete er. „Ich habe mich von den Weißen und ihrem Treiben zurückgezogen; ich mag nichts mehr von ihnen wissen; aber Ihr habt mir gefallen, und so wollen wir einen Spaziergang miteinander machen. Ihr scheint mir der verständigste von allen diesen Menschen zu sein. Habe ich recht?“

„Ich bin der jüngste und noch gar nicht smart; werde dies wohl auch nie werden. Das mag mir wohl das Aussehen eines leidlich gutherzigen Menschen geben.“

„Nicht smart? Dies ist doch jeder Amerikaner mehr oder weniger.“

„Ich bin kein Amerikaner.“

„Was denn, wenn Euch die Frage nicht belästigt?“

„Gar nicht. Ich habe keine Ursache, mein Vaterland, welches ich sehr liebe, zu verheimlichen. Ich bin ein Deutscher.“

„Ein Deutscher?“ fuhr er mit dem Kopfe schnell empor. „Dann heiße ich Sie willkommen, Landsmann! Das war es wohl, was mich gleich zu Ihnen zog. Wir Deutschen sind eigentümliche Menschen. Unsere Herzen erkennen einander als verwandt, noch ehe wir es uns sagen, daß wir Angehörige eines Volkes sind wenn es doch nun endlich einmal ein einiges Volk werden wollte! Ein Deutscher, der ein vollständiger Apache geworden ist! Kommt Ihnen das nicht außerordentlich vor?“

„Außerordentlich nicht. Gottes Wege erscheinen oft wunderbar, sind aber stets sehr natürliche.“

„Gottes Wege! Warum sprechen Sie von Gott und nicht von der Vorsehung, dem Schicksale, dem Fatum, dem Kismet?“

„Weil ich ein Christ bin und mir meinen Gott nicht nehmen lasse.“

„Recht so; Sie sind ein glücklicher Mensch! Ja, Sie haben recht: Gottes Wege erscheinen oft wunderbar, sind aber stets sehr natürliche. Die größten Wunder sind die Folgen natürlicher Gesetze, und die alltäglichsten Naturerscheinungen sind große Wunder. Ein Deutscher, ein Studierter, ein namhafter Gelehrter, und nun ein richtiger Apache; das scheint wunderbar; aber der Weg, der mich zu diesem Ziele geführt hat, ist ein sehr natürlicher.“

Hatte er mich erst halb widerwillig mit sich genommen, so freute er sich jetzt, sich aussprechen zu können. Ich merkte sehr bald, daß er ein bedeutender Charakter war, hütete mich aber, irgend eine, wenn auch noch so leise Frage nach seiner Vergangenheit zu tun. Er legte sich diese Rücksicht nicht auf und erkundigte sich ganz wacker nach meinen Verhältnissen. Ich antwortete ihm so ausführlich, wie es ihm lieb zu sein schien.

Wir hatten uns gar nicht weit vom Lager entfernt und uns unter einen Baum gelegt. Ich konnte sein Gesicht, sein Mienenspiel genau beobachten. Das Leben hatte tiefe Runen in dasselbe eingegraben, die langen Grundstriche des Grames, die durchquerenden Gedankenstriche des Zweifels, die Zickzacklinien der Not, der Sorge und Entbehrung. Wie oft mochte sein Auge düster, drohend, zornig, ängstlich, vielleicht auch verzweifelnd geblickt haben, und nun war es klar und ruhig wie ein Waldsee, den kein Windstoß kräuselt, der aber so tief ist, daß man nicht sehen kann, was auf seinem Grunde ruht. Als er alles Wissenswerte von mir gehört hatte, nickte er leise vor sich hin und sagte:

„Sie stehen am Anfange der Kämpfe, an deren Ende ich angekommen bin; aber diese werden für Sie nur äußerliche, keine inneren sein. Sie haben Gott, den Herrn, bei sich, der Sie nie verlassen wird. Bei mir war es anders. Ich hatte Gott verloren, als ich aus der Heimat ging, und nahm an Stelle des Reichtumes, den ein fester Glaube bietet, das Schlimmste mit, was der Mensch besitzen kann, nämlich ein böses Gewissen.“

Er sah mich bei diesen Worten forschend an. Als er mein Gesicht ruhig bleiben sah, fragte er:

„Erschrecken Sie da nicht?“

„Nein.“

„Aber ein böses Gewissen! Bedenken Sie doch!“

„Pah! Sie sind kein Dieb, kein Mörder gewesen. Einer niedrigen Gesinnung waren Sie nie fähig.“

Er drückte mir die Hand und sprach:

„Ich danke Ihnen herzlich! Und doch irren Sie sich. Ich war ein Dieb, denn ich habe viel, ach so viel gestohlen! Und das waren kostbare Güter! Und ich war ein Mörder. Wie viele, viele Seelen habe ich gemordet! Ich war Lehrer an einer höheren Schule; wo, das zu sagen, ist nicht nötig. Mein größter Stolz bestand darin, Freigeist zu sein, Gott abgesetzt zu haben, bis auf das Tüpfel nachweisen zu können, daß der Glaube an Gott ein Unsinn ist. Ich war ein guter Redner und riß meine Hörer hin. Das Unkraut, welches ich mit vollen Händen ausstreute, ging fröhlich auf, kein Körnchen ging verloren. Da war ich der Massendieb, der Massenräuber, der den Glauben an und das Vertrauen zu Gott in ihnen tötete. Dann kam die Zeit der Revolution. Wer keinen Gott anerkennt, dem ist auch kein König, keine Obrigkeit heilig. Ich trat öffentlich als Führer der Unzufriedenen auf; sie tranken mir die Worte förmlich von den Lippen, das berauschende Gift, welches ich freilich für heilsame Arznei hielt; sie stürmten in Scharen zusammen und griffen zu den Waffen. Wie viele, viele fielen im Kampfe! Ich war ihr Mörder, und nicht etwa der Mörder dieser allein. Andere starben später hinter Kerkermauern. Auf mich wurde natürlich mit allem Fleiße gefahndet; ich entkam. Ich verließ das Vaterland, ohne mich zu grämen. Keine liebende Seele weinte um mich; ich hatte weder Vater noch Mutter mehr, weder Bruder, Schwester noch sonstige Verwandte. Kein Auge weinte um mich, aber wie viele, viele wegen mir! Daran dachte ich aber gar nicht, bis diese Erkenntnis über mich kam wie ein Keulenschlag, der mich beinahe zu Boden streckte. Am Tage, bevor ich die schützende Grenze erreichte, wurde ich von der Polizei gehetzt, die mir hart auf den Fersen war. Es ging durch ein armes Fabrikdorf. Dem sogenannten Zufalle folgend, rannte ich durch ein kleines Gärtchen in ein armseliges Häuschen und vertraute mich, ohne meinen Namen zu nennen, einem alten Mütterchen und ihrer Tochter an, die ich in der niedrigen Stube fand. Sie versteckten mich um ihrer Männer willen, deren Kamerad ich gewesen sei, wie sie sagten. Dann saßen sie bei mir im dunkeln Winkel und erzählten mir unter bitteren Tränen von ihrem Herzeleide. Sie waren arm, aber zufrieden gewesen; die Tochter hatte sich erst vor einem Jahre verheiratet gehabt. Ihr Mann hörte eine meiner Reden und wurde durch dieselbe verführt. Er nahm seinen Schwiegervater mit auf die nächste Versammlung, und das Gift wirkte auch auf diesen. Ich hatte diese vier braven Menschen um ihr Lebensglück gebracht. Der junge Mann fiel auf dem Schlachtfelde, welches kein Feld der Ehre war, und der alte Vater wurde zu mehrjähriger Zuchthausstrafe verurteilt. Dies erzählten mir die Frauen, die mich, der an ihrem Unglücke schuld war, gerettet hatten. Sie nannten meinen Namen als den des Verführers. Das war der Keulenschlag, welcher mich, nicht äußerlich, sondern innerlich traf. Gottes Mühle begann zu mahlen. Die Freiheit war mir geblieben, aber im Innern litt ich Qualen, zu denen mich kein Richter hätte verurteilen können. Ich irrte hier aus einem Staate in den andern, trieb bald dies bald jenes und fand nirgends Ruhe. Das Gewissen peinigte mich aufs entsetzlichste. Wie oft bin ich dem Selbstmorde nahe gewesen; immer hielt mich eine unsichtbare Hand zurück Gottes Hand. Sie leitete mich nach Jahren der Qual und der Reue zu einem deutschen Pfarrer in Kansas, der meinen Seelenzustand erriet und in mich drang, mich ihm mitzuteilen. Ich tat es zu meinem Glücke. Ich fand, freilich erst nach langen Zweifeln, Vergebung und Trost, festen Glauben und inneren Frieden. Herrgott, wie danke ich dir dafür!“

Er hielt inne, faltete die Hände und warf einen langen, langen, leuchtenden Blick zum Himmel empor. Dann fuhr er fort:

„Um mich innerlich zu festigen, floh ich die Welt und die Menschen; ich ging in die Wildnis. Aber nicht der Glaube allein ist’s, welcher selig macht. Der Baum des Glaubens muß die Früchte der Werke tragen. Ich wollte wirken, womöglich grad entgegengesetzt meinem früheren Wirken. Da sah ich den roten Mann sich verzweiflungsvoll sträuben gegen den Untergang; ich sah die Mörder in seinem Leibe wühlen, und das Herz ging mir über von Zorn, von Mitleid und Erbarmen. Sein Schicksal war beschlossen; ich konnte ihn nicht retten; aber eins zu tun, das war mir möglich: ihm den Tod erleichtern und auf seine letzte Stunde den Glanz der Liebe, der Versöhnung fallen lassen. Ich ging zu den Apachen und lernte es, mein Wirken ihrer Individualität anzubequemen. Ich habe Vertrauen gefunden und Erfolge errungen. Ich wollte, Sie könnten Winnetou kennen lernen; er ist so eigentlich mein eigenstes Werk. Dieser Jüngling ist groß angelegt. Wäre er der Sohn eines europäischen Herrschers, so würde er ein großer Feldherr und ein noch größerer Friedensfürst werden. Als Erbe eines Indianerhäuptlings aber wird er untergehen, wie seine ganze Rasse untergeht. Könnte ich doch den Tag erleben, an welchem er sich einen Christen nennt! Wo nicht, so will ich wenigstens bis zum Tage meines Todes bei ihm sein in jeder Anfechtung, Gefahr und Not. Er ist mein geistiges Kind; ich liebe ihn mehr als mich selbst, und wäre mir einmal das Glück beschieden, die tödliche Kugel, die ihm gelten soll, in meinem Herzen aufzufangen, so würde ich mit Freuden für ihn sterben und dabei denken, daß dieser Tod zugleich eine letzte Sühne meiner früheren Sünden sei!“

Er schwieg und senkte den Kopf. Ich war tief bewegt und sagte nichts, denn ich hatte das Gefühl, als ob jede Bemerkung nach einem solchen Bekenntnisse trivial klingen müsse; aber ich nahm seine Hand in die meinige und drückte sie herzlich. Er verstand mich und gab mir dies durch ein leises Nicken und einen Gegendruck zu erkennen. Es verging eine ganze Weile, bis er leise fragte:

„Woher es nur kommt, daß ich Ihnen dies erzählt habe? Ich sehe Sie heut zum erstenmal und werde Sie vielleicht nie wiedersehen. Oder ist es auch eine Gottesfügung, daß ich hier und jetzt mit Ihnen zusammengetroffen bin? Sie sehen, ich, der frühere Gottesleugner, suche jetzt alles auf diesen höhern Willen zurückzuführen. Es ist mir mit einemmal so sonderbar, so weich, so wehe um das Herz, doch ist dies wehe kein schmerzliches Gefühl. Eine ganz ähnliche Stimmung überkommt einen, wenn im Herbste die Blätter fallen. Wie wird sich das Blatt meines Lebens vom Baume lösen? Leise, leicht und friedlich? Oder wird es abgeknickt, noch ehe die natürliche Zeit gekommen ist?“

Er blickte wie in stiller, unbewußter Sehnsucht das Tal hinab. Von dorther sah ich Intschu tschuna und Winnetou kommen. Sie saßen jetzt auf Pferden und führten dasjenige Klekih-petras ledig neben sich. Wir standen auf, um nach dem Lager zu gehen, wo wir mit beiden zugleich ankamen. Am Wagen lehnte Rattler mit feuerrotem, aufgedunsenem Gesichte und stierte zu uns herüber. Er hatte während der kurzen Zeit so viel getrunken, daß er nun nicht mehr trinken konnte, ein schrecklicher, ein ganz vertierter Mensch! Sein Blick war heimtückisch wie derjenige eines wilden Stieres, welcher zum Angriffe schreiten will. Ich nahm mir vor, ein Auge auf ihn zu haben.

Der Häuptling und Winnetou waren von ihren Pferden gestiegen und traten zu uns. Wir standen in einem ziemlich weiten Kreise beisammen.

„Nun, haben meine weißen Brüder sich überlegt, ob sie hier bleiben oder fortgehen wollen?“ fragte Intschu tschuna.

Der Oberingenieur war auf einen vermittelnden Gedanken gekommen; er antwortete:

„Wenn wir auch fortgehen wollten, so müssen wir doch hier bleiben, um den Befehlen zu gehorchen, welche wir empfangen haben. Ich werde noch heut einen Boten nach Santa Fé senden und anfragen lassen; dann kann ich dir Antwort geben.“

Das war gar nicht so übel ausgedacht, denn bis der Bote zurückkehrte, mußten wir mit unserer Arbeit fertig sein. Der Häuptling aber sagte in bestimmtem Tone:

„So lange warte ich nicht. Meine weißen Brüder müssen mir sofort sagen, was sie tun wollen.“

Rattler hatte sich einen Becher mit Brandy gefüllt und war zu uns gekommen. Ich dachte, er habe es auf mich abgesehen, aber er trat jetzt zu den beiden Indianern und sagte mit lallender Zunge:

„Wenn die Indsmen mit mir trinken, so tun wir ihnen den Willen und gehen fort, sonst nicht. Der Junge mag anfangen. Hier hast du das Feuerwasser, Winnetou.“

Er hielt ihm den Becher hin. Winnetou trat mit einer abweisenden Gebärde zurück.

„Was, du willst keinen Drink mit mir tun? Das ist eine verdammte Beleidigung. Hier hast du den Brandy ins Gesicht, verfluchte Rothaut. Lecke ihn dir ab, da du ihn nicht trinken willst!“

Ehe es Einer von uns zu verhindern vermochte, schleuderte er dem jungen Apachen den Becher nebst Inhalt in das Gesicht. Das war nach indianischen Begriffen eine todeswürdige Beleidigung, welche auch sofort, wenn auch nicht so streng bestraft wurde, denn Winnetou schlug dem Frevler die Faust in das Gesicht, daß er zu Boden stürzte. Er raffte sich mühsam wieder auf. Schon machte ich mich zum Einschreiten gefaßt, denn ich glaubte, er werde zur Tätlichkeit schreiten; dies geschah aber nicht; er starrte den jungen Apachen nur drohend an und wankte dann fluchend wieder nach dem Wagen zurück.

Winnetou trocknete sich ab und zeigte, grad wie sein Vater, eine starre, unbewegte Miene, der man nicht ansehen konnte, was im Innern vorging.

„Ich frage noch einmal,“ sagte der Häuptling; „dies ist das letzte Mal. Werden die Bleichgesichter noch heut dieses Tal verlassen?“

„Wir dürfen nicht,“ lautete die Antwort.

„So verlassen aber wir es. Es ist kein Friede zwischen uns.“

Ich machte noch einen Versuch der Vermittelung, doch vergeblich; die drei gingen zu ihren Pferden. Da erscholl vom Wagen her Rattlers Stimme:

„Immer fort mit euch, ihr roten Hunde! Aber den Hieb ins Gesicht soll mir der Junge sofort bezahlen!“

Zehnmal schneller, als man es ihm bei seinem Zustande zutrauen konnte, hatte er ein Gewehr aus dem Wagen genommen und schlug es auf Winnetou an. Dieser stand im Augenblicke frei und ohne Deckung; die Kugel mußte ihn treffen, denn es geschah alles so schnell, daß ihn keine Bewegung retten konnte. Da schrie Klekih-petra voller Angst auf:

„Weg, Winnetou, schnell weg!“

Zu gleicher Zeit sprang er hin, um sich schützend vor den jungen Apachen zu stellen. Der Schuß krachte; Klekih-petra fuhr sich, von der Gewalt des Kugelaufschlages halb umgedreht, mit der Hand nach der Brust, taumelte einige Augenblicke hin und her und fiel dann auf die Erde nieder. In diesem Augenblicke stürzte aber auch Rattler, von meiner Faust getroffen, zu Boden. Ich war, um den Schuß zu verhüten, rasch zu ihm hingesprungen, aber doch zu spät gekommen. Ein allgemeiner Schrei des Entsetzens war erschollen; nur die beiden Apachen hatten keinen Laut von sich gegeben. Sie knieten bei ihrem Freunde, der sich für seinen Liebling aufgeopfert hatte, und untersuchten stumm seine Wunde. Er war ganz nahe am Herzen in die Brust getroffen; das Blut schoß mit Gewalt hervor. Ich eilte auch hinzu. Klekih-petra hielt die Augen geschlossen; sein Gesicht wurde mit rapider Schnelligkeit bleich und hohl.

„Nimm seinen Kopf in deinen Schoß,“ bat ich Winnetou. „Wenn er das Auge öffnet und dich erblickt, wird sein Tod ein froher sein.“

Er kam dieser Aufforderung nach, ohne ein Wort zu sagen; keine seiner Wimpern zuckte; aber sein Blick hing unverwandt an dem Angesichte des Sterbenden. Da öffnete dieser langsam die Lider; er sah Winnetou über sich gebeugt; ein seliges Lächeln glitt über seine so schnell eingefallenen Züge, und er flüsterte:

„Winnetou, schi ya Winnetou Winnetou, o mein Sohn Winnetou!“

Dann schien es, als ob sein brechendes Auge noch jemanden suche. Es traf mich, und in deutscher Sprache bat er mich:

„Bleiben Sie bei ihm ihm treu mein Werk fortführen !“

„Ich tue es; ja, sicher, ich werde es tun!“

Da nahm sein Gesicht einen fast überirdischen Ausdruck an, und er betete mit immer mehr ersterbender Stimme:

„Da fällt mein Blatt abgeknickt nicht leise leicht es ist die letzte Sühne ich sterbe wie wie ich es gewünscht. Herrgott, vergieb vergieb! Gnade Gnade ! Ich komme komme Gnade.“

Er faltete die Hände noch ein krampfhafter Bluterguß aus der Wunde, und sein Kopf sank zurück er war tot!

Nun wußte ich, was ihn getrieben hatte, gegen mich sein Herz zu erleichtern Gottesfügung, hatte er gesagt. Er hatte gewünscht, für Winnetou sterben zu können; wie schnell war dieser Wunsch in Erfüllung gegangen! Die letzte Sühne, die er bringen wollte, er hatte sie gebracht. Gott ist die Liebe, die Barmherzigkeit; er zürnt dem Reuigen nicht ewig.

Winnetou bettete das Haupt des Toten in das Gras, stand langsam auf und sah seinen Vater fragend an.

„Dort liegt der Mörder; ich habe ihn niedergeschlagen,“ sagte ich. „Er mag Euer sein.“

„Feuerwasser!“

Nur diese kurze Antwort kam aus dem Munde des Häuptlings, doch in welchem grimmig verächtlichen Tone.

„Ich will euer Freund, euer Bruder sein; ich gehe mit euch!“ so drängte es sich mir über die Lippen.

Da spuckte er mir in das Gesicht und sagte:

„Räudiger Hund! Länderdieb für Geld! Stinkender Coyote! Wage es, uns zu folgen, so zermalme ich dich!“

Hätte mir das ein Anderer getan und gesagt, ich hätte ihm mit der Faust geantwortet. Warum tat ich es nicht? Hatte ich als Eindringling in fremdes Eigentum diese Züchtigung vielleicht verdient? Es war mehr instinktiv, daß ich sie mir gefallen ließ, doch, mich etwa nochmals anbieten, das konnte ich trotz des Versprechens, welches ich dem Toten gegeben hatte, nicht.

Die Weißen standen alle stumm dabei, voller Erwartung, was die beiden Apachen nun tun würden. Diese hatten keinen einzigen Blick mehr für uns. Sie hoben die Leiche auf das Pferd und banden sie da fest; dann stiegen sie auch in die Sättel, richteten den zusammensinkenden Körper Klekih-petras auf und ritten, ihn hüben und drüben stützend, langsam davon. Sie ließen kein Wort der Drohung, der Rache zurück; sie wendeten sich auch nicht einen einzigen Augenblick nach uns um; aber das war schlimmer, viel schlimmer, als wenn sie uns den fürchterlichsten Tod ganz offen geschworen hätten.

„Das war ja schrecklich und kann leicht noch schrecklicher werden!“ sagte Sam Hawkens. „Dort liegt der Schurke, noch immer leblos von Eurem Hiebe und vom Spiritus. Was tun wir nun mit ihm?“

Ich antwortete nicht; ich sattelte mein Pferd und ritt fort; ich mußte allein sein, um diese fürchterliche halbe Stunde wenigstens äußerlich zu verwinden. Es war am späten Abend, als ich müd und matt, körperlich und seelisch wie zerschlagen, im Lager wieder eintraf.

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