Der Königsschatz

Der einstige Indianeragent lehnte sich, von der Erzählung ermüdet, in seinen Stuhl zurück, nahm die beifälligen Äußerungen der Zuhörer ruhig hin und gab ihnen auf die Fragen, die sie noch hatten, um sich dieses und jenes ergänzen zu lassen, die erwünschten Auskünfte. Als diese Erkundigungen aber gar kein Ende nehmen wollten, bat er:

„Laßt mich nun in Ruhe, Mesch’schurs! Ich habe die Geschichte nicht erzählt, um mir einen ganzen Korb voll Fragen an den Kopf werfen zu lassen, sondern um zu beweisen, daß die Weißen oft schlechter sind als die Roten und daß ich Winnetou, den Häuptling der Apatschen, kenne. Wenn ihr aufmerksam zugehört habt, so müßt ihr sagen, daß der Bahnüberfall und der von dem Kapitän und seinen Leuten geplante Schurkenstreich fast nur durch seinen Scharfsinn und seine Tapferkeit so glücklich abgeschlagen wurden. Er ist eben ein Mann, mit dem sich kein andrer Indianer und wohl selten ein Weißer zu vergleichen vermag. Seine Gestalt ragt über alle andern hoch empor, und wenn er einmal untergegangen sein wird, wie seine ganze, beklagenswerte Nation dem Untergange geweiht ist, sein Name wird nicht untergehen und vergessen werden, sondern noch im Munde unsrer Kinder, unsrer Enkel und Urenkel weiterleben.“

Well, da habt Ihr recht, Sir,“ stimmte ein alter Herr bei, der an einem Nebentische saß und der Erzählung mit größter Aufmerksamkeit gelauscht hatte; „doch wenn Ihr es erlaubt, daß ein Fremder eine Ansicht äußern darf, mit der er Euch aber nicht beleidigen will, so möchte ich eine Bemerkung machen.“

„Nach der Weise, wie Ihr Euern Wunsch vorbringt, kann ich nicht annehmen, daß es Eure Absicht ist, mich zu beleidigen. Also, Eure Bemerkung?“

„Ihr sagtet, die Apatschen seien durch ihre Feigheit und Hinterlist bekannt gewesen, hätten sich durch sie den Schimpfnamen Pimo zugezogen und wären nur, seit er ihr Häuptling ist, geschickte Jäger und tapfere, ja verwegene Krieger geworden.“

„Das habe ich allerdings gesagt. Seid Ihr nicht damit einverstanden?“

„Nein.“

„Warum?“

„Weil ich sie anders kenne, und weil ich sie schon gekannt habe, als Winnetou noch ein Kind war. Ja, es giebt einige Stämme unter ihnen, denen die Natur ihrer Wohnsitze nichts, gar nichts zu bieten vermag und die darum nicht bloß körperlich, sondern auch geistig heruntergekommen sind. Daran sind aber die Weißen schuld, die sie von ihren einstigen, besseren Jagd- und Weidegründen verdrängt haben und nun glauben, sie verachten zu dürfen. Von andern Stämmen aber, und besonders von den Mescaleros, darf man das ja nicht sagen. Die Mescaleros besonders haben stets, und seit man sie kennt, die Eigenschaften gepflegt, welche bei Winnetou so voll und ganz zur Geltung kommen.“

„Kennt Ihr diesen Stamm, Sir?“

„Ihn ganz besonders; ich kannte ihn, wie bereits gesagt, als Winnetou noch ein Kind war. Ich habe nie, weder unter den Roten noch unter den Weißen, einen so wahren, edlen, treuen und aufopferungsfähigen Freund besessen, wie Intschu tschuna war.“

„Intschu tschuna? War das nicht der Vater Winnetous?“

„Ja. Auch dieser edle Indsman wurde von Weißen ermordet, er und Nscho-tschi, seine Tochter, die Schwester Winnetous, diese schönste, beste und seelenreinste Tschargooscha der Apatschen!“

„Seid Ihr auch Westmann gewesen?“

„Was man Westmann nennt, eigentlich nicht. Ich bin, was man einen Gelehrten nennt, ohne mich aber für sehr gelehrt zu halten. Mein Lieblingsfach war das ethnologische, und meine Studien litten mich nicht daheim. Ich interessierte mich besonders für die rote Rasse und befand mich den größten Teil des Jahres auf der Wanderung von einem Volke zum andern. Da lernte ich die Indianer kennen und – – schätzen; sie kannten und achteten auch mich, denn sie wußten, daß ich nicht als Feind, sondern als Freund zu ihnen kam. Ich wurde ihr Lehrer und Berater in vielen Dingen, und sie unterwiesen mich dafür im Gebrauche der Waffen und in allen Fertigkeiten, die zum Kriege und der Jagd gehören, obwohl ich ein Mann des Friedens war; aber jagen mußte ich doch, um mich zu ernähren, und zuweilen kam ich auch in die Lage, mich gegen einen Feind wehren zu müssen, der aber meist kein Indianer, sondern ein Weißer war. Ihr habt vorhin behauptet, daß die Weißen schlimmer seien als die Roten, und ich gebe Euch da vollständig recht. Ich könnte Euch manches, gar manches erzählen, was ein sprechender Beweis für diese Behauptung ist.“

„So thut es doch, Sir! Gebt uns wenigstens eine Eurer Erfahrungen zum besten!“

„Hm! Das könnte ich wohl thun, wenn die andern Gentlemen es auch wünschen.“

„Natürlich wünschen sie es! Wir sind heut einmal beim Erzählen, und das ist höchst interessant. Nicht wahr, Mutter Thick?“

Die Wirtin, welche eben wieder einige volle Gläser gebracht hatte, antwortete, als diese Frage an sie gerichtet wurde:

„Das will ich meinen, Sir! Seht Euch doch einmal im Zimmer um! Alles lauscht nach Eurem Tisch, und es ist noch nie bei mir so still und friedlich zugegangen wie jetzt. Ich meine auch, daß eine solche Geschichte viel besser und genteeler ist, als wenn die Gentlemen sich miteinander zanken und balgen und mir dabei die Tische und Stühle zerschlagen und die Flaschen und Gläser zerbrechen. Also nur zu, Sir; laßt uns Eure Erzählung hören!“

Well!“ nickte der Ethnologe. „Wenn es Euch recht ist, so soll eine vom Stapel laufen, und ich will versuchen, es auch so hübsch und fließend zu machen wie die andern Masters vor mir. Also, es mag beginnen:

„Es war ein wunderbar schöner Junimorgen, eine wirkliche Seltenheit in jener weit entlegenen Ecke, welche der nordwestliche Winkel des Indianerterritoriums mit den geradlinigen Grenzen von Kansas, Colorado und Neu-Mexiko bildet. Es hatte während der Nacht ziemlich stark getaut; nun funkelten an Halmen und Zweigen brillantene Tropfen, und der eigenartige Duft des Büffelgrases und der kurzlockigen Grama erhielt eine so erquickende Frische, daß die Lunge das balsamische Cumarin in langen, tiefen Zügen einatmete.

Ein solcher Morgen pflegt auf die Stimmung des Menschen von wohlthätiger Wirkung zu sein, und doch ritt ich ziemlich verdrossen in den prachtvollen Tag hinein. Der Grund war ein sehr einfacher: mein Pferd ging lahm. Es war vorgestern beim Galoppieren an einer Wurzel hängen geblieben. Und in der Prairie ein lahmes Pferd zu reiten, das ist nicht nur ärgerlich, sondern es kann unter Umständen sogar von den verhängnisvollsten Folgen sein. Bei den dort täglich drohenden Gefahren hängen Leben und Sicherheit des Jägers nur zu oft von der Brauchbarkeit seines Tieres ab.

Ich hatte mit einigen Coloradomännern droben in der Nähe von Spanish Peaks gejagt und war dann über die Willow-Springs hierher nach dem Nescutunga-Creek gekommen, um an dessen rechtem Ufer mit Will Salters zusammenzutreffen, mit welchem ich vor Monaten in Nebraska Biber gefangen und dann beim Scheiden das gegenwärtige Stelldichein verabredet hatte. Wir wollten das Indianerterritorium bis an die südöstliche Grenze durchreiten und dann gerade nach Westen in den Llano estacado gehen, um diese berüchtigte Wüste kennen zu lernen.

Dazu war ein gutes Pferd unbedingt nötig, und das meinige lahmte. Es hatte mich treu durch viele Gefahren getragen; ich wollte es gegen kein anderes vertauschen, und so war ich gezwungen, ihm Ruhe zu gönnen, bis der Fuß sich wieder eingerichtet haben würde. Die dadurch entstehende Zeitversäumnis war höchst unangenehm, und so erschien es nicht ganz ungerechtfertigt, daß ich mich nicht bei guter Laune befand.

Während mein Mustang langsam über die Prairie hinkte, sah ich mich nach Anzeichen um, aus denen ich die Nähe des Flusses zu erraten vermochte. Da, wo ich ritt, gab es nur vereinzeltes Buschwerk. Nach Norden aber zog sich eine dunkle Linie hin, welche mich auf geschlosseneren Baumund Strauchwuchs schließen ließ. Ich lenkte also nach dieser Richtung ab, denn wo sich mehr Vegetation findet, muß auch mehr Wasser sein.

Ich hatte recht gehabt. Die dunkle Linie bestand aus Mezquite- und wilden Kirschensträuchern, welche sich an beiden Ufern des Flusses hinzogen. Dieser letztere war nicht breit und, wenigstens an der Stelle, an welcher ich auf ihn traf, auch nicht tief.

Ich ritt langsam am Ufer hin, aufmerksam nach einem Zeichen Will Salters‘ suchend, der ja schon vor mir hier angekommen sein konnte.

Und richtig! Im seichten Wasser lagen zwei große Steine hart nebeneinander, zwischen welche ein größerer Ast so eingeklemmt war, daß der kleine Zweig, welcher sich an demselben befand, flußabwärts wies.

Dies war unser verabredetes Zeichen, welches ich in kurzen Unterbrechungen nochviermal bemerkte. Salters befand sich hier und war dem Laufe des Wassers nachgeritten. Da seine Fährte nicht mehr zu erkennen war und die Blätter der Signalzweige sich bereits in welkem Zustande befanden, so war Salters nicht später als höchstens gestern hier gewesen.

Nach einiger Zeit bog der Fluß noch mehr nach Norden ab; er schien einen Bogen zu machen. An dieser Stelle zeigte der Ast, welchen Will in den Ufersand gesteckt hatte, in die Prairie hinein. Er war also dem Flusse nicht gefolgt; er hatte den Bogen des Flusses auf der Sehnenlinie abschneiden wollen. Ich that natürlich ganz dasselbe.

Nun gewahrte ich gerade vor mir einen nicht sehr hohen, einzeln, stehenden und zerklüfteten Berg, welcher vermöge seiner isolierten Lage ganz geeignet war, dem einsamen Westmanne als Fanal zu dienen. In einer guten halben Stunde hatte ich ihn erreicht. Sein Gipfel war kahl, der untere Teil nur von Buschwerk bestanden, und zwar sehr dürftig. Darum wunderte ich mich, an der Ostseite, als ich ihn umritten hatte, mehrere Gruppen von Platanen zu erblicken, von denen die stärkste sicher über tausend Jahre alt war. Es fiel mir auf, daß das Erdreich hier in einem beträchtlichen Umkreise tief aufgewühlt war. Es gab da Löcher von einigen Metern Tiefe, sichtlich mit Hacke und Schaufel ausgearbeitet. Gab es hier in dieser entlegenen Gegend Menschen? Wozu waren diese Löcher gemacht worden?

Ich ritt weiter, hielt aber bereits nach kurzer Zeit wieder an, denn ich gewahrte eine Fußspur im Grase. Als ich abgestiegen war, um sie genau zu untersuchen, fand ich, daß sie von einem weiblichen oder noch nicht ausgewachsenen männlichen Fuße, welcher mit indianischem, absatzlosem Mokassin bekleidet gewesen war, herrührte. Gab es hier Indianer? Oder hatte ein Weißer indianisches Schuhwerk getragen? Die Eindrücke beider Füße waren gleichmäßig; jetzt fiel mir dieser Umstand nicht besonders auf; später jedoch sollte ich an ihn erinnert werden.

Eigentlich hätte ich dieser Fährte folgen sollen; aber sie führte nach Norden, dem Flusse zu, während meine Richtung ostwärts ging; ich wollte baldigst auf Salters treffen; darum stieg ich wieder auf und ritt weiter.

Nach einiger Zeit dachte ich, aus gewissen Anzeichen schließen zu müssen, daß diese Gegend nicht so unbesucht sei, wie ich vorher geglaubt hatte. Einzelne zerknickte Halme, an den Zweigen gebrochene Ästchen, hier und da ein wie von einem menschlichen Fuße zu Mehl zertretenes Steinchen ließen vermuten, daß hier irgend ein Nachkomme des ersten Menschenpaares vorüber gekommen sei. Darum war ich auch nur erstaunt, nicht aber erschrocken, als ich später, den Fluß wieder erreichend, hart am Ufer desselben ein mit jungen Tabaks- und Maispflanzen bestecktes Feld bemerkte. Jenseits desselben erhob sich ein niedriges Blockhaus mit einer hohen, aber sehr beschädigten Fenz um den ziemlich beträchtlichen Vorplatz.

Also eine Farm hier am Nescutunga-Creek! Wer hätte das denken sollen! Hinter der Fenz rieb sich ein alter, spitzhüftiger Gaul den Kopf an dem leeren Futtertroge, und außerhalb derselben erblickte ich einen jungen Menschen, welcher beschäftigt war, eine schadhafte Stelle der Umzäunung auszubessern.

Er schien über mein Erscheinen zu erschrecken, blieb aber stehen, bis ich bei ihm anhielt.

Good morning!“ grüßte ich ihn. „Darf ich erfahren, wie der Besitzer dieses Hauses heißt?“

Er strich sich mit der Hand durch das dichte blonde Haar, betrachtete mich forschend mit den prächtigen, germanisch blauen Augen und antwortete:

„Rollins heißt er, Sir.“

„Du bist der Sohn?“

Ich nannte ihn Du, weil er wohl kaum mehr als sechzehn Jahre zählte, obgleich sein kräftig entwickelter Körper gleichsam auf ein höheres Alter deutete. Er antwortete:

„Ja, der Stiefsohn.“

„Ist dein Vater daheim?“

„Seht Euch um! Da ist er.“

Er deutete nach der engen, niedrigen Thür, aus welcher soeben ein Mann trat, welcher sich bücken mußte, um oben nicht anzustoßen. Er war sehr lang, sehr hager und schmalbrüstig, und zwischen den wenigen Haaren seines dünnen Vollbartes blickte die Gesichtshaut wie gegerbtes Leder hervor. Seine Yankeephysiognomie verfinsterte sich, als er mich sah. Er hatte ein altes Gewehr und eine Hacke in den Händen und legte beides nicht weg, als er langsam auf mich zutrat. Er richtete den stechenden Blick feindselig auf mich und erkundigte sich mit heiser klingender Stimme:

„Was wollt Ihr hier!?“

„Zunächst will ich Euch fragen, Master Rollins, ob nicht vielleicht gestern oder vorgestern ein Mann bei Euch vorgesprochen hat, der sich Salters nannte und irgend einen Auftrag zurückgelassen hat.“

Da antwortete der Sohn schnell:

„Das war gestern früh, Sir. Dieser Salters war –“

Er konnte nicht weiter sprechen. Sein Vater stieß ihm den Gewehrkolben in die Seite, daß der arme junge wimmernd gegen die Fenz taumelte, und rief zornig:

„Willst du schweigen, Kröte! Wir haben keine Lust, einen jeden Landstreicher zu bedienen!“ Und zu mir gewendet, fuhr er fort: „Macht Euch von dannen, Mann! Ich wohne weder für Euch, noch für Euren Salters hier!“

Das war einfach grob. Ich hatte meine eigne Hinterwaldsmanier, solche Leute zu behandeln. Ich stieg gemütlich vom Pferde, band es an die Fenz und sagte:

„Diesesmal werdet Ihr doch eine Ausnahme machen müssen, Master Rollins. Mein Pferd geht lahm, und ich werde hier bei Euch bleiben, bis es geheilt ist.“

Er trat einen Schritt zurück, maß mich mit zornblitzenden Augen vom Kopfe bis zu den Füßen herab und schrie:

„Seid Ihr toll? Mein Haus ist kein Boardinghaus, und wer sich hier breit machen will, dem brenne ich sehr einfach eine Ladung Schrot auf den Pelz. Zounds! Da ist ja auch dieser miserable Indsman wieder! Warte, Bursche, dich will ich forträuchern!“

Ich folgte schnell mit meinem Blicke dem seinigen, welcher bei den letzten Worten auf ein nicht sehr entferntes Buschwerk gerichtet war. Von dorther kam ein junger Indianer herbeigeschritten. Rollins erhob das Gewehr und legte auf ihn an. Er drückte gerade in demselben Augenblicke ab, in welchem ich ihm den Lauf zur Seite schlug. Der Schuß krachte, ging aber fehl.

„Hund! Du vergreifst dich an mir?“ brüllte mich der Yankee an. „Da, nimm das dafür!“

Er drehte schnell das Gewehr um und holte zum Kolbenhiebe aus. Die Hacke hatte er vorher, um schießen zu können, weggelegt. Ich stieß ihm die Faust unter den erhobenen Arm und schleuderte ihn so kräftig gegen die Fenz, daß sie unter ihm zusammenbrach. Die Büchse entfiel ihm und ich griff sie auf, ehe er sich wieder erhoben hatte. Er riß im Aufstehen das Messer aus der Scheide und gurgelte mit vor Zorn erstickter Stimme:

„Mir das! Auf meinem Grund und Boden! Das kostet Blut und Leben!“

Ich hatte ebenso schnell meinen Revolver in der Hand, hielt ihm denselben entgegen und antwortete:

„Ihr meint wohl Euer Blut und Leben? Steckt sofort das Messer ein! Meine Kugel ist schneller als Eure Klinge, Mann!“

Er ließ den bereits erhobenen Arm sinken und hielt die Augen nicht gegen mich, sondern nach der andern Ecke des Blockhauses gerichtet. Dort hielt ein Reiter, welcher unbemerkt von uns herbeigekommen war und mir lachend zurief:

„Schon bei der Arbeit, alter Bursche? Recht so! Schlage den Kerl nieder; er hat es verdient. Aber gieb ihm keine Kugel, denn einen Schuß Pulvers ist er nicht wert.“

Dieser Reiter war Will Salters. Er kam vollends herbei, gab mir die Hand und fuhr fort:

Welcome, Kamerad! Wenn es nach diesem Scurvy fellow gegangen wäre, hättest du mich nicht wiedergefunden. Ich schätze, er hat dich grad so empfangen, wie gestern mich. Dafür erhielt er einige Nasenstüber, für welche er mir eine Kugel nachschickte, die aber höflicher war als er; sie wich mir weit zur Seite aus. Ich wollte dich hier bei ihm erwarten, durfte aber nicht, sagte jedoch seinem Sohne, daß ich heut‘ zurückkehren würde, um zu sehen, ob der Mann bei besserer Laune sei. Wenn es dir recht ist, geben wir ihm eine Lektion im Umgange mit unsersgleichen. Ich will mich einstweilen seiner Persönlichkeit versichern!“

Er stieg ab. Da raffte Rollins die Hacke vom Boden auf und floh in weiten Sprüngen davon. Wir blickten ihm verwundert nach. Sein Verhalten war befremdend. Erst rücksichtslose Grobheit und nun feige Flucht! Wir kamen nicht dazu, eine Bemerkung darüber zu machen, denn aus der Thür, hinter welcher sie bisher ängstlich versteckt gewesen war, trat jetzt eine Frau. Sie hatte Rollins hinter den Büschen verschwinden sehen und sagte, froh aufatmend:

„Gott sei Dank! Ich glaubte schon, es werde zum Blutvergießen kommen. Er ist betrunken. Er hat während der ganzen Nacht phantasiert und dann die letzte Flasche Brandy ausgetrunken!“

„Ihr seid seine Frau?“ fragte ich.

„Ja. Ich hoffe, daß ich es nicht zu entgelten habe, Mesch’schurs! Ich kann ja nichts dafür.“

„Das wollen wir glauben. Fast möchte man annehmen, daß Euer Mann geistig gestört sei.“

„Das ist er leider auch. O Gott, ihr glaubt gar nicht, wie unglücklich ich bin! Er bildet sich ein, daß ein Schatz hier in der Nähe vergraben liege. Den will er heben. Kein andrer soll ihn finden, und darum duldet er keinen Menschen in dieser Gegend. Hier dieser junge Indsman ist schon seit vier Tagen hier. Er konnte nicht weiter, weil er sich den Fuß vertreten hat, und wollte bei uns bleiben, bis er wieder richtig laufen kann; aber Rollins jagte ihn fort. Nun muß der arme Teufel im Freien kampieren.“

Sie deutete auf den Indianer, welcher herbei gekommen war. Es war alles so schnell geschehen, daß ich ihn noch nicht wieder hatte beachten können.

Er mochte achtzehn Jahre alt sein. Sein Anzug war aus mit Gehirn gegerbter Hirschhaut gefertigt und an den Nähten ausgefranst. Diese Fransen waren nicht mit Menschenhaaren geschmückt; er hatte also noch keinen Feind getötet. Sein Kopf war unbedeckt. Seine Waffen bestanden aus einem Messer und Bogen mit Köcher. Er durfte wohl noch kein Feuergewehr tragen. Um den Hals trug er eine messingene Kette, an welcher das Rohr einer Friedenspfeife hing; der Kopf derselben fehlte. Das war das Zeichen, daß er sich auf der Wallfahrt nach den heiligen Steinbrüchen befand, aus welchen die Indianer den Pfeifenthon beziehen. Während dieser Reise ist ein jeder unverletzlich. Selbst der blutgierigste Gegner muß ihn da unbeschädigt ziehen lassen, ja, ihn nötigenfalls sogar beschützen.

Die offenen, intelligenten Züge dieses Jünglings gefielen mir. Das Gesicht hatte einen fast kaukasischen Schnitt. Die Augen waren sammetschwarz und mit dem Ausdrucke des Dankes auf mich gerichtet. Er streckte mir die Hand entgegen und sagte:

„Du hast Ischarshiütuha beschützt. Ich bin dein Freund!“

Diese letztere Versicherung klang sehr stolz; das gefiel mir ebenso wie der Sprecher selbst. Sein Name aber frappierte mich. Ischarshiütuha ist ein apatschisches Wort und heißt so viel wie kleiner Hirsch, darum fragte ich:

„Bist du ein Apatsche?“

„Ischarshiütuha ist der Sohn eines großen Kriegers der Mescalero-Apatschen, der tapfersten roten Männer.“

„Sie sind meine Freunde, und Intschu tschuna, der größte ihrer Häuptlinge, ist mein Bruder.“

Sein Blick fuhr rasch und scharf an meiner Gestalt empor. Dann fragte er:

„Intschu tschuna ist der tapferste der Helden. Wie nennt er dich?“

„Yato-inta.“

Da trat er um mehrere Schritte zur Seite, senkte den Blick und sagte.

„Die Söhne der Apatschen kennen dich. ich bin noch kein Krieger; ich darf nicht mit dir sprechen.“

Das war die Demut eines Indianers, welcher den Rang eines andern offen anerkennt, den Kopf aber nicht um einen Zehntelzoll niederbeugt.

„Du darfst mit mir sprechen, denn du wirst einst ein berühmter Krieger sein. Du wirst in kurzer Zeit nicht mehr Ischarshiütuha, der kleine Hirsch, heißen, sondern Pehnulte, der große Hirsch. Du hast einen kranken Fuß?“

„Ja.“

„Und bist aus deinem Wigwam ohne Pferd gegangen?“

„Ich hole den heiligen Pfeifenthon. ich laufe.“

„Dieses Opfer wird dem großen Geiste gefallen. Komm in das Haus!“

„Ihr seid Krieger, und ich bin noch jung. Erlaubt, daß ich bei meinem kleinen weißen Bruder bleibe!“

Er trat zu dem hübschen blonden, blauäugigen Knaben, welcher still und traurig dagestanden hatte, die Hand auf die Stelle gelegt, an welche ihn der Gewehrkolben seines Vaters getroffen hatte. Die beiden wechselten einen Blick, ganz unbewußt, mir aber sofort auffallend. Sie standen jedenfalls jetzt nicht zum erstenmale nebeneinander. Der kleine Hirsch war nicht ohne Absicht hier; er verbarg ein Geheimnis, vielleicht gar ein für die Bewohner des Blockhauses gefährliches. Ich fühlte das Verlangen, hinter dasselbe zu kommen, ließ mir aber nichts merken.

Die Knaben blieben also im Freien; ich folgte mit Will Salters der Frau in das Haus oder vielmehr in die Hütte, deren Inneres aus einem einzigen Raume bestand.

Da sah es denn höchst ärmlich aus. Ich war schon in mancher Blockhütte gewesen, deren Bewohner sich auf das Notwendigste zu beschränken hatten; hier aber war es schlimmer. Das Dach war höchst defekt, die Verstopfung der Zwischenräume in den Blockwänden verschwunden. Durch diese Löcher und Ritzen kroch das Elend ein und aus. Über dem Herde hing kein Kessel. Der Speisevorrat schien nur aus einer geringen Anzahl von Maiskolben zu bestehen, welche in einer Ecke lagen. Die einzige Kleidung der Frau bestand aus dem dünnsten, verschossenen Druckkattun. Sie ging barfuß. Ihr einziger Schmuck war die Sauberkeit, welche trotz dieser Ärmlichkeit wohlthuend an ihr auffiel. Auch ihr Sohn war höchst ungenügend gekleidet gewesen, doch jede zerrissene Stelle sorgfältig ausgebessert.

Als ich auf das nur aus Laub bestehende Lager in der Ecke und dann in das bleiche, abgehärmte Gesicht dieser braven Frau blickte, kam mir, ohne daß ich es eigentlich wollte, die Frage über die Lippen:

„Ihr habt Hunger, liebe Frau?“

Sie errötete schnell und wie beleidigt; dann aber brachen plötzlich die Thränen aus ihren Augen, und sie antwortete, mit der Hand nach dem Herzen greifend:

„O Gott, ich wollte gar nicht klagen, wenn nur Joseph sich satt essen könnte! Unser Feld trägt nichts, weil mein Mann es verwildern läßt; so sind wir also auf die Jagd angewiesen, die aber auch nichts bringt, weil Rollins den Wahnsinn hat, nur immer nach dem Schatze zu graben.“

Ich eilte hinaus zu meinem Pferde, um meinen Vorrat an Dürrfleisch herein zu holen, den ich ihr gab. Der gute Will Salters war ebenso schnell zu seinem Pferde und brachte auch seinen Vorrat herein.

„O Mesch’schurs, wie gut ihr seid!“ sagte sie. „Man möchte euch gar nicht für Yankees halten.“

„Da habt ihr, wenigstens in Beziehung auf mich, unrecht,“ antwortete ich. „Ich bin ein Deutscher. Master Salters aber hat zwar nur von mütterlicher Seite deutsches Blut in den Adern, ist aber ein noch viel besserer Kerl als ich. Seine Mutter war eine Österreicherin.“

„Herrgott! Und ich bin in Brünn geboren!“ rief sie aus, die Hände froh zusammenschlagend.

„Also eine Deutsche! So können wir uns ja der Muttersprache bedienen.“

„Ach ja, ach ja! Ich darf mit meinem Sohne nur heimlich deutsch reden. Rollins leidet es nicht.“

„Ein schrecklicher Kerl!“ sagte Salters. „Ich will Sie nicht kränken; aber es ist mir ganz so, als ob ich ihm früher, vor Jahren, einmal begegnet sei, unter für ihn nicht ehrenvollen Umständen. Er hat eine große Ähnlichkeit mit einem Kerl, den man nur unter einem indianischen Namen kannte. Ich weiß nicht, was dieser Name bedeutet. Wie lautete er doch nur? Ich glaube, so ähnlich wie Indano oder Indanscho.“

„Inta-’ntscho!“ klang es vom Eingange her.

Dort stand der junge Indianer. Er hatte natürlich nicht die deutschen Worte, aber doch den Namen verstanden. In seinem Auge glühte es flackernd auf. Als da mein Blick forschend auf ihn fiel, drehte er sich um und verschwand von der Thür.

„Dieser Name ist dem Apatschischen entnommen, welches du nicht verstehst,“ erklärte ich dem Gefährten. „Es bedeutet so viel wie böses Auge.“

„Böses Auge?“ fragte die Frau. „Dieses Wort sagt mein Mann sehr oft, wenn er im Traum spricht, oder in der Betrunkenheit dort in der Ecke sitzt und sich mit unsichtbaren Personen zankt. Er ist zuweilen über eine Woche lang fort. Da bringt er sich aus Fort Dodge drüben am Arkansas Brandy mit; ich weiß nicht, wovon er ihn bezahlt. Dann trinkt und trinkt er, bis er nicht mehr denken kann, und spricht von Blut und Mord, von Gold und Nuggets, von einem Schatze, der hier vergraben liegt. Wir getrauen uns dann Tage und Nächte lang nicht in die Hütte aus Angst, daß er uns umbringen werde.“

Sie unglückliche Frau! Wie sind Sie denn zu der Kühnheit gekommen, einem solchen Manne nach diesem Winkel der Wildnis zu folgen?“

„Ihm? O, mit ihm wäre ich nie, niemals hierher gegangen. Ich kam mit meinem ersten Manne und dessen Bruder nach Amerika. Wir kauften Land und wurden von dem Agenten betrogen. Das Dokument, welches wir über den Kauf erhielten, war gefälscht. Als wir nach dem Westen kamen, hatte der rechtmäßige Eigentümer die Stelle schon seit Jahren bewohnt und bebaut. Unser Geld war alle; es blieb uns nichts übrig, als vom Ertrage der Jagd zu leben. Dabei gingen wir immer weiter nach dem Westen. Mein Mann wollte nach Kalifornien. Er hatte von dem Golde gehört, welches dort gefunden wird. Wir kamen bis hierher, da ging es nicht weiter; ich war krank und erschöpft. Wir kampierten im Freien, fanden aber zum Glücke nach kurzer Zeit diese Blockhütte. Sie war verlassen. Wem sie gehört hat, wissen wir nicht. Wir behalfen uns so, wie es eben gehen wollte. Aber der Gedanke an Kalifornien ließ meinem Manne keine Ruhe. Er wollte hin. Ich konnte nicht, und sein Bruder wollte nicht; er hatte Sehnsucht nach der Heimat. Gott allein weiß es, nach welchen schweren Kämpfen ich die Erlaubnis gab, daß mein Mann allein nach dem Goldlande gehen möge, um sein Glück zu versuchen, während der Schwager bei mir bleiben solle. Er ist nie zurückgekehrt. Ein halbes Jahr nach seinem Weggange wurde mir mein Joseph geschenkt. Er hat seinen Vater nie gesehen. Er war drei Jahre alt, als der Schwager einst des Morgens auf die Jagd ging und nicht wiederkam. Einige Tage später fand ich ihn am Ufer des Flusses liegen. Er hatte eine Schußwunde im Kopfe. Vielleicht ist er von einem Indianer ermordet worden.“

„War er skalpiert?“

„Nein.“

„So ist der Mörder ein Weißer. Wie aber haben Sie leben können?“

„Von dem kleinen Maisvorrate, den wir hier nebenan erbaut hatten. Dann kam mein jetziger Mann in diese Gegend. Er wollte jagen und dann weiter gehen, blieb aber länger und länger und zuletzt für immer da. Ich war froh, ihn zu haben; ohne ihn wäre ich mit meinem Kinde verhungert. Er ging hinüber nach Dodge City und ließ meinen Mann für tot erklären. Ich brauchte einen Beschützer und mein Sohn einen Vater. Rollins ist beides geworden. Einst aber hatte ihm von einem Schatze geträumt, der hier vergraben sei. Sonderbarerweise wiederholte sich dieser Traum so oft, daß Rollins nicht nur fest an die Existenz dieses Schatzes glaubt, sondern in einen förmlichen Wahn verfallen ist. Des Nachts phantasiert er von dem Golde, und des Tages gräbt er nach dem Golde.“

„Wohl an dem Berge, an dessen Fuße die alten Platanen stehen?“

„Ja. Aber ich darf nicht mit hin und mein Sohn ebensowenig. Ich kann keinem Menschen sagen, wie unglücklich ich bin. Ich bete täglich und stündlich um Errettung. Wenn Gott doch helfen wollte!“

„Er wird helfen, wenn auch seine Hilfe Ihnen anfänglich Schmerz bereiten sollte. Ich habe so oft im Leben die Erfahrung gemacht, daß – –“

Ich wurde unterbrochen. Joseph kam herein und bat uns, hinauszukommen und den Himmel zu betrachten. Wir folgten ihm, verwundert über dieses Verlangen. Der kleine Hirsch stand draußen und blickte aufmerksam nach einem Wölkchen, welches fast scheitelrecht über unsern Köpfen stand. Sonst aber war der Himmel vollständig rein und ungetrübt. Joseph sagte uns, daß der Indianer dieses Wölkchen für uns sehr gefährlich halte. Der kleine Hirsch sprach nämlich ganz leidlich englisch und konnte sich also dem weißen Knaben verständlich machen. Will Salters zuckte die Achsel und sagte:

„Dieses Cigarrenwölkchen soll uns gefährlich sein? Pshaw!“

Da wendete der Indianer den Kopf zu ihm hin und sagte nur das eine Wort:

„Iltschi.“

„Was bedeutet das?“ fragte mich Will.

„Wind, Sturm!“

„Unsinn! Ein gefährlicher Wind, also eine Bö, kommt nur aus einem Loche, das heißt, wenn sich der ganze Himmel schwarz umzogen hat und sich in dieser schwarzen Decke ein rundes, helles Loch befindet. Hier aber ist es umgekehrt. Der Himmel ist außer dieser Stelle vollständig ungetrübt.“

„Ke-eikhena-iltschi,“ sagte der Indianer.

Jetzt wurde ich doch aufmerksamer. Diese drei Worte bedeuten der hungrige Wind. Der Apatsche bezeichnet mit diesem Ausdrucke einen Wirbelsturm. Ich fragte den jungen Mann, ob er einen solchen befürchte. Er antwortete:

„Ke-eikhena-akh-iltschi.“

Das heißt der sehr hungrige Wind und bedeutet gar eine Windhose. Wie kam der Apatsche zu dieser Vermutung? Ich konnte an dem Wölkchen wirklich nichts Verdächtiges bemerken; aber ich wußte auch, daß diese Kinder der Wildnis einen wunderbaren Instinkt für gewisse Naturereignisse besitzen.

„Unsinn!“ meinte Salters zu mir. „Komm herein! Ich glaube gar, du fängst an, ein bedenkliches Gesicht zu machen.“

Da legte der Indianer sich den Finger an die Stirn und sagte zu ihm:

„Ka-a tschapeno!“

Er hatte wohl gemerkt, daß Will nicht apatschisch verstand und bediente sich des Tonkawadialektes, zu deutsch. „Ich bin nicht krank,“ nämlich im Kopfe. Salters verstand ihn, nahm ihm aber die Worte übel und trat wieder in die Hütte. Ich benutzte diese Gelegenheit, dem kleinen Hirsch zu zeigen, daß ich ihm seine früheren Antworten nicht geglaubt hatte. Ich fragte ihn:

„Welcher Fuß meines jungen Freundes ist krank?“

„Sintsch-kah – der linke Fuß,“ antwortete er.

„Warum aber hinkte mein Bruder mit dem rechten Fuße, als er dort aus den Sträuchern kam?“

Es glitt ein Lächeln der Verlegenheit über sein Gesicht, doch antwortete er schnell gefaßt:

„Mein tapferer Bruder hat sich geirrt.“

„Mein Auge ist scharf. Warum hinkt der kleine Hirsch nur dann, wenn er gesehen wird? Warum ist sein Gang richtig, wenn er allein ist?“

Er blickte mich forschend an, ohne zu antworten. Darum fuhr ich fort:

„Mein junger Freund hat von mir gehört. Er weiß, daß ich die Fährte lese, daß mich kein Halm des Grases, kein Korn des Sandes zu täuschen vermag. Der junge Hirsch ist heute früh vom Berge herabgekommen und nach dem Flusse gegangen, ohne zu hinken. Ich habe seine Spur gesehen. Hat er auch jetzt den Mut, zu sagen, daß ich mich täusche?“

Er senkte den Blick zur Erde und schwieg.

„Warum sagt der Hirsch, daß er nach den heiligen Steinbrüchen mit seinen Füßen gehe?“ fuhr ich fort. „Er ist von seinem Wigwam aus bis hierher geritten.“

„Uff!“ antwortete er erstaunt. „Wie könntest du das wissen?“

„Ist nicht der größte Häuptling der Apatschen mein Lehrer gewesen? Meinst du, daß ich ihm die Schande mache, mich von einem jungen Apatschen, der noch kein Feuergewehr tragen darf, hintergehen zu lassen? Dein Tier ist ein Tschi-kayi-kle, ein Rotschimmel.“

„Uff, uff!“ rief er zweimal als Ausdruck der höchsten Verwunderung.

„Willst du den Bruder Intschu tschunas belügen?“ fragte ich vorwurfsvoll.

Da legte er die Hand auf das Herz und antwortete:

„Schi-itkli takla ho-tli, tschi-kayi-kle – – ich habe ein Pferd, einen Rotschimmel.“

„So ist es recht! Ich sage dir sogar, daß du heute früh bei Zeiten die ganze indianische Schule durchgeübt hast.“

„Mein weißer Bruder ist allwissend wie Manitou, der große Geist!“ rief er aus, förmlich betroffen.

„Nein. Du bist in Carriere geritten, mit einem Fuße im Sattel hängend und mit einem Arme am Halsriemen, deinen Körper an die eine Seite des Pferdes legend. Das thut man im Kampfe, um sich vor den Geschossen des Feindes zu schützen, zur Friedenszeit aber nur, wenn man die volle Schule übt. Nur bei einem solchen Ritte ist es möglich, daß Mähnenhaare sich an Griff und Scheide des Messers verfitzen und, ausgerissen, hängen bleiben. Solches Mähnenhaar kann nur ein Rotschimmel haben.“

Er fuhr mit beiden Händen nach dem Gürtel, an welchem das Messer in der Scheide lag. Daran hingen einige Haare. Ich sah trotz seiner indianischen Hautfärbung, daß er errötete, und fügte hinzu:

„Das Auge des kleinen Hirsches ist hell, aber noch nicht geübt genug für solche Kleinigkeiten, an denen doch oftmals das Leben hängt. Mein junger Bruder ist hierher gekommen, um den Besitzer dieses Hauses zu sehen. Hat er eine Blutrache mit demselben?“

„Ich habe das Gelübde des Schweigens abgelegt,“ antwortete er; „aber mein weißer Bruder ist der Freund des berühmtesten Apatschen. Ich will ihm etwas zeigen, was er mir heute noch zurückgeben wird. Er kann davon sprechen, denn meine Stunde ist gekommen.“

Er öffnete das Jagdhemd und zog ein wie ein Briefcouvert viereckig zusammengelegtes Leder hervor. Er gab es mir und schritt davon, nach dem Maisfelde zu, bei welchem jetzt der blonde Joseph stand. Ich sah noch, daß er diesen beim Arme ergriff und mit sich fortzog.

Ich schlug das Leder, welches aus einem gegerbten Hirschfelle geschnitten war, auseinander. Der Inhalt bestand aus einem zweiten Lederstücke aus Büffelkalbfell, nur von den Haaren befreit, mit Kalk gebeizt und zu Pergament geglättet. Es war zweimal zusammengeschlagen. Als ich es auseinander gefaltet hatte, sah ich eine Reihe von Figuren, in roter Farbe hervorgebracht, in der Zeichnung ganz ähnlich der berühmten Felseninschrift von Tsitßumovi in Arizona gehalten. Ich hatte ein Dokument in Indianerschrift in den Händen, eine solche Seltenheit, daß ich gar nicht sogleich an das Entziffern dachte, sondern in die Hütte eilte, um Will Salters diesen Schatz zu zeigen. Er schüttelte den Kopf dazu und meinte ganz verwundert:

„Das soll man lesen können?“

„Natürlich!“

„Nun, so lies du es. Schon wenn es sich um unsre gewöhnliche Schrift handelt, will ich mich lieber mit zwanzig Indsmen als mit drei Buchstaben herumschlagen. Ich bin niemals ein Held im Lesen gewesen; ich schreibe meine Briefe dem Adressaten gleich hier mit der Doppelbüchse in den Leib; das ist das Kürzeste. Die Feder zerbricht mir zwischen den Fingern, und die Tinte schmeckt zu schlecht. Nun erst diese Figuren zu entziffern, das ist ja fürchterlich. Man kann sie hier in der dunkeln Hütte, die nur zwei kleine Gucklöcher an Stelle der Fenster hat, ja gar nicht einmal erkennen.“

„So komm mit hinaus vor die Thür!“

„Na, mitgehen will ich wohl; das Lesen aber magst du allein besorgen.“

Wir gingen hinaus. Die Frau blieb zurück. Sie hatte auf dem Herde ein kleines Feuer angezündet, um einige Stückchen unsres Fleisches zu braten.

Ich hatte die Augen natürlich sofort auf den Figuren; Will Salters aber hielt die seinigen nach dem Himmel gerichtet. Er brummte bedenklich:

„Hm! Eigentümliche Wolke! Habe noch niemals so etwas gesehen. Was sagst du dazu?“

Dadurch aufmerksam gemacht, blickte ich empor. Das Wölkchen war nicht viel größer geworden, hatte aber ein ganz andres Aussehen bekommen. Vorher bläulichgrau, hatte es jetzt eine hellrote, durchsichtige Färbung, und es war, als ob von ihm aus Millionen und aber Millionen spinnenfadendünne, mattgoldene Fäden nach der ganzen Ausdehnung des Gesichtskreises hinuntergingen. Diese kaum sichtbaren Fäden zuckten nicht; sie waren vollständig unbeweglich, wie fest angespannt.

„Nun?“ fragte Will.

„Ich habe auch nie etwas Ähnliches gesehen.“

„Sollte dieser junge Mensch, der Indsman, recht behalten mit seinem Wirbelwinde, uns alten, erfahrenen Savannenleuten gegenüber!“

„Bedenklich sieht es aus. Der Apatsche sprach gar von einer Windhose. Das wäre noch schlimmer.“

„Es mag sein, was es wolle, wir müssen es eben abwarten. Ich hoffe, du kannst dich in deiner Indianerschrift besser zurechtfinden, als da oben in dem unbegreiflichen Fadengewirr. Wie steht es?“

„Hm! Wollen sehen! Da vorn sehe ich eine Sonne gemalt mit nur aufwärtsgehenden Strahlen, also wohl die aufgehende Sonne. Dann kommen vier Reiter. Sie haben Hüte auf, sind also wahrscheinlich Weiße. Der vorderste hat etwas am Sattel hängen; kleine Säcke sollen es wohl sein. Hinter diesen vieren kommen zwei andre. Sie haben Federn auf den unbedeckten Köpfen, dürften also wahrscheinlich Indianerhäuptlinge vorstellen.“

„Na, das ist ja alles sehr einfach. Nennst du das etwa lesen?“

„Es ist der Anfang dazu. Man muß erst die Buchstaben kennen lernen, ehe man sie zu Wörtern zusammenzusetzen vermag. Es befinden sich nun noch einige kleinere Figuren hier, welche über den größeren angebracht sind. Über dem einen Indianer sehe ich einen Büffel, welcher das Maul öffnet, aus dem einige kleine Striche hervorgehen. Aus dem Maule kann nur die Stimme hervorgehen; es ist also wohl ein brüllender Stier gemeint. Über dem Kopfe des anderen Indsman ist eine Tabakspfeife, aus deren Kopfe ähnliche Striche hervorgehen; das soll wohl Rauch bedeuten. Die Pfeife brennt also.“

„Du, ich fange an, lesen zu können!“ sagte Will. „Da fällt mir ein, daß es zwei Apatschenhäuptlinge gab, zwei Brüder; der eine war der brüllende Büffel und ist seit langem tot; der andere hieß die brennende Pfeife, weil er von friedlicher Gesinnung war und gern mit jedermann die Friedenspfeife rauchte. Er soll noch leben.“

„So sind vielleicht gar diese beiden gemeint! Wollen sehen! Über dem zweiten Weißen ist ein Auge gemalt mit einem hindurchgehenden Strich. Entweder hat er nur ein Auge, oder ist er auf dem einen blind, oder das Auge ist krank. Ah, das wäre ja der Name, den du vorhin nanntest: böses Auge. Das soll wohl heißen: boshaftes Auge. Und über dem dritten Weißen ist ein Beutel mit einer danach greifenden Hand. Sollte das Diebstahl bedeuten?“

„Ja, ja, gewiß!“ sagte Salters schnell, „die stehlende Hand. Ich hab’s, ich hab’s! jetzt weiß ich, wo ich diesen Rollins gesehen habe! Nämlich droben in den schwarzen Bergen; er hieß Haller, war ein Pferde- und Biberfallendieb und wurde die stehlende Hand genannt.“

„Du wirst dich irren!“

„Nein, nein! Die stehlende Hand und das böse Auge waren Vettern oder gar Brüder und hielten zusammen. Sie sind gemeint. Weiter, weiter!“

„Da die aufgehende Sonne voransteht, so sind diese Reiter nach Sonnenaufgang, also nach Osten geritten. Hier auf der zweiten Zeile kommen dieselben Figuren wieder vor, und zwar öfters und in verschiedenen Gruppen. Erste Gruppe: die drei hinteren Weißen schießen auf den Voranreitenden. Zweite Gruppe: er liegt tot am Boden, und sie haben seine Säcke oder Beutel. Dritte Gruppe: die Indianer schießen auf die drei Weißen. Vierte Gruppe: Zwei Weiße und ein Indianer, der brüllende Büffel, sind tot; die stehlende Hand, entflieht. Fünfte Gruppe: die brennende Pfeife vergräbt die Beutel. Sechste Gruppe: die brennende Pfeife hat den brüllenden Büffel auf dem Pferde und reitet hinter der stehlenden Hand her, verfolgt ihn wahrscheinlich. Siebente Gruppe: die brennende Pfeife begräbt den brüllenden Büffel, die stehlende Hand ist verschwunden. Nun kommen noch zwei kleine Bilder. Da stehen drei Bäume; unter dem mittleren stecken die Beutel unter der Erde. Und dann kommt ein großer, einzelner Baum, unter welchem man den brüllenden Büffel unter der Erde liegen sieht; sein Grab also. Jetzt löst sich das ganze, schaurige Erlebnis leicht – –“

„Halt!“ unterbrach mich Salters. „Laß einmal diese Angelegenheit auf sich beruhen und blicke in die Höhe! Merkst du denn nicht, daß es ganz finster wird? Siehe dir doch um Gottes willen einmal den Himmel an!“

Ich folgte seiner Aufforderung und erschrak. Die erwähnten mattgoldenen Fäden waren verschwunden. An ihrer Stelle sah ich mehrere dunkle Striche, zu denen sie sich höchst wahrscheinlich zusammengezogen hatten und welche die Wolke, die tief schwarz geworden war, mit dem nördlichen Himmel verbanden. Der übrige Teil des Himmels war hell und rein. An den Strichen wurde die Wolke wie an starken, straffen Seilen abwärts nach Norden gezogen. Das ging zusehends schnell. Je weiter sie zur Erde gezogen wurde, desto deutlicher sah man von der letzteren aus eine erst durchsichtige und dann sich immer mehr verdunkelnde Masse emporsteigen, unten breit, oben schwächer werdend, sich drehend und mit dem oberen, hin und her flatternden Schwanze nach der Wolke haschend. Diese sank immer schneller nieder, oben sich verbreiternd, nach unten nun ihrerseits einen Schwanz aussendend. Die beiden Schwänze suchten sich und fanden sich. Als sie sich berührten, war es, als ob die Wolke auf die Erde herabgerissen werden solle; aber sie hielt sich in der Luft und bildete mit dem Wirbelwind nun einen sich rasend schnell um seine eigene Achse drehenden Doppeltrichter, dessen Spitzen sich in der Mitte vereinigt hatten, während seine beiden Grundflächen unten an der Erde und hoch oben in der Luft wohl einen Durchmesser von fünfzig Meter erreichten.

Da sich in der Umgebung nur niedriges Buschwerk befand, so konnten wir die beängstigende Naturerscheinung fast in ihrer ganzen Achsenhöhe beobachten. Sie wickelte und wirbelte sich sehr schnell vorwärts grad auf uns zu. Und hier um uns gab es völlige Unbewegtheit der Luft und eine plötzlich eingetretene Schwüle, welche uns sofort den Schweiß aus allen Poren trieb.

„Der kleine Hirsch hat recht gehabt,“ sagte ich. „Es handelt sich um unser Leben. Schnell, Will, retten wir uns und die Frau!“

„Wie denn und wohin denn?“ fragte er erschrocken.

„Auf unsere Pferde.“

„Wir wissen doch nicht, wohin wir uns wenden sollen!“

„So eine Windhose ist freilich unberechenbar in ihren Bewegungen, aber wir müssen eben unsre Richtung ändern, sobald sie die ihrige ändert. Vielleicht wird sie vom Flusse aufgehalten und kommt gar nicht herüber auf unsre Seite. Hole Rollins‘ Gaul hinter der Fenz hervor. Ich springe nach der Frau!“

. Ich fand diese am Herde, ohne Ahnung der ihr drohenden Gefahr. Sie fiel fast in Ohnmacht, als ich ihr mitteilte, was draußen vorging. Ich faßte sie und trug sie eilig hinaus. Will kam eben mit dem Gaule an.

„Das Tier thut obstinat,“ rief er. „Ich will mich darauf setzen; er ist nicht gesattelt, und die Lady würde beim ersten Schritte abgeworfen. Hebe sie auf meinen Fuchs! Schnell, schnell!“

Er sprang auf und trieb das alte Pferd im Galoppe vorwärts.

„Können Sie reiten?“ fragte ich die Frau.

„So nicht, wie es hier sein muß,“ jammerte sie.

„So nehme ich Sie zu mir.“

Ich schwang mich auf den Fuchs, welcher zwei Personen eher tragen konnte als mein lahmer Brauner, zog die Zitternde zu mir herauf, so daß sie quer auf meinen Knieen lag, ergriff meinen Lahmen am Zügel und folgte dem voransprengenden Salters.

Das war alles so schnell geschehen, daß vom ersten Erblicken der Windhose bis jetzt nicht mehr als eine Minute vergangen war. Ich hatte es nicht bequem. Mit der Rechten mußte ich die Frau halten und mit der Linken den Fuchs leiten und auch den Braunen führen. Aber es ging. Als wir eine ziemlich bedeutende Strecke zurückgelegt hatten, rief ich Will zu, jetzt anzuhalten. Er that es, und wir drehten uns um.

Die Trombe hatte fast den Fluß erreicht. Von Luft und der Wolke war nichts mehr zu sehen. Sie bildete ein finsteres Ungetüm, genau von der Gestalt einer Sand- oder Eieruhr, aber von riesenhafter Größe, in welcher ausgerissene Sträucher, Steine und mächtige Rasenstücke mit ganzen Wagenladungen von Sand rundum gewirbelt wurden – ein entsetzliches, überirdisch erscheinendes Ungetüm.

Jetzt hatte sie das Ufer erreicht. Wird sie halten bleiben -sich am jenseitigen Ufer fortbewegen, auf- oder abwärts -vielleicht in sich zusammenfallen? So fragten wir uns. Der Mensch, der in ihren Bereich kam, war sicher verloren. Turmhoch auf und nieder und um sich selbst gewirbelt, mußte er ersticken, wenn er nicht vorher zur Erde geschmettert oder von den sich mit ihm drehenden Massen zerquetscht wurde.

Sie hielt an, als ob sie sich besinnen wolle. Der obere, nach abwärts sich verjüngende Trichter neigte sich herüber, die bisherige Richtung fortzusetzen. Er zerrte an dem untern Trichter; fast schien es, als ob er sich von demselben losreißen wolle. Da that es einen fürchterlichen Krach; die dunkleren, kompakteren Massen, Sand, Steine, Sträucher, Rasen verschwanden, und eine lange Wassersäule stieg auf, erst von cylindrisch gleichmäßiger Gestalt, dann sich in der Mitte einengend, die frühere Figur eines gleichmäßigen Doppelkegels annehmend. Aus der Windhose war eine Wasserhose geworden, die sich, wie zornig über den am Flusse erlittenen Aufenthalt, nun mit doppelter Schnelligkeit fortbewegte, augenblicklich die Blockhütte erfassend, gerade auf uns zu.

„Fort jetzt! Da rechts hinüber!“ schrie ich auf.

Die Pferde waren nur schwer für den kurzen Moment zu halten gewesen. Sie erkannten die Gefahr und schossen fort, daß wir sie gar nicht anzutreiben brauchten. Den Blick auf die Wirbelhose gerichtet, sah ich zu meiner Freude, daß sie eine westliche Richtung nahm. Sie entfernte sich von uns. Wir konnten anhalten und waren gerettet, wenn sie nicht umkehrte.

Aber dieses letztere geschah nicht. Sie bewegte sich in ungeminderter Schnelligkeit weiter, nicht mehr durchsichtig wie am Wasser, sondern wieder dunkel und undurchsichtig. Sie hatte alles, worauf sie stieß, von der Erde auf- oder emporgerissen. Wir sahen, wie sie wuchs und an Mächtigkeit gewann. Alles, was sie nicht in sich zu halten vermochte, weit von sich schleudernd, verfolgte sie verderbenbringend ihren Weg, bis auf einmal von fern her ein donnerndes Getöse erscholl, unter dem die Erde erbebte – sie war verschwunden.

Aber fast in demselben Momente hatte sich, wir wußten gar nicht wie, der ganze Himmel schwarz umhüllt, und es stürzte ein Regen hernieder, dessen Tropfen größer als eine Erbse waren.

„Unser Haus, unsere Wohnung! Was ist aus ihr geworden?“ jammerte die Frau, jetzt zum erstenmal ihr Schweigen brechend.

Statt der Antwort setzten wir die Pferde in scharfen Trab und kehrten nach dem Blockhause zurück. Nach dem Blockhause? Nein; das war nicht mehr vorhanden. Es war auseinandergerissen, auseinandergedreht, wie man ein dünnes, haltloses Strohgeflecht zerfetzt. Die schweren, mannesstarken Stämme und Klötze, aus denen es bestanden hatte, waren weit, weit mit fortgeschleppt und dann wieder zur Erde geschleudert worden. Von der Fenz war keine Spur zu sehen, keine einzige Planke, keine Latte, keine Stange – alles durch die Lüfte mit davongewirbelt.

Die Frau sank vor Entsetzen in einen Zustand der Empfindungslosigkeit. Das war uns lieb. Ich dachte an ihren Mann, an ihren Sohn, an den jungen Indsman. Ich wußte, seit ich die Zeichnung besaß, wo die Genannten zu finden seien – dort an dem Berge, an welchem die Windhose in sich zusammengestürzt war, weil er als ein unüberwindbares Hindernis in ihrem Wege gelegen hatte. Wie aber mochte sie geendet haben? jedenfalls wie eine sterbende Gigantin, welche im Todeskampf alles zermalmt, was in den Bereich ihrer Hände kommt. Es erwarteten uns dort vielleicht schreckliche Scenen, welche wir ihr ersparen wollten. Als sie aber hörte, daß wir ihren Sohn suchen wollten, erhielt sie ihre Thatkraft zurück. Es half weder Bitten noch Zürnen; wir durften sie nicht zurücklassen. Sie stieg auf und ritt mit.

So Plötzlich, wie der Regen losgebrochen war, hellte es sich auch wieder auf. Die Wolken waren verschwunden, wie weggezaubert, und die Sonne lachte vom Himmel herab, als ob gar nichts geschehen sei.

Aber wie sah es auf dem Wege aus, den wir einzuschlagen hatten! Wohl über sechzig Meter breit war die Bahn, welche die Trombe hinter sich gezeichnet hatte. Aller Pflanzenwuchs war wie wegrasiert. Sie hatte Löcher gerissen und wieder mit Trümmern gefüllt. Und weit, weit rechts und links über die Bahn hinaus lagen die Blöcke, Steine, Sträucher und sonstigen Massen, welche sie von sich geschleudert hatte.

Und nun gar am Berge; wie sah es da aus! Bereits von weitem erblickten wir die Verwüstung. Der Strauchwuchs war aus der Erde gerissen, emporgewirbelt, in unentwirrbare Knäuel zusammengedrückt und rechts und links hinweggeschleudert worden. Die Windhose hatte sich eine weite Strecke längs des Berges hin einen Ausweg gesucht und im Grimme darüber, ihn nicht finden zu können, alles Leben in Tod verwandelt. Die nackt gelegten Felsen hatten das Aussehen tief eingehauener Steinbrüche. Die Platanen, über welche ich mich im Vorüberreiten so gefreut hatte, waren kaum mehr zu erkennen. Mannsstarke Stämme lagen, samt den Wurzeln aus dem Boden gerissen, da; Äste von der Stärke eines Kindes waren wie Taue zusammengedreht worden. Die größte der Platanen hatte alle ihre Hauptäste eingebüßt. Sie bot mit ihren tiefen und langgeschlitzten Rißwunden einen bejammernswerten Anblick. Wo aber waren – – ah, da drüben stand ein indianisch gesatteltes Pferd, ein Rotschimmel, an einem gewaltigen, chaotisch verfitzten Gesträucherballen, an dessen Blättern es lüstern knabberte. Das war das Pferd des kleinen Hirsch. Wo das Tier war, mußte auch der Besitzer sein.

Wir ritten hin, und siehe da: Eine mächtige Platane war ausgerissen worden; im Umstürzen hatte sie mit den zähen, unzerreißbaren Wurzeln den ihr bisher gehörigen Grund und Boden emporgewuchtet. Unter diesem ungeheuren Wurzelballen gähnte ein breites, tiefes, höhlenartig nach innen verlaufendes Loch. Und da saßen der blonde Joseph und der junge Apatsche, von den Wurzeln wie von einem für den Regen undurchdringlichen Dach beschirmt. Sie lachten uns vergnügt entgegen. Die Mutter stieg in Eile hinab, den Sohn an ihr Herz zu drücken. Der Apatsche aber sprang herauf und fragte:

„Glauben nun meine weißen Brüder, daß ich das Anzeichen des sehr hungrigen Windes, kenne?“

„Wir glauben es,“ antwortete ich. „Wie aber habt ihr euch gerettet?“

„Der kleine Hirsch hatte sein Pferd tief im Gebüsch versteckt. Er holte es und setzte sich mit dem blauäugigen Bleichgesichte darauf, um dem Winde zu entfliehen. Als dieser sich gesättigt hatte, ritt Ischarshiütuha hierher und fand, was er mit dem kleinen Bleichgesichte seit drei Tagen gesucht hatte.“

„Du bist mit Joseph heimlich zusammengekommen?“

„Ja. Er ist der Sohn des Mannes mit den Beuteln, welcher hier ermordet wurde. Komm und siehe, wo die brennende Pfeife die Nuggets vergraben hatte.“

Er führte uns an die andere Seite des Wurzelballens. Dort war in der Nähe des Stammes die Erde auseinander geborsten, und wir erblickten zwei allerdings vom Moder weißgrau gewordene Ledersäckchen, welche sich bei näherer Besichtigung als mit Goldstaub und Goldkörnern gefüllt erwiesen. Joseph wußte bereits alles. Als nun seine Mutter erfuhr, was ich bereits erraten hatte, die Ermordung ihres ersten Mannes, wollte sie vor Jammer in die Kniee brechen.

Einen Trost bot freilich der unerwartete Besitz des wertvollen Metalles, doch war es ihr fast unmöglich, an denselben zu glauben. Auf ihre Fragen erzählte der Indianer:

„Der brüllende Stier war mein Vater. Er machte sich mit der brennenden Pfeife, seinem Bruder, auf, um den großen Vater der Bleichgesichter, zu besuchen und ihm die Wünsche der Apatschen mitzuteilen. Die beiden Häuptlinge ritten nach Osten. Sie kamen dazu, wie drei Bleichgesichter einen Weißen ermordeten, weil er Gold gefunden hatte. Zwei von den Mördern waren das böse Auge und die stehlende Hand; den dritten kannten sie nicht. Sie straften den Mord und töteten das böse Auge und den dritten. Die stehlende Hand entkam, nachdem sie meinen Vater erschossen hatte. Die brennende Pfeife folgte ihm, nachdem sie das Gold vergraben und die Leiche des brüllenden Büffel zu sich aufs Pferd genommen hatte, konnte ihn aber nicht erreichen. Brennende Pfeife begrub den Bruder da, wo ich ihn in zwei Tagen finden werde, und ritt allein nach Washington. Der Bruder mußte gerächt werden; ich mußte ihn rächen, denn ich bin sein Sohn. Aber es verging eine lange Zeit, weil ich noch klein war. Dann aber machte ich mich auf, um mir den Skalp des Mörders zu holen, denn dann bin ich ein Krieger und darf ein Feuerrohr tragen. Der Mörder wohnte in der Hütte des Ermordeten; er hatte das Weib desselben zu seiner Squaw gemacht; dadurch wurde die Hütte sein Eigentum und er konnte nach dem Schatze suchen.“

Als die Frau diese Eröffnung vernahm, stieß sie einen Schrei des Entsetzens aus und fiel in Ohnmacht. Ihr zweiter Mann war der Mörder des ersten.

„Nun sollt ihr die stehlende Hand sehen,“ sagte der Apatsche. „Folgt mir!“

Joseph blieb bei seiner besinnungslosen Mutter zurück, welcher wir die Besinnungslosigkeit wohl gönnten. Salters und ich folgten dem Indianer zu der großen Platane. Dort lag Rollins an der Erde unter einem der wohl drei Fuß im Durchmesser haltenden Hauptäste, welcher auf ihn gefallen war und ihm die Beine bis herauf an den Leib vollständig zermalmt hatte.

„Hier liegt er,“ sagte der Apatsche. „Ich wollte mir seinen Skalp holen; aber der große Geist hat ihn gerichtet. Ich nehme nur den Skalp eines Mannes, den ich besiegt habe. –Diesen hier hat der Zorn des gerechten Manitou erschlagen, an demselben Orte, an welchem er den Mord beging. Verstehest du nun die Schrift, welche ich dir zu lesen gab?“

„Vollständig,“ antwortete ich.

Brennende Pfeife kann nicht schreiben. Er hat die Schrift von dem großen Häuptling Intschu tschuna machen lassen, dem er alles erzählte. Du bist der Bruder dieses berühmten Kriegers, und darum will ich dir die Schrift schenken. Siehe, der Elende öffnet die Augen. Vielleicht kannst du noch mit ihm sprechen. Ich aber gehe; er ist der Mörder meines Vaters; ich hätte ihn getötet, aber sein Wimmern mag ich nicht hören. Der rote Mann hat auch ein Herz, gerade wie das weiße Bleichgesicht; er will schnell strafen, aber nicht langsam martern.“

Er kehrte zu Joseph und dessen Mutter zurück. Wir aber hatten noch eine schlimme Viertelstunde zu überstehen, die Sterbeminuten des Mörders. Das Bewußtsein kehrte ihm zurück; er fühlte, daß der Tod ihm nahe sei, und gestand alles. Zwar fehlte ihm die Kraft zur zusammenhängenden Rede, aber er konnte unsere Fragen doch mit ja oder Nein beantworten. So erfuhren wir, was wir uns eigentlich selbst schon ergänzen konnten.

Er hatte bemerkt, daß die ihn verfolgende brennende Pfeife die Nuggets nicht bei sich führte, sie also vergraben hatte. Er führte den Indianer irre und kehrte nach dem Schauplatz des Überfalles zurück. Dort machte er unter vieler Mühe ein Loch für die Leichen, damit der Mord ein Geheimnis bleibe. Einige Tage später schoß er auch noch den Bruder des Ermordeten nieder, um sich bei der Frau als willkommener Beschützer einführen zu können. Dann konnte er mit aller Bequemlichkeit nach dem Golde suchen. Es gelang alles, nur die Hauptsache nicht; er konnte die Nuggets nicht finden. Der Durst nach dem Golde und die Qualen seines Gewissens brachten ihn dem Wahnsinn nahe. Er litt keinen Fremden, damit ja nicht durch irgend einen Zufall etwas entdeckt werde. So waren Will und ich abgewiesen worden, und so hatte er auch den kleinen Hirsch fortgejagt, welcher sich lahm stellte, um unter diesem Vorwande bei ihm Eintritt zu erhalten.

Gott richtete ihn nach seiner Allgerechtigkeit. Gerade jetzt lag der Mörder auf der Stelle im Sterben, unter welcher die Gebeine der von ihm Verscharrten lagen, und noch in seinen letzten Augenblicken mußte er von uns erfahren, daß das so lange vergebens gesuchte Gold gefunden worden sei und in die Hände des von ihm gehaßten Knaben komme.

Und doch verfuhr der Barmherzige noch gnädig mit ihm: Die zermalmten Glieder verursachten ihm keine Schmerzen; er schlief ein, ohne einen Seufzer auszustoßen.

Wir meldeten seinem Weibe das Geschehene. Sie mochte ihn nicht sehen und that recht daran. Wir zwei haben ihm das Grab gemacht und ein Vaterunser über demselben gebetet.

Der kleine Hirsch ritt bald von dannen. Er ließ sich nicht halten. Und als die schwer geprüfte Frau ihm einen Teil des Goldes anbot, sagte er stolz:

„Behalte deinen Staub. Der Apatsche weiß, wo Gold in Menge zu finden ist, aber er sagt es keinem Menschen und verachtet es. Der große Geist hat den Menschen erschaffen, nicht daß er reich, sondern daß er gut werde. Möge er dir von nun an soviel Glück geben, wie du bisher Leid erfahren hast!“

Er stieg auf und ritt von dannen.

Am andern Vormittag verließen auch wir die Gegend, Joseph und seine Mutter mit uns nehmend. Der alte Gaul trug das Gold und das übrige wenige Eigentum von Mutter und Sohn, der Fuchs die Lady und mein Brauner den Knaben; Will und ich schritten nebenher. Im nächsten Settlement, wo Mutter und Sohn eine bessere Reisegelegenheit abwarten konnten, nahmen wir Abschied von ihnen, denen die Windhose so schlimme Aufklärung, dafür aber auch die Mittel zu einer besseren Existenz gebracht hatte.“ – –

Schon während der vorigen Erzählung, welche von dem Überfalle des Zuges und der Trappergesellschaft Sam Fire-guns handelte, war ein Herr aus einer Stube getreten, welche an den großen Gastraum stieß, und hatte sich an dem nächsten Tische niedergelassen. Diese Nebenzimmer sind gewöhnlich zum Aufenthalte für bessere Gäste bestimmt, woraus ich schloß, daß dieser Herr entweder kein gewöhnlicher Mann oder ein bevorzugter Bekannter der Wirtin sei. Es war ihm anzusehen, daß ihn die Erzählung herbeigezogen hatte, denn er schenkte ihr eine ganz ungewöhnliche Aufmerksamkeit. Dabei nickte ihm Mutter Thick zuweilen in sehr bezeichnender Weise zu, winkte, ihn dabei anblickend, bei gewissen Stellen der Erzählung mit der Hand nach dem Tische hin, an welchem der Erzähler saß, und ließ mich durch dieses Nicken und Winken vermuten, daß der betreffende Herr zu den Personen oder Ereignissen, von denen erzählt wurde, in irgend welcher Beziehung stehe. Ich wurde in dieser Ansicht dadurch bestärkt, daß er der darauf folgenden kürzeren Geschichte viel weniger Aufmerksamkeit als der vorhergehenden schenkte, auch hatte er einmal die Finger an den Mund gelegt, um der Wirtin still zu sagen, daß sie schweigen möge. Er wurde mir dadurch so interessant, daß ich ihn beobachtete, was aber selbstverständlich in einer solchen Weise geschah, daß er es nicht bemerkte. Sein Gesicht war von Wind und Wetter gegerbt und von der Sonne tief gebräunt, als hätte er sich im wilden Westen oder überhaupt nur im Freien bewegt; dennoch hielt ich ihn nicht für einen eigentlichen Westmann, denn seine durchgeistigten Züge, seine mehr nach innen gerichteten Augen und die Denkerfalten über der Nasenwurzel ließen auf einen andern Beruf als denjenigen eines Trappers schließen. Er war mir darum ein Rätsel, denn es giebt sehr wenig Berufsarten, welche neben geistiger Arbeit auch ein Herumstreifen in Prairie und Urwald erfordern, und selbst dann pflegt es weniger Beruf als vielmehr Liebhaberei zu sein, wie zum Beispiel bei dem Ethnographen, welcher die letzte Geschichte erzählt hatte.

Als er damit zu Ende war, fügte er an sie die Bemerkung.

„Ihr werdet jetzt zugeben, daß es schon vor Winnetou bei den Apatschen intelligente und achtenswerte Leute gab. Oder war das Benehmen dieses roten Knaben etwa nicht achtenswert? Und zugleich ist meine Geschichte auch wieder ein Beweis dafür, daß es Weiße giebt, die viel schlimmer sind als der schlimmste Indianer. Es befinden sich unter diesen Weißen oft Personen, die nach Stand und Bildung jedem andern ein gutes Beispiel geben sollten, anstatt dessen aber wahre Muster der Ruchlosigkeit und Niederträchtigkeit sind. Habe zum Beispiel da kürzlich von einem spanisch-mexikanischen Grafen erzählen hören, der sich mit den wilden Comantschen zum Überfalle seiner eigenen Hazienda und zur Ermordung von deren Bewohnern verbunden hatte. Wenn da nicht der Apatschenhäuptling Bärenherz und der Häuptling der Miztecas Büffelstirn gewesen wären, so hätten alle Weißen dort in das Gras beißen müssen.“

„Kennt Ihr diese Geschichte?“ wurde er gefragt.

„Ausführlich nicht. Ich hörte nur so einige Andeutungen. Es kam auch ein berühmter weißer Jäger dabei vor, dessen Name, wenn ich nicht irre, Donnerpfeil war.“

„Und ein Graf spielte den Halunken, ein wirklicher Graf?“

„Ein wirklicher Graf, dessen Vater einer der vornehmsten und reichsten Männer des Landes war.“

„Wie hieß denn dieser Kerl?“

„Graf von Roderig – – Rod – – Rod – – habe den Namen vergessen; kann mich nicht mehr auf ihn besinnen.“

Da ertönte es von einem der entfernteren Tische her:

„Graf von Rodriganda, meint Ihr wohl, Sir?“

„Ja, ja, so war es, Graf von Rodriganda. Ihr kennt also den Namen?“

„Sehr gut.“

„Habt die Geschichte gehört?“

„Nicht nur gehört. Ich kenne den Grafen und alle Personen, die darin vorkommen; ich kenne auch die Hacienda, von welcher Ihr spracht, und die ganze Umgegend derselben, denn ich muß Euch sagen, daß ich dort wohne und der Rechtsanwalt von Sennor Arbellez bin, auf den es damals abgesehen war.“

„Was? Sein Rechtsanwalt? Da werden Euch die Ereignisse allerdings sehr bekannt sein.“

„So bekannt, als hätte ich sie selbst mitgemacht.“

„Wie kommt es aber, daß Ihr diese Gegend verlassen habt und über den großen Fluß gegangen seid?“

„Geschäftssache, Sir. Ich bin eines Prozesses wegen hier in den Staaten.“

„So! Wenn die Rechtsanwälte nicht die dumme Gewohnheit hätten, sich jedes Wort, welches sie sprechen, teuer bezahlen zu lassen, so hätte ich eine Bitte an Euch.“

„Hm! Ihr scheint keine gute Meinung von uns zu haben!“

„Das will ich nicht grad sagen; ich habe nur gemeint, daß diese Herren sehr wohl wissen, was ein Dollar zu bedeuten hat.“

„Das weiß ich freilich auch; dennoch giebt es bei mir Zeiten, in denen ich gut gelaunt bin und mich nicht bezahlen lasse.“

„Wirklich?“

„Ja!“

„Wie steht es da wohl jetzt? Seid Ihr bei guter Laune?“

„Bei sehr guter.“

„So darf ich vielleicht mit meiner Bitte herausrücken?“

„Versucht es wenigstens einmal!“

Well! Ich möchte nämlich gern, daß die Gentlemen, welche hier sitzen, die Geschichte vom Grafen Rodriganda auch hören. Wollt Ihr sie erzählen?“

„Bin gar nicht abgeneigt. Aber sie ist nicht so kurz wie die Eurige; haben die Gentlemen Zeit?“

„Warum sollten sie keine haben? Bei Mutter Thick hat jedermann Zeit, so viele Gläser zu trinken und so lange zu bleiben, wie es ihm beliebt, zumal, wenn es gilt, etwas Interessantes anzuhören. Bitte, kommt her an unsern Tisch, damit Ihr Eure Stimme nicht zu sehr anzustrengen braucht!“

„Das will ich gern thun. Habe Eure Erzählungen angehört, die mir nicht übel gefallen haben, und ich will Euch zum Dank dafür nun auch einen Beweis zu Eurer Behauptung liefern, daß es weiße Schurken giebt, an deren Schlechtigkeit kein Roter heranreicht.“

Der Sennor, welcher durchaus mexikanisch gekleidet war, kam mit seinem Glase herbei, nahm den ihm angebotenen Platz ein, zündete sich die unvermeidliche Cigarette an und begann:

„Auf den Fluten des Rio Grande schwamm langsam ein leichtes Kanoe hinab. Es war aus langen Baumrindenstücken gebaut, die mit Pech und Moos verbunden waren, und trug zwei Männer, welche verschiedenen Rassen angehörten. Der eine führte das Steuer, und der andre saß sorglos im Buge, indem er damit beschäftigt war, aus Papier, Pulver und Kugeln Patronen für seine schwere Doppelrifle zu drehen.

Derjenige von den beiden, welcher das Steuer führte, hatte die scharfen, kühnen Züge und das durchdringende Auge eines Indianers, und auch ohne dies hätte man an seiner Kleidung sofort gesehen, daß er zur amerikanischen Rasse gehöre. Er trug nämlich ein wildledernes Jagdhemd, dessen Nähte phantastisch ausgefranst waren, ein Paar Leggins, deren Seitennähte mit den Kopfhaaren der von ihm erlegten Feinde geschmückt waren, und Mokassins, welche doppelte Sohlen zeigten. Um seinen nackten Hals hing eine Schnur von den Zähnen des grauen Bären, und sein Haupthaar war in einen hohen Schopf geflochten, aus welchem drei Adlerfedern hervorragten, ein sicheres Zeichen, daß er ein Häuptling sei. Neben ihm im Kanoe lag ein fein gegerbtes Büffelfell, welches ihm beim Gehen als Mantel diente. In seinem Gürtel stak ein glänzender Tomahawk, ein zweischneidiges Skalpmesser und der Pulver- und Kugelbeutel. Auf dem Büffelfelle lag eine lange Doppelflinte, deren Kolben mit silbernen Nägeln verziert war und in dessen Schaft man viele eingeschnittene Kerben bemerkte, um die Zahl der Feinde zu bezeichnen, welche er bereits erlegt hatte. An der Bärenzahnschnur war das Kalumet befestigt, und außerdem sah man aus einer Tasche seines Jagdhemdes die Kolben von zwei Revolvern hervorblicken. Diese beiden bei den Indianern so seltenen Waffen waren ein sicheres Zeichen, daß er mit der Civilisation in eingehende Berührung gekommen sei.

Das Steuer in der Rechten, schien er seinem Begleiter zuzuschauen und sich um weiter gar nichts zu bekümmern; ein aufmerksamer Beobachter aber hätte bemerkt, daß er dennoch unter den tief gesenkten Wimpern hervor die Ufer des Flusses sehr scharf mit jenem eigentümlichen, maskierten Blicke beobachtete, welcher dem Jäger eigen ist, der in jedem Augenblicke einen Angriff auf sein Leben erwarten kann.

Der andre, welcher im Vorderteile saß, war ein Weißer. Er war lang und zwar schlank, aber doch ungemein kräftig gebaut und trug einen blonden Vollbart, der ihn außerordentlich gut kleidete. Auch er hatte Lederhosen an, die in den hoch heraufgezogenen Schäften schwerer Aufschlagestiefel steckten. Eine blaue Weste und ein ebensolches Jagdwams bedeckten seinen Oberkörper; der Hals war frei und nackt, und auf dem Kopfe saß einer jener breitkrempigen Filzhüte, die man im fernen Westen stets zu sehen bekommt. Sie haben die Farbe und Form verloren.

Die beiden Männer mochten in dem gleichen Alter von vielleicht achtundzwanzig Jahren sein, und beide trugen anstatt der Sporen scharfe Fersenstachel, ein sicherer Beweis, daß sie beritten gewesen waren, ehe sie sich das Kanoe bauten, um den Rio Grande hinabzufahren.

Indem sie so von dem Wasser des Flusses abwärts getragen wurden, vernahmen sie plötzlich das Wiehern eines Pferdes. Die Wirkung dieses Lautes war eine blitzschnelle, denn noch war der Ton nicht ganz verklungen, so lagen die beiden Männer bereits auf dem Boden des Kanoe, so daß sie von außen nicht gesehen werden konnten.

Tkli – ein Pferd!“ flüsterte der Indianer in der Sprache der Apatschen.

„Es steht weiter abwärts,“ meinte der Weiße.

„Es hat uns gewittert. Wer mag der Reiter sein?“

„Ein Indianer nicht und ein guter, weißer Jäger auch nicht,“ sagte der Weiße.

„Warum?“

„Ein erfahrener Mann läßt sein Pferd nicht so laut wiehern.“

„Was thun wir?“

„Rudern wir an das Ufer. Wir steigen aus und schleichen uns hin.“

„Und das Kanoe bleibt liegen?“ fragte der Indianer. „Wenn es nun Feinde sind, welche uns an das Ufer locken und töten wollen?“

Pshaw, wir haben auch Waffen!“

„So mag wenigstens mein weißer Bruder den Kahn bewachen, während ich die Gegend untersuche.“

„Gut, ich bin einverstanden!“

Sie leiteten das Kanoe an das Ufer, wo der Indianer ausstieg, während der Weiße mit den Waffen in der Hand sitzen blieb, um seine Rückkehr zu erwarten. Nach einigen Minuten bereits sah er ihn in aufrechter Stellung kommen, das war ein Zeichen, daß keine Gefahr vorhanden sei.

„Nun?“ fragte der Weiße.

„Ein weißer Mann schläft dort hinter dem Busche.“

„Ah! Ein Jäger?“

„Er hat nur ein Messer.“

„Ist weiter niemand in der Nähe?“

„Ich habe niemand gesehen.“

„So wollen wir hin!“

Er sprang aus dem Fahrzeuge und band dieses fest; dann ergriff er seine schwere Rifle, zog die beiden Revolver, welche auch er besaß, halb hervor, um kampfbereit zu sein, und folgte dem Indianer. Sie erreichten bald die Stelle, an welcher der Schläfer lag. Neben ihm stand ein Pferd angebunden, welches auf mexikanische Weise gesattelt war.

Der Mann trug jene nach unten weiter werdenden mexikanischen Hosen, ein weißes Hemd und eine blaue, nach Husarenart um die Schultern hängend getragene Jacke.

Hemd und Hose wurde durch ein gelbes Tuch zusammengehalten, welches er wie einen Gürtel um die Hüften gewunden hatte. In diesem Gürtel stak außer einem Messer keine einzige Waffe. Der gelbe Sombrero lag über seinem Gesichte, um dasselbe gegen die warmen Strahlen der Sonne zu schützen. Der Mann schlief so fest, daß er das Nahen der beiden andern gar nicht hörte.

„Holla, Bursche, wach auf!“ rief der Weiße, ihn am Arme schüttelnd.

Der Schläfer erwachte, sprang empor und zog das Messer. „Verdammt, was wollt ihr?“ rief er schlaftrunken.

„Zunächst nur wissen, wer du bist.“

„Wer seid ihr denn?“

„Hm, mir scheint, du hast Angst vor dem roten Mann. Das ist nicht nötig, alter junge. Ich bin ein deutscher Trapper, Namens Helmers, und stamme aus der Gegend von Mainz, und dieser hier ist Shosh-in-liett, der Häuptling der Jicarillas-Apatschen.“

„Shosh-in-liett?“ fragte der Fremde. „O, dann habe ich keine Sorge, denn dieser große Krieger der Apatschen ist ein Freund der Weißen.“

Shosh-in-liett heißt zu deutsch Bärenherz.

„Nun, und du?“ fragte der Weiße, der sich Helmers genannt hatte.

„Ich bin Vaquero“ antwortete der Mann.

„Wo?“

„Jenseits des Flusses.“

„Bei wem?“

„Beim Grafen de Rodriganda.“

„Und wie kommst du herüber?“

„Alle Teufel, sagt mir lieber, wie ich hinüberkomme! Ich werde verfolgt.“

„Von wem?“

„Von den Comantschen.“

„Das scheint sich nicht zu reimen. Du wirst von Comantschen verfolgt und legst dich in aller Gemütsruhe hier schlafen!“

„Der Teufel schlafe nicht, wenn man so müde ist!“ „Wo trafst du auf die Comantschen?“

„Grad im Norden von hier, nach dem Rio Pecos zu. Wir waren fünfzehn Männer und zwei Frauen, sie aber zählten über sechzig.“

„Donnerwetter! Habt ihr gekämpft?“

„Ja.“

„Weiter, weiter!“

„Was weiter? Sie überfielen uns, ohne daß wir von ihrer Gegenwart etwas ahnten; darum machten sie die Mehrzahl von uns nieder und nahmen die Frauen gefangen. Ich weiß nicht, wie viele noch außer mir entkommen sind.“

„Wo kamt ihr her, und wohin wolltet ihr?“

Der Vaquero war nicht gesprächig; er ließ sich jedes Wort abkaufen; er antwortete:

„Wir waren nach Forte del Quadeloupe geritten, um die beiden Damen abzuholen, welche dort zu Besuch gewesen waren. Der Überfall geschah auf dem Heimwege.“

„Wer sind die Damen?“

„Sennorita Arbellez und Karja, die Indianerin.“

„Wer ist Sennorita Arbellez?“

„Die Tochter unsers Inspektors.“

„Und Karja?“

„Sie ist die Schwester von Tecalto, dem Häuptling der Miztecas.“

Da horchte Bärenherz auf.

„Die Schwester von Tecalto?“ fragte er.

„Ja.“

„Er ist mein Freund. Wir haben die Friedenspfeife miteinander geraucht. Die Schwester seines Herzens sollte nicht gefangen bleiben. Gehen meine weißen Brüder mit, sie zu befreien?“

„Ihr habt doch keine Pferde!“ sagte der Vaquero.

Der Indianer warf ihm einen geringschätzigen Blick zu und antwortete:

„Bärenherz hat ein Pferd, wenn er eins braucht. In einer Stunde wird er den Hunden von Comantschen eins genommen haben.“

„Verdammt, das wäre stark!“

„Nein, das versteht sich ganz von selbst,“ sagte der Weiße.

„Wie so?“

„Wann seid ihr gestern überfallen worden?“

„Am Abend.“

„Und wie lange hast du hier geschlafen?“

„Wohl kaum eine Viertelstunde.“

„So werden die Comantschen bald hier sein.“

„Alle Teufel!“

„Sicher!“

„Warum?“

„Du bist ein Vaquero und kennst die Gebräuche der Wilden nicht? Was für eine Absicht denkst du wohl, daß sie mit den Damen haben werden? Haben sie dieselben wohl wegen eines Lösegeldes gefangen genommen?“

„Nein, sicherlich nicht. Sie werden sie mitnehmen, um sie zu ihren Weibern zu machen, denn beide sind jung und schön.“

„Ja, ich habe gehört, daß die Mädchen der Miztecas wegen ihrer Schönheit berühmt sind. Wenn also die Comantschen die beiden Damen nicht wieder herausgeben wollen, so müssen sie dafür sorgen, daß man den Aufenthaltsort derselben nicht entdecken kann; sie müssen ihre Spur verbergen. Infolgedessen dürfen sie also auch keinen von euch entkommen lassen, und darum haben sie sich ganz gewiß aufgemacht, um dich zu verfolgen, damit du keine Kunde nach Hause tragen kannst.“

„Das leuchtet mir ein!“ sagte der Vaquero.

„Die Comantschen waren natürlich zu Pferde?“

„Ja.“

„Sie werden dich also auch zu Pferde verfolgen; sie werden auf deiner Spur reiten und Pferde haben, wenn sie hier ankommen.“

„Verdammt, das ist sehr leicht zu denken, obgleich ich nicht daran gedacht habe!“

„Ja, ein sonderlicher Scharfsinn scheinst du nicht zu sein! Dachtest du dir denn nicht, daß man dich verfolgen würde?“

„Natürlich!“

„Warum legtest du dich da zum Schlafen?“

„Ich war zu müde von der Anstrengung der Flucht.“

„Du mußtest wenigstens erst über den Fluß gehen!“

„Er ist hier zu breit, und das Pferd zu angegriffen.“

„Danke Gott, daß wir keine Comantschen sind! Du wärst hier eingeschlafen und dann im Paradiese ohne Kopfhaut erwacht. Hast du Hunger?“

„Ja.“

„So komm mit nach dem Kahne, führe aber zunächst dein Pferd weit hinter die Büsche, damit man es von weitem nicht sehen kann!“

Dieses Gespräch war nur von Helmers und dem Vaquero geführt worden. Bärenherz hatte sich nach dem Kanoe zurückbegeben, wo er ruhend auf der Büffelhaut lag. Der Vaquero erhielt Fleisch; Wasser gab es im Flusse; so war für alles gesorgt.

Nachdem er sich satt gegessen hatte, fragte ihn Helmers nach seinen näheren Verhältnissen. Als einige Zeit vergangen war, verließ Helmers den Kahn, um das etwas erhöhte Ufer zu erklettern und Ausguck zu halten. Er hatte die Höhe kaum erreicht, als er einen Ruf der Überraschung ausstieß:

„Holla, sie kommen! Bald hätten wir die rechte Zeit versäumt.“

Der Indianer stand im Nu bei ihm und schaute nach den Comantschen aus.

„Sechs Reiter!“ sagte er.

„Kommen auf jeden drei.“

Der deutsche Trapper schien gar nicht daran zu denken, daß der Vaquero auch einen der Feinde auf sich nehmen könne.

„Wer nimmt das Pferd?“ fragte Bärenherz.

„Ich,“ antwortete der Deutsche.

Der Indianer nickte und sagte dann:

„Von diesen Comantschen darf kein einziger entkommen!“

„Das versteht sich ganz von selbst,“ meinte Helmers. Dann wandte er sich an den Vaquero: „Du hast nur dein Messer?“

„Ja.“

„So kannst du uns bei dieser Sache gar nichts nützen. Du bleibst im Kanoe liegen, und ich nehme einstweilen dein Pferd.“

„Aber wenn es erschossen wird!“ sagte der Mann ängstlich.

„Dummheit, so bekommen wir sechs andre dafür!“

Der Mexikaner mußte dieser Anordnung Folge leisten. Er versteckte sich in das Kanoe, während die beiden andern sich nach dem Orte begaben, an welchem sie ihn gefunden hatten. Sie stellten sich neben das hinter den Büschen des Ufers versteckte Pferd und warteten.

Die Reiter, welche Helmers zuerst als sechs dunkle Punkte in der Ferne erkannt hatte, kamen schnell näher. Man konnte bereits ihre Bekleidung und Bewaffnung erkennen.

„Ja, es sind die Hunde der Comantschen,“ sagte Bärenherz.

„Sie haben sich mit den Kriegsfarben bemalt, geben also keinen Pardon,“ bemerkte Helmers.

„Sie sollen selbst keinen erhalten!“

„Die beiden Hintersten müssen zuerst daran glauben; die Vordersten bleiben uns dann gewiß.“

„Ich nehme die Hintersten,“ sagte der Apatsche.

„Gut!“

Die Comantschen waren jetzt auf einen halben Kilometer herangekommen; sie ritten noch immer im schnellsten Galopp. In einer Minute mußten sie sich im Bereiche der Büchsen befinden.

„Wie dumm sie sind!“ lachte der Deutsche.

„Diese Comantschen haben kein Hirn; sie vermögen nicht zu denken!“

„Sie könnten doch wenigstens vermuten, daß der Vaquero sich hier versteckt hat und auf sie wartet! Aber jedenfalls meinen sie, daß er sofort über den Strom geritten ist.“

„Ugh!“ sagte der Apatsche.

Mit dieser Aufforderung zur Aufmerksamkeit erhob er seine Büchse. Helmers that dasselbe. Zwei Schüsse krachten und noch zwei. Vier der Comantschen wälzten sich am Boden. Im nächsten Augenblicke saß Helmers auf dem Pferde des Vaquero und brach mit demselben durch die Büsche. Die beiden übrig gebliebenen Comantschen stutzten und hatten gar nicht Zeit, ihre Pferde zu wenden, so war der Deutsche schon bei ihnen. Sie erhoben ihre Tomahawks zum tödlichen Schlage, er aber hielt den Revolver bereit. Zweimal drückte er ab, und auch diese zwei stürzten von den Pferden.

Dieser Sieg war in weniger als zwei Minuten Zeit errungen. Die Pferde der Gefallenen wurden mit leichter Mühe eingefangen.

Jetzt kam der Vaquero herbei. Er hatte vom Kanoe aus alles beobachtet.

„Verdammt!“ meinte er, „das war ein Sieg!“

„Pah!“ lachte der Deutsche. „Sechs Comantschen, was ist das weiter. Man sollte eigentlich mit Menschenblut sparsamer umgehen, denn es ist der köstlichste Saft, den es giebt; aber diese Comantschen verdienen es nicht anders.“

Man nahm den Toten ihre Waffen ab und warf sie in das Gras, nachdem Bärenherz den beiden, die er getötet hatte, die Skalpe löste, um sie sich an den Gürtel zu hängen. Der Weiße nahm keinen Skalp.

„Was nun?“ fragte der Deutsche. „Brechen wir sofort auf?“

„Ja,“ antwortete der Apatsche. „Die Schwester meines Freundes soll nicht vergebens auf Hilfe rechnen.“

„Nehmen wir den Vaquero mit?“

Bärenherz musterte diesen und sagte dann:

„Thue, was du willst!“

„Ich gehe mit!“ erklärte der Mexikaner.

„Ich glaube nicht, daß wir dich brauchen können,“ meinte Helmers.

„Warum?“

„Ein Held bist du nicht.“

„Ich hatte ja keine Waffen jetzt!“

„Aber bei dem gestrigen Überfalle bist du doch auch geflohen.“

„Nur, um Hilfe herbei zu holen.“

„Ach! So! Nun, wirst du den Platz wiederfinden können, an welchem ihr überfallen wurdet?“

„Ja.“

„So magst du uns begleiten.“

„Darf ich mir von den Waffen der Indianer nehmen?“

„Ja. Nimm dir auch ein Pferd von ihnen. Das deinige lassen wir frei; es ist zu sehr abgetrieben und würde uns nur hinderlich sein.“

Die drei besten Pferde wurden bestiegen und die übrigen frei gelassen; dann setzte sich der kleine Zug in Bewegung.

Es ging nach Norden immer dem Rio Pecos zu. Der Weg führte zunächst durch offene Prairie, dann erhob sich eine Sierra vor ihnen, deren Berge mit Wald bestanden waren; sie ritten durch Thäler und Schluchten und gelangten gegen Abend auf eine Höhe, von welcher aus man eine kleine Savanna überblicken konnte.

„Ugh!“ rief der Apatsche, welcher voranritt.

„Was giebt es?“ fragte der Deutsche.

„Siehe!“

Bärenherz streckte die Hände aus und deutete nach unten. Dort lagerte ein Trupp Indianer, in dessen Mitte man die Gefangenen erblickte. Der Deutsche nahm ein kleines Fernrohr aus der Tasche, stellte es, hob es an das Auge und blickte hindurch.

„Was sieht mein weißer Bruder?“ fragte der Apatsche.

„Neunundvierzig Comantschen.“

Pshaw!“ sagte der Apatsche geringschätzend.

„Und sechs Gefangene.“

„Sind die Frauen mit dabei?“

„Ja, zwei.“

„Wir werden sie befreien!“

Diese Worte sagte der Häuptling mit so großer Seelenruhe, daß man glauben mußte, es verstehe sich ganz von selbst, er nähme es ganz allein mit einem Schock Comantschen auf.

„Am Abend?“ fragte der Deutsche.

„Ja,“ nickte der Apatsche.

„Aber wie?“

„Wie ein Häuptling der Apatschen!“ sagte Bärenherz stolz.

„Ich bin dabei. Diese neunundvierzig Comantschen können nicht hundert Wachen aufstellen.“

„Wir wollen uns verbergen.“

„Warum?“ fragte der Vaquero.

„Willst du dich etwa sehen lassen?“ antwortete Helmers.

„Nein. Aber hier können sie uns ja gar nicht sehen.“

„Es können ja auch noch andre außer dir entkommen sein. Die hat man gewiß auch verfolgt, und wenn die Verfolger zurückkehren, können sie uns sehr leicht bemerken. Halte die Pferde. Wir beide wollen zunächst dafür sorgen, daß unsre Fährte ausgewischt wird.“

Er kehrte mit Bärenherz eine Strecke weit auf dem Wege, den sie gekommen waren, zurück, um die Hufspuren unsichtbar zu machen; dann wurde im dichtesten Gebüsch der Anhöhe ein Versteck ausgesucht und auch gefunden, worin sie sich mit ihren Tieren verbargen.

Die Sonne ging unter, und es wurde Abend. Die finstere Nacht brach an, und noch regte sich nichts in dem Verstecke. Die beste Zeit zum Überfalle war kurz nach Mitternacht.

„Nun, hast du dir ausgesonnen, wie es zu machen ist?“ fragte der Deutsche den Apatschen.

„Ja,“ antwortete dieser.

„Wie?“

„Wie es tapfere Männer machen. Kannst du eine Wache töten, ohne daß sie einen Laut von sich giebt?“

„Ja.“

„Gut! So schleichen wir uns hinzu, töten die Wachen, schneiden die Fesseln der Gefangenen durch und entfliehen mit ihnen.“

„Natürlich mittels der Pferde?“

„Ja.“

„So wird es Zeit, zu beginnen, denn das Anschleichen ist eine langweilige Sache.“

„Aber dieser Vaquero bleibt zurück?“ fragte der Apatsche.

„Ja; er hat die Pferde zu halten.“

„Wo erwartet er uns?“

„Da, wo wir die Comantschen zuerst erblickten. Wir müssen dort vorüber, da wir doch jedenfalls nach dem Rio Grande zurückkehren.“

„So laß uns beginnen!“

Die beiden mutigen Männer ergriffen ihre Gewehre und schritten, nachdem sie dem Vaquero die nötigen Instruktionen erteilt hatten, davon.

Unten im Thale brannte ein einziges Wachtfeuer; rund um dasselbe lagen die schlafenden Comantschen und bei ihnen die gefesselten Gefangenen. Die Wachtposten waren jedenfalls außerhalb dieses Kreises zu suchen. Als die beiden das Thal erreichten, sagte Bärenherz:

„Ich gehe links, und du gehst rechts.“

„Gut. Auf alle Fälle befreien wir zunächst die beiden Frauen.“

Sie trennten sich.

Helmers umschritt das Lager nach der rechten Seite hin. Natürlich geschah dies nicht in aufrechter Stellung, sondern in der Weise, wie sie in der Prairie gebräuchlich ist. Man legt sich auf den Boden nieder und schiebt sich wie eine Schlange langsam und vorsichtig weiter. Man darf dabei weder gehört noch gesehen werden, auch muß man dafür sorgen, daß die Pferde keine Witterung bekommen, weil sie sonst durch ihr ängstliches Schnauben die Nähe des Feindes verraten.

So that es Helmers. Erst einen weiten Bogen schlagend, machte er denselben allmählich enger, bis er eine dunkle Gestalt erblickte, welche langsam auf und nieder schritt. Das war eine Wache. Er schlich sich mit der größten Vorsicht heran. Es war ein Glück, daß die Nacht finster war und das Feuer nicht mehr leuchtete. Er kam der Wache bis auf fünf Schritte nahe, dann schnellte er sich plötzlich auf dieselbe zu, packte sie von hinten mit der Linken bei der Kehle, schnürte diese so fest zu, daß ein Laut unmöglich war, und stieß ihr mit der Rechten das lange Bowiemesser in die Brust. Der Mann sank nieder, ohne ein Wort zu sagen oder das leiseste Geräusch machen zu können.

So gelang es ihm, nach vielleicht einer Viertelstunde, eine zweite Wache unschädlich zu machen; dann stieß er mit Bärenherz zusammen, welcher auf ganz dieselbe Weise auch zwei Comantschen getötet hatte.

„Nun die Frauen!“ flüsterte der Indianer.

„Vorsicht!“ bat der Deutsche.

Pshaw! Der Apatsche ist mutig, aber auch vorsichtig. Vorwärts!“ war die Antwort.

Sie wandten sich vollständig unhörbar durch das ziemlich fußhohe Gras nach dem Feuer hin. Die Frauen waren an der hellen Farbe ihrer Kleidung leicht zu unterscheiden. Helmers erreichte sie zuerst und näherte seine Lippen dem Ohre der einen. Dabei sah er trotz der Dunkelheit, daß sie die Augen offen hielt und ihn beobachtet hatte.

„Erschrecken Sie nicht und halten Sie sich still!“ flüsterte er. „Erst wenn ich auch Ihrer Freundin die Fesseln durchschnitten habe, eilen Sie zu den Pferden hin.“

Sie verstand ihn. Die Frauen lagen nebeneinander. Sie waren an Händen und Füßen gefesselt. Der Deutsche durchschnitt die Riemen, die ihnen in das Fleisch gedrungen waren.

Sobald der Apatsche bemerkte, daß der Deutsche sich der beiden Damen annahm, suchte er die männlichen Gefangenen auf. Es waren ihrer vier, und sie lagen in der Nähe. Er kroch zu ihnen heran. Auch sie schliefen nicht. Er nahm das Messer zur Hand, um auch ihre Riemen zu durchschneiden. Schon hatte er dies bei zweien gethan, da erhob sich ganz plötzlich in der Nähe einer der Indianer empor. Er hatte die Bewegungen des Apatschen im halben Schlafe gehört. Zwar erhob Bärenherz sofort sein Messer und stieß es ihm in die Brust, aber der zum Tode Getroffene fand dennoch Zeit, einen lauten Warnungsruf auszustoßen.

„Vorwärts, zu den Pferden! Mir nach!“ rief der Apatsche, indem er blitzschnell die Banden der übrigen zwei löste.

Sie sprangen empor und stürzten zu den Pferden.

„Schnell, schnell, um Gotteswillen!“ rief auch der Deutsche.

Er ergriff hüben und drüben eine der Damen und riß sie zu den Pferden hin; aber ihre Hand- und Fußgelenke waren von den Fesseln so eingeschnürt gewesen, daß sie kaum gehen konnten.

„Bärenherz!“ rief der Deutsche in höchster Angst.

„Hier!“ ertönte die Stimme des Apatschen.

„Schnell herbei!“

Im nächsten Augenblicke war der Häuptling da. Er ergriff eine der Frauen, hob sie empor und eilte mit ihr zu den Pferden. Helmers that es mit der andern ebenso. Sie sprangen auf, zogen die Frauen zu sich auf das Pferd, schnitten die Lassos durch, an denen die Tiere angepflockt gewesen waren, und jagten davon.

Das alles war unter lauter Angst, aber auch mit der Schnelligkeit des Blitzes geschehen, aber keinen Augenblick zu früh, denn gerade in dem Momente, an welchem sie ihre Tiere in Bewegung setzten, krachten hinter ihnen die Schüsse der Comantschen.

Diese hatten gar nicht an die Möglichkeit eines Überfalles gedacht und darum fest geschlafen. Jetzt sprangen sie empor und griffen zu den Waffen. Sie bildeten ein wirres Durcheinander und merkten erst dann, was geschehen war, als die Gefangenen bereits davonsprengten. Nun warfen auch sie sich auf die noch übrigen Pferde und jagten den Entflohenen nach.

Helmers und der Apatsche ritten an der Spitze. Sie kannten den Weg, und jeder von ihnen hatte ein Mädchen vor sich liegen. Oben auf der Höhe wartete der Vaquero auf sie. Als er sie kommen hörte, stieg er auf und nahm die beiden andern Pferde am Zaum.

„Uns nach!“ rief Helmers ihm zu, der ihn halten sah.

So ging die wilde Jagd bei voller Dunkelheit jenseits wieder in das Thal hinab, voran die Flüchtlinge und hinter ihnen die Comantschen, welche ohne Aufhören die Gewehre luden und abschossen, ohne doch jemand zu treffen. Da endlich erreichte man die freie Prairie, und nun endlich konnte man an eine Gegenwehr denken.

„Können Sie reiten, Sennora?“ fragte Helmers seine Dame.

„Ja!“

„Hier ist der Zügel! Immer grad aus!“

Er sprang ab und stieg auf sein Pferd, welches der Vaquero am Zügel führte. Der Apatsche that ganz dasselbe. Sie bildeten nun die Nachhut und hielten mit ihren vortrefflichen Büchsen die Indianer im Schach. So ging es fort, bis der Morgen graute, und da zeigte es sich, daß die Comantschen weit zurückgeblieben waren, teils aus Vorsicht, teils wohl auch deshalb, weil sie ihre Tiere jetzt noch nicht so antreiben wollten, wie die Flüchtigen.

„Wollen wir langsamer reiten?“ fragte der Vaquero.

„Nein,“ antwortete der Deutsche. „Immer fort, so schnell wie möglich, damit wir den Strom zwischen uns und die Comantschen bringen.“

Er konnte jetzt die beiden befreiten Frauen deutlich sehen und also genauer betrachten. Die eine war eine Spanierin und die andere eine Indianerin, aber jede schön in ihrer Art.

„Können Sie den Ritt noch aushalten, Sennorita?“ fragte er die erstere.

„So lange, als Sie wollen,“ antwortete sie.

„Wie soll ich Sie nennen?“

„Mein Name ist Emma Arbellez. Und der Ihrige?“

„Ich heiße Helmers.“

„Helmers? Das klingt deutsch.“

„Ich bin auch wirklich ein Deutscher. Wir müssen bald über den Fluß, Sennorita.“

„Wird uns das gelingen?“

„Ich hoffe es. Leider sind nur drei von uns bewaffnet; doch liegen dort am Rio Grande noch die übrigen Waffen, welche wir gestern den Comantschen abgenommen haben.“

„Sie haben schon gestern gekämpft?“

„Ja. Wir trafen den Vaquero und hörten von ihm das Nähere. Wir erlegten seine Verfolger und beschlossen, auch Sie zu befreien.“

„Zwei Männer! Gegen so viele!“ wunderte sie sich.

Als die fliehende Truppe den Rio Grande erreichte, hatte sie die Verfolger so weit hinter sich gelassen, daß man sie ganz aus den Augen verloren hatte, Die Waffen der erschossenen Indianer lagen noch hier und wurden unter diejenigen verteilt, welche keine Waffen hatten. Die vier männlichen Geretteten waren drei Vaqueros und ein Majordomo oder Hausmeister.

„Was thun wir?“ fragte der letztere. „Erwarten wir die Indianer hier, um ihnen einen Denkzettel zu geben? Wir haben jetzt acht Gewehre.“

„Nein, wir setzen über. Drüben haben wir den Fluß als Verteidigungslinie vor uns. Die Damen nehmen im Kanoe Platz,“ sagte Helmers.

So geschah es. Der Majordomo ruderte die Damen hinüber, während die andern zu Pferde in das Wasser gingen. Es ging alles ganz glücklich von statten. Und als man drüben anlangte, wurde das Kanoe versenkt und Anstalt zur Verteidigung getroffen. Dabei hielt sich Emma Arbellez, immer an der Seite des Deutschen.

„Warum reiten wir nicht sofort weiter, Sennor?“ fragte sie.

„Die Klugheit verbietet uns das,“ antwortete er. „Wir haben einen Feind hinter uns, der uns an Zahl bedeutend überlegen ist.“

„Aber acht Gewehre!“ meinte sie mutig.

„Gegen fünfzig, die der Feind hat. Bedenken Sie, daß wir Damen zu beschützen haben!“

„So meinen Sie, wir wollen uns hier belagern lassen?“

„Nein. Die Comantschen glauben sicher, daß wir nach unsrem Übergang sofort weiter geritten sind. Sie werden also auch sogleich in das Wasser gehen, und wenn ihrer genug im Flusse sind, so können wir ihre Zahl derart lichten, daß sie von der Verfolgung ablassen müssen.“

„Wenn sie nun aber vorsichtig sind?“

„Inwiefern?“

„Erst Kundschafter herüberschicken?“

„Hm, wahrhaftig, es ist möglich, daß sie das thun!“

„Welche Maßregeln werden Sie dagegen treffen?“

„Wir reiten weiter und kehren auf einem Umwege zurück. Vorwärts also, ehe sie kommen!“

Man stieg wieder zu Pferde und sprengte in vollster Carriere in die jenseitige Ebene hinein. Dort schlug man einen Bogen und kehrte zurück. Man erreichte den Fluß etwas oberhalb der Stelle, an welcher man übergesetzt hatte. Das war kaum geschehen, so ließ sich drüben lauter Hufschlag hören.

„Sie kommen!“ sagte der Majordomo.

„Haltet den Pferden die Nüstern zu, damit sie nicht wiehern!“ gebot Helmers.

Das kluge Mädchen hatte doch richtig geahnt. Die Comantschen suchten drüben die Spuren ab, und dann ritten zwei von ihnen vorsichtig in den Fluß. Sie kamen herüber, suchten auch hier und fanden die Fährte, welche weiter fortführte.

Ni-uake, mi ua o-o, ni esh miushyame – hier sehen wir sie; ihr könnt kommen!“ riefen sie hinüber.

Auf diese Aufforderung ging der ganze Trupp, ein Mann nach dem andern, in das Wasser. Der Fluß war so breit, daß der erste der Comantschen das eine Ufer noch nicht erreicht hatte, als der letzte das andre verließ. Die Flüchtlinge staken im Gebüsch versteckt. Jetzt war es Zeit für sie.

„Wohin zielen wir?“ fragte der Majordomo.

„Auf die ersten im Wasser. Die beiden, welche bereits hüben halten, sind uns sicher!“

„Nur nicht zwei auf einen Mann schießen!“ warnte der Apatsche. „Zählt allemal acht ab. Wir schießen so auf sie in der Reihe, wie wir hier in der Reihe stehen.“

„Gut, vortrefflich!“ sagte Helmers. „Fertig?“

„Ja,“ flüsterte es siebenfach die Antwort.

„So, Feuer!“

Die acht wohlgezielten Schüsse krachten in einem und demselben Augenblicke; ein einziger Kanonenschlag, und die acht vordersten Comantschen versanken im Wasser. Der Deutsche und der Apatsche hatten Doppelbüchsen; Sie drückten ihre zweiten Läufe ab und ließen noch zwei Feinde versinken.

„Schnell wieder laden!“ rief Helmers.

Es war wunderbar, ja fast lächerlich anzusehen, welche Wirkung die Salve auf die Überlebenden hervorbrachte. Die Comantschen rissen ihre Pferde herum und schwammen wieder dem entgegengesetzten Ufer zu. Viele glitten vorsichtig von den Tieren herab und schwammen neben denselben, um sich durch sie decken zu lassen. Die zwei aber, welche bereits am diesseitigen Ufer waren, zeigten sich als die besorgtesten, aber auch – unvorsichtigsten. Sie rissen ihre Büchsen herab und kamen im Galopp herbeigesprengt. Sofort zog der Deutsche den Revolver und schlich ihnen hinter dem Buschwerk entgegen. Sie sahen ihn nicht, und eben, als sie an der Stelle, wo er sich befand, vorüber wollten, drückte er zweimal ab. Sie stürzten tot vom Pferde.

„Holla, noch zwei geladene Gewehre!“ rief Helmers.

„Die sind für uns!“ antwortete Emma Arbellez.

„Können Sie schießen?“

„Alle beide.“

„Dann schnell!“

Er sprang dahin zurück, wo er seine Doppelbüchse weggelegt hatte, und die beiden Damen ergriffen die Gewehre der zwei Comantschen. Das alles war so schnell gegangen, daß seit der ersten Salve bis jetzt kaum eine Minute vergangen war. Man hatte wieder geladen.

„Feuer!“ ertönte der Kommandoruf.

Die Feinde hatten das jenseitige Ufer noch nicht wieder erreicht; sie erhielten jetzt eine Salve aus den einfachen und zwei Doppelgewehren, welche fast alle gut gezielt waren. Mehrere Verwundete waren vom Flusse abwärts getrieben, und mehrere Unverletzte stellten sich tot, um die tapferen Verteidiger zu täuschen, indem auch sie sich abwärts treiben ließen, um so den Kugeln zu entgehen.

„Laßt euch nicht betrügen!“ rief Helmers. „Schnell laden, und diesen Schuften längs des Ufers nach! Wer nicht untergeht, der hat noch Leben!“

Man gehorchte seinen Worten, und bald hatten die Comantschen weit über zwanzig Tote verloren. Sie staken nun drüben im Gebüsch und getrauten sich nicht wieder hervor.

„Jetzt mag es genug sein!“ sagte der Deutsche.

„Sie werden uns nicht weiter verfolgen,“ meinte der Apatsche. „Diese Hunde von Comantschen haben kein Hirn in ihren Schädeln!“

„Ich danke Ihnen für den Beistand, den Sie uns geleistet haben, Sennoritas,“ sagte Helmers. „Ich hatte keine Ahnung davon, daß Sie schießen wie ein Westmann.“

„Man ist in unsern einsamen Gegenden gezwungen, diese Fertigkeit sich anzueignen,“ sagte Emma. „Denken Sie wirklich, daß wir jetzt nun unbelästigt bleiben?“

„Ich hoffe es!“

„So wollen wir aufbrechen. Dieser Ort, der so viel Leben gekostet hat, ist mir schauerlich, obgleich ich selbst auch zur Waffe gegriffen habe.“

„Dort sind die Pferde der beiden letzten Indianer; nehmen wir sie mit?“ fragte Helmers.

„Versteht sich!“ antwortete der Majordomo. „Ein indianisch zugerittenes Pferd hat stets einen guten Wert. Meine Vaqueros werden sie am Zügel nehmen.“

Nach einem nur kurzen Verweilen stieg man wieder auf und ritt nun wirklich in die Prairie hinein, in welche man sich bisher nur zum Scheine vertieft hatte. So oft und so scharf die Truppe auch den hinter ihr liegenden Horizont musterte, es zeigte sich doch keine Spur von Verfolgung mehr. So vergingen einige Stunden, und nun erlaubte man den Pferden, einen langsameren Schritt zu gehen, was auch die Unterhaltung erleichterte.

Bärenherz ritt, wie bereits vorher, so auch jetzt wieder an der Seite der Miztecas-Indianerin, während sich der Deutsche zu der Mexikanerin hielt.

„Wir sind nun fast einen Tag beisammen, ohne uns nur im geringsten kennen gelernt zu haben,“ sagte dieser letztere zu seiner Dame. „Legen Sie das nicht auf Rechnung meiner Unhöflichkeit, sondern auf Rechnung der außerordentlichen Umstände!“

„O, ich meine doch, daß wir uns gerade im Gegenteile recht gut kennen!“ meinte sie lächelnd.

„Inwiefern?“

„Ich weiß von Ihnen, daß Sie für andre Ihr Leben wagen, daß Sie ein kühner und umsichtiger Jäger sind, und Sie wissen von mir, daß – daß – daß ich auch schießen kann.“

„Das ist allerdings etwas, aber nicht viel. Lassen Sie mich wenigstens meinerseits das Notwendigste nachholen!“

„Ich werde Ihnen sehr dankbar sein, Sennor!“

„Mein Name ist Anton Helmers; ich bin der jüngere von zwei Brüdern. Wir wollten studieren, da aber die Mittel nicht ausreichten und der Vater starb, so ging mein Bruder zur See und ich nach Amerika, wo ich nach vielen Irrfahrten mich schließlich in der Prairie als Waldläufer etablierte.“

„Also Anton heißen Sie? Da darf ich Sie wohl Sennor Antonio nennen?“

„Wenn es Ihnen so beliebt, ja.“

„Aber wie kommen Sie so weit herab nach dem Rio Grande?“

„Hm, das ist eine Sache, von der ich eigentlich nicht sprechen sollte!“

„Also ein Geheimnis?“

„Vielleicht ein Geheimnis, vielleicht auch nur eine recht sehr große Kinderei.“

„Sie machen mich neugierig!“

„Nun, so will ich Sie nicht auf die Folter spannen,“ sagte er lachend. „Es handelt sich nämlich um nichts mehr und nichts weniger als um die Hebung eines unendlich reichen Schatzes.“

„Was für eines Schatzes?“

„Eines wirklichen, aus kostbaren Steinen und edlen Metallen bestehenden Schatzes.“

„Und wo soll derselbe liegen?“

„Das weiß ich noch nicht.“

„Ah, das ist unangenehm! Aber wo haben Sie denn von dem Vorhandensein dieses Schatzes gehört?“

„Hoch droben im Norden. Ich hatte das Glück, einem alten, kranken Indianer einige nicht ganz wertlose Dienste zu leisten, und als er starb, vertraute er mir zum Dank dafür das Geheimnis von dem Schatze an.“

„Aber er sagte Ihnen die Hauptsache nicht, nämlich wo er liegt?“

„Er sagte mir, daß ich ihn in Mexiko zu suchen habe, und gab mir eine Karte mit, bei welcher sich ein Situationsplan befindet.“

„Und welche Gegend betrifft diese Karte?“

„Ich weiß es nicht. Die Karte enthält zwar Höhenzüge, Thalbildungen und Wasserläufe, aber keinen einzigen Namen.“

„Das ist allerdings höchst sonderbar. Weiß auch Shoshin-liett, der Häuptling der Apatschen, davon?“

„Nein.“

„Und doch scheint er Ihr Freund zu sein?“

„Er ist das allerdings im vollsten Sinne des Wortes.“

„Und mir, mir teilen Sie das Geheimnis mit, obgleich wir uns erst heute gesehen haben?“

Er blickte ihr mit seinen treuen, ehrlichen Augen voll in das Gesicht und antwortete:

„Es giebt Menschen, denen man es ansieht, daß man kein Geheimnis vor ihnen zu machen braucht.“

„Und zu diesen Personen rechnen Sie mich?“

„Ja.“

Sie reichte ihm die Hand und sagte:

„Sie täuschen sich nicht. Ich werde Ihnen dies beweisen, indem ich ebenso aufrichtig gegen Sie bin und Ihnen eine auf Ihr Geheimnis bezügliche Mitteilung mache. Soll ich, Sennor?“

„Ich bitte Sie sogar darum!“ antwortete er mit überraschter Stimme.

„Ich kenne nämlich einen, der auch nach diesem Schatze trachtet.“

„Ah! Wer ist es?“

„Unser junger Prinzipo, der Graf Alfonzo de Rodriganda de Sevilla.“

„Er weiß von dem Schatze?“

„O, wir alle wissen, daß die früheren Beherrscher des Landes ihre Schätze verbargen, als die Spanier Mexiko eroberten. Außerdem giebt es Orte, an denen das gediegene Gold und Silber in Massen zu finden ist. Man nennt solche Orte eine Bonanza. Die Indianer kennen diese Orte, sterben aber lieber, als daß sie einem Weißen ihr Geheimnis anvertrauen.“

„Und diesem Alfonzo de Rodriganda hat es doch einer anvertraut?“

„Nein. Wir bewohnen die Hacienda del Erina, und es geht die Sage, daß in der Nähe derselben sich eine Höhle befindet, in welcher die Herrscher der Miztecas ihre Schätze versteckt haben. Es ist viel nach dieser Höhle gesucht worden; Graf Alfonzo hat sich die meiste Mühe gegeben, aber keiner hat sie gefunden.“

„Wo liegt diese Hacienda del Erina?“

„Etwas über eine Tagereise von hier am Abhange der Berge von Cohahuila. Sie werden sie sehen, denn ich hoffe, daß Sie uns bis dorthin begleiten!“

„Ich werde Sie nicht eher verlassen, als bis ich Sie vollständig in Sicherheit weiß, Sennorita!“

„Sie werden uns auch dann noch nicht verlassen, sondern unser Gast sein, Sennor!“

„Gerade Ihre Sicherheit erfordert, daß ich Sie sofort wieder verlasse.“

„Wieso?“

„Wir haben einige Comantschen getötet, und ich bin vollständig überzeugt, daß uns einige Späher heimlich folgen werden, um zu sehen, wo wir zu finden sind. Sie werden uns, wenn diese Kundschafter nicht unschädlich gemacht werden, überfallen, um sich zu rächen. Darum werde ich bei der Hacienda mit Bärenherz umkehren, um die Späher zu töten.“

Sie warf ihm einen besorgten Blick zu und sagte:

„Sie begeben sich in eine neue Gefahr!“

„Gefahr? Pah! Der Prairiejäger befindet sich stets in Gefahr; er ist an sie gewöhnt. Bleiben wir aber für jetzt bei unserm Thema, dem Schatze des Königs! Es weiß also niemand, wo die Höhle zu suchen ist?“

„Wenigstens kein Weißer.“

„Aber ein Indianer?“

„Ja. Es giebt einen, der den Schatz der Könige ganz sicher kennt, vielleicht sind es auch zwei. Tecalto ist der einzige Nachkomme der einstigen Beherrscher der Miztecas; sie haben das Geheimnis auf ihn vererbt. Karja, welche dort neben dem Häuptling der Apatschen reitet, ist seine Schwester, und es ist nicht unmöglich, daß er es ihr mitgeteilt hat.“

Helmers betrachtete die schöne Indianerin jetzt mit größerem Interesse als vorher.

„Ist sie verschwiegen?“ fragte er.

„Ich denke es,“ antwortete sie. Dann fügte sie lächelnd hinzu: „Man sagt allerdings, daß Damen nur bis zu einem gewissen Punkte verschwiegen sind.“

„Und welcher Punkt ist dies, Sennora?“

„Die Liebe.“

„Ah! Es ist möglich, daß Sie recht haben,“ scherzte er. „Darf ich vielleicht erfahren, ob Karja bereits bei diesem Punkte angekommen ist?“

„Ich halte dies fast für möglich.“

„Ah! Wer ist der Glückliche?“

„Raten Sie! Es ist nicht schwer.“

Die Stirn des Jägers zog sich scharf zusammen.

„Ich vermute es,“ sagte er. „Es ist Graf Alfonzo, der ihr auf dem Wege der Liebenswürdigkeiten das Geheimnis entlocken will.“

„Sie raten richtig.“

„Und Sie glauben, daß seine Bestrebungen Erfolg haben?“

„Sie liebt ihn.“

„Und ihr Bruder, der Nachkomme der Miztecas? Was sagt er zu dieser Liebe?“

„Vielleicht weiß er noch nichts davon. Er ist der berühmteste Cibolero, und kommt nur selten einmal nach der Hacienda.“

„Der berühmteste Cibolero? Dann müßte ich ja seinen Namen kennen! Der Name Tecalto aber ist mir unbekannt.“

„Er wird von den Jägern nicht Tecalto genannt, sondern Mokaschi-motak.“

„Mokaschi-motak, Büffelstirn?“ fragte Helmers überrascht. „Ah, den kenne ich allerdings. Büffelstirn ist der bekannteste Büffeljäger zwischen dem Red-River und der Wüste Mapimi. Ich habe sehr viel von ihm gehört und würde mich freuen, ihn einmal zu sehen. Und Karja ist also die Schwester dieses berühmten Mannes? Da muß man sie ja mit ganz andern Augen ansehen, als vorher!“

„Wollen Sie vielleicht Ihre Liebenswürdigkeit auch an ihr versuchen?“

Er lachte und antwortete:

„Ich? Wie kann ein Westmann liebenswürdig sein! Und wie könnte ich mit einem Grafen de Rodriganda in die Schranken treten wollen! Wäre es mir möglich, liebenswürdig zu sein, so würde ich dies bei einer ganz andern versuchen!“

„Und wer wäre diese andre?“ fragte sie.

„Nur Sie allein, Sennora!“ antwortete er aufrichtig.

Ihr Auge leuchtete ihm glückverheißend zu, als sie antwortete:

„Aber bei mir könnten Sie ja nichts von Ihrem Königsschatze erfahren!“

„O Sennora, es giebt Schätze, welche mehr wert sind, als eine ganze Höhle voll Gold und Silber. In diesem Sinne wünschte ich, einmal ein glücklicher Gambusino (Goldsucher) zu sein!“

„Suchen Sie, vielleicht finden Sie!“

Sie streckte ihm ihre Hand entgegen, und als er diese ergriff, war es ihnen beiden, als ob ein elektrisches Fluidum von dem einen auf das andre niederströme. Sie hatten sich verstanden.

Während dieser Unterredung war hinter ihnen eine andre geführt worden. Da ritt Bärenherz an der Seite der Indianerin. Sein Auge umfaßte die Gestalt seiner Nachbarin, welche mit einer Sicherheit auf dem halbwilden Pferde saß, als habe sie niemals anders als auf einem indianischen Männersattel geritten. Der schweigsame Häuptling war nicht gewohnt, seine Worte zu verschwenden; wenn er aber sprach, so hatte eine jede Silbe das doppelte Gewicht. Karja kannte diese Art und Weise der wilden Indianer, und darum wunderte sie sich auch nicht darüber, daß er wortlos blieb. Doch fühlte sie es förmlich, daß sein Auge durchdringend auf ihr ruhte, und fast erschrak sie, als er sie anredete:

„Zu welchem Volke gehört meine junge Schwester?“

„Zu dem Volke der Miztecas,“ antwortete sie.

„Das war einst eine große Nation und ist noch jetzt durch die Schönheit seiner Frauen berühmt. Ist meine junge Schwester eine Squaw oder ein Mädchen?“

„Ich habe keinen Mann.“

„Ist ihr Herz noch ihr Eigentum?“

Bei dieser direkten Frage, welche ein Weißer sicherlich nicht ausgesprochen hätte, rötete sich ihr dunkles Gesicht, aber sie antwortete mit fester Stimme:

„Nein.“

Sie wußte, daß es hier besser sei, die Wahrheit zu sagen, denn sie kannte die Apatschen. Es veränderte sich kein Zug seines eisernen Gesichtes, und er fragte weiter:

„Ist es ein Mann ihres Volkes, der ihr Herz besitzt?“

„Nein.“

„Ein Weißer?“

„Ja.“

„Bärenherz beklagt seine Schwester. Sie mag es ihm sagen, wenn der Weiße sie betrügt.“

„Er wird mich nicht betrügen!“ antwortete sie stolz und zurückweisend.

Ein leises, leises Lächeln zuckte um seine Lippen; er schüttelte den Kopf und entgegnete:

„Die weiße Farbe ist falsch und wird leicht schmutzig. Meine Schwester mag vorsichtig sein!“

Dies war das ganze Gespräch zwischen den beiden, aber es war wenigstens ebenso folgewichtig, wie die Unterredung zwischen dem Deutschen und der Mexikanerin.

Im Verlaufe des Weiterrittes erfuhr Helmers, daß die beiden Frauen oben am Rio Pecos gewesen waren, um eine Tante der Mexikanerin zu besuchen, welche schwer krank darniederlag. Diese Verwandte war die Schwester von Emmas Mutter, also die Schwägerin des alten Petro Arbellez, welcher der Verwalter des Grafen Ferdinando de Rodriganda gewesen war, jetzt aber als Pächter des Grafen auf der Hacienda del Erina lebte. Die Pflege der beiden Frauen hatte den Tod der Tante nicht zu hindern, sondern nur zu verzögern vermocht. Später hatte Arbellez den Majordomo mit den Vaqueros geschickt, um die Tochter abholen zu lassen. Auf dem Rückwege waren sie von den Comantschen überfallen worden und wären ohne die Dazwischenkunft des Deutschen und des Apatschenhäuptlings ganz sicher verloren gewesen.

Man ritt immer nach Süden zu. Der Tag neigte sich zu Ende; sie hatten nur noch eine Stunde bis zum Hereinbruche des Abends und befanden sich am Rande einer weiten Ebene, welche nun hinter ihnen lag, als der Apatsche sein Pferd anhielt und hinter sich zeigte:

„Uff!“ rief er.

Die andern drehten sich um, die Ebene zu durchmustern.

„Ich sehe nichts,“ sagte der Majordomo.

„Wir auch nicht,“ erklärten die Vaqueros, trotzdem sie Augen besaßen, welche gewohnt waren, in weite Fernen zu spähen.

„Was giebt es?“ fragte Emma.

„Auch Sie sehen nichts?“ antwortete Helmers.

„Nein. Siehst du etwas, Karja?“

„Nicht das mindeste,“ erklärte die Indianerin.

„Der Häuptling der Apatschen kann doch nicht den Trupp wilder Pferde meinen, den man dort erblickt?“ fragte der Majordomo.

„Uff!“ sagte der Apatsche mit geringschätziger Miene.

„Gerade den meint er,“ sprach der Deutsche.

„Was gehen uns die Mustangs an?“

„Sind sie wirklich so gleichgültig, Sennor Majordomo?“

„Ja. Wir sind ja mit Pferden versehen!“

„Seht sie Euch genauer an!“

Ungefähr zwei englische Meilen hinter ihnen galoppierte eine Herde von Pferden mit erhobenen Schwänzen und wehenden Mähnen einher. Sie kam immer näher. Kein Reiter, kein Sattel oder Bügel, kein Zügel, nicht die dünnste Schnur ließ sich sehen.

„Es sind Mustangs!“ sagte der Majordomo nochmals.

„Uff!“ rief der Apatsche zum zweitenmal, jetzt aber wirklich verächtlich.

Er lenkte sein Pferd wieder herum und ritt im Galopp vorwärts. Die andern mußten folgen. Emma drängte ihr Pferd wieder zu Helmers heran und fragte:

„Was hat der Apatsche?“

„Er ärgert sich.“

„Worüber?“

„Über die Dummheit des Majordomo.“

„Dummheit? Sennor Helmers, unser Majordomo ist ein sehr erfahrener Mann!“

„In zahmen Angelegenheiten vielleicht.“

„O nein. Er ist ein tüchtiger Reiter und Schütze, ein Pfadfinder, der seinesgleichen sucht; man kann sich in jeder Beziehung auf ihn verlassen.“

„Ein Pfadfinder? Hm!“ Jetzt blickte der Deutsche verächtlich drein. „Ja, ein Pfadfinder in den Straßen einer Stadt oder auf den Gassen eines Dorfes. Zu einem Rastreador, zu einem wirklichen, tüchtigen Pfadfinder gehört mehr. Sie sagen, daß man sich in jeder Beziehung auf ihn verlassen könne, und doch wären Sie verloren, wenn Sie jetzt nur allein auf seine Erfahrung und seinen Scharfsinn angewiesen wären.“

„Ah! Wieso?“

„Weil diese Pferde keine wilden Mustangs sind.“

„Was sonst?“

„Es sind die Comantschen, die uns verfolgen.“

„Die Comantschen? Man sieht doch nur die Pferde!“

„Ja, aber die Roten sind dennoch dabei. Sie haben einen Riemen um Hals und Leib der Pferde gezogen, und in diesen Riemen hängen sie mit dem linken Arme und dem rechten Beine. Sahen Sie nicht, daß uns nur die rechten Flanken der Pferde zugekehrt waren, trotzdem sie grade hinter uns herreiten? Sie lassen ihre Tiere in schiefer Körperstellung galoppieren. Eine solche schiefe Haltung ist stets das sicherste Zeichen, daß ein Indianer sich hinter dem Pferde verbirgt.“

„Heilige Madonna! So werden sie uns abermals angreifen?“

„Entweder sie uns oder wir sie. Ich ziehe das letztere vor. Der Apatsche ist ganz meiner Meinung. Sehen Sie, wie er nach beiden Seiten späht!“

„Was sucht er?“

„Einen Versteck für uns, von welchem aus wir die Comantschen fassen können. Überlassen wir ihm alles. Er ist die tüchtigste und wackerste Rothaut, die ich kenne, und auf ihn allein verlasse ich mich lieber, als auf Tausende von Ihren Majordomos, so erfahren sie auch sind!“

„Gut! Verlassen wir uns auf ihn und auf noch einen!“

„Auf wen?“

„Auf Sie.“

„Ah, wollen Sie das wirklich?“ fragte er mit einem freudigen Aufleuchten seiner Augen.

„Von ganzem Herzen!“ antwortete sie. „Sie loben nur den Apatschen, aber Sie vergessen, zu sagen, daß man Ihnen wenigstens ebenso vertrauen kann, als ihm.“

„Glauben Sie das wirklich?“

„Ja. Ich habe Sie beobachtet. Sie sind kein gewöhnlicher Jäger, und ich glaube sicher, daß auch Sie einen Ehrennamen tragen, den Ihnen die Trapper und Indianer gegeben haben.“

Er nickte.

„Sie erraten es.“

„Und welches ist Ihr Jägername?“

„O bitte, nennen Sie mich immer Antonio oder Helmers.“

„Sie wollen ihn mir nicht sagen?“

„Jetzt nicht. Wenn man ihn einmal zufällig nennen wird, werde ich mich zu erkennen geben.“

„Ah, Sie sind eitel! Sie wollen incognito sein wie ein Fürst.“

„Ja,“ lachte er. „Ein guter Jäger muß ein klein wenig eitel sein, und Fürsten sind wir alle, nämlich Fürsten der Wildnis, des Waldes und der Prairie.“

„Fürsten! ja, das ist richtig!“

Während dieses Gespräches hatte man im Galoppe den Weg fortgesetzt. Die offene Prairie lag hinter ihnen, und sie ritten nun durch ein Hügel- und Felsengewirr, welches ganz geeignet war, ein Versteck zu bieten. Dies hatte der Apatsche gewollt, denn plötzlich bog er rechts ein und schlug einen schnellen, aber weiten Bogen, so daß sie nach bereits zehn Minuten eine Stelle erreichten, an welcher sie vorher vorbeigekommen waren.

Diese Stelle war von Bärenherz sehr vorsichtig gewählt worden. Die Truppe hielt nämlich auf einer von drei Seiten geschützten Anhöhe, welche steil in die Schlucht niederfiel, durch welche sie vorhin gekommen waren und welche also auch die Comantschen passieren mußten, wenn sie die Verfolgung wirklich fortsetzten.

Der Apatsche stieg vom Pferde und pflockte dasselbe an. Die andern thaten ebenso.

„Jetzt die Gewehre zur Hand!“ gebot Helmers. „Wir werden nicht lange warten müssen.“

Die andern gehorchten diesem Gebote; sogar die beiden Mädchen ergriffen die erbeuteten Büchsen. Sie schritten vor bis an den Rand und legten sich dort auf die Lauer.

„Pst, Sennor!“ winkte der Deutsche dem Majordomo. „Den Kopf zurück, damit wir nicht bemerkt werden. Diese Comantschen haben scharfe Augen.“

„Späher vorüber lassen!“ sagte der Apatschenhäuptling in seiner kurzen Weise.

„Was meint er?“ fragte einer der Vaqueros.

„Das ist doch sehr einfach,“ antwortete der Deutsche. „Die Comantschen werden natürlich vermuten, daß wir auf den Gedanken kommen, ihnen aufzulauern. Daher werden sie wohl einen oder zwei Kundschafter voranreiten lassen, um sich zu überzeugen, ob wir einen Hinterhalt gelegt haben; sie kommen dann in sicherer Entfernung nach. Wir lassen also die Späher vorüber, welche unsrer Fährte weiter folgen werden, und warten, bis die andern kommen. Aber wir schießen nicht aufs Geratewohl, sondern in der Reihenfolge, wie wir liegen, damit keine Kugel verschwendet werde. Der erste von uns schießt auf den ersten Comantschen, der zweite auf den zweiten und so weiter. Verstanden?“

Die Vaqueros nickten zustimmend, und nun entstand eine Pause der Erwartung.

Da endlich hörte man den vorsichtigen Hufschlag zweier Pferde. Zwei Comantschen kamen langsam durch das Felsengewirr. Ihre scharfen Augen suchten jeden Quadratzoll der Umgegend ab, wurden aber getäuscht, da die Spur der Mexikaner weiter führte. Daß diese seitwärts einen Bogen geschlagen hatten und zurückgeritten waren, das wußten die Wilden nicht. Sie ritten vorüber und verschwanden hinter den Steinen.

Nach einigen Minuten hörte man erneutes Pferdegetrappel. Die übrigen kamen. Sie ritten unbesorgt heran, da sie ihre Kundschafter vor sich wußten. Als der letzte von ihnen in der Schlucht erschienen war, streckte der Apatsche sein Gewehr vor.

„Feuer!“ kommandierte der Deutsche.

Die Büchsen krachten, diejenigen des Deutschen und des Apatschen zweimal, und ebenso viele Feinde stürzten von den Pferden. Die andern stockten einige Augenblicke. Sie wußten nicht, sollten sie fliehen oder den verborgenen Feind angreifen. Sie blickten rings umher und gewahrten da endlich den Pulverdampf oben auf der Höhe.

Nlate tki – dort sind sie!“ rief einer, mit der Hand empor deutend.

So kurz diese Pause war, die Unentschlossenheit der Wilden hatte den Weißen doch Zeit gegeben, schnell wieder zu laden. Ihre Schüsse krachten von neuem, und die Zahl der Gefallenen verdoppelte sich. Nun gab es für die wenigen Verschonten kein Halten mehr. Sie rissen ihre Pferde herum und flohen im gestreckten Galopp davon.

„Der Comantsche ist ein Feigling!“ meinte der Apatsche stolz.

Er stieg langsam die Steilung nieder, um sich die Skalpe der vier von ihm erschossenen Feinde zu holen. Auch die andern folgten, um sich der Waffen und reiterlosen Pferde zu bemächtigen. Nach einem Aufenthalte von einer Viertelstunde konnte der Weg wieder fortgesetzt werden.

„Nun werden wir für alle Zeiten sicher sein,“ meinte Emma.

„Glauben Sie das nicht, Sennorita!“ sagte Helmers.

„Nicht? Ich dächte, die Lehre, die wir ihnen gegeben haben, sei hart genug!“

„Gerade deshalb werden sie auf Rache sinnen. Sehen Sie, daß der Apatsche da links hinüber blickt?“

„Ja. Was will er?“

„Dorthin führt die Fährte der beiden Späher, welche geflohen sind gleich den andern. Sie werden die Übriggebliebenen treffen und uns folgen, bis sie wissen, wo wir sind und wo wir bleiben. Dann kehren sie um und holen genug Krieger, um die Hacienda zu überfallen.“

„O, die Hacienda ist fest. Sie ist eine kleine Festung.“

„Ich kenne diese Art von Meiereien oder Gutshöfen. Sie sind aus Stein gebaut und gewöhnlich mit Pallisaden umgeben. Was aber hilft das gegen einen Feind, der unvermutet kommt?“

„Wir werden wachen.“

„Thun Sie das!“

„Und Sie mit. Ich will doch hoffen, daß Sie unser Gast sein werden!“

„Ich muß sehen, was Bärenherz sagt. Von ihm kann ich mich nicht trennen.“

„Er wird bleiben!“

„Er ist ein Freund der Freiheit. Er hält es in einem Gebäude nie längere Zeit aus.“

Es ging in munterer Schnelligkeit vorwärts, bis sie einen breiten Wasserlauf erreichten. Der Apatsche folgte demselben, bis das Flüßchen einen Bogen bildete. Hier hielt er an.

„Hier sicher?“ fragte er Helmers in seiner kurzen Weise.

Der Gefragte musterte mit prüfendem Blicke die Umgebung und nickte dann zustimmend.

„Hier ist’s gut,“ sagte er. „Von drei Seiten schützt uns der Fluß, und die vierte können wir recht gut bewachen. Steigen wir also ab!“

Sie sprangen alle von den Pferden und richteten das Lager vor. Innerhalb des Dreiviertelkreises, welchen der Fluß bildete, und hart an dem Ufer desselben kamen die Pferde zu stehen; dann kam das Feuer, um welches sich die Gesellschaft lagerte, und die vierte, die Landseite, wurde von Büschen abgeschlossen, in welche man eine Wache legte.

Helmers richtete für Emma aus Zweigen und Laub ein weiches Lager vor; Bärenherz that dasselbe mit der Indianerin. Es war dies von seiten des Apatschen eine ganz und gar ungewöhnliche Auszeichnung, denn kein Wilder läßt sich herbei, eine Handreichung zu leisten, welche die Frau oder das Mädchen selbst thun könnte.

Nachdem man die Ereignisse des Tages ausführlich besprochen hatte, wozu jedoch der Apatsche kein Wort sagte, legte man sich zur Ruhe. Es war die Anordnung getroffen, daß ein jeder drei Viertelstunden wachen sollte. Bärenherz und Helmers hatten die letzten Wachen übernommen, da die Zeit kurz vor Beginn des Tages die gefährlichste ist, weil da die Wilden ihre Angriffe am liebsten zu unternehmen pflegen.

Doch verging die Nacht ohne alle Störung, und man brach am Morgen mit erneuten Kräften auf. Während des Weiterrittes ließen sich die Comantschen nicht wieder sehen; man kam nach und nach in kultiviertere Gegenden und erreichte am Nachmittage das Ziel.

Unter einer Hacienda versteht man eine Meierei; doch sind diese mexikanischen Haciendas sehr oft mit unsern größten Rittergütern zu vergleichen, da zu ihnen zuweilen ein Länderkomplex von der Größe eines deutschen Fürstentums gehört.

Die Hacienda del Erina war ein fürstlicher Besitz. Das massive Gebäude war aus Bruchsteinen erbaut und von Pallisaden umgeben, welche gegen räuberische Überfälle einen starken Schutz gewährten. Das Innere des einem Schlosse gleichenden Herrenhauses war auf das feinste ausgestattet und zeigte eine solche Geräumigkeit, daß Hunderte von Gästen da Wohnung finden konnten.

Umgeben wurde das Haus von einem großen Garten, in welchem die prachtvollste tropische Vegetation in den strahlendsten Farben schimmerte und die üppigsten Düfte verbreitete. Hieran schloß sich auf der einen Seite der dichte Urwald, auf der andern ein ausgedehnter Feldwuchs, und auf den beiden übrigen sah man große Weiden sich ausdehnen, auf welchen sich Herden tummelten, deren Stückzahl viele Tausende betrug.

Bereits als die Kavalkade an den Weiden vorüber ritt, kamen mehrere Vaqueros mit lautem Jubel herbeigesprengt, um die Kommenden zu begrüßen. Der Jubel aber wurde sehr bald zum Zornesausbruch, als sie erfuhren, daß so viele ihrer Kameraden unter den Händen der Comantschen gefallen seien. Sie baten sofort, einen Rachezug gegen die Roten zu veranstalten.

Der Majordomo ritt der Kavalkade voran, um sie anzumelden. Darum stand, als die Reiter an der Hacienda anlangten, der alte Petro Arbellez bereits unter dem Thore, um seine Tochter und deren Begleiter zu begrüßen. Thränen der Freude standen ihm in den Augen, als er sie vom Pferde hob.

„Sei willkommen, mein Kind,“ sagte er. „Du mußt auf dieser gefährlichen Reise viel gelitten haben, denn du bist anders beritten und siehst sehr angestrengt aus.“

Emma umarmte und küßte ihn innig und antwortete:

„Ja, mein Vater, ich war in einer Gefahr, welche größer ist als Lebensgefahr.“

„O Gott, in welcher?“ fragte er, indem er auch die Indianerin freundlich bewillkommnete.

„Wir wurden von den Comantschen gefangen.“

„Heilige Mutter Gottes! Sind die jetzt am Rio Pecos?“

„Ja. Hier diese beiden Männer sind unsre Retter.“

Sie nahm den Deutschen und den Apatschen bei der Hand und führte sie dem Vater zu.

„Dieser hier ist Sennor Antonio Helmers aus Deutschland, und dieser ist Shosh-in-liett, der Häuptling der Apatschen. Ohne sie hätte ich die Squaw eines Comantschen werden müssen, und die andern hätte man am Pfahle zu Tode gemartert.“

Dem alten braven Verwalter trat bereits vom bloßen Gedanken daran der Angstschweiß auf die Stirn.

„Mein Gott, welch‘ ein Unglück, und doch zugleich auch wieder welch‘ ein Glück! Willkommen, Sennores, von ganzem Herzen willkommen! Ihr sollt mir alles erzählen, und dann will ich sehen, wie ich euch dankbar sein kann. Kommt herein, und seid die Herren dieses Hauses!“

Das war ein sehr freundlicher und liebenswürdiger Empfang. Überhaupt machte der Anblick des alten Mannes den Eindruck von Ehrlichkeit und Biederkeit; man mußte ihn sofort lieb haben.

Die Gäste kamen durch das Pallisadenthor, übergaben ihre Pferde einigen Knechten und traten in das Gebäude. Während der Majordomo mit den Vaqueros in dem Vorraume zurückblieb, führte der Haciendero die beiden andern mit den Damen nach dem Empfangzimmer, wo Platz genommen wurde, bis Emma in großen Umrissen ihr Abenteuer berichtet hatte.

„Mein Jesus,“ klagte der Haciendero; „was müßt ihr gelitten haben, ihr beiden Mädchen! Aber Gott hat diese beiden Sennores gesandt, um euch zu retten. Ihm und ihnen sei Dank gesagt. Was wird der Graf und was wird Tecalto sagen, wenn sie es hören!“

„Tecalto?“ fragte die Indianerin erfreut. „Ist Büffelstirn, mein Bruder, da?“

„Ja, er ist gestern angekommen.“

„Und der Graf auch?“ fragte Emma.

„Ja, bereits eine Woche.“

„Ah, da ist er!“

Die Thür zu dem nebenan liegenden Speisesaale öffnete sich, und Graf Alfonzo trat heraus. Er trug einen rotseidenen, persisch in Gold gestickten Schlafrock, eine Hose vom feinsten, weißen, französischen Linnen, blaue Sammet-Hausschuhe und einen türkischen Fez auf dem Kopfe. Er verbreitete einen solchen Odeur um sich, daß man hätte meinen können, in einer Parfümeriehandlung zu sein. Die offen gebliebene Thür erlaubte, einen Blick in den Speisesalon zu thun. Die Ausschmückung desselben war mehr als fein, war luxuriös, und an der Serviette, welche der Graf in der Hand trug, bemerkte man, daß er beschäftigt gewesen sei, in den Genüssen und Delikatessen Mexikos zu schwelgen.

„Man nannte meinen Namen,“ sagte er. „Ah, die schönen Damen sind es! Glücklich wieder zurückgekehrt, Sennoritas?“

Bei seinem Anblicke war die Indianerin blutrot geworden, was dem scharfen Auge des Apatschen nicht entging; Emma aber blieb sich vollständig gleich. Sie antwortete kalt, wenn auch höflich:

„Wie Sie sehen, Graf! Bald jedoch wären wir nicht wieder zurückgekehrt.“

„Ah! Warum? Ich hoffe doch nicht, daß ein Unfall –“

„Und doch war es ein kleiner Unfall, welcher uns betraf. Die Comantschen nahmen uns nämlich ein wenig gefangen.“

„Donnerwetter!“ rief er. „Ich werde sie züchtigen lassen!“

„Das wird nicht sehr leicht sein,“ meinte sie spöttisch. „Übrigens sind wir ja gut davongekommen. – Hier unsre Lebensretter!“

„Ah!“ sagte er.

Er trat einige Schritte zurück, setzte den Zwicker auf die Nase, betrachtete sich die beiden „Retter,“ zog ein sehr enttäuschtes Gesicht und sagte:

„Wer sind diese Leute?“

„Dieser ist Sennor Helmers aus Deutschland, und der andre ist Bärenherz, der Häuptling der Apatschen.“

„Ah, ein Deutscher und ein Apatsche! Das gehört allerdings zusammen. Wann reisen diese Sennores wieder ab? Doch sogleich?“

„Sie sind meine Gäste und werden bleiben, so lange es ihnen beliebt,“ sagte der Haciendero.

„Aber Arbellez, wo denkt Ihr hin!“ rief der Graf. „Seht Euch diese Männer an. Ich und sie unter einem Dache! Sie riechen nach Wald und Sumpf. Ich würde sofort abreisen!“

Der Haciendero richtete sich auf. Sein Auge flammte vor Zorn.

„Ich kann Ew. Erlaucht nicht halten,“ sagte er. „Diese Sennores haben das Leben und das Glück meines Kindes gerettet; sie sind mir hoch willkommen.“

„Ah! Ihr widersteht mir?“ sagte der Graf.

„Ja,“ antwortete Arbellez fest.

„Wißt Ihr, daß ich hier der Gebieter bin?“

„Das weiß ich nicht!“

„Nicht?“ zischte Alfonzo. „Wer sonst?“

„Ihr Herr Vater, Graf Ferdinando. Ihr seid hier nur als Gast anwesend. Übrigens hätte selbst Graf Ferdinando keine Stimme in dieser Angelegenheit. Ich bin Pächter auf Lebenszeit. Wer will mir befehlen, wen ich bei mir empfangen soll oder nicht!“

„Verdammt, das ist stark!“

„Nein, stark war Ihre Unhöflichkeit und Rücksichtslosigkeit gegen meine Gäste. Wenn Ihnen der Wald- und Sumpfgeruch nicht angenehm ist, von dem allerdings ich ganz und gar nichts merke, so weiß ich hingegen nicht, ob diese Sennores nicht Ihre Parfüms auffällig finden, die ich recht gut bemerke. Ich werde meine Gäste jetzt in den Speisesaal führen und überlasse es Ihnen, weiter zu speisen oder nicht.“

Er öffnete die Thüre des Saales noch weiter und bat die beiden mit der höflichsten Verbeugung, Zutritt zu nehmen. Der Indianer hatte wie völlig teilnahmlos dagestanden; kein Blick seines Auges hatte den Grafen getroffen, und fast schien es, als ob er auch kein Wort desselben verstanden habe. Er schritt stolz und wortlos in den Saal. Helmers dagegen wandte sich vorher zum Grafen:

„Sie sind Graf Alfonzo de Rodriganda?“

„Ja,“ antwortete der Gefragte erstaunt, daß ihn der Jäger anzureden wagte.

„So! Sennor Arbellez hatte vergessen, Sie auch uns vorzustellen. Sie sind der Geforderte. Was wählen Sie? Degen, Pistolen oder Kugelbüchsen?“

„Sie wollen sich mit mir schlagen?“ fragte er, noch viel erstaunter als vorher.

„Versteht sich! Hätten Sie mich draußen vor der Hacienda beleidigt, so hätte ich Sie niedergeschlagen wie einen dummen jungen; da es aber unter dem Dache meines Gastfreundes geschah, so nahm ich Rücksicht auf ihn und auf die Gegenwart dieser Damen. Nun ich jedoch höre, daß Sie in diesem Hause eigentlich keinen Pfifferling gelten, so biete ich Ihnen die Wahl der Waffen an.“

„Schlagen? Mit Euch? Gott, wer seid Ihr denn? Ein Jäger, ein Herumläufer! Pah!“

„Also nicht? So seid Ihr ein Lump, ein Feigling, ein ganz erbärmlicher Wicht! Laßt Ihr auch diese Prädikate auf Euch sitzen, so seid Ihr gerichtet auf alle Zeit! Thut, was Euch beliebt!“

Er schritt dem Apatschen nach. Der Graf stand ganz perplex.

„Arbellez, das leidet Ihr?“ fragte er den Haciendero.

Wenn Ihr es leidet!“ antwortete dieser. „Komm, Emma; komm, Karja! Unser Platz ist da drinnen bei den Ehrenmännern.“

„Ah, welche Niederträchtigkeit! Das werde ich Euch eintränken, Arbellez!“

„Versucht es!“

Der wackere Alte ging in den Saal, die beiden Damen mit ihm. Als jedoch Emma an dem Grafen vorüberschritt, sagte sie mit verächtlich gekräuselten Lippen und funkelnden Augen:

„Das war niederträchtig – das war armselig!“

Die Indianerin folgte ihr mit niedergeschlagenen Augen; es widerstrebte ihr, den Grafen zu verachten, und dennoch konnte sie ihm nicht in das Gesicht sehen. Er blieb stehen; er kehrte nicht wieder nach dem Saale zurück. Er warf die Serviette zu Boden, stampfte sie mit den Füßen und knirschte:

„Das sollt Ihr büßen, und bald, bald, bald!“

Nach dieser ohnmächtigen Zornesäußerung suchte er seine Zimmer auf.

Die andern nahmen ein lukullisches Mahl ein. Da gab es große Schnitten von Wassermelonen mit fleischfarbigem Innern, deren wohlschmeckender Saft in rosigen Tropfen auf die silbernen Platten perlte; halb geöffnete Granaten, Früchte des Kerzenkaktus, Orangen, süße Limonen, Grenadillen und alle die Fleisch- und Mehlspeisen, an welchen die mexikanische Küche so überaus reich ist. Während des Essens wurden die Erlebnisse noch ausführlicher besprochen, als es bisher möglich gewesen war; dann bat der Haciendero, den Sennores ihre Zimmer anweisen zu dürfen.

Die beiden Freunde wohnten nebeneinander. Es war dem Deutschen doch unmöglich, lange in dem engen Raum zu bleiben; er verließ ihn und suchte den Garten auf, wo er sich von Wohlgerüchen umduften ließ, bis er hinaustrat in das Freie, um die herrlichen mexikanischen Renner auf der Weide zu beobachten.

Indem er so an den Pallisaden hinschlenderte und um eine Ecke bog, erhob sich plötzlich vor ihm eine Gestalt, deren frappantes Äußere ihn zum Stehen brachte. Der hohe, starke Mann war vollständig in ungegerbtes Büffelleder gekleidet, so wie die Ciboleros sich zu tragen pflegen; aber auf dem Kopfe saß ihm der obere Teil eines Bärenschädels, von welchem einige Streifen Fell bis fast herab zur Erde schleiften. Aus dem breiten Ledergürtel schauten die Griffe von Messern und andern Werkzeugen; von der rechten Schulter bis zur linken Hüfte herüber hatte er einen fünffach geflochtenen Lasso um den Leib geschlungen, und an der Pallisade lehnte eine jener alten, schmiedeeisernen Büchsen, wie sie vor hundert Jahren in Kentucky gemacht wurden, und die so schwer sind, daß sie ein gewöhnlicher Mann nicht zu handhaben vermag.

„Wer bist du?“ fragte Helmers im ersten Augenblicke des Erstaunens.

„Ich bin Büffelstirn, der Indianer,“ antwortete der Gefragte.

„Tecalto bist du?“

„Ja. Kennst du mich?“

„Ich sah dich noch nie, aber ich habe viel, sehr viel von dir gehört.“

„Wer bist du?“

„Mein Name ist Helmers; ich bin ein Deutscher.“

Das ernste Gesicht des Indianers klärte sich auf. Er war vielleicht erst fünfundzwanzig Jahre alt und konnte als eine Schönheit des indianischen Typus gelten.

„So bist du der Jäger, welcher Karja, meine Schwester, befreit hat?“

„Der Zufall war mir hold.“

„Nein, das war kein Zufall. Du hast dir die Pferde der Comantschen geholt und bist ihnen nachgeritten. Büffelstirn ist dir vielen Dank schuldig. Du bist so tapfer wie Matava-se, der Fürst des Felsens, der auch ein Deutscher ist.“

„Kennst du die Deutschen?“

„Ich kenne einige. Sie werden von den Amerikanern Dutchmen genannt. Sie sind stark und gut, tapfer und klug, wahr und treu. Ich habe gehört von einem von ihnen, den die Apatschen und Comantschen Itinti-ka, den Donnerpfeil, nennen.“

„Gesehen hast du ihn noch nicht?“ fragte der Deutsche.

„Er heißt der Donnerpfeil, weil er schnell und sicher ist, wie der Pfeil, und mächtig und schwer wie der Donner. Seine Büchse fehlt nie ihr Ziel, und sein Auge irrt auf keiner Spur. Ich habe viel von ihm gehört; ich habe ihn bisher noch nie gesehen, aber heute sehe ich ihn.“

„Wo?“ fragte Helmers überrascht.

„Hier. Du bist es!“

„Ich? Woran erkennst du mich?“

„Sieh deine Wange an. Donnerpfeil hat einen Bowiemesserstich durch die Wange erhalten, das weiß ein jeder, der einmal von ihm gehört hat. Solche Erkennungszeichen merkt man sich. Habe ich richtig geraten oder nicht?“

Helmers nickte.

„Du hast recht. Man nennt mich allerdings Itinti-ka, den Donnerpfeil.“

„So danke ich Wahkonta, daß er mir erlaubt hat, mit dir zu sprechen. Du bist ein tapferer Mann; reiche mir deine Hand, und sei mein Bruder!“

Sie schlugen ein, und Helmers sagte:

„So lange unsere Augen einander erblicken, soll Freundschaft sein zwischen mir und dir!“

Und der Indianer fügte hinzu:

„Meine Hand sei deine Hand und mein Fuß dein Fuß. Wehe deinem Feinde, denn er ist auch der meinige, und wehe meinem Feinde, da er auch der deinige ist. Ich bin du, und du bist ich; wir sind eins!“

Sie umarmten sich.

Dieser „Büffelstirn“ war kein Indianer nach Art der nördlichen Roten. Er war gesprächig und mitteilsam, und doch wohl trotzdem nicht minder furchtbar, als einer jener schweigsamen Wilden, welche es für eine Schande halten, gleich einem Weibe den Gefühlen des Herzens Worte zu verleihen.

„Du wohnest in der Hacienda?“ fragte Helmers.

„Nein,“ antwortete der Büffeljäger. „Wer mag wohnen und schlafen in der Luft, welche zwischen Mauern gefangen ist. Ich wohne hier.“

Er deutete auf das Rasenstück, auf welchem er stand.

„So hast du das beste Lager auf der ganzen Hacienda. Ich konnte es in der Stube nicht aushalten.“

„Auch Bärenherz, dein Freund, hat die Weide aufgesucht.“

„Er ist hier?“

„Ja. Ich habe bereits mit ihm gesprochen und ihm gedankt. Wir sind Brüder geworden, wie ich und du.“

„Wo ist er?“

„Er sitzt da drüben bei den Vaqueros, welche von dem Überfalle der Comantschen erzählen.“

„Laß uns zu ihnen gehen!“

Der Indianer ergriff seine schwere Büchse, warf sie auf die Schulter und führte den Deutschen.

Weit draußen, mitten zwischen halbwilden, weidenden Pferdegruppen saßen die rauhen Vaqueros an der Erde und erzählten sich die Abenteuer ihrer jungen Herrin, die sich sehr schnell herumgesprochen hatten. Bärenherz saß schweigsam dabei. Er sagte kein Wort dazu, obgleich er alles besser und wahrer hätte erzählen können. Die beiden kamen und setzten sich mit zu den anderen, welche sich nicht stören ließen, obgleich nun auch der zweite Held der Erzählung zugegen war. Dieser nahm zuweilen das Wort, und so entwickelte sich nach und nach eine jener fesselnden Unterhaltungen, welche man beim Lagern in der Wildnis zu hören bekommt.

Da drang ein zorniges Schnauben und Röcheln in das Gespräch hinein.

„Was ist das?“ fragte Helmers, der sich bei diesem Geräusch schnell umdrehte.

„Es ist der Rapphengst,“ antwortete einer der Vaqueros.

„Was ist mit ihm?“

„Er soll verhungern, wenn er nicht gehorcht.“

„Verhungern? – Warum?“

„Er ist unzähmbar.“

„Pah!“

„Pah? Sennor, zweifelt ja nicht! Wir haben uns alle Mühe mit ihm gegeben. Wir haben ihn schon dreimal im Corral gehabt, um ihn zu zähmen, aber wir mußten ihn immer wieder freigeben. Er ist ein Teufel. Wir alle sind Reiter, das könnt Ihr glauben, aber alle hat er abgeworfen, außer einen.“

„Wer ist dieser Eine?“

„Büffelstirn hier, der Häuptling der Mizticas. Er allein wurde nicht abgeworfen, aber dennoch hat er ihn nicht bezwungen.“

„Unmöglich! Wer nicht abgeworfen wird, der muß doch Sieger bleiben!“

„So dachten auch wir. Aber der Teufel von einem Rapphengst ist mit ihm in das Wasser gegangen, um ihn herabzutauchen, und als dies nicht fruchtete, hat er ihn in den dichtesten Wald getragen und einfach abgestreift.“

„Donnerwetter!“ rief Helmers.

„Ja,“ nickte Büffelstirn. „Es ist eine Schande, aber es ist wahr. Und ich darf mich doch rühmen, daß ich schon manches Pferd tot gemacht habe, welches nicht gehorchen wollte.“

Der Vaquero fuhr fort:

„Es sind viele berühmte Reiter und Jäger hier auf der Hacienda gewesen, um ihre Kraft und Gewandtheit zu versuchen, aber immer vergebens. Sie alle sagen, daß es nur Einen giebt, der den Hengst bezwingen kann.“

„Wer sollte das sein?“

„Das ist ein fremder Jäger, da oben am Red-River, der selbst den Teufel in die Hölle reiten würde. Dieser Mann ist mitten in wilde Pferdetrupps geraten und von Kopf zu Kopf über die Tiere hinweggelaufen, um sich das beste herauszuholen.“

Helmers lächelte belustigt und fragte:

„Hat er einen Namen?“

„Das versteht sich!“

„Welchen?“

„Wie er eigentlich heißt, das weiß ich nicht, aber die Roten nennen ihn Itinti-ka, den Donnerpfeil. Es haben viele Jäger, die aus dem Norden kamen, von ihm erzählt.“

Helmers ließ es sich nicht merken, daß von ihm selbst die Rede sei, auch Bärenherz und Büffelstirn zuckten mit keiner Miene. Der erstere aber fragte:

„Wo ist das Pferd?“

„Dort hinter jener Truppe liegt es.“

„Gefesselt?“

„Natürlich.“

„Alle Teufel, das ist ein Unrecht!“

„Pah! Sennor Arbellez hält große Stücke auf seine Pferde, aber dieses Mal hat er doch geschworen, daß der Rappe gehorchen oder verhungern soll.“

„So habt ihr ihm auch das Maul verbunden?“

„Versteht sich!“

„Zeigt mir ihn!“

„So kommt, Sennor!“

Eben, als sie sich vom Boden erhoben, sahen sie den alten Arbellez mit seiner Tochter und Karja herbeigeritten kommen. Es war der gewöhnliche Inspektionsritt, den er vor der Nacht zu unternehmen pflegte. Die Vaqueros ließen sich nicht stören und führten Helmers zu dem Hengste.

Dieser lag, an allen vieren gefesselt und mit einem Korbe vor dem Maule am Boden. Die Augen waren ihm vor Wut und Anstrengung mit Blut unterlaufen, jede einzelne Ader war zum Zerplatzen geschwollen, und aus dem Maulkorbe troff der Schaum in großen Flockentrauben.

„Alle Wetter, das ist ja die reine Sünde!“ rief Helmers.

„Macht es anders, Sennor,“ meinte der Vaquero, kaltblütig die Achseln zuckend.

„Das ist Tierquälerei! Das darf man nicht leiden! Auf diese Weise wird das edelste Pferd vollständig umgebracht!“

Er hatte sich ganz in Ekstase hineingeredet. Da kam Arbellez mit den Mädchen an.

„Was giebt es, Sennor Helmers, daß Ihr Euch so ereifert?“ fragte er.

„Ihr bringt den Hengst um!“ antwortete dieser.

„Das will ich auch, wenn er nicht gehorchen lernt!“

„Er wird gehorchen lernen, so aber nicht.“

„Wir haben alles vergebens versucht.“

„Gebt ihm einen tüchtigen Reiter auf den Rücken!“

„Hilft nichts!“

„Pah! Darf ich es versuchen, Sennor?“

„Nein.“

Helmers sah ihn erstaunt an.

„Warum nicht?“ fragte er.

„Weil mir Euer Leben zu lieb ist.“

„Pah! Ich will lieber sterben, als dieses länger mit ansehen. Ein guter Pferdemann hält das nicht aus. Also, darf ich den Rappen reiten? Bitte, Sennor!“

Da drängte Emma besorgt ihr Pferd heran.

„Vater, erlaube es ihm nicht!“ bat sie ängstlich. „Der Rappe ist zu gefährlich.“

Der Deutsche fragte sie sehr ernst:

„Sennora, hassen Sie mich?“ „Hassen? Mein Gott, warum sollte ich das?“

„Oder verachten Sie mich?“

„Das ja noch viel weniger!“

„Nun, warum beleidigen Sie mich in dieser Weise? Nur ein Knabe unternimmt, was er nicht auszuführen vermag. Ich sage Ihnen, daß ich den Schwarzen ganz und gar nicht fürchte.“

„Sie kennen das Tier nicht, Sennor,“ mahnte Arbellez. „Es sind viele hier gewesen, welche behaupten, daß nur Itinti-ka, der Donnerpfeil, es bändigen könne.“

„Kennen Sie diesen Itinti-ka?“

„Nein, aber er ist der beste Rastreador und Reiter, der zwischen den beiden Meeren lebt.“

„Und dennoch bitte ich um den Hengst!“

„Ich warne Sie!“ sagte der Haciendero.

„Ich bleibe bei meiner Bitte!“

„Nun wohl, ich muß sie Ihnen gewähren, denn Sie sind mein Gast; aber es thut mir leid um die Folgen. Zürnen Sie mir später nur nicht!“

Da stieg Emma schnell vom Pferde und trat auf Helmers zu.

„Sennor Helmers,“ bat sie, seine Hand ergreifend, „wollen Sie nicht doch um meinetwillen von dem Pferde ablassen? Mir ist so angst!“

„Sennorita,“ sagte er, „sprechen Sie aufrichtig- Ist es eine Ehre oder eine Schande für mich, wenn ich erst behaupte, daß ich mich nicht fürchte, und dann doch zurücktrete?“

Sie senkte den Kopf; sie sah ein, daß er recht hatte, daß er vor den andern, die ja alle gute Reiter waren, gar nicht zurück konnte. Darum fragte sie kleinlaut:

„Sie wollen es also wirklich wagen?“

„O, Sennorita Emma, für mich ist das kein Wagnis!“

Er blickte ihr dabei mit einer so offenen, heiteren Zuversichtlichkeit in die Augen, daß sie zurücktrat und an die Möglichkeit des Gelingens glaubte.

„Wohlan, nun gilt’s!“

Mit diesen Worten trat er an den Hengst heran. Er wies die Vaqueros zurück, welche ihm helfen wollten, die Fesseln abzunehmen. Das Tier wälzte sich noch immer schnaubend und stöhnend am Boden. Er nahm ihm den Korb ab und zog das Messer. Nur das Ende eines alten Lasso war dem Pferde noch um das Maul gebunden. Helmers nahm diesen Riemen in die Linke, schnitt mit dem Messer schnell die Fesseln erst der Hinter-, dann auch der Vorderbeine durch und saß, als der Rappe nun emporschnellte, wie angegossen auf dessen Rücken.

Jetzt begann ein Kampf zwischen Reiter und Pferd, wie ihn noch keiner der sich vorsichtig zurückziehenden Zuschauer gesehen hatte. Der Hengst ging abwechselnd vorn und hinten in die Höhe, bockte zur Seite, schlug und biß, warf sich zu Boden, wälzte sich, sprang wieder empor – immer blieb der Reiter über ihm. Es war zunächst ein Kampf der menschlichen Intelligenz gegen die Widerspenstigkeit eines wilden Tieres, dann aber wurde es ein Kampf allein der menschlichen Muskeln gegen die tierische Kraft. Das Pferd schwitzte förmlich Schaum, es schnaubte nicht, sondern es grunzte, stöhnte; es strengte den letzten Rest seines Willens an, aber der eisenfeste Reiter gab nicht nach; mit stählernem Schenkeldrucke preßte er das Pferd zusammen, daß diesem der Atem auszugehen drohte, und nun erhob es sich zum letzten Male mit allen vieren in die Luft; dann – schoß es davon, über Stock und Stein, über Gräben und Büsche, daß man es mit seinem Reiter in einer halben Minute bereits nicht mehr erblickte.

„Donnerwetter, so etwas habe ich noch nicht gesehen!“ gestand der alte Arbellez.

„Er wird den Hals brechen!“ sagte einer der Vaqueros.

„Nun nicht mehr,“ meinte ein andrer. „Er hat gesiegt!“

„O, es war mir angst!“ gestand Emma. „Aber ich glaube nun wirklich, daß keine Gefahr mehr vorhanden ist. Nicht wahr, Vater?“

„Sei ruhig! Wer so fest sitzt und solche Stärke zeigt, der stürzt nicht mehr herab. Das war ja gerade, als ob Teufel gegen Teufel kämpfte! Ich glaube, dieser Itinti-ka könnte es auch nicht besser machen!“

Da trat Büffelstirn heran und sagte:

„Nein, Sennor, er kann es nicht besser machen, sondern ganz genau so.“

„Wie so? Ich verstehe nicht.“

„Dieser Sennor Helmers ist ja Itinti-ka, der Donnerpfeil!“

„Was?“ fuhr Arbellez auf. „Er? Der Donnerpfeil?“

„Ja. Fragt hier den Häuptling der Apatschen!“

Arbellez richtete einen fragenden Blick auf den Genannten.

„Ja, er ist es,“ sagte dieser einfach.

„Ja, wenn ich das wußte, so hätte ich keine solche Angst ausgestanden,“ erklärte der Haciendero. „Es war mir wahrhaftig so, als ob ich selbst auf dem Tiere säße.“

Voller Erwartung blieben alle halten, und keiner ging von dem Platze fort. So verging über eine Viertelstunde; da kehrte er zurück. Der Rapphengst war zum Zusammenbrechen müde, aber der Reiter saß lächelnd und frisch auf seinem Rücken. Emma ritt ihm entgegen.

„Sennor, ich danke Euch!“ sagte sie.

Ein anderer hätte gefragt: „Wofür?“ Er aber verstand sie und lächelte ihr glücklich zu.

„Nun, Sennor Arbellez,“ fragte er, „braucht es denn gerade wirklich nur dieser Itinti-ka zu sein?“

„Natürlich!“

„Na, ich denke, wir können ihn entbehren, denn ich kann es auch.“

„Weil Ihr es seid, ja.“

„Aha, so ist mein Geheimnis verraten!“ lachte er.

„Und das Inkognito des Fürsten der Savanna zu Ende,“ fügte Emma hinzu.

Es wurde ihm von allen Seiten die lauteste Bewunderung zu teil; er aber wehrte ab und sagte:

„Ich bin noch nicht fertig. Darf ich Sie auf Ihrem Ritte begleiten, Sennor Arbellez?“

„Ist das Pferd nicht zu müde?“

„Es muß; ich will es so!“

„Gut, so kommt!“

Sie ritten nun die weiten Plätze ab, auf denen Pferde, Rinder, Maultiere, Schafe und Ziegen weideten, und kehrten dann nach Hause zurück; der Rapphengst wurde angepflockt. Als Karja, die Indianerin, sich nach ihrem Zimmer begab und an der Thür des Grafen vorüberging, öffnete sich diese und Graf Alfonzo trat für einen Augenblick heraus.

„Karja,“ fragte er, „kann ich dich heut sprechen?“

„Wann?“ fragte sie.

„Zwei Stunden vor Mitternacht.“

„Wo?“

„Unter den Ölbäumen am Bache.“

„Ich komme!“

Als der Abend hereingebrochen war, versammelte man sich im Speisesaale, wo wahrhaft riesige Vorräte auf die Tische getragen wurden. Auch die beiden Indianerhäuptlinge waren da. Man sprach wieder von den letzten Ereignissen ,und brachte dann die Rede auf die heutige Bändigung des Pferdes. Es wurde Helmers abermals Lob gebracht; er wies es mit den Worten zurück:

„Das ist gar nicht der Rede wert, Sennores. Ich bin nicht der einzige, der so etwas fertig bringt.“

„O, das ist nur Bescheidenheit von Euch!“ sagte der Haciendero. „Es giebt keinen zweiten.“

„Doch! Es giebt einen, der es noch viel besser versteht; das ist Old Shatterhand, der Freund Winnetous. An den reiche ich noch lange nicht.“

„Oh! Old Shatterhand! ja, von dem hat man freilich so viel gehört, daß ich glaube, ihm sei die Bändigung eines wilden Pferdes eine Leichtigkeit. Kennt Ihr ihn, Sennor?“

„Ja, und eben darum kann ich der Wahrheit gemäß sagen, daß ich es ihm noch lange nicht gleich thue.“

Hierauf richtete sich das Gespräch auf diesen berühmten Westmann, und es wurden einige seiner hervorragendsten Thaten erzählt. Der Graf war nicht mit bei Tische erschienen; die heutigen Auftritte ärgerten ihn; er fühlte gar wohl, daß er sich blamiert hatte, und darum kam er nicht. Auf das Duell mit Helmers war er natürlich nur aus Feigheit nicht eingegangen.

Er war ein außerordentlich liederlicher und verschwenderischer junger Edelmann und hatte trotz des Reichtums seines Vaters, der ihn mit einer sehr hohen Jahresrente bedachte, so hohe Schulden gemacht, daß er sich nicht getraute, es ihm mitzuteilen. Seine Gläubiger drückten und quälten ihn, und da er von dem Schatze der Könige gehört hatte und von Karja wußte, daß sie das Geheimnis kannte, so wollte er diesen Schatz heben, von dem der tausendste Teil hinreichend war, die Gläubiger zu befriedigen. Er hatte jedes ungesehene Zusammentreffen mit der Indianerin benützt, sich ihr von der vertrauenswertesten Seite zu zeigen, und ihr sogar versprochen, sie zur Gräfin Rodriganda zu machen. Trotzdem sie so harmlos und vertrauensselig war, ihm dies vollständig zu glauben, war sie bisher doch nicht dazu zu bringen gewesen, ihm zu sagen, wo der Schatz zu suchen sei.

Jetzt nun war er, von seinen Gläubigern auf das äußerste gedrängt, von der Hauptstadt Mexiko nach der Hacienda mit dem festen Vorsatze gekommen, Karja so zu bearbeiten, daß sie ihm das Geheimnis verraten müsse. Er ging nach den Ölbäumen am Bache und fand sie schon da, seiner wartend. Sie war zornig auf ihn, weil er sich so beleidigend gegen ihre Retter verhalten hatte, doch gelang es seiner Gewandtheit sehr bald, ihren Unmut zu zerstreuen. Dann ging er auf sein Ziel los. Er versprach ihr, sie adeln zu lassen, um sie dann zu seiner Frau machen zu können, denn der Adel sei ihr notwendig, obgleich sie in seinen eignen Augen für vollständig ebenbürtig gelte, weil sie der Abkömmling von Königen sei. Um den Adel zu erhalten, sei aber Geld, sehr viel Geld nötig, was er für sie von seinem Vater nicht erhalten könne; dazu sei der Schatz der Könige nötig, den er auch schon deshalb haben müsse, weil sein Vater ihn wegen Karja enterben und er also arm, ganz arm sein werde. Wenn er aber bereit sei, ihr dieses große Opfer zu bringen, und ihr also beweise, wie gut und ehrlich er es mit ihr meine, dürfe sie nun auch ihrerseits nicht länger zögern, ihm das Geheimnis mitzuteilen. Seine Überredungsgabe siegte mit diesen Gründen. Sie versprach, ihm den Ort, wo der Schatz liege, zu sagen, stellte aber die Bedingungen, daß er ihrem Bruder nie verrate, daß sie das Geheimnis nicht gehütet habe, und daß er ihr ein schriftliches und mit Unterschrift und Siegel versehenes Dokument des Inhaltes gebe, daß er sie gegen Auslieferung des Schatzes zur Gräfin von Rodriganda machen werde. Er ging auf diese Bedingung ein und sagte ihr, daß sie sich dieses Dokument morgen persönlich bei ihm holen solle.

Wie froh war er, seinen Zweck erreicht zu haben. Hatte er doch in der Überzeugung, zum Ziele zu gelangen, schon Leute mitgebracht, welche die Schätze nach der Hauptstadt transportieren sollten! Das Dokument machte ihm keine Sorgen; die niedrig stehende, verachtete Indianerin war selbst mit einem solchen Schriftstücke vollständig machtlos, ihm, dem hochgeborenen Grafen gegenüber. Aber nur erst die Schätze haben!

Während diese beiden bei den Oliven waren, führte Helmers den Häuptling Tecalto nach seinem Lagerplatze im Grase der Weide. Er war seit langer Zeit die freie Gottesnacht gewöhnt und wollte, ehe er sich im Zimmer schlafen legte, noch eine Lunge voll frischer Luft sammeln. Darum ging er, als er sich von dem Häuptling verabschiedet hatte, noch nicht in die Hacienda zurück, sondern trat in den Blumengarten, wo er sich am Rande des künstlichen Bassins niederließ, in welchem eine Fontäne ihren belebenden Wasserstrahl zur Höhe schoß.

Er hatte noch nicht lange hier gesessen, als er den Schritt eines leisen Fußes hörte. Gleich darauf kam eine weibliche Gestalt langsam den Gang daher geschritten und grad auf die Fontäne zu. Er erkannte Emma und erhob sich, um nicht vielleicht für einen Lauscher gehalten zu werden. Sie erblickte ihn und zauderte, weiter zu gehen.

„Bitte, Sennorita, treten Sie getrost näher,“ sagte er. „Ich werde mich sogleich entfernen, um Sie nicht zu stören.“

„Ach, Sie sind es, Sennor Helmers,“ antwortete sie. „Ich glaubte, daß es ein andrer sei, und dachte, Sie hätten die Ruhe bereits aufgesucht.“

„Das Zimmer ist mir noch zu unbequem und drückend; man muß sich erst daran gewöhnen.“

„Es ging mir ganz ebenso, darum suchte ich vorher noch den Garten auf.“

„So genießen Sie den Abend ungestört. Gute Nacht, Sennorita!“

Er wollte sich zurückziehen, sie aber nahm ihn bei der Hand, um ihn zurückzuhalten.

„Bleiben Sie, wenn es Ihnen Bedürfnis ist,“ sagte sie. „Unser Gott hat Luft und Duft und Sterne genug für uns beide. Sie stören mich nicht.“

Er gehorchte und nahm neben ihr am Rande des Bassins Platz.

Unterdessen hatte sich der Häuptling der Mizticas hart an der Gartenpallisade niedergelegt. Er blickte träumerisch gen Himmel und ließ seine Phantasie hinauf steigen in jene ewigen Welten, wo Sonnen rollen, die von seinen Ahnen verehrt worden waren. Dabei aber hatte er doch einen Sinn für das kleinste Geräusch seiner Umgebung.

Da war es ihm, als ob er im Innern des Blumengartens leise Schritte und dann auch unterdrückte Stimmen vernähme. Er wußte, daß der Graf sich bemühte, so oft wie möglich in die Nähe seiner Schwester zu kommen, und er wußte ebenso, daß diese dem Bestreben des Grafen keinen Widerstand entgegensetzte. Sein Argwohn erwachte. Weder der Graf noch Karja waren seit einer Stunde in der Hacienda zu sehen gewesen; sollten sie ein Stelldichein im Garten verabredet haben? Er mußte das erfahren, das war notwendig für ihn und sie.

Er erhob sich also und schwang sich mit echt indianischer Leichtigkeit über die Pallisaden in den Garten hinüber. Dort legte er sich auf den Boden und schlich mit solcher Unhörbarkeit näher, daß selbst das geschärfte, jetzt aber in Sicherheit gewiegte Ohr des Deutschen nichts vernahm. Er erreichte unbemerkt die andre Seite des Bassins und konnte nun jedes Wort der Unterhaltung verstehen.

„Sennor, ich sollte Ihnen eigentlich zürnen!“ sagte Emma soeben.

„Warum?“

„Weil Sie mir heute so große Angst verursacht haben.“

„Wegen des Pferdes?“

„Ja.“

„Sie haben sich umsonst geängstigt, denn ich habe Pferde gebändigt, welche noch viel schlimmer waren. Der Rappe ist nun so fromm, daß ihn jede Dame unbesorgt reiten kann.“

„Ein Gutes hat der Vorgang doch gehabt.“

„Was?“

„Daß Sie Ihr Inkognito aufgegeben haben, Sie eitler Mann!“

„O,“ lachte er, „eine eigentliche Eitelkeit war es nicht. Man muß zuweilen vorsichtig sein. Gerade dadurch, daß man mich für einen ganz gewöhnlichen und ungeübten Jäger hielt, habe ich oft die größten Vorteile errungen.“

„Aber mir konnten Sie es doch wenigstens sagen. Sie hatten mir doch bereits ein viel größeres Geheimnis anvertraut.“

„Ein Geheimnis, welches für mich wohl niemals einen Wert haben wird. Ich werde die Höhle des Königsschatzes niemals entdecken, obgleich ich mich hier in der Nähe befinden muß.“

„Ah, woraus schließen Sie das?“

„Aus der Bildung der Berge und dem Laufe der Wasser. Die Gegend, welche wir zuletzt durchritten, stimmt ganz genau mit einem Teile meiner Karte.“

„So haben Sie ja einen Anhalt gefunden und können weiter suchen!“

„Es fragt sich sehr, ob ich dies thue.“

„Warum?“

„Weil ich im Zweifel bin, ob ich ein Recht dazu habe.“

„Sie hätten doch jedenfalls das Recht des Finders. Ich überschätze den Wert des Goldes keinesfalls, aber ich weiß doch auch, daß der Besitz desselben vieles gewährt, nach welchem selbst Tausende vergeblich streben. Suchen Sie, Sennor! Es sollte mich freuen, wenn Sie fänden!“

„Ja, die Macht des Goldes ist groß,“ sagte er nachdenklich, „und ich habe in der Heimat einen armen Bruder, der viele Kinder hat und dessen Glück ich vielleicht machen könnte. Aber wem gehört dieser Schatz? Doch wohl den Nachkommen derer, die ihn versteckten.“

„Wissen Sie nicht, von wem Ihre Karte stammt?“

„Von einem alten, kranken Indianer, dem ich einige Dienste geleistet hatte, wie ich Ihnen bereits sagte. Er war verwundet und starb, ehe er mir die notwendigen mündlichen Aufklärungen geben konnte.“

„Und es steht kein Name darauf?“

„Nein. In der einen Ecke befindet sich ein rätselhaftes Zeichen, welches ich nicht zu erklären vermag. Ja, ich nehme es mir vor, ich werde suchen. Aber wenn ich den Schatz wirklich finden sollte, so werde ich ihn nicht berühren, sondern nach den rechtlichen Besitzern desselben suchen. Sollten diese nicht zu finden sein, so ist es noch immer Zeit, sich zu entschließen.“

„Sennor, Sie sind ein Ehrenmann!“ sagte die Mexikanerin warm.

„Ich thue nur, was ich muß, und unterlasse alles Unrecht.“

„Ihr Bruder ist also arm?“

„Ja. Er ist ein Seemann, der es wohl nie zu einer Selbständigkeit bringen kann, so lange er auf seine eigne Kraft angewiesen ist. Ich selbst besitze nur eine kleine Summe, welche ich aus dem Ertrage meiner Jagdstreifereien gelöst habe.“

„Sie besitzen mehr!“ sagte sie.

„Da möchte ich doch fragen!“

„Sollte ein Donnerpfeil wirklich so arm sein? Giebt es nicht Reichtümer, welche mit dem Besitze des Goldes nichts zu thun haben? Der Besitz von Gold und Silber macht nicht den Wert des Menschen aus. Die wahren Schätze ruhen im Herzen: der Glaube an Gott, die Liebe zum Nächsten und das Bewußtsein, stets seine Pflicht erfüllt zu haben. Doch kommen Sie; ich muß Vater noch gute Nacht sagen!“

Sie entfernten sich. Da schlich sich Tecalto wieder fort und schwang sich wieder über die Pallisaden. Draußen murmelte er leise vor sich hin:

„Uff, uff! Was habe ich da gehört! Donnerpfeil hat eine Zeichnung unsers heiligen und verborgenen Platzes! Sein Scharfsinn wird ihn zur Entdeckung des Schatzes führen. Ich müßte ihn eigentlich töten; aber er ist mein Freund und Bruder geworden und ein guter, edler Mann. Auch hat er meine Schwester Karja gerettet. Soll ich ihn vernichten, dem ich danken muß? Nein, nein! Ich werde nachdenken, und der große, gute Geist wird mir sagen, was ich machen soll.“ – – –

Um diese Zeit saß in einem abgelegenen Thale, vielleicht zwei Stunden von der Hacienda del Erina entfernt, eine Anzahl von vielleicht zwanzig Männern um ein Feuer. Es waren lauter wilde, verwegene Gestalten, deren jedem man zutrauen konnte, daß er einen Mord oder so etwas ähnliches auf dem Gewissen habe. Das Viertel eines Kalbes briet am Spieße, und die Reste des Tieres, welche daneben lagen, bewiesen, daß man bereits seit längerer Zeit ganz tüchtig geschmaust habe.

„Also wie wird’s, Kapitano?“ fragte einer mit unmutiger Stimme. „Warten wir noch länger?“

Der Gefragte lag neben ihm auf dem Ellbogen. Er hatte ein echtes Banditengesicht, und sein Gürtel strotzte von Waffen.

„Wir warten,“ sagte er finster und bestimmt.

„Aber wie lange noch?“

„So lange es mir gefällt.“

„Oho, ich habe es satt!“

„Schweig!“

„Du wirst mir wohl erlauben, zu reden. Wir liegen bereits seit vier Tagen hier und wissen nicht, ob man uns nur für Narren hält.“

„Hältst du dich für einen Narren, so habe ich nichts dagegen. Wie ich mit mir daran bin, das weiß ich glücklicherweise ganz genau.“

„Aber wie wir mit diesem sogenannten Grafen daran sind, weißt du das auch?“

„Auch das weiß ich.“

„Nun, wie denn?“

„Er bezahlt uns gut, und wir warten also, bis er erklärt, was wir thun sollen.“

„Das halte der Teufel aus! Was hätten wir während dieser Zeit thun und verdienen können!“

„Schweig!“

„Oho! Ich bin ein Mann und habe zu reden!“

„Und ich bin der Kapitano und verbiete es dir!“

„Wer hat dich zum Kapitano gemacht? Doch erst wir!“

„Richtig! Und weil ich es nun einmal bin, so weiß ich es auch zu sein. Iß dein Fleisch, und halte dein Maul, sonst kennst du die Gesetze!“

„Du willst drohen?“ fragte der andre, indem er an das Messer griff.

„Drohen? Nein, sondern handeln!“

Der Kapitano sagte dies im kalten, gleichgültigen Tone, aber mit einem blitzesschnellen Griffe riß er die Pistole aus dem Gürtel und drückte ab. Der Schuß krachte, und der widersetzliche Sprecher stürzte mit zerschmettertem Kopfe zu Boden.

„So; das gehört dem Ungehorsam. Schafft ihn zur Seite!“

Mit diesen Worten begann der Kapitano seine Pistole gleichmütig wieder zu laden.

Es erhob sich ein leises, mißbilligendes Gemurmel, doch verstummte es sofort, als der Hauptmann den Kopf erhob.

„Wer murrt?“ fragte er. „Ich habe noch mehrere Kugeln. Was soll werden, wenn es keinen Gehorsam mehr giebt! Dieser Graf Rodriganda zahlt einem jeden von uns ein Goldstück für den Tag. Ist dies nicht genug? Er läßt uns warten, ja, aber er wird uns schon noch Arbeit bringen, denn eine solche Summe giebt selbst ein Graf nicht umsonst aus!“

Die Leute beruhigten sich, und der Tote wurde zur Seite geschafft. Das Feuer warf seine ungewissen Schatten über die Gruppe. Man verzehrte den Rest des Fleisches, stellte eine Wache aus und hüllte sich dann in die Decken.

Schon begann der Schlaf sich über die Männer zu legen, als man den Hufschlag eines Pferdes hörte. Sofort erhoben sich alle aus ihrer liegenden Stellung. Ein Reiter nahte.

„Wer da?“ fragte die Wache.

„Der Richtige!“ lautete die Antwort.

„Kann passieren.“

Der Angekommene gab sein Pferd der Wache und kam dann herbei. Es war Graf Alfonzo de Rodriganda. Er ließ sich neben dem Kapitano nieder, zog seinen Tabak hervor und drehte sich eine Cigarrita. Man sah ihm schweigend zu, als er aber die Cigarrita angebrannt hatte und noch immer schwieg, fragte der Hauptmann:

Bringen Sie uns endlich Arbeit, Don Rodriganda?“

„Ja.“

„Was für welche? Wir thun alles, was uns gut bezahlt wird.“

Er deutete dabei mit einer sprechenden Gebärde auf seinen Dolch. Der Graf schüttelte den Kopf und antwortete:

„Es ist nichts derartiges. Ihr sollt mir nur als Arrieros dienen.“

„Als Arrieros?“ sagte der Kapitano. „Sennor, wir sind keine solche Lumpen!“

„Das weiß ich. Hört, was ich euch sage!“

Die Männer rückten neugierig zusammen, und Graf Alfonzo begann:

„Ich habe etwas nach Mexiko zu schaffen, wovon kein Mensch etwas erfahren darf; das ist es. Kann ich auf euch rechnen?“

„Wenn Sie zahlen, ja!“

„Ihr sollt haben, was ihr verlangt. Habt ihr die bestellten Packsättel mit?“

„Ja.“

„Säcke und Kisten?“

„Ja.“

„Gut! Pferde nehmen wir uns von der Estanzia del Erina, so viele wir brauchen. Morgen um diese Zeit bin ich wieder hier, und mit Tagesgrauen brechen wir auf.“

„Wohin?“

„Das weiß ich jetzt selbst noch nicht. Ich werde euch führen.“

„Was ist es, was wir zu transportieren haben?“

„Das geht euch auch nichts an. Ich bringe meine zwei Diener mit, welche euch irgendwo und irgendwann die Säcke und Kisten füllen. Dann geht es unter meiner Aufsicht nach Mexiko, und ihr habt den Transport zu verteidigen, wenn wir dabei vielleicht belästigt werden sollten.“

„Das ist ein geheimnisvolles Ding, Don Rodriganda. Wir werden den Preis danach richten müssen.“

„Thut es! Was verlangt ihr?“

„Drei Goldstücke pro Mann und Tag.“

„Zugestanden!“

„Mir als Anführer aber sechs.“

„Auch das!“

„Die ganze Beköstigung und Verpflegung.“

„Versteht sich!“

„Und wenn wir den Transport glücklich nach Mexiko bringen, dreihundert Goldstücke als Extrabelohnung.“

„Ihr sollt fünfhundert haben, wenn ich mit euch zufrieden bin!“

„Hurra, das klingt gut! Sennor, verlaßt Euch auf uns; wir gehen für Euch durchs Feuer!“

„Das hoffe ich. Hier ist übrigens eine kleine Aufmunterung zur Treue! Verteilt es unter euch.“

Er zog eine Geldrolle aus der Tasche und gab sie dem Kapitano. Dann ritt er davon.

Als der Hufschlag seines Pferdes verklungen war, wartete der vorsichtige Anführer noch ein Weilchen; dann öffnete er die Rolle.

„Gold!“ sagte er. „Blankes, gelbes Gold!“

„Der ist splendid!“ bemerkte einer.

„Hm!“ meinte der Kapitano, „da darf man seine Gedanken haben!“

„Was werden wir transportieren?“

„Niemand soll es wissen!“

„Auch wir selbst nicht!“

„Nur die beiden Diener zieht er ins Vertrauen!“

So gingen die Fragen und Meinungen herüber und hinüber. Einer meinte gar:

„Vielleicht ist es Menschenfleisch, was er verbergen will!“

„Oder Gold aus einer Bonanza.“

„Oder ein vergrabener Schatz der Aztekenkönige!“

Der Anführer winkte zur Ruhe und meinte:

„Jungens, zerbrecht euch die Köpfe nicht! Er zahlt So gut, daß das, was wir zu transportieren und zu verteidigen haben, sicher nichts Gewöhnliches ist. Wir werden ihm zunächst in allen Stücken gehorsam sein, dann aber seid mir ein klein wenig neugierig, und wenn wir das, was wir geladen haben, auch gebrauchen können, so ist ein Graf ebenso gut eine Kugel wert wie ein gräflicher Diener oder zwei solche Kerls. Jetzt schlaft und seid still!“

Es wurde um das Feuer ruhig, obgleich mancher von den Männern nicht wirklich Schlief, sondern zu erraten suchte, welcher Art die Last sei, die ihnen anvertraut werden sollte.

Das also waren die Leute, welche der Graf engagiert hatte, die Schätze nach der Hauptstadt zu transportieren! Lumpen und Banditen, die nur von dem Ertrage ihrer Waffen lebten. Wenn sie den Inhalt der Kisten und Säcke erfuhren, so war es um sein Leben geschehen; das hatte der leichtsinnige Mann nicht bedacht.

Am andern Morgen hatte sich Helmers kaum vom Lager erhoben, als der Haciendero bei ihm eintrat, um ihm einen guten Morgen zu wünschen. Trotz der kurzen Zeit ihres Beisammenseins hatte er den Deutschen herzlich liebgewonnen.

„Ich komme eigentlich mit einer Bitte,“ sagte er.

„Die ich erfüllen werde, wenn ich kann,“ meinte Helmers.

„Sie können es. Sie befinden sich hier in der Einsamkeit, wo Sie Ihre Bedürfnisse gar nicht befriedigen können, während ich von allem einen Vorrat habe, da ich die Meinigen mit dem, was sie brauchen, versehen muß. Wollen Sie sich mit Wäsche und einer neuen Kleidung versehen, so hoffe ich, daß Sie mit meinen Preisen zufrieden sein werden.“

Helmers wußte gar wohl, wie es gemeint war, aber einesteils konnte er den guten Haciendero doch nicht gut beleidigen, und andernteils befand sich sein alter Jagdanzug in einem sehr tragischen Zustande. Er überlegte sich die Sache also kurz und sagte:

„Gut, ich nehme Ihr Anerbieten an, Sennor Arbellez, vorausgesetzt, daß Ihre Preise nicht gar zu hoch sind, denn ich bin, offen gestanden, das, was man einen armen Teufel nennt.“

„Hm, eine Kleinigkeit muß ich mir doch auch verdienen, obgleich die Zahlung nicht gerade gleich heute notwendig ist. Kommen Sie, Sennor; ich werde Ihnen meine Vorratskammer zeigen!“ sagte Arbellez lachend.

Als eine Stunde später Helmers vor dem Spiegel stand, kam er sich selbst ganz fremd und vornehm vor. Er trug eine unten aufgeschlitzte, goldverbrämte mexikanische Hose, leichte Halbstiefel mit ungeheuren Rädersporen, ein schneeweißes Hemde, darüber eine kurze, vorn offene Jacke, die mit Gold- und Silberstücken besetzt war, auf dem Kopfe einen breitkrempigen Sombrero und um die Taille einen Shawl von chinesischer Seidengaze. Das Haar war verschnitten, der Bart ausrasiert und zugestutzt, und so erkannte er sich in dieser kleidsamen, reichen Tracht kaum selbst wieder.

Als er zum Frühstück in den Speisesaal trat, fand er Emma bereits anwesend. Sie errötete vor Entzücken, als sie die Veränderung bemerkte, die mit ihm vorgegangen war. So männlich und so schön hatte sie sich ihn doch nicht ganz gedacht. Auch Karja, die Indianerin, schien erst jetzt zu sehen, welch ein Mann der Deutsche war. Vielleicht stellte sie Vergleiche zwischen ihm und dem Grafen an. Die beiden Indianerhäuptlinge thaten natürlich, als bemerkten sie diese Veränderung gar nicht. Einer aber ärgerte sich fürchterlich darüber.

Das war der Graf. Die Hoffnung, bald in den Besitz des Schatzes zu gelangen, mochte ihn nachgiebig stimmen; er erschien zum Frühstück, wäre aber fast wieder umgekehrt, als er Helmers erblickte. Kein Mensch sprach ein Wort. Er knirschte heimlich mit den Zähnen und nahm sich vor, diesen Menschen unschädlich zu machen.

Als Helmers nach dem Frühstück hinaus auf die Weide kam, fand er den Häuptling der Miztecas, der während der Nacht einen guten, freundlichen Entschluß gefaßt hatte. Als er die neue Kleidung des Deutschen sah, sagte er:

„Mein Bruder Donnerpfeil darf so ein Gewand tragen, denn er ist ein reicher Mann.“

„Oh, das ist ein Geschenk von Sennor Arbellez; ich bin noch ebenso arm wie bisher.“

„Nein,“ sagte der Indianer ernst; „du bist reich, denn du hast die Karte zur Höhle des Königsschatzes.“

Der Deutsche trat erstaunt einen Schritt zurück.

„Woher weißt du das?“

„Ich weiß es! Darf ich die Karte sehen?“

„Ja!“

„Sogleich?“

„Komm!“

Er führte ihn in sein Zimmer und legte ihm das alte abgegriffene Papier vor. Tecalto warf einen Blick in die Ecke des Planes und sagte:

„Ja, du hast sie! Das ist das Zeichen von Toxertes, welcher der Vater meines Vaters war. Er mußte das Landverlassen und kehrte nie wieder zurück. Du hast ihm Gutes gethan und bist nicht arm. Willst du die Höhle des Königsschatzes sehen?“

„Kannst du mir sie zeigen?“

„Ja.“

„Wem gehört der Schatz?“

„Mir und Karja, meiner Schwester. Wir sind die einzigen Abkömmlinge der Könige der Miztecas. Soll ich dich führen?“

„Ich gehe mit!“

„So sei bereit, heut zwei Stunden nach Mitternacht. Dieser Weg darf nur im Dunkel der Nacht angetreten werden.“

„Wer darf davon wissen?“

„Niemand. Aber der Tochter des Haciendero magst du es anvertrauen.“

„Warum ihr?“

„Weil sie weiß, daß du den Schatz suchest.“

„Ah, woher weißt du das?“

„Ich habe jedes Wort gehört, welches ihr gestern im Garten geredet habt. Du hattest die Karte und wolltest dennoch nichts nehmen. Du wolltest erst forschen, ob der Erbe vorhanden sei. Du bist ein ehrlicher Mann, wie es unter den Bleichgesichtern wenige giebt. Darum sollst du den Schatz der Könige sehen.“

Und eine Stunde später zur Zeit des Mittagsmahles, als die andern beim Nachtische saßen, schlüpfte die Indianerin in das Zimmer des Grafen.

„Hast du das Papier geschrieben?“ fragte sie.

„Kannst du lesen?“ erkundigte er sich.

„Ja,“ antwortete sie stolz.

„Hier ist es.“

Er gab ihr einen Bogen Papier, auf welchem folgende Zeilen zu lesen waren:

„Ich erkläre hiermit, daß ich nach Empfang des Schatzes der Könige der Miztecas mich als Verlobten von Karja, der Nachkömmlingin dieser Könige, betrachten und sie als meine Gemahlin heimführen werde.

Alfonzo Graf de Rodriganda y Sevilla.“

„Ist es so recht?“ fragte er.

„Die Worte sind gut, aber das Siegel fehlt!“ „Das ist ja nicht notwendig!“ „Du hast es mir versprochen.“

„Gut, so magst du es haben,“ sagte er, seinen Unwillen verbergend.

Er brannte den Wachsstock an und drückte sein Siegel über die Worte.

„Hier, Karja! Und nun halte auch du dein Wort!“

„Ich halte es.“

„Nun? Wo ist der Schatz versteckt?“

„Kennst du den Berg El Reparo?“

„Ja. Er liegt vier Stunden von hier gegen Westen.“

„Er sieht fast aus wie ein langgezogener, hoher Damm.“

„Das stimmt.“

„Von ihm fließen drei Bäche in das Thal. Der mittelste ist der richtige. Sein Anfang bildet keinen offenen Quell, sondern er tritt gleich voll und breit aus der Erde heraus. Wenn du in das Wasser steigst und da, wo er aus dem Berge kommt, dich bückst und hineinkriechst, so hast du die Höhle vor dir.“

„Ah, das wäre doch recht einfach!“

„Sehr einfach!“

„Braucht man Licht?“

„Du wirst Fackeln rechts vom Eingang finden.“

„Das ist alles, was du mir zu sagen hast?“

„Alles.“

„Und der Schatz befindet sich wirklich noch vollständig dort?“

„Vollständig.“

„So habe Dank, mein gutes Kind! Du bist jetzt meine Verlobte und wirst nun bald mein Weibchen sein. Jetzt aber geh. Man könnte uns hier überraschen!“

Sie steckte das Dokument ein und ging. Sie hatte ein Opfer gebracht, aber dieses Opfer lag ihr mit Zentnerschwere auf der Seele.

Inzwischen hatte sich Bärenherz, der Häuptling der Apatschen, eines der halbwilden Pferde der Hacienda eingefangen und war spazieren geritten. Er hatte Zeit und nahm bei der Heimkehr nicht etwa den geradesten und bequemsten Weg, sondern er folgte den Thälern, Schluchten und Gründen, wie sie ihm gerade in die Richtung kamen, bis er, in einer Vertiefung reitend, plötzlich zankende Stimmen vernahm. Gleich darauf ertönte ein Schuß und ein Schrei.

Ein solches Vorkommnis ist verdächtig, besonders einem vorsichtigen Indianer. Er stieg ab, band sein Pferd an, griff zur Büchse und birschte sich vorsichtig der Gegend zu, in welcher der Schuß gefallen war. Es war nicht weit. Er kroch eine Böschung empor, deren Höhe mit wilder Myrte besetzt war. Als er diese Büsche erreichte, erblickte er zwischen diesen hindurch ein kleines, aber tiefes Thälchen, in welchem sich um ein abgebranntes Feuer herum achtzehn Männer und zwei Leichen befanden. Dabei lagen eine Menge Kisten, Säcke und Packsättel auf einem Haufen. Einer der Männer hatte ein Pistol in der Hand, welches er lud.

„Es bleibt dabei,“ sagte er; „wer widerspricht, der wird einfach erschossen.“

„Werden uns die Schüsse nicht verraten?“ fragte ein anderer schüchtern.

„Schwachkopf, wer wird sich an uns wagen!“

Bärenherz verstand das Gemisch von Spanisch und Indianisch, welches an der Grenze gesprochen wird, sehr gut; diese Leute hier aber redeten rein Spanisch, welches er nicht verstand. Er hielt diese Leute für eine Jagdtruppe, deren Mitglieder untereinander in Streit geraten waren und aufeinander geschossen hatten. Das kommt in Mexiko häufig vor, ohne daß es groß beachtet wird. Er zog sich also leise wieder zurück, bestieg sein Pferd und ritt nach der Estanzia.

Der Graf ließ sich während des ganzen Tages nicht sehen. Er wußte nun, was er hatte wissen wollen, und ließ durch seine beiden Diener seine Sachen packen. Nach dem Abendessen ging er zu Arbellez und erklärte ihm, daß er abreisen werde. So auffallend dies erscheinen mochte, der Haciendero fragte ihn nicht nach dem Grunde und versuchte auch nicht, ihn zu halten. Als Rodriganda von da aus in sein Zimmer zurückkehrte, begegnete er Karja. In der Überzeugung, nun am Ziele zu sein, beging er zufolge seines dadurch eingetretenen Übermutes die Unklugheit, zu ihr zu sagen:

„Soeben habe ich Arbellez gesagt, daß ich abreise.“

„Wohin?“ fragte sie.

„Nach Mexiko.“

„Und der Schatz?“

„Den hole ich mir natürlich vorher. Ich habe eine ganze Menge von Arrieros mit Maultieren bereit gehalten, mit denen ich jetzt nach dem Berge El Reparo reite, um die Schätze aufzuladen. Von dort aus geht es sofort nach Mexiko.“

„Wann kommst du wieder?“

„Nie.“

„Nie?“ fragte sie erstaunt. „So wirst du mich von hier abholen lassen?“

„Nein.“

„Auch nicht? So soll ich dich in der Hauptstadt aufsuchen?“

„Das müßte ich mir sehr verbitten. Hast du denn wirklich geglaubt, Gräfin von Rodriganda werden zu können? Hast du mich wirklich für So albern, für so wahnsinnig gehalten, daß ich eine Indianerin, eine Rote, zu meiner Frau mache?“

Sie sah ihn erschrocken an und fragte stammelnd:

„So – – so – – hast du – – mich betrogen?“

„Das ist ein Ausdruck, den ich ernstlich zurückweisen muß. Ein Graf betrügt nie; ich habe dich nur ein wenig überlistet. Der Schatz ist mein, und wenn du einen Mann haben Willst, so suche ihn dir unter deinesgleichen!“

Nach diesen in höhnisch stolzem Tone gesprochenen Worten entfernte er sich. Karja stand eine ganze Weile starr und stumm und wankte dann ganz fassungslos nach ihrem Zimmer. Es dauerte lange, lange, ehe sie richtig zu denken vermochte. Er hatte sie betrogen und war jetzt fort, um die Schätze zu holen! Er durfte sie nicht bekommen, nein, nein, nein! Sie mußte ihn hindern; aber wie? Der richtige Weg war, ihrem Bruder alles zu gestehen; der mußte sofort nach dem Berge aufbrechen und den Raub unmöglich machen. So schwer ihr dieses Geständnis werden mußte, sie zögerte nicht. Der Graf war ein Betrüger, ein Halunke; er hatte ihr durch Lügen das Geheimnis entlockt; es mußte aber gerettet und gewahrt bleiben, und das war durch seinen Tod möglich. Ja, sterben mußte er! jetzt war sie nur noch Indianerin, eine betrogene Indianerin, die ihr Herz für ewig zum Schweigen bringt und nun weiter nichts als nur die Rache kennt. Sie sprang blitzenden Auges von ihrem Sitze auf und eilte fort, um den Bruder zu suchen. Sie lief durch den Hof in den Garten, hinaus auf die Weide; sie suchte in allen Räumen des Hauses, die ihm zugänglich waren – vergebens. Da wurde ihr himmelangst, und sie kehrte in den Speisesaal zurück, wo Arbellez mit Emma und dem Apatschen saß. Auf ihre erregte Frage bekam sie von dem Haciendero die Antwort:

„Ich weiß nicht, wo er ist. Aber was hast du, was ist mit dir? Du bist ja ganz außer dir!“

„Es steht ein Unglück bevor, ein großes Unglück! Mein Bruder muß augenblicklich fort.“

„Wohin?“

„Nach El Reparo!“

„Warum?“

„Der Graf ist hin, um zu stehlen!“

„Zu stehlen?“ fragte da Emma betroffen. „Etwa den Königsschatz?“

„Ja,“ antwortete Karja, ohne daran zu denken, daß sie damit ihr Geheimnis verriet.

„O Gott, das giebt allerdings ein Unglück, denn dein Bruder ist mit Sennor Helmers auch hin! Er will ihm den Königsschatz zeigen und hat es ihm erlaubt, es mir zu sagen.“

„Mein Himmel! Da wird es Mord und Totschlag geben!“ rief Arbellez.

Es gab eine Aufregung, bei welcher nur der Apatsche kalt blieb. Er besann sich auf seinen heutigen Ritt und sagte:

„Ich habe heut Männer mit Säcken und Kisten gesehen. Sollte das mit dem Schatze zusammenhängen? Vielleicht sollen sie ihn für den Grafen fortschaffen! Woher aber kennt er das Geheimnis des Schatzes?“

„Ich habe es ihm verraten,“ gestand Karja in ihrer Angst. „Waren es viele Männer, die du gesehen hast?“

„Ja.“

„Wie viele?“

„Zweimal fünf und acht.“

„Waren sie bewaffnet?“

„Sehr gut. Und sie hatten von den Waffen Gebrauch gemacht, denn zwei von ihnen waren erschossen.“

„O, das ist Gefahr, das ist Gefahr!“ rief da die Indianerin. „Der Graf, der Lügner, der Verräter, will den Schatz der Könige stehlen. Er wird Sennor Helmers und meinen Bruder dort finden und sie töten. Sennor Arbellez, blast in das Nothorn. Laßt Eure Vaqueros und Ciboleros kommen. Sie müssen nach der Höhle des Schatzes, um die zwei zu retten!“

Jetzt gab es ein Wirrwarr von Fragen und Antworten, bei dem wieder nur der Apatsche seine Ruhe behauptete. Er hörte die einzelnen Fragen und Entgegnungen, und sagte dann:

„Wer weiß es, wo die Höhle liegt?“

„Ich,“ antwortete Karja. „Ich werde Euch führen!“

„Kann man reiten?“

„Ja.“

„So gebt mir dieses Mädchen und zehn Ciboleros und Vaqueros mit.“

„Ich gehe auch mit!“ rief Arbellez.

„Nein!“ entschied der Apatsche. „Wer will die Hacienda beschützen? Wer weiß, was hier kommen kann? Man rufe alle Männer, man gebe mir zehn von ihnen. Die andern beschützen die Hacienda.“

Dabei blieb es. Der Haciendero stieß in das Horn, und auf dieses Zeichen kamen die Wächter der Herden und sonstige Bedienstete herbeigesprengt. Der Apatsche suchte sich zehn von ihnen aus; sie wurden bewaffnet. Auch Karja stieg zu Pferde; dann ritten sie ab, während die andern, gut Wache haltend, zurückblieben. Die Verwirrung war schuld, daß bis zum Abreiten der kleinen Truppe doch eine ziemliche Zeit vergangen war. – –

Kurz nach dem Abendessen trat Büffelstirn in das Zimmer des Deutschen.

„Gedenkst du noch deines Wortes?“ fragte er.

„Ja,“ antwortete Helmers.

„Du reitest mit?“

„Ja.“

„So komme!“

Helmers bewaffnete sich und folgte dem Indianer. Unten standen heimlich bereits drei Pferde bereit, zwei mit Reitsätteln und das dritte mit einem Packsattel.

„Was soll dieses hier?“ fragte der Deutsche, auf das letztere zeigend.

„Ich habe gesagt, daß du nicht arm bist. Du hast den Schatz der Könige nicht berauben wollen; darum sollst du dir davon nehmen dürfen so viel, wie ein Pferd zu tragen vermag.“

„Nein. Wo denkst du hin!“ rief Helmers erstaunt.

„Rede nicht, sondern steige auf, und folge mir!“

Der Indianer bestieg sein Pferd, nahm das Packtier beim Zügel und ritt fort. Helmers konnte nicht anders, als ihm folgen. Es war finstere Nacht, aber der Indianer kannte seinen Weg genau, und die halbwilden Pferde Mexikos sehen während des Nachts wie die Katzen. Der Deutsche konnte sich der Führung Büffelstirns gut anvertrauen. Schnell freilich kamen sie nicht vorwärts, denn es ging tief zwischen unwegbare Berge hinein.

Büffelstirn sprach kein Wort. Man hörte in der schweigsamen Nacht nichts als den Schritt und das zeitweilige Schnauben der Pferde. So verging eine Stunde, noch eine und noch eine dritte. Da rauschte Wasser; man kam an den Lauf eines Baches, dem man folgte. Dann türmte sich ein wallartiger Berg vor ihnen auf, und als sie denselben beinahe erreicht hatten, stieg der Indianer ab.

„Hier warten wir, bis der Tag kommt,“ sagte er.

Helmers folgte seinem Beispiele, ließ sein Pferd grasen und setzte sich neben Büffelstirn auf einem Feisenstücke nieder.

„Die Höhle ist hier in der Nähe?“ fragte er.

„Ja. Sie ist da, wo dieses Wasser aus dem Berge kommt. Man steigt in den Bach, bückt sich und kriecht in das Loch, so befindet man sich in einer Höhle, deren Größe und Abteilungen niemand kennt als Büffelstirn und Karja.“

„Ist Karja schweigsam?“

„Sie schweigt!“

Helmers dachte an das, was ihm Emma erzählt hatte, und sagte daher:

„Aber es giebt einen, der das Geheimnis des Schatzes von ihr erfahren will.“

„Wer ist es?“

„Der Graf Alfonzo.“

„Ugh!“

„Du bist mein Freund, und darum darf ich dir sagen, daß sie ihn liebt.“

„Ich weiß es.“

„Und wenn sie ihm nun euer Geheimnis verrät?“

„So ist Büffelstirn da. Der Graf wird nicht den kleinsten Teil des Schatzes erhalten.“

„Ist dieser Schatz groß?“

„Du wirst ihn sehen. Nimm alles Gold, welches Mexiko heut besitzt, zusammen, so reicht es noch nicht an den zehnten Teil dieses Schatzes. Es hat einen einzigen Weißen gegeben, der ihn gesehen hat, und –“

„Ihr habt ihn getötet?“

„Nein. Er brauchte nicht getötet zu werden, denn er ist wahnsinnig geworden, wahnsinnig vor Freude und Entzücken. Der Weiße vermag den Anblick des Reichtums nicht zu ertragen, nur der Indianer ist stark genug dazu!“

„Und mir willst du den Schatz zeigen?“

„Nein. Du wirst nur einen Teil desselben sehen. Ich habe dich lieb, und du sollst nicht auch wahnsinnig werden. Gieb mir deine Hand und zeige mir deinen Puls.“

Er faßte die Hand des Deutschen und prüfte dessen Puls.

„Ja, du bist sehr stark,“ sagte er. „Der Geist des Goldes hat dich noch nicht ergriffen; wenn du in die Höhle trittst, so wird dein Blut gehen wie der Fall des Wassers vom Felsen.“

Das Gespräch verstummte nun. Es war dem Deutschen so eigentümlich wie noch nie zu Mute. Da begann sich der Himmel zu färben. Der blasse Schimmer des Ostens wurde stärker, und bald konnte man die einzelnen Gegenstände mit Genauigkeit unterscheiden.

Helmers erblickte den Berg El Reparo vor sich, dessen schroffer Hang zumeist mit Eisenbäumen bestanden war. Ganz am Fuße desselben trat ein Wasser aus dem Felsen, welches sofort wenigstens drei Fuß breit und vier Fuß tief war.

„Dies ist der Eingang?“ fragte er.

„Ja,“ antwortete Büffelstirn. „Aber noch treten wir nicht hinein. Wir wollen erst die Pferde verstecken. Der Besitzer eines Schatzes muß vorsichtig sein.“

Sie führten die Pferde längs des Berges hin, bis der Indianer ein Gebüsch auseinanderbog. Hinter demselben befand sich eine enge, niedrige Schlucht, wo die Tiere Platz fanden. Dann kehrten sie an den Bach zurück, wo sie nach Indianerart ihre Spuren verwischten, bis sie an den Felsen gelangten, aus dessen Öffnung das Wasser floß.

„Nun komm!“ sagte Büffelstirn.

Mit diesen Worten stieg er in das Wasser, zwischen dessen Oberfläche und dem Felsen ein Fuß tief Raum war, so daß man mit dem Kopfe hindurch gelangen konnte. Die Kleider wurden freilich naß. Sie kamen nun in einen dunklen Raum, dessen Luft trotz des Baches außerordentlich trocken war.

Reiche mir deine Hand!“ sagte der Indianer.

Er führte ihn aus dem Wasser heraus auf das Trockene und befühlte dann seinen Puls.

„Dein Herz ist sehr stark,“ sagte er. „Ich darf die Fackel anbrennen.“

Er ging einige Schritte von Helmers fort. Ein matter, phosphorischer Blitz durchzuckte den Raum, ein lautes Prasseln ertönte, und dann flammte eine Fackel auf.

Aber, was ging nun vor! Nicht die eine, sondern tausende von Fackeln schienen zu brennen. Als befände sich der Deutsche inmitten einer ungeheuren, Gold und Demant blitzenden Sonne, so strahlten Millionen von Lichtern und Reflexen in sein geblendetes Auge, und in dieses unendliche Schimmern, Schillern und Brillieren hinein erklangen die Worte des Indianers:

„Das ist die Höhle des Königsschatzes! Sei stark, und halte deine Seele fest!“

Es verging eine geraume Zeit, ehe der Deutsche seine Augen an diese Pracht gewöhnen konnte. Die Höhle bildete ein sehr hohes Viereck von vielleicht sechzig Schritten in der Länge und Breite, durch welches der mit Steinplatten bedeckte Bach floß. Sie war vom Boden an bis hinauf an die gewölbte Decke angefüllt mit Kostbarkeiten, deren Glanz allerdings die Sinne auch des nüchternsten Menschen verwirren konnte.

Da gab es Götterbilder, welche mit den kostbarsten Edelsteinen geschmückt waren, besonders die Bilder des Luftgottes Quetzalcoatl, des Schöpfers Tetzkatlipoka, des Kriegsgottes Huitzilopochtli und seiner Gemahlin Teoyaniqui, nebst seines Bruders Tlakahuepankuexkotzin, der Wassergöttin Chalchiukueja, des Feuergottes Ixcozauhqui und des Weingottes Cenzontotochtin. Hunderte von Hausgötterfiguren standen auf Wandbrettern; sie waren entweder aus edlen Metallen getrieben oder in Krystall geschliffen. Dazwischen standen goldene Kriegspanzer von ungeheurem Werte, goldene und silberne Gefäße, Schmucksachen in Demant, Smaragden, Rubinen und andern Edelsteinen, Opfermesser, deren Griffe, die funkelnden Steine gar nicht gerechnet, nur einen Altertumswert nach Hunderttausenden hatten, Schilde von starken Tierhäuten, die mit massiven Goldplatten besetzt waren. Von dem Mittelpunkte der Decke hing gleich einem Lüstre eine Königskrone herab; sie hatte die Gestalt einer Mütze, war aus massivem Golddraht gefertigt und ganz ausschließlich nur mit Diamanten besetzt. Ferner sah man da ganze Säcke voll Goldsand und Goldstaub, Kisten, die mit Nuggets angefüllt waren, welche die Größe einer Erbse bis zu der eines Hühnereies hatten. Man sah ganze Haufen gediegenes Silber, gleich in großen Stücken aus an zu Tage getretenen Adern gebrochen. Auf köstlichen Tischen standen leuchtende Modelle der Tempel von Mexiko, Cholula und Teotihuakan, der prachtvollen Mosaiken von Muscheln, Gold, Silber, Edelsteinen und Perlen gar nicht zu denken, welche am Boden und in den Ecken lagen.

Der Anblick dieser Reichtümer brachte auf den Deutschen einen wahrhaft berauschenden Eindruck hervor. Es war ihm, als sei er ein Märchenprinz aus „Tausend und eine Nacht“. Er gab sich Mühe, ruhig zu bleiben, aber es gelang ihm nicht. Er fühlte das Blut an seinen Schläfen pochen, und es war ihm, als ob große Feuer- und leuchtende Demanträder vor seinen Augen wirbelten. Es kam eine Art von Rausch über ihn, und in demselben sah er ein, daß solche Reichtümer eine Macht ausüben, ein wahnsinniges Verlangen erwecken können, welches selbst vor dem fürchterlichsten Verbrechen nicht zurückschrecken würde.

„Ja, das ist die Höhle des Königsschatzes,“ wiederholte der Indianer. „Und dieser Schatz gehört nur allein mir und meiner Schwester Karja.“

„So bist du reicher als irgend ein Fürst der Erde!“ antwortete Helmers.

„Du irrst! Ich bin ärmer als du und jeder andre. Oder willst du den Enkel eines Herrschers beneiden, dessen Macht vergangen ist und dessen Reich in Trümmern liegt? Die Krieger, welche jene Rüstungen, Schilde und Waffen trugen, wurden von ihrem Volke geliebt und verehrt; ein Wort von ihnen gab Leben oder Tod. Ihre Schätze sind noch vorhanden, aber die Stätte, wo man ihre Gebeine niederlegte, ist von den Weißen entweiht und zertreten worden, und ihre Asche wurde in alle Winde zerstreut. Ihre Enkel irren durch die Wälder und Prairien, um den Büffel zu töten. Der Weiße kam; er log und trog; er mordete und wütete unter meinem Volke um dieser Schätze willen. Das Land ist sein, aber es liegt verödet, und der Indianer hat die Schätze dem Dunkel der Erde übergeben, damit sie dem Räuber nicht in die Hände fallen. Du aber bist nicht wie die andern; dein Herz ist rein vom Verbrechen. Du hast meine Schwester aus den Händen der Comantschen errettet; du bist mein Bruder, und darum sollst du von diesen Schätzen so viel haben, wie ein Pferd zu tragen vermag. Doch nur zweierlei steht dir zu Gebote. Hier sind Goldkörner, ganze Säcke voll, und hier sind Ketten, Ringe und andrer Schmuck; wähle dir aus, was dir gefällt. Das andre aber ist heilig; es soll nie wieder beschienen werden von der Sonne, die den Untergang der Miztecas gesehen hat.“

Helmers sah die Nuggets und das Geschmeide, ihm wurde fast schwindelig.

„Ist dies dein Ernst?“ fragte er.

„Ich scherze nicht.“

„Aber das sind ja Hunderttausende von Dollars, die du mir schenkst!“

„Nein; es werden sogar Millionen sein.“

„Ich kann es nicht annehmen!“

„Warum? Willst du die Gabe des Freundes verachten?“

„Nein, aber ich kann nicht dulden, daß du dich meinetwegen beraubst!“

Der Indianer schüttelte stolz den Kopf.

„Es ist kein Raub. Ich bringe kein Opfer. Was du hier siehst, ist nur ein Teil der Schätze, welche der Berg EI Reparo verbirgt. Es gibt hier noch weitere Höhlen, von denen nicht einmal Karja, meine Schwester, etwas weiß. Nur ich kenne sie, und wenn ich einst sterbe, so wird kein menschlicher Gedanke mehr in diese Tiefen dringen. Ich werde jetzt gehen, um die andern Höhlen zu besuchen. Siehe dir die Schätze an, und lege zur Seite alles, was du für dich auswählst. Wenn ich zurückkehre, beladen wir das Pferd damit und reiten heim nach der Estanzia.“

Er steckte die Fackel in den Boden und schritt nach der hintersten Ecke, in welcher er verschwand.

Der Deutsche stand allein inmitten dieser unermeßlichen Reichtümer. Welch ein Vertrauen mußte der Indianer zu ihm haben! Wie nun, wenn Helmers heimlich zurückkehrte, um sich weiter zu bereichern? Wie nun, wenn er den Indianer tötete, um Herr des Ganzen zu werden, von dem er nur einen kleinen Teil erhalten sollte? Aber kein einziger solcher Gedanke kam dem ehrlichen Manne. Er fieberte fast schon darüber vor Wonne, daß er eine ganze Pferdelast Geschmeide und Nuggets mitnehmen durfte. –

Graf Alfonzo war, als er mit seinen beiden Dienern die Hacienda verlassen hatte, nicht direkt nach dem Berge EI Reparo, geritten; er hatte vielmehr die Arrieros aufzusuchen. Er ließ sein Tier so rasch ausgreifen, als es bei der Dunkelheit ohne Gefahr möglich war, und minderte diese Schnelligkeit auch nicht eher, als bis er das Thal erreichte, in welchem seine Helfershelfer lagerten.

Er wurde wieder wie gestern angerufen und gab dieselbe Antwort. Nun durfte er an das Feuer treten, welches man schürte, damit man besser zu sehen vermöge.

„Seid ihr fertig?“ fragte er.

„Wir sind bereit,“ antwortete der Anführer.

„Und Pferde?“

„Die haben wir von den Herden des Sennor Arbellez eingefangen.“

„Wie viele?“

„Achtzehn für uns und dreißig für Sie.“

„Sind sie gesattelt?“

„Ja.“

„So laßt uns aufbrechen!“

Erst jetzt fiel ihm ein, in welcher Verlegenheit er sich befand. Er konnte diese wüsten Menschen doch unmöglich mit in die Höhle nehmen. Sie hätten dieselbe ausgeräumt, nicht für ihn, sondern für sich. Doch hoffte er, daß sich wohl im rechten Augenblicke ein Ausweg finden lassen werde. Die Männer holten ihre Pferde und Maultiere herbei und saßen auf. Er setzte sich mit dem Anführer an ihre Spitze, und man brach auf.

Alfonzo kannte den Berg, welchen die Indianerin ihm genannt hatte, aber von dieser Seite aus hatte er ihn noch nicht besucht. Er war also mit den Einzelheiten des Weges nicht vertraut; er kannte nur die Richtung, und darum kam man bei der Vorsicht, welche geboten war, nur langsam weiter.

Erst als der Morgen zu dämmern begann, konnte man die Pferde besser ausgreifen lassen, und nun dauerte es auch nicht lange, so tauchte die dunkle Masse des EI Reparo vor ihnen auf.

Sie erreichten den Berg von seiner Südseite und ritten an seinem östlichen Abhange hin. Der erste Bach wurde überschritten, und als dann Alfonzo merkte, daß der zweite in der Nähe sei, ließ er halten. Bis an die Höhle wollte er sie nicht mitnehmen. Es galt ja überhaupt zunächst, sich von dem Dasein derselben auch wirklich zu überzeugen.

„Was nun?“ fragte der Anführer.

„Ihr wartet!“

„Ah, Sie werden uns verlassen?“

„Ja, für kurze Zeit.“

„Was ist es denn eigentlich, was wir zu laden haben?“

„Darum habt ihr euch gar nicht zu kümmern; das ist ja so ausbedungen, wie ihr wißt.“

Er ritt langsam davon. Der Anführer wandte sich leise zu seinen Leuten:

„Jetzt haben wir sein Geheimnis in der Nähe. Was thun wir?“

„Ihn belauschen,“ antwortete einer.

„Das ist vielleicht das beste. Wartet hier!“

Er stieg ab und folgte dem Grafen zu Fuße. Es gab Felsen und Buschwerk genug, welches ihm Deckung gewährte, so daß Alfonzo, auch wenn er sich umdrehte, ihn nicht sehen konnte.

So ging es eine Strecke weiter, bis der Graf den Bach erreichte. Hier stieg er ab, band sein Pferd an den Stamm eines Eisenbäumchens und verschwand hinter den Büschen. Der Anführer wartete eine Weile, da der Graf aber nicht zurückkehrte, so eilte er, seine Leute wieder aufzusuchen. Er fand sie noch an derselben Stelle, wo er sie verlassen hatte.

„Er ist im Gebüsch verschwunden,“ sagte er, doch so, daß die beiden Diener es nicht hörten. „Dort hat er sein Geheimnis. Was will er thun, wenn wir etwas näher reiten! Vorwärts!“

Sie setzten sich abermals in Bewegung, gegen das Buschwerk zu, welches den Bach besäumte, drangen aber nicht weiter vor, sondern blieben hier halten. Nun befanden sie sich zwar am Bache, aber noch nicht am Austritte desselben aus dem Berge. Zwischen diesem und ihnen gab es noch eine von Buschwerk bestandene Windung, so daß sie den Eingang zur Höhle nicht zu sehen vermochten. Ebenso erblickten sie nicht das Pferd des Grafen, da er es seitwärts von ihrem Standpunkt angebunden hatte.

Er hatte den Austritt des Wassers untersucht und gefunden, daß es möglich sei, hineinzugelangen. Er stieg also in die kalte Flut, bückte sich und kroch hinein. Noch aber hatte er nicht ganz den Punkt erreicht, wo die Höhle sich zu wölben begann, so gewahrte er einen hellen Lichtschein vor sich.

Was war das? War das Fackellicht? Oder war es der Schein des Tages, welcher durch irgend eine Öffnung der Höhle hereindrang? Es schien das erstere zu sein. An das Zurückweichen dachte der Graf nicht; er schob sich langsam und vorsichtig weiter, jedes Geräusch vermeidend, um nicht bemerkt zu werden.

Da plötzlich brach ein goldenes und diamantenes Blitzen und Flimmern in sein Auge. Er erschrak förmlich und fuhr empor. Er stand innerhalb der Höhle und erblickte die Schätze, welche hier eingeschlossen waren. Er zitterte. Der Teufel des Goldes packte ihn mit aller Macht. Seine Augen verdunkelten und erweiterten sich abwechselnd; er hätte laut aufschreien mögen vor wonnigem Schreck; aber das ging nicht, denn – dort, kaum fünf Schritte vor ihm kniete ein Mann am Boden und ordnete eine Partie kostbares Geschmeide, welches er auf einer Mosaikplatte aufgehäuft hatte. Wer war dieser Mensch? Ah, jetzt bog er sich seitwärts; sein Profil war zu sehen, und der Graf erkannte ihn.

„Der Deutsche!“ murmelte er zwischen den Zähnen. „Wer hat ihm die Höhle verraten? Ist er allein hier, oder hat er Begleitung mit?“

Sein Auge irrte suchend durch den Raum; er sah, daß Helmers allein war; er hatte keine Ahnung davon, daß Büffelstirn sich in einer nebenan liegenden Abteilung befand.

„Ah, es ist niemand hier außer ihm!“ dachte er mit grimmiger Freude. „Er soll nicht eine Erbse groß von diesem Golde erhalten. Ich werde Rache nehmen. Er muß sterben!“

Er stieg leise aus dem Wasser. Nicht weit von ihm lehnte eine Kriegskeule. Sie war vom festesten Eisenholze gefertigt und mit spitzgeschliffenen Krystallstücken besetzt, die einen Hieb doppelt gefährlich machten. Er faßte sie an dem mit edlen Steinen geschmückten Griff und schlich sich hinter den Deutschen heran.

Dieser ließ soeben eine köstlich gearbeitete Kette durch seine Finger gleiten.

„Prachtvoll!“ sagte er. „Lauter Rubinen! Sie allein bildet einen bescheidenen Reichtum!“

Er ließ sie im Lichte der Fackel flunkern und wollte sie dann fortlegen, kam aber nicht dazu, denn die Keule sauste auf ihn herab und traf seinen Kopf mit solcher Wucht, daß er sofort zusammenbrach. Die Kette glitt aus seiner Hand, deren Finger sich öffneten.

Jetzt stieß der Graf einen wilden, unartikulierten Schrei aus.

„Gesiegt! Alles mein, alles, alles, alles!“

Ein fast wahnsinniges Entzücken bemächtigte sich seiner.

Er sprang vor Freude empor und schlug die Hände zusammen wie ein Sinnloser. Wer ihn draußen so gesehen hätte, der hätte ihn für verrückt gehalten.

Da, was war das? Er stand plötzlich wie gelähmt; er erbleichte, und seine Augen öffneten sich weit, als ob er Gespenster sehe. Aus der hinteren Ecke löste sich eine Gestalt, die ihre Augen erst erstaunt und dann mit einem grimmigen Leuchten auf ihn richtete. Es war Büffelstirn, welcher von seinem Gange zurückkehrte und anstatt des Freundes einen andern erblickte, neben dem der Deutsche regungslos am Boden lag.

Mit zwei tigergleichen Sprüngen stand der Indianer beim Grafen und packte ihn.

„Hund, was thust du hier?“ rief er.

Der Gefragte vermochte kein Wort hervorzubringen. Diesem entsetzlichen Indianer war er nicht gewachsen; das wußte er. Er war verloren – aus dem höchsten Entzücken herab in den kalten, starren Tod gestürzt. Es lief ihm eiskalt über den Rücken, und er zitterte.

„Du hast ihn erschlagen!“ sagte Büffelstirn, auf den Deutschen und die am Boden liegende Keule deutend.

Dabei rüttelte er ihn mit einer Gewalt, als ob ein Riese ein kleines Kind gepackt habe.

„Ja,“ stöhnte der Graf vor Angst.

„Warum?“

„Diese – diese Schätze sind schuld!“ stammelte er.

„Pah! Du bist sein Feind. Sein Tod war dir schon vorher erwünscht. Wehe dir, dreifach wehe!“

Er bückte Sich, um den Freund zu untersuchen. Der Graf stand dabei wie eine leb- und bewegungslose Figur. Wie leicht konnte er die Keule erfassen und einen Kampf wenigstens versuchen. Aber er befand sich unter dem Zauber des Schatzes und unter dem Banne dieses berühmtesten der Ciboleros. Es ging ihm, wie die Sage von dem kleinen Vogel erzählt, der auch nicht flieht, wenn die Klapperschlange ihre Augen auf ihn richtet, sondern sich widerstandslos von ihr erwürgen läßt.

„Er ist tot!“ sagte Büffelstirn, sich wieder erhebend. „Ich werde Gericht halten über dich, und dein Tod soll ein solcher sein, wie ihn noch keiner hier gestorben ist. Du bist der Mörder des edelsten und besten Jägers, den die Erde trug; ich werde dich tausendfach sterben lassen.“

Er stellte sich mit vor die Brust verschlungenen Armen dem Missethäter gegenüber. Seine riesige Gestalt reckte sich in ihren Muskeln, und sein Auge richtete sich fascinierend auf den Grafen.

„Ah, du bebst!“ sagte er verächtlich. „Du bist ein Wurm, eine feige Memme. Wer hat dir den Weg zu dieser Höhle verraten?“

Der Gefragte schwieg. Es war ihm, als sei der jüngste Tag hereingebrochen und er stehe vor dem ewigen Richter.

„Antworte!“ donnerte der Cibolero.

„Karja!“ hauchte der Graf.

„Karja? Meine Schwester?“

„Ja.“

Die Augen des Indianers funkelten wie glühende Fackeln.

„Sagst du die Wahrheit? Oder lügst du? Du nennst meine Schwester vielleicht nur, um Gnade zu erlangen und der Strafe zu entgehen!“

„Ich sage die Wahrheit; du kannst es mir glauben!“

„Ah, so mußt du teuflische Verführungskünste angewandt haben, um ihr das Geheimnis von EI Reparo zu entlocken. Du hast ihr Liebe geheuchelt?“

Der Graf schwieg.

„Rede! Nur die Wahrheit kann dein Schicksal mildern. Weißt du, wie du sterben mußt?“

„Sage es,“ bat Alfonzo schaudernd.

„Es giebt da droben am Berge ein Wasserloch; es ist nicht groß, aber es enthält die Abkömmlinge der zehn heiligen Krokodile, in deren Bäuchen die früheren Herrscher dieses Landes die Verbrecher begruben. Die Tiere sind über hundert Jahre alt; sie haben lange Zeit gehungert. Ich werde dich hinaufschaffen und an einen Baum hängen, so daß du lebendig über dem Loche schwebst. Die Krokodile werden emporschnellen nach dir, dich aber nicht ganz erreichen. Sie werden sich um dich zerreißen; du wirst ihren stinkenden Dunst einatmen und lange Tage und Nächte über ihnen hängen, denn der Strick geht dir nicht um den Hals. So wirst du hängen in der Sonnenglut, so wirst du verschmachten, verhungern und verdursten, und dann erst, wenn dein Leichnam zu Aas verfault, wirst du herabstürzen und von Alligatoren gefressen werden.“

Alfonzo hörte diese Worte mit unbeschreiblichem Entsetzen; seine Zunge war bewegungslos; sie lag ihm vor Furcht wie Blei im Munde; er konnte keine Bitte um Gnade aussprechen.

„Nur ein offenes Geständnis kann dieses Schicksal mildern,“ fuhr der Indianer fort. „Also rede! Hast du meiner Schwester das Geheimnis entlockt?“

„Ja,“ stieß der Gefragte hervor.

„Wo hattest du deine Zusammenkünfte mit ihr?“

„Bei den Oliven am Bache, hinter der Hacienda.“

„Wann hat sie dir das Geheimnis verraten?“ war die fernere Frage des Indianers.

„Gestern abend,“ lautete die Antwort.

„Bist du allein hier?“

„Nein, ich bin von achtzehn Mexikanern begleitet.“

„Ah, sie sollten dir helfen, diese Schätze fortzuschaffen, und du hast ihnen das Geheimnis mitgeteilt?“

„Sie wissen nicht, was sie transportieren sollten, und kennen auch die Höhle nicht.“

„Wo sind sie?“

„Sie halten eine Strecke von hier, deren Entfernung unbedeutend ist.“

„Gut! Dieser Mann hier bleibt jetzt liegen; du aber wirst mir folgen. Ich binde und fessele dich nicht, denn du kannst mir nicht entgehen. Du bist ein Wurm, den ich mit einem einzigen Griffe zermalme. Komm, und folge mir!“

„Was wirst du mit mir thun?“ fragte Alfonzo voller Angst.

„Das wirst du erfahren!“

„Töte mich lieber gleich hier!“

„Pah! Du hast die Tochter der Miztecas getäuscht; du wirst das sühnen müssen.“

„Wodurch?“

„Dadurch, daß du sie zum Weibe machst.“

„O, das werde ich thun!“ rief Alfonzo schnell.

„Ah!“ lachte der Indianer grimmig. „Du hältst dich für gerettet! Täusche dich nicht. Du wirst Karja zum Weibe nehmen; sie wird Gräfin de Rodriganda de Sevilla werden; aber du wirst sie nicht anrühren dürfen. Komm, und folge mir!“

Er faßte ihn beim Arme und zog ihn nach dem Ausgange. Dort ging er mit ihm in das Wasser und schob ihn, ohne die Faust von ihm zu lassen, an das Tageslicht.

Es war, als ob durch das erneute Wasserbad und durch den Eindruck des Morgenlichtes der Bann von Alfonzo vertrieben werde. Er atmete tief und leichter auf und fragte sich im stillen, ob er nicht vielleicht doch noch Hoffnung hegen dürfe.

„Wo ist dein Pferd?“ fragte Büffelstirn.

„Dort rechts hängt es an einem Eisenbaum.“

„Und wo sind die Mexikaner?“

„Hinter jenem Hügel zurück.“

„So komm zu deinem Pferde!“

Er schritt mit ihm dem Orte zu, welchen Alfonzo angedeutet hatte. Kaum jedoch waren sie zwischen den Büschen hervorgetreten, so erblickten sie die Mexikaner, welche kaum dreißig Schritte entfernt von ihnen zu Pferde hielten.

„Hund, du hast mich belogen!“ rief der Indianer, indem er ihn beim Halse packte.

„Zu Hilfe!“ schrie Alfonzo, der sich loszumachen versuchte.

„Hier hast du Hilfe!“ antwortete der Indianer.

Er schlug ihm die Faust auf den Kopf, daß er zusammenbrach, sah sich aber auch bereits von den Mexikanern umringt, welche allerdings noch nicht zu den Waffen griffen, weil sie überzeugt waren, daß dieser eine Mann ihnen gar nicht entgehen könne.

Darin hatten sie sich nun freilich getäuscht. Er hatte seine Schießwaffen beim Pferde gelassen, weil sie durch das Wasser gelitten haben würden, aber er hatte sein gutes Messer im Gürtel. Mit einem blitzesschnellen Sprunge saß er hinter dem Anführer auf dessen Pferde, zog sein Messer und stieß es ihm in die Brust. Im nächsten Augenblicke flog er von dannen, aber nicht in der Gegend nach der Hacienda zu. Er durfte den Berg des Geheimnisses nicht verlassen, um die Höhle nicht preiszugeben. Darum sprengte er geradeswegs der kleinen Schlucht zu, in welcher die beiden Pferde standen. Sie bot ihm eine Festung, in welcher er vor den Feinden sicher war.

Die Mexikaner hielten da, einige Augenblicke ganz perplex über den unvermuteten und so erfolgreichen Angriff auf ihren Anführer; dann aber erhoben sie ein wildes Geheul und sprengten hinter dem Flüchtigen her. Das war ein unverzeihlicher Fehler von ihnen. Hätten sie in ruhiger Haltung nach ihren Gewehren gegriffen, so konnte er ihren Kugeln nicht entgehen, nun aber schossen sie zwar ihre Gewehre ab, aber sie konnten im Galoppieren nicht sicher zielen, und so gingen die Schüsse verloren.

Da sahen sie, daß sich der Indianer plötzlich vom Pferde warf und links in die Büsche eindrang, während er das Tier laufen ließ.

„Hurra, ihm nach! Rächt den Kapitano!“

So riefen die Mexikaner. Auch sie sprangen von den Pferden und stürmten auf die Büsche zu, hinter denen der Cibolero verschwunden war. Kaum aber hatten die Vordersten ihren Fuß zwischen die Sträucher gesetzt, so krachte ihnen ein Schuß entgegen, noch einer, ein dritter und vierter – vier Männer lagen tot am Boden. Die andern wichen schnell zurück.

„Verdammt!“ rief einer. „Er hat vier Gewehre gehabt!“

„Hinein, ehe er wieder ladet!“ meinte ein andrer.

„Nein, geht zur Seite!“ sagte ein dritter. „Diese Schlucht ist steil; er kann nur hier wieder heraus!“

Während sie seitwärts hielten und berieten, hatte der Indianer Zeit, seine und des Deutschen Büchse wieder zu laden. Er kroch mit den beiden Gewehren so weit wie möglich vor, bis er ein gutes Ziel bekam, dann drückte er los. Ehe die Mexikaner weit genug zurückgewichen waren, hatten sie wieder vier der Ihrigen verloren; es waren also von der Hand des kühnen Cibolero neun gefallen.

Aber es drohte ihnen noch eine andre, ebenso große Gefahr.

Der Apatsche mit seinen zehn Vaqueros und Ciboleros hätte nämlich schon längst hier sein können, aber die Indianerin hatte sich in der Finsternis geirrt. Auf diese Weise war ein nicht unbedeutender Umweg entstanden, so daß der kleine Trupp erst nach Alfonzo und seinen Mexikanern anlangte.

„Hier ist der Bach,“ sagte Karja zu Bärenherz. „Wir werden gleich an der Höhle sein.“

Der Apatsche ließ seine Augen aufmerksam umherschweifen.

„Ugh!“ rief er aus und deutete nach den Spuren, welche zu sehen waren.

Ein Vaquero sprang ab und suchte am Boden.

„Das waren nicht zwei, sondern das sind viele gewesen,“ sagte er.

„Der Graf mit seinen Leuten,“ sagte Bärenherz kurz, indem er sein Pferd wieder in Bewegung setzte.

Bald jedoch blieb er wieder halten.

„Ugh!“ rief er abermals.

Er deutete vorwärts, wo ein menschlicher Körper lag. Sofort sprangen mehrere der Vaqueros von den Pferden, um denselben anzusehen.

„Der Graf! Graf Alfonzo!“ meinten sie überrascht.

„Verwundet?“ fragte der Apatsche.

„Man sieht keine Wunde.“

„Tot?“

„Es scheint so!“

Der Apatsche schüttelte geringschätzend den Kopf.

„Nicht tot,“ sagte er. „Ein Hieb nur. Bindet ihn!“

Noch waren sie beschäftigt, den Bewußtlosen zu fesseln, als schnell hintereinander vier Schüsse fielen.

„Was ist das?“ fragten die Vaqueros.

Bärenherz ritt zwischen die Büsche hinein und überblickte das jenseits des Baches liegende Terrain.

„Ugh!“ rief er zum drittenmal.

Schnell waren die andern bei ihm.

„Ah, hier eine Leiche!“ sagte ein Vaquero, auf den Körper des Anführers der Mexikaner deutend.

„Und dort noch mehrere,“ sagte ein zweiter.

„Acht!“ zählte der Apatsche. „Noch neun übrig. Absteigen!“

Er stieg mit den übrigen ab und nahm seine nie fehlende Büchse in die Hand.

„Alle erschießen!“ gebot er.

Er zählte mit den Vaqueros und Ciboleros elf Personen. Sie alle legten an und zielten. Zehn Schüsse krachten zu gleicher Zeit; nur er hatte nicht geschossen, und das mit Vorbedacht. Von den neun Mexikanern stürzten sieben; zwei blieben unbeschädigt, und nun erst ließ Bärenherz seine Büchse reden. In zwei Sekunden waren auch die beiden letzten tot.

Nun rannten alle dahin, wo die Gefallenen lagen. Sie hatten den Ort noch nicht erreicht, so trat der Häuptling der Miztecas aus den Büschen heraus.

„Büffelstirn!“ riefen die Vaqueros. „Wo ist Donnerpfeil?“

„Tot,“ antwortete er.

„Wer hat ihn getötet?“ fragte Bärenherz in einem Tone, dem man es anhörte, daß das Schicksal des Mörders bereits eine beschlossene Sache sei.

„Graf Alfonzo.“

„Wo?“

„Das kann ich hier nicht sagen,“ antwortete Büffelstirn. „Aber, schnell zurück! Ich muß den Grafen haben!“

„Wir haben ihn!“ sagte Bärenherz einfach.

„Wo?“

„Dort bei den Büschen.“

„Ist er gebunden?“

„Ja,“ antwortete einer der Vaqueros.

Während die andern den gefallenen Mexikanern ihre Waffen nahmen und sich darein teilten, kehrten Büffelstirn, Bärenherz und Karja an den Ort zurück, an welchem Alfonzo lag. Dieser wurde nun genauer untersucht, und es fand sich, daß der Apatsche recht gehabt hatte: er war nur betäubt, aber nicht tot.

Büffelstirn hatte seine Schwester bis jetzt noch mit keinem Blicke beachtet; jetzt wendete er sich an den Apatschen:

„Will mein Bruder dafür sorgen, daß niemand an den Quell dieses Baches kommt?“

„Ja,“ antwortete dieser.

„So werde ich bald zurückkehren.“

Er ging, um die Höhle wieder aufzusuchen. Als er sie erreichte, war die Fackel abgebrannt. Er steckte eine neue an und trat dann zu dem Deutschen. Er bemerkte sofort, daß dieser anders lag, als er ihn verlassen hatte, und beeilte sich infolgedessen, ihn nochmals zu untersuchen. Er fand zu seiner unaussprechlichen Freude, daß der Puls wieder ging. Der Deutsche mußte während dieser Zeit einmal für kurze Zeit zu sich gekommen sein und sich bewegt haben; jetzt aber lag er in vollständiger Lethargie. Der Indianer faßte ihn und schaffte ihn so sorgfältig und leicht wie möglich hinaus ins Freie. Als er ihn dort in das Gras legte, waren die Vaqueros soeben wieder erschienen. Sie alle hatten trotz der kurzen Zeit, welche sich Helmers auf der Hacienda befand, ihn alle lieb gewonnen und klagten laut und aufrichtig über ihn. Der Apatsche schlug mit der Hand auf die emporstehende Mündung seiner Büchse und sagte:

„Wenn mein weißer Bruder stirbt, dann wehe seinem Mörder! Die Vögel des Waldes sollen seinen Leib zerreißen. Shosh-in-liett, der Häuptling der Apatschen, hat es gesagt!“

„Mein Bruder soll mit zu Gerichte sitzen!“ sagte Büffelstirn zu ihm.

Der Apatsche beugte sich über den Deutschen und untersuchte seinen Kopf.

„Es ist ein Keulenschlag,“ sagte er. „Die Schale des Gehirns ist vielleicht verletzt. Man mache eine Bahre auf zwei Pferden, damit er nach der Hacienda geschafft werden kann.

Ich aber werde gehen, um das Kraut Oregano zu suchen, welches jede Wunde heilt und kein Fieber in dieselbe kommen läßt.“

Während nun die Hirten sich entfernten, um eine Bahre herzustellen und Bärenherz das Wundkraut suchte, blieb Büffelstirn mit seiner Schwester allein zurück.

„Du zürnest mir?“ sagte sie leise.

Er blickte sie nicht an, aber er antwortete:

„Der gute Geist ist von der Tochter der Miztecas gewichen!“

„Er ging nur kurze Zeit von ihr,“ sagte sie.

„Aber in dieser kurzen Zeit ist viel Trauriges geschehen. Der Graf versprach, dich zu seinem Weibe zu machen?“

„Ja.“

„Und das glaubtest du ihm?“

„Ja. Er gab mir eine Schrift, in welcher er es mir versprach.“

„Uff! Und diese Schrift hast du noch?“

„Sie liegt in meinem Zimmer.“

„Du wirst sie deinem Bruder geben?“

„Nimm sie! Wirst du mir verzeihen?“ fragte sie zaghaft.

„Ich werde nur dann verzeihen, wenn du mir gehorchst.“

Ach werde gehorchen. Was soll ich thun?“

„Das wirst du später erfahren. Jetzt besteigest du das Pferd und reitest nach der Hacienda zurück, um mir alle Indianer, welche Kinder der Miztecas sind, hierher zu senden. Du sagst ihnen, daß Tecalto, ihr Fürst, ihrer bedarf. Sie werden alles andre im Stiche lassen und kommen.“

„Ich gehe schon.“

Mit diesen Worten bestieg sie das Pferd und sprengte davon.

Der Häuptling sah, daß dem Grafen die Besinnung zurückgekehrt war. Er blickte ihn mit verächtlichen Augen an und sagte:

„Das Bleichgesicht wird keine Gnade nun finden. Es hat gelogen.“

„Welche Lüge meinst du?“ fragte der Gefesselte.

„Daß die Mexikaner hinter jenem Hügel seien.“

„Ich sagte die Wahrheit. Aber sie sind mir gefolgt, ohne daß ich es wußte.“

„Du riefst dann um Hilfe! Du hättest vielleicht Gnade gefunden, nun aber nicht!“

Er wandte sich stolz ab und würdigte den Gefangenen keines Blickes mehr. Bald kehrte Bärenherz zurück, legte die ausgedrückten Kräuter auf den Kopf des Deutschen und verband ihn.

Auch die Hirten waren fertig. Sie hatten aus Ästen und den Decken der getöteten Mexikaner eine sehr weiche und bequeme Tragbahre errichtet, welche auf zwei nebeneinander hergehende Pferde befestigt wurde. Darauf wurde Helmers gelegt.

„Was wird mit dem Grafen?“ fragte einer der Vaqueros.

„Der gehört mir!“ antwortete Büffelstirn. „Bringt Donnerpfeil nach der Hacienda. Bärenherz wird bei mir bleiben!“

Der Zug rückte ab. Die beiden Häuptlinge standen einige Zeit schweigend nebeneinander; dann löste Büffelstirn die Beinfesseln des Gefangenen, so daß dieser aufstehen konnte. Als dies geschehen war, band er ihn mit einem unzerreißbaren Riemen an den Schwanz seines Pferdes. Dann sagte er zu dem Apatschen:

„Mein Bruder folge mir!“

Beide stiegen auf und ritten davon. Es war für den Grafen keine Kleinigkeit, den beiden Reitern zu folgen; es war vielmehr der qualvollste Weg seines Lebens, den er gegangen war.

Büffelstirn hatte die Leitung übernommen. Er lenkte um den steil abfallenden Hang des Berges herum und dann die Anhöhe hinauf. In Zeit von einer Stunde hatten sie das Plateau des Höhenzuges erreicht, und nun ging es in den dichten Urwald hinein. Mitten in demselben lag, nach allen Seiten von fast undurchdringlichem Gestrüpp umgeben, die Ruine eines alten Aztekentempels. Dieser hatte aus einer abgestumpften Pyramide bestanden, welche von Vorhöfen rund umgeben gewesen war, um welche sich eine hohe Mauer zog. Jetzt lag alles in Schutt und Trümmern.

In einem dieser alten Vorhöfe hatte sich eine tiefe Lache gebildet, in welcher sich die Feuchtigkeit des Waldes sammelte. Dorthin führte der Indianer den Freund und den Gefangenen.

Die Lache war mit der Zeit zu einem Teiche, fast zu einem kleinen See geworden, bis zu dessen Ufer sich hohe Bäume heranzogen. Dort stiegen die beiden Häuptlinge ab. Der Mizteca setzte sich in das hohe Gras und winkte dem Apatschen, neben ihm Platz zu nehmen. Sie saßen nach Indianerart erst eine Weile schweigsam da; dann fragte Büffelstirn:

„Mein Bruder hat den Deutschen lieb, der Donnerpfeil genannt wird?“

„Ich liebe ihn!“ antwortete der Apatsche kurz.

„Dieser Weiße wollte ihn töten.“

„Er ist sein Mörder, denn vielleicht stirbt unser Freund.“

„Was verdient ein Mörder?“

„Den Tod.“

„Er soll ihm werden!“

Wieder verging eine Weile in düsterem Schweigen; dann begann Büffelstirn von neuem:

„Mein Bruder kennt das Volk der Miztecas?“

„Er kennt es,“ nickte Bärenherz.

„Es war das reichste Volk in Mexiko.“

„Ja, es hatte Schätze, die niemand messen konnte,“ stimmte der Apatsche bei.

„Weiß mein Bruder, wohin die Schätze gekommen sind?“

„Er weiß es nicht.“

„Kann der Häuptling der Apatschen schweigen?“

„Sein Mund ist wie die Mauer des Felsens.“

„So soll er wissen, daß Büffelstirn der Hüter dieser Schätze ist.“

„Mein Bruder Büffelstirn mag diese Schätze verbrennen. Im Golde wohnt der böse Geist. Wenn die Erde von Gold wäre, würde Bärenherz lieber sterben als leben!“

„Mein Bruder hat die Weisheit der alten Häuptlinge. Aber andre lieben das Gold. Dieser Graf wollte den Schatz der Miztecas besitzen.“

„Ugh!“

„Er kam mit achtzehn Dieben, um ihn zu rauben.“

„Wer hat ihm den Weg zum Schatze gezeigt?“

„Karja, die Tochter der Miztecas.“

„Karja, die Schwester Büffelstirns? Ugh!“

„Ja,“ sagte dieser traurig. „Ihre Seele war finster, denn sie traute diesem weißen Lügner. Er versprach ihr, sie zu seinem Weibe zu machen; aber er wollte sie verlassen, sobald er den Schatz hatte.“

„Er ist ein Verräter!“

„Was verdient ein Verräter?“

„Den Tod.“

„Und was verdient ein Verräter, der zugleich ein Mörder ist?“

„Den doppelten Tod.“

„Mein Bruder hat recht gesprochen.“

Es entstand wieder eine Pause des Schweigens. Diese beiden Häuptlinge bildeten einen fürchterlichen und unerbittlichen Gerichtshof, gegen dessen Urteil es keine Berufung gab. Büffelstirn wäre auch allein mit Alfonzo fertig geworden, aber er hatte den Apatschen mitgenommen, um seiner Rache ein gerechtes Urteil zu unterbreiten. Die beiden hielten eines jener sogenannten Prairie-Gerichte, vor welchen die Verbrecher der Wildnis so große Angst haben.

Sie sprachen in dem Idiom der Apatschen, welches Alfonzo nicht verstand; aber er ahnte, daß man über ihn entscheide. Er bebte vor Furcht; denn er dachte an die Krokodile, von denen Büffelstirn gesprochen hatte. Hier war der Teich, und gerade an dem Orte, wo sie saßen, ragte ein schief gewachsener Cedernstamm weit hinaus über das Wasser, und seine Zweige senkten sich beinahe bis auf den Spiegel desselben herab. Es schwamm dem Spanier vor den Augen, wenn er seinen Blick dorthin richtete.

Da begann Büffelstein wieder:

„Weiß mein Bruder, wo der doppelte Tod zu finden ist?“

„Der Häuptling der Miztecas mag es mir sagen!“

„Dort!“

Er deutete hinaus auf das Wasser. Der Apatsche warf keinen Blick hinaus, sagte aber, als ob sich das von selbst verstehe:

„Das Krokodil wohnt dort?“

„Ja. Du sollst es sehen.“

Er trat an das Wasser, streckte die Arme aus und rief:

Yim-eta – kommt!“

Auf diesen Ruf begann es im Wasser zu rauschen. Neun oder zehn Furchen bildeten sich von verschiedenen Richtungen her, und ebenso viele Krokodile schossen herbei. Sie blieben am Ufer halten und streckten die häßlichen, nach Moschus stinkenden Köpfe heraus. Es waren teils Brillen-, teils Hecht-Kaimans, und keiner hatte eine Länge unter vierzehn Fuß. Ihre Leiber glichen schlammbedeckten Baumstämmen; ihre Köpfe boten den häßlichsten und zugleich Furcht erweckendsten Anblick, den man sich denken kann, und während sie die langen Schnauzen aufrissen und zuklappten, um ihren Hunger zu zeigen, sah man ganze Reihen fürchterlicher Zähne, welche gewiß nichts frei ließen, was sie einmal gefaßt hatten.

Ein Schrei des Entsetzens erscholl. Alfonzo hatte ihn ausgestoßen.

Die beiden Indianer warfen ihm einen verächtlichen Blick zu. Der Indianer zuckt selbst unter den fürchterlichsten Qualen mit keiner Wimper. Er glaubt, daß einer, der am Marterpfahl einen einzigen Klageton ausstößt, nicht in die ewigen Jagdgründe komme, welche den Himmel der Rothäute bilden. Darum werden die Kinder bereits an das Ertragen der Schmerzen gewöhnt, und die Weißen werden meist auch deshalb von ihnen verachtet, weil sie eine feinere Konstitution besitzen und gegen alle Arten des Schmerzes empfindlicher sind als die Indianer.

„Siehst du sie?“ sagte Büffelstirn. „Es sind wackere Tiere, unter denen keines unter zehnmal zehn Sommer alt ist. Und siehst du auch die Lassos, welche ich mitgebracht habe? Ich nahm sie den Mexikanern ab, welche wir erschossen.“

„Ich verstehe meinen Bruder,“ sagte der Apatsche kurz.

„Wie hoch denkst du, daß ein Krokodil aus dem Wasser springen kann?“

„Es kann die Schnauze höchstens vier Fuß weit aus dem Wasser bringen, wenn der Grund tiefer ist als sein Leib.“

„Und wenn es den Grund mit dem Schwanze berühren kann?“

„So schießt es noch einmal soweit hervor.“

„Nun wohl. Der Grund ist tief. Die Füße dieses Mannes sollen also vier Fuß über dem Wasser hängen. Wer soll auf diesen Baum klettern? Du oder ich?“

„Ich will es thun,“ sagte der Apatsche.

Beide erhoben sich von ihren Sitzen und traten zu Alfonzo. Sie banden ihm die Hände auf den Rücken und zogen ihm einen Lasso doppelt unter den Armen hindurch. Dadurch wurde dieser Lasso so stark, daß er unzerreißbar genannt werden konnte. An ihm wurden wieder zwei andere Lassos befestigt, deren Enden der Apatsche in seine Hände nahm, um an dem Baume emporzuklettern.

Jetzt endlich merkte der Graf, daß man Ernst machte. Der Angstschweiß trat ihm in großen Tropfen auf die Stirne, und vor den Ohren begann es ihm zu rauschen wie im Sturmwind.

„Gnade, Gnade!“ bat er jammernd.

Die beiden Rächer hörten nicht darauf.

„Gnade!“ wiederholte er. „Ich will alles thun, was ihr wollt; nur hängt mich nicht für diese Krokodile auf!“

Auch dieses Flehen fand keine Antwort. Büffelstirn faßte ihn und zog ihn nach dem Baume hin.

„Thut es nicht, thut es nicht! Ich will euch alles geben, meine Grafschaft, meine Besitzungen, ganz Rodriganda. Ich verzichte auf alles, was ich habe, nur schenkt mir das Leben!“

Jetzt endlich antwortete der Häuptling der Miztecas.

„Was ist Rodriganda?“ sagte er. „Was ist deine Grafschaft, und was sind deine Besitzungen! Du hast die Schätze der Miztecas gesehen, die ich nicht mag, und du bietest mir deine Armut an! Bleibe ein Graf, und stirb! Sieh diese Tiere, die noch nie einen weißen Grafen gefressen haben. Du wirst vier oder fünf Tage am Baume hängen und deine Füße emporwerfen, wenn sie nach ihnen schnappen; sobald du aber schwach und müde wirst, werden sie dir dieselben abreißen. Dann verblutest du dich und stirbst. Und wenn nachher dein Leib verfault, so stürzt er herab und wird von ihnen verzehrt. Das ist das Ende eines weißen Grafen, der eine verachtete Indianerin betrügen wollte.“

„Gnade, Gnade!“ flehte der Graf abermals in höchster Todesangst.

„Gnade? Hast du Gnade gehabt, als du den Freund der Häuptlinge mit der Keule erschlugst? Hast du Gnade gehabt, als du mich in die Hände der Mexikaner gabst? Hast du Gnade gehabt, als du das Herz in der Brust der Indianerin tötetest? Und sind dies deine einzigen bösen Thaten gewesen? Wahconta hat dem Menschen versagt, alles zu wissen; ich kenne dein Leben nicht, aber wer so Böses thut wie du, der hat bereits vorher viel Böses gethan. Wir rächen es mit dem zu gleicher Zeit, was du an uns gethan hast. Die Krokodile werden dich fressen, aber du bist noch schlimmer als eines dieser Tiere. Wahconta hat sie geschaffen, um Fleisch zu fressen, den Menschen aber hat er geschaffen, damit er gut sein soll. Deine Seele ist böser als die ihrige!“

Er schob ihn näher an das Wasser hin. Alfonzo wehrte sich nach Kräften. Er hatte die Beine frei und stemmte sich mit verzweifelter Anstrengung auf dem Boden fest. Da schlang ihm der Mizteca einen Riemen um die Füße und band dieselben zusammen, so daß er nun völlig wehrlos war.

„Gnade! Erbarmen!“ wimmerte und stöhnte er.

Es half ihm nichts. Der riesenstarke Häuptling trug ihn nach dem Baum, und der Apatsche kletterte hinauf, die Enden des Lassos zwischen den Zähnen. Oben angekommen, setzte er sich fest und ließ die nun zehnfach zusammengeflochtenen Riemen über einen starken Ast laufen. Nun zog er den Grafen mit den Lassos am Stamme empor. Büffelstirn schob; es ging langsam, aber sicher.

„O, laßt mich los, laßt mich los!“ rief der zu einem so fürchterlichen Tode Verurteilte. „Ich will euch dienen und gehorchen als der geringste von euren Knechten!“

„Ein Graf hat Knechte, ein freier Indianer aber nicht!“ lautete die Antwort.

Der Anblick der Alligatoren war jetzt entsetzlich. Die Lache war zu klein für sie, sie fanden keine Nahrung mehr in derselben. Sie hatten Jahre lang gehungert, und nun sahen sie, daß sie Speise bekommen sollten. Sie hatten aus Mangel an Nahrung bereits sich selbst angefressen; dem einen fehlte ein Fuß und dem andern irgend ein Stück seines Leibes. Jetzt drängten sie sich gerade unter dem Baume zu einem scheußlichen Klumpen zusammen. Ihre furchtbaren Schwänze peitschten das Wasser zu Schaum; ihre kleinen, tückischen Augen schossen giftige, begehrende Blitze, und ihre geöffneten Rachen schlugen mit einem Geräusche zusammen, welches gerade so klang, als ob man zwei starke Bretter zusammenschlage. Diese zehn Ungeheuer bildeten einen Knäuel, den man für einen einzigen gräßlichen Drachen mit zehn Rachen und ebenso vielen Schwänzen halten konnte.

Der Gefangene sah das und schauderte.

„Laßt mich frei, ihr Ungeheuer!“ brüllte er.

„Mein Bruder mag kräftiger ziehen!“

Diese Aufforderung an den Apatschen war die einzige Antwort Büffelstirns.

„So seid verflucht und vermaledeit in alle Ewigkeit!“

Diese Worte kreischte der Graf, indem seine blutunterlaufenen Augen vergebens nach Rettung suchten.

„Es ist genug,“ sagte der Mizteca, der mit den Augen eines Kenners die Entfernung des Astes vom Wasser mit der jetzigen Länge des Lassos verglich. „Mein Bruder schlinge den Lasso um den Stamm des Baumes und mache einen festen Knoten!“

Der Apatsche folgte diesem Gebote. Büffelstirn hatte jetzt mit einer Hand sich am Baume gehalten, während er mit der anderen den Gefangenen gepackt hielt. Es gehörte eine riesige Körperstärke dazu. Wäre die Ceder nicht so stark gewesen, so hätte sie bei ihrer schrägen Lage unter der Last der drei Männer brechen müssen. Jetzt war der entscheidende Augenblick gekommen. Alfonzo sah und fühlte das und rief mit beinahe unartikulierten Lauten:

„Seid ihr denn keine Menschen, seid ihr Teufel?“

„Wir sind Menschen, die einen Teufel richten,“ antwortete der Mizteca. „Fahre hin!“

Ein gräßlicher, weithin tönender Schrei erscholl. Der Sprecher hatte Alfonzo losgelassen und ihm noch dazu einen kräftigen Stoß gegeben. Dieser Stoß schleuderte den Gefangenen vom Ikume herab und über die Wasserfläche hinaus. Er schwang am Lasso hin und her, und allemal, wenn er während dieser Pendelbewegungen dem Wasser nahe kam, schossen die Krokodile empor, um ihn zu packen.

„Es ist gut. Mein Bruder komme herab!“

Der Apatsche folgte dieser Aufforderung Büffelstirns und stieg mit diesem vom Baume. Sie standen am Ufer und sahen diesem grauenhaften Schauspiele zu, bis die Schwingungen immer kleiner wurden und der Verurteilte endlich von dem Aste grad herniederhing.

Jetzt zeigte es sich, daß der Mizteca ein sehr gutes Augenmaß gehabt haben mußte. Alfonzo hing so, daß die aus dem Wasser emporschnellenden Krokodile gerade noch seine Füße packen konnten. Dadurch war er gezwungen, dieselben emporzuziehen, sobald eines der Tiere darnach schnappte. Ging ihm die Kraft zu dieser Bewegung aus, so war er verloren. Er hatte viel gesündigt, aber dieser Tod und diese Todesangst wog viele, vielleicht alle seine Sünden auf.

„Es ist vollbracht. Wir wollen gehen,“ sagte der Apatsche, welchen es selbst schauderte.

„Ich folge meinem Freunde,“ stimmte Büffelstirn bei.

Sie stiegen auf und ritten davon, noch lange verfolgt von dem Angstgeheul des Grafen.

Sie konnten jetzt schneller reiten als bergaufwärts, wo der Gefangene am Pferdeschwanze gehangen hatte. Als sie unten am Bache ankamen, fanden sie bereits mehrere Indianer vor. Sie alle gehörten zu dem dem Untergange geweihten Stamme der Miztecas und waren von Karja herbeigeschickt worden. Ihr Häuptling wandte sich an den Apatschen:

„Ich danke meinem Bruder, daß er mir geholfen hat, das Bleichgesicht zu richten und zu bestrafen. Er kann nun nach der Hacienda zurückkehren und nach der Wunde Donnerpfeils sehen. Ich kann erst morgen nachkommen, denn ich habe hier noch vieles zu thun.“

Bärenherz ritt sofort davon. Der Mizteca winkte die Indianer zu sich, welche einen Kreis um ihn bildeten, um seine Befehle zu vernehmen. Er blickte ernst umher und begann:

„Wir sind die Söhne eines Stammes, welcher sterben muß. Die Bleichgesichter geben uns den Tod. Sie trachteten nach unsern Schätzen, aber sie haben sie nicht erhalten. Eure Väter haben den meinigen geholfen, diese Schätze zu verbergen, und keiner von ihnen hat den Ort verraten, wo sich dieselben befinden. Würdet auch ihr so schweigsam sein?“

Sie alle senkten bejahend die Köpfe, und der älteste von ihnen antwortete in aller Namen:

„Verflucht sei der Mund, welcher einem Weißen den Ort verraten könnte!“

„Ich glaube euch. Ich habe gewußt, wo sich die Schätze befinden, aber ein Bleichgesicht hat sie entdeckt. Dieses Bleichgesicht hat einen Teil derselben gefunden, und dieser Teil muß nun an einem andern Orte verborgen werden. Wollt ihr mir helfen?“

„Wir helfen.“

„So schwört bei den Seelen eurer Väter, eurer Brüder und Kinder, daß ihr das neue Versteck nicht verraten und auch den geringsten Teil der Schätze niemals antasten wollt?“

„Wir schwören es!“ erklang es im Kreise.

„So sorgt zunächst für eure Pferde, und dann kommt!“

Nachdem den Pferden gehörige Weide gegeben worden war, verschwanden die roten Gestalten im Eingange zur Höhle, in welcher nun ein geheimnisvolles Regen und Treiben begann. Nur ein einziger blieb im Freien zurück, um über die Sicherheit der Pferde und des Unternehmens zu wachen.

Diese Arbeit dauerte den vollen Tag und die ganze Nacht hindurch, und erst als der nächste Tag anbrach, kamen die Miztecas einer nach dem andern aus der Höhle gekrochen. Ein jeder brachte eine Last mit, welche sie alle auf einen gemeinschaftlichen Haufen legten. Es waren die größten Nuggets und Goldbrocken nebst dem Geschmeide, welches Helmers sich ausgewählt hatte.

„So!“ sagte Büffelstirn, indem er den Haufen betrachtete. „Schlagt es in die Decken, und ladet es auf das Pferd. Dies ist das Geschenk der Miztecas an den einzigen Weißen, der die Schätze der Könige gesehen hat, weil ich es ihm erlaubte. Möge er durch dasselbe glücklich werden!“

Als das Packpferd, welches er gestern früh mit dem Deutschen mitgebracht hatte, beladen war, kehrte er noch einmal in das Innere der Höhle zurück. Die vorderste Abteilung derselben, welche Helmers und Alfonzo gesehen hatten, war jetzt vollständig leer und ausgeräumt. Büffelstirn blickte sich noch einmal um, dann trat er in eine Ecke, wo eine Zündschnur aus der Erde ragte. Er brannte sie mit seiner Fackel an und verließ dann schleunigst die Höhle.

Draußen zogen sich alle weit zurück und warteten. Es vergingen einige Minuten; dann ließ sich ein dumpfes Krachen vernehmen; die Erde bebte, ein dunkler Qualm stieg aus der vordern Seite des Berges auf; die Felsen barsten; die Erde senkte sich langsam, und dann brach sie mit einem rollenden Getöse zusammen. Der Eingang zur Höhle und der vorderste Teil derselben war verschüttet. Der Bach schäumte über die Trümmer, erst wild und kämpfend, bald aber hatte er sich einen Weg nach seinem Bette gebahnt – der Zugang zu den Schätzen der Könige der Miztecas war verschlossen.

„Reicht euch die Hände, und schwört noch einmal, daß ihr schweigen wollt bis zum Tode!“ gebot Büffelstirn seinen Leuten.

Sie leisteten den Schwur, und es war jedem einzelnen anzusehen, daß er lieber sterben als seinen Schwur brechen werde. Noch einen letzten Blick warfen sie auf die Stätte, die während der letzten vierundzwanzig Stunden so Ungewöhnliches gesehen hatte, dann ritten sie davon. –

Als der Apatsche vom Berge EI Reparo, wo er Büffelstirn verlassen hatte, nach der Hacienda zurückkehrte, fand er die Bewohner derselben in tiefer Trauer. Der Haciendero hatte sofort einen seiner besten Reiter auf dem schnellsten Pferde nach Monclova geschickt, um einen erfahrenen Arzt herbeizurufen. Als er den Häuptling der Apatschen vom Pferde steigen sah, kam er herbeigeeilt, um sich zu erkundigen. Er bequemte sich dabei dem Gebrauche der Wilden an, indem er ihn Du nannte.

„Du kommst allein?“ fragte er. „Wo ist Tecalto?“

„Noch am Berg El Reparo.“

„Was thut er dort?“

„Er sagte es mir nicht.“

„Ich hörte, daß er sich Indianer hat schicken lassen. Wozu?“

„ich fragte ihn nicht.“

„Und wo ist Graf Alfonzo?“

„Ich sage es nicht.“

Der Haciendero trat einen Schritt zurück und meinte unmutig:

„Er sagte es mir nicht – ich fragte ihn nicht – ich sage es nicht! Solche Antworten wünscht man nicht!“

Der Apatsche machte eine abwehrende Handbewegung und sagte:

„Mein Bruder mag mich nicht nach Dingen fragen, über welche ich nicht sprechen kann. Der Häuptling der Apatschen liebt die Thaten, aber nicht die Worte.“

„Aber wissen möchte ich doch, was da draußen am Berge geschehen ist.“

„Die Tochter der Miztecas wird es dir sagen.“

„Auch diese schweigt.“

„So wird Büffelstirn kommen und es erzählen. Mein Bruder führe mich an das Lager Donnerpfeils, damit ich dessen Wunde sehe!“

„So komm!“

Als sie das Zimmer des Deutschen betraten, fanden sie die beiden Mädchen am Lager desselben, in schweigende Trauer gehüllt. Der Kranke wälzte sich in seinem Bette hin und her. Er hatte sicher Schmerzen auszustehen, hielt aber die Augen geschlossen und gab keinen Laut von sich. Als Bärenherz den Kopf betastete, zog der Patient sein Gesicht in schmerzhafte Falten, blieb aber stumm.

„Wie steht es?“ fragte der Haciendero.

„Er wird nicht sterben,“ antwortete der Häuptling. „Man lege immer neues Wundkraut auf.“

„Morgen wird der Arzt kommen.“

„Das Kraut Oregano ist klüger als der Arzt. Hat mein Bruder einen Vaquero, der ein guter Reiter und Jäger ist?“

„Mein bester Jäger und Schütze ist der alte Franzesko.“

„Man hole ihn und gebe ihm ein gutes Pferd!“

„Wozu?“

„Er soll mich begleiten.“

„Wohin?“

„Zu den Comantschen.“

„Zu den Comantschen? O Gott, was wollt ihr bei denen?“

„Kennt mein Bruder die Comantschen nicht? Wir haben ihnen die Gefangenen abgenommen; wir haben viele ihrer Krieger getötet. Sie werden kommen, um Rache zu nehmen!“

„Nach der Hacienda?“

„Ja.“

„So weit?“

„Der rote Mann kennt keine Entfernung, wenn er sich rächen und den Skalp seines Feindes holen will. Die Comantschen werden sicher kommen.“

„Und warum wollt ihr ihnen entgegen?“

„Um sie zu sehen und zu erfahren, wann und auf welchem Wege sie kommen.“

„Ist es nicht besser, du bleibst hier, und wir stellen Posten aus?“

„Der Häuptling der Apatschen sieht lieber mit eignen Augen als mit den Augen andrer. Donnerpfeil, mein Bruder, wollte den Hunden der Comantschen entgegengehen. Nun ist er krank, und ich thue es an seiner Stelle.“

„So reitet in Gottes Namen. Ich will Franzesko rufen lassen.“

In Zeit einer Viertelstunde war der Vaquero zur Stelle. Man sah es seinem ganzen Habitus an, daß er die geeignete Persönlichkeit zu einem solchen Ritte sei. Als er hörte, um was es sich handele, gab er freudig seine Bereitwilligkeit zu erkennen, den Apatschen zu begleiten. Sie versahen sich also mit dem, was zu einem solchen Kundschafterritte notwendig ist, und brachen dann auf.

Die mexikanischen Pferde sind von einer sehr großen Ausdauer und Schnelligkeit. Bärenherz und der Vaquero flogen auf ihren Tieren wie der Wind dem Norden zu. Sie erreichten noch vor Abend die Stelle, wo sie bei der Rückkehr von der Reise mit den beiden Damen ihr letztes Nachtlager gehalten hatten. Sie rasteten nicht und verfolgten den Weg immer fort, den sie damals gekommen waren.

Da, der Abend begann bereits heranzubrechen, hielt der Apatsche plötzlich sein Tier an und blickte zu Boden. Der Vaquero that dasselbe.

„Was ist das hier?“ fragte der letztere. „Das sind ja Spuren!“

„Von vielen Reitern!“ nickte der Apatsche.

„Sie kommen von Norden her!“

„Und sind nach West eingebogen.“

„Sehen wir sie genauer an!“

Sie stiegen ab und untersuchten die Hufeindrücke sehr sorgfältig.

„Es sind viele,“ sagte der Apatsche.

„Wohl zweihundert,“ fügte der Vaquero hinzu.

Der andere nickte zustimmend und deutete dann auf einen Hufeindruck, dessen Kanten noch ganz scharf gezeichnet waren.

„Ja,“ sagte der Vaquero mit besorgter Miene. „Wir haben von Glück zu sagen. Sie sind vor kaum einer Viertelstunde hier gewesen.“

Der Apatsche richtete sich unter einem schnellen Entschlusse rasch vom Boden auf.

„Vorwärts! Ich muß sie sehen!“

Sie bestiegen ihre Pferde wieder und folgten der Fährte. Sie führte tief in die Sierra hinein, und gerade, als das letzte Licht des Tages verglomm, erblickten sie auf dem Kamm einer vor ihnen liegenden Höhe eine dunkle Schlangenlinie, welche aus lauter Reitern bestand.

„Comantschen!“ sagte Bärenherz.

„Ja, richtig! Donnerwetter, die haben es auf die Hacienda abgesehen!“

„Sie verbergen sich bis morgen in den Bergen,“ nickte der Häuptling.

„Was thun wir?“

„Mein Bruder kehrt zurück, sogleich, um dem Haciendero zu melden, daß der Feind kommt.“

„Und du?“

„Bärenherz bleibt auf der Fährte des Feindes. Er muß wissen, was sie thun.“

Er drehte sich um und ritt weiter, ohne sich darum zu bekümmern, ob der Vaquero seiner Weisung Folge leiste.

Per Dios!“ murmelte dieser. „So ein Indianer ist doch ein eigentümlicher Mensch! Wagt sich an zweihundert Comantschen! Stolz wie ein König. Er sagt, was ich thun soll, und reitet fort, ohne nur Abschied zu sagen oder zu sehen, ob ich ihm auch gehorsam bin.“

Er wandte sein Pferd wieder dem Süden zu und ritt denselben Weg zurück, den er gekommen war.

Es galt, die schlimme Nachricht so bald wie möglich nach der Hacienda zu bringen. Darum strengte er sein Pferd an, und es war kaum Mitternacht, als er die Hacienda erreichte.

Hier lag bereits alles im tiefen Schlafe, und nur Emma wachte am Lager des Kranken. Deshalb wendete sich der Vaquero zunächst an sie. Sie weckte natürlich sogleich ihren Vater, der den alten Franzesko sofort zu sich kommen ließ.

„Ist’s wahr, was mir Emma sagte?“ fragte Arbellez.

„Was sagte sie?“

„Daß die Comantschen kommen.“

„Ja, das ist wahr, Sennor.“

„Wann? Doch nicht etwa noch heute!“

„Nein, heute sind wir noch sicher.“

„Sind es viele?“

„Wohl zweihundert.“

„Heilige Madonna, welch‘ ein Unglück! Sie werden die Hacienda verwüsten.“

„Das befürchte ich nicht, Sennor,“ sagte der mutige Alte. „Wir haben ja Arme und auch Waffen genug.“

„Aber habt ihr auch richtig gesehen?“

„Das versteht sich!“

„Es scheint mir gar nicht möglich, daß die Kundschafter der Comantschen in so kurzer Zeit eine solche Schar aus ihren Weidegründen können herbeigeholt haben.“

„Das ist auch gar nicht der Fall, Sennor!“

„Was denn?“

„Als Sennor Helmers mit dem Apatschen die Damen befreite und dabei einen Comantschen erstach, begann die Blutrache. Es ist ganz sicher gleich von dort aus ein Bote nach den Weidegründen abgegangen, die ja gar nicht weit vom Rio Pecos liegen. Während die Sennores dann am Rio Grande gegen ihre Verfolger kämpften, waren bereits die zweihundert aufgebrochen. Die späteren Flüchtlinge sind dann zu ihnen gestoßen und haben ihnen erzählt, daß sie abermals geschlagen worden sind. Das hat den Verfolgungsritt beschleunigt.“

„Wie weit entfernt ist der Punkt, an welchem ihr sie sahet?“

„Sechs Stunden bei gewöhnlichem Ritte.“

„Und sie hielten nicht gerade auf die Estanzia zu?“

„Nein. Das fällt ihnen auch gar nicht ein. Sie haben sich in die Berge geschlagen, um nicht entdeckt zu werden, und werden vor morgen nachts sich sicherlich nicht blicken lassen.“

„Wir werden dennoch sofort Vorsichtsmaßregeln treffen. O, wenn doch Sennor Helmers nicht verwundet wäre!“

„Auf den Häuptling der Apatschen und auf Büffelstirn können Sie sich ebenso verlassen.“

„Büffelstirn ist noch am Berge El Reparo. Ich werde ihn holen lassen.“

„Sogleich?“

„Ja.“

„Soll ich reiten?“

„Du bist ermüdet.“

„Ermüdet?“ lachte der Alte. „Mein Pferd wohl, aber nicht ich. Ich nehme ein andres Tier.“

„Weißt du, wo der Häuptling zu finden ist?“

„Nein.“

„Am Auslaufe des mittleren Baches.“

„Gut, ich werde ihn ganz sicher finden. Soll ich jetzt die Leute wecken?“

„Ja, wecke sie. Es ist besser, wir sind bereits heute auf der Hut.“

Der alte Francesko schlug Lärm; dann saß er auf, um nach El Reparo zu reiten, und eine Viertelstunde nach seinem Wegritte brannten rund um die Hacienda mehrere Feuer, welche die Umgebung so erleuchteten, daß es sicher kein Indianer gewagt hätte, dem Hause zu nahen.

Büffelstirn, der Häuptling der Miztecas, war eben mit seinen Indianern von El Reparo aufgebrochen, als der alte Vaquero auf ihn stieß. Er dachte natürlich sofort, daß etwas geschehen sei, und erkundigte sich also durch die schnelle Frage:

„Warum kommst du? Was ist’s?“

„Schnell zur Hacienda! Die Comantschen kommen!“ rief Franzesko.

Die Augen des Indianers leuchteten vor Vergnügen auf.

„So schnell! Wer sagte es?“ fragte er.

„Ich selbst habe sie gesehen.“

„Ah! Wo?“

Franzesko erzählte seinen gestrigen Ritt.

„Ist es so, da haben wir noch Zeit,“ meinte Büffelstirn. „Diese Comantschen werden auf der Hacienda del Erina einige Skalps verlieren. Ist Bärenherz hinter ihnen her?“

„Ja.“

„So brauchen wir keine Sorge zu tragen. Sie entgehen uns nicht.“

Es ging im Galopp auf die Hacienda zu, wo sie alles in Eile und Aufregung fanden. Der Haciendero empfing den berühmten Cibolero selbst und fragte ihn nach seiner Meinung. Der Mizteca blickte umher und schüttelte den Kopf, als er die kriegerischen Vorbereitungen erblickte.

„Halten Sie die Comantschen für Diggerindianer?“ fragte er.

„Nein,“ antwortete Arbellez. „Die Diggers sind dumm.“

„Aber die Comantschen nicht. Warum also diese Vorkehrungen?“

„Heilige Madonna, sollen wir uns vielleicht nicht wehren!“ „Wir werden uns wehren, aber anders, Sennor!“ „Wie denn?“

„Die Comantschen werden Kundschafter aussenden, um uns zu beobachten.“

„Natürlich!“

„Sie werden uns nicht am Tage überfallen.“

„Das denke ich auch.“

„Wenn wir sie zurückweisen wollen, so dürfen sie nicht ahnen, daß wir wissen, daß sie kommen.“

„Ah, da hast du recht!“

„Wir müssen unsre Vorbereitungen also im stillen treffen. Wie viele Männer haben Sie überhaupt?“

„Vierzig.“

„Das genügt. Jeder hat ein Gewehr?“

„Sie alle haben gute Gewehre.“

„Und Munition ist auch vorhanden?“

„Genug. Ich habe sogar Kanonen.“

„Kanonen?“ fragte der Indianer erstaunt.

„Ja, vier Stück.“

„Davon weiß ich nichts. Woher sind sie?“

„Der Schmied hat sie gebaut, als du nicht hier warst.“

Der Häuptling schüttelte ungläubig den Kopf.

„Der Schmied hat sie gebaut! Taugen sie etwas?“

„Ja, wir haben sie probiert. Der Lauf ist vom festesten Eisenholz gebohrt, um welches starke, fünffache Bänder geschmiedet worden sind. Vom Zerspringen ist keine Rede.“

„Dann geht es. Wir schießen mit Glas, Nägeln und altem Eisen; das wirkt furchtbar. Sodann brauchen wir mehrere Feuer.“

„Wozu?“

„Der Überfall wird wohl bereits in der nächsten Nacht geschehen. Dabei muß alles dunkel sein, damit die Comantschen uns im tiefsten Schlafe denken. Sobald sie nun kommen, brennen wir die Feuer an und erleuchten die ganze Umgebung der Hacienda, damit wir ein sicheres Zielen haben.“

„So machen wir die Feuer auf dem platten Dache des Hauses.“

„Das ist klug. Es wird an jeder Ecke ein großer Haufen errichtet und mit Öl begossen. Das genügt für den ganzen Platz.“

„Und wohin stellen wir die Kanonen?“

„Wir errichten an jeder Ecke des Hauses, sobald es dunkel geworden ist, eine Verschanzung, hinter welche die Kanonen kommen. Sie müssen so stehen, daß sie zwei Seiten bestreichen können. Während des Tages aber lassen wir uns nichts merken, und ein jeder geht ruhig seiner gewohnten Beschäftigung nach. Ah!“

Dieser letzte Ausruf galt einem Reiter, der auf dampfendem Rosse durch das Thor kam. Es war – der Apatsche.

„Bärenherz!“ rief der Haciendero. „Wo kommt Ihr her?“

„Von den Comantschen,“ antwortete dieser, vom Pferde springend.

„Wo sind sie?“

„Auf dem El Reparo.“

„Auf dem El Reparo?“ fragte Büffelstirn. „Halten sie dort ihr Lager?“

„Ja. Ich bin ihnen bis auf den Berg gefolgt. Sie erreichten ihn erst nach Mitternacht.“

„Auf welcher Seite lagerten sie?“

„Auf der Seite nach Mitternacht.“

„Uff! Wenn sie – –“ er unterbrach sich und fügte leise hinzu, so daß ihn nur der Apatsche hören konnte: „Wenn sie den Grafen finden!“

„Den werden die Krokodile gefunden haben,“ sagte der Apatsche ebenso leise.

Diese Annahme war nun allerdings nicht richtig.

Die Comantschen zählten wirklich zweihundert Mann. Sie wurden angeführt von einem ihrer berühmtesten Häuptlinge, welcher Tokvi-tey, der schwarze Hirsch, hieß. Ihm zur Seite ritten zwei Kundschafter, von denen der eine die Gegend um die Hacienda genau kannte, während der andre zu denen gehört hatte, welche von den Mexikanern unter Anführung des Deutschen und des Apatschen besiegt worden waren. So konnten sie sich in der Richtung nach der Estanzia gar nicht irren.

Sie ritten, ohne zu ahnen, daß sie von dem berühmten Apatschenhäuptling verfolgt wurden, nach indianischer Weise über die Berge, nämlich immer einer hinter dem andern, und gelangten schließlich an den nördlichen Fuß des EI Reparo, dessen Abhang sie erstiegen, um dann unter den dichten Bäumen des Waldes Halt zu machen.

„Weiß mein Sohn hier einen Ort, an dem wir uns während des Tages verbergen könnten?“ fragte der schwarze Hirsch den einen der Führer, welcher die hiesige Gegend kannte.

Der Gefragte sann nach und antwortete dann:

„Ich weiß einen.“

„Wo?“

„Auf der Höhe des Berges.“

„Was ist es für ein Ort?“

„Es ist die Ruine eines alten Tempels, dessen Vorhöfe Platz für tausend Krieger haben.“

„Kann man da verborgen sein?“

„Ja, wenn kein Auge uns kommen sieht.“

„Weiß mein Sohn den Ort genau?“ „Ich werde nicht irren.“

„Und glaubt mein Sohn, daß wir ihn erst auskundschaften müssen?“

„Es ist besser und sicherer so.“ „So werden wir beide gehen, während die andern warten.“

Sie stiegen von ihren Pferden, nahmen die Waffen zur Hand und drangen in den Wald ein.

Der Indianer besitzt für Örtlichkeitsverhältnisse einen angeborenen Instinkt und einen so gut geübten Scharfsinn, daß er sich fast nie verirren kann. Der Führer strich mit einer bewundernswerten Sicherheit gerade auf die Ruine zu durch den nächtlich stockfinsteren Wald. Der Häuptling folgte ihm. Trotz der Schwierigkeiten, welche die Dunkelheit bot, erreichten sie die verfallenen Mauern des Tempelwerkes und begannen, dasselbe zu durchsuchen.

Sie fanden nicht die mindeste Spur von der Anwesenheit eines Menschen und hegten schon die Überzeugung, daß sie sicher seien, als sie plötzlich anhielten und lauschten. Es war ein Schrei erklungen, ein Schrei, welcher aus keiner menschlichen Kehle zu stammen schien.

„Was war das?“ fragte der schwarze Hirsch.

„Ein Schrei, aber von wem?“ „Es klang fast wie der Todesschrei eines Pferdes.“

„Ich habe einen solchen Laut noch nie gehört,“ erklärte der Führer.

Da erklang der Schrei abermals, lang gezogen und gräßlich. „Ein Mensch!“ sagte der Häuptling.

„Ja, ein Mensch,“ stimmte der Führer jetzt bei.

„In Todesangst!“

„In tiefster Verzweiflung!“

„Wo war es?“

„Ich weiß es nicht. Das Echo täuscht.“

„Man muß diese Mauern verlassen.“

Sie kletterten über das Trümmerwerk hinaus in das Freie, und als der markerschütternde Ruf nun abermals erscholl, hörten sie, welches die Richtung war.

„Grad vor uns,“ sagte der Führer.

„Ja, grad vor uns. Wir wollen sehen, was es ist!“

Sie schlichen sich vorsichtig weiter und gelangten an den Rand des Teiches, dem sie entlang gingen, bis der Schrei grad vor ihnen ausgestoßen wurde. Die Wilden konnten sich eiserner Nerven rühmen, aber sie erschraken doch, als diese fürchterliche Stimme so in ihrer unmittelbaren Nähe erscholl.

„Hier ist es,“ sagte der Führer, „im Wasser.“

„Nein, über dem Wasser ist es,“ verbesserte der Häuptling.

„Horch!“

„Das plätschert und klappt, als seien es Krokodile.“

Ein phosphorescierender Schein ging von dem Wasser aus, welches durch die Tiere bewegt wurde.

„Sieht mein Sohn diesen Schimmer?“ fragte der Häuptling.

„Ja.“

„Es sind Krokodile.“

„Und der Mensch unter ihnen? Unmöglich!“

„Nein, der Mensch über ihnen, auf diesem Baume.“

Er deutete dabei auf die Ceder, an welcher sie standen.

„So muß er angebunden sein!“

„Sicher!“

Nun erschallte der Schrei abermals, und sie hörten, daß er aus der Luft kam, zwischen dem Wasser und der Krone des Baumes

„Wer ruft?“ fragte da der Häuptling mit lauter Stimme.

„Oh!“ antwortete es im Tone des Entzückens.

„Wer ist es?“

„Hilfe!“

„Wo bist du?“

„Ich hänge am Baume.“

„Uff! Über dem Wasser?“

„Ja. Kommt schnell.“

„Wer bist du?“

„Ein Spanier.“

„Ein Spanier, ein Bleichgesicht,“ flüsterte der schwarze Hirsch seinem Begleiter zu. „Er soll hängen bleiben!“

Dennoch aber fragte er weiter:

„Wer hat dich aufgehängt?“

„Meine Feinde.“

„Wer sind sie?“

„Zwei Rothäute.“

„Uff!“ flüsterte der Häuptling. „Er hängt zur Rache hier.“

Dann fragte er, welche Rothäute es gewesen seien.

„Ein Mizteca und ein Apatsche. O kommt, helft! Ich kann nicht mehr; die Krokodile werden mich zerreißen!“

„Ein Apatsche und ein Mizteca,“ sagte der Häuptling leise „Das sind unsre Feinde. Er soll vielleicht gerettet werden Zuerst aber muß ihn das Feuer beleuchten.“

Er ging zu einem Gestrüpp, von welchem er vorhin beim Hindurchschlüpfen bemerkt hatte, daß es dürr und trocken sei, riß es aus und trug den Haufen an das Ufer. Dann zog er sein Punks hervor und zündete den Haufen an. Das Feuer loderte hell empor und beleuchtete die ganze Scene: Von dem Baum herab hing ein Bleichgesicht bis nahe über das Wasser und schwang die Füße hoch empor, sobald eines der Krokodile nach ihnen schnappte.

„Das ist eine große Rache!“ sagte der schwarze Hirsch. „Er soll uns jetzt antworten, ohne die Alligatoren zu fürchten.“

Er kletterte auf den Baum empor, faßte den Lasso und zog den daran Hängenden weiter empor, so daß sich dieser nun vor den Ungeheuern in Sicherheit befand. Das Feuer beleuchtete auch die Indianer, und an ihrer Bemalung sah Alfonzo, daß es Comantschen seien, die sich auf dem Kriegspfade befanden. Er erriet alles und betrachtete sich bereits als halb gerettet.

„Warum hingen dich die roten Männer hier auf?“ fragte der Häuptling weiter.

„Weil ich mit ihnen kämpfte, um sie zu töten. Wir waren Feinde.“

„Warum hast du die Hunde nicht getötet? Die Apatschen und Miztecas sind Feiglinge.“

„Es war Bärenherz, der Häuptling der Apatschen.“

„Bärenherz!“ rief der Comantsche. „Er war hier?“

„Ja, er und Büffelstirn, der Häuptling der Miztecas.“

„Und Büffelstirn!“ rief der Comantsche abermals. „Wo sind sie?“

„Befreie mich, so sollst du sie haben!“

„Schwöre es!“

„Ich schwöre es!“

„So sollst du frei sein!“

Er zog mit aller Anstrengung an dem Lasso und brachte den Grafen auch glücklich so weit empor, daß dieser sich mit dem Oberkörper auf den Ast legen und stützen konnte. Dadurch bekam der Comantsche die Hand frei. Er zog sein Messer und durchschnitt den Lasso und die Banden des Spaniers, der sich nun selbst festzuhalten vermochte.

„Ah!“ rief dieser. „Frei! Frei! Frei! Aber nun Rache! Rache! Rache!“

Er brüllte in unendlichem Entzücken diese Worte überlaut in die Nacht hinaus.

„Rache sollst du haben,“ sagte der Comantsche, der in ihm einen brauchbaren Verbündeten ahnte. „Aber warum schreist du so? Der Wald hat Ohren. Ist niemand in der Nähe?“

„Kein Mensch! Es befand sich niemand auf dem Berge als nur ich und diese verdammten Krokodile. Mein Leben lang werde ich diese Nacht nicht vergessen!“

„Vergiß sie nicht, und räche dich! jetzt aber steige mit mir herab!“

Sie kletterten von dem Baume hernieder, und nun erst, als Alfonzo den festen Boden unter sich fühlte, wußte er genau, daß er gerettet sei.

„Ich danke euch!“ sagte er. „Verlangt, was ihr wollt, ich werde es thun!“

Sein Entzücken trieb ihn, dieses übermäßige Versprechen zu thun. Der Comantsche sagte ruhig-

Setze dich zu uns, und sage uns, was wir dich fragen!“

Sie setzten sich in das Gras, und der Graf streckte seine gepeinigten Glieder mit einer Wonne aus, welche er in seinem Leben noch niemals gefühlt hatte.

„Ihr seid vom Volke der Comantschen?“ fragte er.

„Ja.“

„Du bist ein Häuptling derselben?“

„Ich bin Tokvi-tey, der schwarze Hirsch“ antwortete der Comantsche stolz.

„Und ihr befindet euch auf einem Kriegszuge?“

Der Häuptling nickte und fragte:

„Kennst du die Hacienda del Erina?“

„Ich kenne sie.“

„Wie heißt der Mann, welcher dort wohnt?“

„Er heißt Petro Arbellez.“

„Hat er eine Tochter?“

„Ja.“

„Und ist bei dieser Tochter eine Indianerin vom Stamme der Miztecas?“

„Ja. Es ist Karja, die Schwester von Tecalto.“

„Die Schwester Büffelstirns?“ fragte der Häuptling überrascht.

„Ja.“

„Uff! Das haben die Söhne der Comantschen nicht gewußt, sonst hätten sie die Tochter der Miztecas fester gehalten. Die beiden Squaws waren unsre Gefangenen.“

„Ich weiß es.“

„Du weißt es?“ fragte der schwarze Hirsch.

„Ja, denn sie wohnen bei mir.“

„Bei dir? Deine Stimme spricht in Rätseln! Ich denke, sie wohnen auf der Hacienda?“

„Dies ist auch wahr; denn die Hacienda gehört mir.“

„Dir? So bist du Sennor Petro Arbellez?“

„Nein. Ich bin Graf Alfonzo de Rodriganda y Sevilla. Arbellez ist nur mein Pächter.“

„Uff!“ sagte da der Comantsche kalt, indem er sich erhob. „So wirst du wieder über dem Wasser hangen, damit dich die Alligatoren fressen!“

Alfonzo war seiner Sache so sicher, daß er lächelnd antwortete:

„Warum?“

„Weil du der Beschützer der beiden Squaws bist.“

„Setze dich wieder nieder, schwarzer Hirsch. ich bin nicht ihr Beschützer; ich bin ihr Feind und dein Freund. Diese Squaws sind schuld, daß ich hier aufgehängt wurde, du aber hast mich errettet. Ich werde dir danken, indem ich die drei größten Feinde der Comantschen in deine Hände liefere.“

„Wer ist dies?“

„Shosh-in-liett.“

„Bärenherz, der Apatsche?“

„Ja. Ferner Mokaschi-motak.“

„Büffelstirn, der Mizteca?“

„Ja.“

„Und der dritte?“

„Der dritte ist ein Bleichgesicht; die roten Männer nennen ihn Itinti-ka.“

„Donnerpfeil, der große Rastreador?“ rief der Comantsche. „Sagst du die Wahrheit?“

„Ja.“

„Wo ist Donnerpfeil?“

„Bei den andern.“

„Wo sind diese?“

Der Comantsche fragte mit leidenschaftlicher Hast. Die Hoffnung, diese drei berühmten Männer in seine Gewalt zu bekommen, brachte ihn um die kalte Ruhe und Selbstbeherrschung, in welcher der Indianer sonst seine Ehre sucht.

„Ich werde es dir sagen, wenn du mir vorher etwas versprichst.“

„Was begehrst du?“

„Du bist gekommen, um die Hacienda zu überfallen?“

„Ja,“ gestand der Indianer.

„Wird es dir gelingen?“ „Der schwarze Hirsch wurde noch nie besiegt.“ „Du hast viele Comantschen mit?“ „Zehnmal zehn mal zwei.“ „Zweihundert? Das ist genug. Du sollst die drei berühmten Häuptlinge haben, ferner alle Skalpe der Bewohner der Hacienda, auch alles, was in der Hacienda zu finden ist, wenn du des Hauses schonest, da es mein Eigentum ist.“

Der Comantsche sann nach; dann sagte er:

„Es sei, wie du begehrst. Wo also sind die drei Häuptlinge?“

„Sie sind,“ sagte der Graf, zufrieden lächelnd, „nirgends anders als eben in der Hacienda.“

„Uff! Du hast mich überlistet!“ gestand der schwarze Hirsch.

„Aber ich habe dein Wort!“

„Der Häuptling der Comantschen bricht sein Wort niemals. Das Haus ist dein. Die drei Feinde, die Skalpe und alles, was das Haus enthält, gehören aber den Söhnen der Comantschen. Ist die Hacienda von Stein erbaut?“

„Von festen Steinen, und mit Pallisaden umgeben. Aber ich kenne alle Schliche; ich werde euch führen. Ihr werdet euch im Innern des Hauses befinden, während die Bewohner alle noch fest schlafen. Sie werden nur erwachen, um unter euren Messern und Tomahawks zu sterben.“

„Hat der Haciendero viele Waffen?“

„Er hat genug Waffen, aber sie werden ihm nichts nützen.“

„Wie viele Männer besitzt er?“

„Vielleicht vierzig.“

„Viermal zehn? Das macht siebenmal zehn, denn jeder der drei Häuptlinge ist zehn wert.“

„Donnerpfeil darf nicht gerechnet werden.“

„Warum?“

„Er ist verwundet oder bereits schon tot. Ich traf ihn mit der Keule auf den Kopf.“

„Uff! Du hast mit Donnerpfeil gekämpft?“

„Warum nicht?“

„Wer mit ihm kämpft, muß ein tapfrer Krieger sein.“

„Ich bin kein Feigling, obgleich du mich als Gefangenen getroffen hast.“

„Ich werde es sehen, wenn du uns zur Hacienda führst. Meinst du, daß sie ahnen, daß die Krieger der Comantschen kommen, um Rache zu nehmen?“

„Ich glaube es nicht. Ich habe nicht gehört, daß davon gesprochen worden ist.“

„Ich werde einen Kundschafter senden.“

„Er mag sich nicht sehen lassen!“

„Uff! Er wird gerade in die Hacienda gehen.“

„So ist er verloren!“

„Er ist nicht verloren. Er ist kein Comantsche, sondern ein christlicher Indianer von dem mexikanischen Stamme der Opatos. Man wird ihm nicht mißtrauen, und er wird genau sehen, ob man sich auf einen Kampf mit den Kriegern der Comantschen vorbereitet hat. Jetzt aber weiß ich alles. Mein Sohn mag gehen, um die Krieger nach den Ruinen zu führen, wohin ich jetzt mit diesem Manne gehe, der ein Graf der Bleichgesichter ist.“

Der Führer eilte davon, und der Häuptling schritt mit Alfonzo den Tempelruinen zu. Vorher aber warf der letztere noch einen Blick auf den kleinen See, über dessen Wassern er die schrecklichsten Stunden seines Lebens zugebracht hatte. Die Alligatoren lagen am Ufer und glotzten mit weit aus der Flut hervorragenden Köpfen das Opfer an, welches ihnen entgangen war. – –

Am andern Morgen ging der Häuptling mit dem Grafen und dem Führer durch den Wald, um zu rekognoscieren. Sie kamen dabei auch an den Rand des Bergplateaus, von welchem aus man in die Ebene hinabblicken konnte. Da ertönte unter ihnen ein dumpfer Knall.

„Was war das?“ fragte der schwarze Hirsch.

„Ein Schuß,“ meinte der Führer.

„Aber kein Büchsen-, sondern ein Sprengschuß,“ erklärte Alfonzo, welcher sogleich vermutete, was da unten vorgegangen war.

Sie traten so weit wie möglich an den Felsenabhang heran und blickten zu dem Bache hinab. Da sahen sie Büffelstirn mit seinen Indianern davon reiten. Alfonzo gewahrte das Lastpferd; er sah die Decken, welche es trug, und ahnte, daß darinnen ein Teil der Schätze verborgen sei.

„Was für Männer sind dies?“ fragte der Häuptling.

„Es sind Miztecas,“ antwortete der Graf.

„Miztecas, die sterben und verdorren werden,“ sagte der andre verächtlich.

„O, sie haben noch Kraft genug. Siehe einmal ihren Anführer!“

„Er ist ein Riese. Es ist ein Cibolero?“

„Ja, freilich ist er ein Cibolero, ein Büffeljäger, aber der kühnste von allen. Rate einmal, wie sein Name lautet!“

„Sage es!“

„Nun, es ist Büffelstirn, der König der Ciboleros!“

„Uff! Das – das ist Büffelstirn,“ sagte der Comantsche, indem er den Mizteca da unten mit finsterem Auge betrachtete. „Es wird nicht lange währen, so stirbt er an dem Marterpfahle im Lager der Comantschen.“

Als sie nach der Ruine zurückkehrten, wurde der Kundschafter abgesandt. Er trug die Kleidung eines civilisierten Indianers, erhielt eine schlechte Flinte und das schlechteste Pferd, welches vorhanden war. Auch erhielt er den Befehl, einen Umweg zu machen, damit es scheine, daß er nicht von Norden, sondern von Süden komme.

Er umritt also die hintere Seite und den südlichen Abhang des El Reparo und ritt dann von Mittag her auf die Hacienda zu.

Büffelstirn stand mit dem Haciendero und Bärenherz am Fenster, als er in den Hof ritt.

„Uff!“ sagte der Apatsche mit höhnischem Lächeln.

„Was?“ fragte Arbellez.

„Unser Freund will sagen, daß dies der erwartete Kundschafter ist,“ erläuterte Büffelstirn den Ausruf des Apatschen.

„O, das ist kein Comantsche!“ meinte Arbellez.

„Nein, es ist ein Majo oder Opato, aber jedenfalls ein Überläufer.“

„Wie soll ich ihn behandeln?“

„Freundlich. Er darf nicht ahnen, daß wir an Kampf und Feindseligkeit denken.“

Der Haciendero ging hinab, wo der Indianer gerade im Begriff stand, nach der Gesindestube zu gehen. Er grüßte höflich und fragte:

„Das ist die Hacienda del Erina?“

„Ja,“

„Wo Sennor Arbellez gebietet?“

„Ja.“

„Wo ist der Sennor?“

„Ich bin es selbst.“

„O, Verzeihung, Don Arbellez, daß ich dies nicht wußte! Darf ich bei Euch einkehren?“

„Thut dies in Gottes Namen. Es ist mir jeder Gast willkommen. Wo kommt Ihr her?“

„Ich komme von Durango über die Berge herüber.“

„Das ist weit.“

„Ja. Ich war einige Jahre dort, aber das Fieber hat mich vertrieben. Hier scheint es besser zu sein. Braucht Ihr keinen Vaquero, Sennor?“

„Nein.“

„Auch keinen Cibolero?“

„Auch nicht.“

„Ist Euch nicht sonst ein Mann nötig?“

„Ich habe jetzt Leute genug; aber Ihr könntet trotzdem bleiben und Euch ausruhen, so lange es Euch gefällt.“

„Ich danke. Da Ihr niemand braucht und Eure Hacienda die letzte ist gegen die Grenze hin, so werde ich sehen, wie es sich als Gambusino leben läßt. Wenn nur die Wilden nicht wären!“

„Fürchtet Ihr Euch vor einem Indianer?“

„Vor einem nicht, aber vor fünf oder zehn. Man hört, daß die Comantschen Lust haben, über die Grenze zu kommen.“

„Da hat man Euch falsch berichtet. Sie werden sich hüten, herüber zu kommen, denn sie wissen, daß sie eine tüchtige Lehre erhalten würden. Also bleibt; ruht Euch aus, und eßt und trinkt in der Leutestube so viel, wie Ihr wollt.“

Er ging weiter und ließ den Indianer mit der festen Gewißheit zurück, daß auf der Hacienda del Erina kein Mensch daran denke, daß Indianer in der Nähe sein könnten. Der Kundschafter schien der Ruhe nicht sehr zu bedürfen, denn er schweifte auf der Hacienda und in ihrer nächsten Umgebung unermüdlich herum und setzte sich am Nachmittage auf sein Pferd, um weiter zu reiten.

Natürlich wandte er sich nicht nach der Grenze hin, sondern er kehrte auf einem Umwege zu den Comantschen zurück, wo sein Bericht mit Spannung erwartet wurde. Als er dem Häuptling erzählte, was er gesehen hatte, nickte dieser mit einem blutdürstigen Lächeln und sagte:

„Die Hacienda wird schrecklich aus dem Schlafe erwachen, und die Söhne der Comantschen werden mit Beute und vielen Skalpen heimkehren in ihre Wigwarns.“

Er ließ sich von dem Grafen und dem Kundschafter die Lage und Beschaffenheit des Gebäudes genau beschreiben, und dann wurde großer Kriegsrat gehalten.

Das Ergebnis desselben war, daß man mit Einbruch der Dunkelheit aufbrechen wolle. Um Mitternacht langte man in der Nähe der Hacienda an. Diese sollte von allen vier Seiten umschlossen werden; dann sollten die Comantschen auf ein Zeichen ihres Häuptlings über die Pallisaden steigen und innerhalb des Hofes das Haus umzingelt halten. Fünfzig Mann sollten durch eines der Fenster steigen, um sich im stillen durch die Gänge zu verbreiten; dann könne das Morden losgehen.

Während dies in den Ruinen des Tempels besprochen wurde, wurde auf der Hacienda ein ähnlicher Kriegsrat gehalten.

„Ist Feuerwerk da?“ fragte Büffelstirn.

„Ja, genug. Die Vaqueros können sich keinen Festtag ohne Feuerwerk denken,“ sagte der Haciendero. „Warum?“

„Die Hauptsache ist, den Comantschen die Pferde zu nehmen, damit sie nicht so schnell entkommen können. Man muß sehen, wo sie ihre Tiere lassen, und im geeigneten Augenblick Feuerwerk unter sie werfen.“

„Das soll besorgt werden!“

„Aber es gehören kühne und vorsichtige Leute dazu!“

„Die habe ich. Wann fangen wir an, die Schanzen zu bauen?“

„Eigentlich war bestimmt, die Dunkelheit abzuwarten; da aber der Kundschafter so sehr befriedigt davongeritten ist, so glaube ich nicht, daß wir noch weiter beobachtet werden. Wir können also anfangen.“

Nun begann eine rege Geschäftigkeit zu herrschen. Es befand sich bei Anbruch des Abends kein Vaquero auf der Weide, wie zu anderer Zeit, sondern alle waren innerhalb der Pallisaden bemüht, die Verteidigung des Hauses vorzubereiten.

So verging der Abend in lebhafter Erwartung, und eine Stunde vor Mitternacht brach der Apatsche auf, um auf Kundschaft zu gehen. Er nahm zwei wohlbewaffnete Knechte mit, welche genug Feuerwerkskörper trugen, um eine Pferdeherde von tausend Stück in alle Winde zu zersprengen.

Der Häuptling kam sehr bald zurück, aber allein.

„Kommen Sie?“ fragte der Haciendero.

„Ja.“

„Wo sind sie?“

„Abgestiegen. Sie umzingeln die Pallisaden; die Pferde stehen draußen am Bache.“

„Sind viele Wächter bei ihnen?“ fragte Büffelstirn.

„Nur drei.“

„Uff! Unsre beiden Männer werden ihre Schuldigkeit thun.“

Jetzt begab sich der Haciendero nach der Krankenstube, wo die beiden Mädchen bei dem Kranken saßen. Sie waren bleich, aber gefaßt.

„Kommen sie?“ fragte Emma.

„Ja. Schläft der Patient?“

„Fest.“

„So könnt ihr an euren Posten gehen. Nehmt die Lunten.“

Sie zündeten ihre Lunten an und begaben sich hinauf auf die Plattform des Hauses, wo an jeder Ecke ein großer, mit Öl getränkter Holzhaufen lag. Auch mächtige Steine und einige geladene Gewehre gab es da, um den Frauen Gelegenheit zu geben, bei der Verteidigung mitzuwirken.

Die Nacht war still. Nur das Murmeln des Baches ließ sich vernehmen, oder es drang das Schnaufen eines Pferdes von der Weide herüber. Und dennoch gab es so viele Herzen, welche jetzt schneller schlugen in der Erwartung des Kampfes.

Da erklang der volle, grunzende Ton eines Ochsenfrosches. Er war so täuschend nachgemacht, daß er unter anderen Umständen sicherlich gar nicht beachtet worden wäre, jetzt aber wußten sämtliche Bewohner der Hacienda sofort, daß es das Zeichen des Angriffes sei.

Der alte Vaquero Franzesco hatte sich die Bedienung derjenigen Kanone auserbeten, welche die vordere Front des Hauses zu verteidigen hatte. Sie war mit Glas, Nägeln und gehacktem Eisen geladen, und unter der Serape, welche er übergeworfen hatte, glimmte die Lunte, mit welcher der Schuß gelöst werden sollte. So kauerte er hinter der kleinen Verschanzung und lauschte auf das leiseste Geräusch.

An dem Parterrefenster rechts von dem Portale stand der Apatsche und an demjenigen links der Häuptling der Miztecas. Beide hatten ihre Büchsen in der Hand und durchforschten die Finsternis mit ihren scharfen Augen, die an die Dunkelheit gewöhnt waren. Da erschallte, wie schon erwähnt, die Stimme des Ochsenfrosches, und in demselben Augenblicke wurde es auf den Pallisaden lebendig. Zweihundert Köpfe erschienen über ihnen, und zweihundert dunkle, behende Gestalten sprangen in den Hof herab. Eben traten die fünfzig, welche durch die Fenster eindringen sollten, eng zusammen, da streckte der Apatsche seine Doppelbüchse heraus.

Shne ko – gebt Feuer!“ rief er.

Seine Büchse krachte, und dieses Zeichen hatte eine Wirkung, welche ebenso schnell wie wunderbar war. Kaum erscholl seine Stimme, so steckten die Mädchen oben auf der Plattform ihre Lunten in das Pulver, und im Nu loderten vier hohe Feuer auf, welche den ganzen Umkreis mit Tageshelle beleuchteten. Die Indianer standen erschrocken still.

Beim Scheine der Feuer erblickte der alte Franzesco die fünfzig eng beisammenstehenden Comantschen; sie befanden sich kaum fünfzehn Ellen von ihm entfernt. Sein Schuß krachte und war bei dieser Nähe von einer fürchterlichen Wirkung. Der ganze Haufen schien zusammenzubrechen; es entstand ein wirrer Knäul von am Boden ringenden Gestalten, dessen Auflösung so lange Zeit dauerte, daß Francesco Zeit erhielt, wieder zu laden. Sein zweiter Schuß hatte ganz dieselbe Wirkung. Auch die anderen Kanonen krachten; aus jedem Fenster des Hauses und auch von der Plattform herab blitzten Schüsse, und da – von der Plattform aus konnte man es deutlich sehen – da draußen prasselte plötzlich ein leuchtendes Feuerwerk empor; dazwischen hinein erscholl das hundertstimmige Wiehern und Schnauben der erschreckten Pferde, welche sich losrissen und davonflogen, daß unter dem Stampfen ihrer Hufe die Erde zitterte.

Dazwischen hinein erscholl das Wutgeheul der Wilden. Sie alle waren hell erleuchtet und boten ein sicheres Ziel, die Zimmer aber waren dunkel; so daß die Comantschen keinen sicheren Schuß bekommen konnten, selbst wenn sie bei der allgemeinen Panik, von welcher sie überfallen worden waren, sich zu einem ruhigen Schusse Zeit genommen hätten. Sie hatten einen solchen Empfang nicht erwartet; in den ersten zwei Minuten bereits hatten sie die Hälfte ihrer Leute verloren, und jetzt begannen sie zu fliehen.

Nur einer stand fest, nämlich der schwarze Hirsch. Er feuerte die Seinigen an, auszuhalten; aber es half ihm nichts. Er hatte sich bisher an der Seite des Hauses befunden, jetzt aber eilte er nach der Vorderfront, um zu sehen, wie der Kampf dort stehe. Hier stand es noch schlimmer; Franzesco hatte mit seinen gut gezielten Schüssen den Platz rasiert; Indianerleiche lag an Indianerleiche; der Häuptling erkannte, daß alles vorüber sei und sprang über die Pallisade hinaus.

In dem Augenblicke, als er auf der Pallisade hing, erblickte ihn der Apatsche.

„Tokvi-tey, der schwarze Hirsch!“ rief er.

Er erkannte den Comantschen, konnte ihn aber nicht töten, da er eben seine Büchse abgeschossen hatte.

„Der schwarze Hirsch!“ rief er abermals, indem er die Büchse fortwarf und den Tomahawk aus dem Gürtel zog. „Wendet der schwarze Hirsch dem Feinde den Rücken?“

Er sprang aus dem Fenster, stürzte über den Hof hinüber und schwang sich über die Pallisaden hinweg. Da, vor ihm floh der Comantsche.

„Der schwarze Hirsch halte an! Hier kommt Bärenherz, der Häuptling der Apatschen. Will der Häuptling der Comantschen vor ihm fliehen?“

Als der Comantsche diesen Namen hörte, stand er still.

„Du bist Bärenherz? So komm heran!“ rief er. „Ich werde deine Eingeweide den Geiern zu fressen geben!“

Die beiden Häuptlinge gerieten aneinander; sie nahmen nur den Tomahawk zur Waffe, und dies ist die fürchterlichste, welche es giebt. Bärenherz war dem Comantschen überlegen; das zeigte sich sofort; aber da schnellte sich eine Gestalt heran, mit der Büchse in der Hand; es war Alfonzo.

Er war klug gewesen und zunächst nicht über die Pallisaden gestiegen; er hatte ja nicht die geringste Lust, sein Leben und seine Glieder den feindlichen Schüssen preiszugeben. So hockte er hinter den Pallisaden und wartete den Erfolg des Angriffes ab. Es war nicht der erwartete, sondern ein ganz anderer. Die Comantschen flohen. In diese Flucht hinein hörte er die Stimme des Apatschen.

„Ah,“ murmelte er. „Vielleicht kann ich mich rächen.“

Er sah, daß Bärenherz dem Comantschen nachsprang, und folgte ihnen. Als sie nun im Kampfe waren, sprang er hinzu und schlug mit dem Kolben seines Gewehres den Apatschen von hinten So auf den Kopf, daß er niederstürzte. Der Comantsche zog sofort sein Messer, um den Betäubten vollends zu töten und ihm den Skalp zu nehmen; aber Alfonzo wehrte ab.

„Halt!“ sagte er. „Er verdient einen andern Tod.“

„Du hast Recht!“ sagte der schwarze Hirsch. „Schnell zu den Pferden!“

„Zu den Pferden? – Die sind ja fort!“

„Fort?“ fragte der Häuptling erschrocken.

„Ja. Man hat sie mit Feuerwerk erschreckt.“

„Uff! Komm‘, komm‘, sonst wird es zu spät!“

Sie faßten den Apatschen an beiden Armen, und sprangen, ihn an der Erde schleifend, davon.

Es war die höchste Zeit für sie. Als Büffelstirn aus seinem Fenster bemerkte, daß der Apatsche dem feindlichen Führer nacheilte, erkannte er, daß dieser sich in die höchste Gefahr begab; darum holte er so rasch wie möglich die Besatzung des Hauses zusammen, um einen Ausfall zu machen. Sie fanden den Hof bereits verlassen; nur tote Comantschen lagen noch da.

„Ihnen nach!“ rief er.

Das Thor wurde geöffnet, und die tapferen Verteidiger stürzten hinaus in das Freie, wo sich noch an vielen Stellen ein hitziger Einzelkampf entspann, bei welchem die Wilden gewöhnlich den kürzeren zogen. Büffelstirn schlug noch manchen nieder. Er eilte rundum die Hacienda herum, soweit die Feuer leuchteten; aber er sah von dem Apatschen keine Spur. – –

Stunden waren vergangen, als der Häuptling Bärenherz aus seiner tiefen Ohnmacht erwachte. Er öffnete die Augen und erblickte zunächst ein Feuer und sodann eine Anzahl wilder, roter Gestalten, welche um dasselbe saßen. Er selbst war gefesselt; zu seiner Rechten saß der schwarze Hirsch und zu seiner Linken Graf Alfonzo. Als er seine Augen zum Himmel erhob, sah er an den Sternen, daß es nicht mehr weit bis zum Anbruch des Morgens sein könne.

Alfonzo hatte bemerkt, daß er die Augen aufschlug.

„Er erwacht!“ sagte er.

Sofort richteten sich die Blicke sämtlicher Comantschen auf ihn. Sie alle hatten von ihm gehört; sie kannten seinen Ruhm, aber die wenigsten hatten ihn schon einmal gesehen.

Er nahm seine Gefangenschaft mit der äußeren Ruhe auf, welche dem Indianer eigen ist. Sein Kopf schmerzte von dem Hiebe; aber er besann sich sofort auf alles, was geschehen war.

„Der furchtsame Frosch der Apatschen ist gefangen,“ sagte der schwarze Hirsch.

Bärenherz lachte verächtlich; er sah ein, daß ein stolzes Schweigen hier nicht das Richtige sei.

„Der Löwe der Comantschen lief vor diesem Frosch davon!“ sagte er.

„Hund!“

„Schakal!“

„Bärenherz, der Häuptling, ließ sich besiegen von dem schwarzen Hirsch!“

„Du lügst!“

„Schweig!“

„Nicht du besiegtest mich und auch nicht ein andrer. Dieser Feigling, der ein Graf der Bleichgesichter ist, schlug mich heimtückisch nieder. Das ist es, was ich sage, und weiter hört ihr kein Wort. Bärenherz verachtet die Krieger, welche wie Flöhe davonspringen, wenn der Tapfere sich zeigt!“

„Du wirst schon sprechen, wenn die Marter beginnt.“

Der Apatsche antwortete nicht. Er hatte seine Meinung ausgesprochen, und nun war er der eisenfeste Mann, der sich nicht beschämen ließ. Das sahen die andern ein und darum sagte der Häuptling der Comantschen:

„Der Tag beginnt; unsres Bleibens ist hier nicht. Laßt uns zu Gericht sitzen über diesen Mann, der sich einen Häuptling nennt.“

Es wurde schweigend ein Kreis gebildet, und dann erhob sich der schwarze Hirsch, um in einer langen Rede die Verbrechen des Apatschen aufzuzählen.

„Er hat den Tod verdient,“ sagte er am Schlusse.

Die andern stimmten ein.

„Wollen wir ihn mit in die Wigwams der Comantschen nehmen?“ fragte er.

Auch hierüber wurde beraten, und das Resultat war, daß er hier getötet werden solle, da man unterwegs noch mannigfaltigen Zufälligkeiten ausgesetzt sein konnte.

„Aber welchen Tod soll er sterben?“ fragte der Häuptling.

Auch darüber wurde beraten, aber man kam hier nicht so schnell zu einem Entschlusse, da solch ein seltener Gefangener auch ungewöhnliche Martern erleiden sollte. Da erhob sich Graf Alfonzo, der bisher noch gar nichts dazu gesagt hatte.

„Darf ich mit meinen roten Brüdern sprechen?“ fragte er.

„Ja,“ sagte der Hirsch.

„Habe ich Anteil an diesem Apatschen oder nicht?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Du hast ihn uns versprochen.“

„Wer hat ihn niedergeschlagen?“

„Du.“

„Habt ihr erfüllt, was ihr mir verspracht?“

„Nein. Wir konnten nicht.“

„Nun, so sind also die gegenseitigen Versprechen aufgehoben, und dieser Gefangene gehört nur dem, der ihn niedergeschlagen hat. Beratet darüber!“

Es entspann sich eine kurze, aber lebhafte Debatte, deren Ergebnis war, daß der Apatsche dem Spanier zuerteilt wurde.

„Er ist mein?“ fragte der letztere.

„Ja.“

„Und ich habe also über sein Schicksal zu bestimmen?“

„Ja.“

„Nun gut, so soll es dasselbe sein, welches ich erleiden sollte. Wir binden ihn an diesen Baum und lassen ihn von den Krokodilen fressen. Er soll dieselben Höllenqualen erleiden, welche ich durchkostet habe!“

Auf diese Worte erhob sich ringsum ein beistimmendes Jubelgeschrei, und aller Augen richteten sich nach dem Apatschen, um den Eindruck dieses Entschlusses in seinem Gesichte zu lesen; aber dieses Gesicht war wie aus Erz gegossen; keine Wimper zuckte, und keine Silbe der Bitte kam über seine Lippen.

„Haben wir Lassos genug?“ fragte der Graf.

„Ja. Hier liegen noch dieselben, an denen du hingst, und wer von den Comantschen ein Pferd eingefangen hat, besitzt auch den Lasso.“

Es war nämlich einigen der Indianer gelungen, eines ihrer umherirrenden Pferde zu fangen.

„Gut, so binden wir ihn gerade so, wie er mich gebunden hat!“ sagte Alfonzo.

Dies geschah; dann fragte der schwarze Hirsch den Gefangenen:

„Hat der Häuptling der Apatschen noch eine Bitte?“

Bärenherz blickte die Männer der Reihe nach an; es waren nur ihrer sechzehn, welche sich hier zusammengefunden hatten. Gleich als er, aus seiner Betäubung erwachend, bemerkt hatte, daß er an dem Teiche auf dem Berge El Reparo liege, hatte er gewußt, welches Schicksal seiner harre; darum war er auch nicht erschrocken, als er sein Urteil vernahm. Jetzt blickte er im Kreise umher, als ob er sich die Züge eines jeden eingraben wolle, und dann sagte er:

„Der Häuptling der Apatschen bittet nicht. Das Messer wird alle fressen, welche hier versammelt sind. Bärenherz hat gesprochen; er wird nicht heulen und schreien, wie es der Graf der Bleichgesichter gethan hat. Howgh!“

Das letzte Wort ist bei den Indianern ein Ausruf der Bekräftigung, ungefähr wie unser Amen, Sela oder Basta!

Jetzt kletterte ein kräftiger Comantsche am Baume empor; der Apatsche wurde nachgeschoben und schwebte nach zwei Minuten über dem Wasser, wo die Krokodile ganz dasselbe gräßliche Schauspiel boten, wie es bereits beschrieben worden ist.

Die Comantschen sahen eine Zeitlang zu, wie der Apatsche mit dem kältesten Gleichmute sich bestrebte, seine Füße vor dem Rachen der Ungeheuer zu bewahren, dann wandten sie sich ihren Angelegenheiten wieder zu.

„Kehren meine Brüder in ihre Jagdgründe zurück?“ fragte Alfonzo.

„Erst müssen sie sich rächen,“ antwortete der Häuptling finster.

„Wollen sie mir folgen, wenn ich sie zur Rache führe?“

„Wohin?“

„Das werde ich später sagen, wenn wir gesehen haben, ob wir die einzigen sind, welche übrig geblieben sind.“

„Das müssen wir jetzt bereits wissen,“ behauptete der Anführer. „Wir haben mit unserm weißen Bruder kein Glück.“

„Und ich mit meinen roten Brüdern auch nicht. Sie mögen sich zerstreuen und die ihrigen suchen, welche noch umher irren. Dann, wenn sie versammelt sind, werde ich ihnen sagen, wie sie Rache nehmen können.“

„Wo versammeln wir uns?“

„Hier, an dieser Stelle.“

„Gut, wir wollen thun, was mein weißer Bruder sagt. Vielleicht bringt uns sein zweites Wort mehr Glück, als sein erstes.“

Die Comantschen gingen fort, um nach den Überresten ihrer Truppe zu suchen. Der Graf blieb zurück, weidete sich einige Zeit lang an dem Anblicke, welchen die nach dem Apatschen schnappenden Krokodile boten, und ging dann auch. Er wollte vor allen Dingen einmal hinunter nach dem Bache schleichen, um zu sehen, was Büffelstirn gestern mit seinen Indianern dort vorgenommen hatte. Dies war auch der Hauptgrund, weshalb er die Comantschen veranlaßt hatte, sich zu entfernen.

Kaum war der Schall seiner Schritte verklungen, so zuckte es freudig über das Gesicht des Apatschen und ein leises „Uff!“ ertönte von seinen Lippen. Der Lasso war ihm unter den Armen hindurchgezogen. Er machte einen Aufschwung, gerade wie beim Turnen am Reck, am Trapez oder an den Schwingen; dadurch kamen seine Beine empor, und er hing mit dem Kopfe nach unten, so daß ihn die Krokodile nun nicht mehr erreichen konnten.

Die Arme waren ihm zwar zusammen-, aber glücklicherweise nicht angebunden. Ein Riemen, der um das Fußgelenk ging, hielt ihm die Füße zusammen, aber er konnte doch die Kniee bewegen und auseinander machen. Darauf hatte er seine Hoffnung, sich zu retten, gebaut. Er war stark und gewandt, weit mehr als der Graf, der an eine Rettung gar nicht gedacht hatte, als er am Baume hing.

Es gelang Bärenherz, den Lasso zu ergreifen und auch, zwei Fuß weiter oben, mit den Knieen zu erfassen. Indem er nun den Körper zusammenbog und abwechselnd mit den Händen und Knieen weitergriff, wozu allerdings eine ungewöhnliche Stärke gehörte, turnte er sich an dem Lasso empor, bis er, vor Anstrengung schwitzend, oben bei dem Aste anlangte und nun, indem er sich quer über denselben legte, eine Minute lang ausruhte. Er hatte während der ganzen Prozedur mit dem Kopfe nach unten gehangen und war ganz schwindlig geworden.

Für den Augenblick war er jetzt den Krokodilen entgangen, aber seine Lage war noch eine höchst gefährliche. Kam jetzt einer der Comantschen, oder gelang es nicht, die Fesseln zu lösen, so war er trotzdem verloren.

Er lag mit dem Rücken quer auf dem Aste, gerade so, wie man sich auf das Reck legt, um die Rücken welle zu machen. Er bog die Kniee so weit wie möglich, und dadurch brachte er es fertig, mit den herabhängenden Händen hinten den Riemen zu erreichen, der seine Füße zusammenhielt. Er fand den Knoten und versuchte, ihn zu lösen. Es dauerte lange, sehr lange, aber endlich gelang es ihm, und nun waren die Beine frei. Er bog das eine seitwärts über den Ast herauf und erhob nun den Oberkörper. Dadurch kam er auf den Ast zu sitzen, und zwar so, daß er mit den über dem Rücken gefesselten Händen die Stelle erreichen konnte, an welcher das obere Lasso-Ende am Aste befestigt war. Nach langer Anstrengung, wobei ihm die Fingerspitzen zu bluten begannen, kam er endlich damit zustande, den Riemen zu lösen, und nun galt es nur noch, mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen am Baume hinabzuklettern. Dies wäre sicher ganz unmöglich gewesen, wenn der Baum gerade emporgestanden hätte, zum Glücke aber war er sehr schief über das Wasser gewachsen.

Der Apatsche ritt am Aste hin, bis er den Stamm erreichte. Er schlang die Beine um denselben und ließ den Oberkörper fallen. Dadurch hing er am Baume, mit dem Kopfe niederwärts. Indem er nun die Beine lockerte und schnell wieder um den Stamm preßte, rutschte er in einzelnen kurzen Rucken abwärts und erreichte den Boden glücklich, aber bis auf das äußerste abgemattet. Er war – gerettet.

„Uff!“

Nur diese eine Silbe stieß er hervor, es war der einzige Jubelton, den er sich erlauben durfte. Er warf einen Blick auf die Krokodile, welche jetzt am Uferrande im Wasser lagen und ihn unter dem Auf- und Zusammenklappen ihrer Kinnbacken begierig betrachteten, und eilte dann zwischen die Bäume, um im Walde Sicherheit zu finden.

Nun galt es nur noch, die Hände frei zu bekommen. Indem er zwischen Busch und Fels dahinglitt, blickte sein Auge forschend umher, und endlich fand er, was er suchte, ein Felsstück, dessen Kante scharf genug war, um den Riemen zu zerschneiden. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen die Kante, und scheuerte nun an derselben die Fessel so lange auf und nieder, bis das Leder zersägt war. Jetzt nun war er vollständig frei und wieder ganz sicher. –

Der Kampf, welcher zuerst innerhalb der Verpallisadierung der Hacienda gewütet hatte, war dann außerhalb derselben im freien Felde fortgesetzt worden; dort hatte er sich zum Einzelkampfe gestaltet, der sich weit von der Wohnung fortgezogen und über eine Stunde in Anspruch genommen hatte.

Dann hatte Büffelstirn die Besatzung der Hacienda zusammengerufen. Die erlegten Indianer lagen in einem weiten Bogen um die Hacienda zerstreut umher, und es war bereits jetzt während der Dunkelheit anzunehmen, daß ihrer weit über hundert gefallen seien.

„Sie haben eine fürchterliche Lehre erhalten und werden nicht so leicht wiederkommen,“ meinte Arbellez, der sich seines Sieges freute.

„Seht diese Haufen, Sennor,“ sagte der alte Franzesco, indem er auf die vor dem Portale hoch über einander liegenden Indianer deutete, „das ist das Werk meiner Kanone. Dieses zerhackte Eisen und Blei und diese Glassplitter wirken schrecklich. Die Körper sind förmlich zerrissen.“

„Wir sind noch nicht fertig,“ meinte Büffelstirn.

„Was ist noch zu thun?“ fragte der Haciendero.

„Wir müssen den Rest der Comantschen auch vertilgen.“ „Wo sind sie denn zu finden?“

„Habt Ihr nicht bemerkt, daß keine der Leichen jenseits des Baches liegt?“

„Ja, sie liegen alle diesseits.“

„Nun, das läßt schließen, daß sie bei der Flucht eine ganz bestimmte Richtung eingehalten haben. Wir wissen, wo sie sich vor dem Überfall befanden.“

„Auf dem El Reparo.“

„Ja. Die Leichen liegen nur nach dieser Richtung hin, und darum ist anzunehmen, daß die Comantschen den Befehl hatten, dort wieder zusammenzutreffen. Wir müssen sie also dort aufsuchen. Vertraut Ihr mir zwanzig von Euren Vaqueros an, Sennor?“

„Gern!“

„Wo mag der Apatsche sein?“ fragte Franzesco.

„Gefangen,“ antwortete der Häuptling der Miztecas.

„Nicht doch!“ rief der Haciendero erschrocken.

„Gewiß!“ sagte der erstere.

„Warum glaubst du das?“

„Weil er nicht da ist.“

„Er wird noch auf der Verfolgung sein!“

„Nein. Er weiß, daß er die Comantschen am Tage sicherer hat als jetzt.“

„So ist er tot oder verwundet!“

„Nein. Wir hätten ihn dann sicher gefunden. Er eilte dem schwarzen Hirsche nach. Die Comantschen, welche ihren Häuptling in Gefahr sahen, werden sich auf den Apatschen geworfen haben. Es waren ihrer zu viele; er wurde überwältigt.“

„So müssen wir ihn befreien!“ sagte Franzesco.

„Wir werden ihn befreien,“ sagte Büffelstirn zuversichtlich. „Ich nehme ihm seine Büchse mit, damit er sogleich Waffen erhält. Steigt zu Pferde!“

Zwanzig Männer saßen auf und ritten im Galopp davon. Sie machten, um von keinem sich auf der Flucht befindlichen Comantschen bemerkt zu werden, einen Umweg, indem sie in einem Bogen den südlichen Abhang des Berges zu erreichen suchten. Sie kamen dort an, als der Morgen dämmerte.

„Absteigen!“ kommandierte Büffelstirn.

„Warum?“ fragte Franzesco, der mit dabei war.

„Weil uns die Pferde hindern, die Feinde unbemerkt zu beschleichen. Sanchez mag bei ihnen hier zurückbleiben.“

So geschah es. Der genannte Vaquero blieb als Wache bei den Tieren zurück, während die andern den Berg unter dem Schutze der Bäume bestiegen. Als sie das Plateau betraten, war es vollständig hell geworden. Sie rückten mit möglichster Vorsicht gegen die Ruinen vor. Eben glitten sie über eine kleine, freie Lichtung hinweg, als seitwärts von ihnen ein Ruf erscholl:

„Ugh!“

Sie blickten nach dieser Richtung hin und gewahrten einen unbewaffneten Indianer, welcher auf sie zugeeilt kam.

„Bärenherz!“ rief einer der Vaqueros.

„Ja, er ist’s! Es ist der Apatsche!“ sagte Büffelstirn mit freudiger Stimme.

„So war er also nicht gefangen.“

„Er war gefangen,“ behauptete Büffelstirn. „Seht ihr nicht, daß er keine Waffen trägt! Er war gefangen und ist wieder entkommen.“

Der Apatsche kam wie ein Pfeil über die Lichtung herüber geglitten und blieb vor ihnen halten.

„Uff!“ begrüßte ihn der Mizteca. „Mein Bruder Bärenherz war gefangen?“

„Ja,“ nickte der Gefragte.

„Es waren der Feinde zu viele, die ihn bewältigten?“

„Nein. Ich kämpfte mit dem schwarzen Hirsche. Da kam das verräterische Bleichgesicht von hinten, ohne daß ich es merkte, und schlug mich mit dem Kolben seiner Flinte nieder.“

„Welches Bleichgesicht?“

„Der Graf.“

„Ah! Er lebt! Die Krokodile haben ihn nicht verzehrt?“ fragte der Mizteca erstaunt.

„Er lebt. Die Hunde der Comantschen haben ihn gefunden und errettet.“

„Und er hat sie nach der Hacienda geführt?“

„Ja. Er hat an ihrer Seite gegen uns gekämpft.“

„Gegen seine eigne Besitzung! Gegen seine eignen Leute! Wir werden seine Kopfhaut nehmen! Wo ist er?“

„Er ist in den Bergen. Er wird wieder zum Teich der Krokodile kommen, um die Comantschen dort zu treffen.“

„Ah, so habe ich recht gedacht! Sie versammeln sich beim Teiche?“

„Sie waren bereits dort. Sie sind in die Ebene gegangen, um ihre zerstreuten Krieger zu suchen; aber sie werden wiederkehren.“

„Weiß mein Bruder dies genau?“

„Ich weiß es, denn ich habe es gehört, als ich am Baume hing.“

„An welchem Baume?“

„Am Baume der Krokodile.“

Büffelstirn machte eine Bewegung des Schreckes.

„Bärenherz hat über den Krokodilen gehangen?“ fragte er.

„Ja.“

„Gerade so, wie der Graf?“

„Gerade so. Der Graf sprach das Urteil, und ich wurde an die Lassos geknüpft.“

„Aber wie ist mein Bruder wieder frei gekommen?“

Bärenherz antwortete im geringschätzigsten Tone:

„Der Häuptling der Apatschen fürchtet sich nicht vor den Comantschen und nicht vor den Krokodilen. Er wartete, bis die Feinde fort waren, und machte sich dann frei.“

„Bärenherz ist ein Liebling des großen Manitou“ sagte Büffelstirn. „Er ist ein starker und kluger Krieger; ein andrer hätte sich nicht befreien können. Wann kommen die Comantschen an den Teich zurück?“

„Sie haben es nicht gesagt. Wir werden uns dort verstecken und sie erwarten.“

„So dürfen wir unsre Spuren nicht bemerken lassen. Hier ist das Gewehr meines Bruders; ich habe es ihm mitgebracht.“

„Die andern Waffen hat der schwarze Hirsch genommen,“ grollte der Apatsche. „Er wird sie mir wiedergeben und die seinigen dazu. Meine Brüder mögen mir Pulver und Kugeln geben, und dann werde ich sie führen.“

Er erhielt das Verlangte, und dann glitten die Männer lautlos durch den Wald, immer ihre Spuren sehr sorgfältig hinter sich verbergend, bis sie den Saum des Forstes erreichten, welcher den Teich umkränzte. Sie sahen, daß keiner der Comantschen zurückgekehrt war, und versteckten sich so gut, daß sie den Platz beherrschten, ohne bemerkt zu werden.

Als ein jeder seine Instruktion erhalten hatte, wie er zu schießen habe, ohne daß zwei Kugeln auf einen Feind kämen, trafen die beiden Häuptlinge wieder zusammen.

„Aber, was thun wir noch?“ sagte Büffelstirn. „Die Comantschen werden sehen, daß der Häuptling der Apatschen entronnen ist. Sie werden ahnen, daß er Hilfe herbeiholen wird.“

„Sie werden es nicht sehen,“ antwortete der Apatsche.

Mit diesen Worten verließ er das Gebüsch und trat hinaus zu der Ceder, an welcher er gehangen hatte. In der Nähe des Stammes lagen noch die Lassos, an welche er gebunden gewesen war. Er nahm einen scharfen Stein und schlitzte mit demselben die unteren Enden der Riemen so auf, daß es ganz den Anschein hatte, als ob sie zerrissen worden seien. Dann kletterte er empor und schlang die oberen Enden genau so wieder um den Ast, wie sie an demselben befestigt worden waren. Nun hatte es ganz den Anschein, als ob der daran Hängende von den Krokodilen herabgerissen worden sei.

Als er von dieser kurzen Arbeit zurückkehrte, sagte Büffelstirn:

„Mein Bruder hat sehr gut gehandelt. Nun werden die Comantschen nicht glauben, daß er den Tieren entkommen ist.“

Sie lagen nun still in dem Verstecke und warteten. Es verging eine geraume Weile, da vernahmen sie den Hufschlag zweier Pferde. Es kamen zwei Comantschen.

„Uff!“ rief der eine, als er sah, daß der Apatsche nicht mehr am Baume hing.

„Er ist fort!“ rief der andre. „Er ist entflohen!“

„Nein,“ sagte der erstere. „Der Lasso ist zerrissen. Die Krokodile haben ihn.“

„Er wird nicht in die ewigen Jagdgründe kommen, denn er wurde von den Tieren gefressen,“ stimmte der andre nun bei. „Seine Seele wird bei den unglücklichen Schatten wandeln, die sich vor Kummer und Unmut verzehren. Der Apatsche ist verflucht in diesem und im andern Leben!“

„Wir sind die ersten. Steigen wir ab, um auf die Brüder zu warten!“

Sie sprangen von ihren Pferden und machten Anstalt, ihre Tiere anzupflocken.

„Wollen wir sie nehmen?“ fragte der Apatsche leise.

„Ja. Aber mein Bruder hat kein Messer,“ antwortete der Mizteca.

Pshaw! Ich werde mir das Messer dieses Comantschen holen!“

Er lehnte sein Gewehr an den Baum und glitt vorwärts. Büffelstirn folgte ihm. Als sie den Rand des Gebüsches erreicht hatten, schnellten sie wie zwei Tiger mit weiten Sätzen auf die beiden Wilden zu, die einen Angriff gar nicht vermuteten. Bärenherz ergriff den einen von hinten bei der Kehle, riß ihm das Messer aus dem Gürtel und stieß es ihm in das Herz. Zwei Minuten später hatte er ihm den Skalp genommen. Büffelstirn hatte ganz dasselbe mit dem andern gethan. Die beiden Comantschen waren gar nicht einmal dazu gekommen, den geringsten Laut auszustoßen.

„Was thun wir mit den Leichen?“ fragte der Mizteca.

„Wir geben sie den Krokodilen.“

Diese Tiere hatten das Nahen von Menschen bemerkt. Sie waren aus dem Grunde empor getaucht und lagen nun in der Nähe des Ufers, halb im Wasser und halb an der Erde, wartend, ob ihnen etwas zufallen würde. Die beiden Häuptlinge nahmen die Waffen der Besiegten und ihre Skalpe zu sich und warfen die Leichen dann den Alligatoren zu. Hei, wie diese mit offenem Rachen sich auf die Beute stürzten! In weniger als einer Minute waren die Erstochenen zerrissen und verschlungen. Nichts blieb von ihnen übrig, als das Stück einer Hand mit zwei Fingern. Die von den Tieren gepeitschten Wellen hatten diesen Rest an das Ufer geworfen, wo er liegen blieb. Übrigens hatten die Häuptlinge dafür gesorgt, daß kein Blut auf dem Rasen vergossen wurde, und dann auch ihre eigenen Fußstapfen sorgfältig verwischt.

Jetzt kehrten sie wieder in ihr Versteck zurück.

Sie hatten da noch nicht lange gewartet, so hörten sie wieder den Hufschlag von Pferden. Es kam ein Trupp von wohl dreißig Comantschen, an ihrer Spitze der schwarze Hirsch. Es ging genau wieder so wie vorhin. Er sah, daß der Apatsche verschwunden war, und hegte zunächst Mißtrauen.

„Uff!“ rief er. „Der Apatsche ist fort!“

Er ritt bis hart an das Wasser heran und gewahrte die dort liegende Hälfte der Hand. Im Nu war er abgestiegen, nahm sie empor und betrachtete sie.

„Uff! Sie haben ihn gefressen. Das ist ein Stück seiner linken Hand. Betrachtet die Lassos!“

Man gehorchte seinem Befehle und fand, daß der Apatsche von den Krokodilen herabgerissen worden sei.

„Er ist in das Reich der Finsternis gegangen. Es wird ihn keiner seiner erschlagenen Feinde bedienen,“ sagte der Häuptling und warf die Hand in das Wasser, wo sie von einem der Alligatoren sofort verschlungen wurde.

Nun stiegen auf seinen Wink auch die andern vom Pferde und lagerten sich an das Wasser.

Es kamen noch mehrere Nachzügler, so daß der Trupp bis fast auf fünfzig Männer anwuchs. Man gab sich gar nicht die Mühe, den benachbarten Teil des Waldes zu durchsuchen, und das war ein sicheres Zeichen, daß der schwarze Hirsch nicht die Absicht hatte, sich hier lange zu verweilen, Er hatte während dieser Zeit in würdevollem Schweigen dagesessen, jetzt aber hörte man seine Stimme:

„Wer hat das Bleichgesicht gesehen?“

„Das Bleichgesicht, welches ein Graf ist?“ fragte einer.

„Ja.“

Es stellte sich heraus, daß keiner der Indianer ihn bemerkt hatte.

„Man suche seine Spur!“

Sie erhoben sich alle, um zu suchen.

„Das wird gefährlich!“ flüsterte der Apatsche.

Büffelstirn nickte zustimmend und sagte:

„Hier haben wir unsre Fährte verwischt; aber, wenn sie weiter fortgehen, so werden sie dieselbe finden. Wir müssen beginnen. Ich gebe das Zeichen.“

Er hustete laut. Dies war nicht etwa eine Unvorsichtigkeit, sondern es hatte zwei gute Gründe. Erstens sollten die Vaqueros bemerken, daß es jetzt losgehe, und zweitens sollten die Feinde dadurch in eine Stellung gebracht werden, in der sie ein gutes, sicheres Ziel darboten.

Es gelang; denn kaum war der scharfe Laut erklungen, so streckten sich die Läufe der zwanzig Büchsen der Vaqueros durch die Büsche, und sämtliche Comantschen richteten sich in eine horchende Stellung empor, wobei sie sich nach den Büschen herumdrehten.

„Feuer!“

Auf dieses Wort des Mizteca krachten zweiundzwanzig Schüsse, noch zwei aus den Doppelbüchsen der Häuptlinge.

Es stürzten ebenso viele Comantschen, alle zum Tode getroffen. Die übrigen sprangen von ihren Sitzen empor und eilten zu ihren Pferden. Es entstand ein Augenblick der größten Verwirrung, während dessen die Vaqueros rasch wieder luden.

Die Comantschen sahen über zwanzig der Ihrigen fallen; sie mußten annehmen, daß eine noch größere Anzahl Weißer in den Büschen stecke; darum versuchten sie gar keinen Angriff, sondern sie warfen sich auf ihre Pferde und jagten davon. Viele von ihnen hatten in der Eile das erste beste Pferd besteigen wollen, der eigentliche Besitzer hatte es streitig gemacht, und dadurch war ein Aufenthalt entstanden, der ihnen verderblich wurde. Es ertönte eine zweite Salve aus den Büchsen der Vaqueros, die beinahe ebenso verderblich wurde, wie die erste.

Bärenherz hatte sich den Häuptling, den schwarzen Hirsch, für sich vorbehalten, darum war von den andern nicht auf ihn gezielt worden. Jetzt sprengte derselbe mit den Übriggebliebenen davon. Da aber trat der Apatsche aus den Büschen heraus und erhob seine Büchse. Er wollte den Comantschen lebendig haben, darum zielte er nur auf das Pferd desselben. Der Schuß knallte, und das Tier ward zum Tode getroffen. Es überschlug sich und warf seinen Reiter ab. Der Apatsche schnellte in weiten Sätzen hinzu und stand bei dem Gestürzten, ehe dieser sich empor gemacht hatte.

Keiner der Comantschen hatte einen Schuß gethan, darum war auch das Gewehr ihres Häuptlings noch geladen. Dieser sprang vollends auf, riß sein Gewehr von der Schulter und legte auf den Apatschen an.

„Hund, du lebst!“ rief er. „Stirb!“

Bärenherz schlug ihm den Lauf des Gewehres zur Seite, so, daß der Schuß fehlging.

„Der Häuptling der Apatschen stirbt nicht von der Hand eines feigen Comantschen,“ antwortete Bärenherz; „ich aber werde deine Seele von dir nehmen, daß sie in den ewigen Jagdgründen mich bedienen soll!“

Mit diesen Worten versetzte er dem Comantschen einen Kolbenschlag, der diesen betäubte; dann faßte er ihn, um ihn zurückzutragen nach dem Orte, wo die Indianer vorher gesessen hatten. Dort wartete er ruhig, bis ihm die Besinnung wiederkehrte.

Die Vaqueros hatten die wenigen Comantschen nicht verfolgt, weil sie dieselben nun für unschädlich hielten. Sie machten sich über die Gefallenen her, um ihnen ihre Waffen und Munition abzunehmen. Die beiden Häuptlinge saßen neben dem schwarzen Hirsch und bekümmerten sich nicht um die Beute.

Der Comantsche wurde gefesselt, wobei ihm die Besinnung zurückkehrte.

„Will der schwarze Hirsch seinen Todesgesang anstimmen?“ fragte Bärenherz. „Er soll diese Gnade haben, ehe er stirbt.“

Der Gefragte antwortete nicht.

„Die Comantschen singen wie die Krähen und Frösche; darum lassen sie sich nicht gern hören,“ spottete Büffelstirn.

Auch jetzt antwortete der Gefangene nicht.

„So wird der Häuptling der Comantschen ohne Todesgesang sterben,“ erklärte der Apatsche.

Jetzt erst sprach der schwarze Hirsch:

„Ihr wollt mich an den Baum hängen?“

„Nein,“ antwortete Bärenherz. „Ich will dich nicht martern; aber die Krokodile sollen dich dennoch fressen, weil du mich ihnen zum Fraße vorgehangen hast. Zuvor aber werde ich dir den Skalp nehmen, um den tapferen Söhnen der Apatschen bei meiner Rückkehr zu zeigen, welch ein Feigling der schwarze Hirsch gewesen ist. Gieb mir das Messer und den Tomahawk, den du mir genommen hast!“

Er nahm die beiden Gegenstände aus dem Gürtel des Gefangenen.

„Du willst mich wirklich skalpieren?“ fragte dieser voller Angst.

„Ja. Deine Haut gehört mir.“

„Bei lebendigem Leibe?“

„Wie anders! Soll ich mir den Skalp aus dem Magen eines Krokodiles holen, nachdem es dich verschlungen hat?“

„Töte mich erst,“ bat er.

„Ah, der Comantsche hat Furcht! Nun soll er keine Gnade finden!“

Er ergriff sein Messer, faßte mit der Linken den Haarschopf des Gefangenen, that mit der Rechten die drei kunstgerechten Skalpschnitte und zog dann den Schopf mit einem kräftigen Ruck vom Kopfe. Er hatte den Skalp in der Hand.

Der schwarze Hirsch stieß ein Gebrüll des Schmerzes aus.

„Uff! Der Comantsche ist ein Feigling! Er schreit!“ sagte Bärenherz.

„Wirf ihn ins Wasser,“ meinte Büffelstirn. „Aber nimm den Fuß dazu, denn er ist nicht wert, daß deine Hand ihn berührt!“

„Mein Bruder hat recht! Ich werde ihn den Krokodilen hinwälzen, wie ein verfaultes Aas, welches man nicht mit der Hand angreift. Der tapfere Häuptling der Comantschen hat geheult wie ein altes Weib. Er soll kein Grabmal haben, weder auf der Spitze eines Berges noch in der Tiefe eines Thales. Die Seinen sollen nicht zu ihm pilgern können, um seine Thaten zu rühmen, sondern er soll begraben sein in dem Magen der Alligatoren, und ich will einen Steinhaufen errichten, auf welchem geschrieben stehet: Hier wurde Tokvi-tey, der Feigling der Comantschen, von den Krokodilen gefressen, gefangen von der Hand Bärenherzens, des Häuptlings der Apatschen.“

Es ist die größte Ehrensache eines Indianers und zumal eines Häuptlings, weder Furcht und Angst zu zeigen, noch selbst beim größten Schmerze einen Laut auszustoßen. Der Comantsche aber hatte im höchsten Grade verächtlich gehandelt. Bärenherz stieß ihn mit dem Fuße in das Wasser, wo die Alligatoren sofort über ihn herfielen.

Dann mußten die Vaqueros dem Apatschen helfen, den Steinhaufen zu errichten. In den größten der Steine grub er die Inschrift ein, von welcher er gesprochen hatte; dann kehrten sie zu den Pferden zurück, die sie nach der Hacienda tragen sollten. Der Apatsche hatte sich mit einem Pferde der Comantschen beritten gemacht. –

Als Graf Alfonzo vorhin den Krokodilenteich verlassen hatte, war er den Berg hinabgestiegen, um zur Höhle des Königsschatzes zu gelangen. Als er den Ort erreichte, fand er einen wüsten Trümmerhaufen, in welchem er mehrere Stunden in fieberhafter Aufregung umhersuchte, aber vergebens. Es war unmöglich, eine Spur der Schätze zu finden, und er nahm zuletzt an, daß sie vollständig fortgeschafft worden seien.

Mit einem wilden Fluche auf den Lippen verließ er die Trümmer, um die Comantschen nicht auf sich warten zu lassen. Er stieg den nördlichen Abhang des Berges hinan, als er den Hufschlag von Pferden hörte und dann acht Comantschen erblickte, welche an dem Orte, wo er sich schnell versteckt hatte, vorüber wollten. Er trat hervor.

„Wohin wollt ihr?“ fragte er.

„Uff! Das Bleichgesicht!“ sagte einer. „Wir reiten nach dem Thale.“

„Warum? Die Eurigen sind doch oben!“

„Sie sind tot!“ knirschte der Sprecher.

„Tot?“ fragte Alfonzo erstaunt. „Wie ist das möglich?“

„Die Bleichgesichter haben uns überfallen.“

„Ah!“

„Es sind viermal zehn getötet worden.“

„Alle Teufel!“

„Und den Häuptling haben die Krokodile gefressen, nachdem der Apatsche seinen Skalp genommen hat.“

„Der Apatsche? – Welcher?“

„Bärenherz.“

„Donnerwetter! Der hing ja am Baume!“

„Er ist wieder los.“

„Hole ihn der Teufel! Wie ist er losgekommen?“

„Die Bleichgesichter, welche sich Vaqueros nennen, werden ihn befreit haben. Wärst du bei ihm geblieben, so hätte es wohl nicht geschehen können.“

„Habt ihr das alles wirklich gesehen?“

„Wirklich! Wir mußten fliehen; da sie uns aber nicht verfolgten, so kehrten zwei von uns heimlich wieder zurück, um sie zu beobachten.“

„Alle Teufel! Nun ist alles aus!“ „Alles! Nur die Rache nicht!“

„Ja, die Rache!“ sagte er nachdenklich. „Was werdet ihr jetzt thun?“

„Wir kehren in die Jagdgründe der Comantschen zurück.“

„Um neue Krieger zu holen?“

„Ja.“

„Ohne den Skalp eines einzigen Feindes mitzubringen?“

„Der große Geist hat uns gezürnt.“

„Und ohne ein Stück der Beute gefunden zu haben?“

„Wir werden später Skalpe und Beute genug bekommen.“

„Wie nun, wenn ich dafür sorge, daß ihr bereits jetzt viel nützliche und schöne Sachen erhaltet, um sie mitzunehmen?“

„Von wem?“

„Von mir.“

„Von dir? Du hast ja selbst nichts, nicht einmal ein Pferd!“

„Ein Pferd werde ich mir auf den Weideplätzen der Hacienda fangen; dann kehre ich nach Mexiko zurück, und ihr sollt mich begleiten.“

„Nach Mexiko? Warum?“

„Ihr sollt mich beschützen. Es ist für einen einzelnen nicht leicht, eine solche Reise zu machen. Begleitet ihr mich und bringt ihr mich glücklich hin, so sollt ihr große Geschenke erhalten.“

„Welche Geschenke meinest du?“

„Wählt euch selbst!“

„Was hast du?“

„Ich bin ein Graf, ein großer Häuptling, und mein Vater hat alles, was ihr begehrt.“

„Hat er Waffen, Pulver und Blei?“

„So viel ihr wollt, könnt ihr haben.“

„Perlen und Schmuck für unsere Squaws?“

„Auch.“

Das schien sie zu locken.

„So begleiten und beschützen wir dich. Willst du jedem von uns ein Gewehr geben?“

„Ja.“

„Zwei Tornahawks und zwei Messer, sowie soviel Kugeln und Blei, als in unsere Tasche geht?“

„Ihr sollt dies alles haben.“

„Und ebenso viel Schmuck?“

„Ihr sollt Ketten und Ringe und Nadeln und Perlen erhalten, daß ihr zufrieden seid.“

„Howgh! Wir gehen mit dir. Aber zwei müssen sich von uns trennen.“

„Warum?“

„Sie müssen nach unsern Weidegründen gehen, um die Rächer der Comantschen zu holen.“

„Dazu ist später Zeit!“

„Nein. Die Rache darf nicht schlafen.“

„So wählt nur zwei aus. Sechs sind auch genug für mich.“

„Aber werden wir auch wirklich erhalten, was du uns versprochen hast?“

„Ich schwöre es!“

„Wir wollen es glauben. Bedenke, daß du sterben müßtest, wenn du uns belogen hättest!“

Jetzt wurden zwei ausgewählt, und zwar durch das Los, da sich keiner freiwillig erbot. Es war jedenfalls angenehmer, nach Mexiko zu reiten, um sich reiche Geschenke zu holen, als zu den Comantschen zurückzukehren, mit Schande beladen. Die übrigen sechs wählten einen Anführer unter sich; dann trennten sie sich von ihren Gefährten, um zunächst ein Pferd für den Grafen einzufangen.

Die zwei wollten es recht klug machen. Anstatt direkt nach dem Norden zu reiten, wo sie dem unglücklichen Kampfplatze nahe gekommen wären, beschlossen sie, zu ihrer Sicherheit einen Umweg zu machen. Sie bogen also nach dem südlichen Abhang des Berges EI Reparo ein, um denselben zu umreiten und dadurch jede feindselige Begegnung zu vermeiden. Sie erreichten dadurch gerade das, was sie vermeiden wollten.

Die Vaqueros hatten die Leichen der getöteten Comantschen ihrer Waffen beraubt und warfen sie dann in den Krokodilteich. Die Alligatoren hatten seit hundert Jahren keine so reichliche Beute erhalten. Dann hatten die Weißen unter Anführung der beiden Häuptlinge ihre Pferde aufgesucht und machten sich nun auf den Weg nach der Hacienda.

Eben als sie den Wald verließen und in die Ebene einbiegen wollten, hielt der Apatsche sein Pferd an.

„Ugh!“ sagte er, nach vorwärts deutend.

Sie sahen zwei Indianer gerade auf sich zukommen und kehrten also schnell unter die Bäume wieder zurück.

„Es sind Comantschen!“ sagte Büffelstirn.

„Sie werden unser!“ fügte der Apatsche hinzu.

„Und zwar lebendig. Nehmt eure Lassos zur Hand!“

Als die Comantschen nahe herangekommen waren, brachen die Vaqueros aus dem Walde hervor. Die Wilden stutzten einen Augenblick, warfen dann aber schnell ihre Pferde herum, um zu fliehen. Es half ihnen aber nichts. Die Verfolger bildeten einen Halbkreis um sie, welcher nach und nach zu einem ganzen Kreise wurde; sie wurden vollständig eingeschlossen.

Nun griffen sie zu ihren Waffen, um ihr Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. Sie verwundeten einen der Vaqueros, dann aber schlangen sich die Lassos um ihre Leiber; sie wurden von ihren Pferden gerissen.

Der Apatsche trat vor sie hin und sagte:

„Die Zahl der Comantschen ist sehr klein geworden. Sie werden von den Krokodilen gefressen. Auch euch werden sie lebendig verschlingen, nachdem wir euch die Skalpe genommen haben, wenn ihr nicht unsre Fragen beantwortet.“

Sie schauderten vor dem Tode, den ihr Häuptling erlitten hatte, und der eine fragte:

„Was willst du wissen?“

„Wie viele sind von euch übrig geblieben?“

„Acht.“

„Wo sind die andern sechs?“

„Bei dem Grafen.“

„Wo befindet sich dieser?“

„Wir wissen es nicht.“

Da zog der Apatsche sein Skalpmesser hervor und drohte:

„Wenn ihr nicht die Wahrheit redet, so nehme ich euch den Skalp bei lebendigem Leibe.“

„Und wenn wir bekennen?“

„So sollt ihr eines schnellen Todes sterben.“

„Wirst du uns den Skalp lassen und uns mit unsern Waffen begraben?“

„Ich werde es thun, obgleich die Hunde der Comantschen es nicht verdienen.“

„So frage weiter!“

Die Wilden haben den Glauben, daß, wer ohne Skalp, ohne Waffen und richtiges Begräbnis aus diesem Leben geht, dort nicht in die ewigen Weidegründe gelangen kann.

„Also, wo ist der Graf?“ fragte der Apatsche.

„Er ist nach den Weiden der Bleichgesichter, um dort ein Pferd zu stehlen.“

„Und dann?“

„Dann will er nach Mexiko, wohin ihn die sechs Comantschen begleiten sollen, um ihn zu beschützen.“

„Was hat er ihnen dafür geboten?“

„Flinten, Messer, Blei, Pulver und Schmuck für die Squaws.“

Da schüttelte der Mizteca den Kopf.

„Er braucht keinen solchen Schutz,“ sagte er. „Er könnte Weiße finden, die ihn begleiten. Entweder ist er feiger, als ich dachte, oder er führt noch heimlich etwas im Schilde. Sagt ihr die Wahrheit?“

„Wir lügen nicht.“

„Welche Richtung hat er nach den Weiden eingeschlagen?“

„Grad nach Ost.“

„Wo habt ihr euch von ihm getrennt?“

„Da wo im Norden der Berg das Thal berührt.“

„Ihr traft ihn, als ihr vor uns die Flucht ergrifft und er vom Thale kam?“

„Ja.“

„Hugh! So weiß ich, wo er gewesen ist. Ich werde seine Spur finden. Ihr habt uns geantwortet und sollt einen raschen Tod haben.“

Der Cibolero erhob seine Doppelbüchse und schoß die beiden Indianer durch den Kopf; sie hatten nicht mit den Wimpern gezuckt, als sie die todbringenden Mündungen auf sich gerichtet sahen; sie waren aber doch als Verräter gestorben.

„Sanchez und Juanito bleiben hier, um diese Comantschen mit Steinen zu bedecken, denn wir werden das Wort halten, welches wir ihnen gegeben haben,“ sagte er. „Wir andern aber folgen der Spur des Grafen, um ihn vielleicht doch noch zu erwischen.“

Sie setzten sich unter Zurücklassung der beiden Genannten in Bewegung. Es gelang den scharfen Augen Büffelstirns und Bärenherzens sehr leicht, die Spuren des Grafen nebst denen seiner sechs Begleiter aufzufinden und zu verfolgen. Sie führten allerdings auf die Weideplätze zu, welche sich jetzt nicht unter Aufsicht befanden, da sämtliche Vaqueros auf der Hacienda waren. Es stellte sich heraus, daß man ein Pferd gefangen und dann eine gerade südliche Richtung eingeschlagen habe. Hier wurde der Fährte noch eine ganze Stunde gefolgt, dann aber gebot Büffelstirn Halt.

„Jetzt nicht weiter,“ sagte er. „Wir werden auf der Hacienda gebraucht, und es steht nun wirklich fest, daß der Graf nach Mexiko geht, denn die Spur geht diese Richtung. Er wird uns nicht entgehen, denn wir werden ihn in Mexiko aufsuchen.“

Sie kehrten nach der Hacienda zurück, die sie im Fluge erreichten, da sie jetzt nicht mehr auf Spuren aufzumerken hatten.

Sie fanden dort alles noch in demselben Zustande, in dem sie es verlassen hatten. Die Vaqueros, welche zum Schutze zurückgeblieben waren, schafften die Leichen der Comantschen und die Verschanzungen mit den Kanonen hinweg. Der Haciendero kam ihnen mit einem freudigen Gesichte entgegen.

„Gott sei Dank, daß ihr kommt!“ sagte er. „Wir befanden uns bereits in großer Sorge um euch. Wie ist es gegangen?“

„Der schwarze Hirsch ist tot,“ antwortete Büffelstirn.

„Tot? Ah, ihr habt ihn besiegt?“

„Mein Bruder Bärenherz hat ihm den Skalp genommen.“

„Und die andern?“

„Auch sie sind tot. Von allen Comantschen sind nur sechs entkommen.“

„Wohin sind diese?“

„Nach Mexiko.“

„Nach Mexiko? Wilde Indianer nach Mexiko? Was wollen sie dort?“

„Sie begleiten den Grafen.“

„Ah! Ihr habt ihn gesehen?“

„Wir sahen ihn. Er hat die Gegend der Hacienda verlassen, aber er wird uns nicht entrinnen.“

„Laßt ihn!. Er ist der Herr dieses Hauses, und ich darf nicht mit ihm rechten.“

Die beiden Häuptlinge blickten ihn erstaunt an.

„Er hat die Comantschen nach der Hacienda geführt!“ sagte Büffelstirn.

„Ich bin kein Indianer!“ antwortete Arbellez.

Pshaw! Die Weißen haben kein Blut in ihren Adern! Vergebt ihr dem Grafen; ich habe nichts dawider; aber ich selbst habe ein Wort mit ihm zu sprechen!“

„So glaubt ihr also, daß wir jetzt sicher sind?“ fragte Arbellez.

„Ja.“

„So können wir zu unserem friedlichen Leben zurückkehren. Wo aber begraben wir die Leichen?“

Über das Angesicht des Mizteca glitt ein unbeschreiblicher Zug.

„Nicht in der Erde,“ sagte er.

„Wo sonst?“ fragte Arbellez erstaunt.

„Im Bauche der Krokodile.“

„Oh! Das ist nicht christlich!“

„Ich bin kein Christ, und die Comantschen sind auch keine Christen. Sie sind Feinde der Miztecas, und die Alligatoren der Miztecas haben lange Zeit gehungert. Soll die Hacienda mit diesen Leichen verpestet werden?“

„Hm, das ist richtig! Thut also, was ihr wollt!“

„Kann ich meine zwanzig Vaqueros für heute behalten?“

„Wozu?“

„Sie sollen diese toten Comantschen nach dem Teiche der Krokodile bringen.“

„Behalte sie, wenn es sicher ist, daß wir nicht überfallen werden.“

„Wie steht es mit unserm Bruder Donnerpfeil?“

„Er ist endlich aufgewacht.“

„So werden wir ihn einmal sehen.“

Die beiden Häuptlinge traten in das Haus. Der Mizteca führte den Apatschen in das Zimmer seiner Schwester, wo er das Gold und Geschmeide untergebracht hatte, welches für Helmers bestimmt war. Sie fanden Karja dort. Sie lag in einer Hängematte und stierte still vor sich hin. Als sie die beiden Eintretenden bemerkte, sprang sie empor und fragte:

„Ihr kommt! Ihr seid Sieger?“

„Ja.“

„Und er? Haben ihn die Krokodile?“

„Nein,“ antwortete Büffelstirn, sie scharf beobachtend.

„Nicht?“ Ihr Gesicht verfinsterte sich, und sie fragte: „So habt ihr ihn entkommen lassen, ihn, der meiner Rache verfallen ist?“

Büffelstirn war befriedigt. Er sah, daß sie nur an Rache dachte. Er antwortete:

„Die Hunde der Comantschen haben ihn befreit und meinen Bruder, den Häuptling der Apatschen, an seine Stelle gebunden, damit er von den Krokodilen gefressen werde.“

Die Indianerin blickte den Apatschen erstaunt an. Sie sah mehrere neue Skalpe an seinem Gürtel; sie hatte jetzt zum ersten Male ein Auge für die kriegerisch schöne Erscheinung Bärenherzens, und bei dem Gedanken, daß er von den Krokodilen habe zerrissen werden sollen, überkam sie ein Gefühl, wie sie es bisher noch nie empfunden hatte. Sie erbleichte.

„Den Häuptling der Apatschen? Aber er steht doch unversehrt hier!“ sagte sie.

„Er hat sich selbst befreit und dann die Comantschen besiegt.“

Was in diesen Worten lag, das begriff sie als Indianerin nur zu gut.

„Er ist ein Held!“ sagte sie, indem unwillkürlich ihr Blick voll Bewunderung auf den Apatschen fiel. „Und dieser Graf ist also entkommen?“

„Er ist nach Mexiko.“

„Zu seinem Vater?“

„Ja. Es sind sechs Comantschen bei ihm, um ihn zu geleiten.“

Da streckte sie sich empor und fragte:

„Und du lässest ihn unbelästigt reiten? Gieb mir ein Pferd; ich werde ihm folgen und ihn töten!“

Da lächelte Büffelstirn. So gefiel ihm die Schwester.

„Bleibe!“ sagte er. „Er entkommt uns nicht. Ich werde ihm folgen.“

„Du tötest ihn, wo du ihn triffst?“

„Ja. Er hat die Tochter der Miztecas beschimpft und soll von meiner Hand fallen.“

„Oder von der meinigen,“ sagte der Apatsche ernst.

„Uff! Mein Bruder will mich nach Mexiko begleiten?“ fragte der König der Ciboleros.

Bärenherz blickte in das Gesicht der Indianerin und sah, in welchem Lichte der Blick ihres Auges auf ihm ruhte. Er antwortete: „Karja ist die Schwester des Apatschen; sie soll gerächt werden!“

Er hielt beiden zur Beteuerung die Hände entgegen; sie ergriffen dieselben und drückten sie.

„Bärenherz ist wirklich der Bruder und Freund des Häuptlings der Miztecas; er mag mit mir gehen,“ sagte Büffelstirn, „sobald ich hier fertig bin. Jetzt aber komme er mit zu unsrem weißen Freunde, den ich besuchen will!“

Er, Bärenherz und Karja nahmen die Decken, in welche die Kostbarkeiten gehüllt waren, und trugen sie nach dem Zimmer des Kranken. Dieser lag zwar mit verbundenem Kopfe, aber offenen und hellen Auges in seinem Bette und streckte ihnen die Hände grüßend entgegen. Der Haciendero und seine Tochter saßen bei ihm.

„Ich habe lange, lange ohne Besinnung gelegen,“ sagte er. „Der Keulenhieb muß ein sehr kräftiger gewesen sein. Es ist ein Wunder, daß ich noch lebe oder wieder lebe.“

„Hat mein Bruder große Schmerzen?“ erkundigte sich Bärenherz.

„Eigentliche Schmerzen nicht; der Kopf brummt mir sehr; das ist alles. Wie steht es mit den Comantschen, und wie ist es am Teiche der Krokodile gegangen?“

Sie setzten sich und erzählten ihm ausführlich den Verlauf. Dann gaben sie ihm auch ihre Absicht kund, den Grafen zu verfolgen und, wenn nicht schon unterwegs, so doch dann in der Hauptstadt Rache an ihm zu nehmen. Er hörte ihnen aufmerksam zu und fragte dann:

„Ihr wollt ihn also doch noch töten?“

„Ja,“ antwortete Büffelstirn; „aber vorher werde ich ihn zwingen, sein Versprechen zu halten.“

„Welches?“

„Karja, meine Schwester, zu seiner Frau zu machen. Sie wird mit uns nach Mexiko gehen.“

„Ah! Ist es so!“

„Ja. Man verlobt sich nicht mit einer Tochter der Miztecas und läßt sie dann im Stiche. Sie stammt von alten Königen ab, gegen welche ein weißer Graf nichts, gar nichts ist.“

„So willst du sie zum Weibe des Grafen und dann sogleich zu seiner Witwe machen?“

„Ja.“

„Das wird mein Bruder nicht thun!“

„Warum nicht? Ich habe es beschlossen und werde es also ausführen.“

„Kennst du die Gesetze der Bleichgesichter?“

„Was gehen mich ihre Gesetze an!“

„In diesem Falle viel, sehr viel. Du würdest keinen Priester finden, der es wagte, diese Ehe zu schließen.“

„Ich zwinge ihn!“

„Da gilt sie nachher nichts. Karja ist keine Christin und kann also nicht das Weib eines Christen werden.“

„Ist das wahr?“

„Ja.“

„Uff, uff! So werde ich diesen Vorsatz aufgeben müssen; aber sterben muß er desto sicherer. Darf ich dir zeigen, was ich dir mitgebracht habe?“

Helmers nickte, und da wurden die Decken aufgerollt. Das Gold und die Kostbarkeiten kamen zum Vorscheine.

„Das ist der Teil des Königsschatzes, den ich dir versprochen habe,“ sagte Büffelstirn. „Du konntest ihn nicht selbst nehmen, So habe ich ihn dir mitgebracht.“

„Wirklich, also wirklich? Dein Versprechen war ernst, und all dieser Reichtum soll mir gehören?“

Es war sonderbarerweise kein Blick des Entzückens, den er über die funkelnden Schätze gleiten ließ.

„Er ist dein,“ antwortete der Mizteca. „Du bist nun eins der reichsten Bleichgesichter. Aber dein Auge bleibt ruhig, und dein Gesicht erhellt sich nicht! Hast du keine Freude?“

„O, ich freue mich sehr, sehr, zwar nicht um meinetwillen, denn ich will ein Westmann bleiben und lebe als solcher nicht vom Golde, aber um meines Bruders willen. Du wirst durch dieses Geschenk ein Wohlthäter vieler Menschen werden, denn es wird nicht bloß meinem Bruder, sondern auch den Witwen und Waisen, den Armen und Kranken meines deutschen Vaterlandes gehören. Mir hätte es fast das Leben gekostet; das Gold ist ein teures und gefährliches Metall, und ich verstehe es, daß die roten Krieger nichts von ihm wissen mögen. Aber noch kann ich nicht sagen, ob ich dieses Geschenk annehmen oder zurückweisen werde.“

„Warum? Welche Gründe könntest du haben, es zurückzuweisen?“ fragte der Mizteca erstaunt.

Der Deutsche strich sich mit der Hand langsam und nachdenklich über das Gesicht, sah seine beiden roten Freunde forschend an und antwortete dann:

„Die beiden Häuptlinge, Bärenherz und Büffelstirn, werden meine Worte vielleicht nicht ganz begreifen, denn sie gehören zu den strengen, roten Kriegern, welche gewöhnt sind, sich nur nach dem Gesetze der Vergeltung zu richten. Ich aber denke anders, weil ich ein Schüler und Freund von Winnetou und Old Shatterhand geworden bin, welche nach den Forderungen der Milde und Verzeihung handeln. Auch ich weiß, daß ein Krieger im Augenblicke, wo es gilt, nicht zaudern darf, den Gegner zu vernichten, und als es sich darum handelte, Karja und Sennorita Emma zu befreien und zu beschützen, habe ich unbedenklich auf die Comantschen geschossen; jetzt aber ist die Gefahr vorüber; die Feinde sind besiegt, und weiteres Blutvergießen würde nicht nur unnötig, sondern sogar unmenschlich sein. Von zweihundert Comantschen haben sich nur einige retten können; ist da nicht Blut genug geflossen? Und selbst die Toten sollen nicht in der Erde, sondern im Magen der Krokodile begraben werden? Ist das nicht streng genug, ist das nicht mehr als streng gehandelt? Hat der Graf euch getötet, euer Blut vergossen? Warum wollt ihr das seinige haben? Waren die Augenblicke, als er über den Krokodilen hing, nicht schlimmer als der Tod? Ich glaube, er hat damit genug gebüßt.“

„Genug gebüßt? –“ fragte der Mizteca.

Er wollte weitersprechen; Helmers aber fiel schnell ein:

„Mein Bruder mag jetzt nichts sagen, sondern mich erst anhören. Wenn der Graf sich weiter gegen euch vergeht, so tötet ihn; ich habe dann nichts dagegen; jetzt aber wünsche ich, daß ihr ihn nicht verfolgt; ich bitte euch darum. Falls ihr mir diesen Wunsch erfüllt, werde ich dein Geschenk annehmen, sonst aber nicht.“

„Wirklich nicht?“

„Nein. Du weißt, daß ich dieses mein Wort halte. Laßt mich nicht lange in Ungewißheit darüber, sondern beratet euch. Mit der Erfüllung meiner Bitte macht ihr mir keine geringere Freude als mit dem Golde, an welchem das Blut so vieler Menschen hängt.“

„Uff! Mein Bruder will es so haben, und so werden wir uns sogleich beraten und dann wiederkommen.“

Er stand auf und ging mit seiner Schwester und dem Apatschen fort. Emma Arbellez reichte dem Deutschen die Hand und sagte:

„Das war edel von Euch, Sennor! Ihr habt mir aus dem Herzen gesprochen, und ich danke Euch! Ich werde diesen drei Leuten jetzt nachgehen, um ihnen dieselbe Bitte auszusprechen. Was zwei wünschen, das wird wohl leichter erfüllt, als was nur einer wünscht.“

Sie ging, und ihr Vater begleitete sie. Schon nach einer Viertelstunde kamen sie alle wieder, und Büffelstirn erklärte dem ihn mit Spannung anblickenden Deutschen:

„Du hast gesiegt, und die Namen Winnetous und Old Shatterhands haben dich dabei unterstützt; auch die Sennorita hat uns gebeten, und so wollen wir die Rache ruhen lassen. Büffelstirn, der Häuptling der Miztecas, hat noch nie etwas, was er thun wollte, unausgeführt gelassen; es geschieht heut zum erstenmal. Es soll kein Blut weiter fließen, und du kannst also das Gold des Königsschatzes von mir annehmen. Willst du das?“

„Ja. Es hängt das Leben vieler Menschen daran; mag es nun noch viel, viel mehr Menschen Glück und Segen bringen. Ich danke euch!“ –

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