Der „General“

Wenn wir die Zeit, an welcher Vupa Umugi die hundert Bäume verlassen hatte, mit der vergleichen, an der wir dort fortgeritten waren, und dazu annehmen, daß er seine Pferde wegen der jetzt herrschenden Tageswärme nicht allzusehr angriff, so konnten wir uns leicht den Vorsprung berechnen, den er vor uns hatte. Da wir schnell ritten, glaubten wir, ihm höchstens zwei Stunden nach Mittag so nahe zu sein, daß wir seine Comantschen sehen konnten.

Dies war aber nicht der Fall. Als uns der Stand der Sonne sagte, daß es schon über drei Uhr sei, hatten wir die Roten noch nicht zu Gesicht bekommen; aber ihre Fährte war so neu, daß sie nicht mehr als drei englische Meilen vor uns sein konnten. Wir trieben unsre Pferde zum Galoppe an, und bald zeigte mir mein Fernrohr am südöstlichen Horizonte einen kleinen Trupp von Reitern, welche sich augenscheinlich nach den eingesteckten Stangen richteten, indem sie genau unsre Richtung hatten.

„Sollten das die Naiini sein?“ fragte Old Surehand zweifelnd.

„Sicher,“ antwortete ich.

„Hm! Ich möchte nicht darauf schwören!“

„Warum? Glaubt Ihr, daß es außer uns und ihnen noch andre Leute giebt, die hier im Llano reiten?“

„Wäre das so unmöglich?“

„Nein; aber sie halten sich an die Stangen.“

„Das beweist nichts.“

„O doch! Sie reiten nach Südosten, müssen also von Nordwest gekommen sein, also daher, woher auch wir kommen; wir müßten sie also gesehen haben.“

„Vielleicht kommen sie von Norden und bogen nach den Pfählen ein.“

„Nein; es sind die Comantschen.“

„Aber die zählen doch anderthalb Hundert!“

„Thut nichts! Es ist die Nachhut.“

„Glaubt Ihr, daß Vupa Umugi eine Nachhut zwischen sich und uns gesetzt hat?“

„Ja.“

„Warum?“

„Sie sollen aufpassen und ihm unsre Ankunft melden. Wenn ich unsre sage, so sind natürlich nicht wir, sondern die Dragoner gemeint, die er hinter sich glaubt; denn von uns und unsern Apatschen hat er keine Ahnung.“

„Diese Ansicht hat allerdings etwas für sich.“

„Sie hat nicht nur etwas, sondern alles für sich; sie ist unzweifelhaft richtig. Ihr werdet das sofort sehen, wenn wir ihnen so nahe gekommen sind, daß sie uns mit bloßen Augen zu erkennen vermögen.“

Well; wollen es versuchen.“

Wir ritten jetzt noch schneller als vorher, und es zeigte sich bald, daß ich recht gehabt hatte; denn als wir sie mit den Augen erreichen konnten, hielten sie für einige Augenblicke an; sie hatten uns jetzt auch gesehen und setzten dann ihre Pferde in Galopp, so daß sie unsern Blicken sehr schnell verschwanden. Sie wollten augenscheinlich Vupa Umugi melden, daß die Dragoner kämen. Für diese hielten sie uns, weil sie aus solcher Entfernung uns weder einzeln erkennen noch zählen konnten. Uns konnte diese Eile nur lieb sein, weil wir dadurch mit der Nacht den Punkt auf unsrer Reitlinie erreichten, welcher der Oase am nächsten lag. Als wir später auf demselben ankamen, war es mittlerweile Nacht geworden. Wir durften nicht weiter, denn es war anzunehmen, daß die Comantschen nun ihr Lager beziehen würden, und es konnte nicht unsre Absicht sein, jetzt schon mit ihnen zusammenzutreffen. Wir hatten von hier aus bis zu dem Kaktusfelde, in welchem wir sie fangen wollten, noch einen tüchtigen Tagesritt zu machen. Ich ließ also fünf Apatschen als Posten hier und ritt mit den andern nach der Oase, welche wir nach einer Stunde erreichten.

Winnetou war mit seinen Apatschen natürlich noch nicht dorthin zurückgekehrt, und Bloody-Fox, der ihren Führer machte, fehlte auch. Parker und Hawley waren nicht damit einverstanden, daß sie so lange müßig zu liegen gehabt hatten, und ich vertröstete sie auf morgen früh, wo sie sich uns anschließen sollten. Als sie sahen, daß Old Wabble fehlte, fragte Parker:

„Wo ist denn der alte Cow-boy, Sir? Warum läßt er sich nicht sehen?“

„Den haben wir leider nicht mit,“ antwortete ich.

„Habt Ihr ihn bei den Posten zurückgelassen?“

„Nein. Er befindet sich bei Vupa Umugi und seinen Naiini-Comantschen.“

„Bei denen? Ist er ihnen als Kundschafter nachgeritten?“

„Auch das nicht. Er befindet sich nicht hinter, sondern bei ihnen.“

„Bei ihnen? Wer soll das begreifen?“

„Ihr werdet es gleich begreifen, wenn ich sage, daß er ihr Gefangener ist.“

„Ihr Gefangener? Alle Teufel! Ist’s wahr?“

„Ja, leider!“

„Hat er wieder eine seiner Dummheiten gemacht?“

„Und was für eine! Er konnte uns den ganzen Streich verderben; an ihm liegt es nicht, daß es uns gelungen ist, unsern Plan auszuführen.“

„Recht so, recht so! Das ist Euch ganz recht, Mr. Shatterhand!“

„Wieso? Ihr scheint Euch gar zu freuen!“

„Allerdings. Ich ärgere mich und freue mich. Warum habt Ihr ihn mitgenommen! Ihr seid aber so verliebt in den alten, unvorsichtigen Kerl, daß er Dummheit über Dummheit machen kann, ohne daß es Euch einfällt, das zu thun, was das allein Richtige sein würde.“

„Was?“

„Ihn zum Teufel zu jagen.“

„Das werde ich jetzt nun thun.“

„Das habt ihr gar nicht mehr nötig, denn dazu ist’s nun zu spät.“

„Warum?“

„Er ist ja doch schon fort.“

„Aber er kommt wieder.“

„Ihr wollt ihn befreien?“

„Selbstverständlich!“

„Hm, ja! Stecken lassen können wir ihn freilich nicht; aber ich gebe Euch wirklich und allen Ernstes den guten Rat, ihn fortzujagen, sobald wir ihn herausgeholt haben; er bringt uns sonst noch in ein Unglück, aus dem wir uns nicht herausarbeiten können. Ihr habt es aber auch nur immer auf ihn abgesehen. Immer muß er bei Euch sein, während Ihr doch genau wißt, daß man sich nicht auf ihn verlassen kann. Dagegen ich und Jos Hawley, wir beide werden zurückgesetzt und müssen hier warten und Grillen fangen, während Ihr alles auf Euch nehmt und bald hierhin, bald dorthin reitet, um die schönsten Abenteuer zu erleben. Ihr könnt Euch doch denken, daß uns das ärgert. So zuverlässig wie Old Wabble sind wir jedenfalls auch!“

„Na, na, das klingt ja grad wie ein Vorwurf, Mr. Parker!“

„Das ist es auch; das soll es auch sein! Wir leben doch auch und befinden uns nicht im wilden Westen, um Fliegen zu fangen und Regenwürmer zu jagen. Ihr müßt zugeben, daß wir bisher stets zurückgesetzt worden sind.“

„Seid doch froh, wenn ich Euch nicht zumute, Euch an etwas zu beteiligen, wobei Ihr Euer Leben auf das Spiel setzen müßt!“

„Unser Leben! Ist das etwa mehr wert als das Eurige? Oder haltet Ihr uns für furchtsame Menschen? Das müssen wir uns verbitten!“

Er hätte wohl noch länger räsonniert, wenn nicht jetzt der Neger Bob gekommen wäre. Als dieser uns sah, rief er voller Freude aus:

„Oh, ah, Massa Shatterhand und Massa Surehand wieder da! Masser Bob wissen gleich, was thun: Stiefel bringen. Soll Bob Stiefel holen?“

„Ja, wir wollen machen, daß wir die Mokassins wieder los werden.“

Er rannte fort und holte die Stiefel, welche wir gegen die Indianerschuhe umtauschten. Als dies geschehen war, fragte ich Bob:

„Wie steht es mit Schiba-bigk? Er ist doch noch da?“

Er zog eines seiner unbeschreiblichen Gesichter und antwortete:

„Nicht mehr da.“

„Was? Nicht?“

„Nein. Schiba-bigk sein fort.“

Dabei lachte er am ganzen Gesichte und riß den Mund so weit auf, daß man zwischen den prächtigen Zahnreihen hindurch bis hinter an den Gaumen sehen konnte. Er wollte sich einen kleinen Spaß mit mir machen. Ich ging auf denselben ein, indem ich scheinbar erschrocken fragte:

„Fort? Er ist doch nicht etwa entflohen?“

„Ja, sein entflohen.“

„Höre, Bob, das kostet dir das Leben! Ich erschieße dich, wenn er wirklich entflohen ist. Du hast mit deinem Kopfe für ihn zu haften!“

„Also Massa Shatterhand Masser Bob erschießen. Schiba-bigk fort, ganz fort. Massa Shatterhand kommen und sich überzeugen!“

„Ja, ich werde mich überzeugen. Hier steckt die Kugel, die ich dir in den Kopf schieße, wenn er nicht in der Stube ist.“

Ich zog den Revolver und streckte ihm denselben entgegen. Dann gingen wir nach dem Hause. Er öffnete die Thür, zeigte in das Innere und sagte:

„Hier hineinsehen! Niemand drin!“

Was ich sah, war ein Anblick, der mich fast hätte zum Lachen bringen können. Der junge Häuptling lehnte an der Wand und starrte mit vor Wut blitzenden Augen zu uns her. Eigentlich lehnte er nicht direkt an der Wand, sondern es befand sich noch etwas zwischen ihm und ihr. Dieses Etwas waren acht lange Stangen, welche der Neger wie einen Stern zusammengelegt und mit Riemen vereinigt und dem Roten auf den Rücken gebunden hatte. Dieser Stern war so groß, daß er seinem Träger vom Boden aus weit über den Kopf und auch weit zu beiden Seiten hinausragte. Ja, mit ihn, auf dem Rücken, war es Schiba-bigk unmöglich, zur Thür hinauszukommen; er hätte es stehend oder kriechend oder in sonst einer Stellung versuchen können, er wäre stets und unbedingt hängen geblieben. Bequem konnte das Ding freilich nicht für ihn sein, und das war wohl der Grund des Ärgers, mit welchem er uns ansah.

„Er ist ja da; dort steht er ja!“ sagte ich zu Bob, indem ich mich überrascht stellte.

„Ja, er da!“ lachte er mich fröhlich grinsend an.

„Also nicht entflohen!“

„Nein.“

„Du sagtest es aber doch!“

„Oh, oh! Bob nur machen Spaß, schönen Spaß! Bob doch nicht werden fliehen lassen Indianer, wenn er soll aufpassen auf ihn!“

„Aber was hast du ihm da auf den Rücken gebunden?“

„Massa Shatterhand es doch sehen! Indianer soll nicht werden hauen und schlagen, auch soll nicht werden erstechen oder erschießen, und Masser Bob ihn doch nicht fortlassen. Da Masser Bob sein klug und pfiffig und ihm binden acht lange Stangen auf Buckel.“

„Hm! Hat er es denn geduldet?“

„Er nicht wollen; da aber Masser Bob sagen, daß ihm geben viel Maulschellen, und er dann haben ganz sehr ruhig machen lassen. Sein Masser Bob da nicht klug und pfiffig wie Fliege auf Nase?“

Ich konnte ihm auf diese höchst selbstbewußte Frage nicht antworten, denn Schiba-bigk rief mir jetzt zornig zu:

„Uff! Mein weißer Bruder mag mich sogleich von diesen Stangen befreien!“

„Warum?“ fragte ich ruhig.

„Ist es eines Häuptlings würdig, ihn in dieser Weise zu quälen?“

„Du bist hier nicht Häuptling, sondern Gefangener.“

„Ich kann weder sitzen noch liegen.“

„So mußt du eben stehen.“

„Ich denke, Old Shatterhand behandelt selbst seine Feinde so, als ob sie seine Freunde seien!“

„Ich bin dein Freund. An dieser Thatsache ändern die Stangen, welche du auf dem Rücken trägst, nichts.“

„Aber es ist eine Qual!“

„Ich denke, du achtest Schmerzen nicht!“

Pshaw! Schmerzen sind es nicht, die ich leide. Warum hast du dem Nigger den Befehl gegeben, dies mit mir zu thun?“

„Ich habe es ihm nicht befohlen.“

„So hat er es aus eigenem Antriebe gethan?“

„Ja.“

„So werde ich ihn töten, sobald ich wieder frei geworden bin!“

„Das wirst du nicht!“

„Ich werde es!“

„Dann wirst du nie wieder frei sein! Ich habe ihm geboten, dich loszubinden und gut zu behandeln. Hast du gehungert?“

„Nein.“

„Oder gedürstet?“

„Nein.“

„So hast du also alles gehabt, was du brauchtest. Worüber kannst du dich da beschweren?“

„Darüber, daß er mir diese Stangen auf den Rücken gebunden hat. Das thut man mit keinem Häuptlinge der Comantschen!“

„Wo steht das geschrieben, oder wer hat das gesagt? Sprechen etwa die alten Wampums oder Überlieferungen der Comantschen davon? Nein! Daß man es thut, das hast du jetzt an dir selbst erfahren. Und wer ist schuld daran, daß es geschehen ist? Du selbst!“

„Nein.“

„Doch! Du hast gesagt, daß du fliehen werdest, sobald sich dir eine Gelegenheit dazu biete. Der Neger mußte dich bewachen und hat dir durch die Stangen diese Gelegenheit genommen. Du mußt einsehen, daß er nichts als seine Pflicht gethan hat.“

„Aber er hat mich dadurch lächerlich gemacht! Ich will lieber große Schmerzen erleiden als diese Stangen tragen!“

„Das hat er sich freilich nicht sagen können; er hat es gut gemeint. Hättest du mir dein Wort gegeben, nicht zu entfliehen, so könntest du draußen im Freien sitzen und alle die Ehren genießen, welche einem Häuptling gebühren.“

„Ich darf dies Wort nicht geben!“

„Du darfst!“

„Nein!“

„Du darfst es thun, weil deine Weigerung dir gar nichts nützen und fruchten könnte.“

„Ich würde unsre Krieger aufsuchen und sie warnen!“

„Du würdest sie nicht finden!“

„Ich finde sie!“

„Nein. Du weißt nicht, wo sie sich befinden.“

„Ich weiß es!“

„Nein, du hast ja gar keine Ahnung von dem, was heut wieder geschehen ist.“

„Darf ich es nicht erfahren?“

„Eigentlich nicht; aber ich will es dir dennoch sagen. Aus dieser Aufrichtigkeit magst du ersehen, daß wir unsrer Sache sicher sind und daß die Flucht gar keinen Vorteil für dich brächte.“

„So sprich!“

„Glaubst du zunächst, daß wir euern Plan durchschauen?“

„Ich weiß, daß ihr ihn kennt.“

„Ihr wolltet die weißen Reiter in die Irre führen und bei dieser Gelegenheit die Oase hier in Besitz nehmen. Du rittest voran, um Vupa Umugi den Weg hierher zu zeigen. Dann wolltet Ihr die Stangen anders stecken und die Bleichgesichter hinter euch herlocken. Nach ihnen sollte Nale Masiuv kommen, um sie einzuschließen und ihnen den Rückweg zu verlegen. Ist es so?“

„Mein weißer Bruder hat es erraten.“

„Ja, ich muß es sehr genau wissen, sonst würdest du es nicht in dieser weise eingestehen. Nun aber weißt du am allerbesten, daß wir dich gefangen genommen haben, noch ehe du damit fertig warst, Vupa Umugi den Weg hierher zu zeigen.“

„Ich weiß es.“

„Du hast auch gesehen, daß Winnetou mit fünfzig Apatschen fortgeritten ist, um die Stangen zu entfernen und in falscher Richtung anzubringen?“

„Ich sah es.“

Well. Wir sind dann von hier fortgeritten, um die Krieger der Comantschen zu beobachten. Als wir bei den hundert Bäumen ankamen, sahen wir, daß Winnetou seine Sache sehr gut gemacht hatte. Die Stangen steckten in einer Richtung, durch welche Vupa Umugi mit seinen Leuten in die Einöde geführt wird, wo es kein Wasser giebt.“

„Uff!“

„Ja, ich will dir sogar mit noch größerer Aufrichtigkeit sagen, daß wir ihm eine noch weit gefährlichere Falle gestellt haben, als du dir vielleicht denken wirst. Die Stangen werden ihn morgen mitten in ein großes, undurchdringliches Kaktusfeld führen, aus welchem kein Entrinnen ist. Der Weg führt ihn hinein, aber nicht wieder heraus.“

„Uff!“

„Er wird länger als eine Stunde reiten, bis er in die Mitte dieses großen Kaktusfeldes kommt. Da ihn die Stangen in diese Falle leiten, wird er denken, du habest sie gesteckt, und ihnen folgen. Er wird annehmen, daß dieser Weg ihn wieder in das Freie bringe; aber dieser Weg hört plötzlich auf, und eure Krieger können weder nach vorn noch nach einer Seite weiter. Es bleibt ihnen nichts übrig, als umzukehren. Aber sobald sie sich wenden, sehen sie uns mit dreihundert Apatschen hinter sich. Wir halten den Weg besetzt und lassen sie nicht wieder heraus.“

„Uff!“

Er stieß dieses eine Wort nun zum drittenmal aus. Er war so eingeschüchtert, daß er nichts andres zu sagen wußte.

„Sag mir nun, was eure Krieger machen werden?“ fuhr ich fort.

„Sie werden sich verteidigen.“

„Wie wollen sie das anfangen?“

„Sie werden auf euch schießen.“

„Glaubst du?“

„Ja. Sie sind tapfere Krieger, denen es nicht einfallen wird, sich ohne Widerstand zu ergeben.“

„Das sagst du, weil du dich hier in diesem Hause befindest und nicht in der betreffenden Falle steckst. Der Weg, welcher in den Kaktus führt, ist sehr schmal; es finden nur wenige Reiter nebeneinander Platz. Wenn sich eure Krieger umgedreht haben und auf uns schießen wollen, können sie nicht Front gegen uns machen, sondern werden in einer langen, schmalen Linie hintereinander halten, so daß nur die Vordersten auf uns schießen könnten. Und wenn sie das dennoch thäten, es würde uns keine von ihren Kugeln erreichen.“

„Meinst du, daß sie so schlechte Schützen sind?“

„Nein. Aber wir haben, wie du weißt, Gewehre, die viel weiter reichen als die ihrigen. Dadurch können wir sie so fern von uns halten, daß es ihnen unmöglich ist, uns zu treffen.“

„Uff!“

„Sie werden also mitten im Kaktus stecken, ohne uns den geringsten Schaden thun zu können.“

„Und ihr? Was werdet ihr thun?“

„Wir werden einfach warten, bis sie sich ergeben. Wir haben Wasser; sie aber haben keins.“

„Und wenn sie sich nicht ergeben?“

„So müssen sie verschmachten.“

Da ging ein leises Lächeln über sein Gesicht, und er sagte:

„Old Shatterhand ist ein kluger Mann, aber an alles kann er doch nicht denken!“

„Meinst du? Kennst du für die Comantschen einen Weg, uns zu entkommen?“

„Ja.“

„Einen Weg, den ich nicht kenne?“

„Wenn du an ihn gedacht hättest, würdest du ganz anders sprechen. Howgh!“

Seine Züge hatten den Ausdruck der Zuversichtlichkeit angenommen. Es war kein Zweifel, er hatte einen Einfall, auf welche Weise die Comantschen uns entgehen könnten. Und diesen Einfall hielt er für vortrefflich, wie das Wort Howgh bezeugte, welches hier einen Ausruf der Versicherung bedeutete.

„Howgh?“ fragte ich. „Bist du deiner Sache so gewiß?“

„Ja.“

„Welchen Weg meinst du denn?“

„Hält Old Shatterhand mich für so unklug, es ihm zu sagen?“

„Nein. Du brauchst es mir nicht zu sagen, denn ich weiß es bereits. Wenn du glaubst, Old Shatterhand habe nicht an alles gedacht, so irrst du dich. Ich dächte, du müßtest mich da kennen.“

„So sage doch, was ich meine!“

„Warte noch! Selbst wenn du einen Rettungsweg für eure Krieger wüßtest, an den ich nicht denke, müßtest du dich doch fragen, ob sie auch auf den Gedanken kommen werden, den du für so vortrefflich hältst.“

„Sie kommen sicher darauf!“

„Schön! Da nehmen wir sie natürlich nicht bloß von vorn, sondern auch von hinten.“

„Uff!“

Dieser Ausruf klang wie Schreck.

„Nun?“ fragte ich lächelnd. „Hat Old Shatterhand wirklich nicht an alles gedacht?“

„Ich – – weiß – – es nicht,“ antwortete er zögernd.

„Aber ich weiß es; ich kenne den Rettungsweg, der leider nur in deiner Einbildung lebt. Du hast dir im stillen gesagt: Wenn die Comantschen mitten im Kaktus stecken, so brauchen sie doch nicht die Hoffnung zu verlieren; sie haben ja ihre Messer mit, mit deren Hilfe sie sich einen Weg aus der Falle bahnen können. Habe ich recht oder nicht?“

„Uff, uff!“ antwortete er niedergeschlagen.

„Ja, du hast dich jetzt für sehr klug gehalten. Aber bedenke, wie lange es dauern würde, ehe ein solcher Weg fertig würde! Er würde schmal sein, und es könnten also nur wenige daran arbeiten. Es vergingen Tage darüber! Und denkst du, daß wir dabei ruhig zusehen würden?“

Er schwieg.

„Ich würde unsre Leute teilen und die Hälfte nach der andern Seite des Kaktus schicken, um auf diese Weise eure Krieger zwischen uns zu bekommen. Wir könnten auch noch viel kürzern Prozeß machen und alle Comantschen in wenig Minuten vernichten, ohne daß es uns einen Schuß kostet.“

„Wie?“

„Wir brennen den Kaktus an.“

„Uff! Da müßten doch alle unsre Krieger verbrennen!“

„Allerdings!“

„So etwas thut Old Shatterhand nicht!“

„Poche nicht so sicher auf meine Güte!“

„Nein, nein, das thut er nicht!“

„Mag sein! Ich wollte dir damit nur sagen, daß es keine Rettung für eure Krieger giebt; sie können uns nicht entgehen.“

„Ja, wenn ihr sie in dieser Weise einschließt, so müssen sie sich ergeben; aber ihr werdet sie nicht so umzingelt halten können.“

„Wirklich?“

„Ihr werdet von der Falle fort müssen.“

„Warum?“

„Hast du denn ganz vergessen, daß Nale-Masiuv kommen wird? Denkst du denn nicht an ihn?“

„Oh, ich habe ihn nicht vergessen.“

„So weißt du, daß er euch nachfolgt. Er ist dann hinter euch, und vor euch habt ihr Vupa Umugi; ihr steckt zwischen ihnen und befindet euch dann in einer ebenso schlimmen Falle, wie diejenige ist, in welche ihr Vupa Umugi locken wollt. Old Shatterhand wird mir recht geben.“

Sein Gesicht hatte wieder einen zuversichtlicheren Ausdruck angenommen. Ich antwortete:

„Leider kann ich dir nicht das Vergnügen machen, dir recht zu geben. Es ist inzwischen etwas geschehen, was du noch nicht erfahren hast. Und selbst wenn die Lage genau so wäre, wie du sie dir denkst, würdest du dich verrechnet haben, denn Nale-Masiuv würde nicht hinter uns kommen.“

„Doch!“

„Nein. Vor ihm kommen die weißen Kavalleristen; das hast du vergessen.“

„Uff!“ klang es enttäuscht.

„Siehst du ein, daß alle deine Gedanken falsch sind, während Old Shatterhand ganz richtig denkt? Auch wenn heut gar nichts dazwischen gekommen wäre, könnten wir Vupa Umugi ganz ruhig eingeschlossen halten, ohne uns an Nale-Masiuv zu kehren; diesem wäre es unmöglich, uns zu stören, denn ihn würden die Dragoner auf sich nehmen.“

„Uff, uff!“

„Aber so weit wird es gar nicht kommen. Mein junger Bruder hat mich vorhin unterbrochen, als ich von den hundert Bäumen sprach. Wir lagerten versteckt in der Nähe derselben und sahen Vupa Umugi kommen. Er hatte keine Ahnung von unsrer Anwesenheit und hielt es also nicht für nötig, Vorsichtsmaßregeln zu treffen. Darum gelang es mir und Old Surehand, uns in sein Lager zu schleichen und ihn wieder einmal zu belauschen. Als wir genug gehört hatten, entfernten wir uns, ohne entdeckt worden zu sein. Früh zog er mit seinen Comantschen fort, den Stangen nach, die Winnetou für ihn errichtet hatte.“

„Nach welcher Richtung?“

„Mein junger Bruder fragt sehr schlau; Old Shatterhand wird nicht weniger klug sein und ihm nicht antworten.“

„Wenn du es auch sagtest, könnte es uns doch nichts nützen!“

„Oh doch! Wenn es dir gelänge, heut noch zu entfliehen, wüßtest du dann, in welcher Gegend du eure Krieger zu suchen hättest. Du wirst es also nicht erfahren. Ich freue mich übrigens außerordentlich darüber, daß du deinen ganzen Scharfsinn aufbietest, mich trotz aller Hoffnungslosigkeit zu überlisten. Ich spreche weiter: Als Vupa Umugi fort war, kamen die weißen Soldaten nach den hundert Bäumen. Was denkst du, was ich da gethan habe?“

„Du hast mit ihnen gesprochen?“

„Ja!“

„Sie gewarnt?“

„Natürlich!“

„Uff!“

„Ich habe sie nicht nur gewarnt, sondern meine Apatschen mit ihnen vereinigt, um Nale-Masiuv in Empfang zu nehmen.“

„Uff! Ihr habt mit ihm gekämpft?“

„Nein.“

„Er kam gar nicht? Er sandte Kundschafter voraus, die euch sahen und Verdacht schöpften?“

„Nein; so klug seid ihr Comantschen nicht! Er sandte allerdings Kundschafter, die uns aber nicht sahen, weil wir uns versteckt hielten. Dann kam er selbst mit seiner ganzen Schar und lagerte sich ans Wasser. Er sah die Spuren der weißen Reiter und glaubte, sie seien fort, hinter Vupa Umugi her. Darum hielt er es nicht für nötig, vorsichtig zu sein, und es gelang uns leicht, ihn zu umzingeln.“

„Uff, uff! Er ist umzingelt worden? Und doch sagst du, er habe nicht mit euch gekämpft!“

„Er war zu feig dazu und ging auf eine Beratung mit mir ein. Ich saß mit ihm allein beisammen; keiner hatte eine Waffe mitbringen sollen; aber wie er vorher feig gewesen war, so war er jetzt nun hinterlistig. Während ich mit ihm sprach, zog er plötzlich ein Messer, um mich zu erstechen.“

„Uff! Hat er das wirklich gethan?“

„Ja.“

„Das ist eines Kriegers unwürdig!“

„Zumal wenn dieser Krieger ein Häuptling ist!“

„Hat dich sein Messer getroffen?“

„Nein. Auch er täuschte sich in mir, denn ich hatte ihn scharf betrachtet und war auf meiner Hut. Als er den Arm mit dem Messer erhob, schlug ich ihn nieder.“

„Mit der Faust?“

„Womit sonst? Ich hatte ja keine Waffe bei mir.“

„Uff, uff! Wieder mit der Faust! War er tot?“

„Nein, denn ich wollte ihn nicht töten. Ich nahm ihn schnell auf meine Schulter und trug ihn zu meinen Apatschen und den weißen Kriegern.“

„Ohne daß die Comantschen dich hinderten?“

„Das konnten sie nicht, denn es geschah so rasch, daß sie keine Zeit dazu fanden. Und dann durften sie sich uns nicht nähern, weil wir sonst ihren Häuptling getötet hätten. Als er aus seiner Bewußtlosigkeit erwachte, drohte ich, ihm die Skalplocke zu nehmen, seine Medizin zu verbrennen und dann aufzuhängen.“

„Du wolltest seine Seele töten?“

„Ja.“

„Das hat er nicht zugegeben; das hat er ganz gewiß nicht zugegeben; ich weiß es. Ich glaube zwar nicht daran; er aber ist der Ansicht aller roten Männer, daß dadurch der Geist eines Kriegers vernichtet wird.“

„Du meinst, er habe es nicht zugegeben? Was hätte er dagegen machen können, wenn es meine Absicht gewesen wäre, es zu thun?“

„Lieber hat er sich gefangen gegeben!“

„Er allein?“

„Er al – – uff, uff! Doch nicht etwa auch alle seine Krieger mit?“

„Ja, alle!“

„War es nicht genug mit ihm allein?!“

„Nein. Ich mußte sie alle haben; das wirst du einsehen.“

„Und du hast sie alle bekommen?“

„Ja.“

Da senkte er den Kopf und sagte in gedrücktem Tone:

„So ist alle meine Hoffnung dahin! Selbst wenn es mir gelänge, noch heut von hier zu fliehen, könnte ich weder Vupa Umugi noch seine Krieger retten.“

„Nein. Erstens wüßtest du nicht, wo er zu suchen ist, und zweitens könnte dich Nale-Masiuv nicht unterstützen.“

„Wo habt ihr ihn und seine Krieger?“

„Ich könnte dich täuschen, denn es ist nicht nötig, daß ich es dir sage; dennoch will ich es dir nicht verheimlichen. Er ist mit seinen Leuten zurück nach seinem Dorfe.“

„Uff! So bist du so gütig gewesen, ihnen die Freiheit gleich wiederzugeben?“

„Nein, so gütig war ich nicht. Du wirst einsehen, daß eine solche Güte die größte Dummheit gewesen wäre, die ich hätte begehen können.“

„Warum?“

„Ich hätte diesen Leuten das Versprechen abnehmen müssen, sofort umzukehren und heimzureiten.“

„Sie hätten es gegeben.“

„Aber nicht gehalten!“

„Du traust ihnen nicht?“

„Ich traue keinem Comantschen.“

„Auch mir nicht?“

„Dir allein würde ich wahrscheinlich Glauben schenken, denn du kennst den großen, guten Manitou und weißt, daß er alle Unwahrheit und Verräterei bestraft.“

„Aber du hast sie also nicht freigegeben und sagst doch, daß sie zurückgekehrt seien?“

„Als Gefangene.“

„Wessen?“

„Der weißen Dragoner. Diese haben den Rückweg angetreten und sie mitgenommen.“

„Gefesselt?“

„Ja.“

„So werden sie sie töten!“

„Nein. Der Anführer dieser Bleichgesichter hat mir sein Wort gegeben, ihnen das Leben zu schenken.“

„Wird er es halten?“

„Ja; ich bin überzeugt davon.“

„So wird er sie wenigstens ausrauben!“

„Ausrauben? Was nennst du ausrauben? Gehört nicht der Besiegte mit allem, was er hat, dem Sieger?“

„Auch bei den Christen?“

„Auch bei uns, denn ihr zwingt uns, euch genau so zu behandeln, wie ihr uns behandelt. Ihr als Sieger würdet uns nicht nur unser ganzes Eigentum, sondern auch das Leben nehmen. Wenn wir euch das Leben schenken, ist das eine so große Güte, daß ihr unmöglich mehr verlangen könnt.“

„Also werden die weißen Soldaten den Comantschen alles nehmen, was sie bei sich haben?“

„Die Pferde und die Waffen, ja.“

„Aber wie sollen die roten Krieger ohne Pferde und ohne Waffen leben?“

„Das ist ihre Sache. Ihr seid es, die das Kriegsbeil ausgegraben haben; dies wäre nicht geschehen, wenn ihr weder Pferde noch Gewehre hättet. Wenn wir euch beides abnehmen, begehen wir keinen Raub, denn es ist unsre rechtmäßige Beute, und wir sorgen zu gleicher Zeit dafür, daß ihr nicht so bald wieder imstande seid, den Frieden zu brechen.“

„So werdet ihr wohl auch Vupa Umugi und seinen Kriegern die Gewehre und die Pferde nehmen?“

„Wahrscheinlich.“

„Uff! Das ist schlimm!“

„Schlimm für euch, ja; aber ihr habt es nicht anders verdient. Denke nur an dich! Wer mit jemand die Pfeife der Freundschaft und des Friedens raucht und ihm verspricht, sein Wigwam keinem Menschen zu verraten, und dann doch mit einer großen Kriegerschar gezogen kommt, um ihm das Wigwam und das Leben zu nehmen, der hat mehr, weit mehr verdient, als daß er nur sein Pferd und sein Gewehr einbüßt. Das wirst du einsehen!“

Er sah es allerdings ein und seufzte betrübt:

„Also auch mein Gewehr und mein Pferd!“

„Nein, das nicht. Ich habe dich lieb und betrachte mich trotz deiner Feindseligkeit noch immer als deinen Freund. Du wirst behalten, was du hast. Und auch in Beziehung auf Vupa Umugi und seine Indsmen will ich sehen, ob es möglich ist, Güte walten zu lassen. Es kommt ganz darauf an, wie sie sich gegen uns verhalten.“

„Wie sollen sie sich verhalten? Sie sind Krieger und werden sich wehren.“

„Das wollen wir nicht wünschen. Wenn unsrerseits Blut fließt, die wir keines vergießen wollen, könnt ihr auf keine Nachsicht rechnen. Ich hoffe aber, es wird mir gelingen, den Häuptling zu überzeugen, daß Widerstand geradezu Tollheit sein würde. Ich denke, daß er meine Gründe verständiger beurteilen wird als du.“

„Als ich?“ fragte er verwundert.

„Ja. Ich wollte dir deine Gefangenschaft so leicht wie möglich machen und forderte nur das Versprechen, nicht zu fliehen, von dir. Du hast es mir verweigert, weil du nicht einsahest, daß deine Flucht euch nur schaden aber nichts nützen kann. Dadurch zwingst du mich, streng zu sein.“

„Ich gab das Versprechen nicht, weil ich noch nicht wußte, was ich jetzt weiß.“

„So siehst du also ein, daß du euern Kriegern nicht zu helfen vermagst?“

„Ja.“

„So ist es noch Zeit zu dem Versprechen.“

„Ich gebe es.“

„Gut! Aber denke dabei auch daran, daß du durch dein Verhalten nicht nur dir allein, sondern allen den Deinen entweder nützen oder schaden wirst. Was du thust, sei es gut oder böse, wird ihnen mit vergolten. Würdest du dein Wort brechen, so käme die Strafe dafür nicht nur über dich, sondern auch über sie!“

„Ich breche es nicht!“

„Wohl! Aber welche Bürgschaft kannst du mir dafür bieten?“ Er sah mich fragend an; darum erklärte ich ihm: „Auf das Wort eines Christen kann ich mich verlassen, auf das Versprechen eines Roten aber nie.“

„Würdest du Winnetou glauben?“

„Alles, alles; aber er ist eine Ausnahme, und er ist innerlich ein Christ.“

„Wenn du einem roten Krieger die Medizin als Pfand abnimmst, muß er jedes Versprechen halten.“

„Das kann ich bei dir nicht thun, denn du glaubst nicht an die Macht der Medizin.“

„So werde ich die Pfeife des Schwures mit dir rauchen!“

„Auch das kann mir nicht als Pfand gelten. Du hast sie mit mir und Bloody-Fox geraucht und dein Wort doch gebrochen.“

Da senkte er die Augen und sagte leise und betrübt:

„Die Strafe, die ich von Old Shatterhand empfange, ist schwer; sie richtet sich nicht gegen meinen Körper, aber sie erfüllt meine Seele mit tiefem Schmerz!“

Ich sah es ihm an, daß dieser Schmerz wirklich vorhanden und seine Betrübnis eine aufrichtige war; darum antwortete ich:

„Du hast gehört, daß ich mich noch immer als deinen Freund und Bruder betrachte, und so will ich jetzt einmal ausnahmsweise auf meine gewöhnliche Vorsicht verzichten und dir Glauben und Vertrauen schenken. Aber mein Herz würde sehr, sehr traurig sein, wenn ich mich abermals in dir täuschte. Wirst du fliehen, wenn ich dich jetzt freigebe?“

„Nein.“

„Wirst du nicht ohne meine Erlaubnis diese Oase verlassen?“

„Nein.“

„Ich wünsche auch nicht, daß du versuchst, auf dem Wege durch den Kaktus hinaus zu deinen Comantschen zu gehen, um mit ihnen zu sprechen!“

„Ich thue das nicht. Selbst wenn sie hereinkämen, würde ich schweigen, bis ich deine Erlaubnis hätte.“

„So gieb mir deine Hand darauf, wie es Männer und Krieger thun, welche zu stolz sind, als daß sie nach einem Vorteile trachten, welcher nur durch die Lüge zu erlangen ist!“

„Hier hast du die Hand! Du kannst mir glauben; sie gilt so viel, als ob ich mich selbst dir übergäbe!“

Er sah mir dabei mit einem so aufrichtigen Blicke in die Augen, daß ich vollständig überzeugt war, er werde mich nicht täuschen. Der Sicherheit wegen und um des Negers willen fügte ich aber hinzu:

„Du warst zornig auf Bob?“

„Sehr.“

„Wirst du dich rächen?“

„Nein. Ein roter Krieger ist zu stolz, sich an einem schwarzen Manne zu rächen. Dieser Nigger wußte nicht, was er that. Er ahnte nicht, daß es gegen die Würde eines Häuptlings ist, ihm solche Stangen auf den Rücken zu binden.“

„Ich werde dich von ihnen befreien.“

Ich nahm sie ihm ab. Er streckte die steif gewordenen Glieder und ging dann mit mir hinaus ins Freie, wo die Pferde wieder zum Abende getränkt wurden. Mutter Sanna brachte uns das Essen, und als das beendet und am Wasser Ruhe eingetreten war, legten wir uns nieder, denn wir mußten morgen wieder mit der Sonne aufstehen. Schiba-bigk legte sich zwischen mich und Old Surehand, ohne daß wir dies verlangten. Er wollte sich freiwillig unter unsre Aufsicht stellen und dadurch beweisen, daß er es mit seinem Versprechen ehrlich meine.

Als wir am frühen Morgen aufgestanden waren, füllten wir alle vorhandenen Schläuche mit Wasser, versahen uns mit Proviant und ritten fort, nachdem ich von Schiba-bigk Abschied genommen hatte. Bob stand am Wege und fragte mich:

„Massa Shatterhand sagen, ob Bob jungen Indianerhäuptling wieder bewachen!“

„Nein; es ist nicht nötig.“

„Auch nicht wieder Stangen auf Buckel binden?“

„Das gar nicht. Er hat versprochen, nicht zu fliehen und wird sein Versprechen halten.“

Obgleich ich das mit vollster Überzeugung sagte, fiel es mir doch nicht ein, die nötige Vorsicht zu versäumen. Es blieben so viel Apatschen draußen am Kaktusfelde, wie nötig waren, die fünfzig gefangenen Comantschen zu bewachen, und ich gab dem Anführer dieser Wächter den Befehl, auch auf Schiba-bigk mit Acht zu haben und ihn auf keinen Fall herauszulassen. Dann ritten wir fort, zweihundert Mann stark, mehr als genug, um mit den Comantschen fertig zu werden. Diesesmal nahmen wir natürlich auch Parker und Hawley mit.

Zunächst suchten wir die Stelle auf, an welcher wir gestern die fünf Apatschen als Posten zurückgelassen hatten. Sie waren gleich nach Tagesgrauen so klug gewesen, nach den Comantschen auszuschauen, und hatten nach einem nur kurzen Ritte die Stelle gefunden, wo diese gelagert hatten; die Naiini waren schon aufgebrochen gewesen; sie hatten es also auch heut wieder sehr eilig. Wir folgten ihnen auch schnell, und zwar in der Weise, daß ich sie zuweilen vor das Fernrohr bekam, ohne uns ihnen aber so weit zu nähern, daß sie erkennen konnten, ob Rote oder Weiße hinter ihnen seien, denn sie sollten uns, wie es sich ganz von selbst versteht, für die Dragoner halten.

Es verging der ganze Tag, ohne daß etwas Erwähnenswertes passierte, als daß sich gegen Abend ein starker Wind erhob, wie er im Llano estacado nicht selten ist. Er kam von Norden, hatte über einen großen Teil der Wüste gestrichen und war also sehr heiß. Wir hatten ihn zwar halb im Rücken, doch belästigte er uns immerhin, und zwar nicht nur durch seine Hitze, sondern noch mehr dadurch, daß er den Sand aufwirbelte und ihn uns in die Augen, Ohren, Mund und Nase trieb.

„Dummer Wind!“ brummte Parker mißmutig. „Brauchte jetzt nicht zu kommen, sondern konnte warten, bis wir wieder am Wasser sind. Man kann ja kaum sehen und Atem holen!“

„Räsonniert nicht, Mr. Parker!“ antwortete ich. „Ich freue mich über ihn und sage Euch, daß er mir außerordentlich gelegen kommt.“

„Gelegen, sagt Ihr? Wüßte wirklich keinen Grund dazu.“

„Ich meine wegen Winnetou.“

„Wegen dem? Warum?“

„Seht Ihr denn nicht, daß dieser Wind, indem er den Sand in die Höhe treibt, die Spuren der Comantschen verwischt? Wir würden ihnen gar nicht folgen können, wenn die Pfähle nicht wären.“

„Ja, das sehe ich allerdings; aber was hat das mit Winnetou zu thun?“

„Sehr viel, denn seine Spuren werden auch verwischt.“

„Hm! Kann uns das nicht gleichgültig sein?“

„Ganz und gar nicht. Winnetou muß doch die Pfähle bis in die Falle leiten, nicht?“

Yes,“

„Er muß also ein Stück in das Kaktusfeld hineinreiten, in welchem wir die Comantschen fangen wollen. Aber er darf nicht drin bleiben, sondern muß wieder heraus, muß umkehren.“

„Das ist doch ganz selbstverständlich, denn wenn er das nicht thäte, wäre er selbst gefangen. So viel sehe ich auch ein, Sir.“

„Aber die Folgen scheint Ihr nicht einzusehen.“

„Welche Folgen?“

„Daß die Roten seine Spuren sehen und also erfahren würden, daß er umgekehrt ist. Würde das nicht ihr Mißtrauen erregen?“

„Möglich!“

„Das ist nicht nur möglich, sondern es würde unbedingt geschehen. Diese Roten sind erfahrene und schlaue Kerls, und Ihr als Westmann müßtet eigentlich die Gedanken, welche sie dabei haben würden und haben müßten, leicht erraten können.“

„Na, da will ich einmal raten! Sie halten die Spuren Winnetous und seiner Apatschen für die Fährte von Schibabigks Comantschen. Diese führt in den Kaktus hinein und kommt aber wieder heraus, um seitwärts weiter zu führen. Was werden sie also anderes denken, als daß Schiba-bigk sich verritten oder verirrt hatte und daß der richtige Weg also nicht in den Kaktus führt, sondern in die neue Richtung, die er eingeschlagen hat. Ist das so richtig, Mr. Shatterhand?“

„Ja.“

„Sie werden also nicht in den Kaktus, also nicht in die Falle gehen, sondern der neuen Fährte folgen. Ihr seht, Sir, daß ich nicht so dumm bin, wie Ihr dachtet, und auch etwas erraten kann.“

„Darauf brauchst du dir aber ganz und gar nichts einzubilden, alter Sam,“ rief ihm Jos Hawley zu.

„Meinst du? Warum denn nicht?“

„Weil du nicht von selbst auf diesen Gedanken gekommen bist. Du bist doch erst durch Mr. Shatterhand auf denselben gebracht worden.“

„So? Mag sein. Aber darum ist es doch wohl nicht nötig, daß du es unternimmst, meinen Schulmeister und Ermahner zu machen.“

„Wollte dich nur vor Überhebung bewahren!“

„Das konntest du dir ersparen, denn du bist ja selbst nicht – –“

„Keinen Streit, Mesch’schurs!“ fiel ich ein. „Der Gedanke ist da; ob er von mir oder von Mr. Parker gekommen ist, das bleibt sich gleich. Wir müssen aber nicht bei ihm stehen bleiben, sondern weiter denken. Die Comantschen würden also der neuen Fährte Winnetous folgen. Wohin aber wird diese führen, Mr. Parker?“

„Natürlich her zu uns,“ antwortete er.

„Gewiß. Winnetou bleibt nicht dort, sondern sucht uns auf. Er wird sich erst seitwärts entfernen und dann sich nach den Pfählen zurückwenden; das würden sie entdecken, wenn sie ihm folgten, und Ihr könnt Euch denken, wie geeignet das wäre, ihr Mißtrauen zu erwecken. Das Gelingen unsres Planes stände auf dem Spiele. Da kommt nun der Wind und zerstört alle vorhandenen Spuren. Muß uns das nicht lieb sein? Ich sage Euch, daß ich mich außerordentlich darüber freue. Er kommt grad so zur rechten Zeit, als ob er ein vernünftiges Wesen wäre und die Absicht hätte, uns beizustehen. Winnetou wird ebenso froh darüber sein wie ich.“

„Hm, ja!“ brummte Parker wieder. Er suchte nach einer Gelegenheit, zu zeigen, daß er meine Hilfe nicht brauche, sondern selbst auch Gedanken haben könne. „Was Ihr sagt, ist ganz gut, Mr. Shatterhand, aber nur für den Fall, daß Winnetou das Kaktusfeld schon erreicht hat, ehe dieser schöne Wind sich erhob.“

„Das ist gewiß der Fall.“

„So?“

„Ja. Ich möchte behaupten, daß er mit dem Einstecken der Pfähle längst fertig ist und sehr bald zu uns stoßen wird.“

„Wenn er uns nur auch trifft!“

„Keine Sorge! Der Häuptling der Apatschen weiß, was er zu thun hat. Es wäre geradezu ein Wunder, wenn er uns verfehlte. Übrigens möchte ich es wenigstens ein halbes Wunder nennen, daß die Comantschen so fortdauernd und vertrauensvoll hinter ihm herreiten. Mir an Stelle Vupa Umugis wäre die Sache schon lange in hohem Grade bedenklich geworden. Euch wohl nicht, Mr. Parker?“

„Warum bedenklich, Sir?“

„Schiba-bigk kannte den Weg von den hundert Bäumen nach der Oase des Bloody-Fox und hat es jedenfalls Vupa Umugi gesagt, wie weit es dorthin ist. Nun reiten sie fort und immer fort, und die Oase will noch immer nicht kommen. Sie hätten sie gestern abend erreichen müssen und sind nun heut noch den ganzen Tag geritten, ohne an ihr Ziel zu gelangen. Wenn das nicht bedenklich ist, so giebt es überhaupt nichts Bedenkliches in der Welt.“

„Das ist freilich richtig. Sie hätten längst halten bleiben sollen, um sich die Sache zu überlegen. Wahrscheinlich nehmen sie an, daß Schiba-bigk sich irrte, als er von dem Wege und von der Entfernung sprach, oder daß sie ihn nicht richtig verstanden haben.“

„Wahrscheinlich ist es so; aber dazu kommt etwas andres, was sie unaufhaltsam weiter treibt, nämlich der Durst. Sie haben seit gestern früh kein Wasser für sich und die Pferde gehabt. Wenn sie umkehren, brauchen sie volle zwei Tage, um bei den hundert Bäumen welches zu finden. Lieber reiten sie weiter, da die Pfähle jedenfalls doch nach der Oase führen, die in jedem Augenblicke vor ihnen auftauchen kann. Daß diese meine Vermutung richtig ist, zeigt auch die Eile, die sie haben.“

„Ja, sie reiten schnell und – –“

Er stockte mitten in der Rede, hielt sein Pferd an, deutete mit der Hand vorwärts und fuhr dann hastig fort:

„Sie sind umgekehrt! Wahrhaftig, sie haben Mißtrauen gefaßt und sind umgekehrt. Dort kommen sie; dort kommen sie!“

Dieser Schreckensruf lenkte unsre Aufmerksamkeit nach dem Horizonte vor uns, den ich in den letzten Minuten infolge unsres Gespräches nicht beobachtet hatte. Dort waren allerdings Menschen zu sehen. Ob sie sich bewegten, konnten wir mit bloßen Augen nicht erkennen. Ich nahm also mein Rohr zur Hand und richtete es auf sie. Schon nach wenigen Augenblicken konnte ich die Beruhigung aussprechen:

„Wir haben keinen Grund zu erschrecken, denn die Comantschen sind es nicht, sondern es ist Winnetou. Da seht ihr, daß ich recht hatte, als ich sagte, daß er bald zu uns stoßen werde.“

„Könnt Ihr ihn erkennen, Sir?“ fragte mich Old Surehand.

„Jetzt noch nicht.“

„So müssen wir dennoch vorsichtig sein!“

„Ist nicht nötig. Reiten wir weiter!“

„Aber wenn es nun ein Nachtrab der Comantschen wäre!“

„Der würde sich in Bewegung befinden; die Leute dort aber haben sich gelagert.“

„Können das die Feinde nicht auch thun?“

„Ja; aber Winnetou zeigt mir, daß er es ist.“

„Wie so?“

„Ihr habt hier wieder einmal Gelegenheit, den Scharfsinn und die Umsicht des Häuptlings der Apatschen zu bewundern. Er hat die Comantschen in einem Bogen umritten und dann in ihrem Rücken angehalten, um auf uns zu warten. Natürlich sagt er sich, daß wir seine Leute leicht für Naiini halten können, und so hat er seinen Trupp in einer Weise plaziert, aus welcher wir bestimmt ersehen können, daß er es ist. Hier habt Ihr mein Fernrohr; seht einmal durch, Mr. Surehand!“

Er that es und sagte dann in beifälligem Tone:

„Das ist allerdings schlau, sehr schlau von ihm!“

„Nun?“

„Die Leute da draußen lagern nicht eng bei einander, sondern so, daß sie die Figur eines Pfeiles bilden.“

„Und wohin ist die Spitze dieses Pfeiles gerichtet?“

„Nicht auf uns zu, sondern nach Südost, von uns also ab.“

„Dieser Pfeil soll die Richtung angeben, in welcher wir zu reiten haben. Winnetou sagt uns also, daß wir ruhig und unbesorgt weiterreiten können. Sagt mir einmal aufrichtig, Mr. Surehand, ob Ihr an seiner Stelle auf diesen Gedanken gekommen wäret?“

„Ich glaube kaum. Und Ihr, Mr. Shatterhand?“

„Wenn nicht grad auf diesen, so doch auf einen ähnlichen. Es war ja selbstverständlich ein Zeichen nötig, durch welches uns Aufklärung gegeben werden mußte. Diese eigenartige Aufstellung der Apatschen sagt uns aber nicht bloß, daß wir Winnetou vor uns haben, sondern sie giebt uns außerdem auch die Überzeugung, daß alles so steht, wie wir es wünschen.“

„Das denke ich auch, denn Winnetou würde nicht so ruhig lagern und auf uns warten, wenn irgend etwas gegen unsre Absicht gegangen wäre; es steht also alles gut. Dennoch habe ich ein Bedenken, welches ich Euch gern mitteilte, wenn ich wüßte, daß Ihr es mir nicht übelnehmen werdet.“

„Übelnehmen? Kann mir gar nicht einfallen! Unter Kameraden, die wir doch sind, hat jeder das Recht, ja sogar die Pflicht, seine Meinung auszusprechen. Und wenn Ihr mich auf einen Fehler oder eine Unterlassung aufmerksam macht, so ist gar nichts andres möglich, als daß ich Euch dafür nur dankbar bin.“

„Mein Bedenken heißt: Wasser.“

„So, also Wasser!“

„Ja; darf ich es Euch erklären?“

„Das ist nicht nötig, denn ich weiß, was Ihr meint. Wenn wir die Comantschen durch den Durst bezwingen wollen, müssen wir dafür sorgen, daß wir nicht selbst auch zu dürsten haben.“

„So ist es. Nun sind wir zwar für heut mit Wasser versehen, aber es kann der ganze morgende Tag vergehen, ehe wir mit Vupa Umugi fertig werden, und dann brauchen wir wieder einen vollen Tag, ehe wir die Oase erreichen. Für diese zwei Tage haben wir leider kein Wasser mit. Dazu kommt, daß die Comantschen es dann noch nötiger brauchen als wir.“

„Ja, so viel Wasser haben wir allerdings nicht mit; ich kann Euch aber beruhigen; wir werden trotzdem keinen Durst leiden.“

„Wirklich nicht?“

„Nein. Euer Bedenken war längst im stillen bei mir gehoben.“

„Ah, Ihr habt an diesen Punkt gedacht?“

„Oh gewiß, gewiß! Ich wäre ja der allerleichtsinnigste Mensch, wenn ich einen Plan erdächte, bei dessen Ausführung über dreihundert Menschen und Pferde im öden Llano estacado zusammenkommen, und dabei vergäße, für das nötige Wasser zu sorgen. Habt Ihr mich wirklich für so unbedachtsam gehalten?“

„Nein. Aber dieses Wasser ist nur in der Oase zu finden. Oder giebt es vielleicht noch eine andre Quelle, die Ihr wißt?“

„Nein. Wir holen es aus der Oase.“

„In welcher Weise? Sie ist einen Tagesritt von hier entfernt, also müssen wenigstens zwei Tage vergehen, ehe die Leute, welche es holen, zurückkehren können. Das ist schlimm!“

„Ihr irrt. Diese Boten würden nur die Nacht brauchen, um nach der Oase zu kommen, und morgen abend wieder hier sein!“

„Aber das halten ihre Pferde nicht aus!“

„Ist auch nicht nötig, denn sie brauchen gar nicht zurückzukehren.“

„Hm! Habe keine Ahnung, wie Ihr das anfangen wollt.“

„Es ist sehr einfach, Sir: Wir legen Relais.“

„Oh! Das ist freilich das allerbeste und allereinfachste. Daß ich nicht darauf gekommen bin!“

„Unsre Apatschen haben eine Menge Schläuche mit; dazu kommen die, welche dem Bloody-Fox gehören. Die schicken wir nach der Oase, wozu gar nicht viel Leute, aber desto mehr Pferde gehören. Diese Leute nehmen in gewissen Abständen auf einer Linie Posto, welche von hier nach der Oase führt. Es hat also kein Mann und kein Pferd die ganze Strecke zu machen, sondern nur von einem Posten zum andern zu gehen. So meine ich es.“

„Da habe ich Euch freilich um Verzeihung zu bitten, Sir! Ihr denkt an alles. Habt Ihr das mit Winnetou besprochen?“

„Nein; es ist darüber zwischen ihm und mir kein Wort gefallen; aber wir kennen uns und wissen, daß keiner von uns eine notwendige Maßregel versäumt. Aber was ist das? Die Apatschen haben keine Pferde! Nur Winnetou hat das seinige. Ah! Könnt Ihr Euch denken, warum, Mr. Surehand?“

„Nein,“ antwortete er.

Wir waren während dieser Reden natürlich nicht halten geblieben, sondern weiter geritten und den Apatschen jetzt so nahe gekommen, daß wir sie deutlich sehen konnten. Sie hatten die Pfeilfigur aufgelöst und standen nun beisammen, uns entgegensehend. Ihre Pferde waren nicht bei ihnen; nur der Rappe des Häuptlings war da.

„Ihr werdet jetzt zum zweitenmal erkennen, daß Eure Befürchtung keinen Grund hatte,“ erklärte ich Old Surehand. „Winnetou hat ebenso gesorgt, und zwar noch eher als ich. Wir beide pflegen uns in unsern Entschlüssen stets zu begegnen.“

„Ihr denkt, daß er seine Pferde und Schläuche schon nach der Oase geschickt hat?“

„Ja. Ihr seht, daß er nur höchstens dreißig Mann bei sich hat, und Bloody-Fox ist auch nicht da. Dieser ist ganz sicher mit den übrigen nach der Oase geritten, um Wasser zu holen.“

„Es wäre allerdings wunderbar, wenn Winnetou ganz denselben Gedanken wie Ihr gehabt hätte!“

„Er hat ihn gehabt; das versichere ich Euch.“

Als wir nach wenigen Minuten Winnetou und seine Leute erreichten, trat er auf mich zu und sagte:

„Mein Bruder Charley hat mich verstanden, als er unsre Aufstellung erblickte. Ich wollte ihm sagen, daß wir nicht Comantschen seien.“

„Wie weit sind sie vor uns?“ fragte ich.

„Sie ritten sehr schnell, denn sie haben Durst, werden aber bald Halt machen müssen, denn die Sonne steht am Horizonte.“

„Ja, in einer Viertelstunde wird es dunkel sein. Wie lange hat man von hier aus bis zum Kaktusfeld zu reiten?“

„Zwei Stunden.“

„So werden sie es heut nicht mehr erreichen; das ist sehr gut für uns, denn dadurch bekommen wir sie morgen bei Tage und nicht heut abend in die Falle. Die Krieger meines roten Bruders haben ihre Pferde nicht bei sich. Winnetou hat sie mit den Schläuchen nach der Oase geschickt?“

„Ja. Bloody-Fox, der den schnurgeraden Weg kennt, ist mit ihnen, um sie in Zwischenräumen aufzustellen und den Weg mit Stangen zu bezeichnen, die wir übrig hatten. Aber die Schläuche, welche sie bei sich haben, reichen nicht aus.“

„So schicken wir die unsrigen nach, sobald wir Lager machen. Das ist es doch, was du mit berechnet hast?“

„Ja. Der Wind hat sich erhoben und meine Spur verweht; unser Plan wird also trefflich gelingen. Jetzt wollen wir weiter, um den Comantschen möglichst nahe zu bleiben, denn wenn sie morgen die Falle erreichen und in den Kaktus reiten, müssen wir so rasch hinter ihnen sein, daß sie, wenn ihr Mißtrauen erwacht, keinen Raum haben, umzukehren und zur Seite auszuweichen.“

Er stieg auf sein Pferd, und wir ritten fort. Seine Leute mußten allerdings laufen; sie hielten aber so gut mit uns Schritt, daß wir die nötige Schnelligkeit innehalten konnten. Selbst als es dann dunkel wurde, ritten wir weiter, von Pfahl zu Pfahl, bis wir uns sagten, daß wir nun anhalten müßten, wenn wir nicht auf die Feinde stoßen wollten.

Der Wind war inzwischen schwächer geworden und legte sich bald ganz. Es blieb nur so lange dunkel, bis die Sichel des Mondes sich zeigte. Vorher schon wurden die leeren Schläuche auf Pferde geladen, mit denen, als es hell geworden war, eine Anzahl der Apatschen aufbrachen. Winnetou ritt mit ihnen, um sie bis zum nächsten Relais-Posten zu begleiten, dessen Standort sie nicht kannten. So war denn alles Nötige besorgt, und wir konnten uns dem Schlafe überlassen, der uns sehr nötig war. Als Winnetou später zurückkehrte, legte er sich zu mir, ohne mich, der ich fest schlief, aufzuwecken. Ein andrer an seiner Stelle hätte mich gewiß geweckt, um mir die ihm nötig scheinenden Mitteilungen zu machen; er aber wußte, daß es zwischen uns dergleichen nicht bedurfte.

Er war, obgleich er sich später als wir niedergelegt hatte, am Morgen noch eher munter als wir. Wir hielten uns nicht mit dem Frühstücke auf. Essen konnten wir unterwegs; wir tranken nur und gaben das übrige Wasser den Pferden, die freilich nicht satt daran hatten. Dadurch wurden die Schläuche, die wir noch hatten, auch leer, und Winnetou schickte sie durch einige seiner Leute sogleich nach dem Relais. Er brauchte nicht mit zu reiten, weil es nicht mehr dunkel war, sondern es genügte, daß er diesen Männern die genaue Richtung angab.

Nun ging es wieder fort, und zwar in einem so schnellen Tempo, daß die Fußgänger zurückbleiben mußten; sie konnten nachkommen. Ich schaute fleißig durch das Rohr und überzeugte mich bald, daß wir gestern abend den Comantschen sehr nahe gekommen waren, denn wir kamen schon nach einer Viertelstunde an die Stelle, wo sie gelagert hatten, und sahen da, daß sie erst kurz vorher diesen Ort verlassen hatten.

Schon sehr bald darauf erblickte ich sie selbst. Auch Winnetou hatte sein Fernrohr zur Hand genommen. Er beobachtete sie kurze Zeit und sagte dann befriedigt:

„Sie reiten sehr langsam. Sieht mein Bruder das?“

„Ja. Ihre Pferde sind von dem zweitägigen Ritte ohne Wasser sehr ermattet.“

„Und sie selbst leiden auch Durst. Trotzdem werden sie sich lange weigern, sich uns zu ergeben.“

„Für Vupa Umugi giebt es einen noch viel größern Zwang als den Durst.“

„Mein Bruder meint die Medizinen des Häuptlings der Comantschen. Es war sehr gut, daß er sie mitgenommen hat, als er sich im Thale der Hasen befand. Der Sieg wird uns leicht werden und die Rückkehr dann bequem, weil Old Shatterhand die Comantschen Nale-Masiuvs gefangen genommen und den Dragonern übergeben hat.“

Das war das erste Wort, welches zwischen uns darüber fiel. Daß weder Nale-Masiuv noch die Kavalleristen gekommen waren, mußte ja ganz gegen seine Erwartungen gewesen sein, dennoch hatte er mich gestern nicht gefragt. Ein andrer hätte nicht eher geruht, als bis er von mir darüber aufgeklärt worden wäre; er aber hatte nicht eine einzige Frage ausgesprochen und mit seinem unvergleichlichen Scharfsinn alles erraten, wie seine jetzigen Worte bewiesen. Diese gaben mir Gelegenheit, ihm jetzt zu erzählen, in welcher Weise uns Nale-Masiuv in die Hände geraten war und wie wir uns seiner dann entledigt hatten. Am Schlusse meines Berichtes ließ er ein befriedigtes „Uff!“ hören und fügte dann hinzu:

„Mein Bruder hat ganz richtig gehandelt. Alle diese Roten wären uns eine Last gewesen, schon des Wassers wegen, und die weißen Reiter auch, die wir gar nicht brauchen, um Vupa Umugi zu fangen. Nale-Masiuv ist durch den Verlust seiner Pferde genug bestraft und hat auch die Gewehre seiner Krieger verloren. Winnetou wird erfahren, ob der Kommandant sein Wort hält, ihnen das Leben zu lassen; hat er es gebrochen oder sich auch nur an einen oder einigen von ihnen vergriffen, so wird er es mir mit dem Leben bezahlen. Howgh!“

Damit war diese Angelegenheit vollständig erledigt, und auch über seine letztere Drohung brauchte ich kein Wort zu verlieren; es war ihm Ernst damit, und er führte sie sicher aus, wenn es sich später zeigte, daß der Kommandant sein Versprechen nicht gehalten hatte.

Die Entfernung bis zum Kaktusfelde, welches die Comantschenfalle werden sollte, war von Winnetou auf zwei Stunden abgeschätzt worden; wir brauchten aber drei, weil die Naiini wegen der Mattigkeit der Pferde so langsam ritten. Wir blieben immer in der Weise hinter ihnen, daß sie uns nicht bemerken, wir sie aber durch unsre Rohre sehen konnten. Sie bildeten nicht eine Einzelreihe, sondern ritten breit neben und hinter einander her. Nach der erwähnten Dauer von drei Stunden verringerte sich plötzlich diese Breite; sie rückten zusammen und begannen, eine schmale Linie zu bilden.

„Ah, der entscheidende Augenblick ist da!“ sagte ich zu Winnetou. „Sie halten nicht an; sie scheinen also keinen Verdacht zu fassen.“

„Ja,“ nickte er; „sie sind an der schmalen Öffnung angekommen, die in den Kaktus führt. Sie können dieses Feld nicht überblicken und denken, daß es keine große Breite haben werde, weil Schiba-bigk scheinbar hindurchgeritten ist. Außer diesem Vertrauen treibt sie auch der Durst hinein. Wo Kaktus wächst, giebt es Feuchtigkeit, sie werden glauben, hinter demselben die Oase zu finden, denn sie wissen nicht, daß die Feuchtigkeit, welche diese Pflanzen hervorgebracht hat, nur unterirdisch und eine sehr geringe ist.“

Nach kurzer Zeit sahen auch wir den Kaktus, der in tausend und abertausend Exemplaren eine Strecke bedeckte, deren Ende weder nach vorn noch nach rechts oder links abzusehen war. Ein schmaler, lichter Streifen führte hinein und bildete eine Art Weg, dessen Boden so absolut unfruchtbar sein mußte, daß nicht ein einziges Würzelchen die nötige Nahrung fand. Und grad da, wo dieser Weg begann, hatte Winnetou eine Stange in den Boden stecken lassen, um den Comantschen die Überzeugung zu geben, daß sie hier in den Kaktus einzudringen hätten.

Das hatten sie auch wirklich ohne alles Bedenken gethan, und sie waren schon so weit drin, daß wir sie in der Ferne verschwinden sahen, als wir an dem Rande des stacheligen Dickichts ankamen. Da blieben wir natürlich halten und stiegen ab. Die Pferde wurden außer Schußweite hinter uns angepflockt, um im Falle eines allerdings kaum zu erwartenden Widerstandes nicht verletzt zu werden, und wir nahmen eine Aufstellung, die den Weg von seiner Mündung an bis weit hinein vollständig beherrschte und von den Comantschen bei ihrer Rückkehr nicht zu durchdringen war.

Dieser Weg hatte anfangs eine Breite von vielleicht zwanzig Schritten, wurde aber schon im Bereiche unsrer Kugeln so schmal, daß höchstens vier oder fünf Reiter eng nebeneinander Platz hatten. Das gab, wenn die Comantschen auf den wahnsinnigen Gedanken kommen sollten, uns anzugreifen, eine Tiefe von wenigstens dreißig und eine Breite von höchstens fünf Mann, und es genügte der sechste oder fünfte Teil von uns vollständig, diesen Angriff abzuschlagen. Unsre Kugeln brauchten ja nur die Vordersten niederzustrecken, die dann einen Wall bildeten, über den die andern nicht kommen konnten, zumal es ihnen wegen des Kaktus auch unmöglich war, nach rechts oder links auszuweichen.

So war es uns denn endlich gelungen, den Feind in die vortreffliche Falle zu locken, und wir konnten ruhig abwarten, was er nun beginnen werde. Beginnen? Es gab nur eins für ihn, nämlich umzukehren, sobald er die Stelle erreichte, wo der Weg aufhörte und er nicht weiter konnte.

Wir warteten eine Stunde, zwei Stunden und noch länger; die Comantschen kamen noch nicht. Sie waren jedenfalls am Ende des Weges nicht sogleich umgekehrt, sondern halten geblieben, um zu beraten; aber kommen mußten sie, darüber gab es gar keinen Zweifel. Wir hielten also unsre Blicke gespannt auf den Punkt gerichtet, wo sie erscheinen mußten.

„Uff!“ rief endlich Winnetou, indem er vorwärts deutete.

Sein scharfes Auge hatte die Nahenden eher entdeckt als wir; sie kamen, langsam, müde und enttäuscht. Noch sahen sie uns nicht, weil wir an der Erde saßen und unsre Pferde weit draußen in der Wüste hatten. Bald aber stockte der lange, schmale Zug; sie hatten uns entdeckt, und wir standen auf, um uns ihnen zu zeigen.

Waren sie der Meinung gewesen, daß sie die Dragoner hinter sich hätten, so erkannten sie jetzt, daß sie sich da geirrt hatten. Sie waren so nahe, daß sie bemerken mußten, daß sie keine Weißen, sondern Indianer vor sich hatten.

„Welch ein Schreck für sie!“ sagte Old Surehand, der neben mir stand.

„Schreck? Noch nicht,“ antwortete ich.

„Aber gewiß!“

„Nein. Es ist noch kein Schreck, sondern erst nur Staunen.“

„Warum?“

„Sie können uns doch auch für die Comantschen Nale-Masiuvs halten.“

„Das ist freilich wahr.“

„Aber selbst wenn sie das thun, muß sie unsre Anwesenheit befremden, weil sie der festen Überzeugung gewesen sind, daß Nale-Masiuv die Dragoner hinter ihnen her getrieben bringe.“

„Richtig! Bin neugierig, was sie thun werden.“

„Was sie thun, das weiß ich. Sie werden einen oder einige Krieger vorwärts schicken, um zu erfahren, wer wir sind. Seht Ihr, da kommen sie schon!“

Wir sahen, daß sich zwei von ihnen trennten und sich uns langsam näherten, nicht zu Pferde, sondern zu Fuß.

„Will mein Bruder mit mir ihnen entgegengehen?“ fragte ich Winnetou.

„Ja, thun wir das,“ antwortete er.

Wir schritten ebenso langsam, wie die Comantschen kamen, in den Kaktus hinein, ihnen entgegen. Sie sahen, daß wir ein Roter und ein Weißer waren; das machte sie stutzig; sie blieben stehen. Wir winkten ihnen, zu kommen, und gingen weiter; da kamen sie zögernd näher, blieben aber bald wieder stehen.

„Mein Bruder Shatterhand mag sprechen!“ sagte Winnetou.

Er überließ es mir bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich, das Wort zu führen. Ich rief den beiden Naiini zu:

„Die Krieger der Comantschen mögen getrost näher kommen! Wir wollen mit ihnen sprechen, und es wird ihnen nichts geschehen, wenn sie nicht versuchen, ihre Waffen gegen uns zu brauchen.“

Da kamen sie. Ich hatte sie gerufen, weil ich nicht bis hin zu ihnen gehen wollte, denn da wären wir in die Schußweite der Comantschen geraten, und das mußten wir vermeiden. Wir trafen ungefähr auf halbem Wege mit ihnen zusammen, doch kamen sie nicht ganz zu uns heran.

„Vupa Umugi, der Häuptling der Naiini-Comantschen, hat euch abgeschickt, zu erfahren, wer wir sind,“ sagte ich.

„Kennt ihr mich?“

„Nein,“ antwortete der ältere von ihnen, während beide ihre Augen mit scheuer Ehrfurcht auf Winnetou gerichtet hielten.

„Auch den roten Krieger nicht, der da neben mir steht?“

„Uff! Das ist Winnetou, der Häuptling der Apatschen!“

„Und ich bin Old Shatterhand, sein weißer Freund und Bruder.“

„Uff, uff!“ riefen beide aus und betrachteten nun auch mich genau. Hatte sie schon der Anblick des Apatschen bestürzt gemacht, so wuchs diese Bestürzung, als sie meinen Namen hörten; doch bemühten sie sich, dies zu verbergen.

„Ihr glaubtet, die weißen Reiter hinter euch zu haben?“ fuhr ich fort.

Ich erhielt keine Antwort.

„Und hinter diesen sollte Nale-Masiuv kommen?“

„Woher weiß das Old Shatterhand?“ fragte der ältere.

„Ich weiß noch mehr; ja, ich weiß alles. Ihr wolltet die weißen Reiter in das Verderben locken, und befindet euch nun selbst darin. Blickt vorwärts! Dort stehen dreihundert Krieger der Mescalero-Apatschen, die ihre Gewehre bereit haben, euch bis auf den letzten Mann niederzuschießen, wenn ihr euch wehrt.“

„Uff, uff!“

„Ihr könnt auf keinen Fall zurück und hier durch. Ihr müßt euch uns ergeben. Wenn ihr das nicht thut, werdet ihr entweder erschossen oder müßt in dieser Kaktuswildnis, die euch keinen Ausweg bietet, elend verschmachten!“

Sie sahen einander an. Obgleich sie sich alle Mühe gaben, den Eindruck zu verheimlichen, den meine Worte auf sie machten, war es doch nicht zu verkennen, daß sie sich im höchsten Grade betroffen fühlten. Dann fragte derjenige von ihnen, welcher bisher geantwortet hatte:

„Wo sind die weißen Reiter?“

„Glaubst du, daß wir dir das sagen werden?“

„Und wo ist Nale-Masiuv?“

„Auch das sagen wir nicht. Dafür aber will ich dich fragen, wo Schiba-bigk mit seinen fünfzig Comantschen ist?“

„Uff! Schiba-bigk! Das wissen wir nicht!“

„Aber wir wissen es.“

„Wo?“

„Jedenfalls nicht da vor euch. Ihr habt geglaubt, ihm zu folgen; er ist aber gar nicht vor euch hergeritten.“

„Warum nicht?“

„Ihr seid gewöhnliche Krieger; wir aber sind Häuptlinge, welche nur mit Häuptlingen sprechen. Es fällt uns also nicht ein, eure Fragen zu beantworten; dennoch will ich euch einiges mitteilen, was ihr Vupa Umugi erzählen sollt.“

„Wir werden es ihm sagen.“

„Ihr seid zwei Tage lang den Pfählen gefolgt, weil ihr glaubtet, Schiba-bigk zeige euch durch sie den Weg; aber nicht er, sondern Winnetou hat sie in den Sand gesteckt, um euch in die Irre zu leiten.“

„Uff! Ist das wahr?“

„Old Shatterhand spricht stets die Wahrheit. Schiba-bigk konnte euch den Weg nicht zeigen, weil wir ihn gefangen genommen haben. Ebenso ist Nale-Masiuv mit allen seinen Kriegern gefangen; er ist in unsre Hände und in die Gewalt der weißen Reiter geraten, die wir vor ihm und vor euch warnten. Das ist es, was ihr Vupa Umugi sagen sollt.“

Er starrte mich erschrocken an und rief aus:

„Das wird Vupa Umugi nicht glauben!“

„Ob er es glaubt oder nicht, das ist uns gleichgültig; es ist aber wahr.“

„Wir wissen, daß Old Shatterhand die Wahrheit liebt; aber das, was er jetzt gesagt hat, will nicht in unsre Ohren. Würde er vielleicht bereit sein, es dem Häuptling selbst zu sagen?“

„Ja.“

„So werden wir zu Vupa Umugi zurückkehren, um ihm das mitzuteilen.“

„Thut es! Wir werden hier bleiben, um zu warten, bis er kommt.“

Sie gingen, und wir setzten uns nieder. Als sie ihre Kameraden erreicht hatten, sahen wir an den Bewegungen derselben, welche Wirkung ihre Botschaft hervorbrachte. Die Reiter stiegen alle von ihren Pferden, auf denen sie bis jetzt sitzen geblieben waren. Nach einer Weile kam ein einzelner auf uns zu; es war nicht Vupa Umugi, sondern der Mann, mit dem wir gesprochen hatten. Bei uns angekommen, teilte er uns mit:

„Der Häuptling der Comantschen hat unsre Worte vernommen und will sie nicht glauben; er möchte sie aus eurem Munde hören.“

„Er soll sie hören. Warum kommt er nicht?“

„Hier ist Old Shatterhand, und hier ist Winnetou, der Häuptling der Apatschen; da will Vupa Umugi nicht allein sein.“

„Gut, zwei zu zwei. Er mag noch jemand mitbringen.“

„Apanatschka, der zweite Häuptling der Naiini, wird bei ihm sein.“

„Wir haben nichts dagegen.“

„Old Shatterhand und Winnetou haben ihre Waffen bei sich; also dürfen Vupa Umugi und Apanatschka die ihrigen auch mitbringen?“

„Auch da sind wir einverstanden.“

„Sie haben keine Hinterlist zu befürchten?“

„Nein.“

„Und können frei zurückkehren, wenn sie mit euch gesprochen haben?“

„Ja.“

„Wir werden das glauben, wenn Winnetou und Old Shatterhand es mit ihrem Worte versprechen.“

„Ich verspreche es. Howgh!“ antwortete Winnetou.

„Ich habe es schon gesagt und brauche es also nicht noch einmal zu versprechen,“ erklärte ich. „Was Old Shatterhand sagt, ist wie ein Schwur. Übrigens müssen Vupa Umugi und Apanatschka sehr feige Krieger sein!“

„Sie sind die mutigsten und tapfersten des ganzen Stammes! Warum spricht Old Shatterhand die Beleidigung, daß er sie für feig hält?“

„Weil du fragst, ob sie frei zurückkehren dürfen.“

„Diese Frage wird stets gethan, wenn feindliche Krieger zwischen ihren Scharen zu einer Besprechung zusammentreffen.“

„Haben wir diese Frage ausgesprochen?“

„Nein,“ gab er verlegen zu.

„Schau hinter dich, und schau vor dich hin. Dort stehen die Apatschen und dort die Comantschen; wir aber befinden uns grad in der Mitte zwischen ihnen. Also hat keine der zwei Parteien, die hier zusammenkommen, einen Vorteil vor der andern. Wenn Vupa Umugi und Apanatschka eine Hinterlist gegen Winnetou und mich hegen, so ist die Gefahr für uns genau dieselbe wie diejenige, in welcher sie sich befänden, wenn wir sie betrügen wollten. Demnach haben wir nicht nach unserer Sicherheit gefragt; du aber hast unser Versprechen verlangt, daß sie frei zurückkehren dürfen. Wer ist da mutig, und wer ist feig? Hat Vupa Umugi dir befohlen, so zu fragen?“

„Ja.“

„So sag ihm, daß er sich ein Herz nehmen und zu uns kommen solle! Wir halten unser Wort und sind zu stolz, als daß wir uns an einem Comantschen vergreifen möchten, der durch solche Fragen beweist, daß er keinen Mut besitzt.“

Er ging.

„Das hat mein Bruder sehr gut gesagt,“ lobte mich Winnetou, der an meiner Stelle gewiß genau ebenso gesprochen hätte.

Ich war neugierig auf Apanatschka, den zweiten Häuptling, der seinem Namen nach ein vorzüglicher Krieger sein mußte, denn das Comantschenwort Apanatschka bezeichnet einen Mann, der in allem gut und tüchtig ist.

Es dauerte nicht lange, so kamen beide, hoch aufgerichtet und stolz, wie Leute, welche den Vorteil auf ihrer Seite wissen. Sie wollten uns mit dieser Haltung imponieren, was ihnen aber freilich nicht gelingen konnte. Ohne ein Wort zu sagen, setzten sie sich uns gegenüber und hielten, die Gewehre quer über die Kniee gelegt, ihre Augen kalt auf uns gerichtet. Wir ließen uns dadurch nicht täuschen; in ihrem Innern sah es jedenfalls ganz anders aus als in ihren unbewegten Gesichtszügen, die eine Maske waren.

Aufrichtig gestanden, hatte ich in Apanatschka einen älteren Mann vermutet; aber er war noch jung, und ich mußte mir sagen, außer Winnetou noch keinen so interessanten Indianer gesehen zu haben.

Er war nicht überlang, aber sehr stark und kräftig gebaut. Ich suchte vergeblich nach dem Indianertypus in seinem Gesichte; es gab da weder die etwas schief stehenden Augen noch die hervorragenden Backenknochen. Sein dunkles Haar war lang gewachsen und auf dem Scheitel zusammengebunden. Beinahe hätte ich behaupten mögen, daß es eigentlich ein Kraushaar und nur durch die Pflege schlicht und straff geworden sei. Trotz der dunkeln Farbe seines Gesichtes schien es mir, als ob auf seiner Oberlippe, seinem Kinn und seinen Wangen jener eigentümliche blauschwarze Schimmer liege, den man bei stark- und dunkelbärtigen Männern bemerkt, wenn sie rasiert worden sind. Sollte dieser Apanatschka, aller Indianerart entgegen, einen so dichten Bart besitzen, daß er sich rasieren mußte? Wo nahm er die Seife her? Bekanntlich rasieren sich die Indianer nicht, sondern sie reißen sich die wenigen Barthaare, die sie haben, so lange aus, bis sie nicht wiederwachsen. Dieser Indsman war mir sehr sympathisch. Sein Gesicht machte einen Eindruck auf mich, den ich am liebsten mit dem Ausdrucke anheimeln bezeichnen möchte. Hatte ich ihn denn schon einmal gesehen? Gewiß nicht! Aber dann gab es unter meinen jetzigen oder früheren Bekannten ein Gesicht, welches dem seinigen ähnlich war. Mit der Schnelligkeit des Blitzes tauchten in meinem Innern hundert und hundert dieser Gesichter auf, aber das betreffende war nicht dabei. Es ist eigentümlich, daß einem das am nächsten Liegende so oft am fernsten ist!

Wenn feindliche Häuptlinge zu einer Besprechung zusammentreffen, so ist es nicht der vornehmste, der zuerst das Wort ergreift. Je höher sich einer dünkt, desto länger hüllt er sich in Schweigen. Es gilt da die Annahme, daß derjenige zuerst zum Reden getrieben wird, welcher den meisten Grund hat, gute Worte zu geben. Vupa Umugi schien die Absicht zu haben, so zu thun, als ob ihm an einer Verständigung gar nichts gelegen sei; er schwieg und sein Gesicht zeigte, daß er nicht eher reden wolle, als bis er von uns angesprochen worden sei. Das konnte mir auch recht sein, denn wir hatten Zeit, viel mehr Zeit als er.

Ich richtete mein Auge auf Winnetou, und ein kurzer Blick von ihm sagte mir, daß er nicht gewillt war, die Unterredung zu beginnen. Darum wartete ich ein Weile, und als dann noch nichts erfolgte, streckte ich mich lang aus und schob meinen Arm unter den Kopf wie einer, welcher ruhen oder gar einschlafen will. Dieses Verhalten erreichte seinen Zweck, wenn auch einstweilen erst nur halb, denn Vupa Umugi warf Apanatschka einen auffordernden Blick zu, worauf dieser sagte:

„Old Shatterhand und Winnetou, der Häuptling der Apatschen, haben mit uns sprechen wollen.“

Ich blieb liegen und antwortete nicht; auch Winnetou schwieg. Da wiederholte Apanatschka seine Worte:

„Old Shatterhand und Winnetou, der Häuptling der Apatschen, haben mit uns sprechen wollen.“

Er bekam auch jetzt keine Antwort; da wiederholte er dieselben Worte noch einmal. Nun richtete ich mich langsam auf und sagte:

„Was ich da höre, setzt mich in Verwunderung. Nicht wir haben mit euch sprechen wollen, sondern wir sind gefragt worden, ob wir nicht Vupa Umugi das sagen wollten, was seinen Boten unglaublich erschien. Wir haben ihm erlaubt, hierher zu kommen, und nun sitzt er da, als ob er gar nichts hören wolle. Warum schweigt er und läßt Apanatschka für sich sprechen? Ist er nicht klug genug zum Reden? Er, aber nicht Apanatschka, hat mit uns sprechen wollen, und wenn er den Mund nicht aufthut, so ist es uns auch recht. Wir haben Wasser genug und Fleisch, so viel wir brauchen. Wenn er eben so viel Zeit hat wie wir, so mag er noch weiter schweigen!“

Ich machte Miene, mich wieder niederzulegen, und das half; denn Vupa Umugi forderte mich auf:

„Old Shatterhand mag sitzen bleiben und meine Worte hören!“

„Ich höre!“ erwiderte ich kurz.

„Old Shatterhand hat behauptet, daß Nale-Masiuv mit seinen Kriegern gefangen sei?“

„Ich sagte es, und es ist wahr.“

„Wo wurde er gefangen?“

„Bei den hundert Bäumen.“

„Von wem?“

„Von mir, den Kriegern der Apatschen und den weißen Reitern, die sich mit uns vereinigt hatten.“

„Schiba-bigk soll auch gefangen sein?“

„Er ist’s.“

„Von wem?“

„Von Winnetou und mir mit unsern Apatschen.“

„Wo?“

„Als er von den hundert Bäumen unterwegs war, um dir durch die Pfähle den Weg zum Bloody-Fox zu zeigen.“

„Das kann ich nicht glauben!“

„So glaube es nicht!“

„Beweise es!“

Pshaw! Vupa Umugi ist nicht der Mann dazu, von Old Shatterhand Beweise zu verlangen!“

„Wie kannst du so hintereinander auf Schiba-bigk, auf die weißen Reiter und auf Nale-Masiuv treffen? Einen solchen Zufall giebt es nicht.“

„Es war kein Zufall, sondern Berechnung.“

„Berechnung? Da hättest du alles wissen müssen, was die Krieger der Comantschen zu thun beschlossen hatten!“

„Das wußte ich allerdings.“

„Von wem?“

„Von dir.“

„Uff! Habe ich es dir etwa gesagt?“

„Ja.“

„Wann und wo?“

„Am blauen Wasser.“

„Uff! Du traust Vupa Umugi eine große Menge Leichtgläubigkeit zu!“

„Das nicht. Was ich dir zutraue, ist eine noch viel größere Menge von Unvorsichtigkeit. Du bist geradezu blind und taub gewesen und hast es an allem fehlen lassen, was zur Ausführung eines Vorhabens, wie das eurige war, gehört.“

„Welches Vorhaben?“

„Diese deine Frage ist lächerlich! Winnetou, der Häuptling der Apatschen hat schon vor langer Zeit zwei Comantschenkrieger heimlich belauscht, welche davon sprachen, daß ihr nach dem Llano estacado wolltet, um Bloody-Fox zu überfallen; er ist sofort und direkt zu ihm geritten, um ihn zu warnen, und hat heimgesandt, um dreihundert Krieger kommen zu lassen, dem Fox zu helfen. Du siehst diese Krieger jetzt da draußen am Kaktus stehen.“

„Uff! Das war Winnetou; aber was wußtest du?“

„Ich erfuhr es von ihm. Während er zu Fox ritt, ging ich nach dem blauen Wasser, um euch zu beobachten und Old Surehand zu befreien, Es ist mir beides leichter geworden, als ich dachte. Als du mit deinen besten Kriegern nahe beim Ufer am Feuer saßest und von eurem Plane sprachst, lag ich zwischen dem Schilfe im Wasser und hörte jedes Wort.“

Er wollte einen Ruf des Grimmes ausstoßen, hielt ihn aber zurück; es kam nur eine Art von Zischen über seine Lippen. Ich fuhr fort:

„Ich nahm dich im Wasser des Sees gefangen und gab dich am nächsten Morgen frei. Du glaubtest dann, ich sei nach Westen geritten; aber ich hatte euch überlistet und kehrte nach dem Rio Pecos zurück. Da saßen die zwei Krieger, welche auf Nale-Masiuv warten und ihm die Furt zeigen sollten.

Ich belauschte sie mit Old Surehand. Während wir das thaten, kamen die zwei Boten Nale-Masiuvs, welche dir sagen sollten, daß er nicht sofort kommen könne, weil er von den weißen Reitern angegriffen und besiegt worden sei und erst heimsenden wolle, um hundert neue Krieger kommen zu lassen.“

„Uff, uff!“

„Während seine zwei Boten mit deinen beiden Kriegern sprachen und ihnen den ganzen Plan erklärten, lagen wir hinter dem nächsten Busche und hörten jedes Wort.“

„Old Shatterhand muß ein Liebling des bösen Geistes sein, der ihm die Wege des Belauschens zeigt und ihn auf denselben beschützt!“

Pshaw! Dann sandtest du sechs Kundschafter fort. Wir belauschten sie am Wasser des Altschese-tschi, wo sie von den Apatschen getötet wurden.“

„Uff! Getötet! Darum sahen wir sie nicht wieder! Ihr werdet diesen Mord mit euerm Leben bezahlen!“

„Prahle nicht! Wie kannst du so albern sein, uns drohen zu wollen! Schiba-bigk war mit zwanzig Mann gekommen, um dir den Weg zum Bloody-Fox zu zeigen. Du gabst ihm noch dreißig Naiini mit, damit er bei den hundert Bäumen Pfähle schneiden und euch durch sie den Weg zeigen solle. Ich wußte das, war noch eher im Llano als er, umringte ihn mit unsern dreihundert Apatschen und nahm ihn gefangen.“

„Uff! Leistete er Widerstand?“

„Ebensowenig, wie du welchen leisten wirst.“

„Schweig! Wir werden kämpfen!“

„Warte es ab! Als wir ihn festhatten, ritten wir wieder nach den hundert Bäumen. Wir entfernten die Pfähle, die er gesteckt hatte, und Winnetou steckte sie in der Richtung nach hier ein, um euch in dieses große Kaktusfeld zu leiten. Ihr hattet also ihn vor euch, nicht Schiba-bigk.“

„Uff!“

„Ich blieb in der Nähe der hundert Bäume, um auf dich zu warten. Du kamst am Abend und zogst am Morgen weiter.“

„Aber du weißt nicht, was für einen guten Fang wir dort gemacht haben!“

Pshaw, den alten Wabble! Als er mit seinem Pferde zu dir gebracht wurde, steckte ich mit Old Surehand nur vier Schritte von dir entfernt im Gebüsch und hörte wieder jedes Wort. Jetzt hast du gehört, woher ich alles weiß, nämlich von dir selbst. Früh rittet ihr fort, euerm Verderben entgegen, weil ihr an die Pfähle glaubtet, die doch das Werk Winnetous waren. Wir aber blieben dort, um auf die weißen Reiter zu warten. Sie kamen und wir warnten sie. Als sie hörten, daß sie, anstatt euch zu verfolgen, selbst die Verfolgten seien, waren sie augenblicklich bereit, sich mit uns gegen Nale-Masiuv zu vereinigen. Wir versteckten uns, und als er nach den hundert Bäumen kam, wurde er umzingelt.“

„Aber er hat sich gewehrt?“

„Nein.“

„Uff! Er muß gekämpft haben, denn er ist kein Feigling!“

„Aber hinterlistig ist er. Ich ließ ihn zu einer Beratung auffordern, zu welcher keine Waffen mitgebracht werden durften. Er kam und hatte ein Messer bei sich versteckt. Während ich mit ihm sprach, ergriff er es, um mich zu erstechen; da schlug ich ihn nieder und nahm ihn gefangen. Er mußte einsehen, daß er verloren sei. Dazu nahm ich ihm seine Medizin und drohte, sie zu verbrennen, ihn aufzuhängen und ihm die Skalplocke zu rauben. Da bat er mich um Gnade, und ich gewährte sie ihm. Er wurde mit seinen Kriegern gefangen und gefesselt.“

„Wo ist er jetzt?“

„Die weißen Reiter sind mit ihm über den Rio Pecos hinüber, wo er freigelassen wird, denn ich habe ihm und seinen Kriegern das Leben geschenkt; aber ihre Pferde und Waffen müssen sie hergeben.“

„Uff, uff, weil du ihm die Medizin genommen hast, sonst hätte er sich nicht ergeben!“

„Du wirst dich ebenso ergeben, wie er!“

„Nein!“

„Denn ich werde dir deine Medizin auch nehmen!“

Da ging ein schadenfrohes Lachen über sein Gesicht, und er antwortete:

„Du kannst sie mir nicht nehmen.“

„Warum?“

„Weil ich sie nicht bei mir habe. Vupa Umugi besitzt nicht nur eine Medizin, sondern mehrere; aber er ist so klug, sie niemals mit in den Kampf zu nehmen, wo er sie leicht verlieren kann. Du bekommst sie nicht!“

„Ich habe gesagt, daß ich sie dir nehme, und was Old Shatterhand sagt, ist immer wahr; du wirst’s erfahren. Nun weiter! Wir hatten es nun nur noch mit dir zu thun, füllten viele Schläuche mit Wasser und ritten hinter dir her. Du nennst dich klug, bist aber doch so dumm gewesen, Winnetou hierher zu folgen, ohne zu bemerken, daß du nicht Schiba-bigk vor dir hattest. Jetzt steckt ihr in der Falle, von drei Seiten vom Kaktus umgeben und auf der vierten die Apatschen. Willst du kämpfen?“

„Ja,“

„Versuche es doch! Aber ich weiß, daß du es nicht thust. Selbst wenn ihr Sieger würdet, müßtet ihr verschmachten, weil ihr kein Wasser habt; aber der Sieg ist für euch ganz unmöglich. Schau dich um! Ihr habt keinen Platz, euch auszubreiten, und seid so eingeengt, daß jede Kugel von uns mehrere Krieger von euch treffen muß. Wir haben Wasser, ihr habt keins. Wir selbst und unsre Pferde sind frisch und munter; ihr aber dürstet und eure Tiere sind zum Umfallen ermattet. Überlege dir das wohl!“

„Wir werden dennoch kämpfen!“

„Nein. Du bist unvorsichtig, aber wahnwitzig bist du nicht.“

Er senkte den Kopf und schwieg. Es verging eine lange Zeit, ohne daß er ein Wort sagte; dann fragte er in gepreßtem Tone:

„Was würdet ihr über uns bestimmen, wenn wir uns euch auslieferten?“

„Wir würden euch das Leben schenken.“

„Sonst nichts?“

„Nein.“

„Ohne Pferde und Gewehre sind wir nichts; wir können sie nicht hergeben.“

„Ihr werdet sie dennoch hergeben, wenn wir sie verlangen. Wenn wir euch das Leben lassen, ist es mehr Gnade als genug. Wäret ihr die Sieger, würde es keine Gnade für uns geben, sondern wir müßten alle am Marterpfahle sterben.“

Er ballte grimmig die Hände zusammen und rief aus:

„Daß dich der böse Geist an das blaue Wasser führte! Wäre das nicht geschehen, so hätte der Plan, den wir faßten, gelingen müssen!“

„Das ist wahr, und darum denke ich, daß es nicht ein böser, sondern ein guter Geist gewesen ist, der mich nach dem blauen Wasser geführt hat. Ihr habt keine Hoffnung, uns zu entkommen. Wenn ihr euch nicht ergebt, so seid ihr verloren. Das mußt du einsehen.“

„Nein, ich sehe es nicht ein!“ „So ist deine Seele von dir gewichen!“

„Ich habe sie noch. Denke daran, daß der Indianertöter unser Gefangener ist, den ihr Old Wabble nennt!“

„Was geht der uns an?“

„Etwa nichts?“

„Gar nichts!“

„Er ist ein Geisel in unsern Händen!“

Pshaw!“

„Und muß sterben, wenn ihr einem von uns etwas thut!“

„Mag er sterben! Er ist in deine Hände gefallen, weil er mir ungehorsam war, und wer mir nicht gehorcht, an dem habe ich keinen Teil; er hat sich von mir losgesagt.“

„So bist du damit einverstanden, daß er stirbt?“

„Nein.“

„Du hast das aber soeben gesagt!“

„So hast du mich falsch verstanden. Ich meine nur, daß ich kein Opfer bringen werde, um ihn zu retten; tötet ihr ihn aber, so werde ich ihn blutig rächen; darauf kannst du dich verlassen. Jetzt bin ich fertig und habe dir nichts mehr zu sagen.“

Ich stand auf, und Winnetou folgte meinem Beispiele. Die beiden Comantschen erhoben sich auch. Apanatschka richtete sein Auge mit einem ganz eigentümlichen Ausdrucke auf uns; das war nicht Grimm, nicht Zorn, nicht Haß; fast hätte ich es Wohlwollen nennen mögen, Wohlwollen und Ehrerbietung, wenn es deutlicher zu sehen gewesen wäre; aber er bemühte sich, seine Gedanken und Gefühle zu verbergen. Um so deutlicher sahen wir, daß der Ärger und der Haß in Vupa Umugi kochten. Es tobte und kämpfte in seinem Innern, bis er hastig hervorstieß:

„Und wir sind auch fertig!“

„Und habt uns nichts mehr zu sagen?“

„Jetzt nicht.“

„Aber später?“

„Ich werde mit meinen Kriegern sprechen.“

„So thue es schnell, und versäume nicht die Zeit! Es könnte uns leicht die Geduld ausgehen!“

Pshaw! Noch giebt es Rettungswege!“

„Keinen einzigen!“

„Mehrere!“

„Und wenn es hundert gäbe, es würde euch doch keiner etwas nützen. Wenn es nicht anders geht, brennen wir den Kaktus an.“

„Uff!“ rief er erschrocken.

„Ja, das würden wir thun, wenn es kein anderes Mittel gäbe, euch gefüge zu machen.“

„Wollen Winnetou und Old Shatterhand Mordbrenner werden?“

„Laß derartige Fragen! Im Verhältnisse zu euch ist ein Mordbrenner noch ein sehr guter Mensch. Also sprich mit deinen Leuten, und laß es uns bald wissen, was ihr beschlossen habt!“

„Du wirst es erfahren.“

Bei diesen Worten drehte er sich und ging mit Apanatschka fort, lange nicht in der stolzen Haltung, in welcher er gekommen war. Auch wir gingen zu unsern Leuten zurück, welche neugierig waren, was wir durch die Unterredung mit den beiden Häuptlingen erreicht hatten.

Natürlich ließen wir die Comantschen von jetzt an nicht mehr aus den Augen. So unsinnig ein Angriff ihrerseits gewesen wäre, mußten wir doch auch mit dieser Möglichkeit rechnen und uns zur Abwehr bereit halten. Wir konnten nur die Vordern von ihnen sehen; was hinter diesen vorging, blieb uns verborgen. Ich holte deshalb mein Pferd und ritt so lange seitwärts hin, bis ich nicht mehr nur ihre Spitze, sondern ihre Seite vor mir hatte. Da sah ich, daß höchstens nur noch dreißig Comantschen da hielten, wo wir sie alle vermutet hatten; die andern waren fortgeritten, wieder tief in den Kaktus hinein. Ich kehrte um und meldete dies Winnetou.

„Sie wollen sich mit ihren Messern durch den Kaktus arbeiten,“ sagte er.

„Dieser Ansicht bin ich auch. Es wird ihnen freilich nicht gelingen.“

„Nein. Der verdorrte Kaktus ist kieselhart, so daß ihre Messer sehr schnell stumpf werden.“

„Wir dürfen trotzdem keine Vorsicht versäumen. Ich werde noch einmal fortreiten, um sie zu beobachten.“

„Mein Bruder mag das thun; nötig aber ist es nicht.“

„Darf ich mit, Mr. Shatterhand?“ fragte Parker.

„Meinetwegen.“

„Und ich auch?“ erkundigte sich Hawley.

„Ja, sonst aber weiter niemand. Holt eure Pferde!“

Wir ritten südwärts, bis wo das Kaktusfeld nach Osten eine Krümmung machte, der wir folgten. Wir jagten wohl eine ganze Stunde in dieser Richtung weiter und kamen an eine sandige Bucht, die sich tief in den Kaktuswald hineinzog. Von ihr ließen wir uns führen, bis sie zu Ende war. Ich zog das Fernrohr aus und suchte mit ihm nach den Comantschen; ich entdeckte sie als winzig kleine Punkte weit oben im Norden. Was sie thaten, das konnte ich nicht sehen; aber jedenfalls waren sie bemüht, sich mit den Messern einen Weg zu bahnen – einen Weg durch dieses unabsehbare Stacheldickicht, eine Unmöglichkeit! Wir kehrten um, natürlich auf demselben Wege, auf dem wir gekommen waren.

Als wir die erwähnte Sandbucht verlassen hatten und wieder nach Westen einbiegen wollten, war es mir, als ob sich tief im Süden etwas über den Llano bewege. Ich richtete das Rohr dorthin und sah, daß ich mich nicht geirrt hatte; es waren Reiter. Jetzt konnte ich sie noch nicht zählen; nach einiger Zeit aber sah ich, daß es ihrer acht waren, welche vier Packpferde oder Maultiere bei sich hatten. Sie ritten nach Nordost und mußten also an der hinteren Seite des Kaktusfeldes vorüberkommen, an dessen vorderer Front unsere Apatschen hielten. Wenn sie die Comantschen sahen und ihnen behilflich waren, durch den Kaktus zu entkommen! Ich hielt dies zwar für eine Unmöglichkeit, hatte aber gar zu oft erfahren, daß durch einen kleinen Zufall die Unmöglichkeit zur Möglichkeit wird. Ich durfte sie ihren Weg nicht fortsetzen lassen, sondern mußte sie bestimmen, mit uns nach der andern Seite des Kaktus zu reiten, zumal ich jetzt bemerkte, daß vier von den acht Reitern Indianer waren.

Zu welchem Stamme gehörten sie? Das mußte ich erfahren. Wir ritten also so weit südlich, bis wir uns grad in ihrer Richtung befanden, und warteten dort. Sie hatten uns nun auch gesehen, hielten eine Weile an, um sich zu besprechen, und kamen dann auf uns zugeritten.

Unter ihnen gab es nur zwei, die mir in die Augen fielen, einer von den Weißen und einer von den Roten. Dieser Indianer hatte eine Adlerfeder im Schopfe, was ihn als Häuptling erkennen ließ. Der Weiße war ein langer, hagerer Mensch, der zwischen fünfzig und sechzig Jahre zählte. Seine Kleidung war höchst phantastisch zusammengesetzt, halb Civil und halb militärisch, und sonderbarer Weise trug er einen langen Säbel an der Seite. Als sie uns so nahe gekommen waren, daß ich die Gesichter erkennen konnte, sah ich, daß dasjenige dieses Weißen nicht eben ein Vertrauen erweckendes war.

Sie hielten in einiger Entfernung von uns an; der Weiße machte eine nachlässige, beinahe herablassende Bewegung mit der Hand nach der Krempe seines Hutes und sagte:

Good day, Boys! Was treibt ihr hier in der Mitte dieser verdammten Wüste, he?“

„Wir reiten ein wenig spazieren,“ antwortete ich.

„Spazieren? Eigenartiges Vergnügen! Wenn ich nicht durch den Llano müßte, würde mich kein Mensch hierher bringen. Wer und was seid ihr denn eigentlich?“

„Boys sind wir.“

„Antwortet ordentlich, und treibt keinen Scherz!“

„Ihr habt uns Boys genannt, folglich werden wir wohl welche sein.“

„Unsinn! Habe keine Lust, auf solche Mucken einzugehen. Wenn man im wilden Llano jemand trifft, muß man unbedingt wissen, wer er ist.“

„Das ist richtig.“

„Schön! Ich habe euch getroffen, folglich – – nun?“

„Wir haben euch auch getroffen, folglich – – nun?“

„Hört, Ihr scheint ein sehr sonderbarer Kauz zu sein! Ich bin sonst nicht so willfährig, will aber heut einmal eine Ausnahme machen. Ihr seht mir doch wohl an, daß ich Offizier bin?“

„Möglich.“

„Habt Ihr einmal von dem berühmten Douglas gehört, General Douglas, wollte ich sagen?“

„Nein.“

„Was? Nicht?“

„Nein.“

„So seid Ihr in der Kriegsgeschichte der Vereinigten Staaten ganz und gar unbewandert!“

„Auch möglich.“

„Dieser General Douglas bin nämlich ich!“

Er warf sich bei diesen Worten gewaltig in Positur, was ein wirklicher General schwerlich thun würde.

„Schön! Freut mich, Sir!“

„Habe bei Bull-Run gekämpft.“

„Das macht Euch alle Ehre.“

„Bei Gettysburg, bei Harpers-Ferry, bei den Chattanoogabergen und in zwanzig andern Schlachten. Bin da stets Sieger gewesen. Glaubt Ihr das?“

Dabei schlug er an den Säbel, daß es nur so rasselte.

„Warum nicht?“ antwortete ich.

Well! Wollte es Euch auch geraten haben! Jetzt reite ich durch den Llano. Diese Weißen sind meine Diener, und diese Indianer meine Führer; ihr Anführer ist Mba, der Häuptling der Chickasaws.“

Ein Finger dieses Häuptlings war jedenfalls mehr wert als der ganze sogenannte General. Ich fragte ihn:

„Haben die Krieger der Chickasaws das Kriegsbeil gegen einen roten Stamm ausgegraben?“

„Nein,“ antwortete er.

„Gegen die Apatschen nicht und auch gegen die Comantschen nicht?“

„Nein.“

„So steht Mba, dem Häuptlinge dieses friedlichen Stammes, eine große Überraschung bevor. Nämlich da oben jenseits des Kaktus befindet sich Winnetou, der Häuptling der Apatschen, mit vielen Kriegern, welche Vupa Umugi, den Häuptling der Comantschen, mit seinen Leuten eingeschlossen haben und gefangen nehmen wollen. Willst du das mit ansehen?“

„Ich reite hin!“ antwortete er, indem seine Augen blitzten.

„Winnetou?“ fragte der General. „Den muß ich sehen. Natürlich reiten wir hin! Und wer seid Ihr, Sir?“

„Ich gehöre zu Winnetou; man nennt mich Old Shatterhand.“

Da machte er große Augen, betrachtete mich mit einem ganz andern Blicke als bisher und sagte:

„Habe viel von Euch gehört, Sir. Freut mich, Euch kennen zu lernen. Hier meine Hand, die Hand eines siegreichen Generals!“

Ich gab ihm die meinige, sehr zufrieden damit, daß sie freiwillig mit uns ritten. Mba sagte kein Wort, doch sah ich es ihm an, daß er es für eine Ehre hielt, uns getroffen zu haben. Um so redseliger war Douglas. Er wollte alles mögliche über den gegenwärtigen Zusammenstoß der Apatschen mit den Comantschen wissen, und ich erteilte ihm grad so viel Auskunft, wie unumgänglich nötig war, denn er gefiel mir nicht; er hatte ein ausgesprochenes Gaunergesicht. Als er den Namen Old Surehand hörte, stutzte er so auffällig, daß zwischen ihm und dem Genannten unbedingt etwas vorliegen mußte. Ich nahm mir vor, ihn zu beobachten.

Als wir bei unsern Apatschen ankamen, wunderten sich diese nicht wenig, daß ich Gesellschaft mitbrachte, die ich mitten in der Wüste gefunden hatte und die auf einen solchen Ritt eingerichtet war, denn die Packpferde trugen volle Wasserschläuche. Ich nannte die Namen. Winnetou begrüßte Mba mit ernster Freundlichkeit, den General aber höchst zurückhaltend. Old Surehand sah den letzteren verwundert an; er war erstaunt über das Äußere dieses Mannes, kannte ihn aber offenbar nicht im geringsten. Dagegen war das Auge des angeblichen Offiziers fast ängstlich forschend auf ihn gerichtet, und die Besorgnis schien sich erst zu legen, als er sah, daß Old Surehand ihn wie einen völlig Unbekannten behandelte. Dadurch befestigte sich meine Überzeugung, daß man sich vor diesem Manne in acht zu nehmen habe. Ich benutzte die nächste von ihm unbeachtete Gelegenheit, Old Surehand zu fragen:

„Kennt Ihr diesen Quasi-General, Sir?“

„Nein,“ antwortete er.

„Ihr seid ihm noch nicht begegnet?“ „Nein. Ich sehe ihn heut zum erstenmal.“ „Besinnt Euch, ob es wirklich so ist!“

„Ich brauche mich nicht zu besinnen; es ist wirklich so. Aber warum fragt Ihr mich in dieser Weise, Sir?“

„Weil er in irgend einer Beziehung zu Euch zu stehen scheint.“

„Wieso?“

„Er erschrak, als ich ihm Euern Namen nannte.“

„Jedenfalls Täuschung!“

„Nein; ich habe es deutlich gesehen. Und vorhin hat er Euch geradezu ängstlich betrachtet.“

„Wirklich?“

„Ja. Es war ganz deutlich zu sehen, daß er ganz gespannt darauf war, ob Ihr Euch seiner erinnern würdet.“

„Hm! Ich kenne Eure scharfen Augen, Mr. Shatterhand; in diesem Falle aber haben sie Euch irregeführt. Ich habe mit diesem Douglas nichts zu schaffen.“

„Er aber desto mehr mit Euch, wie es scheint. Ich werde ihn weiter beobachten.“

„Thut das, Sir! Ihr werdet sehen, daß ich recht habe.“

Die Sonne brannte glühend heiß hernieder; der Mittag kam und verging, ohne daß uns von den Comantschen eine Antwort wurde. Dann aber bemerkten wir eine Bewegung unter ihnen, welche uns verriet, daß sie jetzt wieder voll beisammen waren. Vupa Umugi hatte eingesehen, daß es unmöglich war, einen Weg durch den Kaktus zu bahnen, und war zurückgekehrt. Es blieb ihm nun nichts weiter übrig, als eine zweite Unterredung anzubahnen. Wirklich sahen wir auch bald einen Comantschen kommen, welcher uns von weitem zurief, daß die beiden Häuptlinge noch einmal mit uns sprechen wollten. Wir gaben eine zustimmende Antwort und gingen nach der Stelle, an welcher die erste Besprechung stattgefunden hatte. Vorher aber nahm ich aus der Satteltasche die Medizinen, die ich aus dem Thale der Hasen mitgebracht hatte. Ich steckte sie unter den zugeknöpften Jagdrock, so daß sie nicht zu sehen waren.

Wir hatten uns kaum niedergesetzt, als Vupa Umugi mit Apanatschka kam. Sie nahmen ihre früheren Plätze uns gegenüber wieder ein und bemühten sich, so unbefangen wie möglich zu erscheinen, doch war es gar nicht zu verkennen, daß sie voller Sorge waren. Trotzdem war das Auge Apanatschkas nicht unfreundlich auf uns gerichtet, während in demjenigen des alten Häuptlings das Feuer des Hasses brannte.

Dieses Mal vermied es Vupa Umugi, uns lange warten zu lassen. Er begann ganz kurze Zeit, nachdem er sich niedergesetzt hatte:

„Ist Old Shatterhand noch derselben Meinung, wie er vorhin war?“

„Ja,“ antwortete ich.

„Ich habe mit meinen Kriegern gesprochen und bin gekommen, ihm einen Vorschlag zu machen.“

„Ich werde ihn hören.“

„Wir werden die Kriegsbeile begraben und mit euch die Pfeife des Friedens rauchen.“

„Schön! Ich sehe, daß du Verstand annimmst. Dieser Verstand wird dir aber sagen, daß wir deinen Vorschlag nur unter gewissen Bedingungen annehmen können.“

„Uff! Ihr wollt Bedingungen machen?“

„Natürlich!“

„Die giebt es nicht!“

„Die giebt es gar wohl! Oder glaubst du, daß nach allem, was geschehen ist und was in eurer Absicht lag, du nur zu sagen brauchst, daß du uns den Frieden bietest, um wie ein Sieger abziehen zu können? Das ist ein so freches Ansinnen, daß ich am liebsten unsern Kriegern befehlen möchte, die deinigen sofort niederzuschießen. Ich thue es auch, sobald du mir noch einmal mit einer solchen Dummheit kommst. Nimm dich in acht!“

Ich hatte das in so erhobenem und strengem Tone gesagt, daß er verlegen die Augen senkte. Dann fragte er in einem viel weniger zuversichtlichen Tone:

„Was verlangt ihr, um uns ziehen zu lassen?“

„Was ich schon gesagt habe. Wir schenken euch die Freiheit und das Leben, nehmen uns aber eure Pferde und Gewehre. Die andern Waffen könnt ihr behalten.“

„Darauf kann ich nicht eingehen!“

„Gut, so sind wir fertig, und der Kampf mag beginnen!“

Ich machte Miene, aufzustehen; da forderte er mich rasch auf. „Halt, bleib noch hier! Bist du wirklich so sicher und überzeugt, daß wir unterliegen?“

„Vollständig.“

„Wir werden uns wehren!“

„Das hilft euch nichts. Wir wissen, was geschehen wird, und du kannst dich auch nicht selbst darüber täuschen, daß im Falle des Kampfes keiner von euch leben bliebe.“

„Aber von euch würden auch sehr viele fallen!“

„Schwerlich! Mein Zaubergewehr reicht ganz allein aus, euch alle von uns fern zu halten. Es trägt seine Kugeln so weit, daß die eurigen uns gar nicht erreichen können.“

„Denke an Old Wabble, den wir bei uns haben!“

„Ich denke an ihn.“

„Er wird der erste sein, welcher stirbt!“

„Aber nicht der letzte; ihr werdet ihm folgen. Wenn sein Blut fließt, habt ihr keine Gnade zu erwarten.“

„Uff! Old Shatterhand glaubt, es mit Vupa Umugi grad so wie mit Nale-Masiuv machen zu können!“

„Ja, das denke ich.“

„Du hast seine Medizin gehabt und ihn also gewinnen können.“

„Habe ich dir nicht gesagt, daß ich die deinigen auch holen werde?“

„Das hast du gesagt; aber du bekommst sie nicht.“

Pshaw! Nichts ist leichter, als sie zu holen. Ich weiß, wo du sie gelassen hast.“

„Wo?“

„Im Kaam-kulano.“

„Uff!“

„Sie hängen vor deinem Zelte, in dessen Nähe das Zelt steht, in welchem der gefangene Neger angebunden ist.“

„Uff! Von wem hat das Old Shatterhand erfahren?“

„Ich habe es nicht nur erfahren, sondern mit diesen meinen Augen gesehen. Paß auf, was ich jetzt thue!“

Ich stand auf, zog das Messer und sammelte mit demselben einen Haufen branddürren Kaktus; dann wendete ich mich wieder zu Vupa Umugi:

„Ich bin von dem Altschese-tschi nach dem Kaam-kulano geritten.“

„Uff!“

„Und habe von dort dreierlei mitgebracht.“

„Was?“

„Den Neger – –“

„Das ist nicht wahr!“

„Dein junges Lieblingspferd – –“

„Das glaube ich nicht!“

„Und deine Medizinen.“

„Das ist eine Lüge – eine große, große Lüge!“

„Old Shatterhand lügt nicht. Schau her!“

Ich öffnete meinen Jagdrock, zog die Medizinen hervor und legte sie auf den dürren Haufen. Als der Häuptling sie erblickte, schienen seine Augen aus ihren Höhlen treten zu wollen; seine Muskeln spannten sich an, und ich sah, daß er im nächsten Augenblicke aufspringen würde, um nach den Medizinen zu greifen; ich griff schnell zum Revolver, hielt ihm denselben entgegen und drohte:

„Halt, bleib sitzen! Ich habe dir Sicherheit und freie Rückkehr versprochen und werde mein Wort halten; aber diese Medizinen gehören jetzt mir, und sobald du Miene machst, dich an ihnen zu vergreifen, erschieße ich dich!“

Er sank kraftlos zusammen und stöhnte:

„Es – sind – – meine – – – Medizinen – – – wirklich – – -meine Medizinen!“

„Ja, sie sind es, und du erkennst jetzt abermals, daß Old Shatterhand stets weiß, was er sagt. Ich gab dir mein Wort, dich genau so wie Nale-Masiuv zu behandeln. Sag schnell, werdet ihr euch unter den Bedingungen, die ich dir mitgeteilt habe ergeben?“

„Nein – – das – – thun wir – – nicht!“

„So werde ich zunächst jetzt deine Medizinen verbrennen; später nehme ich dir die Skalplocke, und dann wirst du aufgehängt. Howgh!“

Ich nahm ein Zündholz aus der Tasche, strich es vor und hielt es an den Kaktus, der gleich zu brennen begann.

„Halt! Meine Medizinen, meine Medizinen!“ brüllte der Häuptling in größter Angst. „Wir ergeben uns; wir ergeben uns!“

Weil ich ihm den Revolver noch immer entgegenhielt, getraute er sich trotz seiner Aufregung nicht, seinen Platz zu verlassen. Ich löschte das Feuer aus und erklärte in meinem ernstesten Tone, indem ich ein zweites Zündholz nahm:

„Höre, was ich dir jetzt sage! Ich habe das Feuer getötet, weil du versprichst, dich zu ergeben. Laß dir ja nicht beikommen, dieses Versprechen nicht zu halten! Bei der geringsten Weigerung von deiner Seite zünde ich das Feuer wieder an, und dann verlöscht es nicht eher, als bis die Medizinen vollständig verbrannt sind. Diese Worte gelten so, als ob ich sie mit der Pfeife des Schwures bekräftigt hätte!“

„Wir ergeben uns; wir ergeben uns!“ versicherte er, vor Angst beinahe zitternd.

„Bekomme ich da meine Medizinen wieder?“

„Ja.“

„Wann?“

„In dem Augenblicke, in welchem wir euch die Freiheit wiedergeben, eher nicht. Wir werden sie bis dahin sehr gut aufbewahren, sie aber sofort vernichten, wenn ihr einen Versuch, euch zu befreien, macht. Ich verlange folgendes von dir: Du bleibst jetzt gleich hier bei uns, lieferst deine Waffen ab und wirst gebunden. Gehst du darauf ein?“

„Ich muß; ich muß, weil du meine Medizinen hast!“

„Apanatschka kehrt zu euern Kriegern zurück und teilt ihnen mit, was du beschlossen hast. Sie legen da, wo sie jetzt sind, alle ihre Waffen ab, lassen sie dort liegen und kommen dann einzeln zu uns, um so wie du gebunden zu werden. Werden sie das thun?“

„Sie thun es, denn die Medizinen ihres Häuptlings sind ihnen grad so heilig wie ihre eigenen.“

„Wohl! Sie werden durstig sein und Wasser bekommen; dann werden wir nach und nach auch ihre Pferde tränken und diesen Ort verlassen, um dahin zu gehen, wo mehr Wasser ist. Wenn ihr gehorsam seid und euch gut verhaltet, ist es nicht unmöglich, daß wir von unserer Strenge weichen und euch oder wenigstens einer Anzahl von euch die Pferde oder die Gewehre lassen. Du hörst, daß ich gegen dich gütiger bin, als ich gegen Nale-Masiuv war. Bist du einverstanden?“

„Ja. Ich muß mich doch fügen, um meine Medizinen und mit ihnen meine Seele zu retten!“

„So mag Apanatschka jetzt gehen. Ich gebe ihm die Zeit von dem vierten Teile einer Stunde. Wenn dann die Krieger der Comantschen nicht einer nach dem andern waffenlos bei uns erscheinen, werden deine Medizinen verbrannt!“

Der junge Häuptling stand auf, trat mir einen Schritt näher und sagte:

„Ich habe viel von Old Shatterhand gehört. Er ist das größeste aller Bleichgesichter, und niemand kann seiner Stärke und seiner Klugheit widerstehen; das haben wir auch heut erfahren. Apanatschka war sein Feind, freut sich aber sehr, ihn kennen gelernt zu haben, und wird, wenn er leben bleibt, von jetzt an stets sein Freund und Bruder sein!“

„Leben bleiben? Das Leben ist dir ja geschenkt!“

Da richtete er sich hoch und stolz auf und antwortete:

„Apanatschka ist weder ein Kind noch ein altes Weib, sondern ein Krieger; er läßt sich das Leben nicht schenken!“

„Was meinst du mit diesen Worten? Was beabsichtigst du? Was willst du thun?“

„Das wirst du nicht jetzt, sondern später erfahren.“

„Willst du uns Widerstand leisten?“

„Nein. Ich bin dein Gefangener wie alle Krieger der Comantschen und werde weder widerstreben noch zu fliehen suchen; aber Old Shatterhand und Winnetou sollen niemals von mir sagen, daß ich mein Leben der Angst um die Medizinen eines andern Häuptlings zu verdanken habe. Apanatschka weiß, was er sich und seinem Namen schuldig ist!“

Er drehte sich um und schritt stolz von dannen.

„Uff!“ erklang es von den Lippen Winnetous.

Das war ein Ausruf der Anerkennung, ja, der Bewunderung. Wenn der schweigsame Apatsche sich zu einem solchen hinreißen ließ, so konnte die Veranlassung dazu keine gewöhnliche sein. Auch meine Augen waren gefangen, dem wackern, jungen Krieger zu folgen, der mich gleich bei dem ersten Blicke angezogen hatte und nun durch sein Verhalten bewies, daß er in Beziehung auf seine Gesinnung weit über seinesgleichen emporragte; denn was er beabsichtigte, das ahnte ich und das ahnte auch Winnetou.

Jetzt stand auch Vupa Umugi auf, langsam und mühsam, als ob eine Last ihn niederdrücken wolle. Und der Vorwurf, den er sich machen mußte, daß er, der oberste Kriegshäuptling der Naiini-Comantschen, gezwungen war, sich seinen Feinden, die er verderben wollte, ohne jede Gegenwehr zu ergeben, war auch eine Last, eine große und schwere Last für ihn, deren er vielleicht im ganzen Leben nicht wieder ledig wurde. Er schritt fast wankend zwischen uns her, als wir zu unsern Leuten zurückkehrten, nachdem ich die Medizinen wieder an mich genommen hatte. Dort ließ er sich willig fesseln und auf die Erde legen.

Natürlich war Old Surehand der erste, dem wir das Ergebnis unserer Verhandlung mitteilten. Dann nahm mich gleich der „General“ in Beschlag, der gehört hatte, was ich Old Surehand sagte, und mir Lobeserhebungen machen wollte, die ich kalt zurückwies. Dabei ruhten seine Augen gierig auf meinen Gewehren, was ich jetzt leider nicht beachtete, woran ich aber später anders, als mir lieb war, erinnert wurde. Dann sagte er in gedämpftem Tone:

„Ich interessiere mich sehr für Euch und alle, die bei Euch sind, also auch für Mr. Surehand. Ist das sein richtiger Name?“

„Glaube es nicht,“ antwortete ich.

„Wie heißt er eigentlich?“

„Das weiß ich nicht.“

„Aber seine Verhältnisse kennt Ihr wohl?“

„Nein.“

„Auch nicht, woher er stammt?“

„Auch nicht. Wenn Ihr das alles wissen wollt, will ich Euch einen guten Rat geben.“

„Nun?“

„Fragt ihn selbst! Vielleicht sagt er es Euch. Mir hat er’s nicht gesagt, und ich war auch nicht so neugierig, es wissen zu wollen.“

Damit drehte ich mich um und ließ ihn stehen.

Nun warteten wir, ob die Comantschen sich einstellen würden. Der erste, welcher kam, war nicht ein Roter, sondern ein Weißer, nämlich Old Wabble. Er kam nicht zu Fuß, sondern geritten; er hatte sich das nicht nehmen lassen. Bei mir hielt er an, sprang vom Pferde, hielt mir grüßend die Hand entgegen und rief froh und unbefangen, als ob er sich gar nichts vorzuwerfen habe:

Welcome, Sir! Ich muß Euch die Hand drücken, daß Ihr gekommen seid. Hatte große Sorge, wie das ablaufen würde. Nun aber ist ja alles wieder gut; th’is clear!“

„Nein, das ist nicht so klar!“ antwortete ich, ohne seine Hand anzunehmen. „Ich habe mit Euch nichts mehr zu thun!“

„So? Ah! Warum?“

„Weil Ihr trotz Euers hohen Alters ein ganz dummer, nichtsnutziger Boy seid, vor dem sich jeder verständige und bedachtsame Mann zu hüten hat. Geht mir aus den Augen!“

Ich ließ auch ihn stehen wie vorhin den General; er ging zu Old Surehand, dann zu Parker und Hawley; sie wendeten sich, ohne ihm zu antworten, grad so von ihm ab wie ich. Er stand allein, bis sich der General an ihn machte.

Nun folgten die Comantschen einer nach dem andern, so wie ich es verlangt hatte. Sie waren entweder selbst zu der Einsicht gekommen, daß keine andere Rettung für sie sei, oder besaß Apanatschka einen solchen Einfluß auf sie, daß sie seinen Vorstellungen und Befehlen keinen Widerstand geleistet hatten. Jeder wurde, wie er kam, nach Waffen untersucht und dann gefesselt. Es gab keinen unter ihnen, bei dem etwas gefunden wurde; sie hatten alles, was als eine Wehr gelten konnte, abgelegt und bei den Pferden gelassen. Als sie dann so nebeneinander lagen, hundertundfünfzig kühne und gewissenlose Indianer, welche ausgezogen waren, zu rauben und zu morden und keinen Gegner zu schonen, wurde es uns erst richtig klar, welcher Gefahr und welchem Schicksal wir entgangen waren.

Wenn ich sage, die Comantschen lagen alle da, so ist einer von ihnen auszunehmen, nämlich Apanatschka, welcher sich zuletzt eingestellt hatte und auf einen Wink von mir nicht gefesselt worden war, Als die Apatschen den letzten Comantschen gefesselt hatten, trat der junge Häuptling zu mir heran und sagte:

„Old Shatterhand wird nun wohl auch mich in Banden legen lassen wollen?“

„Nein,“ antwortete ich. „Mit dir möchte ich gern eine Ausnahme machen.“

„Warum mit mir?“

„Weil ich Vertrauen zu dir habe, denn du bist nicht wie die anderen Söhne der Comantschen, denen man nicht glauben kann.“

„Willst du mich kennen? Du hast mich doch heute zum erstenmale gesehen!“

„Das ist wahr; aber dennoch kenne ich dich. Dein Gesicht und deine Augen können nicht lügen. Du sollst deine Waffen tragen dürfen und ungefesselt mit uns reiten, wenn du mir das Versprechen giebst, nicht die Flucht zu ergreifen.“

Winnetou und Old Surehand standen bei mir. Über das ernste Gesicht Apanatschkas ging ein sonnenheller Blick der Freude, doch antwortete er nicht.

„Willst du mir dieses Versprechen geben?“ fragte ich.

„Nein,“ antwortete er.

„Du hast also die Absicht, zu entfliehen?“

„Nein.“

„Warum weigerst du dich da, das von mir geforderte Versprechen zu geben?“

„Weil ich nicht zu fliehen brauche, denn ich werde entweder tot sein oder frei, wenn Old Shatterhand und Winnetou wirklich die echten und stolzen Krieger sind, für die ich sie halte.“

„Ich errate, was du meinst, dennoch bitte ich dich, dich deutlicher auszusprechen.“

„Ich werde es thun. Apanatschka ist kein feiger Mann, der sich gefangen giebt, ohne nur die Hand zur Abwehr erhoben zu haben. Vupa Umugi mag aus Angst um seine Medizinen auf alle Verteidigung verzichtet haben; von mir aber soll niemand sagen, daß ich mich fürchte. Ich bin um seinet- und um unsrer Krieger willen einverstanden gewesen, daß sie sich euch ausgeliefert haben; mich aber habe ich im stillen ausgeschlossen. Apanatschka läßt sich weder die Freiheit noch das Leben schenken; was er hat, will er nicht der Gnade, sondern sich selbst zu verdanken haben. Ich will kämpfen!“

Das hatten wir, Winnetou und ich, erraten. Er war ein junger Mann, dem wir unsre Achtung schenken mußten. Er sah uns fragend an, und als wir ihm nicht sogleich unsern Bescheid sagten, fügte er hinzu:

„Wenn Feiglinge diese meine Worte hören, so weisen sie mich ab; aber ich habe es mit tapfern, mit berühmten Kriegern zu thun, die mich verstehen werden.“

„Ja, wir verstehen und begreifen dich,“ antwortete ich.

„So gebt ihr eure Einwilligung?“

„Ja.“

„Aber bedenkt wohl: diese eure Einwilligung wird sehr wahrscheinlich einem von euch das Leben kosten!“

„Meinst du, daß wir weniger Mut besitzen als du?“

„Nein; aber ich mußte ehrlich sein und euch darauf aufmerksam machen.“

„Das ist ein Beweis, daß wir uns in Apanatschka nicht geirrt haben. Er mag uns sagen, wie er sich diesen Kampf um die Freiheit und um das Leben denkt? Mit wem will er sich messen?“

„Mit dem, den er dazu bestimmt.“

„Wir wollen nicht weniger ehrlich sein, als du gewesen bist. Du magst dir denjenigen aussuchen, der dein Gegner sein soll. Welche Waffe soll es sein?“

„Diejenige, die ihr bestimmt.“

„Auch das überlassen wir dir.“

„Old Shatterhand ist großmütig!“

„Nein. Was ich thue und bestimme, das versteht sich ganz von selbst. Wir sind die Sieger und kennen uns untereinander genau. Wir dürfen nicht den Vorteil beanspruchen, dir einen Gegner auszuwählen, weil wir wissen, daß er dir überlegen ist.“

„Überlegen? Apanatschka hat bis jetzt noch keinen Feind gefunden, vor dem er gewichen ist.“

„Desto besser für dich. Und die Art und Weise des Kampfes? Auch die überlassen wir dir. Wähle!“

„So wähle ich das Messer. Die beiden Gegner werden mit den linken Händen zusammengebunden und bekommen das Messer in die rechte Hand. Es geht um das Leben. Ist Old Shatterhand einverstanden?“

„Ja. Wen suchst du dir aus?“

„Würdest du beistimmen, wenn ich dich wählte?“

„Ja.“

„Und Winnetou?“

„Auch ich,“ antwortete der Apatsche.

Das Gesicht des Comantschen nahm einen hochbefriedigten Ausdruck an; er sagte:

„Apanatschka ist sehr stolz darauf, daß die zwei berühmtesten Krieger des Westens bereit sind, mit ihm zu kämpfen. Würden sie ihn für feige halten, wenn er trotzdem keinen von ihnen wählte?“

„Nein,“ antwortete ich. „Dein Grund würde jedenfalls ein ganz andrer sein.“

„Ich danke dir. Winnetou und Old Shatterhand werden für unüberwindlich gehalten, und wenn ich sie nicht wähle, kann es scheinen, als ob es mir am Mute fehle. Aber sie beide sind Männer, die mir für heilig und für unantastbar gelten; sie sind die Freunde aller roten und aller weißen Krieger und leben allen Bewohnern des wilden Westens als Vorbilder, die ich nicht verletzen darf. Wenn einer von ihnen unter meinem Messer fiele, würde das ein Verlust sein, den ich und niemand jemals ersetzen kann. Das ist der Grund, weshalb ich weder den roten noch den weißen Häuptling der Mescalero-Apatschen wähle.“

„So suche dir einen andern aus!“

Er ließ sein Auge forschend über die Schar der Apatschen, über Old Wabble, Parker und Hawley schweifen und richtete den Blick dann auf Old Surehand.

„Apanatschka ist ein Häuptling und möchte nicht mit einem gewöhnlichen Krieger kämpfen,“ sagte er dann. „Wer ist das Bleichgesicht, welches hier bei Euch steht?“

„Sein Name ist Old Surehand,“ antwortete ich.

„Old Surehand? Von ihm hörte ich oft sprechen. Er ist stark, gewandt und tapfer; ihn kann ich also zum Gegner wählen, ohne in den Verdacht zu kommen, daß ich dabei an meinen Vorteil denke. Wird er diese meine Wahl annehmen oder zurückweisen?“

„Ich nehme sie an,“ antwortete Old Surehand, ohne sich einen Augenblick zu bedenken.

„Aber Apanatschka wiederholt seine vorigen Worte, daß es um das Leben geht!“

„Dieser Worte bedarf es nicht. Ich weiß, daß so etwas nicht als Spiel zu betrachten ist. Apanatschka mag sagen, wann der Kampf stattfinden soll!“

„Ich wünsche, daß er sogleich beginne, Ist Old Shatterhand einverstanden?“

„Ja,“ antwortete ich.

„So habe ich eine Bitte.“

„Welche?“

„Es ist bisher alles nach meiner Wahl gegangen; dafür muß ich meinem Gegner einen Vorteil bieten.“

„Welchen?“

„Er mag den ersten Stich haben. Er soll mein Messer nicht eher fühlen, als bis ich das seinige empfangen habe.“

Da warf Old Surehand ein:

„Das nehme ich nicht an! Ich bin kein Knabe, dem man Schonung bieten kann. Es soll keiner das Recht des Angriffes, des ersten Stiches haben. Old Shatterhand mag das Zeichen geben, wann der Zweikampf beginnen Soll, und dann kann von uns beiden anfangen, wer da will.“

„So ist’s recht,“ stimmte ich bei. „Es darf keiner vor dem andern etwas voraus haben. Apanatschka mag gehen und sein Messer holen!“

Er hatte seine Waffe natürlich auch da abgelegt, wo diejenigen seiner Comantschen lagen; er ging.

„Ein tüchtiger Kerl!“ sagte Old Surehand. „Man muß ihn wirklich achten, und ich gestehe sogar, daß ich ihn lieb haben könnte. Schade, wirklich jammerschade um ihn!“

„Wieso?“

„Wenn er mich zwänge, ihn niederzustechen.“

„Hm! Seid Ihr Eurer Sache so sicher?“

„Ich denke es, obgleich ich weiß, daß der Zufall es oft anders fügt, als man vorher denkt.“

„Ganz richtig, und ich bitte Euch, dies ja nicht außer acht zu lassen. Er besitzt jedenfalls eine bedeutende Körperstärke!“

„Was das betrifft, so denke ich, es mit ihm aufnehmen zu können. Oder nicht?“

„Ja; Ihr seid ja wegen Eurer Muskelkraft berühmt. Aber seht ihn dort gehen! Es federt jedes Glied, wenn er sich bewegt; er ist jedenfalls außerordentlich gewandt.“

„Mag sein. Ich denke, es dennoch mit ihm aufzunehmen. Man hat nicht umsonst seinen guten Turn- und Fechtunterricht genossen, sich von Jugend auf geübt und sich dann unter tausend Gefahren in den bloody-grounds herumgetrieben. Aufrichtig gestanden, meine ich, ihm überlegen zu sein, so daß ich mir sogar vornehme, sein Leben zu schonen.“

„Was das betrifft, so müßt Ihr freilich am besten wissen, wie Ihr haltet. Ich gestehe aufrichtig, daß es mir leid um ihn thun würde, wenn er fiele.“

„Aber um mich wohl nicht?“ lächelte er.

„Diese Frage ist natürlich überflüssig. Oder soll ich Euch extra ein Liebesgeständnis machen und Euch in einer langen und begeisterten Rede erklären, daß ich ohne Euch nicht leben kann?“

„Nein, das ist freilich nicht nötig, Sir. Ich habe Euch herzlich, herzlich lieb und weiß, daß Ihr mir auch gewogen seid. Sollte mir jetzt in diesem Zweikampfe etwas Menschliches passieren, so bitte ich Euch, mich nicht allzu schnell zu vergessen, Mr. Shatterhand. Wollt Ihr das? Gebt mir Eure Hand darauf!“

„Hier ist sie, obgleich es dieser Bekräftigung gar nicht bedarf, Mr. Surehand.“

„Und dann habe ich noch eine Bitte.“

„Sprecht sie aus! Wenn ich kann, werde ich sie erfüllen.“

„Sollte ich fallen, so geht nach Jefferson-City am Missouri. Kennt Ihr diese Stadt?“

„Ja.“

„Dort findet Ihr in der Fire-Street das Bankgeschäft von Wallace und Co. Sagt Mr. Wallace Euern Namen, auf welche Weise ich meine Laufbahn hier beendet habe, und bittet ihn um Auskunft über das, was mich so oft immer und immer wieder in den wilden Westen getrieben hat!“

„Wird er es mir mitteilen?“

„Ja, wenn ich nämlich tot bin und Ihr ihm versichert, daß Ihr in dieser Angelegenheit mein Erbe seid. So lange ich lebe, wird er freilich keinem Menschen etwas sagen.“

„Und wenn ich es erfahren habe, was soll ich dann thun?“

„Das, was Ihr wollt.“

„Es wäre mir lieber, wenn ich von Euch bestimmtere Weisungen erhalten könnte.“

„Die mag ich Euch nicht geben, Sir. Die Angelegenheit ist nämlich eine sehr ungewöhnliche, und wenn Ihr die Absicht hättet, in meine Fußstapfen zu treten, so ständen Euch große Mühen und Gefahren bevor.“

„Glaubt Ihr, daß ich diese scheuen würde?“

„Nein; ich kenne Euch ja. Aber ich will Euch nicht zumuten, Euer Leben an eine Sache zu setzen, welche Euch vollständig fremd ist und Euch selbst in dem Falle, daß es Euch gelingt, sie zu Ende zu führen, nicht den geringsten Nutzen bringen kann.“

„Wer fragt nach dem Nutzen, wenn es sich um einen Dienst der Freundschaft handelt!“

„Ihr nicht; das weiß ich ja; dennoch stelle ich kein Verlangen an Euch. Laßt Euch also von Mr. Wallace erzählen, um was es sich handelt, und thut dann das, was Euch Euer Herz und das Andenken an mich gebieten! Um mehr kann ich nicht bitten, und damit mag diese Angelegenheit erledigt sein.“

Indem Old Surehand dies sagte, kehrte Apanatschka zurück, mit dem Messer in der Hand. Der Zweikampf konnte also beginnen.

Es ist leicht zu denken, welche Aufregung es unter den Anwesenden hervorbrachte, als sie hörten, daß ein Messerkampf um das Leben zwischen Old Surehand und Apanatschka ausgefochten werden sollte. Die Apatschen bildeten sofort einen Halbkreis um uns, und zwar so, daß die an der Erde liegenden, gefesselten Comantschen das Schauspiel auch beobachten konnten.

Old Surehand entledigte sich seiner Waffen und behielt nur das Messer; dann gab er Apanatschka die Hand und sagte in freundlichem Tone zu ihm:

„Ich bin der Gegner des jungen Häuptlings der Comantschen; er hat es so gewollt. Es geht Leben um Leben, Tod um Tod, doch will ich, bevor ich das Messer gegen ihn erhebe, ihm sagen, daß ich mich darauf gefreut hatte, sein Freund und Bruder zu sein, Mag die Entscheidung fallen, wie sie wolle, sie fällt zwischen Männern, welche sich, würden sie nicht durch den Tod getrennt, gewiß geachtet und geliebt hätten.“

„Old Surehand ist ein berühmtes Bleichgesicht,“ antwortete Apanatschka; „meine Seele fühlt sich zu ihm hingezogen, und wenn er fallen sollte, wird sein Name stets in meinem Herzen wohnen.“

„Ich hoffe es. Nun bleibt nur noch eins auszumachen: Wenn einer von uns während des Kampfes sein Messer verliert, muß er es wiederbekommen?“

„Nein. Es ist seine Schuld, daß er es nicht festgehalten hat; er kann sich dann nur noch mit der Hand verteidigen. Howgh!“

Ihre Hände ruhten noch ineinander. Als sie jetzt, Auge in Auge, die Blicke ineinander tauchten, kam es plötzlich über mich, warum die Züge des Comantschen mir während der Unterredung bekannt vorgekommen waren; sie besaßen mit denen von Old Surehand eine wenn auch nicht auffällige, aber doch solche Ähnlichkeit, daß ich mich wunderte, dies nicht sofort erkannt zu haben – – ein ganz eigentümlicher Zufall, denn es konnte natürlich nichts andres als nur Zufall sein.

Jetzt zog Winnetou einen Riemen aus der Tasche und sagte:

„Meine Brüder mögen mir ihre linken Hände geben, daß ich sie binde!“

Er schlang den Riemen vierfach um die beiden Handgelenke, um sie zwar fest aber so zu vereinigen, daß der nötige, kleine Spielraum blieb. Dann traten wir zurück, um ihnen für ihre Bewegungen Platz zu machen. Es waren neunhundert Augen in größter Spannung auf sie gerichtet, beide aber sahen mich an, der ich das Zeichen geben sollte.

„Jetzt – – go on!“ sagte ich.

Sofort verließen mich ihre Blicke und richteten sich aufeinander. Hätte ich Apanatschka gegenüber gestanden, so wäre ich gewiß ganz ruhig und kaltblütig gewesen; so aber schlug mir das Herz so schnell, daß ich glaubte, seine Schläge hören zu können. Ich hatte Old Surehand sehr lieb gewonnen, und das Schicksal des Comantschen war mir auch nichts weniger als gleichgültig. Wer von beiden würde Sieger sein und wer unterliegen!

Sie standen einige Minuten still und bewegungslos, die rechten Hände mit den Messern herabgesenkt. Welcher wird den Arm zum ersten, blitzschnellen Stich erheben? Diese kurze Zeit kam mir wie eine Stunde und noch länger vor. Da – – – Old Surehand hob den Arm und im nächsten Momente bewegte sich derjenige des Comantschen mit einer solchen Schnelligkeit, daß wir mit den Augen nicht zu folgen vermochten – – ein metallisches Knirschen der beiden Klingen, ein dumpfer Schlag der beiden Fäuste, welche zusammenstießen; beide Messer flogen durch die, Luft, und beide Arme senkten sich wieder. Keiner war verletzt.

Das war ein Meisterstück von Old Surehand. Er wollte Apanatschka schonen, ihn nicht töten; das Erheben seines Armes war eine Finte gewesen, durch die er den Gegner zum Stoße verleitet hatte.

„Uff, uff, uff, uff!“ rief es im Kreise der Apatschen und Comantschen.

„Das ist nichts. Gebt ihnen die Messer wieder!“ schrie Old Wabble. „Blut muß man sehen, Blut!“

Die beiden Kämpfenden ließen die Augen nicht einen Moment voneinander; dabei sagte Apanatschka:

„Wünscht Old Surehand, daß wir die Messer wiederbekommen?“

„Nein,“ antwortete dieser. „Das würde gegen die Verabredung sein.“

„Ich sprach davon, daß einem von uns das Messer entfällt; wir haben sie aber beide verloren!“

„Das ist ganz dasselbe. Weiter mit den Fäusten!“

„Ja, weiter!“

Wieder standen sie eine Weile still; dann versetzte der Comantsche seinem Gegner einen Hieb auf den Kopf, daß es zu krachen schien, und erhielt fast in demselben Augenblick einen ebensolchen Schlag; keiner von beiden wankte.

„Uff!“ sagte Winnetou mit gedämpfter Stimme. „Keiner von ihnen ist Old Shatterhand!“

Beide sahen ein, daß mit solchen Faustschlägen nichts zu erreichen war, und hatten sich schnell bei den Kehlen. Ich war Zeuge so manches Zweikampfes gewesen; aber einem Ringen, wie es nun erfolgte, hatte ich noch nicht zugesehen. Sie hatten sich von dem Platze, auf welchem sie standen, nicht um einen Zoll entfernt, ihre kräftigen, muskulösen Gestalten ragten wie Säulen, wie eherne Statuen aus dem Boden auf; die mächtigen Schenkel schienen in der Erde festgewachsen zu sein; die gefesselten Hände gesenkt, hatten sie die rechten Arme erhoben und die Kehlen einander mit den Händen wie mit Schrauben umklammert. So standen sie unbeweglich. Hätte ein Photograph seinen Apparat auf sie gerichtet, das Bild hätte sicher nicht die allergeringste Schwankung gezeigt.

Jeder hatte die Absicht, dem andern den Atem zu rauben; es war ein schreckliches, weil starres und vollständig bewegungsloses Würgen, bei dem es darauf ankam, welcher Hals, welche Gurgel am kräftigsten entwickelt war. Das Gesicht Old Surehands wurde röter und röter; es begann, blau anzulaufen. Dasjenige des Comantschen war dunkler gefärbt, dennoch sah man deutlich, daß es auch immer tiefere Töne annahm. Dann hörten wir ein Ächzen, ohne aber zu wissen, von wem es kam – ein Stöhnen, ein doppeltes Röcheln; dann begannen sie zu wanken, beide zugleich; ihre Füße erhoben sich und stampften im Sande; die Beine spreizten sich aus, um festen Halt zu gewinnen, die steifen Körper neigten sich herüber und hinüber, vorwärts und rückwärts; es folgte ein erstickendes Gurgeln, und dann war es aus; sie stürzten um und fielen beide wie leblose Figuren steif und starr in den Sand. Da blieben sie liegen, ohne die Hände voneinander zu lassen.

Die vielen Zuschauer waren still; keiner von ihnen ließ ein Wort, einen Ruf hören; so wirkte dieser lautlose Würgkampf sogar auf diese wilden Menschen. Ich kniete mit Winnetou bei den Zweikämpfern nieder, um zu erfahren, wie es mit ihnen stand. Wir mußten alle Kraft anwenden, um die zwei zusammengekrallten Hände von den blutunterlaufenen Hälsen zu entfernen; dann griffen wir beide unter die Jagdhemden, um den Herzschlag zu untersuchen.

„Uff!“ sagte Winnetou. „Apanatschka lebt noch; er ist noch nicht erwürgt.“

„Und auch ich fühle den allerdings ganz leisen Puls,“ antwortete ich. „Sie sind bewußtlos. Warten wir, bis sie zu sich kommen!“

Wir befreiten ihre Hände von den Riemen. Da kam Old Wabble zu uns und fragte:

„Sind sie tot, beide tot?“

Wir antworteten nicht.

„Wenn sie etwa nicht tot, sondern nur ohnmächtig sind, so ist der Kampf natürlich nicht zu Ende, sondern muß mit den Messern von neuem begonnen werden; th’is clear!“

Da stand Winnetou auf, streckte den Arm aus und sagte nur das eine Wort.

„Fort!“

In solchen Augenblicken war er ganz Häuptling, ganz der Mann, gegen dessen Willen es keinen Widerspruch gab. Gegen seine Augen, sein Gesicht und seine Haltung war da nicht aufzukommen. So erging es jetzt auch dem alten Cowboy; er wagte kein Wort, drehte sich um und ging brummend von dannen.

Nach einiger Zeit begannen die Bewußtlosen sich zu bewegen, und zwar beide mit den Händen an die Hälse. Old Surehand öffnete zuerst die Augen; er starrte uns wie abwesend an; dann besann er sich und stand taumelnd auf.

„Das – – das – – das war – –“ stammelte er.

Ich nahm ihn beim Arme, um ihn zu halten, und sagte:

„Ein schreckliches Würgen! Nicht wahr?“

„Ja – aaa – – aaaaa!“ gurgelte er. „Meine Kehle ist – – noch – – halb zuuuuuuu!“

„So redet jetzt noch nicht! Könnt Ihr fest stehen?“

Er holte tief, tief Atem, machte eine starke Anstrengung, seine Schwäche zu überwinden und antwortete:

„Ja, ich kann. Wie steht – – es mit – – Apanatschka – –? Lebt – – lebt er noch?“

„Ja; er wird gleich zu sich kommen. Seht, da hat er schon die Augen offen!“

Wir mußten dem Comantschen auch aufhelfen; er war genau so schwindelig wie sein weißer Gegner, und es verging eine ziemliche Weile, ehe beide wieder Herren ihrer Sinne und Glieder waren. Als dies der Fall war, fragte mich Apanatschka:

„Wer hat gesiegt?“

„Keiner,“ antwortete ich.

„Wer fiel zuerst um?“

„Auch keiner; ihr stürztet zu gleicher Zeit.“

„So müssen wir wieder beginnen. Gebt uns die Messer und bindet uns zusammen!“

Er wollte sich entfernen, um sein Messer da, wo es hingeschleudert worden war, zu holen; ich hielt ihn aber am Arme zurück und erklärte in bestimmtem Tone:

„Halt! Der Kampf ist zu Ende und wird nicht wieder angefangen; ihr seid miteinander fertig.“

„Nein!“

„Ja!“

„Es ist keiner von uns tot!“

„Würde etwa bestimmt, daß unbedingt einer von euch beiden sterben muß?“

„Nein; aber einer muß doch Sieger sein!“

„Nimm es, wie du willst! Ihr seid entweder beide besiegt oder beide Sieger. Auf alle Fälle aber hast du dein Leben eingesetzt und also bewiesen, daß du dir die Freiheit nicht schenken lässest.“

„Uff! Ist das wirklich deine Ansicht?“

„Ja.“

„Und wie denkt Winnetou?“

„Ganz wie mein Bruder Old Shatterhand,“ antwortete der Apatsche. „Apanatschka, der junge Häuptling der Naiini, ist nicht ohne Kampf in unsre Hände gefallen.“

„Werden das auch alle andern sagen?“

„Wenn Winnetou es sagt, so ist’s genug. Kein Krieger der Apatschen wird eine andre Meinung haben als ich!“

„So will ich mich bescheiden. Ich bin also jetzt euer Gefangener, ohne mir einen Vorwurf machen zu müssen. Hier sind meine Hände; bindet mich so, wie alle Krieger der Comantschen gebunden sind!“

Ich sah Winnetou fragend an. Ein Blick von ihm genügte mir, zu wissen, was er dachte; darum schob ich die ausgestreckten Hände Apanatschkas zurück und sagte:

„Ich habe dir schon vorhin gesagt, daß wir dich nicht fesseln, sondern dir sogar deine Waffen geben werden, wenn du uns versprichst, nicht zu fliehen. Willst du uns dieses Versprechen geben?“

„Ich gebe es.“

„So hole dein Gewehr und dein Pferd!“

Er stand schon im Begriff, sich umzudrehen und fortzugehen, that dies aber nicht, sondern sprach:

„Sogar mein Gewehr soll ich haben? Wenn ich euch nun betrüge und mein Wort nicht halte, sondern versuche, unsre Krieger zu befreien?“

„Das thust du nicht. Du bist kein Betrüger.“

„Uff! Old Shatterhand und Winnetou werden sehen, daß Apanatschka das Vertrauen verdient, welches sie ihm schenken.“

„Wir brauchen das gar nicht erst zu erfahren. Unser Vertrauen ist sogar noch viel größer, als du denkst. Höre, was ich dir jetzt sagen werde!“

„Was?“

„Nimm dein Gewehr und alles, was du bei dir hattest; setze dich auf dein Pferd und reite fort!“

„Fortreiten?“ fragte er erstaunt.

„Ja.“

„Wohin?“

„Wohin du willst.“

„Wohin ich will? Das kann und darf ich nicht.“

„Warum nicht?“

„Weil ich euer Gefangener bin.“

„Du irrst. Du bist frei.“

„Frei – –?!“ wiederholte er dieses Wort.

„Ja. Wir haben dir nichts zu sagen und nichts zu befehlen; du bist dein eigener Herr und kannst thun und lassen, was dir beliebt.“

„Aber – – aber – – aber warum?“ fragte er, indem er einige Schritte zurücktrat und uns mit weit geöffneten Augen ansah.

„Weil wir wissen, daß du ohne Trug und Falschheit bist, und weil wir die Freunde und Brüder aller ehrlichen und guten Menschen sind.“

„Aber wenn ich nun anders bin, als ihr denkt?“

„Das bist du nicht!“

„Wenn ich fortreite und Krieger hole, um eure Gefangenen zu befreien?“

„Das brächte kein Mensch fertig. Unsre Gefangenen sind uns sicher. Woher solltest du solche Krieger bekommen? Woher das Wasser? Und wenn dir das alles möglich wäre, so würdest du doch keine Hand und keinen Fuß zur Befreiung Vupa Umugis rühren, denn du hast teil an der Beratung genommen, die ihn in unsere Hände lieferte. Du hast deine Zustimmung gegeben und wirst sie nicht zurücknehmen, weil du die Freiheit erhalten hast.“

Da rötete sich sein Gesicht vor Freude und Entzücken tiefer, und es war ein wahrer Herzenston, in welchem er versicherte:

„Old Shatterhand und Winnetou mögen hören, was Apanatschka, der Häuptling der Comantschen, ihnen jetzt sagt! Ich bin stolz darauf, daß so berühmte Männer mir vertrauen und an mich glauben, und nie im Leben werde ich es vergessen, daß ihr mich für ohne Trug und Falschheit hieltet. Ich bin frei und kann gehen, wohin ich will; aber ich werde bei euch bleiben und, anstatt hinter euerm Rücken mit euern Gefangenen heimlich zu verkehren, vielmehr scharf auf sie achten und dafür sorgen, daß keiner von ihnen die Flucht ergreift. Das werde ich thun, obgleich sie meines Stammes sind.“

„Wir sind überzeugt davon und werden uns jetzt mit dir niedersetzen, um mit dir das Kalumet der Freundschaft und der Bruderschaft zu rauchen.“

„Das – – das – – – wolltet ihr auch thun?“

„Ja. Oder bist du nicht bereit dazu?“

„Uff, uff! Nicht bereit! So weit es rote Männer giebt, ist kein einziger braver Krieger zu treffen, der es nicht für die größte Auszeichnung seines Lebens hielte, mit euch das Kalumet rauchen zu dürfen.“

„Aber was wird Vupa Umugi und was werden die andern Gefangenen dazu sagen?“

Wupa Umugi? Bin ich nicht ein Häuptling so wie er? Habe ich gewöhnliche Krieger zu fragen, was ich thun darf und was nicht? Wer von ihnen hat das Recht, mir einen Befehl zu erteilen oder Rechenschaft von mir zu fordern? Ich werde nicht einmal Kolakekho fragen.“

Kolakekho heißt mein Vater.

„Deinen Vater? Ist er mit hier?“

„Ja.“

„Wo?“

„Er liegt dort neben Vupa Umugi.“

„Ah! Seine Kleidung und sein Haarschopf sagen mir, daß er der Medizinmann der Comantschen ist?“

„Er ist’s.“

„Hat er ein Weib?“

„Ja, meine Mutter.“

„Du wirst mein Freund und Bruder sein und dich darum nicht wundern, wenn ich dich nach deiner Mutter frage. Bei uns Christen ist es Brauch, wenn sie mit einem Sohne sprechen, zugleich auch an diejenige zu denken, die ihn unter ihrem Herzen getragen hat. Befindet sich deine Mutter wohl?“

„Ihr Körper ist gesund, aber ihre Seele ist nicht mehr bei ihr, sondern sie ist zum großen Manitou gegangen.“

Damit wollte er sagen, daß seine Mutter irrsinnig sei. Sie war die Frau, mit welcher ich am Kaam-kulano gesprochen hatte. Ich hätte sehr gern mehr über sie gehört, durfte aber, wenn ich nicht auffallen wollte, dieses Thema nicht weiter verfolgen. Ich hätte jetzt auch keine Zeit dazu gehabt, denn jetzt sahen wir von Norden her eine Anzahl Reiter kommen, welche Packpferde bei sich hatten; das waren die ersten Apatschen, welche Wasser brachten. Die Verbindung mit der Oase war also glücklich hergestellt und wir konnten von jetzt an auf eine ununterbrochene Wassersendung rechnen.

Wir waren zwar auch durstig, aber die Gefangenen natürlich noch weit mehr als wir, weshalb sie zuerst berücksichtigt wurden. Der Inhalt der Schläuche reichte zwar nicht weit; da aber unsre Relais-Posten ohne Pause thätig waren, kamen nach und nach weitere Sendungen an, mit denen wir zuletzt auch die Pferde wenigstens soweit befriedigen konnten, daß sie imstande waren, den Rückweg auszuhalten.

Nach dieser Verteilung des Wassers ging die Ceremonie des Kalumets vor sich, durch welche Apanatschka uns zur immerwährenden Freundschaft verbunden wurde, und ich hatte die beste Zuversicht zu ihm, daß er es nicht so wie Schiba-bigk machen würde, der mir einmal untreu geworden war.

Unser Rückweg mußte natürlich nach der Oase führen, schon des Wassers wegen, welches die vielen Menschen und Pferde brauchten. Vom Satttrinken konnte besonders bei den Tieren keine Rede sein, und das nötigte uns, die Rückkehr möglichst bald anzutreten; darum beschlossen wir, den Abend und die Nacht zu reiten, was auch darum vorzuziehen war, weil dadurch die ermattende Hitze des Tages vermieden wurde.

Die Waffen der Comantschen wurden unter den Apatschen verteilt, und dann brachten wir die Gefangenen auf ihre Pferde, wegen deren Ermattung der Ritt leider nur langsam vor sich gehen konnte. Doch trafen wir unterwegs von Relais zu Relais auf so viel Wasser, welches die armen Tiere bekamen, daß sie es bis zur Oase aushalten konnten.

Natürlich schloß sich jeder dieser Posten, sobald wir ihn erreichten, an uns an, auch wurde jeder Pfahl, an den wir kamen, aus der Erde gezogen und mitgenommen; denn wenn wir sie stecken lassen hätten, wären sie möglicherweise für andere Leute die Wegweiser zu Bloody-Fox geworden, was vermieden werden mußte.

Der „General“ hatte sich uns mit seinen weißen und roten Begleitern angeschlossen, was wir nicht gut verhindern konnten, obgleich uns seine Anwesenheit nichts weniger als willkommen war. Was die Beaufsichtigung der Gefangenen unterwegs betrifft, so fiel uns dieselbe nicht schwer, weil wir ‚ die Maßregel getroffen hatten, daß je ein Comantsche zwischen zwei Apatschen ritt; die beiderseitige Anzahl machte dies bequem.

Unser nächtlicher Ritt ging ganz gut von statten und wurde nur dann für kurze Zeit unterbrochen, wenn wir auf die uns entgegenkommenden Posten stießen, welche Wasser brachten; da wurde angehalten, um es sogleich zu verteilen.

Schon damals, gleich nach meinem Zusammentreffen mit der irrsinnigen Frau am Kaam-kulano, hatte ich mir vorgenommen, falls ihr Mann in unsere Hände fallen Sollte, den unauffälligen Versuch zu machen, etwas über sie zu erfahren. Jetzt, da wir ihn hatten, konnte ich diesen Vorsatz ausführen. Ich lenkte, als wir unterwegs waren, mein Pferd an seine Seite und fragte ihn:

„Mein roter Bruder ist der Medizinmann der Naiini-Comantschen?“

„Ja,“ antwortete er verdrossen.

„Alle roten Männer pflegen, ehe sie einen Kriegszug beginnen, die Medizin nach dem Ausgange desselben zu befragen. Habt ihr das nicht gethan?“

„Wir thaten es.“

„Was sagte die Medizin?“

„Sie sagte, daß wir siegen würden.“

„So hat sie gelogen!“

„Die Medizin lügt nie, denn der große Manitou spricht durch sie. Aber die Medizin kann das größte Glück verkünden, wenn die Krieger so, wie es jetzt geschehen ist, Fehler über Fehler begehen, so muß sich dieses Glück in Unglück verwandeln.“

„Ist mein Bruder ein geborener Naiini?“

„Ja.“

„Ich höre, daß er der Vater des jungen Häuptlings Apanatschka ist?“

„Apanatschka ist mein Sohn.“

„Hast du noch andere Söhne?“

„Nein.“

„Oder Töchter?“

„Nein.“

„Lebt die Gefährtin deines Wigwams noch?“

„Sie lebt.“

„Darf ich wissen, welchen Namen sie trägt?“

Er stutzte, zögerte eine Weile und antwortete dann:

„Old Shatterhand ist ein berühmter Häuptling. Pflegen Häuptlinge sich um die Squaws anderer Leute zu bekümmern?“

„Warum nicht?“

„Die Bleichgesichter mögen anders denken; aber für einen roten Krieger oder gar Häuptling will es sich nicht schicken, fremder Weiber zu gedenken!“

Ich ließ mich durch diesen Verweis natürlich nicht stören und fuhr in meiner Erkundigung fort:

„Ich bin eben kein roter, sondern ein weißer Krieger und habe mit Apanatschka die Pfeife der Bruderschaft geraucht. Weißt du das?“

„Ich habe es gesehen,“ grollte er. „Apanatschka konnte etwas Besseres thun als das!“

„Hat es deinen Beifall nicht?“

„Nein.

„Er denkt ganz anders darüber als du, und da er mein Bruder geworden ist, empfinde ich natürlich Teilnahme für alle, die ihm nahe stehen, für dich, seinen Vater also, und auch für diejenige, die er seine Mutter nennt. Es wird dir also nicht mehr fremd vorkommen, daß ich gerne ihren Namen hören möchte.“

„Von mir wirst du ihn nicht erfahren.“

„Warum nicht?“

„Ich sage ihn nicht. Howgh!“

Dieses Wort kündete mir an, daß ich wirklich keine Antwort bekommen würde. War es wirklich nur der indianische Brauch, keine fremde Frau in den Mund zu nehmen, oder hatte er andere Gründe, über sein irrsinniges Weib zu schweigen? Sollte auch ich nun schweigen? Nein! Ich beobachtete sein Gesicht so scharf, wie es der schwache Mondschein erlaubte, und sagte langsam und mit Betonung:

„Du bist tibo-taka?“

Er fuhr im Sattel auf, als ob eine Wespe ihn gestochen hätte, sagte aber nichts.

„Und sie ist tibo-wete?“

Er antwortete nicht, hielt mir aber sein Gesicht zugewandt, auf welchem der Ausdruck großer Spannung lag.

„Hast du meinen Wawa Derrick gekannt?“ fuhr ich fort. Das war die Frage, welche die Frau damals an mich gerichtet hatte.

„Uff!“ rief er aus.

„Das ist mein myrtle wreath!“, fuhr ich mit ihren damaligen Worten fort.

„Uff, uff!“ wiederholte er, indem seine Augen mich förmlich anglühten. „Was sind das für Fragen?“

„Du kennst sie ebenso gut wie ich.“

„Wo hast du sie gehört?“

Pshaw!“

„Von wem?“

Pshaw!“

„Warum antwortest du mir nicht?“

„Weil ich nicht will.“

„Fürchtet Old Shatterhand sich, mir Auskunft zu geben?“

„Rede nicht so dumm!“

„Es ist nicht dumm. Ich habe Auskunft zu fordern!“

„Und giebst selber keine!“

„Inwiefern?“

„Hast du mir geantwortet, als ich dich vorhin nach deiner Squaw fragte?“

„Diese Squaw gehört mir und nicht dir; ich kann über sie sprechen oder schweigen, ganz wie ich will!“

„So verlang auch nicht, daß andere sprechen sollen! Wenn du von Furcht oder Angst sprichst, so bist du es wohl selbst, der sich zu scheuen hat, Auskunft zu geben.“

„Ich will aber wissen, wer dir diese sonderbaren Worte gesagt hat!“

„Du erfährst es nicht.“

„Hast du sie etwa von Apanatschka gehört?“

„Nein.“

„Von wem sonst?“

Pshaw!“

Da fuhr er mich an:

„Wäre ich nicht gefangen und gefesselt, so wollte ich dich zwingen, mir Rede zu stehen!“

Pshaw! Du und mich zwingen! Ein alter Medizinmann, welcher die Weiber und Kinder seines Stammes mit Hokuspokus betrügt und mit seiner Komödie fast dreihundert Krieger ins Verderben führt, will Old Shatterhand zu etwas zwingen! Wenn du nicht eben mein Gefangener wärst, mit dem ich Mitleid haben muß, würde ich ganz anders mit dir reden.“

„Du verhöhnst mich? Du nennst meine Zauberei Komödie? Nimm dich in acht vor mir!“

Pshaw!“

„Und hüte dich, die Worte, welche ich jetzt gehört habe, weiterzutragen!“

„Wohl weil dies für dich gefährlich werden könnte?“

„Spotte nur! Es wird die Zeit kommen, wo dein Spott zur Klage und zum Jammer wird.“

Er zischte diese Worte förmlich zwischen den Zähnen heraus. Durch diese Aufregung verriet er mir, daß das, was ich von seinem Weibe gehört hatte, von Bedeutung oder vielleicht gar sehr wichtig war.

„Elender Wurm, wie darfst du mir drohen!“ antwortete ich. „Ich darf nur wollen, so zerdrücke ich dich zwischen meinen Händen! Aber reite nur weiter! Ich werde dir später sagen, seit wann du tibo-taka bist!“

Ich hielt mein Pferd an und ließ den Zug an mir vorbeipassieren; dabei wurde ich von zweien erreicht, welche, in ein angelegentliches Gespräch vertieft, nebeneinander ritten, nämlich Old Wabble und der General. Als mich der alte Cowboy sah, lenkte er sein Pferd neben das meinige und sagte:

„Seid Ihr noch so grimmig gegen mich gesinnt, wie am Nachmittage, oder habt Ihr Euch anders besonnen, Sir?“

„Ich denke genau noch so.“

„Was?“

„Daß Ihr ein alter, leichtsinniger Bursche seid, den ich nicht mehr bei mir dulden kann.“

„Dulden? All devils! Das hat mir noch niemand gesagt! Wißt Ihr, was man unter dulden versteht?“

„Ja.“

„Ihr habt mich also bei Euch behalten, obgleich ich das nicht wert gewesen bin?“

„So ähnlich.“

„Das ist stark, Sir, ungeheuer stark! ihr dürft nicht vergessen, wer und was ich gewesen bin!“

„Der König der Cowboys, pshaw!“

„Ist das etwa nichts?“

„Wenigstens nicht viel, zumal wenn man sich etwas darauf einbildet. Seit Ihr bei mir seid, habt Ihr nichts, aber auch weiter nichts als Dummheiten gemacht. Ich habe Euch wiederholt gewarnt; es fruchtete aber nichts. Noch bei den hundert Bäumen sagte ich Euch, daß eine fernere Dummheit uns trennen würde; trotzdem begingt ihr schon nächste Viertelstunde eine, die größer war als alle vorhergegangenen. Nun halte ich mein Wort. Schießt in Zukunft Eure Pudels wo und mit wem Ihr wollt, bei und mit mir aber nicht! Wir sind geschiedene Leute!“

Zounds! Ist das Euer Ernst?“

„Ich denke nicht daran, mich mit Euch zu spaßen!“

„Aber als ich Vupa Umugi belauschen wollte, habe ich es ganz gut gemeint!“

„Wie Ihr es gemeint habt, das ist mir gleich. Ihr habt mir nicht gehorcht.“

„Gehorcht? Standen wir etwa in dem Verhältnisse zu einander, daß der eine zu gebieten und der andre ihm zu gehorchen hatte?“

„Ja.“

„Davon weiß ich kein Wort! Ihr selbst habt doch wiederholt gesagt, daß wir alle gleiche Rechte hätten!“

„Das ist richtig. Aber wenn es so steht, daß ein bestimmter Plan gemeinschaftlich ausgeführt werden soll, hat keiner die Erlaubnis, gegen diesen Plan zu handeln.“

„Das mag sein, wie es will; Ihr waret aber nicht unser Kommandant und hattet nicht das Recht, mich von dem Anschleichen auszuschließen!“

„Das ist eine Ansicht, auf die ich gar nicht antworten Sollte; ich will es aber dennoch thun, sonst denkt Ihr trotz aller Eurer Dummheiten noch wunder, wie klug Ihr gehandelt habt. Hatte Winnetou mir den Befehl über die Apatschen übergeben oder nicht?“

„Ja.“

„Ich war also der Anführer?“

„Ja.“

„Und hatte also zu befehlen?“

„Den Apatschen, ja, aber nicht mir!“

„Welch ein Unsinn! Ihr waret bei uns und hattet also grad so zu gehorchen wie sie.“

„Nein!“

„Aber sagt, habt Ihr denn gar keine Überlegung mehr? Was soll daraus werden, wenn jeder thut, was ihm beliebt, und zwar bei Gelegenheiten, in denen es sich um das Leben handelt. Übrigens habe ich Euch nicht mitnehmen wollen; Ihr gabt aber gute Worte!“

„Hm!“

„Und ich sagte erst dann zu, als Ihr versprochen hattet, Euch nach mir zu richten. Damit erkanntet Ihr mich doch als denjenigen an, dessen Wille Geltung hatte.“

„Das sagt Ihr jetzt. Ihr dreht die Sache um!“

Well! Ich sehe ein, daß jedes Wort vergeblich ist. Wenn jemand seine Fehler eingesteht, so ist mit ihm zu reden; wer sie aber beschönigt, und zwar in der Weise wie jetzt Ihr, dem kann nicht mehr geholfen werden.“

„Habe ich etwa Eure Hilfe verlangt?“

„Habt Ihr sie etwa nicht nötig gehabt?“

„Jetzt nicht mehr.“

„Gut. Wir sind also fertig!“

„Ja wir sind fertig! Für immer?“

„Ja,“

„Das soll heißen, daß Ihr nichts mehr mit mir zu thun haben wollt?“

„Ja.“

„Well. Lebt wohl!“

Er ritt fort, kehrte aber noch einmal um, neigte sich auf seinem Pferde zu mir herüber und sagte:

„Wißt Ihr, warum Ihr mir den Abschied gebt?“

„Natürlich!“

„Ich weiß es auch. Es ist nicht das, was Ihr meine Dummheiten nennt, sondern etwas ganz andres.“

„Was?“

„Das fragt Ihr noch! Ich habe Euch durchschaut. Ich bin nicht nach Eurem Geschmacke, weil ich nicht unter die Betbrüder gehen will. Ihr wolltet mein Hirte, und ich sollte Euer Schäflein sein. Das habe ich nicht gethan, und darum zieht Ihr über mich her. Ihr kennt meine Ansicht über die Religion und die Frömmigkeit. Die Frömmsten sind die Schlimmsten. Old Wabble ist kein Schäflein, welches Eure Gräslein weidet. Wenn Ihr ein Lämmlein haben wollt, so sucht es Euch wo anders, meinetwegen eine ganze Herde. Für solche Schafe mögt Ihr allerdings der passende Schäfer sein; ein König der Cowboys aber läßt sich weder von Euch weiden noch von Euch scheren. Das ist mein letztes Wort für Euch!“

Nun ritt er fort. War ich vorher mit ihm fertig gewesen, so war er nun auch mit mir fertig. Und doch that es mir leid um ihn.

Ich gesellte mich zu Winnetou und Old Surehand, welche ganz am Ende des Zuges ritten. Apanatschka hielt sich für sich, war bald hier und bald dort und schien sich mehr als Aufseher wie als Häuptling seiner Comantschen zu betrachten. Gegen Morgen kam er zu uns, winkte mich zu sich und sagte, als wir ein wenig zurückgeblieben waren, so daß uns niemand hörte:

„Ich ritt zu dem Medizinmanne, der mein Vater ist. Old Shatterhand hat mit ihm gesprochen.“

„Hat er es dir erzählt?“

„Er sagte es mir. Du hast ihn nach seinem Weibe gefragt?“

„Ja.“

„Er war sehr zornig darüber.“

„Dafür kann ich nicht.“

„Du hast gewußt, daß sein Weib ihn tibo-taka und sich selbst tibo-wete nennt?“

„Sie nennt sich vollständiger tibo-wete-elen.“

„Ich weiß es. Du hast auch das vom Wawa Derrick und vom myrtle-wreath gewußt. Der Medizinmann war ganz außer sich darüber.“

„Warum? Soll niemand davon wissen?“

„Nein.“

„Aber du weißt es auch.“

„Ich bin kein Weißer, sondern ein Indianer.“

„Ah! Bloß Weiße sollen es nicht wissen?“

„Ja.“

„Warum das?“

„Weil diese Worte Zauberworte sind. Sie gehören zu den Geheimnissen der Medizin.“

„Wirklich?“

„Ja,“

„Kennst du ihre Bedeutung?“

„Nein.“

„Und bist doch der Sohn des Medizinmannes!“

„Er teilt auch mir seine Geheimnisse nicht mit. Er fragte, woher du diese Worte wissen könntest; ich konnte ihm keine Auskunft erteilen; aber ich habe ihm gesagt, daß du im Kaam-kulano gewesen bist und von dort die Medizinen des Häuptlings geholt hast. Vielleicht hast du dort meine Mutter gesehen?“

„Allerdings.“

„Und hast mit ihr gesprochen?“

„Ja.“

„Sie hat dir diese Worte gesagt?“

„Ja.“

„Uff! Das darf der Medizinmann nicht wissen.“

„Warum nicht?“

„Weil er sonst meine Mutter schlägt.“

„Ah!“

„Ja, er mißhandelt sie. Ein tüchtiger Krieger ist zu stolz, sich an seinem Weibe zu vergreifen; er aber schlägt sie, so oft er diese Worte von ihr hört. Ich darf ihm also nicht sagen, daß du sie von ihr hast.“

„Von wem soll ich sie sonst gehört haben?“

„Von einem unserer Krieger, der sie dir verraten hat. Alle unsere Krieger kennen diese Worte, die sie oft gehört haben.“

„Hm! Sonderbar!“ sagte ich nachdenklich. „Du hast die Pfeife der Bruderschaft mit mir geraucht. Glaubst du, daß ich es gut mit dir meine?“

„Ja.“

„Willst du einmal aufrichtig, recht aufrichtig mit mir sein?“

„Ich will.“

„Liebst du deinen Vater, den Medizinmann?“

„Nein.“

„Aber du liebst deine Mutter, sein Weib?“

„Sehr!“

„Liebt sie ihn?“

„Das weiß ich nicht. Sie flieht ihn, weil ihre Seele von ihr gewichen ist.“

„Hast du ihre Seele noch bei ihr gesehen?“

„Nein. Als ich noch ein kleiner Knabe war, hatte sie sie schon verloren.“

„Der Medizinmann ist ein Naiini?“

„Nein.“

„Ah, so hat er mich belogen!“

„Hat er gesagt, daß er ein Naiini sei?“

„Ja.“

„Es ist nicht wahr; er ist von einem andern Stamm zu den Naiini gekommen.“

„Von welchem?“

„Das weiß ich nicht; er sagt es niemandem.“

„Verkehrt er mit weißen Männern?“

„Nur wenn er durch Zufall welche trifft.“

„Hat er Freunde unter ihnen?“

„Nein.“

„Paß auf, was ich dich jetzt frage! Flieht er die Bleichgesichter vielleicht?“

„Ja.“

„Ich meine: Hütet er sich vor einer Begegnung mit ihnen etwa mehr als andere rote Männer?“

„Ob mehr, das weiß ich nicht.“

„So denke darüber nach!“

„Besondere Sorge hat er nicht vor ihnen.“

„So! Ich hätte das Gegenteil gedacht.“

„Warum?“

„Weil ich einen Verdacht gegen ihn habe.“

„Welchen?“

„Du bist sein Sohn, und ich bitte dich, jetzt noch darüber schweigen zu dürfen. Vielleicht kommt die Zeit, in der ich es dir sage.“

„Ganz, wie Old Shatterhand will! Darf ich nun auch eine Bitte aussprechen?“

„Thue es!“

„Hat dir meine Mutter nicht gesagt, daß du über ihre Worte schweigen sollst?“

„Das that sie allerdings.“

„Und doch hast du zu meinem Vater davon gesprochen!“

„Weil ich annahm, daß er diese Worte kennt. Einem andern hätte ich sie nicht verraten.“

„So schweige von jetzt an gegen alle Leute! Sie sind ein Geheimnis der Medizin.“

„Hm! Ich spreche zwar Eure Sprache; aber du mußt sie doch noch besser kennen als ich. Was taka und wete ist, das weiß ich; aber was hat man unter tibo zu verstehen?“

„Das kann ich dir nicht sagen.“

„Ist dir dieses Wort wirklich unbekannt?“

„Ich habe es oft von der Mutter gehört, weiß aber nicht, was es bedeutet.“

„Und elen?“

„Auch das weiß ich nicht.“

„Sonderbar! Es giebt keine Sprache der roten Männer, in welcher diese Worte vorkommen; aber ich muß es unbedingt noch erfahren, welchen Sinn sie haben!“

„Du willst in die Geheimnisse der Medizin eindringen?“

„Ja, wenn das nämlich Medizin ist, was ich aber nicht glaube.“

Er schüttelte den Kopf und sagte:

„Ich weiß nicht, warum die Seele Old Shatterhands sich in dieser Weise mit meinem Vater und mit meiner Mutter beschäftigt; aber ich warne ihn, sich vor dem Medizinmanne zu hüten, denn dieser hat es nicht gern, wenn man sich um ihn bekümmert. Er ist in allen Künsten und Zaubereien erfahren und kann alle seine Feinde in weiter Ferne verderben, ohne daß er sie zu sehen und zu hören braucht.“

Pshaw!“ „Du glaubst es nicht?“

„Nein.“

„Wenn ich es sage, kannst du es wohl glauben. Hüte dich vor ihm, und beherzige meine Bitte, diese Worte keinem Menschen mehr zu sagen!“

„Ich werde mich nach deinem Wunsche richten. Jetzt sage einmal: Lebt ihr wirklich mit den Kriegern der Chickasaws in Frieden?“

„Ja.“

„Weißt du, wo sie ihre Weideplätze haben?“

„Oben am Red-River.“

„Der ist lang. Kannst du es nicht näher bezeichnen?“

„Da, wo der Peace-Fluß in den Red-River geht.“

„Ich glaube, es ist ein kleiner Stamm?“

„Sie haben nur einige hundert Krieger und einen einzigen Häuptling.“

„Das ist Mba, der sich jetzt bei uns befindet?“

„Ja,“

„Was ist das für ein Mann?“

„Ein Mann wie alle Krieger, nicht größer und nicht kleiner.“

„Du meinst, daß er wohl tapfer sei, aber nicht eben sehr berühmt?“

„Ja.“

„Ich meinte meine Frage anders; ich hatte es auf seinen Charakter abgesehen.“

„Er ist ein friedlicher Mann, was dich nicht wundern darf, weil er so wenig Krieger hat. Ich habe nie einen Raub oder Mord oder eine Untreue von ihm erfahren.“

„Diesen Eindruck macht er auch auf mich. Kennst du ihn persönlich? Hast du ihn schon einmal gesehen?“

„Nein.“

„Sprich jetzt einmal mit ihm! Ich möchte gern wissen, wer der General ist, was er treibt, wohin er will und wie er mit Mba zusammengetroffen ist.“

„Ich werde es thun.“

„Thue es aber so, daß es nicht auffällt; er soll nicht denken, daß wir es wissen wollen.“

„Ich werde so mit ihm sprechen, daß er es mir erzählt, ohne daß ich ihn zu fragen brauche.“

Er ritt fort und kam schon nach einer halben Stunde wieder zu mir.

„Nun, hast du etwas erfahren?“ fragte ich.

„Ja. Was der General ist und was er treibt, das weiß Mba nicht. Er hat ihn und die drei Bleichgesichter unten am Wild-Cherry getroffen und ihnen versprochen, sie durch den Llano-estacado nach dem Peace-River zu führen, wo sie sich bei den Chickasaws von dem Wüstenritte ausruhen wollen, um dann weiter zu reiten.“

„Wohin?“

„Das weiß ich nicht, weil er es mir auch nicht sagen konnte. Er erzählte es mir, ohne daß ich mich danach erkundigte.“

„Natürlich hat ihm der General eine Belohnung versprochen?“

„Drei Gewehre und Blei und Pulver.“

„Weiter hast du nichts erfahren?“

„Nein. Ich wollte nicht fragen, weil ihm das vielleicht aufgefallen wäre.“

„Das war sehr richtig von dir.“

„Hat mein Bruder Shatterhand einen Grund, sich nach dem General zu erkundigen?“

„Eigentlich nicht; aber er gefällt mir nicht. Und wenn ich Leute bei mir habe, denen ich nicht traue, pflege ich mich stets über ihre Verhältnisse und Absichten zu unterrichten. Es hat mir das schon oft Nutzen gebracht. Ich kann dir nur raten, dies stets auch zu thun.“

Es war allerdings so, daß ich diesem Grundsatze schon manchen Vorteil zu verdanken hatte. Auch dieser sogenannte General ging mich gar nichts an; es konnte mir ganz gleichgültig sein, woher er kam und wohin er ging; aber sein Spitzbubengesicht machte es mir unmöglich, gleichgültig gegen ihn zu sein, und so hatte ich diese ganz zwecklos scheinende Erkundigung über ihn einziehen lassen. Wie wohl ich daran gethan hatte, das sollte mir nur zu bald einleuchten.

Die Morgendämmerung kam, und nach den wenigen Minuten, die sie dauerte, wurde es hell. Ich ritt mit Winnetou hinterdrein. Vor uns ritt Old Surehand mit Apanatschka. Eben ging die Sonne auf und warf ihr Licht über diese beiden Reiter.

„Uff!“ sagte Winnetou halblaut, indem er durch eine Handbewegung meinen Blick auf die zwei lenkte.

Ich brauchte ihn nicht zu fragen, was er meinte; ich sah es sofort auch: diese Ähnlichkeit zwischen ihnen! Diese Gleichheit der Gestalten, des Sitzes, der Haltung, der Bewegung! Man hätte sagen mögen, daß sie Brüder seien.

Kurze Zeit später kamen uns wieder Apatschen mit Wasser entgegen; sie bildeten den vorletzten Relais. Wir blieben hier länger halten, um das Wasser zu verteilen und den Pferden eine Erholung zu gönnen. Dann ging es weiter zum letzten Relais, von welchem aus wir nur noch eine Stunde zu reiten hatten.

Nun fragte es sich, wer mit nach der Oase durfte, deren Lage ja geheimgehalten werden sollte. Ich ritt zu dem General hin, der sich wieder an der Seite des alten Wabble befand, und sagte:

„Wir nähern uns unserm Ziele, Mr. Douglas – –“

„General, General! Ich bin General, Sir!“ unterbrach er mich.

Well! Aber was geht das mich an?“

„Euch natürlich weniger als mich; aber man pflegt jedermann den Titel zu geben, der ihm gebührt. Ihr müßt nämlich wissen, daß ich die Schlacht von Bull-Run mitgemacht habe, ferner habe ich siegreich gefochten bei – –“

„Schon gut, schon gut!“ fiel ich ein. „Das habt Ihr mir schon einmal gesagt, und was ich einmal gehört habe, das pflege ich mir zu merken, ohne daß man es zu wiederholen braucht. Den General lasse ich Euch gern, wenn Ihr nur mich damit verschont. Also, wir nähern uns unserm Ziele, Mr. Douglas, und werden uns nun wohl von Euch verabschieden müssen.“

„Verabschieden? Warum?“

„Weil sich wahrscheinlich unsre Wege trennen.“

„Keineswegs. Ich muß nach den hundert Bäumen und habe von Mr. Cutter hier gehört, daß auch Ihr wahrscheinlich dorthin reitet. Oder nicht?“

„Ja.“

Er hatte nach dem Peace-River zu den Chickasaws gewollt und gab jetzt die hundert Bäume als sein nächstes Ziel an; das fiel mir auf, brauchte aber gar keinen bösen Grund zu haben. Warum sollte er seinem ursprünglichen Plane keine Änderung geben dürfen.

„Ihr seht also, daß wir ganz gleiche Wege haben,“ fuhr er fort. „Und selbst wenn dies nicht der Fall wäre, müßte ich mit Euch nach der Oase reiten.“

„Warum?“

„Weil ich kein Wasser mehr habe.“

„Ihr hattet ja gestern volle Schläuche!“

„Heut sind sie leer. Meint Ihr, daß wir nicht auch menschliche Gefühle besitzen? Wir haben das Wasser an die Comantschen verteilt.“

Später sah ich ein, daß dies eine Kriegslist gewesen war, um mit nach der Oase kommen zu dürfen; jetzt hätte ich ihm für seine Menschlichkeit noch meinen Dank abstatten mögen! Ich machte ihm aber wenigstens die Bemerkung:

„Die Oase, von welcher Ihr redet, ist kein Versammlungsort für alle; ihr Besitzer pflegt nur die Leute bei sich zu haben, die er eingeladen hat.“

„Das bin ich auch!“

„Eingeladen?“

Yes.“

„Von wem?“

„Von Mr. Cutter hier, der ja der Gast von Bloody-Fox ist, wie Ihr zugeben werdet.“

„Ob er sich jetzt noch als solchen betrachten darf, das ist sehr die Frage; er hat auch sehr wohl gewußt, daß nicht jedermann Zutritt findet.“

„Ah, wegen des schmalen Pfades, der hineinführt? O, da braucht Ihr mich nicht auszuschließen; dieser Weg ist kein Geheimnis für mich. Mr. Cutter hat ihn und die Oase mir sehr genau beschrieben. Die Weißen alle, die ich hier sehe, dürfen hin, und ich wüßte wirklich keinen Grund, der Euch veranlassen könnte, grad mich von der Erlaubnis auszuschließen.“

Das war nun freilich wahr, und wenn Old Wabble die abermalige Dummheit begangen hatte, ihm eine genaue Beschreibung der Oase und ihres Zuganges zu geben, so war das grad so, als ob er schon selbst dort gewesen wäre, und eine Weigerung meinerseits hätte nur das, was ich vermeiden wollte, hervorgerufen. Darum sagte ich, freilich widerwillig und notgedrungen:

„So will ich nichts dagegen haben, wenn Ihr Eure Schläuche dort wieder füllt; aber Eure Begleiter haltet fern!“

Von der Falle, in welcher wir die Comantschen gefangen hatten, bis zu der Oase war, wie schon erwähnt, ein reichlicher Tagesritt, aber da wir wegen der Schwäche der Pferde nur langsam vorwärts gekommen waren, erreichten wir die grüne Wüsteninsel erst zwei Stunden nach Mittag.

Nach unsrer Ankunft war das erste, dafür zu sorgen, daß uns die Gefangenen sicher waren. Sie mußten sich da lagern, wo sich die Leute Schiba-bigks schon befanden, und die Apatschen schlossen einen engen, undurchdringlichen Ring um sie. Dann wurde vor allen Dingen für die Pferde gesorgt, was wir Entschar-Ko überließen, der eine Anzahl seiner Krieger dazu kommandierte, die Tiere nach und nach durch den schmalen Zugang nach dem Wasser zu führen und dort zu tränken. Darüber mußten natürlich Stunden vergehen.

Was das Essen betrifft, so hatten sich die Comantschen sehr unzureichend mit Proviant versehen, und so waren die Apatschen gezwungen, ihnen mit ihren Vorräten auszuhelfen. Da diese auf diese Weise nicht so lange vorhielten, wie berechnet war, so mußte der Aufenthalt bei der Oase möglichst verkürzt werden, und so wurde beschlossen, daß die Rückkehr nach den hundert Bäumen schon morgen angetreten werden sollte.

Das lief natürlich nicht alles so glatt ab, wie ich es erzähle. Es waren dreihundert Apatschen und zweihundert Comantschen versammelt, für welche gesorgt werden mußte. Da hatte jeder eine Bemerkung zu machen, eine Frage zu stellen, einen Wunsch auszusprechen, und damit wollten sie sich an niemand anders wenden, als an mich oder an Winnetou. Wir kamen fast nicht zu Atem. Als wir endlich, endlich alle nach Kräften befriedigt hatten und nun auch an uns denken konnten, war es Abend geworden, und es fiel mir jetzt erst ein, daß ich seit gestern keinen Schluck Wasser getrunken hatte. Für andre hatte ich gesorgt, an mich aber nicht gedacht. Als ich das Winnetou sagte, antwortete er lächelnd:

„So mag mein Bruder schnell trinken und mir einen Schluck übrig lassen, denn mich dürstet auch.“

„Dich auch? Wann hast du zuletzt getrunken?“

„Gestern, als du trankst. Unsern Pferden ging es besser, die hat Bloody-Fox versorgt.“

Als wir das Innere der Oase betraten, brannten da zwei Feuer, welche das Häuschen, den Platz vor demselben und den kleinen See beleuchteten. Auf den Bänken saßen Parker, Hawley, Fox, Old Surehand, Apanatschka, Schiba-bigk, Old Wabble und neben ihm der General. Diese beiden schienen unzertrennlich zu sein. Sie hatten schon gegessen, und nun kamen Bob und Sanna, um für mich und Winnetou zu sorgen. Man hatte sich im Gespräch befunden, und der General schien zuletzt gesprochen zu haben, denn als wir uns gesetzt hatten, fuhr er fort:

„Ja, das war eine lustige Gesellschaft, die wir trafen; sie hatten sich da seit vorgestern festgesetzt, um von ihrem Jagdzuge auszuruhen, und wie ich hörte, wollten sie noch eine Zeitlang hier im Orte bleiben. Sie zählten fünfzehn Mann, und es gab interessante Kerls dabei, höchst interessante. Am interessantesten aber war mir einer, der verteufelt viel durchgemacht zu haben schien und in einem Weg erzählte. Er wurde nicht müde dabei, und wenn ein Abenteuer zu Ende war, hatte er schon ein zweites und ein drittes auf der Zunge. Wenn ich mich nicht irre, so nannte er sich Saddler, aber einer seiner Genossen sagte mir im Vertrauen, daß er eigentlich Etters heiße, Dan Etters, und auch schon andre Namen geführt habe. Das war mir aber gleichgültig, denn es hat schon gar manches Mannskind guten Grund gehabt, seinen Namen mit einem andern zu vertauschen, und wenn dieser Westmann sich Saddler nannte, aber eigentlich Dan Etters hieß, so- –“

Er wurde unterbrochen. Old Surehand hatte sich, schon als der Name Etters zum erstenmal genannt wurde, von seinem Sitze erhoben und fragte jetzt über den Tisch herüber:

„Etters, wirklich Etters?“

Yes, Sir.“

„Habt ihr das richtig gehört?“

„Wüßte nicht, daß ich schlechte Ohren hätte!“

„Und auch richtig gemerkt?“

„Habe grad für Namen ein ausgezeichnetes Gedächtnis!“

„Und Dan, also Daniel, war sein Vorname?“

„Dan Etters hat er geheißen und nicht anders!“

Irrte ich mich infolge der flackernden Beleuchtung oder war es wirklich so? Es schien mir, als ob der General sein Auge dabei mit ungewöhnlicher Spannung auf Old Surehand richte, der sich augenscheinlich in einer Aufregung befand, die er wohl gern beherrschen wollte, aber nicht verbergen konnte.

„Also wirklich Daniel Etters!“ sagte er mit einem tiefen, schweren Seufzer. „Habt Ihr diesen Mann genau betrachtet?“

„Denke wohl,“ antwortete Douglas.

„Beschreibt ihn mir!“

„Hm! Beschreiben? Ist Euch dieser Etters vielleicht bekannt? Steht Ihr in irgend einer Beziehung zu ihm, Mr. Surehand?“

„Ja. Ich möchte wissen, ob der Mann, von dem Ihr sprecht, derjenige ist, den ich meine. Darum möchte ich seine Beschreibung haben.“

„Die möchte ich Euch gern geben, weiß aber wirklich nicht, wie ich es anfangen soll.“

„Warum?“

„Weil es schwer ist, einen Menschen zu beschreiben, der nichts Besonderes an sich hat und genau so aussieht wie hundert andre auch.“

„War er lang, kurz, dick, dünn – –?“

„Wenn ich es sagen soll, so war er ungefähr von meiner Figur; auch das Alter könnte dasselbe sein. Im übrigen aber sah er, wie schon gesagt, ganz so wie andre Menschen aus, so daß ich wirklich nicht weiß, was an ihm ich noch beschreiben könnte.“

„Hatte er nichts, gar nichts an Sich, was auffiel?“

„Gar nichts.“

„Kein besondres Kennzeichen?“

„Nein.“

„Könnt Ihr Euch auf seine Zähne besinnen?“

„Seine Zäh- – – ah richtig, seine Zähne! Das könnte etwas sein, was zur Beschreibung gehört.“

„Was, was? Laßt mich doch nicht so lange warten!“

Thunder, scheint Ihr es eilig zu haben, Mr. Surehand! Er hatte nämlich zwei Zahnlücken.“

„Wo?“

„Rechts eine und links eine.“

„Oben oder unten?“

„Oben natürlich, denn Ihr werdet wahrscheinlich wissen, daß Zahnlücken im Unterkiefer nicht leicht zu sehen sind. Es fehlte hüben ein Zahn und drüben einer, was, wie ich mich nun besinne, ihm, wenn er sprach, ein eignes Aussehen verlieh und auch Einfluß auf seine Stimme hatte, denn er zischte ein wenig, wenn er das s aussprach.“

„Er ist’s, er ist’s; er ist der, den ich suche!“ rief Old Surehand beinahe jubelnd aus.

„Was? Gesucht habt Ihr diesen Mann?“

„Und wie! Seit langen Jahren! In allen Staaten, in der Savanne, im Urwalde, in den Cañons der Hochlande und den Schluchten der Felsenberge! Ich bin hinter ihm her im leichten, zerbrechlichen Kanoe und habe ihn gejagt über die tiefen Schneefelder der Missouri-Ebene!“

„Gejagt habt Ihr ihn? So ist’s ein Feind von Euch?“

„Ein Feind, wie es keinen größeren geben kann!“

„Erlaubt, daß ich erstaune! Dieser Dan Etters schien so unschädlich wie ein kleines Kind zu sein.“

„Ein Dämon ist er, ein Teufel, ein Satan, wie es selbst in der Hölle keinen größern geben kann. Er hat mir vor langen Jahren meine – –“

„Stopp, Mr. Surehand!“ fiel ich ihm da schnell in die Rede. „Ihr seid aufgeregt. Ist es nicht möglich, daß Ihr Euch in der Person irrt?“

„Nein, nein und abermals nein! Er ist der – –“

Meine Worte hatte er nicht verstanden und sprach weiter; nun warf ich ihm einen warnenden Blick zu, der ihn zu sich brachte. Er hielt also inne, versuchte, sich zu beherrschen, und fuhr dann ruhiger fort: „Doch das gehört nicht hierher; das sind alte Sachen, die ich nicht aufrühren will.“

„Rührt sie immer auf, Mr. Surehand!“ sagte der General. „Vielleicht ist es eine Geschichte, die sich gut anhören läßt. Wollt Ihr sie nicht erzählen?“

„Sie würde nichts als langweilig sein. Also, wo habt Ihr diesen Etters getroffen? In Fort Terrel unten?“

Yes, in Fort Terrel, wie ich vorhin sagte.“

„Und er will dort bleiben?“

„Denke es. Wenigstens sagte er so.“

„Wie lange?“

„Eine Woche, wenn ich recht gehört habe.“

„Und wie lange ist es her, daß Ihr mit ihm gesprochen habt?“

„Vier Tage ist’s nun heut.“

„Vier Tage! Also nun nur noch drei!“

„Ihr sagt das so eigenartig. Wollt Ihr etwa hin?“

„Ja, ich will hin; ich muß hin!“

„Vielleicht ist er schon fort!“

„So mache ich ihm nach! Ich folge seiner Spur, und wenn sie sonstwohin gehen sollte!“

Er fing wieder einen warnenden Blick von mir auf, setzte sich endlich nieder, fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und schloß mit den Worten:

Pshaw! Oder laß ich ihn auch laufen! Er hat mich schwer gekränkt; aber was will ich machen, wenn ich ihn auch finde? Die Sache ist verjährt und es würde also keinen Richter geben, der sie in die Hand nehmen möchte. Sprechen wir nicht mehr davon!“

Nach einiger Zeit ging ich in das Haus; er kam mir nach, wo wir allein waren, und fragte:

„Ihr habt doch gewollt, daß ich Euch folge, Sir?“

„Allerdings.“

„Warum winktet Ihr mir?“

„Weil Ihr Euch nicht so gehen lassen solltet. Ich traue diesem Quasi-Generale nicht.“

„Ich auch nicht; aber das hat doch keinen Einfluß auf meine Angelegenheit!“

„Vielleicht doch. Er beobachtete Euch so gespannt und betonte den Namen Etters so schwer und eigentümlich, als ob er ihn nur Euertwegen genannt habe.“

„Daß er ihn nannte, war der reine Zufall; davon bin ich überzeugt.“

„Ich nicht. Die Absichtlichkeit war deutlich herauszuhören.“

„Welche Absicht könnte diesen Mann, der mich gar nicht kennt, geleitet haben?“

„Er kennt Euch, Sir; er kennt Euch ganz gewiß!“

Da kam auch Apanatschka herein. Er blickte sich vorsichtig um, und als er uns allein sah, fragte er:

„Meine Brüder sprachen von dem Manne, dessen Namen der General genannt hat?“

„Ja,“ antwortete ich.

„Ich habe den Mann gesehen, welcher zwei Agatam hat.“

„Ah! Wo?“

„Im Kaam-kulano.“

„Wann?“

„Vor vielen Jahren, als ich noch ein kleiner Knabe war.“

„Das ist lange, sehr lange her,“ meinte ich enttäuscht.

„Er wurde Etters genannt.“

„Wirklich? Das weißt du noch?“

„Ich habe es mir gemerkt, denn ich haßte ihn.“

„Warum?“

„Er lachte über meine Mutter, die ich liebte.“

„Was wollte er bei Euch?“

„Das weiß ich nicht. Er wohnte im Zelte des Medizinmannes, und so oft er da war, hatte meine Mutter einen bösen Geist in sich, der alle ihre Glieder durcheinander warf.“

Er wollte mit diesem Ausdrucke wohl Krämpfe bezeichnen.

„Kannst du dich darauf besinnen, wie deine Mutter damals aussah?“

„Sie war jung und schön.“

„War ihre Farbe heller als jetzt?“

„Sie war rot, wie bei allen roten Frauen.“

„Dann ist die Ahnung falsch, die in mir aufsteigen wollte; aber die andre Ahnung, die ich habe, wird wohl richtig sein. Dieser Etters hat Euch aus der Civilisation nach dem Westen getrieben, Mr. Surehand? Er steht in Beziehung zu den unglücklichen Ereignissen, die Euch den Glauben an Gott und das Vertrauen zu ihm genommen haben?“

„Ja,“ antwortete er. „Ihr habt es erraten.“

„Und glaubt Ihr wirklich, daß er sich jetzt in Fort Terrel befindet?“

„Ich bin überzeugt davon.“

„Ihr wollt natürlich hin?“

„Ich muß; ich muß.“

„Wann?“

„Heut abend noch! Ich darf keinen Tag, keine Stunde, keinen Augenblick verlieren. Ich habe diesen Halunken hundertmal gejagt, zuweilen wochenlang, ohne ihn aber jemals vor die Augen zu bekommen. Ich kannte nur seinen Namen und seine Thaten; gesehen habe ich ihn nie. Nun erfahre ich so plötzlich und unerwartet, wo er zu finden ist, und Ihr könnt Euch denken, daß ich da hier keine Minute Ruhe habe. Ich muß fort!“

„Wollen hoffen, daß der General Euch nicht belogen hat; ich traue ihm nicht.“

„Überlegt Euch doch die Sache, Sir! Weiche Absicht könnte er bei einer solchen Lüge haben?“

„Euch irre zu leiten.“

„Nein; ich glaube seinen Worten und reite nach Fort Terrel.“

„Allein?“

„Allein; ich habe keinen Begleiter.“

„Ihr werdet einen haben.“

„Wen?“

„Mich.“

„Was? Euch?“ fragte er mit frohem Erstaunen. „Ihr wollt mit?“

„Ja, nämlich wenn Ihr mich mitnehmen wollt.“

„Ob ich will! Welche Frage! Ich möchte stets und stets nur bei und mit Euch sein, auch in gewöhnlichen Lagen, denn Ihr glaubt gar nicht, wie ich Euch liebgewonnen habe. Und hier, wo es sich um so etwas Wichtiges handelt, um die Jagd auf ein Raubwild, welches ich nie und nie erwischen konnte, giebt mir Eure Begleitung die Sicherheit, daß Etters mir diesesmal nicht entgehen wird. Wenn Old Shatterhand sich auf eine Fährte setzt, so ist das Wild verloren. Also Ihr wollt mit, wirklich mit?“

„Gewiß!“

„Das ist mir geradezu eine Wonne, ein – – ein – – ein – – was ich kaum glauben möchte. Aber Ihr seid hier gar nicht zu entbehren!“

„Doch! Winnetou wird alles leiten.“

„Und von dem wollt Ihr Euch meinetwegen trennen?“

„Die Trennung wird nur eine kurze sein. Wir suchen ihn dann gleich wieder auf. Also, ich darf mit?“

„Dürfen? Von dürfen kann gar keine Rede sein! Ich möchte Euch im Gegenteil fast kniefällig bitten, mitzugehen, um mir mit Eurem Kopfe und Eurem Arme beizustehen!“

Da legte ihm Apanatschka die Hand auf den Arm und sagte:

„Und noch einer reitet mit.“

„Wer?“

„Apanatschka, der Häuptling der Naiini-Comantschen. Weise mich nicht zurück! Ich habe dich lieb und gehe mit dir. Ich spreche die Sprache der Bleichgesichter, habe gelernt, die verborgene Menschenfährte zu entdecken, und fürchte mich vor keinem Feinde. Kann ich dir da nicht nützen? Ich habe mit dir, mit Winnetou und mit Old Shatterhand das Kalumet geraucht und ich bin dein Bruder. Du suchst deinen Todfeind, den du fangen willst, und begiebst dich dabei in große Gefahr. Muß da nicht dein Bruder bei dir sein? Wäre ich dein Freund, dein Bruder, wenn ich dich da allein reiten ließe?“

Es sprach eine außerordentlich rührende Hingabe aus seinen Worten, seinem Tone und seinen Zügen. Old Surehand antwortete nicht und sah mich fragend an. Darum nahm ich die Entscheidung in die Hand:

„Unser roter Bruder Apanatschka will da etwas thun, was sein ganzer Stamm nicht gutheißen würde!“

„Was frage ich nach meinem Stamme, wenn es sich um meinen Bruder Surehand handelt! Die Söhne der Comantschen können nur hassen und vernichten; hier aber finde ich Liebe und Milde. Die roten Männer siegen mit dem Tomahawk; ihr aber seid stark und unbesiegbar und überwindet alle eure Feinde mit den Waffen der Verzeihung und Versöhnung. Wo ist es besser sein, beim Hasse oder bei der Liebe? Ich bin euer Bruder und reite mit euch!“

„Gut, du sollst uns begleiten. Aber wir reiten nicht heut, sondern erst morgen früh. Diese wenigen Stunden gehen uns nicht verloren; unsere Pferde müssen ausruhen und werden dann um so schneller sein.“

„Aber wenn Etters dann schon fort ist?“ warf Old Surehand besorgt ein.

„So hat er seine Fährte zurückgelassen, der wir folgen werden. Sorgt Euch nicht! Wir müssen vor allen Dingen gut beritten sein. Auf meinen Rappen kann ich mich verlassen, wenn er bis früh ruhen kann, und Apanatschkas Pferd ist auch schnell und ausdauernd; ich habe es beobachtet. Wie aber steht es mit dem Eurigen, Mr. Surehand?“

„Es ist ein ganz vortreffliches Tier, wenn auch mit Eurem Hengste gar nicht zu vergleichen; nur habe ich es in der letzten Zeit so anstrengen müssen, daß es mir bei den Anforderungen, die ich in den nächsten Tagen vielleicht an seine Schnelligkeit zu stellen habe, immerhin versagen kann.“

Well, so reitet Ihr Vupa Umugis Pferd, welches wir vom Kaam-kulano mitgebracht haben.“

„Wie? Das wollt Ihr mir leihen?“

„Leihen nicht, aber schenken.“

„Gar schenken! So ein kostbares Tier!“

„Nehmt es immerhin! Was soll ich damit thun? Vupa Umugi bekommt es nicht wieder, und ich brauche es nicht.“

Da drückte er mir die Hand und rief entzückt:

„Ich nehme es an, ja, ich nehme es an! Von Euch weise ich selbst ein so großes Geschenk nicht zurück, denn ich denke, daß Ihr mir erlaubt, es einmal quitt zu machen. Also wir reiten erst morgen. Und nun kommt heraus; ich muß sogleich zu meinem neuen Pferde gehen!“

„Aber laßt Euch draußen nichts merken! Am besten ist’s, Ihr redet gar nicht wieder mit dem General.“

Als wir hinauskamen, sah ich, daß Winnetou fehlte; er war fortgegangen, um nachzusehen, ob die Gefangenen gut bewacht würden. Er hatte seine Silberbüchse, grad wie ich meine beiden Gewehre, auf dem Tische liegen lassen. Nun hatte der General sie alle drei in den Händen und probierte grad an meinem Stutzen herum, um dessen Konstruktion zu untersuchen. Es lag dabei ein verlangender, ein geradezu gieriger Ausdruck in seinem Gesichte.

„Nicht wahr, Sir, das hier ist Euer Bärentöter?“ fragte er, als er mich kommen sah.

„Ja.“ antwortete ich kurz.

„Und das ist der berühmte Henrystutzen, von dem man so viel erzählen hört?“

„Ja; aber was habt denn Ihr damit zu schaffen?“

„Ich wollte das Schloß öffnen und brachte es nicht fertig. Wollt Ihr mir nicht sagen, wie – – –“

„Ja, sagen will ich es Euch,“ fiel ich ihm in die Rede, „nämlich sagen, daß Ihr die Hände davon zu lassen habt. Das sind keine Spielsachen für einen General, der Bull-Run in seinem ganzen Leben nicht gesehen hat.“

„Was? Nicht gesehen? Ich sage Euch, daß – –“

„Still! Mir macht Ihr nichts weis. Gebt her!“

Ich nahm ihm meine beiden Gewehre‘ als eben Winnetou wiederkam, dessen Büchse er noch in der Hand hatte. Der Apatsche erriet sofort den Zusammenhang, zog ihm die Silberbüchse weg und zürnte ihn ganz gegen seine sonstige Ruhe an:

„Wie kann das lügnerische Bleichgesicht sich an dem Gewehre des Häuptlings der Apatschen vergreifen! Dieses Gewehr wurde noch nie von den schmutzigen Fingern eines weißen Schurken berührt!“

„Schurke?“ fuhr der General auf. „Will Winnetou dieses Wort zurücknehmen, oder – –“

„Oder? Was?“ donnerte ihn der Apatsche an.

Da wich Douglas erschrocken zurück und antwortete kleinlaut:

„Man wird wohl ein Gewehr betrachten dürfen!“

„Aber nicht berühren! Winnetou legt seine Hand nicht dahin, wo die deinige gelegen hat!“

Er wischte mit dem herabhängenden Ende der Santillodecke, die ihm als Gürtel diente, die Büchse ab, als ob sie schmutzig geworden sei, hielt mir sie dann hin und sagte.

„Mein Bruder Old Shatterhand mag unsere Gewehre in die Stube tragen und dort an die Wand hängen, damit sie nicht wieder von solchen Händen besudelt werden!“

Damit wandte er sich ab und ging zu seinem Pferde. Ich sah noch, daß der General einen mir nicht gleich verständlichen Blick mit Old Wabble wechselte, und trug dann die Gewehre in das Häuschen, wo sie sicher hingen, denn Unberufene kamen nicht da hinein. So wenigstens dachte ich, und so hatte auch Winnetou gedacht.

Zu ihm ging ich dann, um ihm mitzuteilen, was ich mit Old Surehand besprochen hatte. Er war ganz einverstanden und sagte:

„Mein Bruder thut sehr recht daran. Mag dieser General die Wahrheit gesagt haben oder nicht, es ist gut, daß du mit Old Surehand reitest, und ich freue mich darüber, daß Apanatschka euch begleiten will. Er wird euch keine Last, sondern eine Hilfe sein. Mich trefft ihr dann in der Wohnung der Mescaleros, wohin ich auch das Pferd mitnehme, welches Old Surehand bis jetzt geritten hat; er mag es sich da holen.“

Hierauf sahen wir, daß der General seine Wasserschläuche füllte, wobei Old Wabble ihm behilflich war. Sie trugen sie fort, hinaus zu den Chickasaws. Wir machten uns keine Gedanken dabei, sondern nahmen es als ein Zeichen, daß Douglas morgen früh zeitig fort wollte, was uns nur lieb sein konnte.

Als Bob uns die Lager bereitet hatte, ging er in die Stube, wo er mit Sanna schlief. Wir legten uns nieder. Bloody-Fox pflegte auch im Häuschen zu schlafen, zog es aber wegen der dort herrschenden Schwüle heut vor, sich zu uns zu legen. Da die Feuer nicht mehr genährt wurden, verlöschten sie bald, und wir schliefen ein.

Früh war ich der erste, welcher erwachte, und weckte die Gefährten. Es fiel uns nicht auf, daß der General und mit ihm Old Wabble fehlte, und ich ging mit Winnetou fort, um nach den Gefangenen zu sehen. Wir fanden alles in Ordnung, was nämlich die Comantschen und Apatschen betraf; aber die Chickasaws waren nicht mehr da. Als wir Entschar-Ko, der hier befehligte, nach ihnen fragten, antwortete er:

„Wissen meine Brüder nicht, daß sie fort sind?“

„Nein.“

„Der weiße Mann, der sich General nennt, sagte, er wolle nicht länger hier bleiben, weil Winnetou und Old Shatterhand ihn beleidigt hätten; da ritt er fort mit den Chickasaws und seinen drei Bleichgesichtern.“

„Und Old Wabble?“

„Der ritt mit ihnen.“

„Da ist die Freundschaft zwischen ihnen ja recht schnell groß geworden. Mögen sie fort sein, auch Old Wabble mit! Es ist nicht schade um sie. Sie müssen aber noch im Finstern aufgebrochen sein, denn es ist erst seit einer halben Stunde Tag!“

„Im Finstern?“ fragte Entschar-Ko erstaunt.

„Der Mond schien noch.“

„Was? Der Mond? Heut früh?“

„Heut früh? Es war doch gestern abend!“

„Ah, schon gestern haben sie sich entfernt? Da haben sie es außerordentlich eilig gehabt.“

„Weil ich den General beleidigt habe,“ bemerkte Winnetou. „Der Zorn hat sie bald darauf fortgetrieben.“

Wir kehrten nach dem Wasser zurück, frühstückten und tränkten unsre Pferde. Inzwischen packte Bob Proviant für mich, Old Surehand und Apanatschka ein und füllte einige Wasserschläuche. Als er damit fertig war, forderte ich ihn auf, meine Gewehre zu holen.

„Gewehre?“ fragte er. „Wo sein Gewehre?“

„In der Stube. Sie hängen an der Wand neben der Thür.“

Er ging hinein, kam aber gleich darauf mit leeren Händen zurück und meldete:

„Keine Gewehre drin; Masser Bob keine sehen.“

„Du irrst; hast du denn gestern abend, als du schlafen gingst, sie nicht hängen sehen?“

„Masser Bob nicht hingeschaut. Jetzt keine drin, wirklich keine.“

Das war doch höchst sonderbar! Ich ging hinein, und Winnetou kam schnell nach. Die Gewehre waren nicht da; sie fehlten alle drei. Wir waren zunächst nur bestürzt; aber diese Bestürzung verwandelte sich in Schreck, als wir die Gefährten fragten und von ihnen hörten, daß keiner von ihnen im Häuschen gewesen sei; noch hatten wir angenommen, daß jemand die Gewehre für uns geholt und draußen irgendwo hingelegt habe.

„Sollte etwa – –?“ fragte Winnetou.

Er sprach vor innerer Aufregung die Vermutung nicht aus. Ich sah trotz der Bronzefarbe seines Gesichtes, daß ihm das Blut aus den Wangen gewichen war.

„Du meinst den General?“ fragte ich,

Er nickte nur.

„Dieser Halunke! Kein andrer ist’s gewesen! Wie gierig er die Gewehre betrachtete! Werden gleich Klarheit haben! Bob, war jemand im Häuschen, als du dich niedergelegt hattest?“

„Massa General war da.“

„Ah! Hattest du die Thür nicht verriegelt?“

„Masser Bob nie die Thür verriegeln; sind keine Spitzbuben da.“

„Was wollte der General?“

„Kommen herein und rufen leise Masser Bob, um ihm geben einen Dollar Trinkgeld für Abendessen und Aufwarten.“

„Brannte das Licht noch?“

„War ausgelöscht, weil Masser Bob und Sanna schlafen wollen.“

„Wie lange war der General in der Stube?“

„Massa General hereinkommen, rufen Masser Bob und ihm geben Dollar; dann nicht gleich wieder hinaus, weil nicht schnell Thür finden können.“

„Oh, wo die war, das hat er gewußt! Er hat nur so gethan, als ob er nach ihr suche, dabei aber nach den Gewehren getastet. Was sagt mein Bruder Winnetou? Ist er derselben Meinung wie ich?“

Ich hatte noch nie gesehen, daß der Apatsche durch irgend etwas aus der Fassung gebracht worden war. Wir hatten uns in Lagen und Gefahren befunden, die jeden andern in die größte Aufregung versetzt hätten; er war stets ruhig geblieben, innerlich ebenso wie äußerlich. Höchstens hatte es eine kleine Bedenklichkeit oder Überraschung gegeben, die aber nur von mir, der ich ihn genau kannte, bemerkt worden war. Jetzt sah ich ihn zum erstenmal innerlich so aufgeregt, daß er sich Mühe geben mußte, äußerlich ruhig zu bleiben. Diese Erregung sprach sich darin aus, daß er nur leise und die Worte halb verschluckend auf meine Frage antwortete:

„Mein Bruder – – hat recht. Der General hat – – – unsre Gewehre – – gestohlen – –!“

„Deine herrliche Silberbüchse, das teure Vermächtnis deines Vaters!“

„Er wird – – er wird sie – –“

Er konnte nicht weitersprechen; ich sah, daß der mit aller Anstrengung niedergehaltene Grimm ihm die Fäuste ballte.

„Er wird sie wieder hergeben müssen,“ vervollständigte ich seinen unbeendigten Satz. „Wir müssen den Dieben nach und zwar sofort!“

„Ja – – sofort, sofort!“

Es läßt sich denken, daß der Verlust unserer Gewehre nicht bloß uns zwei als die zunächst Betroffenen berührte; die Freunde, welche bei uns standen, waren noch viel aufgeregter als wir selbst. Old Surehand sagte mit vor Zorn bebender Stimme:

„Dieser Diebstahl trifft auch mich sehr schwer, Mr. Shatterhand. Ihr müßt den Halunken natürlich nach und könnt nun nicht mit mir nach Fort Terrel reiten!“

„Nein, das kann ich freilich nicht.“

„Und ich kann Euch weder begleiten noch hier auf Euch warten, denn ich muß hin, ich muß hin und darf keine Stunde verlieren.“

„Ich fürchte nur, daß Ihr diesen Weg umsonst machen werdet.“

„Mag sein; aber dennoch muß ich hin, damit ich mir später keine Vorwürfe zu machen brauche. Das werdet Ihr gewiß einsehen.“

„Ich sehe es freilich ein und will Euch nicht zureden, auf diesen Ritt zu verzichten. Ihr werdet ja nicht allein sein, denn Apanatschka begleitet Euch.“

„Ja,“ erklärte der junge Häuptling der Comantschen. „Ich reite mit meinem Bruder Surehand, denn ich habe es versprochen und halte mein Wort. Ich muß es nun erst recht halten, weil Old Shatterhand nicht mitkommen kann.“

„So will ich Euch wünschen, daß Ihr das dort gesuchte Ergebnis findet, Mr. Surehand!“

„Und ich wünsche Euch,“ antwortete er, „daß Euch der General nicht entkommt. Alle Teufel, wenn ich es mir so überlege: diese drei kostbaren, geradezu unersetzlichen Gewehre verloren!“

„Ich gebe sie noch lange nicht verloren.“

„Nicht? Glaubt Ihr, den Dieb zu finden?“

„Ich glaube es nicht nur, sondern ich bin überzeugt davon.“

„Ja, wir werden ihn finden, lebendig oder tot, und wenn er noch so weit entwiche, oder sich in das Innere der Erde versteckte. Er entgeht uns nicht!“ knirschte Winnetou.

„Das ist gewiß,“ fügte ich hinzu. „Wir bekommen die Gewehre zurück, nur fragt es sich, in welchem Zustande!“

„Ja. Dieser weiße Hund versteht sie nicht zu behandeln und kann sie leicht beschädigen oder gar unbrauchbar machen, besonders deinen Stutzen.“

„Das würde er schwer, sehr schwer büßen müssen. Also, wir verfolgen ihn. Wen will mein Bruder Winnetou mitnehmen?“

„Niemand.“

„Wir reiten allein?“

„Ja. Jeder andere würde uns hinderlich sein.“

„Ich auch?“ fragte Parker.

„Ja.“

„Auch ich?“ erkundigte sich Hawley.

„Auch du.“

„Wir möchten aber gar so gern mit!“

„Es geht nicht. Eure Pferde sind nicht so schnell wie die unsrigen, sie würden den Ritt nicht aushalten.“

Die beiden baten, sie dennoch mitzunehmen; er aber schlug es ihnen ab, und ich mußte ihm recht geben. Nun wollten sie sich Apanatschka und Old Surehand anbieten, aber diese konnten sie auch nicht brauchen; es blieb ihnen nichts andres übrig, als sich dem Transporte der gefangenen Comantschen anzuschließen.

Diesen hatte Winnetou leiten wollen, was nun aber nicht möglich war. Dableiben konnten sie aber auch nicht, und so besprachen wir uns kurz und wurden darüber einig, daß sie noch heut von den Apatschen unter Bloody-Fox und Entschar-Ko fortgeschafft werden sollten. Ich hätte gern dahin gewirkt, daß sie ihre Gewehre wiederbekamen, verzichtete aber darauf, weil Winnetou behauptete, daß dies gefährlich sei. Sie hätten, sobald sie frei waren, auf den Gedanken kommen können, die Apatschen gleich wieder anzugreifen, wenigstens ihnen heimlich zu folgen und einen Überfall zu wagen. Dieser Gedanke lag schon deshalb nahe, weil Winnetou, Old Surehand und ich fehlten, vor denen sie sich am meisten fürchteten.

Wir hätten uns mit Büchsen versehen können, denn Bloody-Fox besaß mehrere, die er uns anbot, und wir hätten uns auch von den erbeuteten Flinten zwei aussuchen können; aber wir verzichteten darauf, denn wir waren überzeugt, daß wir wieder zu unsern Gewehren kommen würden; was sollten wir uns da mit andern schleppen. Wir hatten unsre Messer, Revolver, Lassos und Tomahawks; das war einstweilen genug für uns.

Nun ritten wir hinaus vor das Kaktusfeld, denn es galt, die Spur des Generals auszumachen. Wie wir jetzt hörten, hatte er zu einem Apatschen, der Posten gewesen war, gesagt, daß er nach den hundert Bäumen reiten werde.

„Das ist nicht wahr; das ist eine Finte, um Euch irrezuleiten,“ meinte Parker. „Der General kennt den Weg dorthin ja gar nicht!“

„Aber Old Wabble ist bei ihm, der ihn nun kennt,“ antwortete ich.

„So glaubt ihr, daß er wirklich dorthin ist?“

„Nein. Grad weil er dies gesagt hat, wird er eine andre Richtung einschlagen.“

„Aber wohin?“

„Nach dem Peace-River, wie ich vermute. Ich habe erfahren, daß er dorthin will, und er ahnt nicht, daß ich es weiß. Er will zu den Chickasaws, um sich dort auszuruhen.“

„So würdet Ihr gut thun, gleich dorthin zu reiten.“

„Ja; aber ich darf auch keine Vorsicht versäumen. Er könnte auf einen andern Gedanken gekommen sein, und wir müssen also auf seiner Fährte bleiben.“

„Schwierige Geschichte das, sehr schwierig!“

„Warum?“

„Weil die Gegend von hier nach den hundert Bäumen von Fährten jetzt geradezu wimmelt. Wer da die ihrige unterscheiden will, der möchte scharfe Augen haben, ja, der möchte beinahe allwissend sein.“

„Ihr laßt außer acht, daß der Wind diese Spuren vollständig verweht hat. Wir werden also die Fährte der fünf Weißen und vier Chickasaws sehr deutlich sehen.“

„Ah, das ist richtig. Ihr wollt also sogleich fort?“

„Ja,“

„Das geht schnell und kommt uns ganz unerwartet. Ich hoffe, daß wir Euch bald wieder einmal zu sehen bekommen, Mr. Shatterhand. Erlaubt mir, Euch die Hand zu reichen!“

Auch Jos Hawley gab mir die seinige. Er sagte in treuherzig betrübtem Tone:

„Könnt Ihr Euch noch auf die Geschichte besinnen, die Ihr uns da oben im Mistake-Cañon erzählt habt, Sir?“

„Ja.“

„Ihr habt mir mit ihr das Herz leicht gemacht. Ich bin zu der Ansicht gekommen, daß ich mir wegen des Todes jenes Indianers nichts vorzuwerfen habe. Diese Beruhigung habt Ihr mir gegeben. Ich danke Euch, Mr. Shatterhand, und werde mich unendlich freuen, wenn sich unsre Fährten wieder einmal kreuzen!“

Es ging ans Abschiednehmen. Old Surehand nahm meinen Arm, zog mich von den andern fort, die seine Worte nicht hören sollten, und sagte:

„Gestern abend war ich ganz glücklich darüber, daß Ihr mit mir nach Fort Terrel wolltet; heut ist das schnell anders geworden, und Ihr könnt Euch denken, wie betrübt ich darüber bin. Ihr wißt ja, daß ich so gern stets und immer bei Euch bleiben möchte. Jetzt muß es so plötzlich geschieden sein, und noch dazu aus einem solchen Grunde! Ihr seid aber wirklich überzeugt, daß Ihr die Gewehre wiederbekommen werdet?“

„Ja.“

„Ich wünsche es Euch von ganzem Herzen. Und ebenso herzlich wünsche ich, daß wir uns recht bald wieder treffen!“

„Mein Wunsch ist das natürlich auch, Mr. Surehand.“

„Könntet Ihr mir nicht einen Ort bestimmen?“

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Weil wir beide nicht wissen, was geschieht und welchen Ereignissen wir entgegengehen. Ihr reitet südwärts, um diesen Dan Etters zu suchen. Wer weiß, wie lange Ihr ihn verfolgen müßt und wohin seine Spur Euch führt. Ich reite nach Norden und kann auch nicht sagen, wann und wo wir den General einholen werden.“

„So kommt Ihr gar nicht hierher zurück?“

„Ich möchte wohl, kann aber doch nicht sagen, ob es mir möglich sein wird. Ich kann also kein Rendezvous bestimmen, und Ihr könnt es wahrscheinlich auch nicht.“

„Nein.“

„So müssen wir die Zeit und den Ort, wann und wo wir uns wiedersehen werden, dem Zufalle überlassen.“

„Hm, ja! Aber daß wir es ihm so ganz und gar überlassen, das ist doch nicht nötig. Darf ich Euch einen kleinen Wink geben?“

„Ich bitte darum.“

„Ich gab Euch, ehe der Zweikampf mit Apanatschka begann, eine Adresse an. Die wißt Ihr noch?“

„Natürlich!“

„So nehmt sie als Anhalt zu einem späteren Zusammentreffen mit mir. Wenn Ihr einmal zufälligerweise nach Jefferson-City, Missouri, kommt, so geht in das Bankgeschäft von Wallace und CO., wo Ihr erfahren werdet, wo ich mich zu der betreffenden Zeit befinde!“

Well, werde es thun.“

„Danke! Da muß ich aber eine Bitte aussprechen.“

„Welche?“

„Forscht nicht nach meinen Verhältnissen!“

„Nein. Oder haltet Ihr mich für einen indiskreten, taktlosen und zudringlichen Menschen?“

„Ganz und gar nicht; aber Ihr könntet Euch doch nach der Anweisung verhalten, die ich Euch vor dem Zweikampfe gab.“

„Die habt Ihr mir doch nur für den Fall Eures Todes gegeben. Ihr lebt aber noch. ich werde nicht den geringsten Versuch machen, in Eure Geheimnisse einzudringen.“

„Danke Euch, Sir, danke! Und nun, lebt wohl. Ich wünsche, daß Ihr den General bald einholt!“

„Und ich würde mich außerordentlich freuen, wenn ich später hörte, daß Ihr Euern Dan Etters glücklich erwischt habt, Mr. Surehand!“

Wir schüttelten uns herzlich die Hände. Es that beiden aufrichtig leid, daß wir so plötzlich und auf ganz unbestimmte Zeit voneinander gehen mußten.

Auch von Bloody-Fox verabschiedete ich mich. Winnetou erteilte ihm und Entschar-Ko die nötigen Weisungen, sagte allen in seiner Weise mit kurzen Worten lebewohl, und dann verließen wir die Oase, welche der Schauplatz so drohender Ereignisse war, die für uns ein so befriedigendes Ende genommen hatten.

Unsere Pferde mußten heut schwerer tragen als gewöhnlich, weil wir ihnen Schläuche mit Wasser für zwei Tage aufgeladen hatten; denn wenn es richtig war, was wir dachten, so ritt der General nicht nach den hundert Bäumen, sondern zu den Chickasaws, welche nördlich von dem Llano estacado wohnten, und wir hatten zwei Tage durch die Wüste zu reiten. Den Weg kannten wir genau. Er ging über Helmers’Home, eine Ansiedelung, welche nahe am nördlichen Rande des Llano lag und diesen Namen führte, weil der Besitzer Helmers hieß. Er war ein sehr guter Bekannter, ja ein Freund von uns. Es war vorauszusehen, daß die, welche wir verfolgten, dort einkehren würden.

Es galt für uns die höchste Eile, weil sie schon gestern abend von der Oase fortgeritten waren und also einen halben Tag Vorsprung vor uns hatten. Und doch mußten wir sie womöglich noch in der Wüste einholen, weil die Verfolgung später schwieriger wurde. Es gab dann Gras und Büsche, später sogar Wälder, Bäche und Flüsse, die überall Verstecke boten und dem Generale hundert Gelegenheiten gaben, uns zu entkommen.

Die Fährte war leicht zu erkennen; sie führte allerdings nach Westen, also in der Richtung der hundert Bäume; aber schon nach einer Stunde bog sie in einem vollen, rechten Winkel gerade nach Norden ab. Unsere vorhin erwähnte Ansicht schien also die richtige zu sein.

Wir ritten immer Galopp, und ließen nur zuweilen die Pferde in langsamen Schritt fallen, damit sie sich verschnaufen konnten. Als es zu Mittag am heißesten geworden war, hielten wir an, gaben ihnen Wasser und ließen sie eine Stunde ruhen. Dann ging es in gleicher Eile wieder weiter, bis es dunkel geworden war und wir also halten mußten. Das brachte uns in Nachteil gegen die Verfolgten, welche auch des Nachts reiten konnten, während wir gezwungen waren, zu warten, weil wir ihre Fährte nicht mehr sahen.

Wir hätten allerdings trotzdem auch weiter reiten können, weil wir ihr wahrscheinliches Ziel kannten; aber es wäre das doch immerhin ein Wagnis gewesen, weil plötzliche Gründe eintreten konnten, durch welche sie veranlaßt wurden, ihre Richtung zu ändern. Darum hielten wir an, als die Dämmerung vorüber war. Kaum aber war der Mond erschienen, so brachen wir wieder auf. Seine Sichel bot nur wenig Licht, und andern Westmännern wäre es wohl schwerlich möglich gewesen, bei einer so unzureichenden Beleuchtung einer Fährte zu folgen, noch dazu im Galopp; aber unsre Augen waren scharf genug, und wenn ich mich ja einmal irren sollte, so war das bei Winnetou vollständig ausgeschlossen. Erst nach Mitternacht machten wir wieder Halt, denn die braven Tiere mußten ruhen; sie bekamen wieder eine allerdings nicht zureichende Portion Wasser; dann wurden sie angepflockt, und wir hüllten uns in unsre Decken, um zu schlafen. Kaum aber graute der Tag, so saßen wir schon wieder auf und kamen zwei Stunden später an die Stelle, wo sie Lager gemacht hatten. Wir blickten einander befriedigt an, denn wir hatten den halbtägigen Vorsprung bis auf diese zwei Stunden verkürzt, wenn sie nämlich auch erst am Morgen aufgebrochen waren.

Ich sagte: Wir sahen einander an; denn gesprochen wurde fast kein Wort. Winnetou war überhaupt ein sehr schweigsamer Mann, und wenn er gar einen Gedanken verfolgte, wie der unsrige war, so pflegte er noch viel weniger Worte als sonst zu machen.

Wir hatten den Lagerplatz der neun Reiter kaum eine halbe Stunde hinter uns, so sahen wir uns gezwungen, wieder anzuhalten, denn sie hatten ihren Ritt hier unterbrochen, und die Hufeindrücke sagten uns, daß so etwas wie eine Beratung stattgefunden haben mußte. Und diese war jedenfalls eine sehr lebhafte gewesen, denn die einzelnen Reiter waren nicht still halten geblieben, sondern hatten ihre Pferde sehr beweglich hin- und hergetrieben. Das ließ uns vermuten, daß zwischen ihnen ein Streit, ein Zank ausgebrochen war. Aber worüber? Das fragten wir uns. Wahrscheinlich über den ferneren Weg, über die Richtung, die heut eingehalten werden sollte.

Auf diese Vermutung kamen wir dadurch, daß sich von hier aus die Spuren teilten, was uns außerordentlich unlieb sein mußte. Keine der beiden Fährten ging gerade aus; die eine bog nach rechts und die andere nach links ab, so daß sie einen spitzen Winkel bildeten.

„Uff!“ sagte Winnetou enttäuscht. „Das ist schlimm!“

„Allerdings schlimm,“ stimmte ich bei. „Wahrscheinlich haben sich die Roten hier von den Weißen getrennt. Welche Fährte aber ist diejenige der Indianer und welche diejenige der Weißen?“

„Wollen sehen!“

Er stieg ab, um die Spuren zu untersuchen.

„Ich bezweifle sehr, daß wir das sehen können,“ erklärte ich, indem ich mich aus dem Sattel schwang. „Ich habe bemerkt, daß die Pferde der Weißen auch keine Eisen haben, sondern barfuß sind. Eine Unterscheidung zwischen ihnen und den andern Pferden ist also kaum möglich.“

Leider bestätigten sich diese meine Worte; die Hufspuren gaben uns nicht den mindesten Anhalt zu einer sichern Bestimmung; wir waren auf ungewisse Vermutungen angewiesen, die uns weniger nützen als vielmehr schaden konnten.

„Wollen den beiden Fährten eine kleine Strecke folgen,“ meinte Winnetou. „Vielleicht sehen wir doch etwas. Mein Bruder mag die nach rechts nehmen; ich gehe links.“

Wir thaten das. Ich hatte nur das eine Ergebnis, daß ich die Zahl der Pferde entdeckte, und Winnetou erzielte das gleiche unzulängliche Resultat. Wir konnten nicht einmal aus dieser Zahl auf diejenige der Reiter schließen, weil Packpferde dabei waren. Wir standen da und sahen einander an.

„Uff!“ sagte Winnetou, indem trotz der Enttäuschung, die wir fühlten, etwas wie ein Lächeln über sein Gesicht glitt. „Hat mein Bruder Shatterhand mich schon einmal in dieser Weise dastehen sehen?“

„Nein.“

„Ich dich auch nicht! Uff!“

„So ganz und gar nicht zu wissen, woran wir sind, das ist uns nie, noch nie passiert!“

„Nein, noch nie! Aber denken wir nach! Sollte es wirklich möglich sein, daß weder Old Shatterhand noch Winnetou auf den richtigen Gedanken kommt?“

„Ich möchte mich allerdings fast schämen! Also nachdenken! Das nächste Ende der Wüste liegt grad nördlich von hier, nach Helmers Home zu, und das weiß Mba, der Häuptling der Chickasaws, ganz gewiß. Mag er nach rechts oder nach links reiten, so braucht er in beiden Fällen wenigstens einen halben Tag länger, um aus dem Llano zu kommen; das weiß er auch. Ich denke nicht, daß er einen solchen Umweg macht. Oder glaubst du daran?“

„Nein.“

„Wenn er sich von den Weißen trennt, so hat er sich mit ihnen gezankt. Er reitet allein, weiß aber jedenfalls auch, wohin sie reiten. Dabei hat er sie über seine Richtung getäuscht, indem er von der richtigen abgewichen ist und sie sehr bald, wenn sie ihn nicht mehr sehen konnten, wieder eingeschlagen hat. Wenn wir also keiner von diesen beiden Fährten folgen, sondern geradeaus reiten, werden wir unbedingt wieder auf die seinige kommen.“

„Uff, das ist richtig!“

„Dann ist die andere Fährte natürlich diejenige, der wir zu folgen haben. Wir suchen sie auf und können dann sicher sein, daß wir den General vor uns haben. Ich glaube, daß mein Bruder Winnetou mir da recht giebt.“

„Es ist so, wie du sagst. Wir werden jetzt also keiner von den Spuren folgen.“

Wir stiegen auf und ritten weiter, ganz gerade aus, so daß wir die beiden, sich rechts und links von uns entfernenden Fährten bald nicht mehr sahen. Ich glaubte, meiner Sache sicher zu sein, war aber doch gespannt darauf, ob meine Voraussetzung sich bewahrheiten werde. Und richtig, schon nach einer halben Stunde sahen wir die Fährte, welche nach rechts geführt hatte, sich uns wieder nähern und sich dann nördlich wenden.

„Uff!“ ließ sich Winnetou in frohem Tone hören. „Das ist also die Fährte der Chickasaws, welche genau nach Helmers Horne führt.“

„Und wir müssen also,“ fuhr ich fort, „die andere aufsuchen, welche nun auf alle Fälle diejenige der Weißen ist.“

„Ja, reiten wir jetzt links hinüber nach der andern Spur! Wenn wir das thun, können wir uns dann gar nicht mehr irren und werden dann – –“

Er hielt plötzlich mitten im Satze inne. Er hatte, während er sprach, sein Auge der Linie des Horizontes nachgehen, lassen und schien etwas gesehen zu haben, denn er griff in die Satteltasche, zog sein Fernrohr heraus und richtete es nach Norden. Schnell hatte ich das meinige auch in der Hand und sah durch die Gläser einige Pferde und Männer, welche im Sande lagerten.

„Wer mag das sein?“ fragte ich.

„Die Chickasaws,“ antwortete er.

„Warum sind sie nicht fortgeritten? Welchen Grund haben sie, dort zu sitzen?“

„Uff! Sie warten auf uns!“

„Sehr möglich!“ stimmte ich bei. „Mba schien ein ehrlicher Mann zu sein. Er hat erst unterwegs bemerkt, daß der General uns bestohlen hat, und ist scharfsinnig genug, sich zu sagen, daß wir den Dieb verfolgen werden. Da hat er sich von ihm getrennt. Selbst wenn die Ehrlichkeit ihm dies nicht geboten hätte, müßte er es aus Sorge um sich selbst gethan haben. Er mußte dafür sorgen, von uns nicht für einen Mann gehalten zu werden, welcher mit Dieben im Einvernehmen steht und ihnen sogar seinen Schutz verleiht. So wird es sein.“

„Ja, so ist’s, reiten wir hin!“

Wir setzten unsre Pferde in Galopp und kamen den Männern schnell so nahe, daß wir sie erkennen konnten. Ja, es war Mba, aber nur mit zweien seiner Indianer. Sie hatten zwei Saumpferde bei sich. Wo war der vierte Chickasaw? Als die drei Roten uns erkannten, standen sie auf, legten ihre Waffen in den Sand und kamen uns entgegen. Das war ein friedliches Benehmen; dennoch nahm ich den Revolver in die Hand. Als wir sie erreichten und unsre Pferde vor ihnen parierten, sagte Mba:

„Old Shatterhand mag seine Drehpistole wieder in den Gürtel stecken, denn wir sind seine Freunde. Wir haben gewußt, daß er kommen werde, und auf ihn gewartet.“

„Ah, ihr habt es gewußt?“

„Ja. Oder sind Winnetou und Old Shatterhand Krieger, welche sich ihre Gewehre stehlen lassen, ohne daß sie sich dieselben wieder holen?“

„Das ist richtig. Wann hat Mba, der Häuptling der Chikkasaws, erfahren, daß man uns bestohlen hat?“

„Erst heute früh, als der Tag anbrach.“

„Wirklich nicht eher?“

„Nein. Ich spreche die Wahrheit. Würde ich auf euch gewartet haben, wenn ich euch belügen wollte oder gar den Diebstahl mit begangen hätte?“

„Nein. Ich habe dich gleich, als ich dich sah, für einen ehrlichen Mann gehalten. Erzähle!“

„Wir stießen im Süden vor dem Llano auf die vier Bleichgesichter, und ich gab ihnen mein Versprechen, sie durch die Wüste zu führen. Da kamen wir mit euch zusammen. Ich freute mich, Old Shatterhand, Winnetou und Old Surehand zu sehen, und ahnte nicht, daß der General Böses gegen euch im Schilde führte. Wir ritten mit euch bis zu dem Wohnsitze des blutigen Fuchses und wollten die ganze Nacht dortbleiben, um auszuruhen; da kam der General und sagte, wir müßten schnell fort, weil er sich mit euch verfeindet habe. Wir thaten ihm den Willen und ritten die ganze Nacht und den ganzen Tag – –“

„Ohne daß dein Mißtrauen erwachte?“ fiel ich fragend ein. „Hegtest du gar keinen Verdacht?“

„Ich hegte welchen; er kam gleich beim Beginn unsers Rittes, weil der General seinen Weg erst nach Westen nahm, wohin wir doch gar nicht wollten. Dann am Tage bemerkte ich ein Paket, welches er vorher nicht gehabt hatte und sehr sorgfältig behandelte. Auch fiel es mir auf, daß er gar so große Eile hatte. Als wir uns gestern abend lagerten, richtete ich es so ein, daß mir das Paket in die Hände kam; er entriß es mir aber gleich; doch hatte ich bemerkt, daß es schwer war und Gewehre enthielt.“

„Welche Beschaffenheit hatte das Paket?“

Es war seine Decke, in welche er die Gewehre geschlagen und mit Riemen zusammengebunden hatte. Ich wollte wissen, was für Gewehre es seien; aber die Bleichgesichter schliefen erst gegen Morgen so fest, daß ich es unbemerkt nehmen und aufbinden konnte. Ich erschrak, als ich sah, was es enthielt, denn ich wußte, daß ihr uns verfolgen würdet.“

„Warum behieltest du das Paket nicht, um es uns zurückzustellen?“

„Weil wir vier rote Krieger gegen fünf weiße waren und weil ihr den Dieb dann nicht gefangen hättet, denn er wäre entflohen.“

„Hm, ja, nämlich wenn du ihn hättest entfliehen lassen!“

„Ich hatte einen bessern Plan.“

„Welchen?“

„Als wir heut ein Stück geritten waren, hielt ich an und sagte den Bleichgesichtern, daß ich die Gewehre gesehen hätte und nicht weiter mit ihnen reiten möge, weil ihr jedenfalls bald kommen würdet. Sie wurden zornig und zankten sich mit uns. Als ich aber bei meinem Vorsatze blieb, baten sie mich, ihnen wenigstens einen meiner Krieger als Führer zu lassen, weil sie den Weg durch den Llano nicht kennen. Ich that ihnen den Willen, hatte aber diesem Krieger schon vorher gesagt, wie er sich zu verhalten hat. Er wird euch die Diebe in die Hände führen.“

„Auf welche Weise?“

„Ich ritt nur eine kleine Strecke weiter und blieb dann halten, um auf euch zu warten, denn ich will euch dahin bringen, wo ihr sie fangen sollt.“

„Wo ist das?“

„Dort im Norden liegt am Rande des Llano estacado die Wohnung eines weißen Mannes – –“

„Welche Helmers Home heißt,“ fiel ich ein.

„Uff! Old Shatterhand kennt diesen Ort?“

„Wir kennen ihn. Helmers ist unser Freund.“

„Das ist gut; das ist sehr gut, denn dorthin wird er die Weißen führen.“

„Warum reitet er nicht gerade aus, sondern macht einen Umweg?“

„Damit wir eher hinkommen als sie und sie ohne allen Kampf festnehmen können.“

„Schön! Ich sehe, daß Mba, der Häuptling der Chickasaws, ein kluger Krieger ist. Aber hast du auch bedacht, daß es für uns Gründe giebt, dir zu mißtrauen?“

„Giebt es solche Gründe?“

„Ja. Dein Krieger kann die Diebe uns entführen, so daß wir sie gar nicht zu sehen bekommen!“

„Wenn du das denkst, so wollen wir euch unsere Waffen ausliefern und uns selbst euch zum Pfande geben!“

„Ist nicht nötig. Wir vertrauen euch. Aber werden die Weißen sich nicht noch besinnen und einen andern Weg einschlagen?“

„Nein. Mein Krieger wird ihnen vor den andern Richtungen solche Angst machen, daß sie ihm gewiß folgen.“

„Gut! Sind eure Pferde sehr ermüdet?“

„Sie halten es bis zu Helmers Home aus, auch wenn wir nicht langsam reiten.“

„So wollen wir keine Zeit verlieren. Wenn ich mich nicht verrechne, so können wir schon am Nachmittage dort sein. Wann werden die Weißen dort ankommen?“

„Ich habe dem Führer befohlen, es so einzurichten, daß er Helmers Home gegen Abend erreicht.“

„Das ist sehr umsichtig gehandelt; aber eins will ich dich fragen: Was hättest du gethan, wenn wir jetzt nicht gekommen wären?“

„Gekommen wäret ihr ganz gewiß, wenn nicht jetzt, so dann später. Ich wäre ohne euch zu Helmers geritten, hätte ihm alles erzählt und ihn gebeten, uns beizustehen, den Dieben die Gewehre abzunehmen. Wenn ihr dann gekommen wäret, hätten wir sie euch gegeben. Glaubt Old Shatterhand diese Worte?“

„Ich glaube sie und lobe dich dafür. Deine Ehrlichkeit wird nicht unbelohnt bleiben. Jetzt wollen wir fort. Was noch zu sagen ist, können wir auch unterwegs besprechen.“

Die Chickasaws stiegen auf ihre Pferde und ritten mit uns weiter. Weil sie nicht gleichen Schritt halten konnten, ging es langsamer als vorher, dennoch war der Mittag noch nicht lange vorüber, als wir schon einzelne Zeichen davon entdeckten, daß wir uns dem Ende des Llano näherten. Während nur gefiedertes Raubzeug über das Innere der Wüste streicht, sahen wir jetzt körnerfressende Vögel fliegen, und hier und da gab es eine Salbeipflanze, welche zu ihrem Fortkommen nur des nächtlichen Taues bedurfte. Dann spitzten einzelne Gräser aus dem Sande, die sich nach und nach zu grünen Stellen vereinigten, aus denen später ein zusammenhängender Rasen gebildet wurde. Dann kamen Büsche und Sträucher, selbst Bäume, und als wir gar das erste Maisfeld vor uns sahen, hatten wir den Llano vollständig hinter uns.

Helmers‘ Home wurde mehr besucht als andere Ansiedelungen in der Einsamkeit des wilden Westens. Wer in den Llano estacado wollte oder wer aus demselben kam, der pflegte hier einzukehren und auszuruhen. Darum führte Helmers stets einen Vorrat von solchen Gegenständen, welche einem Westmanne oder Reisenden nötig sind. Er war nicht bloß Farmer, sondern nebenbei auch Kaufmann und Restaurateur. Ich hatte bei ihm schon manches Glas texanisches Bier getrunken, welches nach deutschem Rezepte gebraut worden war.

Ein schmaler Bach, den wir erreichten, führte uns nach dem Hause, in dessen Nähe er vorüberfloß. Es war aus Stein gebaut – denn hier gab es wirklich Steine, trotz der Nähe der Sandwüste – und bestand nur aus dem Parterre. Vor der Thür waren unter schattigen Bäumen einige Tische und Bänke angebracht. Hinter dem Hause befanden sich der Viehhof, der Stall und die Wirtschaftsschuppen. Als wir um die Ecke bogen, stand ein Schwarzer unter der Thür. Als er uns erblickte, stutzte er einen Moment, dann that er einen Freudensprung und brüllte mit schallender Stimme in das Haus hinein:

„Massa Helmers herauskommen, gleich schnell, gleich! Massa Winnetou und Massa Shatterhand sein da!“

Dann sprang er in langen, weiten Sätzen auf uns zu, packte mich beim Arme und beim Beine und riß mich vor Freude beinahe vom Pferde herunter.

„Nur sachte, sachte, guter Herkules!“ sagte ich. „Ich höre, daß Mr. Helmers zu Hause ist?“

„Massa sein da und auch Missus,“ antwortete er. „Da schon kommen beide gelaufen.“

Ja, da erschien Helmers‘ hohe, kräftige Gestalt unter der Thür, und seine Frau zeigte sich mit strahlenden Augen hinter ihm. Die beiden Alten liebten sich außerordentlich, sie hieß Barbara; er pflegte sie nicht anders als mein liebes Bärbchen zu nennen.

War das eine Freude über unsere Ankunft! Das Händedrücken wollte gar nicht aufhören, und die Stimmen schallten weit hinaus ins Freie, denn alle übrigen männlichen und weiblichen Bewohner des Home waren herbeigekommen, uns zu begrüßen. Deshalb warnte ich:

„Nicht so laut, Gents! Unsere Anwesenheit muß vorerst noch verborgen bleiben.“

„Verborgen? Warum?“ fragte Helmers.

„Weil wir hier einige Spitzbuben fangen wollen, die nicht wissen dürfen, daß wir da sind. Ich hoffe, daß Ihr uns behilflich seid, Mr. Helmers.“

„Das versteht sich ganz von selbst. Habe ja vor allen Dingen hier am wilden Llano die Pflicht, mein Haus von solchem Gesindel frei zu halten. Wer ist’s, Mr. Shatterhand?“

„Werde es Euch drin sagen. Wir müssen nämlich in die Stube, damit wir nicht gesehen werden. Herkules mag unsere Pferde in den Stall bringen und ihnen vor allen Dingen Wasser und dann tüchtig Futter geben. Nachher aber muß er den Stall zuschließen, weil auch die Pferde nicht gesehen werden dürfen.“

„Ihr macht mich neugierig, höchst neugierig, Sir! Aber was ist denn das? Ihr habt eure Gewehre nicht mit?“

„Das ist ja eben die Sache! Sie sind uns gestohlen worden, und die Diebe werden hierherkommen.“

Thunder-storm! Das ist ja ein – –“

„Bitte, nicht hier! Drin können wir besser darüber sprechen.“

„Ja, kommt herein, kommt herein! Und du, mein liebes Bärbchen, mach dich schnell in die Küche, und trage alles auf, was du hast; hörst du, alles, und wenn die Tische krachen!“

Ich sagte seinen Leuten schnell noch, wie sie sich zu verhalten hatten, und dann gingen wir in die Stube. Mutter Barbara that ihr möglichstes, um die Tische „krachen“ zu lassen, und während wir aßen und tranken, erzählte ich Helmers, was geschehen war. Kaum war ich fertig, so sprang er auf und ging hinaus. Als er wiederkam, erklärte er uns den Grund:

„Habe sogleich meine beste Hand, fortgeschickt, um nach den Halunken auszuschauen. Er mag sie beobachten; sie könnten sich auf die Seite drücken wollen.“

Er kannte Bloody-Fox wie ein Vater den Sohn und war hocherfreut darüber, daß die bösen Absichten der Comantschen auf eine so gelungene Weise vereitelt worden waren. Um schnell zu sein, hatte ich meinen Bericht so kurz wie möglich gemacht, und nahm mir nun jetzt erst Zeit, ausführlicher zu erzählen. Die drei Chickasaws saßen natürlich auch dabei. Wir hatten uns so plaziert, daß wir von draußen nicht gesehen werden konnten, selbst wenn jemand den kleinen, halb offen stehenden Schiebefenstern nahe kam.

Noch war ich nicht fertig, so hörten wir den Hufschlag von Pferden. Sechs Reiter stiegen draußen ab; es waren die Erwarteten. Helmers ging hinaus.

Good day, Sir!“ grüßte der General. „Habt Ihr schon Gäste hier, Sir?“

„Gäste?“ antwortete Helmers. „Woher sollen die hier in diese Einsamkeit kommen?“

Well! Gebt unsern Pferden Wasser und Futter und uns etwas Kräftiges zu essen nebst einer gehörigen Flasche Feuerwasser.“

„Sollt alles haben, Sir. Werdet ihr heut hier bleiben?“

„Warum fragt Ihr das?“

„Werdet mir die Frage wohl nicht übelnehmen! Ich muß es wissen, weil ich mich als Wirt darauf einzurichten habe.“

„So! Wir werden essen und trinken und dann weiterreiten.“

„Um diese Zeit? Es wird bald Nacht sein!“

„Das ist uns gleich.“

„Kommt Ihr aus dem Estacado, Sir?“

„Fragt nicht so viel, sondern thut, was ich Euch befohlen habe!“

„Hört, Ihr scheint mir ein außerordentlich großer Herr zu sein! Werd’wohl auf meinem Grund und Boden fragen dürfen! Und befehlen? Das kenne ich nicht!“

„Werdet es aber jetzt kennen lernen! Ich bin nämlich General, Sir, ja, General! Habe bei Bull-Run gefochten, bei Fort Hatteras, bei Harpers-Ferry, bei Gettysburg und in vielen andern Schlachten, in denen ich stets Sieger gewesen bin!“

Good lack! Da muß ich mich freilich beeilen, eure Befehle auszuführen! Entschuldigt nur einen Augenblick! Ihr werdet sofort bedient werden, wie es solchen Herren, wie ihr seid, angemessen ist!“

Der Doppelsinn dieser Worte entging ihnen. Sie setzten sich an einen der Tische, ohne zu ahnen, was für eine Art von „Gehorsam“ ihrer wartete. Helmers kam wieder herein und sagte leise:

„Jetzt kommt, Mesch’schurs! Ich werde euch durch die Hinterthür führen. Eure Gewehre liegen eingewickelt auf dem Tische; die ihrigen nehmen wir ihnen sofort weg. Das muß das erste sein, damit sie sich nicht wehren können.“

„Das ist nicht nötig, Mr. Helmers,“ antwortete ich; „sie werden es gar nicht wagen, nach ihnen zu greifen.“

Wir folgten ihm durch die Küche hinter das Haus nach der einen Giebelecke, hinter welcher seine Leute schon standen, bewaffnet und zum Zuspringen bereit. Dann ging er durch das Haus zurück und zu ihnen hinaus. Wir hörten deutlich, was gesprochen wurde, denn der Tisch, an welchem sie saßen, stand nicht sehr weit von unsrer Ecke.

„Ihr bringt nichts mit?“ fragte der General. „Wo bleibt der Brandy? Und wer sorgt für die Pferde?“

„Geduld, Mesch’schurs! Es ist alles besorgt.“

„Aber Ihr thut nichts, wie es scheint!“

„Ist auch nicht nötig, habe meine Leute dazu.“

„Aber wir können nicht warten!“ fiel Old Wabble zornig ein. „Wir sind gewöhnt, schnell bedient zu werden!“

„Keine Sorge, Sir! Ihr werdet schnell bedient werden, schneller noch, als ihr es denkt. Darf man wissen, wohin ihr von hier reiten werdet?“

„Geht Euch das etwas an?“

„Eigentlich nicht.“

„So fragt auch nicht! Was einem nichts angeht, das soll einem auch nichts angehen; th’is clear!“

„Ich frage nicht aus Neugierde, sondern um euch nötigenfalls zu warnen.“

„Vor wem?“ fragte der General.

„Vor einigen weißen Spitzbuben, die sich hier in der Nähe herumtreiben.“

„Spitzbuben? Was sind es für Kerls?“

„Schufte, die es besonders auf die Gewehre andrer Leute abgesehen haben.“

„Wie – – –? Was – –?“

„Ja, Gewehrdiebe!“

„Das – – das – – wäre doch sonderbar!“

„Es ist aber so! Erst vor zwei Tagen haben sie einen solchen Diebstahl ausgeführt.“

„Vor zwei Tagen! Wo denn?“

Am Llano. Dort haben sie die drei berühmtesten Gewehre gestohlen, die es giebt.“

Ich zog meine beiden Revolver, denn der Augenblick der Überrumpelung war da. Winnetou spannte die seinigen auch. Wir konnten die Kerls nicht sehen, aber es war ihnen jetzt wahrscheinlich nicht sehr wohl zu Mute, denn die Stimme des Generals klang sehr gepreßt, als er fragte:

„Welche Gewehre sind das gewesen?“

„Die Silberbüchse Winnetous und Old Shatterhands Stutzen und Bärentöter.“

„Alle Teufel! Ist das wahr?“

„Sehr wahr!“

„Von wem wißt Ihr das?“

„Von den Bestohlenen selbst.“

„Also – – von – – Winnetou – –?“

Yes.“

„Und – – von – – Old – – Old Shatterhand?“

„Yes.“

„Da müßt – – müßt Ihr doch mit – – mit diesen beiden Männern – – Männern gesprochen haben!“

Ein rascher Schritt um die Ecke, drei Sprünge weiter, und wir standen vor ihnen. Im nächsten Augenblicke waren auch Helmers’Leute bei uns.

„Natürlich hat Mr. Helmers mit uns gesprochen!“ sagte ich. „Rührt euch nicht! Ihr seht alle Waffen auf euch gerichtet; sie gehen augenblicklich los, wenn ihr die geringste Bewegung macht!“

Der Schreck dieser Menschen war unbeschreiblich. Sie starrten uns wie Gespenster an und wagten nicht, sich zu rühren.

„Herkules, ich sagte dir, du solltest Stricke oder Riemen bringen. Hast du sie?“ fragte ich den Neger.

„Riemen sein da, ganze Menge,“ antwortete er. „Hier in Händen sie haben.“

„Binde die Kerls!“

„Was? Binden?“ rief Douglas. „Einen General binden, einen General, der in zahlreichen Schlachten – –!“

„Schweigt!“ unterbrach ich ihn. „Ihr seid der erste, welcher gefesselt wird, und wenn Ihr widerstrebt, so schieße ich Euch auf der Stelle nieder! Gebt sofort die Hände her!“

Da wagte er keinen Widerstand; er wurde gefesselt und die andern nach ihm. Ich wendete mich an Old Wabble:

„Ihr habt Euch eine saubere Gesellschaft gewählt! Eigentlich sollte ich kein Wort mit Euch sprechen; ich will mich aber einmal überwinden und Euch fragen: Habt Ihr Euch bei dem Diebstahle beteiligt?“

„Nein,“ antwortete er, indem er ein Paar Augen auf mich richtete, in welchen der Zorn und der Haß funkelten.

„Ihr seid nicht mit im Häuschen gewesen, als die Gewehre geholt wurden?“

„Nein.“

„Ist das wahr?“ fragte ich den General.

„Ich antworte Euch kein Wort!“ erklärte er. „Wer darf es hier wagen, einen General ins Verhör zu nehmen!“

Well, so sind wir einstweilen mit Euch fertig, aber auch nur einstweilen. Wir werden Euch gar nicht verhören, denn Eure Schuld ist erwiesen. Es bleibt uns nur noch übrig, Eure Strafe zu bestimmen.“

„Strafe? Wagt es, Euch an mir zu vergreifen! Ich würde mich blutig rächen, so blutig, daß – –“

Ich hörte seine Worte nicht mehr, denn ich hatte Winnetou, Helmers und dem Chickasawhäuptling gewinkt, mit mir zu kommen. Wir gingen hinter das Haus, um über die Bestrafung des Diebes zu beraten. Wir wurden schnell einig und kehrten zu den Gefangenen zurück, die inzwischen von Helmers‘ Leuten und den Chickasaws bewacht worden waren. Weder Winnetou noch ich wollte mit der Ausführung des Urteiles etwas zu thun haben; wir hatten das dem Besitzer des Home übertragen. Er verkündigte ihnen unsern Entschluß mit den Worten:

„Ihr seid auf meinem Grund und Boden erwischt worden, und darum bin ich es, der euch sagt, was wir über euch bestimmt haben. Ihr bleibt alle bis morgen früh hier und werdet dann über meine Grenze geschafft. Wer sich dann wieder hier sehen läßt, wird erschossen. Der edle Gentleman, welcher sich für einen General ausgiebt, ist der Dieb. Nach den Gesetzen des wilden Westens wird ein solcher Diebstahl mit dem Tode bestraft; wir sind aber so gnädig gewesen, diese Strafe in fünfzig Hiebe umzuwandeln, denn es scheint uns, daß – –“

„Hiebe!“ brüllte Douglas. „Ich werde – –“

„Nichts wirst du, Schuft!“ donnerte ihn Helmers so an, daß er schwieg. „Grad weil du Offizier sein willst, wirst du gehauen werden! Und da außer euch nur lauter Gentlemen da sind, von denen keiner dieses Amt übernehmen möchte, so wird Old Wabble dir diese fünfzig Hiebe geben.“

„Das – – das – – werde ich nicht thun!“ stieß der alte, einstige „king of the cowboys“ hervor.

„Du wirst es thun, alter Boy, denn wir haben es so beschlossen. Wenn du dich weigerst, auf mein Kommando zuzuschlagen, oder wenn du nicht aus Leibeskräften zuschlägst, so bekommst du selbst erst fünfzig Hiebe und dann eine Kugel in den Kopf. Ich scherze nicht; laß dir das gesagt sein!“

„Der, der soll mich schlagen?“ rief Douglas. „Er ist ja selbst mit dabei gewesen. Ich kannte ja das Häuschen gar nicht; er hat mich hineingeführt!“

So leid mir das um Old Wabble that, aber ich bezweifelte nicht, daß der General die Wahrheit sagte. Also das war der Dank für die Teilnahme, Zuneigung und wiederholte Nachsicht, die ich dem Alten entgegengebracht hatte; er war aus Ärger und niedriger Rachsucht zum Diebe an mir geworden. Dennoch bestimmte Helmers:

„Das geht uns jetzt nichts mehr an. Hättest du es vorhin gesagt; du wolltest dich aber nicht verhören lassen; nun ist’s zu spät! Ich habe nur noch hinzuzufügen, daß wir mit den andern nichts zu thun haben wollen; ihnen wird also nichts weiter geschehen, als daß wir sie bis morgen früh hier festhalten; da ist es Tag, und wir können uns überzeugen, daß sie sich wirklich entfernen. Die Dienste, welche euch die Chikkasaws geleistet haben, werden wir ihnen von dem bezahlen, was wir bei euch finden. Jetzt bindet den ehrenwerten General hier an die Postoak, macht Old Wabble die Hände frei, daß er zuschlagen kann, und schneidet da drüben von den Sträuchern einige gute hazel-switches ab, die hübsch stark, doch biegsam sind! Der General soll seine Orden bekommen, aber nicht vorn auf die Brust!“

Ich ging mit Winnetou fort, um nicht Zeuge der Vollstreckung dieses Urteiles zu sein. Ein Ebenbild Gottes prügeln zu sehen, ist nicht jedermanns Sache. Leider aber giebt es Menschen, bei denen selbst eine solche Strafe ohne alle Wirkung bleibt, und hätte ich jetzt gewußt, was ich später erfuhr, so wären mir selbst hundert Hiebe für diesen gott- und gewissenlosen Schurken noch viel zu wenig gewesen. Wir hörten nach unsrer Rückkehr, daß Old Wabble sich zwar erst gesträubt, dann aber angesichts des drohenden Revolvers tüchtig zugeschlagen hatte. Dann wurden die Kerls miteinander so sicher eingesperrt, daß sie nicht fliehen konnten.

Als man sie am andern Morgen aus ihrem Gewahrsam brachte, sahen die Gesichter des Generals und Old Wabbles blutig aus. Sie waren trotz ihrer Fesseln aneinander geraten. Douglas hatte sich in einer ganz unbeschreiblichen Wut darüber befunden, daß der Alte sich hatte zwingen lassen, ihm die fünfzig Hiebe zu geben. Als wir ihn jetzt losbanden, wollte er sich wieder auf ihn stürzen, und als wir ihn davon abhielten, schrie er ihm zu:

„Nimm dich vor mir in acht, du Hund! Sobald ich dich treffe, bezahlst du mir diese Schläge mit dem Leben. Ich schwöre es dir mit allen Eiden zu, die man nur schwören kann!“

Das war sehr ernst gemeint; Old Wabble sah es ein und bat Helmers, ihn eher als den General fortzulassen. Er scheute sich, diese Bitte an mich oder an Winnetou zu richten; wir hielten uns von ihm fern. Sie wurde ihm gewährt. Herkules, der Neger, brachte ihn fort, und erst als hierauf eine Stunde vergangen war, wurde Douglas mit seinen drei weißen Begleitern über die Grenze geführt. In welcher Weise er von uns Abschied nahm, braucht nicht gesagt zu werden. Er floß von Drohungen und Verwünschungen förmlich über. Sein Zorn war dadurch bis zum höchsten Grade gesteigert worden, daß wir ihnen allen die Waffen und die Munition genommen und den Chickasaws als Belohnung gegeben hatten. Was Winnetou und mich betrifft, so konnten wir mit dem Ausgange unsres Rittes sehr zufrieden sein. Wir hatten unsere Gewehre wieder, die sich in demselben guten Zustande wie vorher befanden.

Als wir dann erzählend am Vormittage vor dem Hause am Tische saßen, stand Helmers plötzlich auf, ging zu dem Baume, an welchem der General gestern angebunden war, hob dort etwas vom Boden auf und sagte:

„Da sah ich etwas blinken. Es ist ein goldener Ring, ein Trauring, wie es scheint. Seht ihn einmal an!“

Der Ring ging von Hand zu Hand. Ja, es war ein Trauring, und auf seiner Innenfläche sahen wir zwei Buchstaben und ein Datum eingegraben.

„Wie kommt der Ring dorthin?“ fragte Frau Barbara. „Wer mag ihn verloren haben?“

„Der General,“ antwortete Helmers. „Seine Hand war festgebunden und hat sich, als ihn die Hiebe schmerzten, so unter den Riemen gewunden, daß der Ring abgestreift worden ist. Anders kann es nicht sein.“

Wir gaben ihm recht und meinten, daß er den Ring als Andenken an den gestrigen Strafvollzug aufbewahren möge; er aber legte ihn mir in die Hand und sagte:

„Was soll ich mit ihm? Er ist nicht mein; ich komme nicht von hier fort und werde den General wohl nicht wiedersehen. Bei Euch aber, Mr. Shatterhand, ist es möglich, daß Ihr ihm einmal begegnet. Steckt ihn ein.“

Ich hatte keinen Grund, mich zu weigern, und steckte den Ring an meinen Finger, wo er sicherer als in der Tasche war. Vorher betrachtete ich ihn genau und las: E. B. 5. VIII. 1842. Wie wichtig dieser Ring mir und Old Surehand später werden sollte, das konnte ich jetzt nicht ahnen. – – –

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