Gefangen

Von dem Brunnen, an welchem das letzte Ereignis sich zutrug, bis zur Dschesireh Hassanieh ist eine Strecke von fast dreißig geographischen Meilen zurückzulegen. Unsere vortrefflichen Kamele legten diesen Weg in zwei Tagen zurück, waren aber dann, als wir uns dem Ziele näherten, so ermüdet, daß wir sie langsam gehen lassen mußten. Ich glaubte, die Richtung ganz genau genommen zu haben, war aber doch etwas zu weit nach links geraten, denn es stieg gerade vor uns der Dschebel Arasch Quol auf, welcher ziemlich weit nördlich von Hegasi liegt.

Es war gegen Abend, als wir dort ankamen. Hegasi ist eine armselige Helle welche aus wenigen Hütten besteht, und liegt auf dem hohen Ufer des Nils, ziemlich gut gegen die Überschwemmungen des Flusses geschützt. Von der Helle führt ein Weg hinab zum Flusse nach der Stelle, an welcher die Fahrzeuge landen und die Tiere getränkt werden. Dieser Weg sowohl wie auch die Tränk- oder Landestelle wird am oberen Nile Mischrah genannt.

Ich freute mich beim Anblicke des Flusses, den ich seit dem Zuge zu den Fessarah nicht wieder gesehen hatte. Die Bewohner des Dorfes kamen herbei, um uns nach dem Woher und Wohin und nach unserm Begehr zu fragen. Ich hütete mich natürlich, ihnen sofort Auskunft zu erteilen, und ging ihren Erkundigungen durch Gegenfragen aus dem Wege.

Zunächst führten wir unsere Kamele zum Flusse, um sie trinken zu lassen; dann brachten wir sie hinauf nach einer grasigen Stelle, deren Eigentümer uns gegen geringes Entgelt die Erlaubnis gab, sie da weiden zu lassen.

Auf der Höhe der Mischrah saß ein Mann, welcher nicht in das Dorf zu gehören schien. Er war vollständig bewaffnet und besser gekleidet als die Bewohner der Helle. Als ich mich bei einem der letzteren nach ihm erkundigte, antwortete er*

»Wir kennen ihn nicht. Er ist schon seit gestern hier und sitzt stets auf derselben Stelle, um flußabwärts zu blicken.«

»Erwartet er vielleicht ein Schiff?«

»Wahrscheinlich; aber er hat uns nicht geantwortet, als wir ihn danach fragten. Vor dem Dorfe hält ein gesatteltes Pferd, welches er sich von unserm Scheik el Beled geliehen hat.«

»Wann hat er es geritten?«

»Noch gar nicht; aber es steht bereit, so lange er sich hier befindet.«

»Wohin will er reiten?«

»Das wissen wir nicht; dem Scheik el Beled wird er es wohl gesagt haben, da dieser ihm sonst sein Pferd nicht gegeben hätte.«

Der Fremde war mir auffällig. Es war klar, daß er nach irgend etwas ausschaute und dann, wenn es erschien, sofort davon reiten wollte, um Meldung davon zu machen. Gern hätte ich gewußt, wohin er diese letztere bringen wollte; aber den Scheik fragen, das wäre wohl zu auffällig gewesen. Darum erkundigte ich mich bei dem Manne:

»Wann ist das letzte Schiff stromaufwärts hier vorübergekommen?«

»Gestern früh.«

»Und wann kam der Mann in das Dorf?«

»Zur selben Zeit, denn er kam von diesem Schiffe. Er wurde in einem Boote an die Mischrah gebracht.«

»Das Boot blieb nicht hier?«

»Nein; es wurde wieder zum Schiffe gerudert.«

»Wem gehörte das Schiff?«

»Das weiß ich nicht.«

»Was hatte es geladen?«

»Auch das kann ich nicht sagen.«

»Kannst du mir auch seinen Namen nicht nennen?«

»Es hieß Hardaun (Eidechse) und war keine Dahabijeh, sondern ein Noquer.«

»Wann kam das vorhergehende Schiff vorüber?«

»Einen Tag vorher, also vorgestern. Es war auch ein Noquer; er war leer und ging nach Süden, um Waren zu holen.«

»Ist nicht ein Schiff vorübergekommen, welches weder eine Dahabijeh noch ein Noquer war und ein sehr fremdes Aussehen hatte?«

»Nein.«

Diese Antwort beruhigte mich, denn sie sagte mir, daß der Reïs Effendina den gefährlichen Ort noch nicht passiert hatte. Sein »Falke« war so ungewöhnlich gebaut und aufgetakelt, daß er jedem hiesigen Auge auffallen mußte.

Ben Nil hatte sich in das Gras gelegt und sah dem Thun und Treiben der Dorfbewohner zu. Ich schritt langsam auf den Fremden zu, welcher mich scharf beobachtet hatte, setzte mich an seiner Seite nieder und grüßte:

»Allah schenke dir einen glücklichen Abend!«

»Glücklichen Abend,« antwortete er kurz.

Ich hatte den Gruß vollständig ausgesprochen, was man nur dann thut, wenn man besonders höflich sein will. Mit seiner Kürze wollte er mir jedenfalls sagen, daß ihm an meiner Gesellschaft nichts liege; ich that aber, als ob ich das gar nicht herausgefühlt habe, und fuhr fort.

»Ich habe kein Netz bei mir, um mich gegen die Mücken des Flusses zu schützen; darum kann ich nicht im Freien schlafen. Giebt es hier in diesem Dorfe eine Hütte, in welcher ich Aufnahme finden kann?«

»Ich weiß nicht; ich bin nicht von hier.«

»So bist du auch fremd? Allah sei mit dir auf deiner Reise!«

»Sein Segen sei auch mit der deinigen! Wo kommst du her?«

»Von Chartum,« antwortete ich, gezwungen, die Unwahrheit zu sagen.

»Wo steht das Zelt, welches dein Eigentum ist?«

»Ich bewohne kein Zelt, sondern ein Haus. Es steht in Suez.«

»Was bist du?«

Ich machte ein möglichst pfiffiges Gesicht und antwortete:

»Ich handle mit allem möglichen, am liebsten aber mit – –«

Ich hielt inne und machte eine Handbewegung, welche sagen sollte, daß es nicht geraten sei, den angefangenen Satz zu vollenden.

»Mit verbotener Ware?« sagte er an meiner Stelle.

»Wenn es so wäre, dürfte ich es eingestehen?«

»Mir könntest du es sagen. Ich würde dich gewiß nicht verraten.«

»Das Schweigen ist auf alle Fälle besser als das Reden.«

»Nicht auf alle Fälle. Wenn ein Kaufmann ein Geschäft machen will, muß er doch von demselben sprechen.«

»In diesem Falle pflege ich natürlich auch zu reden. jetzt aber liegt ein Geschäft nicht vor.«

»Vielleicht doch, falls ich dich nämlich recht verstanden habe. Ihr seid auf Kamelen gekommen. Wo wollt ihr hin?«

»Einkaufen.«

»Was?«

»Das!« nickte ich, ihn im unklaren lassend.

Er war nicht bloß freundlicher, sondern, wie man sich auszudrücken pflegt, warm geworden. Er hielt mich für einen Sklavenhändler, und ich war überzeugt, in ihm einen Untergebenen des Sklavenjägers Ibn Asl, den ich suchte, vor mir zu haben. Es galt, ihn in seiner Ansicht zu bestärken, ohne doch sofort einzugestehen, daß dieselbe die richtige sei, denn ein Sklavenhändler sagt nicht dem ersten besten Menschen, was er ist und was er treibt. Jedenfalls hatte der Mann die Aufgabe, das Erscheinen des Reïs Effendina hier abzuwarten und dann weiter zu melden. Der Noquer »Eidechse« gehörte in diesem Falle Ibn Asl und konnte nicht weit entfernt von hier, wahrscheinlich an der Dschesireh Hassanieh liegen.

»Du bist verschwiegen, und das freut mich sehr,« meinte der Mann. »Nur mit verschwiegenen Leuten kann man sich auf Geschäfte einlassen.«

»Ah, auch du treibst also diese Dinge, welche nicht jedermann zu wissen braucht?«

»Wenn es nun so wäre?«

»So paßten wir zusammen.«

»Wirklich? Weißt du auch, daß es ein sehr gefährliches Geschäft ist, Requiq zu machen?«

»Pah! Ich möchte wissen, wieso gefährlich. Man zieht nach einem Dorfe der Schwarzen, umzingelt es, steckt es in Brand und nimmt die Neger in Empfang, wenn sie aus den brennenden Hütten gesprungen kommen. Die Alten und Schwachen sticht oder schießt man nieder, und mit den andern geht man fort. Wo ist da die Gefahr?«

»Dabei allerdings nicht; sie beginnt erst mit dem Transporte.«

»Man darf sich nicht erwischen lassen und muß die Sklaven an Ort und Stelle verkaufen.«

»Das kann man nicht, denn es ist kein Käufer da.«

»So nimmt man einen mit, welcher die Schwarzen sofort nach der Jagd kauft und bezahlt und dann die Gefahren des Transportes auf sich nimmt.«

»Wo wäre ein solcher Mann zu bekommen?«

»Wo? Hm!« brummte ich bedeutungsvoll.

»Wer ist er?« fragte er.

»Das wird dich wohl nicht sehr interessieren, denke ich.«

»Mehr als du denkst. Ist der Mann reich?«

»Er besitzt soviel, wie er braucht.«

»Auch mutig muß er sein!«

»Das ist er. Er war mehreremal in Abessinien, um Sklaven dort zu kaufen. Dazu gehört doch schon etwas.«

»Allerdings. Wo befindet er sich jetzt?«

»Am weißen Nile, vielleicht gar nicht weit von hier.«

»Du bist wirklich außerordentlich vorsichtig. Meinst du dich selbst?«

»Das sage ich natürlich nicht.«

»Mir darfst du es sagen, denn – –«

»Denn – – ? Warum redest du nicht aus?«

»Weil ich auch vorsichtig sein muß. Aber wenn ich mich in dir nicht irre, so könnte ich dir vielleicht sagen, bei wem du Requiq kaufen kannst.«

»Nun, bei wem?«

»Bei Ibn Asl.«

»Allah! Bei diesem berühmten Sklavenjäger? Wo befindet er sich?«

»Wo sich dein Händler befindet, nämlich am weißen Nil.«

»In welcher Gegend?«

»Vielleicht gar nicht weit von hier,« antwortete er, indem er meine vorigen Worte wiederholte.

Ich that, als ob ich sehr freudig überrascht sei, und rief aus:

»Das ist gut; das ist sehr gut! Ich hörte von ihm sprechen. Ein türkischer Händler, den ich kenne, sagte mir, daß er viel von ihm gekauft habe.«

»Meinst du Murad Nassyr? Den kennst du also?«

»Sehr gut. Ich habe oft Requiq von ihm gekauft.«

»Ah, endlich gestehst du ein, daß du es selbst bist, von dem du sprachst!«

»Allah w’Allah! Es ist mir so herausgefahren.«

»Sei unbesorgt! Es schadet nichts, denn nun kann auch ich offen sein. Ich sage dir, daß ich bei Ibn Asl im Dienst stehe.«

»Ist das wahr? Oder willst du mich nur versuchen?«

»Es ist die Wahrheit. Welchen Grund könnte ich haben, mich fälschlicherweise für einen Diener des Sklavenjägers auszugeben?«

*Um mich zu fangen. Du könntest leicht im Dienste des Khedive stehen.«

»Selbst wenn dies der Fall wäre, könnte ich dir jetzt nicht schaden. Ich müßte dich auf der That ertappen. Also, aufrichtig! Sage mir, ob du Requiq kaufen willst!«

»Nun gut, ich will es wagen und dir Vertrauen schenken, obgleich ich dich noch nie gesehen habe. Ja, ich kaufe Sklaven, sobald ich sie bekommen kann.«

»Wo wolltest du von hier hin?«

»Nilaufwärts, noch weit über Faschodah hinaus, bis ich auf irgend einer Seriba finde, was ich suche.«

Unter einer Seriba versteht man eine Niederlassung von Sklavenjägern. Diese Niederlassungen sind nach dortigen Begriffen festungsartig angelegt. Sie bestehen aus Hütten, welche teils zur Unterkunft der Sklavenjäger, teils als Vorratshäuser dienen und mit einer oft mehrfachen, dichten Stachelhecke umgeben sind.

»Du hast gar nicht nötig, so aufs Geratewohl zu reisen,« meinte der Mann zutraulich. »Hast du Geld mit?«

»Genug.«

»So will ich dich zu In Asl bringen.«

»Dafür würde ich dir herzlich dankbar sein und dir später ein gutes Bakschisch geben. Aber hat Ibn Asl jetzt Sklaven?«

»Noch nicht. Wir wollen eben jetzt eine Fahrt nach Requiq unternehmen. Murad Nassyr will Sklaven haben, und wenn uns das Glück wie immer begünstigt, so bleiben für dich mehr übrig, als du brauchen kannst.«

»So ist Murad Nassyr bei Ibn Asl?«

»Nein. Er ist nach Faschodah voraus.«

Das war mir ungeheuer lieb. Ich hegte den kühnen Gedanken, Ibn Asl aufzusuchen, also mich in die Höhle des Löwen zu begeben. Er kannte mich ja nicht, denn am Wadi el Berd hatte er mich nur von weitem gesehen. Wäre aber Murad Nassyr bei ihm gewesen, der mich kannte, so hätte ich mich unmöglich sehen lassen können; es wäre einfach um mich geschehen gewesen. Freilich konnten auch der Mokkadem und der Muza’bir bei dem Sklavenjäger sein. Die beiden Schurken kannten mich ebenso genau wie der Türke. Es galt also, unauffällig eine diesbezügliche Erkundigung einzuziehen.

»Weißt du, weshalb der Türke jetzt eigentlich gekommen ist?« fuhr der Mann, welcher ganz zutraulich geworden war, fort.

»Nein.«

»Kennst du seine Familie?«

»Ich weiß nur, daß er zwei Schwestern hat.«

»Das stimmt. Und daraus ersehe ich auch, daß du die Wahrheit redest und wirklich derjenige bist, für den du dich ausgiebst. Er hat Ibn Asl eine dieser Schwestern zum Weibe gebracht. Auf einer Seriba am obern weißen Nile wird die Hochzeit sein. Wenn du mit uns ziehst, kannst du das Fest mitmachen. Ibn Asl ist bei solchen Gelegenheiten außerordentlich freigebig. Auch sein Vater ist dabei.«

»Er hat einen Vater?« fragte ich, indem ich mich verstellte.

»Ja, sein Vater lebt noch. Er zieht als frommer Fakir am Nile auf und ab, um unter dieser Maske die Geschäfte seines Sohnes zu fördern.«

»Ist er schon jetzt bei ihm?«

»Eigentlich ja. Für kurze Zeit aber ist er abwesend, mit einer Schar unserer Sklavenjäger in die Steppe gezogen, um Gericht zu halten.«

»Gericht?«

»Ja, um einen fremden Giaur, welcher uns großen Schaden bereitet hat, zu bestrafen.«

»Du machst mich neugierig!«

»Ibn Asl mag es dir selbst erzählen, wenn es ihm beliebt. Ich weiß nicht, ob ich zu dir von ihm sprechen darf. Der Christ ist ein Schurke, ein Teufel, den wir vernichten müssen.«

Wenn er gewußt hätte, daß ich selbst dieser Schurke, dieser Teufel war! Er fuhr fort:

»Er ist von Kahira aus verfolgt worden bis hierher, aber vergebens. Selbst dem Mokkadem ist er entgangen, als er – –«

»Dem Mokkadem?« fragte ich. »Welchen Mokkadem meinst du?«

»Den der heiligen Kadirine.«

»Welcher Abd el Barak heißt? Ah, den kenne ich sehr gut. Ich habe ihn in Kahira getroffen.«

»Wirklich? So freue ich mich um so mehr, daß ich dir hier begegnet bin. Du wirst Freunde finden. Der Mokkadem ist nämlich auch mit Murad Nassyr nach Faschodah. Er hat einen Muza’bir bei sich, und beide wollen unsern Sklavenzug mitmachen.«

Da wußte ich ja auf einmal, was ich wissen wollte. Es befand sich kein Bekannter von mir bei Ibn Asl, und so konnte ich es wagen, zu ihm zu gehen. Eben jetzt berührte die Sonne den westlichen Horizont, und es galt, das Mogreb, das Gebet des Sonnenunterganges, vorzunehmen. Da ich für einen Moslem zu gelten hatte, so war ich gezwungen, wenigstens die äußeren Bewegungen mitzumachen. Ich ging also zu Ben Nil und kniete neben ihm, der bereits im Beten war, nieder.

Ich hätte bei dem Fremden bleiben können, hatte aber meinen guten Grund, das scheinbare Gebet bei meinem Gefährten zu verrichten. Dieser mußte doch erfahren, was ich mit dem andern gesprochen und verhandelt hatte; er hätte sonst sehr leicht einen Fehler begehen und durch irgend eine Äußerung das Gelingen meines Planes zunichte machen können. Eine lange Rede durfte ich da freilich nicht halten. Der Fremde konnte sich uns nähern, und dann mußte Ben Nil schon unterrichtet sein. Darum sagte ich ihm, als das Gebet beendet war:

»Merke auf! ich bin ein Sklavenhändler aus Suez und heiße Amm Selad. Du bist mein Diener und nennst dich Omar. Wir kennen Murad Nassyr, von dem ich Sklaven gekauft habe, und auch den Mokkadem. Wir sind nilaufwärts und kommen jetzt von Chartum.«

»Schön, Effendi!« nickte der Jüngling.

»Um Allahs willen, sag‘ das Wort Effendi jetzt nicht wieder, außer wenn du ganz sicher weißt, daß wir allein sind. Du hast Herz. Ich habe etwas vor, wozu Mut gehört. Es ist ein großes Wagnis. Willst du nicht mitthun, so bin ich dir nicht gram darüber, und du kannst hier im Dorfe die Ankunft der Asaker erwarten.«

»Herr, gehe wohin du willst, ich gehe mit! Und wenn es in den Tod wäre. Wenn es sich um eine Gefahr handelt, werde ich dich um so weniger verlassen.«

»Gut! Du bist ein braver, treuer Kerl. In Asl befindet sich nämlich hier, und ich gehe zu ihm, um seine gegen den Reïs Effendina gerichteten Absichten zu erfahren und dieselben zu durchkreuzen. Ich thue, als ob ich mich ihm auf dem Sklavenzuge, den er bald antreten wird, anschließen will, um von ihm Schwarze zu kaufen.«

Ich konnte nicht weiter sprechen, denn der Fremde trat zu uns und sagte:

»Du fragtest mich, ob du in einer Hütte des Dorfes schlafen könntest. Du wirst aber nicht hier schlafen können, denn ich werde dich nach dem Abendgebete zu Ibn Asl führen.«

»Warum erst dann?«

»Ich erwarte noch ein Schiff. Du weißt, daß Schiffe gewöhnlich des Nachts nicht fahren, sondern an das Ufer legen. Im höchsten Falle fährt man bis eine Stunde nach Sonnenuntergang. Bis dahin muß ich also hier warten. Dann aber, wenn es noch nicht gekommen ist, weiß ich, daß es heute überhaupt nicht mehr kommt, und kann meinen Posten verlassen.«

»Was ist es für ein Schiff?«

»Darf dieser junge Mann alles hören?« gegenfragte er, indem er auf Ben Nil deutete.

»Ja. Er ist der treueste und verschwiegenste meiner Diener, und ich habe kein Geheimnis vor ihm.«

»Du hast von dem Reïs Effendina gehört?«

»Ich habe ihn sogar in Kahira gesehen.«

»Du weißt auch, welche Aufgabe er zu vollbringen hat?«

»Das weiß jedermann. Er soll den Sklaven-Jägern und –Händlern nachspüren und sie fangen. Ich hörte, daß er ganz besondere und außerordentliche Vollmachten überkommen hat.«

»So ist es allerdings. Allah verdamme diesen Hund! Er hat schon viel Unheil über die Jäger gebracht und erst kürzlich im Wadi el Berd eine ganze Schar unserer Kameraden hingemordet.«

Wenn er gewußt hätte, daß ich nicht nur dabei gewesen war, sondern sogar diese Schar aufgespürt und festgenommen hatte!

»Das wird er nicht Mord, sondern Strafe nennen,« sagte ich.

»Willst du ihm das Wort reden?«

»Nein. Ich als Sklavenhändler kann doch unmöglich sein Freund sein. Wenn er so fortfährt, wie er es bisher getrieben hat, wird bald kein Sklave mehr zu kaufen sein.«

»Der Giaur, von dem ich dir vorhin sagte, ist sein Freund und Gehilfe. Bald wird dem einen wie dem andern das Handwerk gelegt sein. Der Giaur wird sich jetzt wohl schon in den Händen der Unserigen befinden, und auf den Reïs Effendina warten wir stündlich.«

»Es ist also sein Schiff, welches du hier sehen willst?«

»Ja. Er kommt, und Ibn Asl liegt im Hinterhalte.«

»Will er das Schiff des Reïs Effendina angreifen?«

»Das kann ihm nicht einfallen. Das Schiff ist so gebaut und bewaffnet, daß wir trotz unserer Überzahl sehr leicht den kürzern ziehen könnten. Wozu überhaupt kämpfen, wobei es selbst auf der Seite des Siegers Verwundete und Tote giebt! Man kann einen Feind auf andere Weise unschädlich machen.«

»Wie denn, zum Beispiele?«

»Man nimmt zum Beispiel – –«

Ich war außerordentlich gespannt, das Folgende zu hören. Wenn der Mann diesen Satz aussprach, so erfuhr ich alles, was ich wissen wollte, und brauchte mich gar nicht zu Ibn Asl und in Gefahr begeben. Leider aber hielt er schon beim vierten Worte inne, legte sich, wie erschrocken, die Hand auf den Mund und fügte dann hinzu:

»Fast hätte ich da mehr gesagt, als ich wohl verantworten kann. Du hast ein so Vertrauen erweckendes Gesicht, daß ich dir alles sagen könnte, ohne zu fragen, ob ich auch wohl das Recht dazu habe. Ich will aber schweigen. Ibn Asl mag es dir selbst mitteilen, und ich bitte dich, ihn ja nicht merken zu lassen, daß ich so gesprächig gegen dich gewesen bin.«

»Ich bin nicht sehr mitteilsam. Du kannst ruhig sein. Weißt du denn gewiß, daß der Reïs Effendina kommen wird? Der Mann soll nicht nur schlau, sondern auch sehr vorsichtig sein.«

»Was das betrifft, so ist der Giaur, der christliche Effendi, noch weit mehr zu fürchten, wie uns gesagt worden ist. Ibn Asl hat dem Reïs Effendina eine Falle gestellt, in welche er sicher gehen wird.«

»Kennst du diese Falle?«

»Ja. Eigentlich sollte ich nicht davon sprechen; aber du bist ein Sklavenhändler und wirst mit uns ziehen, und da du schon soviel weißt, kannst du das auch noch erfahren. Wir haben ihm nämlich auf eine Weise, daß er es glauben muß, weisgemacht, daß ein großer Sklaventransport bei der Dschesireh Hassanieh über den Nil gesetzt werden soll. Er kommt also ganz gewiß, um denselben abzufangen, und wird dabei in sein Verderben laufen.«

Damit war das Gespräch zu Ende, wenigstens so weit es für mich Wichtigkeit hatte. Ich hätte zwar gar zu gern noch erfahren, auf welche Weise der Reïs Effendina unschädlich gemacht werden solle, denn wußte ich das, so wußte ich eben alles, und brauchte ihm nur entgegenzugehen, um ihn zu warnen; aber ich durfte nicht weiter in den Mann dringen; er hätte leicht mißtrauisch werden und Verdacht schöpfen können.

Wir saßen noch eine Stunde lang beisammen, unsere Aufmerksamkeit nilabwärts gerichtet. Ich war vielleicht noch mehr gespannt als der Wächter, denn wenn der Reïs jetzt vorüber kam, ohne daß ich ihn auf irgend eine Weise zu warnen vermochte, so war er verloren. Glücklicherweise aber blieb er noch aus.

Nun kam das Aschia, das Abendgebet, eine Stunde nach Sonnenuntergang, und dann konnten wir aufbrechen. Ich hatte nicht gefragt, in welcher Weise das geschehen sollte, erfuhr es aber jetzt, denn der Mann sagte:

»Wir werden reiten. Wir gehen zu dem Scheik el Beled, um uns für euch Pferde geben zu lassen.«

»Wird er sie uns geben, da er uns doch nicht kennt?«

»Er würde sich nicht weigern, da ja eure Kamele hier bleiben, und das sind, wie ich gesehen habe, keine wertlosen Tiere. Aber er thut es auch Ibn Asl zuliebe.«

»Kennt er ihn?«

»Er ist unser heimlich Verbündeter. Du weißt, daß wir Sklavenjäger überall Helfer haben müssen, welche uns beraten oder warnen; er ist einer von ihnen. Ich werde ihm, wenn ich vor Tagesanbruch zurückkehre, die Pferde wiederbringen.«

Der Scheik war allerdings bereit, uns die Tiere zu borgen; er wies sogar die Bezahlung, welche ich ihm bot, zurück. Wir stiegen auf und ritten davon, in die finstere Nacht hinein, denn der Schein der Sterne hatte noch nicht die spätere Stärke erreicht.

Es ging wohl eine Stunde lang gerade südwärts, wie ich merkte, in die Steppe hinein; dann bogen wir östlich nach dem Flusse um. Einzelne Bäume erschienen. Sie wurden nach und nach dichter, bis wir uns im Walde befanden. Wir mußten da unter einem großen Baume halten bleiben, während unser Führer sich entfernte, um, wie er sagte, Ibn Asl von unserer Ankunft zu benachrichtigen und ihn zu fragen, ob er uns ihm bringen dürfe. Wir stiegen ab.

»Hast du Angst, Effendi?« flüsterte Ben Nil mir zu.

»Nein, aber gespannt bin ich sehr.«

»Ich auch. Wenn man uns erkennt, so ist’s um uns geschehen.«

»Es ist ja niemand dabei, der uns gesehen hat. Dennoch müssen wir in höchstem Grade vorsichtig sein. Auf keinen Fall aber dürfen wir uns auseinander bringen lassen, damit, wenn es nötig ist, einer dem andern helfen kann.«

»Ob es weit von hier ist?«

»Wohl nicht. Wir werden nicht allzulange zu warten haben.«

Das war sehr richtig, denn schon nach vielleicht zehn Minuten kehrte unser Führer zurück und sagte:

»Mein Herr ist bereit, euch zu empfangen. Nehmt die Pferde an die Hand, und folgt mir langsam und vorsichtig. Ihr werdet nun gleich abwärts schreiten müssen.«

Es war stockdunkel um uns her; aber die Bäume standen nicht nahe beisammen. Schon nach wenigen Schritten senkte sich das Terrain abwärts, und dann sahen wir mehrere Feuer brennen, deren Schein uns trefflich zu statten kam. Sie flammten hart am Ufer des Stromes, dessen Wasser sie goldig färbten.

Dort stand kein Baum. Es war eine Omm Sufah-Strecke gewesen, aber das Gras war abgeschnitten worden und lag nun in mehreren Haufen oberhalb des Platzes. Omm Sufah ist nämlich Sumpfgras, eine Sacharum-Art, welche am obern Nile in ungeheuern Mengen vorkommt. Es wächst am Ufer, im seichten, sumpfigen Wasser, wird von den Wellen losgerissen und von einer Stelle zur andern getragen. Es sammelt sich in den Buchten an, wird da wieder fortgespült und bildet dann Inseln, welche abwärts schwimmen. Oft ist die ganze Breite des Stromes mit Omm Sufah bedeckt, und dann müssen die Schiffer mühsam arbeiten, um mit den Fahrzeugen durchzukommen.

Als wir unter den Bäumen hervortraten, sah ich gegen hundert Männer um die Feuer liegen oder kauern, ganz oder halb bekleidet, viele auch nur mit dem Lendenschurze. Es waren alle Gesichtsfarben bis zum tiefsten Mohrenschwarz vertreten, innerlich war aber jedenfalls einer so schwarz wie der andere. Da, wo die Omm Sufah-Haufen lagen, standen sechs große Fässer, und oberhalb dieser Stelle erhob sich die Gestalt des Noquer aus dem Wasser, welches hier so tief war, daß das Fahrzeug sich mit der ganzen Seite dicht an das Ufer schmiegte. Dort brannte, abgesondert von den andern, ein kleines Feuer, an welchem drei Männer saßen, zu denen wir geführt wurden. Sie standen bei unserem Näherkommen auf .

Der eine war von mittlerer aber breiter Statur, hatte einen schwarzen Vollbart und trug einen weißen Haïk. Ich erkannte ihn augenblicklich. Das war der Mann mit dem weißen Dschebel Gerfeh-Kamele, den ich am Wadi el Berd verfolgt hatte, ohne ihn einholen zu können, Ibn Asl, der berüchtigtste der Sklavenjäger. Er musterte uns mit scharfem Blicke, und auch die beiden andern ließen ihre Augen streng, beinahe finster, auf uns ruhen.

»Sallam,« grüßte ich und wollte weiter sprechen; er aber winkte mir mit der Hand Schweigen und fragte:

»Dein Name?«

»Amm Selad aus Suez.«

»Dieser junge Mann?«

»Omar, mein Gehilfe.«

Diener wollte ich doch nicht sagen, weil da Ben Nil wohl nicht hätte bei mir bleiben dürfen.

»Wieviel Sklaven willst du kaufen?«

»Soviel ich bekommen kann.«

»Und wohin lieferst du?«

Sollte ich mich in dieser Weise ausfragen lassen? je bescheidener ich mich verhielt, desto geringer war jedenfalls meine Sicherheit. Er durfte nicht denken, einen untergeordneten Charakter vor sich zu haben. Darum antwortete ich diesmal in kurzem Tone:

»Dahin, wo ich Geld bekomme. Meinst du, daß ich jedermann sofort meine Geschäftsgeheimnisse offenbare?«

»Amm Selad, du trittst sehr zuversichtlich auf!«

»Hast du es von einem Manne meines Berufes anders erwartet? Wie ist denn dein Auftreten? Fragt man einen Gast, ohne ihm einen Platz anzubieten, sogleich in dieser Weise aus?«

»Wer hat gesagt, daß du mein Gast sein sollst?«

»Niemand; aber ich halte es natürlich für ganz selbstverständlich.«

»Das versteht sich nicht so ganz von selbst. Unsereiner hat vorsichtig zu sein.«

»Ich ebenso. Wenn ich dir nicht gefalle, so brauche ich mich auch nicht zu bemühen, Wohlgefallen an dir zu finden, und kann wieder gehen. Komm, Omar!«

Ich drehte mich um, und Ben Nil that ebenso. Da trat In Asl schnell zu mir, legte mir die Hand an den Arm und sagte:

»Halt! Du kennst deine Lage nicht. Wer hier an diesem Orte zu mir kommt, der darf nicht wieder fort.«

Ich sah ihm lächelnd ins Gesicht und antwortete:

»Und wenn ich dennoch gehe?«

»So werde ich dich festzuhalten wissen.«

»Versuche es!«

Bei diesen Worten ergriff ich Ben Nil bei der Hand und sprang, ihn hinter mich herziehend, unter die Bäume hinein. Glücklicherweise war er so geistesgegenwärtig, sogleich dieselbe Schnelligkeit wie ich zu entfalten. Das hatte In Asl nicht erwartet; wir waren fort, ehe er eine Bewegung gemacht hatte, mich festzuhalten. Dann aber schrie er laut:

»Haltet sie fest, ihr Männer! Auf, hinter ihnen her!«

Was Beine hatte, rannte in den Wald, Ibn Asl selbst auch und die beiden andern. Ich hatte nur zwanzig Schritte weit gemacht und mich dann in einem kurzen Bogen wieder zurückgewendet, dahin, wo die Omm Sufah-Lichtung aufhörte. Dorthin drang der Schein des Feuers nicht, und dort zog ich Ben Nil mit mir in das Schilf hinein, wo wir uns niederduckten. Hinter uns erklangen die Zurufe der vergeblich nach uns Suchenden.

»Warum. liefst du denn nicht weiter?« fragte mich Ben Nil. »Sie hätten uns nicht eingeholt!«

»Weil ich gar nicht fort will!«

»Du willst hier stecken bleiben?«

»Nein. Ich wollte Ibn Asl nur zeigen, daß ich mir nichts befehlen lasse. Jetzt sind sie alle unter den Bäumen verschwunden. Komm!«

Wir krochen aus dem hohen Schilfe heraus und schnellten uns nach dem Feuer hin, an welchem Ibn Asl gesessen hatte. Dort setzten wir uns nieder. Drei Flinten und drei Tabakspfeifen lagen da, und daneben stand ein thönernes Gefäß mit Rauchtabak. Wir stopften uns schnell jeder eine Pfeife und steckten sie in Brand. Da erscholl hinter uns ein Ruf der Verwunderung: »Dort sitzen sie ja, dort am Feuer!«

Dieser Ruf ging von Mund zu Mund weiter, und man kehrte ebenso schnell, wie man davongelaufen war, zurück. Wir saßen ruhig da und rauchten. Die Männer wußten nicht, was sie dazu sagen sollten. Sie riefen, schrieen und lachten durcheinander. Ibn Asl mußte sich Bahn brechen, um zu uns zu gelangen.

»Allah akbar – Gott ist groß!« rief er aus. »Was fällt euch ein! Wir suchen euch, und ihr sitzt hier!«

»Ich wollte dir nur zeigen, daß ich mich entfernen kann, wenn ich mich entfernen will. Ihr hättet uns gewiß nicht einholen können. Aber ich bin gekommen, um ein Geschäft mit dir zu machen, und werde nicht eher fortgehen, als bis es zustande gekommen ist.«

Ich sagte das in einem so zuversichtlichen Tone, daß sein vorher so finsteres Gesicht sich zu einem Lächeln verzog und er kopfschüttelnd sagte:

»Amm Selad, einen Mann wie du bist, habe ich noch nicht gesehen. Du bist außerordentlich keck; da mir das aber gerade gefällt, so will ich dir den Schabernack, den du uns gespielt hast, nicht anrechnen. Kehrt an eure Plätze zurück!«

Dieser Befehl galt seinen Leuten, welche denselben sogleich befolgten. Er setzte sich zu meiner Rechten nieder, und die beiden andern folgten diesem Beispiele. Ja, keck war ich gewesen, und nun galt es, abzuwarten, ob es gute Folgen haben werde. Wir waren weder gegrüßt noch willkommen geheißen worden, und solange dies unterblieb, durften wir uns nicht sicher fühlen. Ibn Asl nahm die dritte Pfeife, stopfte sie, zündete sie an und sagte dann, mir den Rauch fast gerade in das Gesicht blasend:

»Was soeben geschehen ist, habe ich wirklich noch nicht erlebt. Entweder bist du ein leichtsinniger Spaßvogel oder ein vielerfahrener Händler.«

»Das erstere nicht, sondern das letztere,« antwortete ich. »Ich bin durch viele Gefahren gegangen und fürchte mich nicht, wenn jemand mich empfängt, ohne mich sofort willkommen zu heißen.«

»Kann ich dir ›Marhaba‹ sagen, ohne daß ich dich kenne?«

»Ja und auch nein. Jeder thut nach seiner Art. Ich heiße jeden willkommen, der mich aufsucht.«

»Und wenn er ein schlechter Mensch ist?«

»So habe ich stets noch Zeit, ihn wieder fortzujagen.«

»Nachdem du den Schaden erlitten hast! Nein, erst die Prüfung und dann die Entscheidung!«

»So prüfe! Mir soll es angenehm sein. Aber ich sage dir, daß ich sehr ermüdet bin. Wir sind heute weit geritten und bedürfen des Schlafes. Habe also die Gewogenheit, deine Prüfung nicht etwa über die ganze Nacht auszudehnen!«

Er sah die beiden andern und diese blickten wieder ihn an. Sie wußten nicht, ob sie lustig oder grimmig dreinschauen sollten, bis Ben Nil mit sehr ernsthafter Miene hinzufügte:

»Und Hunger haben wir auch!«

Da lachte Ibn Asl laut auf und antwortete.

»Bei Allah, ihr seid sonderbare Menschen! Aber ich will einmal von meinen Gewohnheiten abweichen und euch Vertrauen schenken.«

»Das kann dir doch gar nicht schwer fallen,« sagte ich. »Eigentlich wäre es viel schwerer für mich, Vertrauen zu dir zu hegen. Wir haben das Wagnis unternommen, dich aufzusuchen. Ist das nicht der beste Beweis, daß wir es ehrlich meinen?«

»Ich sollte das eigentlich denken!«

»Denke es, so wirst du dich nicht irren! Ich war sehr erfreut, als ich hörte, daß du hier bei der Dschesireh seist. Ich wollte hinauf nach dem Bahr el Ghasal oder gar bis zum Bahr el Dschebel, um dort irgend eine Seriba aufzusuchen. Das wäre eine weite Reise ins Ungewisse hinein gewesen. Jetzt kann ich, wenn du es erlaubst, mich zu dir halten und bin überzeugt, daß wir in immerwährender Geschäftsverbindung bleiben werden.«

»Es fragt sich, welche Preise du bezahlst.«

»Wie die Ware, so der Preis. Ich kaufe den Requiq gleich frisch vom Fange weg und transportiere ihn selbst.«

»Du hast aber doch keine Leute dazu!«

»Die werbe ich später an. Ich denke, daß ich bei den Schilluk oder Nuehr genug Krieger bekommen kann.«

»Das erfordert viel Geld, das heißt viel Ware, denn da oben wird nur mit Ware bezahlt!«

»Die kaufe ich in Faschodah. Geld habe ich.«

»Dann wagest du freilich viel. Wie nun, wenn ich dich töte, um dir das Geld abzunehmen?«

»Du bist zu klug, dies zu thun.«

»Nennst du es Klugheit von mir, dir dein Geld zu lassen?«

»Ja. Beraubtest du mich jetzt, so hättest du einen einmaligen Gewinn; bist du aber ehrlich, so kannst du oft und viel mehr von mir verdienen.«

»Du rechnest richtig. Es wird dir bei mir nichts geschehen.«

»So freut es mich, daß ich mich in dir nicht getäuscht habe. Was mich betrifft, so wird Murad Nassyr für mich bürgen.«

»Das ist es, was mich bewogen hat, dich zu mir zu lassen. Du kennst ihn; du hast von ihm gekauft, und so will ich annehmen, daß ich mit dir werde zufrieden sein können. Ich habe nichts dagegen, daß du mit mir ziehst.«

»Wohin wird dein Zug gerichtet sein?«

»Davon später. Jetzt wollen wir uns nur erst kennen lernen. Ich heiße dich willkommen, dich und deinen Gehilfen. Ihr sollt bei mir schlafen und jetzt auch mit uns essen.«

Von den andern Feuern drang ein sehr appetitlicher Bratenduft herbei. Man hatte, wie ich erfuhr, am Nachmittage ein Rind geschlachtet. Es war in Streifen zerschnitten worden, welche man jetzt röstete. Wir erhielten unsern Anteil und aßen wacker mit. Dabei wurde gesprochen, das heißt, ich mußte sprechen. Ibn Asl fragte mich aus. Er wollte soviel wie möglich von mir hören, mich, meine Vergangenheit, meine Verhältnisse so eingehend wie möglich kennen lernen. Ich gab ihm den ausführlichsten Bescheid. Natürlich war alles, was ich erzählte, ersonnen. Ich dachte mir einen Sklavenhändler in Suez, malte mir die Umstände aus, in welchen er sich befinden konnte, kalkulierte über die möglichen Geschäftsverbindungen, dachte nach, welche Reisen er gemacht haben könne, und brachte, da ich die betreffende Scenerie zur Genüge kannte, mit leidlichem Glück ein Bild fertig, für welches Ibn Asl sich mehr und mehr zu interessieren begann. Der Mann taute auf und teilte mir später auch verschiedenes aus seinem Leben mit.

Was ich da hörte, machte mich grauen. Dieser Mensch hatte nie ein Herz, ein Gewissen gehabt. Seine Seele schien gar nichts Menschliches zu haben. Er hatte eine wahre, wirkliche Lust am Bösen, und je mehr und je länger er erzählte, desto größer wurde der Abscheu, welchen er mir einflößte. Er hingegen schien immer mehr Wohlgefallen an mir zu finden; seine Aufrichtigkeit wuchs. Er erzählte mir schließlich von mir selbst, von dem Schaden, den ich ihm durch die Befreiung der Frauen und Mädchen der Fessarah bereitet hatte. Er schilderte mich, natürlich von seinem Standpunkte aus, und aus jedem seiner Worte sprach ein Haß, ein Grimm gegen mich, der einen andern als mich vielleicht zum Zittern gebracht hätte. Er teilte mir mit, daß er mir Leute entgegengesandt habe, welche mich in der Steppe aufheben sollten, und schloß mit den Worten:

»Diesen Leuten habe ich meinen Vater zum Anführer gegeben, und bin also sicher, daß nichts versäumt werden wird, seiner habhaft zu werden.«

»Man kann ihn aber doch leicht umgehen,« meinte ich. »Kennt man denn die Richtung, in welcher er kommt?«

»Ziemlich genau. Er wird sich ganz gewiß von den Fessarah einen Führer mitgeben lassen, und wir wissen, welchen Weg die Fessarah einschlagen, wenn sie nach Chartum reisen. Diesmal ist es ihm unmöglich, uns zu entkommen, und dann sollst du an ihm sehen, wieviel hundert Schmerzen und Qualen ein Mensch zu ertragen vermag, bevor er stirbt.«

»So willst du ihn zu Tode martern?«

»Ja. Er soll jedes Glied einzeln verlieren. Ich werde ihm die Nase, die Ohren, die Lippen, die Zunge, die Augen nacheinander nehmen.«

»Und was geschieht mit den Asakern, die ihn begleiten?«

»Ich habe den Befehl erteilt, dieselben einfach über den Haufen zu schießen. Man wird mir ihn also ganz allein bringen. Mein Vater kann in jedem Augenblicke zurückkehren.«

Also jedes Glied, jedes Sinnesorgan sollte mir einzeln abgeschnitten, ausgestochen oder herausgerissen werden! Das war ein außerordentlich tröstlicher Gedanke für mich für den Fall, daß man entdeckte, wer ich war! Die Haare hätten mir zu Berge steigen mögen! Dennoch wagte ich es, eine Erkundigung einzuziehen, die mir leicht verderblich werden konnte. Ich nannte nämlich den Fakir el Fukara und fragte ihn, ob er denselben kenne.

»Freilich kenne ich ihn,« antwortete er. »Er ist doch auch Sklavenjäger gewesen.«

»Gewesen? Jetzt also nicht mehr?«

»Nein. Er ist fromm geworden und bereitet sich auf die Zukunft vor.«

»Hat er irgend einen besondern Plan für dieselbe?«

»Das ist möglich; er redet nicht davon. Er liest viele Bücher, weltliche und geistliche, und es kommen und gehen bei ihm Leute, die man nicht kennt und mit denen er lange und geheime Unterredungen hält. Vielleicht will er ein großer Marabut oder ein Wanderprediger des Islam werden. Vielleicht aber ist das auch nur eine Maske, unter welcher er ganz andere Absichten verbirgt. Er haßt den Vicekönig, welcher ihn aus dem Amte gejagt hat, und wird sich wohl auf irgend eine Weise an ihm rächen wollen.«

Sollte es diesem Manne mit seiner Mahdischaft wirklich ernst sein? Wenn das der Fall war, so hatte ich eigentlich die Verpflichtung, die Regierung zu warnen. Er hatte davon gesprochen, daß der Mahdi sich mit einem höheren ägyptischen Offizier verbünden werde. Vielleicht hatten die Besuche, welche er empfing, unter anderm auch den Zweck, eine solche Verbindung anzuknüpfen oder gar schon zu pflegen. Ich nahm mir vor, zuerst dem Reïs Effendina Mitteilung zu machen, welcher diese Angelegenheit leichter zu beurteilen vermochte als ich. Erst viel später, als der Aufstand im Sudan im Gange war, hörte ich, daß mit jenem Offiziere wohl Arabi Pascha gemeint gewesen sei, doch steht es sehr zu bezweifeln, daß er damals schon mit ihm in irgend einer Beziehung gestanden habe.

Leider konnte ich noch immer nicht das erfahren, was zu wissen mir am notwendigsten war. Ihn Asl brachte das Gespräch nicht wieder auf den Reïs Effendina. Ich hütete mich zwar, die Rede direkt auf denselben zu lenken, aber ich gab mir alle Mühe, ihn indirekt und ohne daß er es bemerkte, auf diesen Gegenstand zu leiten, doch vergeblich. Es verging die Zeit bis nahe an Mitternacht, und dann erklärte er, daß er nun schlafen wolle, und forderte mich auf, ihn zu begleiten.

»Wohin?« fragte ich.

»Auf das Schiff. Dort haben wir mehr Schutz vor den Mücken, und ich werde dir ein Mückennetz geben. Du schläfst bei mir. Daraus kannst du ersehen, daß ich Wohlgefallen an dir gefunden habe.«

Ich glaubte ihm das letztere, obgleich er mich auch leicht aus dem Grunde, mich unter seiner besondern Aufsicht zu behalten, zu sich einladen konnte.

»Ich möchte dir nicht lästig fallen,« wand ich ein. »Ich bin gewöhnt, auf meinen Reisen mit Omar, meinem Gehilfen, zu schlafen. Erlaube, daß er bei mir bleibt!«

»Ich habe nur Platz für mich und dich. Er soll auch eine gute Stelle erhalten, denn er wird bei meinen Offizieren schlafen, welche auch eine eigene Kajüte haben.«

Eine weitere Einwendung durfte ich nicht machen, da ein solches Beharren auf meinem Willen ihn sehr leicht stutzig hätte machen können. Darum mußte ich mich fügen. Übrigens glaubte ich keinen Grund zu haben, auf das Beisammensein mit Ben Nil zu dringen. Es war bisher ja alles sehr gut abgelaufen, und ich hatte nicht die mindeste Ursache, anzunehmen, daß uns bis zum Morgen irgend eine Gefahr drohe.

Im Verlaufe unseres Gespräches hatte ich beobachtet, daß viele der Sklavenjäger an Bord gegangen waren, um, jedenfalls der lästigen Mücken halber, im Schiffe zu schlafen. Das Innere desselben schien also jetzt leer zu sein, da es so viele Schläfer fassen konnte. Es führte eine Art Leiter, an welcher wir emporstiegen, vom Ufer auf das Deck. Dort angekommen, wendeten sich die beiden andern, die er als seine Offiziere bezeichnet hatte, nach vorn; sie nahmen Ben Nil mit; ich fand keine Zeit, ihm irgend welche Verhaltungsmaßregeln zu erteilen. Ibn Asl ging mit mir nach hinten.

Der Unterschied zwischen einer Dahabijeh und einem Noquer besteht darin, daß der letztere ein offenes Verdeck hat, wenigstens ist der mittlere Teil des Fahrzeuges frei. Vorn befindet sich gewöhnlich die Schiffsküche, welche einige Sklavinnen zu bedienen haben, und hinten giebt es ein kleines Verdeck, einen Verschlag, in welchem der Herr des Schiffes oder der Reïs, zu wohnen pflegt.

Ob die »Eidechse« diese Einrichtung auch besaß, das konnte ich trotz des jetzt ziemlich hellen Sternlichtes nicht erkennen. Daß sich hinten eine Kajüte befand, das erfuhr ich allerdings, denn Ibn Asl führte mich in dieselbe. Sie bestand aus zwei Abteilungen, einer vorderen, kleineren, und einer hinteren, größeren. Er blieb in der erstern stehen und brannte eine Lampe an. Beim Scheine derselben sah ich, obgleich ich nur wenig Zeit zur Umschau hatte, daß rechter Hand ein Sitzkissen lag, während zur linken ein Holzkasten stand, in welchem allerlei Handwerkszeuge, wie sie auf einem Schiffe zu jeder Zeit gebraucht werden, sich befanden. Dieser letztere Umstand wurde mir später sehr wichtig.

»Tritt schnell ein, damit keine Mücken mit hineinkommen!« forderte er mich auf, indem er eine Matte, welche die beiden Abteilungen voneinander schied, zur Seite schob. Ich folgte seiner Aufforderung, und als er dann die Lampe an einer an der Decke befestigten Schnur aufgehangen hatte, konnte ich die Einrichtung der Kajüte sehen. Sie bestand nur aus einigen Kissen, welche an den Holzwänden lagen, und einer höchst unkünstlerisch bemalten Kiste, die seinen Kleiderbehälter bilden mochte. Er nahm aus derselben zwei Mückennetze, von denen er mir das eine gab. Ich wickelte mich kunstgerecht hinein, und er that mit dem seinigen dasselbe.

War ich der Meinung gewesen, daß wir nun schlafen würden, so hatte ich mich geirrt. Er sagte mir vielmehr, daß er Lust habe, sich weiter zu unterhalten, bis das Öl der Lampe ausgebrannt sei. Das war mir gar nicht unlieb, denn auf diese Weise konnte ich vielleicht doch noch das erfahren, was ich bis jetzt vergeblich hatte wissen wollen.

»Du hast zwar gesagt, daß du müde seist,« meinte er; »aber du kannst ja in den Tag hinein schlafen, solange es dir beliebt.«

Mit diesen Worten gab er mir eine vortreffliche Handhabe, weiche ich auch sofort benutzte, indem ich ihm bemerkte:

»Wenn du noch nicht schläfrig bist, will ich sehr gern noch mit dir plaudern; aber ausschlafen werde ich wohl nicht können.«

»Warum?«

»Weil du den Reïs Effendina erwartest, mit dem es doch, wie ich vermute, zum Kampfe kommen wird.«

»Fürchtest du dich davor?«

»Fällt mir nicht ein! Ich habe schon sehr oft Pulver gerochen, bin kein ganz schlechter Schütze und wünsche sogar, mit dabei sein zu dürfen, wenn es losgeht.«

»Es wird nicht viel Pulver zu verknallen geben, denn die Sache soll in möglichster Stille vor sich gehen. Aber wenn du Lust hast, die Schädel einiger Asaker einzuschlagen, so habe ich gar nichts dagegen.«

»Also nicht geschossen, sondern geschlagen und gestochen soll werden? Mir gilt das gleich; ich bin auf alle Fälle gern dabei. Aber wie kommen wir von deinem Noquer aus auf das Schiff des Reïs Effendina?«

»Dies zu besteigen, werden wir uns sehr hüten. Feuer ist besser als Pulver.«

»Ah! Du willst das Schiff des Reïs Effendina verbrennen? Das wird dir schwer werden. Hast du vielleicht einen Mann bei ihm an Bord, der es anzündet?«

»Nein. Auf diese Weise würde ich meinen Zweck nicht erreichen, denn der Brand würde bald bemerkt und gelöscht werden, und ich hätte das Nachsehen. Ich fange die Sache ganz anders an, und zwar so, daß kein einziger Mann entkommen kann und auch kein Span des Schiffes übrig bleibt.«

»Mir unerklärlich.«

»Ja, du hast schon sehr viel erlebt und manches erfahren, was andere nicht kennen lernen, aber der richtige Schick und Kniff, der fehlt dir noch. Ein Sklavenjäger darf keine Schonung kennen. Es handelt sich hier um Sein oder Nichtsein. Es muß entweder der Reïs Effendina oder ich zu Grunde gehen, und da ich nicht dazu Lust habe, so mag es ihn treffen, aber auch gleich so, daß Rettung für ihn die reine Unmöglichkeit ist.«

»Recht hast du da. Nach allem, was ich von dir erfahren habe, würde ich an deiner Stelle ebenso energisch handeln. Nur sehe ich nicht ein, durch welches Mittel du so sicher und so schnell zum Ziele gelangen willst.«

»Du könntest es eigentlich erraten, doch will ich es dir sagen. Hast du die Omm Sufah-Haufen gesehen?«

»Natürlich; sie sind ja groß genug.«

»Ich habe die Omm Sufah niederschneiden lassen, um erstens Platz zum Lagern und zweitens Material zum Feuer zu bekommen. Hast du die Fässer bemerkt, welche in der Nähe stehen?«

»Ja.«

»Sie sind mit dem Stoffe gefüllt, welcher den Reïs vernichten wird. Es ist nämlich Gaz darin.«

»Gaz? Ah, ich beginne zu begreifen. Aber wie bringst du dieses gefährliche Öl auf sein Schiff?«

»Auf? Ich brauche es doch nicht auf, sondern nur an dasselbe zu bringen. Die Sache ist viel leichter, als du denkst. Ich bin überzeugt, daß er in Hegasi halten wird. Dadurch gewinne ich Zeit zu meiner Vorbereitung. Du weißt, daß ich in Hegasi einen Wächter habe. Dieser kommt, sobald der Reïs dort anlangt, hierher geritten, um es mir zu melden. Der Nil wird durch die Dschesireh in zwei Arme geteilt, von welchem der, auf dem wir uns jetzt befinden, der ruhigere und sichere ist, und der Reïs wird also nach dieser unserer Seite steuern. Ich bilde aus meinen Leuten drei Abteilungen. Die erste bleibt bei den Fässern; die zweite besetzt das Ufer bis möglichst weit hinab und die dritte drüben den Rand der Insel. Auf diese Weise wird der Flußarm, den der Reïs benutzen muß, an beiden Seiten von meinen Kriegern eingefaßt, welche sich natürlich nicht sofort sehen lassen dürfen. Wenn sich das Schiff soweit genähert hat, daß es nicht mehr entfliehen kann, werfen die bei den Fässern Stehenden das Petroleum in den Fluß und die dürre, schnell angebrannte Omm Sufah dazu. Das Öl wird sich über das Wasser verbreiten und um das Schiff ein Feuermeer bilden, aus welchem es nicht zu entkommen vermag. Was sagst du zu diesem Plane?«

Mich schauderte vor diesem Manne, doch zwang ich mich, in bewunderndem Tone zu antworten:

»Er ist herrlich, einzig! Entstammt er deinem eigenen Kopfe oder einem andern?«

»Ich selbst habe ihn mir ausgedacht,« meinte er mit hörbarem Stolze.

»So bewundere ich dich. Ich wäre niemals auf einen solchen Gedanken gekommen. Höchstens hätte ich dem Reïs irgendwo aufgelauert, um ihm heimlich eine Kugel zu geben.«

»Und sein Anhang wäre leben geblieben? Nein, sie müssen alle, alle zur Hölle!«

»Wie nun, wenn sie Zeit finden, das Schiff an das Ufer zu steuern?«

»Sie mögen es versuchen! Bedenke doch, daß sie sich binnen wenigen Augenblicken mitten in Flammen befinden, daß sie unbedingt ersticken müssen. Das Schiff wird sofort lichterloh brennen. Dennoch habe ich auch an den Fall gedacht, daß sich einige in das Wasser werfen werden, um das Ufer zu erreichen. Sollten sie, was ich für eine Unmöglichkeit halte, dem Feuer und den Krokodilen entgehen, so stehen ja meine Leute hüben und drüben am Wasser, von denen sie mit den Gewehrkolben erschlagen werden. Du siehst wohl ein, daß kein einziger entkommen kann.«

»Kann das Feuer nicht deinem eigenen Noquer gefährlich werden?«

»Nein.«

»Aber welche Folgen wird es für dich haben! Du wirst von den Soldaten des Vicekönigs gehetzt werden, bis sie dich haben, und dann dreimal wehe dir!«

»Wird man erfahren, wie das Feuer entstanden ist?«

»Vielleicht. Es ist ja möglich, daß es sich bis Hegasi hinab verbreitet. Man wird natürlich sehen, daß es vom Öle stammt, und sich fragen, wer dasselbe in den Fluß gegossen hat.«

»Mag man das immerhin fragen; niemand wird es beantworten!«

»Bist du deiner eigenen Leute sicher?«

»Ja. Keiner von ihnen wird plaudern.«

»Dann mache ich dich, da ich es gut mit dir meine, noch auf eins aufmerksam. Wie nun, wenn außer dem Reïs noch ein anderes Schiff erscheint?«

»So geht es mit zu Grunde.«

»Oder wenn von oben herab ein Fahrzeug kommt. Dieses würde anhalten und Zeuge des Schauspieles sein. Damit wärst du verraten.«

»Hoffentlich kommt dieser Fall nicht vor; sollte es aber doch geschehen, nun, so kann ich es nicht ändern. Ich würde dieses Schiff auf irgend eine Weise zum Anlegen bewegen und dann doch thun, was ich mir vorgenommen habe. Ich kann nicht dafür, wenn mein Petroleum zufälligerweise sich entzündet und der Reïs Effendina so dumm ist, sich mit seinem Fahrzeuge in das Feuer zu wagen. Wer kann mich da bestrafen?«

»Hm! Wollen wünschen, daß lieber gar keine Störung dazwischen kommt!«

»Und wenn sie käme, ich mache mir nichts daraus. Bin ich nicht schon jetzt verfolgt genug? Darf ich mich in Chartum sehen lassen? Werde ich nicht schon heute gejagt? Ich bin vogelfrei. Niemand als nur ich allein weiß, wo ich eigentlich wohne. Ich bin gegen die Gesetze, und sie sind gegen mich. Ich habe hier noch mehreres auszuführen, und dann werde ich verschwinden. Es kann mir also sehr gleichgültig sein, ob man es erfährt, daß der Reïs durch mich umgekommen ist. Schade nur, daß sein Schiff verbrennt, ohne daß ich die geringste Beute machen kann! Aber was mir da entgeht, das wird mein Sklavenzug mir einbringen; ich werde eine Ghasuah unternehmen, wie es noch keine gegeben hat; das sollst du erfahren. Sprechen wir jetzt nicht davon. Die Lampe verlöscht, und wir wollen nun schlafen.«

Es war nicht viel Öl in der Lampe gewesen. Das Flämmchen wurde kleiner und kleiner und verlöschte endlich ganz; es wurde dunkel in dem kleinen Raume.

Was hatte ich erfahren! War es denn möglich, daß ein Mensch auf einen so teuflischen Gedanken kommen konnte! Die Ausführung dieses schrecklichen Planes mußte verhindert werden. Aber wie? Das einfachste und beste war, mich mit Ben Nil vom Schiffe zu schleichen und nach Hegasi zurückzukehren, um den Reïs zu warnen. Aber wo war Ben Na, und lag es in der Möglichkeit, ihn von seinen beiden Mitschläfern, ohne daß sie es bemerkten, fortzubekommen? Es mußte versucht werden, konnte aber natürlich nicht eher geschehen, als bis Ibn Asl eingeschlafen war.

Ich wartete mit Schmerzen auf diesen Augenblick. Minuten vergingen, lange, lange Minuten. Endlich hörte ich seinen leisen, regelmäßigen Atemzügen an, daß er schlief. Ich wickelte mich aus dem Netze und kroch zu ihm hin. Das Ohr seinem Gesichte nähernd, horchte ich. Ja, das war das Atmen eines wirklich Schlafenden. Er verstellte sich nicht. Dennoch ergriff ich eines seiner Beine und schüttelte es leise. Er erwachte nicht davon; er schlief also fest. Ich kroch hinaus in den vorderen Raum. Dort hatte ich abgelegt, ließ aber meine Sachen liegen, da sie mich beim heimlichen Suchen nach meinem Gefährten gehindert hätten.

Als ich das offene Verdeck erreichte, blieb ich zunächst im tiefen Schatten der Kajüte stehen, um mich umzusehen. Die meisten Sklavenjäger hatten den Schiffsraum aufgesucht. Dort war die Luft zwar schwüler als im Freien, aber man hatte nicht soviel von den lästigen Stechmücken zu leiden. Ein einziges Feuer, das vom Schiffe entfernteste, brannte noch. An demselben lagen, durch den Rauch gegen die Insekten geschützt, einige Schläfer.

Hatte man Wachen ausgestellt? Ich sah und hörte keine. Auf dem Deck, welches im Halbdunkel des Sternenscheines dalag, gab es keine Bewegung. Ich legte mich nieder und kroch nach hinten. Ich kam an der nach unten führenden Luke und an dem Mast vorüber, ohne jemand zu erblicken. Auch weiterhin gab es keinen Menschen.

So gelangte ich ganz nach vorne und sah, daß es da allerdings auch eine Kajüte gab. Die Küche stand nämlich auf der Mitte des Vorderteiles und nicht, wie es sonst zu sein Pflegt, in dem Winkel des Schiffsschnabels. Aus diesem letzteren war vielmehr auch ein Verschlag gebildet worden, aus welchem ich halblaute Stimmen erklingen hörte. Ich kroch ganz an die dünne Bretterwand und lauschte. Die beiden Offiziere und Ben Nil schliefen noch nicht; sie sprachen miteinander und schienen noch ganz munter zu sein. Ich konnte ihre Worte ziemlich deutlich verstehen und erkannte aus denselben, daß Ben Nil sich bestrebte, die beiden auszufragen. Der Eifer des jungen Mannes, mir nützlich zu sein, war So groß, daß er den Schlaf opferte und seine Genossen auch munter zu erhalten suchte. Das machte mir einen dicken Strich durch die Rechnung. Sie konnten noch lange, lange sprechen. War es dann noch möglich, uns zu entfernen, ohne gesehen zu werden? Die Vogelwelt des Nils erwacht schon vor dem Anbruch des Tages. Wurden die Stimmen derselben laut, so erwachten die Schläfer, und es war zur Flucht zu spät.

Übrigens hörte ich es am Schalle der Stimmen, daß die drei Sprechenden für meinen Zweck nicht günstig lagen. Ben Nil lag nämlich hinten, und der Raum war so klein, daß er, selbst wenn die andern geschlafen hätten, sich nicht entfernen konnte, ohne über sie hinwegzusteigen. Dabei mußte er sie aber wecken. Wenigstens war dies mehr wahrscheinlich als unwahrscheinlich.

Was aber thun? Ben Nil war nicht herauszubekommen; aber ohne ihn konnte ich unmöglich fort, denn das wäre der sichere Tod des braven Kerls gewesen. Ich mußte also auch bleiben. Aber die fürchterliche Gefahr, welcher der Reïs Effendina ahnungslos entgegenging! Sie mußte unbedingt abgewendet werden, und zwar sogleich. Er konnte schon am frühen Morgen angesegelt kommen, und dann war es zu spät. Ja, wenn es sich um einen Angriff, einen Überfall, nicht aber um dieses höllische Petroleum gehandelt hätte! Ich mußte es unschädlich machen. Wenn dann der Reh kam, so verbrannte er wenigstens nicht und konnte sich, falls er angegriffen wurde, verteidigen.

Sollte ich hinabsteigen und die Fässer in das Wasser wälzen? Nein, denn das hätte Geräusche verursacht. Ich konnte nicht wissen, wieweit sie fortschwammen. Wurden sie bald wieder an das Ufer gespült und da vom Schilfe festgehalten, so ließ Ibn Asl sie holen und führte seinen Plan dann trotzdem aus. Sie mußten also stehen bleiben, und doch sollte das Petroleum fort. Anbohren? Ah! Mir fiel der Werkzeugkasten ein. Vielleicht lag ein Bohrer darin. Das war der einzige Weg, auf welchem ich das Verderben von dem Reh und seinen Asakern abwenden konnte.

Aber was würde Ibn Asl sagen, wenn er früh bemerkte, daß die Fässer leer seien? Mir gleichgültig! Ich durfte nicht an mich denken und mußte es eben darauf ankommen lassen, daß ich für den Thäter gehalten wurde.

Ich kehrte also so rasch wie möglich in die hintere Kajüte zurück. Ibn Asl atmete wie vorher; er schlief noch ebenso fest. Nun langte ich in den Kasten und nahm ein Werkzeug nach dem andern aus demselben. Das hatte seine großen Schwierigkeiten, da ich jedes, auch das kleinste Geräusch vermeiden mußte. Es gelang; ich fand einige Bohrer. Mehrere waren zu stark. Das Loch oder vielmehr die Löcher sollten nicht so groß sein, daß man sie sogleich bemerkte. Fast ganz unten auf dem Boden lag einer, welcher nicht ganz die Dicke eines Bleistiftes hatte; dieser paßte mir. Ich steckte ihn ein und legte die Werkzeuge leise wieder in den Kasten. Dann lauschte ich abermals auf den Atem des Schläfers und huschte endlich hinaus und über das Deck hinüber nach der Stelle, an welcher die Leiter lehnte.

Dort lugte ich erst vorsichtig über Bord, ob vielleicht ein Posten unten stehe, und stieg, als dies nicht der Fall war, hinab. Die kurze Strecke bis hin zu den Fässern war bald zurückgelegt, und ich begann die Arbeit. Jedes Faß mußte zwei Löcher bekommen, eins oben, um den Zutritt der Luft zu vermitteln, und eins unten zum Abflusse des Öles. Ich brachte sie an solchen Stellen an, auf welcher meiner Ansicht nach das Auge nicht gleich fallen würde. Dabei mußte ich mich hüten, mit dem ausfließenden Öle in Berührung zu kommen. Durch Ölgeruch oder gar Ölflecke wäre ich verraten worden.

Die Fässer standen, um schnell aufgeschlagen und in den Fluß geworfen zu werden, ganz nahe am Wasser. Die Flüssigkeit hatte nur drei oder vier Fuß zu laufen, um das letztere zu erreichen. Nach nicht ganz einer Viertelstunde war ich fertig, spülte den Bohrer im Flusse rein, wischte ihn im Schilfe sorgfältig ab und stieg dann wieder an Bord. In der Kajüte angekommen, legte ich ihn in den Kasten und kroch dann wieder in mein Moskitonetz.

Das Herz war mir unendlich leicht. Ich hatte vielen Menschen das Leben erhalten und einen Bubenstreich verhütet, wie er nichtswürdiger gar nicht gedacht werden kann. Aber die Folgen für mich! Nun, die konnte ich unter den gegebenen Umständen nicht von mir abwenden und mußte eben ruhig warten, was geschehen werde. Die Aufregung, in welcher ich mich denn doch befunden hatte, legte sich, und ich schlief ein. Als ich erwachte, geschah dies nicht von selbst, sondern Ibn Asl weckte mich.

»Steh auf, Amm Selad!« sagte er. »Du wirst ausgeschlafen haben, denn es ist spät am Morgen, und es wird bald zu thun geben; der Reh Effendina kommt.«

Ich war natürlich sofort vollständig munter und sprang empor. Mein erster Blick galt seinem Gesichte. Es war nichts darin, was mich hätte vermuten lassen, daß meine That bereits entdeckt worden sei. Seine Augen glänzten unternehmend; er nickte mir sogar freundlich zu und fuhr fort.

»Ja ja, du staunst? Die Stunde ist gekommen. Geh heraus; der Kaffee steht für dich bereit!«

Draußen vor der Kajüte lag ein Polster, auf weiches ich mich setzen sollte. Eine alte, häßliche Negerin brachte mir den erwähnten Morgentrunk. Die Sklavenjäger lagerten am Ufer, ganz so, wie ich sie gestern angetroffen hatte. Darum fragte ich:

»Der Reïs kommt, sagst du? Aber deine Leute befinden sich noch nicht auf ihren Posten.«

»Das ist jetzt noch nicht notwendig. Ich erhielt soeben erst die Nachricht, daß er in Hegasi angekommen sei und bei der dortigen Mischrah angelegt habe. Nun weiß man nicht, wie lange er dort liegen bleibt. Es können Stunden vergehen, ehe er abfährt. Darum habe ich wieder einen Posten ausgesandt, welcher auf halbem Wege zwischen hier und Hegasi aufzupassen hat. Erst wenn dieser zurückkehrt, ist es Zeit, daß jeder seine Stelle einnimmt.«

»Es wird doch kein anderes Schiff dazukommen!«

»Aufwärts nicht, sonst hätte mein Wächter es gesehen. Und abwärts – – bei der Hölle, es wäre fatal, wenn da jetzt eins käme!«

»Du würdest es vorüber lassen?«

»Gewiß nicht, ganz gewiß nicht. Die Bemannung würde im Vorüberfahren uns und den Noquer sehen und dem Reïs davon Meldung machen.«

»Das ist nicht so ganz gewiß. Die Leute würden vielleicht bei ihm vorübersegeln, ohne mit ihm zu reden.«

»Da kennst du diesen Hund nicht. Er redet jedes ihm begegnende Schiff an, läßt es halten und zwingt es, sich nach Sklaven untersuchen zu lassen. Er würde ganz sicher erfahren, daß hier ein Noquer hält, und das müßte ihm auffallen; er würde Verdacht schöpfen, sich in acht nehmen, und mit meinem schönen Plane wäre es aus. Nein, kommt jetzt ein Fahrzeug von oben, so wird es angehalten und muß warten, bis die Sache vorüber ist. Um für alle Fälle gesichert zu sein, werde ich auch stromaufwärts einen Posten aufstellen. Die Zeit zum Handeln ist da, und ich lasse mich durch kein Dazwischenkommen irre machen.«

Er ging an das Land, um einen Mann fortzusenden. Während dieser Zeit kam Ben Nil zu mir. Es befand sich niemand in unserer Nähe; darum konnten wir ungestört und ohne Scheu miteinander sprechen.

»Du hast sehr lange geschlafen, Herr,« sagte er. »Fast wollte es mir bange werden. Hast du denn nicht an das gedacht, was auf dem Spiele steht?«

»Ich habe nicht nur gedacht, sondern auch gethan, mehr als du denkst.«

»Und ich habe gar nicht geschlafen. Ich konnte vor Angst um unsern Reïs Effendina kein Auge schließen.«

»Ich natürlich auch nicht.«

»Die beiden Offiziere wurden gestern abend noch gesprächig und erzählten mir, daß der Reïs verbrannt werden soll. Denke dir!«

»Mit dem Petroleum da unten in den Fässern.«

»Du weißt es?«

»Ja. Ich erfuhr es von Ibn Asl.«

»Herr, was thun wir? Der Reïs Effendina naht, und dort ist das Petroleum. Es ist schrecklich, unendlich schrecklich! Und dabei hast du geschlafen und dich um nichts bekümmert!«

»Zanke nicht! Es ist nicht ganz so schlimm, wie du denkst. Ich habe die Fässer während der Nacht angebohrt. Das Öl ist abgelaufen.«

»Allah’l Allah! Ist das wahr?«

»Ja. Es ist mir nicht leicht geworden. Ich wollte fliehen und dich mitnehmen, hörte euch aber reden. Du lagst hinten im Verschlage und konntest nicht vor. Da mußte ich auf dich verzichten und allein handeln.<,

»Drum roch es, als ich aufstand, nach Petroleum! Die Leute schrieben das der Ausdünstung der Fässer zu. Und im Schilfe lagen einige tote Fische.«

»Weiter unten wird es jedenfalls mehr abgestandene Fische und anderes Getier geben. War das Wasser etwa gefärbt?«

»Nein.«

»So ist das Öl entweder sehr rein gewesen, oder der kräftige Morgenwind hat die Rückstände hier fortgespült. Das ist vortrefflich für uns.«

»Ich sehe gar nichts Vortreffliches, Herr. Wenn man es entdeckt, wird der Verdacht natürlich auf uns fallen.«

»Sehr wahrscheinlich. Aber wer kann uns etwas beweisen?«

»Nach Beweisen fragen diese Menschen nicht. Wir müssen fort; wir müssen augenblicklich fort.«

»Es wäre allerdings am allerbesten für uns, wenn wir uns entfernen könnten; aber es giebt einige Bedenken dagegen.«

»Welche denn?«

»Erstens können wir es nicht unbemerkt thun. Und sieht man, was wir wollen, so hält man uns auf, und wir haben verlorenes Spiel.«

»Wir machen es wie gestern abend: wir laufen davon.«

»Da ruft man uns an, und wenn wir nicht gehorchen, schickt man uns Kugeln nach.«

»Das hat man gestern nicht gethan!«

»Es war Abend und dunkel, jetzt aber ist es Tag und hell. Das ist ein Unterschied; bedenke das! Gestern abend hätten wir entkommen können, weil es finster war. Niemand konnte auf uns zielen; jetzt aber hätten wir jeder sehr bald einige Kugeln in dem Leibe. Und wohin wollen wir die Flucht richten? Nach Hegasi, durch die offene Steppe, wo jeder Verfolger leicht auf uns zielen kann?«

»Wir schießen doch auch!«

»Ja, aber wenn wir schießen wollen, müssen wir stehen bleiben und geben dadurch den Verfolgern Zeit, in Masse an uns zu kommen. Nein, nein, damit ist’s nichts! Und unsere Flucht soll doch einen doppelten Zweck haben, nämlich uns aus der Schlinge zu ziehen, in welche wir die Köpfe freiwillig gesteckt haben, und zugleich dem Reïs zu Diensten zu sein. Reißen wir jetzt aus, so kommt er ahnungslos herbei. Man kann ihn nun zwar nicht mehr durch das Feuer vernichten, ihm aber doch irgend einen Hinterhalt, eine Falle legen, welche ihm zum Verderben gereicht. Bleiben wir aber da, so können wir dies durch List verhüten oder ihn wenigstens warnen.«

»Warnen? Sobald wir ihm zurufen, sind wir verloren.«

»Pah! Die Warnung kann durch ein Gewehr geschehen, welches wie durch ein Versehen losgeht.«

»Aber in dem Augenblicke, in welchem man entdeckt, daß die Fässer leer sind, wäre es doch wohl jedenfalls für uns am besten, wenn wir nicht mehr hier wären!«

»Das gebe ich ganz gern zu. Laß mich überlegen! Vielleicht kommt mir ein Gedanke.«

»Der müßte aber schnell kommen, sonst geht die kostbare Zeit verloren.«

Er setzte sich zu mir nieder, um auf die »Ankunft« meines Gedankens zu warten. Leider aber passiert es dem Menschen sehr Oft, daß er gerade dann, wenn er eine Idee sehr notwendig braucht, keine finden kann. So ging es mir auch jetzt. Ich sann und sann vergebens. Es vergingen fünf, Zehn, fünfzehn Minuten. Ibn Asl stand unten bei seinen Leuten und sprach sehr eifrig mit einem von ihnen. Es schien mir, als ob sie dabei oft herauf nach uns blickten. Dann kam er an Bord. Sein Gesicht war so freundlich wie vorher, als er zu mir sagte:

»Amm Selad, du hattest recht, als du meintest, daß das Petroleumfeuer mein eigenes Schiff in Gefahr bringen könne. Ich werde es eine Strecke weiter aufwärts ziehen lassen. Hoffentlich kommt der Reïs Effendina indessen nicht.«

Also deshalb hatten die Leute ihre Augen so auf das Schiff gerichtet! Die Blicke hatten nicht unseren Personen gegolten. Es kamen eine Anzahl Männer an Bord, um den Mast aufzurichten.

Das befremdete mich, da das Zugseil doch auch recht gut anderwärts angebracht werden konnte. Bei dieser Veranlassung näherten sie sich uns und – – warfen sich plötzlich auf uns, um uns festzunehmen. Das geschah so unerwartet und schnell, daß ich, als mir die Ellbogen auf dem Rücken und auch die Beine zusammengebunden waren, noch keine Zeit gefunden hatte, ein Glied zu meiner Verteidigung zu rühren. Ich lag neben Ben Nil auf dem Boden. Was war geschehen? Warum hatte man uns so feindselig überrumpelt? Es mußte irgend ein Verdacht gegen uns entstanden sein.

Ibn Asls Gesicht war plötzlich ein ganz anderes geworden. Während seine Leute zwei oder drei Schritte weit von uns zurückgewichen waren, trat er nahe an mich heran und sagte in drohendem Tone:

»Das hattest du wohl nicht erwartet! Du scheinst ein schlauer Kopf zu sein, und darum mußte auch ich es klug anfangen; ich mußte dich täuschen und schnell über dich kommen.«

»Ich erstaune!« antwortete ich. »Aus welcher Veranlassung sind wir in dieser Weise überfallen worden?«

»Ja, du weißt allerdings nichts, nämlich davon, daß das, was ihr vorhin miteinander gesprochen habt, gehört worden ist.«

»Das konnte gehört werden,« antwortete ich schnell gefaßt und in zuversichtlichem Tone. »Wir haben nichts gesprochen, was dir Veranlassung zu diesem plötzlichen feindseligen Verhalten geben könnte.«

»So! Meinst du denn wirklich, Ibn Asl täuschen zu können? Da bist du viel zu dumm dazu. Dieser Mann« – dabei deutete er auf den Menschen, welcher mich zuerst gepackt hatte – »lag auf dem Dache der Kajüte, ohne daß ihr es wußtet. Er hörte alles und kletterte, um von euch nicht gesehen zu werden, hinten am Taue, an weichem das Boot hängt, herab, um mir es mitzuteilen. Willst du es etwa leugnen?«

»Fällt mir nicht ein! Aber von was haben wir gesprochen?« Ich verließ mich darauf, daß der Mann wohl nicht alles genau verstanden hatte. Wir hatten zwar nicht leise gesprochen, aber auch nicht lauter als zwei Personen sprechen, welche bei einander sitzen und von Dingen reden, welche nicht jedermann zu hören braucht.

»Von vielerlei,« antwortete Ihn Asl, »zumeist aber von Falschheit und Verrat.«

»Beweise uns das doch einmal!«

»Beweise verlangst du? Ist es denn an dir, Beweise zu fordern? Habt ihr etwa nicht vom Petroleum gesprochen?«

»Allerdings. Warum sollte ich das leugnen? Du hast mir ja selbst davon gesagt!«

»Aber du hast behauptet, es sei keins drin. Wie kommst du dazu, eine solche Dummheit auszusprechen?«

»Es war natürlich nur ein Scherz,« antwortete ich, sehr erfreut über die Art und Weise, in welcher ich zur Hälfte falsch und zur andern gar nicht verstanden worden war.

»Du wirst sehr bald erfahren, daß es kein Scherz, sondern Ernst ist! Und dann habt ihr von Flucht gesprochen? Warum wollt ihr fliehen, wenn ihr ein gutes Gewissen habt?«

»Wir haben von Flucht vor dem Feuer gesprochen, falls dieses dein eigenes Schiff ergreifen sollte. Sind wir gestern abend geflohen? Habe ich dir nicht vielmehr bewiesen, daß ich bei dir bleiben will, daß mir gar nichts daran liegt, von hier fortzukommen?«

»Du scheinst ein Meister der Ausrede zu sein! Was aber wirst du mir denn antworten, wenn ich dich frage: Warum soll dein Gewehr losgehen, wenn der Reïs Effendina erscheint?«

»Soll? Es soll eben nicht! Und mein Gewehr, das meinige? Ich habe von allen Gewehren, von den Gewehren im allgemeinen gesprochen. Ich befürchtete eine Unvorsichtigkeit, eine Hastigkeit, durch welche der Reïs gewarnt werden könnte. Du postierst deine Leute weit am Ufer hinab, und da sagte ich: Wenn nur nicht etwa aus Versehen irgend ein Gewehr losgeht. Dieser Mann hat zwar gelauscht, aber unvollständig oder verkehrt gehört. Ich rate ihm, ein anderes Mal die Ohren besser zu öffnen.«

Ibn Asl ließ seinen Blick prüfend zwischen mir und dem Lauscher hin und her schweifen. Meine edle Dreistigkeit imponierte ihm. Es war klar, daß er irre wurde und mir Glauben zu schenken begann. Doch fragte er noch:

»Ihr hattet aber doch Angst um den Reïs Effendina?«

»Da hat dein wackerer Berichterstatter mich wieder falsch verstanden. Nicht um, sondern vor dem Reïs hatte ich Angst.«

»Wie stimmt das damit, daß du gestern zu mir sagtest, du hättest keine Angst?«

»Da wußte ich noch nicht, was geschehen soll. Jetzt kenne ich aber deine Absichten, und als ich mit meinem Gehilfen über dieselben sprach, hatte ich Sorge, daß dieselben vereitelt werden könnten. Das habe ich gemeint.«

»Vereitelt? Wer könnte sie vereiteln?«

»Der Reïs. Er ist in Hegasi an das Land gegangen. Ihr habt ihn hierhergelockt, indem ihr ihn fälschlicherweise wissen ließet, daß hier ein Sklavenzug über den Nil gehen werde. Er muß also wissen, daß sich Händler oder gar Jäger hier befinden. Meinst du, daß er nun in aller Gemütlichkeit gefahren kommt wie einer, der spazieren segelt?«

»Was denn?«

»Ich halte es für sehr möglich, daß er sein Schiff in Hegasi läßt und seine Asaker auf dem Landwege hierher und euch in den Rücken führt. Während wir die Augen nach dem Flusse richten, schleicht er sich von der Steppe herbei und fällt über uns her. Darum hatte ich vor ihm Angst, keineswegs aber um ihn.«

»Allah! Das ist richtig, sehr, sehr richtig. Daran habe ich nicht gedacht. Wir müssen unsere Aufmerksamkeit auch landeinwärts richten und – –«

Er wurde unterbrochen. Der stromaufwärts stehende Posten kam herbeigerannt und meldete ein Schiff, welches sich von dorther nähere. Sofort wurde das Boot bemannt und unter der Führung eines der beiden Offiziere diesem Fahrzeuge entgegengeschickt, um dasselbe zum Anlegen zu veranlassen.

Ich hatte Hoffnung, jetzt wieder losgebunden zu werden. Da fragte er mich:

»Woher weißt du denn, was wir dem Reïs Effendina haben sagen lassen?«

Leider hatte mich der Posten in Hegasi gestern gebeten, ihn nicht zu verraten. Ich war dem Manne für seine Mitteilungen zu Dank verpflichtet und wollte ihm keinen Schaden bereiten; darum antwortete ich:

»Es wurde gestern am zweiten Feuer erwähnt. Wir saßen am ersten; ich hörte es aber doch.«

Diese Unwahrheit entsprang aus einer ganz guten Absicht, fand aber sofort ihre Bestrafung, denn er antwortete:

»Das ist eine Lüge, denn an dem Feuer konnte das nicht gesagt werden. Es wissen nur vier Personen um das, was ich dem Reïs Effendina wissen ließ, nämlich ich, die zwei Offiziere und der Posten von Hegasi. Von diesen hat es dir keiner gesagt. Von wem kannst du es wissen? Etwa gar von dem Reïs selbst? Ich wollte dir mein Vertrauen wieder schenken; jetzt aber sehe ich ein, daß deine Ausreden sehr spitzfindig und zweideutig waren. Ehe ich dich freilasse, werde ich diese Sache genau untersuchen, und wehe dir, wenn ich nur den geringsten verdächtigen Flecken an dir finde! Jetzt habe ich keine Zeit dazu. – Ihr bleibt unter Bewachung einstweilen hier liegen.«

Er wendete sich von uns ab, denn seine Aufmerksamkeit wurde oberhalb unserer Ankerstelle, wo jetzt das betreffende Fahrzeug erschien, in Anspruch genommen. Es wurde von dem entgegengesandten Boote angesprochen und trat in Unterhandlung mit demselben. Dann sahen wir einen Mann über Bord und hinab in das Boot steigen, welches mit ihm zurückkehrte; das Schiff aber wurde gegen das Ufer gesteuert, um dort anzulegen.

Bei mir und Ben Nil stand ein Wächter, der uns scharf im Auge hielt. Mir war gar nicht bange. Ich meinte, annehmen zu dürfen, daß die von mir vorgebrachten Ausreden doch noch die beabsichtigte Wirkung haben würden. Beweisen konnte man uns nichts. Gravierend war nur das, was der Lauscher gegen uns vorgebracht hatte, und diesem war der wirkliche Zusammenhang entgangen; er hatte nur einzelne Punkte vernommen, aus und mit denen eine Überführung nicht zu konstruieren war. Bedenken konnte mir eigentlich nur der Augenblick erregen, an welchem entdeckt wurde, daß die Fässer leer seien. Da man einmal mißtrauisch geworden war, stand zu erwarten, daß der Verdacht dann auf uns fallen werde. Doch war es auch hier unmöglich, uns die Schuld zu beweisen. Leider aber sollte es anders, ganz anders kommen.

Das Boot legte an, und die Leute stiegen mit dem Manne, den sie brachten, an Bord. Man denke sich meinen Schreck, als ich in demselben Abu en Nil erkannte, den Steuermann der Dahabijeh Es Semek, auf welcher ich das bekannte nächtliche Abenteuer in Gizeh erlebt hatte! Diese Dahabijeh war für den Sklavenhandel bestimmt gewesen und in der Nacht von dem Reïs Effendina konfisziert worden. Ich hatte den Steuermann aus Mitleid entfliehen lassen, ihm einiges Reisegeld gegeben und von ihm die Versicherung erhalten, daß er sich nordwärts nach seiner Heimat wenden werde. Und nun sah ich ihn hier oberhalb Chartums im tiefen Süden!

Der Mann kannte mich ganz gewiß noch; er mußte mich ja kennen, zumal ich sehr oft die Erfahrung gemacht hatte, daß mein Gesicht ein solches ist, welches man nicht so leicht und rasch vergißt. Ich war von Leuten, welche mich nur einmal und ganz vorübergehend gesehen hatten, noch nach Jahren sofort wieder erkannt worden. Noch schlimmer aber war der Umstand, daß dieser Steuermann Abu en Nil der Vater oder vielmehr der Großvater meines Begleiters Ben Nil war. Es war vorauszusehen, daß er, uns beide erblickend, augenblicklich zu uns eilen und uns verraten werde.

Ben Nil lag nicht wie ich auf dem Rücken, sondern auf der Seite, von dem Bord, an welchem die Leute heraufgestiegen waren, abgewendet; darum hatte er seinen Großvater nicht gesehen. Ich mußte ihn vorbereiten und wendete mich daher zu ihm, ihm zuflüsternd:

»Erschrick nicht, und bleibe so liegen, wie du liegst! Dein Großvater ist gekommen.«

Ich sah es, daß er eine Bewegung der Überraschung machen wollte, aber er beherrschte sich doch. Es dauerte eine kleine Weile, dann fragte er.

»Ich habe beide Großväter noch. Du meinst doch den Steuermann?«

»Ja, Abu en Nil, den früheren Steuermann der Dahabijeh Es Semek.«

»O Allah, welche Freude!«

»Nein, welches Unglück für uns! Er wird uns verraten.«

»Himmel! Das ist allerdings wahrscheinlich. Wie kommt er hierher? Was thut er hier?«

»Er befand sich auf dem Schiffe, welches Ibn Asl gezwungen hat, anzuhalten. Der Offizier hat ihn mitgebracht, jedenfalls damit er Verhaltungsbefehle bekommen soll.«

»Wo steht er?«

»Dort rechts am Rande des Schiffes. Er hat uns noch nicht gesehen. Ibn Asl spricht mit ihm.«

»Können wir ihm nicht ein Zeichen geben, daß er schweigen möge?«

»Wenn wir nicht gefesselt wären, dann würde es möglich sein, ja; so aber müssen wir das Unglück über uns ergehen lassen. Wie mag er nach dem weißen Nil gekommen sein! Er wollte ja nach Gubator gehen!«

»Ursprünglich, ja; aber es ist anders geworden. Habe ich dir denn nicht erzählt, daß ich ihn in Siut traf?«

»Ah, daran habe ich jetzt nicht gedacht!«

»Ich verlor ihn dort wieder, denn ich wurde von dem alten Abd Asl in den unterirdischen Brunnen gelockt, wo ich verschmachten sollte, aus welchem du mich aber rettetest. Wenn er doch um Allahs willen vorsichtig wäre und nicht sagte, daß er uns kennt!«

»Meinst du, daß ihm eine solche Geistesgegenwart zuzutrauen sei?«

»Wohl nicht. Die Freude, mich zu treffen, und dabei der Schreck darüber, daß ich gefesselt bin, das wird so auf ihn einwirken, daß er wohl die Unvorsichtigkeit begeht, unsere Namen zu nennen. Drehe dich auf die Seite, damit er dein Gesicht nicht sieht!«

Ich folgte dieser Aufforderung, obgleich ich nicht glaubte, daß dies die beabsichtigte Wirkung haben werde. Der alte Steuermann hatte sich damals auf der Dahabijeh nicht so verhalten, daß ich ihm so viel Selbstbeherrschung, wie hier nötig war, hätte zutrauen können.

Unser Wächter hatte darauf, daß wir miteinander sprachen, nicht geachtet. Seine Aufmerksamkeit war mehr auf Abu en Nil, als auf uns gerichtet. Ibn Asl sprach laut mit diesem letzteren, doch hatte ich, weil ich mit Ben Nil redete, den Inhalt des Gespräches nicht verstehen können. Jetzt, da wir schwiegen, hörte ich den alten Steuermann sagen:

»Aber ich sehe immer noch keinen Grund, weshalb wir die Fahrt unterbrechen sollen. Wir sind euch doch nicht im Wege!«

»Doch! Wartet nur kurze Zeit, höchstens einige Stunden, so könnt ihr weiter fahren.«

»Warum jetzt nicht?«

»Das brauche ich euch nicht zu sagen.«

»Du wirst es uns doch wohl sagen müssen, sonst gehen wir sofort wieder unter Segel.«

»Das wirst du bleiben lassen, denn, wenn ich sehe, daß du nicht gehorchen willst, so behalte ich dich hier, bis die Zeit gekommen ist.«

»Dazu hast du kein Recht.«

»Meinst du? Ich bin der Reïs Effendina, von dem du wohl gehört haben wirst.«

»Nein, der bist du nicht. Ich habe nicht nur von ihm gehört, sondern ihn sogar gesehen und mit ihm gesprochen.«

»So! Nun, dann will ich dir sagen, daß ich sein Lieutenant bin. Ob dies oder ob er selbst, das bleibt sich gleich. Du hast zu gehorchen.«

»Beweise mir, daß du die Wahrheit sagst! Die Leute des Reïs Effendina tragen Uniformen, die deinigen aber nicht. Ich habe gesehen, daß dein Schiff ›Eidechse‹ heißt; das Schiff des Reïs Effendina aber heißt ›Der Falke‹. Deine Worte sind also Lügen.«

»Lügen? Hüte dich, mich zu beleidigen! Der Reïs Effendina kommandiert allerdings den ›Falken‹; da aber dieses Schiff für seine Zwecke nicht ausreichte, so hat er die ›Eidechse‹ dazu gemietet und mir den Befehl über dieselbe übergeben. Es ist dir wohl erklärlich, daß gemietete Leute keine Uniformen tragen können.«

»Wenn es so ist, wie du sagst, mußt du eine schriftliche Vollmacht von dem Reïs Effendina haben. Ich bin dir nicht eher Gehorsam schuldig, als bis ich dieselbe gesehen habe.«

»Und mir fällt es nicht ein, dir dieselbe zu zeigen. Du hast mir auf das Wort zu glauben und mir zu gehorchen.«

»Und ich werde zurückkehren und weiter fahren!«

»Halt, Alter, nicht so schnell! Ohne meine Erlaubnis kommst du nicht vom Schiffe. Du bist der Steuermann des angehaltenen Fahrzeuges. Wie ist dein Name?«

»Himjad el Bahri.«

Da ich mich umgewendet hatte, konnte ich den Alten nicht mehr sehen, doch hörte ich, daß er fort gewollt hatte, aber festgehalten worden war. Himjad el Bahri! Er nannte sich also jetzt anders als früher, jedenfalls weil er dem Reïs Effendina entflohen war und sich nun unter einem falschen Namen sicherer wähnte. Das war mir lieb, denn nun konnte er Ben Nil nicht für seinen Enkel ausgeben. Kaum aber hatte ich diese Hoffnung geschöpft, so wurde sie mir von unserm Wächter wieder zu schanden gemacht. Dieser trat nämlich, als er den Namen hörte, einige Schritte vor und rief Ibn Asl zu:

»Das ist nicht wahr; dieser Name ist falsch. Ich kenne den Alten. Ich habe ihn früher in Kahira und auch anderswo gesehen. Er ist ein sehr bekannter Steuermann und wird, weil er den Fluß wie selten ein anderer kennt, Abu en Nil genannt.«

»Abu en Nil!« wiederholte Ibn Asl im Tone der Überraschung. »Ist das wahr? Kennst du ihn wirklich?«

»Ganz genau, ich kann mich gar nicht irren.«

»Ah, Alter, du hast mich täuschen wollen; du bist ein Betrüger! Giebst du zu, daß du der Steuermann Abu en Nil bist?«

»Nein. Ich heiße Himjad el Bahri und habe nie einen andern Namen gehabt.«

»Das ist eine Lüge!« behauptete der Wächter. »Ich kenne ihn ganz genau und kann noch zwei Zeugen bringen, welche ihn auch kennen.«

Er nannte zwei Namen, und die Träger derselben, zwei Untergebene von Ibn Asl, welche sich am Lande befanden, wurden herbeigerufen. Sie bestätigten sofort die Aussage des Wächters; sie sagten dem Alten sogar in das Gesicht, wo und wann sie ihn gesehen hatten. Ich konnte nicht recht begreifen, warum der Umstand, daß der Alte einen falschen Namen tragen sollte, eine solche Wirkung auf Ibn Asl hervorbrachte. In jenen Gegenden und jenen Verhältnissen kommt es nicht selten vor, daß ein Mensch seinen Namen ändert. Hat zum Beispiel ein gewisser Maluf sich lange vergeblich nach einem Sohn und Erben gesehnt und diese Sehnsucht wird ihm endlich erfüllt, so wird er, falls er dem Kinde den Namen Amal giebt, sich aus Freude über sein Vaterglück von jetzt an Abu Amal, Vater des Amal nennen. Freilich hatte der alte Steuermann geleugnet, daß er früher anders geheißen habe, und das mußte auffallen oder gar Verdacht erwecken. Aber nicht der Umstand war es, welcher den Grund zu Ibn Asls Verhalten bildete, denn ich hörte ihn jetzt in höhnischem Tone sagen:

»Du bist überführt; du giebst dich für einen andern aus, als du wirklich bist. Das muß gerochen werden!«

»Ich habe nicht gelogen. Vielleicht sehe ich diesem Abu en Nil ähnlich. Es kann dir übrigens ganz gleichgültig sein, welchen Namen ich trage. Wenn ich wirklich dieser Abu en Nil wäre, so könntest du doch wohl gar nichts dagegen haben!«

»Allerdings nicht, gar nichts, ganz und gar nichts! Ich würde mich im Gegenteil freuen, diesen Mann gefunden zu haben. Und da du es wirklich bist, wie diese drei Männer bezeugt und bewiesen haben, so freue ich mich aber jetzt ganz außerordentlich. Hast du einen Sohn, welcher Ben Nil heißt?«

»Nein.«

»Dann wohl einen Enkel?«

»Auch nicht.«

»Leugne nicht, Alter, sonst werde ich dich zwingen, die Wahrheit zu sagen! Es giebt einen jungen Menschen, einen Matrosen, welcher Ben Nil heißt, und wenn jemand sich Abu en Nil nennt, so muß dieser jemand der Vater oder Großvater des Ben Nil sein!«

»Meinetwegen! Da ich aber nicht Abu en Nil, sondern Himjad el Bahri heiße und weder einen Sohn noch einen Enkel habe, so laß mich mit deinem Ben Nil ungeschoren!«

»Komm mir nicht in diesem Tone, Alter!« drohte Ibn Asl. »Es könnte dich gereuen!«

»Wieso? Ich habe keinen Grund, Furcht vor dir zu haben.«

»Das denkst du jetzt. Aber wenn du wüßtest – –!«

»Was –? Wenn ich was wüßte – –?«

»Daß ich – ein ganz anderer bin,« entfuhr es Ibn Asl.

»Ein ganz anderer? So habe ich also doch richtig gedacht! Nun, so brauche ich erst recht keine Furcht zu haben!«

»Meinst du? Es kommt darauf an, was für ein oder welcher andere ich bin!«

»Sei wer du willst, mir machst du nicht angst!«

»Du sprichst sehr zuversichtlich. Ich bin Ibn Asl, der Sklavenjäger.«

»Allah! Ist das wahr? Ibn Asl, der berühmte Negerfänger?«

»Ja. Wie wird dir nun zu Mute?«

Wenn er der Meinung gewesen war, daß der Alte bei Nennung dieses Namens erschrecken werde, so hatte er sich sehr geirrt. Der Steuermann hatte Grund, sich vor dem Reïs Effendina zu fürchten, weil er diesem entflohen war; sich aber vor Ibn Asl zu entsetzen, dazu hatte er als früherer Sklavenhändler gar keine Ursache. Dies zeigte sich auf der Stelle, denn anstatt sich erschreckt zu zeigen, rief er in frohem Tone aus:

»Ibn Asl! Da wird mir sogar sehr wohl zu Mute, vorausgesetzt, daß du mich nicht abermals täuschest.«

»Ich sage dir die Wahrheit. Allah und der Prophet können mir bezeugen, daß ich Ibn Asl bin.«

»Wenn du so schwörst, so kann ich es glauben. Und nun hast du gar keinen Grund, mich feindlich zu behandeln. Ich werde dir jetzt gern meinen wirklichen Namen sagen.«

Der gute Alte hatte gar keine Ahnung, daß er jetzt im Begriff stand, einen ungeheuren Fehler zu begehen. Hätte ich ihm doch winken können!

»Es ist natürlich der, den du vorhin verleugnet hast?« fragte Ibn Asl.

»Ja. Ich bin Abu en Nil.«

»Also doch, doch, doch! Mann, weißt du auch, was du da gesagt hast?«

»Ja. Ich habe dir damit bewiesen, daß ich nicht ein Feind, sondern ein Freund von dir bin.«

»Wunder über Wunder! Ein Freund von mir! Wieso?«

»Hast du vielleicht von einer Dahabijeh gehört, welche Es Semek hieß?«

»Ja. Der Reïs Effendina hat sie weggenommen.«

»Der Reïs Effendina, weicher dein größter Feind ist! Ich aber war der Steuermann dieses Schiffes. Ich war dabei, als er sie durchsuchte und dabei entdeckte, daß die Dahabijeh ein Sklavenschiff sei. Er konfiszierte sie und nahm die ganze Bemannung gefangen.«

»Dich auch mit?«

»Ja, aber es gelang mir, zu entkommen. Es war ein fremder Effendi auf dem Schiffe –«

»Ah, ein fremder Effendi!« unterbrach ihn Ibn Asl.

»Ja. Dieser Mann hatte Erbarmen mit mir, gab mir Geld und verhalf mir zur Flucht.«

»Warum gerade dir?«

»Weil – das weiß ich nicht.«

Er wußte es gar wohl, wollte aber dem berüchtigten Sklavenjäger nicht sagen, daß er auf meine Aufforderung ein aufrichtiges Geständnis abgelegt hatte.

»Jedenfalls ist es aus Freundschaft gegen dich geschehen. Das macht dich verdächtig!«

»Freundschaft? Davon kann nicht die Rede sein, da ich ihn noch nie gesehen hatte.«

»Aber später hast du ihn jedenfalls wieder gesehen?«

»Nein.«

»Lüge nicht! Du hast zugegeben, daß du Abu en Nil bist; du gestehst nun wohl auch ein, daß du einen Sohn hast, welcher Ben Nil heißt?«

»Nicht mein Sohn, sondern mein Enkel heißt so.«

»Gut, sehr gut! Wo hast du ihn zuletzt gesehen?«

»In Siut.«

»Das stimmt; das stimmt ja ganz genau! Du brauchst nun nur noch einzugestehen, bei wem dein Enkel sich als Diener befindet.«

»Das weiß ich nicht. Er ist niemals der Diener eines Menschen gewesen.«

»Nicht, wirklich nicht? Nun, so ist er es jetzt, und zwar der Diener was für eines Menschen!«

»Ich verstehe dich nicht. Ich begreife dich nicht. Warum sagst du das in einem so zornigen Tone zu mir?«

»Ah, du hörst es also, daß ich zornig bin? Aber begreifen kannst du es nicht? Wirklich nicht?«

»Ich habe keine Ahnung, warum der Name meines Enkels dich in solchen Grimm versetzen kann.«

Ibn Asl war, das hörte ich seinem Tone an, überzeugt, daß Abu en Nil alles wisse. Darum freute er sich, den Alten in seine Hände bekommen zu haben. Er antwortete höhnisch:

»Gut, ich werde es dir sagen, nur um dir zu zeigen, daß dir deine Verstellung gar nichts nützen kann. Allah hat dich zu mir geführt, und bald wirst du auch deinen Sohn bei mir sehen und diesen fremden Effendi, dem, das schwöre ich dir zu, alle Glieder einzeln vom Leibe faulen werden!«

»Allah kerihm! Was hat er dir gethan?«

»Hund, glaube nicht, daß du mich täuschen kannst! Du stehst mit ihm im Bunde. Du weißt alles; du kennst alle seine Thaten und wirst mit ihm gleiches Schicksal haben. Meinst du wirklich, daß ich dir sagen Soll, was geschehen ist? Ich habe jetzt weder Lust noch Zeit dazu. Bindet ihn, und werft ihn zu den beiden anderen, die schon dort bei der Kajüte liegen!«

»Was, mich binden?« rief der Alte aus. »Ich weiß von nichts. Ich bin in Faschodah gewesen und –«

»Schweig, sonst bekommst du die Peitsche!« donnerte ihn Ibn Asl an. Ach mag nichts mehr hören. Später wirst du erfahren und – auch fühlen, was geschieht!«

Abu en Nil wurde von mehreren Männern gepackt und trotz seiner Gegenwehr niedergerissen und gebunden. Dann brachte man ihn zu uns geschleift. Schon glaubte ich, Hoffnung hegen zu dürfen, daß die befürchtete Erkennungsscene ohne Gefahr für uns vorübergehen werde, denn er schien nur mit sich selbst beschäftigt zu sein und vor Zorn gar nichts als nur seine Gegner zu sehen. Da fiel sein Auge auf mich; sein Gesicht nahm einen ganz andern Ausdruck an, und:

»Effendi, du?« rief er laut. »Ist’s möglich, du bist auch gefangen?«

Ibn Asl hatte sich schon abgewendet. Er hörte diese Worte und drehte sich schnell wieder um. Aber es kam noch schlimmer, denn der Alte erblickte auch seinen Enkel und schrie auf.

»Ben Nil, mein Sohn, mein Kind, Sohn meines Sohnes! O Allah, Allah, Allah! Was ist geschehen? Was ist’s mit dir, daß du gefesselt bist?«

Da, ja, da hatten wir es! Da war das Unglück fertigt Das waren die Folgen meiner Gutherzigkeit! Ich gestehe, daß ich in diesem Augenblick nichts sehnlicher wünschte, als in Gizeh diesen alten Plauderhannes seinem Schicksale überlassen zu haben. Der Eindruck, den seine Worte machten, war ganz so, wie ich erwartet hatte. Ibn Asl kam nicht herbeigeschritten, sondern geradezu herbeigesprungen und rief:

»Effendi? Ben Nil? Allah akbar – Gott ist groß! Was höre ich!«

»Schweig, Schwätzer! Du bringst dich und uns ins Verderben!« hatte ich dem Steuermann noch zuraunen können; dann standen alle, die sich auf dem Deck befunden hatten, bei uns und vor uns.

»Sag’s noch einmal! Wiederhole es!« gebot Ibn Asl dem Alten. »Wer sind diese beiden Menschen?«

Meine Warnung hatte doch gefruchtet. Der Gefragte antwortete nicht. Ich sah ihm an, daß er überlegte, was er sagen solle.

»Sprich! Wer sind sie?« wiederholte der Sklavenhändler.

»Wer?« fragte Abu en Nil, jedenfalls um Zeit zu gewinnen.

»Diese beiden, deren Namen du nanntest.«

»Die? Die zwei hier? Die kenne ich ja gar nicht!«

»Und soeben hast du den einen als Effendi und den andern als deinen Enkel Ben Nil bezeichnet! Ich habe es mit meinen eigenen Ohren gehört.«

»Die Namen habe ich genannt, aber diese beiden Männer nicht damit gemeint.«

»Das redet dir der Teufel vor! Wie kämst du dazu, von dem Effendi und von Ben Nil zu sprechen, wenn diese es nicht wären!«

»Das war nur ein Ausruf des Schmerzes und der Reue. Weil ich von dem Effendi und von meinem Enkel gesprochen habe, hast du mich binden lassen. Darum wiederholte ich ihre Namen.«

»Du hast aber gefragt: Was ist’s mit dir, daß du gebunden bist! Wie kämst du zu solchen Worten?«

»Ich habe damit ja mich selbst gemeint.«

»Hältst du mich für wahnsinnig, du Sohn eines Hundes und Enkelhund eines Hundesohnes? Holt die Peitsche! Wir wollen ihm den Mund öffnen!«

In diesem Augenblicke erklang vom Ufer der laute, erschrockene Ruf herauf:

»O Wunder, wie sonderbar, die Fässer sind leer!«

Ibn Asl sprang an den Schiffsrand und sah hinab. Da ich lag, war mir kein Blick nach unten möglich.

»Die Fässer sind leer,« wiederholte man von unten herauf.

»Seid ihr toll!« rief er hinab. »Sie waren ja voll.«

»Jetzt sind sie aber leer!«

Ich hörte einen hohlen Ton, als wenn leere Fässer umgeworfen würden.

»Maschallah – Wunder Gottes!« schrie Ibn Asl. »Sie sind leer, wirklich leer! Wer hat das gethan! Wartet, ich komme hinab!«

Ich sah ihn vom Deck verschwinden, aber im nächsten Augenblicke erschien er mit dem Kopfe wieder, um unserm Wächter zu befehlen:

»Laß die Hunde nicht miteinander sprechen! Schlage sie auf die Mäuler, wenn sie es wagen sollten, sie aufzuthun!«

Dann stieg er vollends hinab. Der Mann, dem dieser Befehl gegolten hatte, ergriff ein starkes Stück Tau und ließ es vor unsern Gesichtern schwingen, als nicht mißzuverstehende Andeutung, daß er den löblichen Auftrag ganz wörtlich erfüllen werde. Wir schwiegen also. Ich hätte überhaupt nicht gewußt, was ich sagen sollte, um den Fehler, den der Alte begangen hatte, wieder gut zu machen.

Die Leute schienen sich unten bei den Fässern zu versammeln, wie aus einem Gewirr von vielen Stimmen zu entnehmen war. Dann wurde es momentan still. Man schien zu untersuchen, zu beraten. Nach einiger Zeit kehrte Ibn Asl zurück; ihm folgten alle seine Leute, so daß das ganze Deck sich füllte. Aller Augen waren auf uns gerichtet, drohend, haßerfüllt und auch, wenn ich mich nicht irrte, bewundernd neugierig. Er trat zu mir, stieß mich mit dem Fuße an und sagte, indem seine Augen mich wütend anblitzten:

»Rede die Wahrheit, du räudiger Schakal, sonst reiße ich dir die Zunge aus! Wo bist du während der Nacht gewesen?«

Nicht zu antworten, das wäre dumm gewesen. Hätte ich auch nur eine Hand frei gehabt, so hätte ich ihm mit der Faust geantwortet. So aber mußte ich, um Mißhandlungen zu entgehen, reden:

»Natürlich bei dir in der Kajüte.«

»Du bist aber einmal fort und bei den Fässern gewesen.«

»Das müßte im Traume geschehen sein.«

»Willst du es leugnen?«

»Was man nicht gethan hat, kann man nicht leugnen.«

»Die Fässer haben Löcher!«

»Das weiß ich auch. Ich habe noch kein Faß ohne Loch gesehen.«

Er versetzte mir wieder einen Fußtritt und schrie:

»Willst du etwa gar Witze machen! Du bist es gewesen, der die Löcher in die Fässer gebohrt hat. Kein anderer kann es gewesen sein!«

»Laß mich in Ruh‘ mit deinen Fässern! Ich möchte wissen, weshalb ich mich mit ihnen hätte beschäftigen sollen!«

»Um den Reïs Effendina zu retten. Nun ist mein ganzer herrlicher Plan zu schanden gemacht! Gestehe es auf der Stelle, sonst zertrete ich dich unter meinen Füßen!«

Er holte mit dem Beine zum Stoße aus. Es ist keine angenehme oder gar ehrenvolle Situation, vor so vieler Augen am Boden zu liegen und völlig widerstandslos allen möglichen Mißhandlungen ausgesetzt zu sein. Diesen Menschen hatte ich haben wollen und nun hatte er mich! Meine Lage bei ihm war eine ganz andere, als die seinige bei mir gewesen wäre. Er war nicht nur ein Verbrecher, ein Unmensch, sondern er war – gemein. Hatte ich denn gar keine Waffe gegen ihn? Giebt es überhaupt gegen Gemeinheit eine Waffe, wenn man nicht eben auch gemein sein will? Und wenn ich der geschickteste Fechter bin, kann ich mich mit einem anständigen Floret gegen einen Menschen wehren, der mich mit der – Düngergabel aufspießen will? Mein ganzes Selbstgefühl bäumte sich gegen den Gedanken auf, mich nun noch durch Leugnen retten zu wollen. Ja, vielleicht konnte es mir gelingen, ihn durch List von mir abzubringen oder wenigstens Zeit zu gewinnen; ihn zu übertölpeln, das wäre keine Schande gewesen; aber er hätte wenigstens jetzt, in diesem Augenblicke, gedacht, daß ich Angst vor ihm habe, und das sollte er sich ja nicht einbilden. Angst! Meine Lage war eine schlimme, aber noch keineswegs eine verzweifelte. Es fiel mir nicht ein, mich schon verloren zu geben; aber selbst auf die Gefahr hin, daß es mich sofort mein Leben kosten werde, antwortete ich:

»Gestehen? Nur Verbrecher, nur Sünder haben Geständnisse abzulegen. Was ich that, war keine Sünde, kein Verbrechen.«

»So giebst du zu, es gethan zu haben?«

»Ja.«

Er sah mir starr in das Gesicht. Das hatte er doch nicht erwartet.

»Ah, hört ihr’s, hört ihr’s?« rief er dann. »Er ist’s gewesen; er giebt es zu! Mensch, weißt du, daß du damit dein Todesurteil gesprochen hast? Warum hast du das Öl auslaufen lassen?«

»Diese Frage hast du schon selbst beantwortet.«

»Um den Reïs Effendina zu retten?«

»Ja. Ich bin sein Freund!«

»Der fremde Effendi?«

»Ja.«

»Und dieser, den du deinen Gehilfen Omar nanntest, ist Ben Nil?«

»Er ist es.«

Er trat, ganz betroffen über die Offenheit dieses Geständnisses, zwei Schritte zurück. Er war überzeugt, daß jeder andere fortgeleugnet hätte, denn seiner Meinung nach konnte in meiner Lage Rettung nur im Leugnen liegen. Er wendete sich von mir ab und seinen Leuten zu und sagte.

»Hört ihr abermals? Er bekennt es, daß er der Effendi ist. Ah, wir haben ihn; wir haben ihn! Allah sei Preis und Dank gesagt!«

Dies benutzte Ben Nil, mir zuzuraunen:

»O, Effendi, warum hast du es gestanden! Nun ist alles, alles verloren!«

»Noch nicht. Sei nur guten Mutes, und laß mich machen!«

Die Leute drängten sich näher herbei, um mich recht genau in Augenschein nehmen zu können. Er trat wieder ganz zu mir heran und sagte, indem er mir höhnisch zunickte:

»Du bist ein verwegener Mensch, Effendi, ein höchst verwegener Mensch; aber du hast doch noch nicht gewußt, was es heißt, dich in meine Nähe zu wagen!«

»Pah! Was soll das weiter heißen! Ich habe noch ganz andere Dinge gewagt. Wenn dir nicht der Zufall günstig gewesen wäre, hättest du nicht entdeckt, wer ich bin. Oder bildest du dir etwa ein, daß du es deinem Scharfsinne, deiner Klugheit zuzuschreiben hast?«

»Ungeziefer, wagst du, mich zu schmähen!« rief er, indem er mir abermals einen Fußtritt versetzte.

»Jetzt magst du mich treten; ich bin gefesselt; aber ich sage dir, daß du mir jeden Fußtritt bezahlen wirst!«

»Dir? Wann denn? Du willst dich rächen? Bist du toll?«

»Ich spreche mit vollster Überzeugung. Wie lange glaubst du mich wohl bei dir zu haben?«

»So lange, bis du vermodert bist!«

»Darüber lache ich. Bedenke, daß sich der Reïs Effendina hier befindet!«

»Verlässest du dich auf den? Hoffst du, daß er dich retten werde?«

»Allerdings.«

»So hoffe, bis du verendest! Ich kann diesen Hundesohn nun freilich nicht verbrennen, aber – –«

Er wurde unterbrochen. Es entstand vom Schiffsrande her ein Gedränge. Zwischen den Leuten hindurch schob sich der Posten, den er gegen Hegasi hin ausgestellt gehabt hatte. Der Mann war ganz außer Atem und meldete:

»Herr, mit dem Petroleumfeuer wird es nichts, denn der Reïs Effendina kommt nicht auf dem Flusse.«

»Wo denn?«

»Allah sei Dank dafür, daß er mir den Gedanken eingab, weiter vorzugehen, als du mir geheißen hattest! Ich stand da auf einer Stelle des Ufers, welche so hoch war, daß ich nicht nur den Fluß sehen, sondern auch über die Bäume hinweg in die Steppe blicken konnte. Und da sah ich ihn kommen.«

»Weißt du denn, daß er es war?«

»Wer könnte es sonst gewesen sein? Sie waren weit, sehr weit entfernt von mir, aber ich erkannte doch, daß sie in Uniformen gekleidet waren.«

»So sind sie es gewesen, Wie viele Köpfe zählten sie?«

»Das weiß ich nicht. Sie gingen zu zweien, und es war eine lange, lange Reihe.<,

»Und wann können sie hier sein?«

»Sie müssen vorsichtig verfahren und werden also längere Zeit als sonst brauchen; auch bin ich sehr schnell gelaufen; aber in einer halben Stunde können sie hier eintreffen.«

»So müssen wir fort. Dieser Hund hat uns das Öl genommen, welches uns nun freilich auch nichts nützen könnte. Wollten wir kämpfen, so würden wir siegen, aber gewiß viele unserer Kameraden verlieren. Das müssen wir vermeiden. Ich werde, um den Reïs Effendina durch List in meine Gewalt zu bringen, einen andern Plan erdenken. Also auf, ihr Männer, an die Arbeit! Nehmt die Masten empor, und öffnet die Segel! Der Wind ist uns günstig und wird uns rasch aufwärts führen.«

Was sich am Ufer befand, wurde schnell an Bord geschafft; die leeren Petroleumfässer warf man in das Wasser; dann richtete man die Masten auf. Der Noquer hatte nämlich außer dem Hauptmast vorn noch einen kleineren Mast. Das Fahrzeug war überhaupt anders eingerichtet, wie die Noquer es gewöhnlich sind. Der Wind begann die Segel zu blähen, wir stießen vom Lande und wurden aufwärts gegen den Strom geführt.

Da jedermann beschäftigt war, hatte man auf uns wenig acht. Auch unser Wächter hielt seine Aufmerksamkeit mehr auf die Bewegung des Schiffes als auf uns gerichtet. Darum konnten wir es wagen, wenn auch nur leise, wieder miteinander zu sprechen. Wir kamen eben an dem Schiffe vorüber, welches Ibn Asl zum Anlegen gezwungen hatte; da sagte Abu en Nil:

»Meinst du, Effendi, daß ich meine Leute jetzt rufe?«

»Um Allahs willen, nein! Du würdest dadurch unsere Lage nur verschlimmern, deinen Zweck aber nicht erreichen.«

»Aber ich muß doch auf meinen Posten zurück und kann unmöglich mit diesem entsetzlichen Ibn Asl fahren!«

»Dem fällt es nicht ein, dich zu fragen, ob du kannst oder willst; du mußt!«

»Aber was soll aus mir werden?«

»Ganz dasselbe, was aus uns beiden wird.«

»Nun, was wird das sein?«

»Allah weiß es, ich aber nicht. Du allein trägst die Schuld, daß du dich in dieser Lage befindest.«

»Ich war so erschrocken und konnte doch nicht wissen, daß ich eure Namen nicht nennen durfte.«

»Wir waren gefangen; das mußte dir genug sagen.«

Noch hatten wir die Dschesireh Hassanieh zur Linken. Rechts am Ufer traten die Bäume weit auseinander. Es gab eine freie Stelle, und man konnte hindurch und hinaus auf die Steppe sehen. Trotzdem ich lag, erblickte ich einen Reiter, welcher auf einem Kamele saß und im scharfen Gange durch diese Lichtung nach dem Flusse strebte. Als er das Schiff sah, richtete er seinen Oberkörper auf, wie einer thut, der etwas scharf ins Auge nehmen will. Dann winkte er, indem er sein Gewehr schwang, und schlug auf sein Tier ein, um das Ufer schnell zu erreichen. Eben stand Ibn Asl in unserer Nähe. Ich hörte ihn sagen:

»Seht! Das ist Oram, welcher uns als Bote gesendet wird! Wir können ihn nicht einnehmen; wir dürfen nicht halten, sonst werden wir von dem Reïs Effendina eingeholt.«

Er legte die beiden Hände hohl an den Mund und rief durch dieses Sprachrohr nach dem Ufer, an welchem der Reiter jetzt hielt, hinüber.

»Maijeh es Saratin, Maijeh es Saratin!«

Der Reiter hatte ihn verstanden; er drehte sein Kamel um und ritt schnellstens wieder von dannen.

Ein Maijeh ist ein sumpfiger Nebenarm eines Flusses, die Einbuchtung eines Stromes, deren Wasser still steht, also ganz dasselbe, was der Anwohner des Mississippi einen Bayou nennt. Im weiteren Sinne wird Maijeh auch jeder Sumpf genannt. Es Saratin heißt »der Krebse«. Der Mann war also nach dem Krebsarm. oder Krebssumpf gewiesen worden, jedenfalls einer Einbuchtung des Niles, in welcher es viele Krebse gab und an deren Ufer er das Schiff erwarten sollte. Er war ein Bote. Von wem? Ich hatte sein Gesicht nicht deutlich sehen können, und dennoch war er mir wie bekannt vorgekommen.

Doch, was kümmerte mich dieser Mann! Ich hatte jetzt genug mit mir zu thun. Es verstand sich ganz von selbst, daß ich mich freute, den Reïs Effendina gerettet zu haben; nun aber stak ich selbst im Pech. Konnte ich Hilfe von ihm erwarten? Möglich, aber nicht wahrscheinlich. Er wußte jedenfalls nicht genau, wo er die Vögel, welche nun ausgeflogen waren, zu suchen hatte. Fand er das verlassene Lager, so forschte er wahrscheinlich weiter nach ihnen. Und erfuhr er von Abu en Nils Schiffsleuten, daß der Noquer aufwärts gefahren sei, so kehrte er nach Hegasi zu seinem Schiff zurück, um ihn zu verfolgen. Dabei mußte die kostbare Zeit verloren gehen, und Ibn Asl erhielt einen Vorsprung, welcher nicht rasch einzuholen war. Der »Falke« des Reïs Effendina war zwar ein Schnellsegler und der »Eidechse« weit überlegen, aber wenn diese sich in einen versteckten Maijeh verkroch, so segelte der »Falke« vorüber, ohne sie zu finden.

Auf den Reïs Effendina konnte ich mich also nicht verlassen; ich mußte Rettung einzig und allein bei mir selbst suchen. Das erklärte ich meinen beiden Mitgefangenen. Ben Nil hatte alles Vertrauen zu mir; sein Großvater wollte aber alle Hoffnung sinken lassen. Er erzählte uns in aller Kürze, daß er, als er von Ben Nil getrennt worden war, ein Schiff gefunden hatte, welches nach Faschodah bestimmt gewesen war. Der Reïs, welcher ihn zufälligerweise kannte, hatte ihn mitgenommen und ihm später die Stelle des Steuermannes anvertraut. Auf der Rückfahrt begriffen, waren sie heute früh von dem Boote des Sklavenjägers angehalten worden. Ibn Asl hatte sagen lassen, daß eine gewaltige, neu angeschwemmte Omm Sufah-Insel den Nilarm unpassierbar gemacht habe. Der Kapitän hatte sein Schiff nach dem Ufer dirigiert und den alten Steuermann im Boote des Sklavenhändlers vorangehen lassen, um die Strecke zu untersuchen. Anstatt einer Omm Sufah-Insel aber hatte der letztere die Gefangenschaft gefunden. Nun klagte er alle Welt und Allah an und fragte, wie es gekommen sei, daß Ibn Asl eine solche Rache auf uns habe. Als sein Enkel ihm diese Frage in kurzer Weise beantwortet hatte, jammerte er.-

»O Allah, o Himmel! Wer hätte das gedacht! Nun sind nicht mehr meine Jahre und Tage, sondern meine Stunden gezählt, denn dieser Sklavenjäger wird uns ermorden. Ich werde die Meinen nicht wiedersehen und ein Ende mit tausend Schrecken finden.«

»Jammere nicht!« ermahnte ihn Ben Nil. »Du fällst mit deinen Klagen dem Effendi beschwerlich. Sei still, und gieb ihm Ruhe zum Nachdenken, so wird er sich sicher einen Weg aussinnen, der uns zur Freiheit führt! Übrigens können nur wir beide verloren sein. Du hast Ibn Asl nichts gethan, und so kann er nicht grausam gegen dich sein.«

»Hast du denn nicht gehört, was er sagte? Er glaubt, daß ich euer Verbündeter sei, und hat mir ganz dasselbe Schicksal wie euch bestimmt.«

Der alte Mann wollte mir als ein rechter Egoist erscheinen. Er dachte nur an sich und sprach nur von sich, nicht aber von seinem Enkel, welcher sich doch in noch viel größerer Gefahr als er befand. Aber ich hatte mich geirrt. Er war, wie ich schon damals in Gizeh gesehen hatte, kein Held, und daß er plötzlich in eine so fatale Lage gekommen war, das hatte ihn vollständig verwirrt. Denn als sein Enkel ihm jetzt vorwarf. »Merkst du denn nicht, daß du den Effendi belästigest? Deine Klagen müssen ihn doch beleidigen!« antwortete er, zu mir gewendet:

»Verzeihe, Effendi! Ich weiß vor Schreck nicht, was ich thue und was ich sage. Man warf mich so plötzlich nieder und band mir die Arme und die Beine. Das hat mich so angegriffen, daß ich mich selbst kaum mehr kenne. Ich weiß, was ich dir zu verdanken habe, und ich wünsche, dir beweisen zu können, daß ich dir gern danken möchte. Sage mir, was ich thun soll.«

»Klage nicht, sondern füge dich still in dein jetziges Schicksal! Das ist es, was ich von dir begehre.«

Wir waren jetzt an der Insel vorübergekommen und segelten im ungeteilten Strome. Kein Schiff war vor oder hinter uns zu sehen. Da ließ Ibn Asl die beiden vorn am Buge in einem spitzen Winkel aufeinander stoßenden Bretter, auf denen der Name des Schiffes stand, wegnehmen, umdrehen und wieder dort befestigen. War da erst die »Eidechse« zu lesen gewesen, so stand nun auf den andern Seiten der Name »Karnuk« geschrieben. Karnuk heißt Kranich, speziell der Kronkranich. Er wird nach seiner Stimme so genannt. Das »Kar – nuk – nuk – nuk« der Kronkraniche pflegt am obern Nile das Herannahen des Morgens zu verkünden.

Ibn Asl hatte also mehrere Namen für sein Schiff. Zu welchem Zwecke, das läßt sich sehr leicht denken. Es stand zu erwarten, daß der Reïs Effendina die »Eidechse« verfolgen werde; unter dem Namen »Kranich« konnte sie Hoffnung haben, ihm zu entkommen. Vielleicht bedienten auch andere Sklavenschiffe sich derselben List.

Ich sah zu meinem Leidwesen, daß der »Kranich« ein sehr guter Segler war; dennoch ließ Ibn Asl auch noch mit Stoßbäumen arbeiten, und um die Schnelligkeit des Schiffes in noch höherem Grade zu vermehren, wurde das Boot an einem Taue vorgespannt. Es saßen zwölf Männer drin, welche aus Leibeskräften ruderten und halbstündlich abgelöst wurden. Das geschah, um einen möglichst großen Vorsprung vor dem »Falken« des Reïs Effendina zu bekommen.

Da die Fahrt nun glatt im Gange war, hatte Ibn Asl wieder Zeit, sich mit uns zu beschäftigen. Er kam mit seinen beiden Offizieren, von denen der eine Oberlieutenant und der andere Lieutenant genannt wurde, zu uns. Sie standen längere Zeit da, um uns, ohne ein Wort zu sprechen, mit höhnischen, triumphierenden Blicken zu betrachten; dann fragte er mich:

»Wer war der Mann, welcher mich am Wadi el Berd verfolgte?«

»Ich war es,« antwortete ich.

»Du? Ah, du selbst! Hast du mich erwischt?«

»Blähe dich nicht auf! Daß ich dich nicht einzuholen vermochte, das hast du nicht einem Vorzuge von dir, sondern der Schnelligkeit deines Dschebel-Gerfeh-Kameles zu verdanken. Du hast nicht mich, sondern dein Tier hat das meinige besiegt.«

»Meinst du, daß ich dich nicht auch besiegen würde, elender Wurm, der du bist!«

»Sei ohne Fesseln, und nimm ein Messer in die Hand; mir aber binde die Hände hinten los und vorne zusammen, ohne daß ich ein Messer habe; dann wollen wir kämpfen. Da wird es sich zeigen, wer ein Wurm und elend ist, du oder ich!«

»Schweig!. Du hast Glück gehabt; das macht dich übermütig; aber dieser Übermut soll sich sehr bald in das Gegenteil verkehren. Ich habe mich bisher vergeblich gesehnt, dich in meine Gewalt zu bekommen; nun es endlich doch geschehen ist, sollst du erfahren, wie ein Gläubiger mit einem räudigen Christenhunde verfährt. Dir wäre besser, wenn du nicht geboren wärest! Ich werde –«

»Erspare dir die Drohungen! Ich weiß schon, was du mit mir thun willst.«

»Nun, was?«

»Zunächst die Zunge herausreißen, dann die Augen, die Ohren, die Nase und Ä Glieder einzeln abschneiden.«

»Wirklich, du weißt es! Wer hat es dir gesagt?«

»Einer, welcher wiederholt erfahren hat, daß ich keine Furcht kenne und mich selbst aus der schlimmsten Lage zu retten weiß.«

»Wer?«

»Abd Asl, dein Vater.«

»Ja, dem bist du schon einigemal entgangen. Der Scheitan hat dich beschützt. Aber das war er, nicht ich. Mir wirst du nicht entkommen. Eher fällt der Himmel ein, als daß ich dich aus den Händen lasse!«

»Das bilde dir nicht ein! Wenn mir je ein Mensch Angst zu machen vermöchte, du aber ganz gewißlich nicht.«

»Hund, du wirst schon in einigen Minuten mich um Gnade und Erbarmen anheulen!«

»Versuche es!«

»Meinst du, daß ich scherze?«

»Nein; aber du drohst nur, doch hast du nicht den Mut, es auszuführen.«

»Daß dich der Scheitan fresse! Ich will dir zeigen, daß ich wohl den Mut habe. Herbei, ihr Männer! Ihr sollt sehen, wie dieser Christenhund im ersten Grade gemartert wird.«

Die Menschen alle, welche nichts zu thun hatten, kamen herzu. Er trat in die Kajüte.

»Effendi, was fällt dir ein!« meinte Ben Nil. »Du reizest ihn. Ich kenne dich, den vorsichtigen Mann, nicht mehr. Du verschlimmerst unsere Lage!«

»Nein. Ich will ihm nur zeigen, daß wohl ich ihn in Furcht zu setzen vermag, nicht aber er mich.«

Jetzt kam Ibn Asl zurück. Er hatte eine Zange geholt, hielt dieselbe empor und rief:

»Diesem Sohne einer verfluchten Hündin sollen jetzt zunächst die Nägel von den Fingern gerissen werden, zuerst an den Daumen. Wer will das thun?«

»Ich, ich, ich, ich!« schrieen mehrere.

Ein kräftiger Kerl drängte die andern zurück, langte nach der Zange und bat.

»Gieb sie mir, Herr! Du weißt, daß ich es verstehe. Es ist nicht das erste Mal, daß ich jemand dadurch zum Singen gebracht habe.«

»Ja, thue es. Du hast Übung darin!«

Der Mensch erhielt die Zange, stellte sich zähnefletschend vor mich hin und klappte sie abwechselnd auf und zu, um mir zunächst einen idealen Vorgeschmack der späteren Schmerzen zu geben. Dann bückte er sich über mich nieder, um mich umzuwenden, da ich die Hände auf dem Rücken hatte. Darauf hatte ich gewartet. Dieser Kerl rühmte sich, schon viele durch Schmerz zum »Singen« gebracht zu haben! Ihm konnte eine Lehre gar nichts schaden. Und wenn er daran starb, so war es umso besser. Ich zog also schnell meine Kniee an mich und schnellte ihm dann beide Füße so gegen den Leib, daß er empor und kopfüber unter die andern flog, mehrere von ihnen niederriß und dann wie tot liegen blieb. Das Blut drang ihm aus dem Munde; ich nahm an, daß er sich durch den Fall in die Zunge gebissen habe.

Alles schrie, fluchte und drohte. Ibn Asl gebot Ruhe und untersuchte den Getroffenen, welcher kein Lebenszeichen gab. Er ließ ihn forttragen, ballte die Faust gegen mich und knirschte:

»Das sollst du büßen, zehnfach, hundertfach büßen! Nun sollen deine Qualen noch ganz anders sein, als ich vorher beschlossen hatte. Haltet ihn fest, damit er sich nicht bewegen kann, und dann herunter mit den Nägeln!«

Sechs, acht Kerls warfen sich auf mich. Ich wehrte mich nicht im geringsten. Einer holte die Zange, welche weit fortgeflogen war, und schickte sich an, die Operation zu vollziehen.

»Halt, vorher ein Wort, Ibn Asl!« rief ich jetzt. »Thue mit mir, was du willst; du wirst keinen Laut des Schmerzes hören. Aber was mit mir geschieht, genau dasselbe wird mit Abd Asl, deinem Vater, geschehen!«

»Mit – meinem – – Vater?« fragte er erstaunt.

»Ja. Und nicht nur mit ihm allein, sondern auch mit jedem seiner Leute, die er bei sich hat.«

»Was weißt du von meinem Vater? Wo ist er?«

»Mir entgegen, um mich zu fangen.«

»Das – ist – – richtig. Du bist ihm abermals entgangen. Er hat dich nicht getroffen.«

»Allerdings. Er hat mich nicht getroffen; aber ich habe ihn getroffen, und zwar in der Weise, daß er nun wohl nicht wieder wünschen wird, mir zu begegnen.«

»Kullu Schejatin! Alle Teufel! Sagst du die Wahrheit?«

»Glaube es, oder glaube es nicht. Mir ist es gleich.«

»Wo hast du ihn getroffen?«

»Am Brunnen.«

»An welchem?«

»Das sage ich nicht.«

»Ich muß es wissen!«

»Fällt mir nicht ein! Zunächst bleibt es mein Geheimnis.

Binde uns los, so werden wir dich zu ihm führen. Wo nicht, so hast du ihn und seinen ganzen Trupp auf dem Gewissen!«

»Das will ich gern,« lachte er. »Du willst dich durch eine Lüge retten.«

»Lüge? Woher könnte ich wissen, daß er mir entgegen ist?«

Er sah ein, daß dieser Einwand begründet war, denn er fragte:

»Sie waren zu Fuße?«

»Nein, zu Kamele.«

»Wieviel Mann?«

»Pah, meinst du, daß ich Lust habe, mich wie einen Buben ausfragen zu lassen? Es ist genug, daß du erfährst: Sie sind alle gefangen und werden dasselbe erleiden, was du mit uns thust.«

»So sind sie in der Nähe?«

»Nein. Wir sind auf Eilkamelen weit voran,«

»Warum bliebst du nicht bei ihnen?«

»Sie befinden sich in sicheren Händen. Ist dir einer bekannt, welcher sich Fakir el Fukara nennt?«

»Freilich ist er mir bekannt. Wir haben ja schon gestern abend von ihm gesprochen. Was willst du mit ihm?«

»Der kam zufällig dazu und wollte sie retten.«

»Ist es ihm gelungen?«

»Wäre ich dann hier? Er hat sein Unternehmen büßen müssen, denn er ist nun selbst gefangen. Ich begreife nicht, wie es dir einfallen kann, Leute auszusenden, welche mich fangen sollen. Es ist euch noch nicht gelungen und wird euch auch niemals gelingen.«

»Allah! Redest du irr? Du bist ja eben jetzt mein Gefangener!«

»Nein, denn du wirst mich wieder frei geben; das weiß ich sehr genau.«

»Eher soll mich der Scheitan – –«

»Halt! Fluche und schwöre nicht! Du weißt nicht, was du thust.«

»Und du bist listiger als der Fuchs. Niemand darf dir trauen. Du ahnst nur, daß wir dich fangen wollten, und thust nun so, als ob du alles genau wüßtest.«

»Kann ich auch ahnen, daß dein Vater der Anführer ist?«

»Nein. Aber warum bist du nach der Dschesireh Hassanieh gekommen?«

»Um mit dir zu unterhandeln.«

»Wer hat dir gesagt, daß ich mich dort befand?«

»Dein Vater. Das ist der allerbeste Beweis, daß ich mit ihm gesprochen habe.«

»Über was wolltest du mit mir verhandeln?«

»Über die Loslassung meiner Gefangenen.«

»Wieso? Wolltest du ein Lösegeld haben?«

»Darüber sprechen wir später.«

»So begreife ich nicht, daß du nicht schon gestern abend davon gesprochen hast.«

»Da hätte ich dir sagen müssen, wer ich bin, und es wäre mir unmöglich gewesen, den Reïs Effendina zu retten.«

»Wußtest du denn, daß ich auf ihn wartete?«

»Ja, von deinem Vater.«

»Das ist unmöglich, Effendi! Mein Vater wird dir doch nicht solche Dinge mitgeteilt haben!«

»Er hat es gethan, ohne es zu wissen.«

»Das begreife ich nicht.«

»Du wirst, wenn du mir auch fernerhin nach dem Leben trachtest, noch manches andere ebensowenig begreifen!«

»Du sprichst in einem höchst stolzen Tone und liegst doch gebunden und hilflos vor mir!«

»Hilflos? Irre dich nicht! Wenn ich nicht bis zu einer gewissen Zeit zu meinen Leuten zurückgekehrt bin, ergeht es allen unseren Gefangenen und auch deinem Vater gerade so wie denen, welche der Reïs Effendina im Wadi el Berd erschießen ließ. Sogar der Fakir el Fukara muß sterben.«

Es trat eine Pause ein, während welcher er den Eindruck meiner Worte verarbeitete. Dann fragte er:

»Wie viele von meinen Leuten sind euch entkommen?«

»Keiner.«

»Du lügst doch, trotz der Bestimmtheit, mit welcher du sprichst, und trotz des ehrlichen Gesichtes, welches du zeigst.«

»Ich sage die Wahrheit!«

»Und ich kann dir beweisen, daß du gelogen hast! Hast du vielleicht den Reiter gesehen, welcher vorhin an das Ufer kam?«

»Ja.«

»Es war Oram, einer meiner Leute. Er befand sich bei meinem Vater.«

»Dann aber sicher nicht zu der Zeit, in welcher ich deinen Trupp überfiel. Vielleicht wurde er irgend wohin gesandt, fand bei seiner Rückkehr seine Kameraden gefangen und machte sich schleunigst weiter, dir dieses zu melden.«

»Kann ich erfahren, wie es gekommen ist, daß es dir gelang, meine gegen dich ausgesandten Leute zu fangen?«

»Ich habe nichts dagegen, daß du es hörst; aber es selbst zu erzählen, dazu habe ich keine Lust.«

»So mag dieser alte Abu en Nil es erzählen!«

»Er weiß nichts davon, denn er war nicht dabei. Seit ich ihm damals in Gizeh zur Flucht verhalf, habe ich ihn nicht wiedergesehen als erst heute, da er dein Schiff bestieg.«

»Ist das wahr?«

»Frage mich nicht immerwährend, ob das, was ich sage, wahr ist! Du wirst es doch wohl begreifen, daß das eine Beleidigung für mich ist.«

»So! Wer nannte sich denn gestern Amm Selad aus Suez und entpuppte sich heute als der gesuchte Effendi? War das etwa keine Lüge?«

»Nein, eine Kriegslist.«

»Ihr Christen scheint nicht zu wissen, was man unter Lüge zu verstehen hat!«

»Und ihr Moslemin gebt euch gar nicht erst mit Kriegslisten ab, sondern ihr mordet lieber gleich. Danke Allah, daß ich mich gestern für einen andern ausgegeben habe, als ich bin! Hätte ich das nicht gethan, so trügst du nun mit dir ein Gewissen herum, welches mit einem hundertfachen Mord beschwert wäre. Ben Nil war dabei. Er mag dir erzählen.« Die Leute drängten sich noch weiter heran. Jeder wollte den interessanten Bericht hören und kein Wort desselben verlieren. Da ich vorhin die Örtlichkeit verheimlicht hatte, so war Ben Nil so klug, über dieselbe auch zu schweigen. Als er davon sprechen wollte, daß ich gelauscht hatte, verbot ich es ihm. Daß ich alles wußte und doch niemand sagen konnte, wie ich es erfahren hatte, das gab der Sache einen rätselhaften, geheimnisvollen Anstrich, welcher mir nur nützlich sein konnte. Man hörte mit fast atemloser Spannung zu, bis der Erzähler geendet hatte. Dann rief Ibn Asl aus:

»Soll man es wirklich glauben! Den Löwen von EI Teitel hast du getötet, Effendi?«

»Wie du gehört hast!«

»Dann hast du es gethan, weil du nicht wußtest, was du dabei wagtest!«

»Mein Leben wagte ich. Was sonst?«

»Ist das nicht genug? Kann ein Mensch mehr verlieren als sein Leben?«

»Jawohl, viel, viel mehr.«

»Was?«

»Das, was du schon längst verloren hast, nämlich die Ehre, den guten Namen, das Wohlgefallen bei Gott und den Menschen.«

»Effendi!« brauste er auf. »Denke ja nicht, daß ich plötzlich langmütig geworden bin! Bedenke, daß ich jetzt dein Herr und Besitzer bin! Dein Leben steht in meiner Hand!«

»Allerdings. Aber mit dem meinigen auch dasjenige deines Vaters, des Fakir el Fukara und deiner Leute.«

»Du bist gekommen, dieser Leute wegen mit mir zu verhandeln. Gieb sie frei! Was verlangst du dafür?«

»Deinen Schwur, vom Sklavenhandel abzulassen, meine Freiheit und diejenige von Ben Nil und seinem Großvater natürlich.«

»Würde mein Schwur dir genügen?«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Es ist möglich, daß ich Sicherstellung verlange.«

»Warum nimmst du an, daß ich falsch schwören könne?«

»Weil ich mehrere Moslemin kenne, welche falsch geschworen haben.«

»Dann sind sie keine wahren, echten Söhne des Propheten.«

»Nun, ich kann dir beweisen, daß der Fakir el Fukara und auch dein Vater, welcher für einen sehr heiligen Fakir gehalten wird, bei Allah und beim Barte des Propheten geschworen und dabei doch gelogen haben.«

»Warst du es, dem sie den Schwur leisteten?«

»Ja.«

»So thaten sie keine Sünde, denn du bist ein Ungläubiger.«

»Ah, ist es so? Also wenn ein Moslem einem Christen einen falschen Eid schwört, so ist das erlaubt, so ist das kein Meineid?«

»Es ist, als hätte er nichts gesagt.«

»Und da verlangst du, daß ich dich schwören lassen und dir glauben soll? Du hast dich selbst gefangen, und ich verzichte nun darauf, den menschenfreundlichen Vorschlag auszusprechen, den ich dir machen wollte.«

»So sind wir also fertig?«

»Trotzdem noch nicht. Ich mache dir ein anderes Anerbieten.«

»Laß es hören!«

»Du giebst uns drei hier frei, und ich gebe dir dafür deinen Vater und den Fakir el Fukara. Die andern Gefangenen liefere ich an den Reïs Effendina aus.«

»Welch eine Verwegenheit!« lachte er höhnisch grimmig auf. »Dieser Giaur befindet sich in unserer Gewalt und redet genau so, als ob er uns Befehle erteilen könne! – Warum erhebe ich nicht die Hand, um dich zu zerschmettern!«

»Weil du nicht kannst; sie ist dir gebunden. Sterbe ich, so stirbt dein Vater auch, und zwar vielleicht eines schlimmeren Todes als ich.«

»Das weißt du so genau?«

»Ja. Er ist so unvorsichtig gewesen, zu sagen, in welcher Weise ich von dir gemartert werden soll. Kehre ich nun zur bestimmten Stunde nicht zurück, so wird man ohne allen Verzug ihn ganz genau denselben Martern unterwerfen, und nicht nur ihn, sondern alle und jeden einzelnen Gefangenen. Laß die kostbare Zeit nicht verstreichen!«

»Wann mußt du zurück sein?«

»Das brauchst du nicht zu wissen. Je schneller du dich entschließest, desto weniger läuft dein Vater Gefahr.«

»Also euch drei Personen soll ich gegen nur zwei ausliefern! Ist das richtig gerechnet?«

»Ja, denn Abu en Nil zählt nichts, da er euch nichts gethan hat.«

»Und wie hoch schätzest du dich?«

»Bei diesem Handel bin ich nur eine Ziffer. Zwei Männer gegen zwei Männer. Der Steuermann hier geht nebenbei.«

»Ist dies dein fester, letzter Vorschlag?«

»Ja.«

»So will ich dir auch den meinigen sagen. Ihr gebt alle eure Gefangenen frei, und ich liefere dafür Abu en Nil und Ben Nil aus.«

»Und ich?«

»Du bleibst bei uns.«

»Danke! Allah ist groß. Er hat dich mit einer Klugheit begnadet, vor welcher ich, wenn ich nicht schon am Boden läge, in Demut auf den Knieen kriechen würde!«

»Und deine Weisheit ist grenzenlos, denn – – sie hat noch gar keinen Anfang gehabt! Wie kann ich dich frei geben! Denke zurück an alles, was du gegen uns begangen hast! Und dort liegt der Mann, den du vorhin ermordet hast!«

»Ermordet?«

»Ja. Er bewegt sich noch immer nicht.«

»Er wird besinnungslos sein. Untersucht ihn nur!«

»Wir haben keinen Hekim an Bord. Aber – du bist ein Fremder, ein Effendi. Alle fremden Effendi sind Ärzte. Bist du auch einer?«

»Ja.«

»So untersuche ihn!«

»Ich bin ja gefesselt.«

»Wenn ich dir die Hände frei gäbe, so würdest du einen Fluchtversuch machen!«

»Nein.«

»Wer kann dir trauen! Du bist stark, verwegen und schnell.«

»Meinst du, daß ich Lust habe, in den Nil zu springen und mich von den Krokodilen fressen zu lassen? Und selbst wenn ich so tollkühn sein wollte, so gebe ich dir mein Wort, daß ich ohne diese meine Mitgefangenen das Schiff auf keinen Fall verlasse. Gieb mir also die Hände frei! Und wenn ich den Mann untersucht habe, lasse ich sie mir ruhig wieder fesseln.«

»Gut! Aber ich nehme meine Pistole in die Hand und schieße dich bei der geringsten falschen Bewegung über den Haufen.«

Man brachte den Menschen zu mir her und löste mir die Hände. Die Füße blieben zusammengebunden. Hätte ich mein Wort brechen wollen, so wäre es mir leicht gewesen, einen Streich auszuführen, der uns gewiß von Nutzen gewesen wäre. Der Mensch, welcher ohne Bewegung vor mir lag, hatte das Messer in seinem Gürtel. Es herausziehen und meine Fußfessel durchschneiden, wäre in einem einzigen Augenblicke geschehen gewesen; ein zweiter Moment hätte genügt, Ibn Asl zu packen. Dieser hatte zwar die Pistole in der Hand, aber den Hahn nicht gespannt; er hielt sie auch nicht auf mich gerichtet, sondern niederwärts. Hätte ich ihn gefaßt und mit in die Kajüte, neben welcher wir uns befanden, gerissen, so wäre ich sein Herr gewesen und hätte ihm diktieren können, was mir beliebte. Aber ich hatte mein Wort gegeben und mußte es halten, obgleich ich überzeugt war, daß jeder dieser Menschen, von Ibn Asl an bis zum letzten seiner Leute herunter, nicht gezaudert hätte, mir den heiligsten Schwur zu brechen.

»Nun?« fragte er, als er sah, daß ich fertig war. »Hat er nur die Besinnung verloren?«

»Ja, er hat nur die Besinnung verloren und wird sie für diesmal auch nicht wieder bekommen. So ist es, wenn man unbesonnen handelt und sich darauf freut, einem Menschenkinde die Nägel auszureißen!«

»Was? – Er ist tot?«

»Ja. Er wird nie wieder einen Menschen zum ›Singen‹ bringen. Mein Fußtritt hat ihm innere Organe verletzt oder gesprengt; ferner hat er sich die Zunge zerbissen; und endlich ist er so gefallen, daß ihm das Genick gebrochen ist.«

»Allah kerihm! Du bist sein Mörder!«

»Ich nicht. Zwei andere sind es gewesen, nämlich du und er selbst.«

»Nein, du warst es, denn du hast ihm den Fußtritt versetzt. Du hast von Stunde zu Stunde immer mehr zu büßen. Denke ja nicht daran, daß ich dich frei geben kann!«

»Nein, sterben muß er!« rief der Oberlieutenant.

»Sterben, sterben!« stimmten zwanzig, dreißig, fünfzig andere ein.

»Bedenke, daß dann auch dein Vater stirbt!«

»Bedenke,« lachte er ingrimmig, »daß ich bis jetzt nur dich gehört habe und auch noch Oram hören muß! Wahrscheinlich giebt das, was er mir zu sagen hat, der Sache eine Wendung, welche dich erbeben macht. Mag es aber kommen, wie es will, dich, dich gebe ich nicht frei!«

»So willst du deinen Vater opfern?«

»Mag er sterben! Er hat lange genug gelebt. Dir habe ich nachgestrebt, ohne dich fassen zu können. Jetzt bist du mir freiwillig in die Hände gelaufen, und diese werden dich festhalten, um dich erst dann wieder zu lassen, wenn der letzte Seufzer deines Atems mit dem letzten Tropfen deines Blutes davongegangen ist. Bringt die drei Hunde fort, mir aus den Augen, hinunter in den Raum! Riegelt sie dort ein, und laßt einen Wächter bei ihnen stehen!«

Wir wurden gepackt und über das Deck nach der Luke geschleift. Dort ließ man uns über die Stiege hinabfallen, ohne zu fragen, ob wir mit heilen Gliedern unten ankommen würden. Unten war es dunkel. Man nahm uns auf und trug uns fort, ob nach vorn oder hinten, das konnte ich nicht beurteilen. Ich hörte einen Riegel gehen; er war nicht von Eisen, sondern von Holz. Wir wurden niedergeworfen; eine Thüre fiel zu; der Riegel klapperte wieder; dann sagte einer der Kerls:

»Viel zu viel Rederei mit diesen Hunden! So kurz wie möglich; das Messer ins Fleisch; das ist das beste. Allah verbrenne sie! Wer bleibt da?«

»Ich!« antwortete eine Stimme, welche mir bekannt vorkam.

»Gut! Dann löse ich dich ab. Aufzupassen giebt es eigentlich nichts. Sie sind gebunden, und wie wollten sie auch vom Schiffe kommen!«

Schritte entfernten Sich; dann wurde es draußen still. Ich fühlte, daß wir auf einer Holzdiele lagen, und horchte auf das Geräusch des Wassers, um beurteilen zu können, ob wir uns im Vorder- oder Hinterteile befanden. Es war nichts zu hören. Da man den Sog unbedingt gehört hätte, so war anzunehmen, daß wir im Vorderteile lagen. Wir lagen ganz trocken, folglich hatte man uns nicht in den eigentlichen Kielraum gebracht.

Abu en Nil wollte sprechen; ich verbot es ihm. Jetzt war die Hauptsache, sich zu orientieren. Es mußte auf jedes, selbst das geringste Geräusch geachtet werden. Draußen hörte ich ein leises Tappen und Schleichen. Es entfernte sich und kam dann wieder zurück. Dann wurde an unsere Thüre geklopft, so vorsichtig, daß man es nur wenige Schritte weit hören konnte. Wir antworteten nicht. Es klopfte wieder, diesmal etwas stärker, und als wir auch jetzt schwiegen, erklang es leise:

»Effendi, hörst du mich?«

»Ja,« antwortete ich.

»Ich bin mit Fleiß als Wächter geblieben. Wirst du mich verderben?«

»Verderben – Wer bist du denn?«

»Der, mit dem du gestern in Hegasi gesprochen hast.«

Ah, Gott sei Dank! Da begann uns ja ganz unerwartet ein Stern zu leuchten! Zwar kaum wahrnehmbar jetzt, aber wenn man es richtig anfing, konnte er sich zu einem hellen Doppelstern entwickeln und vielleicht gar zum Rettungssterne werden. Der Mann hatte Angst; er glaubte, daß ich im Zorne vielleicht mein ihm gegebenes Wort vergessen und plaudern werde. Diese Sorge kam mir sehr gelegen. Wenn Ibn Asl erfuhr, was er mir alles gesagt hatte, so stand ihm jedenfalls eine sehr harte Strafe bevor.

Ich hatte mich, falls alles andere mißglückte, auf meine Körperkraft verlassen. Wahrscheinlich war es mir möglich, den Palmfaserstrick, der meine Hände hinten vereinigte, zu zerreißen oder an einer scharfen Ecke oder Kante zu zerscheuern, Das übrige hätte sich dann gefunden. Bequemer aber war es jedenfalls, die sich jetzt bietende Gelegenheit zu benutzen. Der Mann konnte uns nicht nur ein scharfes, schneidendes Werkzeug liefern, sondern uns auch diejenigen Auskünfte erteilen, ohne welche die Flucht schwer oder gar unmöglich war. Ich kroch ganz nahe zur Thüre hin und fragte leise:

»Hast du gehört, daß mir die Nägel herausgerissen werden sollten?«

»Ja, Effendi.«

»So weißt du, was man gegen mich vorhatte, und wie es uns noch ergehen soll.«

»Ihr werdet wohl sterben müssen!«

»Aber dann Abd Asl auch mit allen seinen Leuten!«

»O, Ibn Asl läßt seinen Vater sterben, nur um dich martern zu können.«

»Was sagen seine Leute dazu?«

»Viele sind dafür. Viele wollen aber, daß ihr frei gegeben werden Sollt, falls unsere Kameraden, welche ihr gefangen habt, dadurch ihre Freiheit auch erhalten.«

»Welche Partei ist zahlreicher?«

»Das kann ich jetzt nicht sagen. Aber ich bitte dich um Allahs Willen, nichts von dem, was du von mir erfahren hast, an Ibn Asl zu verraten! Er würde mich einfach niederschießen oder den Krokodilen vorwerfen lassen.«

»Dann thut es mir leid, daß ich dich nicht schonen kann.« »Nicht? Allah kerihm – Allah ist gnädig! Willst du nicht auch Gnade üben, da du ein Christ bist?«

»Ein Christ liebt sein Leben nicht weniger als ein Moslem.«

»Aber du kannst es dir doch dadurch, daß du plauderst, gar nicht retten!«

»Da irrst du dich. Du hast mir manches gesagt, was ich zu meinem Vorteile benutzen kann.«

»Aber du hast mir ja Schweigen gelobt!«

»Soviel ich mich erinnere nur in Beziehung auf einen einzigen Punkt. Und auch dieses Gelöbnis ist hinfällig, denn ich habe es nur unter der Voraussetzung gegeben, daß ich für den gehalten würde, für den ich mich ausgegeben habe. Das ist nun aber anders geworden. Deine Mitteilungen geben mir die letzte und wichtigste Waffe in die Hand.«

»O Allah, o Prophet! So bin ich verloren!«

Er schwieg, und ich sagte auch nichts. Es galt, nun zuerst die Wirkung meiner Drohung abzuwarten. Diese fiel günstiger, viel günstiger aus, als ich für so kurze Zeit hatte erwarten können. Nach einer Weile klopfte er wieder leise und fragte:

»Effendi, höre, wenn du fliehen könntest!«

»Das wäre freilich gut, auch für dich, denn da wäre ich nicht gezwungen, von dir zu sprechen.«

»Es ist aber unmöglich, vollständig unmöglich! Du bist gefesselt, es wird stets eine Wache hier stehen. Und drittens, wenn das alles nicht wäre, wie wolltet ihr vom Schiffe kommen?«

»Hast du noch andere Bedenken?«

»Nein, nur diese drei, und das ist jedenfalls mehr als genug«

»O nein! Diese drei Punkte genieren mich ganz und gar nicht. Nur würde ich einen brauchen, der mir behilflich ist.«

»Das ist gefährlich, Effendi!«

»Ganz und gar nicht. Kein einziger Mensch würde etwas merken oder erfahren.«

»Was hätte der Mann zu thun?«

»Zweierlei, wovon das eine ebenso leicht und ungefährlich ist wie das andere. Er müßte mir zunächst ein scharfes, spitzes Messer hereingeben.«

Es trat eine Pause ein. Er überlegte. Dann erklärte er zu meiner Freude:

»Du sollst ein Messer haben.«

»Wann?«

»Sobald unser Gespräch zu Ende ist. Es steht dort hinten eine offene Kiste mit Messern und andem Werkzeugen, die man immer braucht. Und was ist das zweite, was du verlangst?«

»Auskunft, weiter nichts. Giebst du uns diese und das Messer, so hast du alles gethan, was ich verlange, und ich verspreche dir, kein Wort von dir zu reden.«

»So frage! Ich werde dir antworten, denn es ist – – halt, still, man kommt!«

Die Stiege knarrte. Es kam jemand herabgestiegen, blieb unten stehen und brannte ein Licht an. Ich sah den Schein desselben durch viele Ritzen, welche sich in der Wand unseres Gefängnisses befanden. Die Hitze des Sudans hatte die Bretter ausgedörrt; sie waren zurückgegangen und hatten Lücken zwischen sich geöffnet, von denen mehrere breiter als ein starker Messerrücken waren. Sofort kam mir der Gedanke an den Riegel. Ich suchte ihn mit dem Auge und fand ihn sehr leicht. Er war in der Mitte der Thüre angebracht, wohl eine Elle lang und vielleicht vier Zoll breit. Er lag gerade zwischen zwei Brettern auf und verdeckte eine Spalte, welche mit zu den breitesten gehörte.

Das Herz schlug mir vor Freude. Wenn man die Messerklinge durch die Spalte schob und mit der Spitze in den Riegel stieß, konnte man denselben bewegen, also von innen öffnen. Zu dieser Beobachtung hatte ich nur zwei oder drei Sekunden gebraucht, und da stand der Mann auch schon an der Thüre und öffnete dieselbe.

Ibn Asl war’s. Er hatte ein Thonlämpchen in der Hand und leuchtete herein. Ich lag auf dem Rücken und hielt scheinbar die Augen geschlossen, doch hatte ich die Lider ein ganz klein wenig geöffnet, um unser gegenwärtiges Tuskulum zu betrachten. Es war niedrig wie ein Taubenschlag, zwei Eilen hoch, drei Ellen breit und ein wenig mehr lang. Außer uns Insassen war es vollständig leer; nicht einmal ein Haken oder ein Nagel war zu sehen.

»Nun, wie gefällt es euch hier?« höhnte der Sklavenjäger. »Zeig deine Fesseln! Wollen sehen, ob sie etwa zu locker sind.«

Er setzte die Lampe nieder und untersuchte meine Stricke. Nun, er konnte zufrieden sein. Man hatte mich so fest gebunden, daß mir an den betreffenden Stellen das Blut stocken wollte.

»Hast du weiter über deinen prächtigen Vorschlag nachgedacht?« fragte er.

Ich antwortete nicht.

»Oder willst du mir wohl sagen, wann die Zeit, nach welcher man dich erwartet, abgelaufen ist?«

»Gerade dann, wann ich komme,« lautete mein Bescheid.

»Dann ist’s eine Ewigkeit, denn die Hunde, die zu dir gehören, werden dich niemals wiedersehen. Halte gut Wache, und wenn diese struppigen Schakals etwa miteinander sprechen, so nimm die Peitsche, und haue sie ihnen um die Köpfe!«

Diese letzteren Worte galten dem Wächter. Ibn Asl nahm die Lampe wieder auf, spuckte mich an und verschloß die Thüre. An der Stiege verlöschte er die Lampe, um sie dort irgend wohin zu setzen, und stieg dann empor. Unser Verbündeter wagte erst nach einer Weile wieder zu klopfen.

»Er ist fort, und wir sind sicher, Effendi,« sagte er. »Was hast du mich zu fragen?«

»Sage zunächst, was das für ein Raum ist, in welchem wir uns befinden.«

»Es ist das Sidschn el Bahriji, in welchem diejenigen von uns, welche diese Strafe verdient haben, krumm geschlossen werden.«

»Wo schlaft ihr des Nachts?«

»Hier in diesem Raume und auch unten im Kielraume, wenn wir keine Menschenladung haben.«

»So müßten wir mitten durch die Schlafenden hindurch?«

»Ja.«

»Das ist freilich schlimm!«

»Die Mannschaft befindet sich des Abends am Ufer und legt sich erst spät im Schiffe nieder, gewöhnlich um dieselbe Zeit wie gestern.«

»Kennst du den Maijeh es Saratin?«

»Sehr genau. Wir sind schon oft dort gewesen, um uns zu verstecken.«

»Wo liegt diese Bucht des Niles?«

»Am linken Ufer jenseits des Dorfes Qaua. Ihr Eingang ist so verwachsen, daß einer, der sie nicht kennt, sie gar nicht findet. Und wenn man hineinkommt, so kann der Rumpf des Schiffes sich unter den überhängenden Ästen, Zweigen, Büschen und Schlingpflanzen vollständig verstecken.«

»Dort wird Oram, der Kamelreiter, euch heute erwarten?«

»Ja.«

»Wann erreichen wir den Maijeh?«

»Wohl noch vor Mitternacht, da wir uns solche Mühe geben, schnell vorwärts zu kommen. Wir fahren nach Mittag an der Insel Mohabileh und, wenn es Abend geworden ist, an Qaua vorüber.«

»Kannst du es nicht so einrichten, daß du, wenn wir den Maijeh erreichen, die Wache wieder hast?«

»Sehr leicht. Aber, wollt ihr etwa da entweichen?«

»Nein. Dadurch würden wir ja dich ins Unglück bringen. Wir gehen erst später, wenn du fort bist; aber das muß sein, wenn sich die Leute noch am Ufer befinden. Wenn sie sich hier im Raume zum Schlafen niedergelegt haben, ist es zu spät. Giebt es einen unter deinen Kameraden, einen recht bösen, schlechten Halunken, den du nicht leiden magst?«

»O, mehrere!«

»Könntest du es nicht so einrichten, daß ein solcher Kerl nach dir die Wache bekommt?«

»Wenn ich es schlau genug anfange, kann ich es vielleicht fertig bringen.«

»Versuche es wenigstens! je schlimmer dieser Mensch, desto lieber ist es mir, da er, wenn uns die Flucht gelingt, jedenfalls bestraft wird. Und nun die Hauptsache: Du mußt uns sagen können, wo sich unsere Waffen befinden, ohne welche ich nicht gehen möchte.«

»Ibn Asl hat sie in seiner Kajüte. Er betrachtet sie als seine Beute.«

»So passe genau auf, ob sie dort bleiben oder vielleicht an einen andern Ort geschafft werden. Ich muß das unbedingt wissen. Machst du deine Sache zu meiner Zufriedenheit, so werde ich dich nicht nur nicht verraten, sondern dir noch extra ein Geschenk geben. Man hat uns alles gelassen, was sich in unsern Taschen befindet. Das ist für uns kein gutes Zeichen, sondern ein Beweis, daß man uns ganz sicher zu haben glaubt. Im letzten Augenblicke, wenn ich überzeugt bin, daß die Flucht glückt, werde ich, ehe wir vom Schiffe gehen, dir deine Belohnung an eine Stelle legen, welche du mir jetzt bezeichnen magst.«

»Wenn du mir etwas schenken willst, Effendi, so giebt es keinen bessern Ort, als dort unter der Stiege. Dort liegen einige alte Palmenmatten, unter welche du es stecken kannst.«

»So hole es sofort, wenn wir fort sind, damit es nicht etwa ein anderer zufällig findet.«

»Wie aber weiß ich denn, daß ihr fort seid? Es darf ja kein Mensch eure Entfernung hören oder sehen.«

»Ich werde dir ein Zeichen geben. Es giebt in den hiesigen Wäldern kleine Meerkatzen. Hast du einmal das zornige Kreischen eines solchen Affen, wenn er von einem andern in seiner Nachtruhe gestört wird, gehört?«

»Sehr oft.«

»Gut! Das ist ein Geräusch, welches nicht auffallen kann. Damit du aber weißt, daß ich es bin, der es verursacht, und nicht ein wirklicher Affe, werde ich es dreimal wiederholen, erst mit einer längern und dann mit einer sehr kurzen Pause. Sobald du das gehört hast, gehst du an Bord, wo du unter den Matten das Geschenk finden wirst.«

»Effendi, ich wünsche von ganzem Herzen, daß ich es finde, einesteils um es zu bekommen und andernteils weil es die Gewißheit giebt, daß eure Flucht geglückt ist. Was habe ich noch zu thun?«

»Ich möchte sehr gern wissen, was der Kamelreiter euch zu berichten hat; es ist aber für uns unmöglich, es zu erfahren, weil wir, wenn das Gespräch mit ihm zu Ende ist, schon fort sein müssen.«

»Vielleicht könnte ich euch wenigstens etwas davon sagen.«

»Auf welche Weise denn und wo?«

»Hier unten.«

»In Gegenwart des Wächters?«

»Ja, denn ich werde thun, als ob ich es diesem erzählen will. Ihr könnt doch nicht sogleich fort, wenn wir ans Land legen; Oram aber wird sofort erzählen. Ich höre zu. Euer Wächter kann diese Neuigkeit nicht hören, weil er sich im Schiffe befindet, und so gehe ich zu ihm, um sie ihm zu bringen. Ihr hört, was ich mit ihm spreche, und wißt also, woran ihr seid.«

& »Das ist ein wirklich vortrefflicher Gedanke! Mein Geschenk wird um so größer sein, je mehr ich mit dir zufrieden bin. Jetzt habe ich dir nichts mehr zu sagen. Ich weiß genug und will mit dem übrigen dein Gewissen nicht in Unruhe versetzen.«

Das Gespräch war zu Ende, und unser Verbündeter holte mir das Messer. Es war scharf und spitz, so wie ich es brauchte, scharf zum Durchschneiden der Stricke und spitz, um es als Stichwaffe zu gebrauchen. Denn ich war fest entschlossen, jeden, der sich uns entgegenstellen sollte, zu töten, und glaubte, mir kein Gewissen daraus machen zu müssen.

Welch ein Glück, daß dieser Mann eine solche Angst hatte, von mir verraten zu werden! Ich war beinahe überzeugt, daß wir um Mitternacht frei sein würden. Er hatte eine Stunde Wache zu halten und wurde dann abgelöst. Im Laufe des Nachmittages kam mir der Gedanke, einmal nachzusehen, ob nur die Innenwände unsers Gefängnisses Ritzen und Lücken besaßen. Dazu mußte ich mich aufrichten, was mir nach einiger Mühe auch gelang.

Ich hatte alle Ursache, mit dieser Untersuchung zufrieden zu sein. Das Schiff ging, da es nicht beladen war, nicht tief im Wasser. Die Gegend der äußern Wand, welche gewöhnlich unter dem Wasser, jetzt aber über demselben lag, war von den Sonnenstrahlen ausgetrocknet worden; das Pech war aus den Plankenritzen gelaufen, und indem ich den Griff des Messers zwischen die Zähne nahm, konnte ich mit der Spitze desselben so viel Werg nach außen stoßen, daß an einigen Stellen Öffnungen entstanden, welche groß genug waren, dem Auge einen Blick ins Freie zu gestatten. Das konnte besonders am Abend von großem Vorteil für uns sein. Jetzt sah ich das Boot noch immer vorgespannt. Man hatte auf demselben sogar, um die Ruderer zu unterstützen, einen kleinen Mast errichtet, welcher ein Segel trug. Dies war allerdings nur durch den steifen Luftzug, welcher wehte, ermöglicht worden, sonst hätte das Boot, da es am Schlepptau zog, leicht kentern können.

Gegen Abend kam Ibn Asl abermals, um nach meinen Fesseln zu sehen. Er schien nur mich für gefährlich zu halten, da er die Stricke der andern nicht untersuchte. Das Messer bemerkte er nicht; es lag in der hintersten Ecke bei dem alten Steuermanne, welcher dort hockte. Da ich im Besitze dieses Instrumentes war, hätte ich uns leicht die Fesseln lockern können; aber ich verzichtete darauf, es zu thun, da ich annahm, daß Ibn Asl nochmals kommen und wenigstens die meinigen wieder untersuchen werde.

Ich lehnte mich an die Außenwand und sah durch die von mir gemachten Löcher hinaus auf den Nil. Wir waren längst an der Dschesireh Mohabileh vorüber und mußten bald das Dorf Qaua passieren. Die Schatten des linken Ufers lagen über der ganzen Breite des Flusses, ein Zeichen, daß die Sonne im Sinken sei. Bald wurde es Abend, und da ich nun nichts mehr zu sehen vermochte, legte ich mich wieder nieder.

Es mochte nach abendländischer Zeitrechnung gegen acht Uhr sein, als unser Verbündeter die Wache wieder übernahm. Er sprach nur kurze Zeit mit uns. Er hatte seine Gesinnung nicht geändert und teilte uns mit, daß nach ihm einer kommen werde, dem es zu gönnen sei, daß er wegen unserer Flucht bestraft werde.

»Und wann werden wir den Maijeh erreichen?« fragte ich.

»Kurze Zeit nachdem meine Wache zu Ende ist,« antwortete er. »Das paßt vortrefflich für unsere Absichten. Ich werde da gleich mit an das Land gehen, und wenn etwas Unerwartetes geschehen sollte, so kann ich euch warnen. Übrigens liegen eure Waffen bei Ibn Asl in der Vorkajüte.«

Die Zeit verging, und er wurde abgelöst. Wir sprachen leise miteinander. Sein Nachfolger hörte es, öffnete die Thüre und schlug mit der Peitsche herein, die er sich zu diesem Zwecke mitgebracht hatte. Dabei ließ er es an »Giaurs« und »Christenhunden« nicht fehlen. Nun, dem Manne sollte meine Anerkennung recht bald werden. Kurze Zeit später ertönten laute Kommandorufe über uns; wir hörten Taue über das Deck streifen; man nahm die Segel ein. Der Maijeh mußte sich also in der Nähe befinden. Dann vernahmen wir das Knarren der Stemmbäume gegen die Bordkanten. Man schob das Schiff aus dem Flusse in den Maijeh.

Ich erhob mich und sah hinaus. Es war ganz dunkel; ich konnte den Himmel nicht erkennen. Das Schiff befand sich also schon unter den Wipfeln der Bäume des Maijeh. Dann aber wurde es hell. Ein Feuer brannte am Ufer, und bei demselben stand ein Mann, welcher rief. »Hierher! Werft das Tau herab; ich winde es um den Baum.«

Man hielt es für überflüssig, den Anker fallen zu lassen. Es wurde vielmehr vom Vorder- und Hinterteile je ein Tau ausgeworfen, mit denen man das Fahrzeug ganz ans Ufer ziehen und dort an zwei Bäumen befestigen konnte. Zu diesem Zwecke wurde, als das Vorderteil angehängt war, die Leiter hinabgelassen, über welche mehrere Männer an das Und stiegen.

Die Wand, an welcher ich lehnte, lag nach dem Ufer zu, so daß ich, wenigstens so weit mein enger Gesichtskreis reichte, sehen konnte, was dort geschah. Das übrige mußte ich erraten. Als das Schiff vollständig fest lag, gingen auch die andern an das Land. Es stand zu erwarten, daß Ibn Asl dies auch thun, uns aber vorher noch einen Besuch abstatten werde. Darum ließ ich mich wieder niedergleiten. Kaum war dies geschehen, so knarrte die Stiege, die Lampe wurde angesteckt, und ich hörte seine Stimme:

»Nun, ist alles in Ordnung?«

»Alles,« antwortete der Wächter. »Die Hunde bellten miteinander; da habe ich sie mit der Peitsche zur Ruhe gebracht.«

»Recht so! Hau nur tüchtig zu!«

Er öffnete die Thüre, leuchtete mit der einen Hand herein, untersuchte mit der andern meine Fesseln und sagte dann, mir höhnisch zugrinsend:

»Jetzt werde ich mit dem Manne sprechen, und euer Schicksal wird sich entscheiden. Mache dich gefaßt! Deine Martern beginnen schon am heutigen Abend.«

»Du redest wie ein Kind,« antwortete ich. »An meinem Schicksale kannst du nichts ändern. Es hat sich schon entschieden. Du vermagst uns nichts anzuhaben.«

Er schlug ein lautes Gelächter auf und rief:

»Die Angst hat dich verrückt gemacht! In einer Stunde wirst du anders singen.«

»Du hast heute erfahren, wie es denen ergeht, welche mich singen machen wollen.«

»Das konnte nur einmal geschehen; zum zweitenmale wird es dir aber nicht gelingen.«

Er verriegelte die Thüre, löschte die Lampe aus und ging. Ich stand auf und blickte wieder hinaus. Man schnitt das am Ufer wachsende Schilf ab, um Lagerplätze zu gewinnen, und brannte noch einige Feuer an. Ich konnte sie zwar nicht sehen, vermutete es aber aus der vermehrten Helligkeit und weil die Baumstämme nicht nur einen, sondern mehrere Schatten warfen.

Jetzt war die Zeit gekommen, uns von den Fesseln zu befreien. Ich schob also mit dem Fuße das Messer aus dem Winkel vor, wälzte mich dann um und nahm es in die Hand. Ben Nil mußte sich mit seinem Rücken gegen den meinigen legen, so daß ich die Klinge in die Fesseln seiner Hände stecken konnte. Ich mußte vorsichtig sein, um ihn nicht zu schneiden oder zu stechen; es ging nicht leicht, aber es ging doch. Bald hatte er die Hände frei. Nun nahm er das Messer, um zuerst seine Füße frei zu bekommen und dann auch uns von den Stricken zu erlösen. Das geschah alles so geräuschlos, daß der Wächter es nicht hören konnte.

Darauf warteten wir, ob unser Verbündeter Wort halten könne und kommen werde. Erst nach einer halben Stunde knarrte die Stiege wieder, und wir hörten seine Stimme:

»Wenn du herauf und herauskommen könntest! Es giebt soviel zu hören.«

»Willst du mich ärgern?« antwortete der Wachthabende. »Der Teufel hat es dem Lieutenant eingegeben, gerade mich und gerade jetzt hier herunterzustellen. Was giebt es denn?«

»Der ungläubige Effendi hat wirklich die Wahrheit gesagt. Unsere Kameraden sind gefangen und acht von ihnen mit dem Kolben erschlagen worden!«

»Allah vernichte die Brut dieses Reïs Effendina! Um diesen verdammten christlichen Effendi aber ist es nun ganz gewiß geschehen! Wie ist denn Oram entkommen? Er hat sich wohl gar nicht ergreifen lassen?«

»O doch! Aber die Asaker haben ihn nicht fest gebunden gehabt. Gegen Morgen ist es ihm gelungen, sich loszumachen. Er hat sich davongeschlichen und sogar ein Kamel mitgenommen. Natürlich ist er sofort in einer Tour nach der Hassanieh geritten, um uns zu benachrichtigen, aber einige Minuten zu spät gekommen.«

»Warum kam er nicht bei unserm Lagerplatze, sondern weiter oben an den Nil?«

»Weil er nicht konnte. Er sah die Asaker des Reïs Effendina sich nach dem Platze wenden. Unsere gefangenen Kameraden werden nicht nach Chartum, wie eigentlich beschlossen war, sondern nach Hegasi gebracht, wo die Asaker von dem christlichen Effendi erwartet werden sollen.«

»Er wird sie niemals wiedersehen, und sie werden von uns in der gehörigen Weise empfangen werden, denn ich hoffe doch, daß Ibn Asl alles thun wird, unsere Gefährten zu retten!«

»Das ist selbstverständlich.«

»Aber es ist keine Zeit zu verlieren! Wenn ich nur unten sein könnte. Willst du nicht die Wache für mich thun? Ich gebe dir dafür gern – –«

»Fällt mir gar nicht ein!« unterbrach ihn der andere. »Ich habe soeben erst zwei Stunden hier gestanden.«

Die Stiege knarrte wieder. Er ging. Er hatte Wort gehalten, und das, was er mir auf diese Weise mitgeteilt hatte, war von sehr hohem Werte für uns. Darum sollte er die ihm versprochene Gratifikation erhalten. Er war zwar unser Feind und außerdem ein schlechter Mensch, aber ich mußte Wort halten. Er sollte mich, den Christen, nicht einen Betrüger nennen können.

Übrigens war das Gespräch auch von noch anderem Vorteile für uns gewesen. Das Öffnen des Riegels mit Hilfe des Messers mußte nämlich ein, wenn auch geringes, aber doch immerhin ein Geräusch verursachen, welches den Posten leicht aufmerksam machen konnte. Außerdem hatte der letztere an der Angelseite gestanden, so daß, wenn wir die Thüre öffneten, er uns im Wege stand und wir sie nicht ganz aufbringen konnten. Er hätte also hinter derselben gestanden, und es wäre nicht leicht gewesen, so schnell an ihn zu kommen, wie es nötig war, wenn man ihn unschädlich machen wollte, ohne daß er um Hilfe zu rufen oder gar Widerstand zu leisten vermochte.

Diesen Übelständen war nun Abhilfe geschafft worden. Der Mann war nämlich, um den andern besser verstehen zu können, mehrere Schritte nach der Stiege zu gegangen; er hatte also die Thüre frei gegeben. Während sie laut miteinander sprachen, steckte ich die Spitze des Messers durch die Ritze in das Holz des Riegels und schob den letzteren zurück. Das gab ein Geräusch, welches der Wächter aber nicht hörte. Ich stieß die Thüre auf und kroch hinaus. Die andern beiden folgten. Um ihnen Platz zu machen, mußte ich avancieren und kam hart hinter dem Wächter zu stehen, als er eben seinen Kameraden aufforderte, für ihn die Wache zu übernehmen. Als dieser nun ging, drehte er sich um und stieß an mich. Im Nu hatte ich ihn mit beiden Händen am Halse. Er brach aus Mangel an Luft, vielleicht auch mit vor Schreck, unter meinem Griffe zusammen, wurde mit seinem Gürtel gebunden und bekam den Fez, welchen er auf dem Kopfe hatte, in den Mund gesteckt.

Nun ging ich zur Stiege und stieg sehr vorsichtig, damit sie nicht knarren möge, hinauf, um zunächst zu rekognoszieren. Was ich sah, erfüllte mich mit großer Freude, denn die Umstände konnten uns gar nicht günstiger sein. Die am Ufer brennenden Feuer konnte ich zwar nicht sehen, aber sie verbreiteten einen Schein, welcher sogar das Deck genugsam erleuchtete. Ich sah, daß sich kein Mensch auf demselben befand, und stieg wieder hinab.

Dort nahm ich von meinem Gelde soviel heraus, wie ich für angezeigt hielt, und legte es unter die unterste Palmenmatte. Dann kehrte ich, natürlich von meinen beiden Gefährten begleitet, auf Deck zurück. Aufrichten durften wir uns nicht, da wir da möglicherweise gesehen werden konnten. Wir krochen nach der Kajüte, um unsere Waffen zu holen. Das war die Hauptsache. Es war zwar dunkel in dem Vorraume, aber mit Hilfe des Tastsinnes fanden wir schnell, was wir suchten.

»Was aber nun?« flüsterte Ben Nil. »Es ist natürlich gefährlich, die Leiter hinabzusteigen.«

»Da haben sie uns beim Kragen, noch ehe wir mit den Füßen den Boden erreichen,« stimmte sein Großvater bei.

»Aber es giebt keinen andern Weg! Am besten ist’s, wir steigen nicht, sondern wir springen hinab, mitten unter sie hinein. Sie werden erstaunen, erschrecken, und ehe sie sich besinnen können, sind wir fort.«

»Werden meine alten Beine einen solchen Sprung aushalten?«

»Sorge dich nicht!« tröstete ich ihn. »Wir werden weder steigen noch springen, sondern klettern. Wir steigen in das Boot des Schiffes, das nach dem Flusse zu hängt, und rudern davon.«

»Allah, Wallah, Tallah! Das ist ein prächtiger Gedanke! Aber – es wird dennoch nicht gehen.«

»Warum?«

»Weil das Boot hinten am Schiffe hängen wird. Da liegt es im Scheine der Feuer, und wir können also nicht hinein.«

»Ich vermute, daß es am Vorderteile hängt. Es ist ja vorgespannt gewesen, und so wird man, als nach dem Maijeh. eingelenkt wurde, das Bugsiertau, an welchem es hing, einfach eingezogen haben. Man hatte die Segel einzunehmen und die Masten niederzulegen. Da gab es, zumal es dunkel war, soviel zu thun, daß man sich nicht die Zeit nehmen konnte, das Boot von vorn nach hinten zu bringen. Kommt, ihr werdet sehen!«

Wir krochen nach vorn, nach der dem Wasser zugewendeten Seite des Schiffes. Da unsere Feinde sich auf der andern Seite befanden, konnten wir, ohne von ihnen gesehen zu werden, uns aufrichten und über die Brüstung blicken. Ja, da hing das Boot an einem Tau, welches so stark war, daß der schwerste Mann sich demselben getrost anvertrauen konnte. Es lag im Schatten; wir konnten also nicht sehen, ob die Ruder sich darin befanden; jedenfalls aber hatte man sie nicht an Bord genommen; wenigstens sahen wir sie nicht hier oben liegen. Etwas Helles lag im Boote.

»Was mag das sein?« fragte Ben Nil.

»Wahrscheinlich das Segel, welches ich heute während der Fahrt aufgerichtet gesehen habe. In diesem Falle liegt auch der Mast dabei, und das ist sehr gut, da wir uns mit Rudern nicht sehr anzustrengen brauchen.«

Wir befanden uns in der Nähe des kleinen Vordermastes. Dort hatte ich heute früh ein Bündel Palmfaserfackeln liegen sehen, wie sie in jenen Gegenden bei verschiedenen Gelegenheiten im Gebrauche sind. Ich kroch hin. Sie lagen noch da; ich nahm einige, kehrte an die Brüstung zurück und warf sie hinunter in das Boot.

»Wozu willst du Fackeln mitnehmen?« fragte Ben Nil.

»Davon später. Jetzt haben wir genug gesprochen und gezögert. Jetzt wollen wir über Bord. Steig du zuerst hinab; dein Großvater wird folgen, und ich mache den letzten.«

Er warf seine Flinte am Riemen über den Rücken und stieg über die Brüstung, um sich am Taue hinabzuturnen. In diesem Augenblicke hörte ich die Stimme Ibn Asls rufen:

»Bringt auch einen Krugvoll Raki mit!«

Raki ist Schnaps, den die Muhammedaner trinken dürfen. Die Worte sagten mir, daß mehrere, wenigstens zwei Männer, unterwegs nach dem Decke seien. Ich drehte mich um. Wirklich, da kam einer gestiegen, hinter ihm ein zweiter.

»Schnell, schnell!« raunte ich Abu en Nil zu. »Noch haben sie uns nicht gesehen!«

Ich kauerte mich nieder, um ihnen nicht sofort in die Augen zu fallen. Aber der alte Steuermann mußte über die Brüstung; ihn mußten sie bemerken. Und da kam auch noch ein dritter hinterher gestiegen. Der erste, vorderste sah den Alten und infolgedessen auch mich. Er begriff die Situation auf der Stelle und schrie:

»Auf, herbei ihr Männer! Die Gefangenen sind los! Sie wollen fort!«

Er stürzte herbei; die beiden andern folgten. Ich blieb kauern, um nicht erraten zu lassen, was ich beabsichtigte. Als der erste noch drei Schritte bis zu mir hatte, schnellte ich mich auf und rannte ihm den Gewehrkolben in der Weise gegen den Leib, daß er zurück- und niederflog; den zweiten, welcher eben den Arm nach mir ausstreckte, schlug ich über den Kopf: er brach auch zusammen. Der dritte war mir auch schon nahe. Er war klüger als die beiden vorigen, denn er zog sein Pistol und drückte es auf mich ab. Ich sprang zur Seite und wurde nicht getroffen; desto sicherer aber warf ihn in der nächsten Sekunde mein Kolben nieder.

Die drei Kerls hatten aus Leibeskräften gebrüllt. Jetzt lagen sie lautlos da. Unten antwortete man. Es schrie, wer schreien konnte. Natürlich eilte man herbei; in wenigen Augenblicken konnte es zu spät für mich sein. Gleich nach dem letzten Kolbenhiebe wendete ich mich um. Der alte Abu en Nil war weg. Ein Sprung nach der Brüstung, hinauf, hinüber, das Tau fassen, hinunter ins Boot, das Messer ziehen und das Tau zerschneiden – da erklang oben die brüllende Stimme Asls:

»Wo sind sie? Sucht, sucht! Sie haben uns diese drei erschlagen. Ich sehe sie nicht. Sie werden in der Kajüte stecken, die Hunde. Greift sie; schnell, schnell!«

Schon hatte ich das Boot vom Schiffe abgedrängt und das Steuer ergriffen. Die Ruder lagen da.

»Setzt euch!« gebot ich mit leiser Stimme. »Ibn Asl ahnt nicht, wo wir sind. Nur erst aus dem Bereiche seiner Augen; dann mag er meinetwegen schießen. Nehmt die Ruder. Macht aber leise und im Takt!«

Sie gehorchten. Die Spitze des Bootes richtete sich im rechten Winkel vom Schiffe ab. Ich durfte nicht anders steuern; ich mußte in dem tiefen Schatten bleiben, welchen der Noquer auf das Wasser warf. Als wir uns in guter Entfernung befanden, ließ ich halten. Kein Mensch befand sich mehr am Ufer. Alle, alle waren an Bord geeilt, um nach uns zu suchen. Das gab ein Schreien und Brüllen, daß ein einzelnes Wort gar nicht verstanden werden konnte. Jedenfalls hatte man den Wächter gefunden, uns aber nicht. Dann trat eine plötzliche Stille ein. Unser vollständiges Verschwinden war ihnen unerklärlich. Sie berieten, wie es schien, denn während sie vorher bunt durcheinander gerannt waren, standen sie jetzt ruhig beieinander. Wir waren nur ungefähr dreißig Bootslängen von ihnen entfernt und konnten ihre Gestalten sehen.

»Jetzt kannst du die Stimme des Affen nachahmen,« meinte der Steuermann. »Wir sind frei.«

»Ich werde auf diese Nachahmung verzichten,« antwortete ich, »und direkt mit Ibn Asl reden.«

»Da hören sie, wo wir uns befinden. Viele seiner Leute haben die Gewehre in den Händen. Es ist zwar dunkel, aber wenn sie schießen, können wir aus Zufall doch getroffen werden.«

»Ich führe sie irre, und das wird dir Spaß machen.«

Mich nicht gegen das Schiff, sondern wasseraufwärts wendend, hielt ich die hohlen Hände an den Mund und rief durch dieses Sprachrohr, indem ich die Silben langsam ausdehnte: »Ibn Asl, Ibn Asl, komm, hole uns!«

Der hohe und dichte Wald, welcher das Wasser einfaßte, machte, daß es so klang, als ob die Worte weit oben im Maijeh gerufen worden seien. Meine Stimme war deutlich zu erkennen.

»Das ist er, der Hund, der Hundesohn!« schrie Ibn Asl. »Da droben sind sie, auf dem Wasser! Sie müssen unser Boot haben!«

Wir bemerkten, daß man sogleich nach dem Boote sah.

»Ja, wir haben es!« antwortete ich in derselben Weise. »Jetzt laß mich doch einmal singen!«

»Hört ihr’s, hört ihr’s!« brüllte er wütend. »Sie sind mit dem Boote fort. Da oben, vielleicht achtzig Schritte von hier. Schießt, schießt, ihr Männer!«

Viele Schüsse krachten westwärts, während wir uns in südlicher Richtung befanden. Auf die gegebene Örtlichkeit rechnend, wendete ich jetzt das Gesicht nach Osten, lachte so schallend wie möglich auf und fügte hinzu:

»Fehlgeschossen! Wo sucht ihr uns denn?«

Das klang von der entgegengesetzten Seite her. Alle drehten sich um, und Ibn Asl gebot:

»Nicht da oben, sondern dort unten sind sie. Schießt dorthin, dorthin!«

Man gehorchte ihm, natürlich ohne allen Erfolg. Ich wendete mich wieder nach der vorigen Richtung und ließ ein möglichst höhnisches Gelächter hören. Sofort wendeten sie sich wieder um.

»Er hat den Teufel!« schrie Ibn Asl.«Ich hab’s gewußt, daß er den Teufel hat! Nun ist er wieder dort oben!«

Meine Absicht, sie irre zu führen, war geglückt, und wir konnten nun ohne Sorge vor ihren Kugeln die Flucht fortsetzen. Das war nicht etwa etwas ganz Leichtes. Keiner von uns kannte den Maijeh. Wo befand sich der Eingang desselben, welcher, wie wir gehört hatten, durch Pflanzenwuchs maskiert war? Ich hatte keine Ahnung davon, und den beiden andern ging es ebenso. Wir konnten uns nur die ungefähre Richtung denken.

Dazu kam, daß diese stehenden Flußarme gewöhnlich von Krokodilen, weiter südwärts auch mit Nilpferden bevölkert sind. Der Maijeh es Saratin lag am linken Nilufer; das war alles, was wir wußten. Glücklicherweise kannte Abu en Nil den Fluß sehr genau. Ich fragte ihn:

»Welche Richtung hat der Nil oberhalb des Dorfes Qaua?«

»Er fließt nach Nordnordwest.«

»So wollen wir versuchen, ihn zu finden. Rudert langsam.«

Ich hielt noch mehr von dem Schiffe ab, fast bis an das andere Ufer hinüber, und wendete dann nach links. Wir sahen die Sterne über uns. Der Himmel bildete einen schmalen Streifen, welchem wir zu folgen hatten. Dieser Streifen wurde immer schmäler, bis er vor uns zu Ende ging. Das Laubdach des Waldes nahm uns auf.

»Zieht die Ruder ein!« riet ich. »Wir müssen in der Nähe des Einganges sein. Vielleicht giebt es eine wenn auch nur geringe Strömung da. Wir wollen das Boot treiben lassen.«

»Das ist gefährlich,« warnte der Steuermann. »Wenn wir anstoßen und kentern, werden wir von den Krokodilen gefressen.«

»Wir werden nicht anstoßen.«

Ich zog das Feuerzeug, brannte eine Fackel an und gab sie Ben Nil, um sie am Vorderteile des Bootes zu befestigen. Ob Ibn Asl das Licht sah, das mußte uns gleichgültig sein.

Beim Scheine der Fackel bemerkten wir, daß wir uns unter Sunutbäumen befanden, welche, wie wir mit dem Ruder maßen, gegen zwei Ellen unter Wasser standen. Das war der Eingang zum Maijeh natürlich nicht. Wir legten an einem Stamm an, und ich warf einige Blätter in das Wasser. Sie bewegten sich; sie wurden fortgeführt. Wir folgten langsam nach, links ab von der bisher eingehaltenen Richtung. Da wurde das Wasser tiefer, so tief, daß wir den Grund selbst mit unserm Maste nicht erreichen konnten. Es bewegte sich auch schneller, aber kreisförmig.

»Wir fahren irre,« behauptete Ben Nil. »Wir müssen zurück.«

»Nein,« widersprach sein Großvater. »Wir sind richtig. Das Wasser läuft hier im Kreise, weil in der Nähe der Nil vorübergeht. Er ist durch die Pflanzen verdeckt. Wir müssen hindurch.«

Hindurch! ja, aber wo denn? jedenfalls geradeaus. Zu beiden Seiten gab es Bäume. Das sahen wir. Die Wipfel dieser Bäume waren von Schlingpflanzen durchwuchert, welche sich von Gipfel zu Gipfel zogen und eine bis in das Wasser niederhängende Pflanzenbrücke bildeten. Da, wo diese Brücke sich links von uns aus der Flut erhob, waren die Ranken derselben vielfach zerrissen. Auf diese Stelle deutend, sagte ich:

»Dort muß es sein. Dort sind von dem Noquer, als er hindurch geschoben wurde, die Pflanzen zerrissen worden. Nehmt die Ruder wieder. Wir wollen es wenigstens versuchen.«

Wir hielten auf die Stelle zu. Die Ranken hingen viel höher über uns, als es vorhin den Anschein gehabt hatte. Wir kamen ganz leicht hindurch, und plötzlich lag der Wald hinter uns, der offene Fluß vor uns und der mit Sternen übersäte Himmel über uns.

»Allah sei Dank!« seufzte der Steuermann. »Es wollte mir beinahe bange werden. Hätten wir den Ausgang nicht entdeckt, so wären wir vielleicht doch von In Asl aufgegriffen worden.«

»Unmöglich!« antwortete ich. »Hätten wir den Fluß nicht gefunden, so wären wir an das Ufer gegangen und es sollte Ibn Asl wohl schwer werden, uns da zu finden und gar zu fangen. So aber ist es doch noch besser. Wir sind frei und haben offene Fahrt zum Reïs Effendina.«

»Wo suchst du ihn? Meinst du, daß er sich noch unten an der Dschesireh Hassanieh befindet?«

»Um das zu wissen, müßte ich allwissend sein. Zunächst gilt es, möglichst schnell zu sein. Was haben wir für Luft?«

»Des Nachts hier meist aus Süd.«

Wir prüften den hier am Ufer nur leise fühlbaren Luftzug und fanden, daß er uns günstig war. Darum richteten wir den Mast auf und befestigten das Segel daran. Da der Steuermann der älteste von uns war und sich nicht so sehr anstrengen sollte, übergab ich ihm nun meinen bisherigen Platz und griff mit Ben Nil zu dem Ruder.

»Soll ich nach der Mitte des Stromes halten?« fragte der Alte.

»Nicht ganz.«

»Warum nicht? Wir haben dort ja vollern Wind.«

»Das ist wahr; aber wir könnten da den Reïs Effendina verfehlen.«

»So meinst du also doch, daß er jetzt aufwärts kommt?«

»Nein; aber er kann irgendwo am Ufer liegen. Mag er sich befinden, wo er will, jedenfalls hält er scharfe Wache. Darum habe ich die Fackeln mitgenommen. Er soll uns bemerken und anrufen, damit wir nicht an ihm vorüberfahren.«

»So bitte ich dich, mich nach meinen Gedanken steuern zu lassen. Ich kenne die Bahn, welche die Schiffer einzuhalten pflegen, und auch diejenigen Stellen, wo man anlegen und den Fluß beobachten kann.«

Ich konnte nichts Klügeres thun, als ihm seinen Willen zu lassen. Hätte ich nur gewußt, wo der Reïs Effendina zu suchen war! Er hatte die Vögel ausgeflogen gefunden; er hatte jedenfalls mit den Leuten des Schiffes, welches angehalten worden war, gesprochen und da genug erfahren, um wissen zu können, in welcher Richtung er die Gesuchten finden könne. Ich nahm an, daß er mit seinen Asakern schleunigst nach Hegasi zurückgekehrt sei und dort seinen »Falken« bestiegen habe, um südwärts zu segeln. Traf dies zu, so mußten wir ihm entweder unterwegs begegnen oder er hatte beim Anbruche des Abends irgendwo angelegt, und zwar an einer Stelle, wo er jedes vorüberkommende Fahrzeug sehen konnte.

Unsere jetzige Nachtfahrt ging freilich schneller als die heutige Aufwärtsfahrt. Wir hatten drei Motoren, das Gefälle des Flusses, den Wind und die Ruder. Leider war das Boot sehr groß; mit einem kleinern wären wir noch viel rascher vorwärts gekommen. Dennoch war seit dem Augenblicke, an welchem wir den Maijeh verlassen hatten, noch nicht eine Stunde vergangen, als wir an die Helle Qaua gelangten. Dieses Dorf war damals das Regierungs-Depot am weißen Nile. Es lagen da ganz bedeutende Getreide- und andere Vorräte, und jedes südwärts segelnde Schiff versah sich da mit den noch notwendigen Bedürfnissen, welche von da an um so teurer werden, je weiter man nach Süden kommt.

Wir legten hier für kurze Zeit an, um uns bei dem Haris el Mischrah zu erkundigen, ob das Schiff des Reïs Effendina gesehen worden sei. Die Antwort war eine verneinende, und so segelten und ruderten wir weiter.

Eine Nacht auf dem Nile! Welch ein Sujet für einen Dichter! Mir aber war gar nicht sehr poetisch zu Mute. Ich hatte eine ganze Reihe von Nächten nur wenig geschlafen, war infolgedessen sehr abgespannt und mußte doch – rudern. Mit meinem Ben Nil war es nicht anders. Ich glaube, er ruderte zuweilen, ganz so wie ich, mit geschlossenen Augen, halb oder gar dreiviertel im Schlafe. Der alte Abu en Nil war ebenso einsilbig wie wir. Er hatte keine solchen Anstrengungen hinter sich, und so vermutete ich, daß seine Schweigsamkeit einen ganz besondern Grund haben müsse. Nach demselben befragt, antwortete er mir:

»Müde bin ich nicht im geringsten, Effendi. Die Sorge ist’s, die mir die gute Laune raubt. Ich bin ein Flüchtling.«

»Ah, du hast Angst vor dem Reïs Effendina?«

»Natürlich! Ich wurde damals von ihm auf dem Sklavenschiffe ergriffen und wäre sicherlich sehr streng bestraft worden, wenn du mich nicht hättest entfliehen lassen. Und jetzt soll ich diesem strengen Herrn geradezu in die Hände segeln. Es wird mir schwer, die Bitte auszusprechen, aber, Effendi, gieb mich noch einmal frei! Erlaube mir, an der ersten, besten Stelle das Boot zu verlassen!«

»Willst du nicht wieder auf dein Schiff zurück?«

»Ehe ich es erreiche, bin ich gefangen.«

»Aber du bist einsam und mittellos. Du hast nichts bei dir. Was willst du anfangen?«

»Ben Nil, mein Enkel, wird ja bei mir sein!«

»Nein,« antwortete dieser. »Du bist der Vater meines Vaters, und es ist Allahs Gebot, daß ich dich achten und ehren soll. Das thue ich auch. Aber jetzt bin ich der Diener dieses meines Effendi, und nichts kann mich vermögen, ihn zu verlassen.«

»Sohn meines Sohnes, wer hätte das von dir gedacht! Willst du das Blut verleugnen, welches in deinen Adern fließt? Willst du gegen die Gesetze handeln, die in der Brust eines jeden Menschen vorhanden sind?«

»Nein. Die Liebe zu dir und die Treue für meinen Effendi lassen sich wohl miteinander vereinigen. Du brauchst das Boot nicht zu verlassen. Ich kenne den Effendi. Er wird dich in seinen Schutz nehmen.«

»Das kann er nicht!«

»Zweifle doch nicht daran! Er kann alles, was er will.«

»Wenigstens will ich nur das, was ich kann,« bemerkte ich. »Abu en Nil, du brauchst dich nicht zu fürchten. Der Reïs Effendina wird dir das Vergangene verzeihen.«

»O, Effendi, wenn das wahr wäre! Ich wollte ihm auf meinen Knieen dafür danken. Ich ‚bin kein so schlimmer Mensch, wie es den Anschein hatte!«

»Das weiß ich, und das wußte ich; darum ließ ich dich entkommen.«

»Und niemals wird man mich wieder an Bord eines Sklavenhändlers sehen!«

»Auch das glaube ich dir, und darum werde ich den Reïs Effendina bitten, dir das, was vergangen ist, zu vergeben.«

»Effendi, du träufelst Balsam in die Wunde, welche ich selbst meinem Gewissen geschlagen habe. Wenn der Reïs Effendina mir vergiebt, so kann auch ich selbst mir verzeihen. Dann habe ich nichts und niemand mehr zu fürchten, kann mich vor jedermann sehen lassen und auch in die Heimat gehen, ohne denken zu müssen, daß mich der Rächer wieder von den Meinen reißt.«

»Sei getrost! Ich sage dir, daß alles vergeben und vergessen sein wird.«

»Ich will dir glauben. Du hast mich schon damals gerettet und würdest mich nicht mit zum Reïs Effendina nehmen, wenn du nicht überzeugt wärest, daß es ohne Schaden für mich geschehen kann. Was aber soll ich ihm antworten, wenn er mich fragt, in welcher Weise ich damals die Flucht ergriffen habe?«

»Belüge ihn nicht, sondern sage ihm die Wahrheit!«

»Dann würde er dir sehr zürnen.«

»Das denke nicht. Übrigens hat dein Enkel hier ihm einige gute Dienste geleistet, und so gebietet ihm die Dankbarkeit, dir die Bitte um Verzeihung zu erfüllen.«

Das beruhigte ihn vollends, und nun war das Schweigen gebrochen. Sein Herz war ihm leicht geworden, und darum wurde ihm auch die Zunge leicht. Er begann, mir seine Erlebnisse zu erzählen, und er hatte soviel erlebt, daß es uns um Stoff für die Unterhaltung während der einsamen Fahrt nicht bange zu sein brauchte. – – –