Der Mahdi

Kordofan, dieses ganz eigenartige Land, ist von jeher das Durchzugsgebiet vieler wandernder Stämme und darum war die Bevölkerung desselben schon vor der Eroberung durch Mehemed Ali eine außerordentlich gemischte. Dann brachten die Fellahta und die Baschibozuks des Vicekönigs das Blut aller kleinasiatischen Rassen unter das Volk. Griechen, Levantiner, Armenier, Arnauten haben sich mit den schwarzen Stämmen des Südens vermischt und zwischen den Abkömmlingen derselben wohnen wieder die reinblütigen Enkel ganzer Nomadenstämme, weiche aus dem Hedschas herüberwanderten.

Kordofan gehört zu den Sudanländern. Da das Wort Sudan, allerdings schon im Mittelalter gebräuchlich, ein jetzt so viel gehörtes ist, so dürfte eine kurze Bemerkung über dasselbe am Platze sein. Beled es Sudan, das ist der vollständige Name. »Beled« heißt Land, und »es« ist der Artikel. Sudan ist der gebrochene Artikel von »aswad« = schwarz (Plural »sud«). Beled es Sudan heißt also das Land der Schwarzen. Der Ton wird nicht, wie man oft hört, auf die erste, sondern auf die zweite Silbe gelegt; man sagt also nicht Suhdan, sondern Sudahn.

Kordofan, ausgesprochen Kordofahn, bildet in seinem nördlichen und westlichen Teile eine ungeheure Savanne, welche in der trockenen Jahreszeit einer dürren Wüste gleicht, sich aber während der Regenzeit mit einer üppigen

Vegetation bedeckt. Die weiten, grasigen Strecken werden von Mimosenwäldern unterbrochen. In dieser Savanne giebt es ungefähr neunhundert Brunnen mit Dörfern in der Nähe. Dort weiden während der Regenzeit die vielen wandernden Stämme ihre Herden, um bei Beginn der trockenen Jahreszeit wieder fortzuziehen. Man trifft da Giraffen, Strauße, überhaupt Vögel der verschiedensten Arten, und ungeheure Antilopenherden.

Der südliche Teil des Landes hat mehr thonigen Boden, welcher das Wasser hält, daraus folgt eine wahrhaft bewundernswerte Fülle und Großartigkeit des Pflanzenwuchses. Kolossale Strecken sind mit Palmen, Cassien, Adansonien und Tamarinden bedeckt. Die Tiere vieler Ordnungen und Arten, welche diese Wälder bewohnen, werden von den Leoparden und dem Panther gejagt, und nur zu häufig hört man auch die Stimme des Löwen, des »alles Beherrschenden«, erschallen.

Das Wadi Melk wird schon mit zu Kordofan gerechnet, und da wir uns zwischen diesem und Es Safih befanden, so hatten wir Nubien hinter uns gelegt. Wie man sich erinnern wird, hatte ich die von dem Sklavenjäger Ibn Asl geraubten Beduininnen diesem abgenommen und in ihre Heimat nach dem Bir es Serir zurückgebracht; zwanzig Asaker begleiteten mich. Wir waren von den Angehörigen der Frauen und Mädchen mit Jubel aufgenommen und, wenigstens nach ihren Verhältnissen, reich bewirtet und beschenkt worden. Nach unserm Aufbruche hatten sie uns das Geleite bis zum Ende der zweiten Tagereise gegeben, und nun wollten wir auf dem kürzesten Wege nach Chartum, wo ich meine Asaker ihrem Kommandanten, dem Reïs Effendina Achmed Abd el Insaf zu übergeben hatte.

Es war noch nicht allzuspät nach der Regenzeit, darum stand die Savanne noch in saftigem Grün. Hätte ich nicht auf einem Hedschihn, sondern auf einem Pferde gesessen, so wäre es leicht gewesen, zu denken, daß der Ritt durch eine amerikanische Prairie gehe. Wenn in der trockenen Jahreszeit das Gras verdorrt ist, so hat man den Weg möglichst so zu legen, daß man Brunnen berührt; jetzt aber war das nicht nötig. Das Wandern von einem Brunnen zum andern kostet viele Zeit; gegenwärtig brauchten wir indessen bei der saftigen Grasweide für unsere Tiere kein Wasser, und für uns waren die Schläuche gefüllt; darum konnten wir eine schnurgerade Richtung einhalten, bis das Wasser zur Neige ging und wir dadurch gezwungen waren, wieder einen Brunnen aufzusuchen. Auf diese Weise gelangten wir einen vollen Tag eher, als wenn wir uns auf die erwähnten Umwege eingelassen hätten, an den Bir atschahn. Dieser Name bedeutet der »durstige Brunnen«, da der letztere während der heißen Jahreszeit kein Wasser enthält. Jetzt aber hatte er mehr als nötig war, um unsere Schläuche von neuem zu füllen. Er lag inmitten der ebenen Savanne, ohne von einem Felsen, einem Baume oder Strauche bezeichnet zu werden. Ich hätte ihn gewiß nicht gefunden, wenn uns nicht von unsern Gastfreunden ein kundiger Führer mitgegeben worden wäre, welcher uns nach Chartum bringen sollte und die Gegend ebenso genau wie die schlechten Eigenschaften seiner langen arabischen Flinte kannte.

Diese Flinte war sein Herzeleid, und doch schien er sie über alle Maßen zu lieben. Er hatte sie stets in der Hand und sprach gern von ihr. Auch jetzt, als er neben mir am Rande des Brunnens saß, hielt er sie liebevoll umfangen, ließ seinen Blick freundlich über sie gleiten und sagte:

»Hast du schon einmal so eine Arbeit gesehen, Effendi? Ist das nicht bewundernswert?«

Der Kolben des Gewehres war nämlich mit Elfenbein ausgelegt, doch bildete die Zeichnung eine Figur, welche mir ganz unverständlich war. Darum antwortete ich:

»Äußerst geschmackvoll, ja geradezu prächtig! Aber was soll es denn vorstellen?«

»Was es vorstellen soll? Welch eine Frage! Siehst du denn das nicht?«

Er hielt mir den Kolben vor die Nase und forderte mich auf: »Da, sieh genauer hin! Nun, was ist’s?«

Ich gab mir alle Mühe, das Ding zu enträtseln, doch vergeblich. Das war keine Schrift, kein Bild, kein »gar nichts«!

»Du bist blind,« meinte er; »möge Allah dein Auge erleuchten! Aber da du ein Christ bist, so ist es gar nicht zu verwundern, daß du die Figur nicht erkennst. Ein gläubiger Moslem sieht beim ersten Blicke, was sie zu bedeuten hat. Erkennst du nicht, daß es ein Kopf ist?«

Ein Kopf! Keine Spur davon! Man hätte es höchstens für den unförmlichen Kopf eines Hippopotamus halten können. Ich schüttelte also den meinigen.

»Nicht? Allah, Wallah, Tallah! Es ist sogar der Kopf des Propheten, der in allen Himmeln Allahs sitzt.«

»Unmöglich! Man sieht ja gar nichts von einem Kopfe! Wo ist denn die Nase?«

»Die fehlt, Effendi. Der Prophet braucht keine Nase. Er ist jetzt der reinste der Geister und besteht selbst aus zehntausend Wohlgerüchen.«

»Wo ist der Mund?«

»Der fehlt, denn der Prophet bedarf keines Mundes mehr, da er durch den Kuran zu uns redet.«

»Auch sehe ich keine Augen.«

»Wozu. Augen, da der Prophet nichts zu sehen braucht, weil vor Allah alles offenbar ist?«

»Die Ohren suche ich auch vergeblich!«

»Du kannst sie nicht finden, weil sie nicht da sind. Der Prophet braucht unsere Gebete nicht zu hören, da er uns die Worte derselben genau vorgeschrieben hat.«

»Wo ist der Bart?«

»Der ist nicht zu sehen. Wie durfte man ihn durch Elfenbein entheiligen, da der Schwur beim Barte des Propheten der höchste und allerheiligste ist!«

»Folglich ist von dem Kopfe nur die Stirn zu sehen?«

»Auch nicht. Da sie der Sitz des Geistes ist, kann man sie gar nicht abbilden.«

»So ist von dem Kopfe also gar nichts da?«

»Gar nichts,« nickte er. »Aber ich erkenne jeden Zug des Gesichtes!«

»Ohne den Kopf überhaupt sehen zu können? Das begreife, wer es kann!«

»Ja, ein Christ wird es freilich nicht begreifen. Ihr seid alle mit unheilbarer Blindheit geschlagen!«

»Du auch, doch ist deine Blindheit hellsehender als das gesündeste Auge. Du siehst einen Kopf, zu dem nichts als alles fehlt. Übrigens ist es doch bei euch verboten, einen Menschen abzubilden. Wie viel strafwürdiger muß da das Porträtieren des Propheten sein!«

»Der Künstler, welcher dieses Gemälde fertigte, hat dieses Verbot nicht gekannt.«

»Und muß doch den Propheten gesehen haben.«

»Im Geiste! Das Gewehr ist Uralt, wie du wohl siehst. Der Mann, welcher es fertigte, hat jedenfalls weit vor dem Propheten gelebt.«

»Das ist unmöglich, denn da gab es noch kein Pulver.«

»Effendi, beraube mich doch nicht des Glückes, ein so kostbares Gewehr zu besitzen! Wozu Pulver? Wenn Allah will, schießt man auch ohne Pulver aus der Flinte.«

»Ich gebe zu, daß Allah Wunder thut. Hier giebt es deren gleich zwei: erstens ein Schießgewehr aus einer Zeit, in welcher es noch kein Pulver gab, und zweitens das Bild des Propheten aus einer Zeit, in welcher er noch gar nicht lebte.«

»Ich sagte dir bereits, daß der Künstler ihn im Geiste gesehen hat. Es war eine Vision, und darum ist dieses Gewehr eine Visionsflinte.«

»Ah, Visionsflinte; das ist gut, das ist einzig!«

»Ja, einzig ist sie! Da hast du recht, vollständig recht, und es freut Mich, daß du endlich zur Einsicht gekommen bist. Es ist die einzige Visionsflinte, welche es giebt, und darum halte ich sie heilig und bin sehr stolz auf sie.«

»Wie bist du denn zu ihr gekommen?«

»Durch Erbschaft. Der Künstler hat sie auf Kind und Kindeskind vererbt. Du mußt wissen, daß ich sein Nachkomme bin und sie einst meinem ältesten Sohne vererben werde. Ja, sieh mich nur verwundert an! Ich bin in Wirklichkeit der Urenkelssohn des Urenkels eines Mannes, dem Allah die Gnade erteilte, den Propheten zu schauen, noch ehe derselbe geboren war.«

»So bist du der berühmteste Mann deines Stammes, und ich freue mich nicht bloß, sondern es ist mir auch eine unschätzbare Ehre, dich kennen gelernt zu haben.«

»Ja,« meinte er in vollstem Ernste, »es ist für jedermann eine Ehre, einen solchen Urenkel des Urenkels zu schauen. Ich bin gekannt, bis tief in den Sudan hinein, so weit es wahre Gläubige giebt, und mein Gewehr hat einen Ruf, welcher selbst in den Ländern der Heiden erschallt.«

»So schießt es wohl auch gut?«

»Leider nein. Es war Allahs Wille, daß, um die Vorzüge des Himmels zu erhöhen, auf dieser Erde nichts ganz vollkommen sein solle. Das ist auch in Beziehung auf meine Visionsflinte der Fall, wie ich leider der Wahrheit gemäß bekennen muß. Sie hat einige Eigenschaften, welche mein Herz mit Wehmut erfüllen.«

»Ich kenne alle Arten der Gewehre und bin in der Behandlung derselben wohl erfahren. Wenn du mir die Fehler nennst, kann ich dir vielleicht einen Rat erteilen.«

»Es sind ihrer mehrere. Zunächst hat das Gewehr die Eigenschaft eines wilden Ziegenbockes; es stößt entsetzlich. Es hat mir schon manche kräftige Maulschelle gegeben.«

»Das ist freilich nicht hübsch. Du mußt es beim Schießen so anlegen, daß es dich nicht beohrfeigen kann.«

»So stößt es mich wo anders hin, und das ist ganz dasselbe. Ferner schlingert es gewaltig.«

»Schlingern? Was verstehst du unter diesem Ausdrucke?«

»Damit meine ich, daß sich die Kugel nicht in gerader Richtung, sondern in Schlangenwindungen fortbewegt.«

»Unmöglich!«

»Effendi, zweifle nicht! Bei einer Visionsflinte ist alles möglich. Ich habe es genau beobachtet. Ich darf nie auf das Ziel halten, sondern je nach der Entfernung mehr nach rechts oder links oder höher oder tiefer.«

»Die Flinte ›schraubt‹ also, und es giebt, meines Wissens, kein anderes Mittel dagegen, als daß du einen neuen, bessern Lauf machen lässest.«

»Wie kannst du mir das zumuten! Dadurch würde das kostbare Gewehr vollständig verschimpfiert. All ah bewahre mich vor einer solchen Missethat! Die Flinte muß bleiben, wie sie ist.«

»So ist es überflüssig, mir ihre andern Eigenschaften auch noch aufzuzählen. Meiner Ansicht nach ist dasjenige Gewehr das beste, welches seinen Zweck am vollständigsten erfüllt.«

»Das thut es ja! Mein Visionsgewehr beweist, daß mein Urahne den Propheten gesehen hat, und das ist vollständig genug.«

»Wie es schießt, ist also Nebensache?«

»Ja.«

»Der Zweck des Schießens ist aber doch das Treffen!«

»Du bist kein Moslem und kannst dich also nicht mit der nötigen Ehrfurcht in diese Flinte hineindenken.«

»Nein, das kann ich nicht. Aber falls du in meiner Gegenwart einmal schießen solltest, so bitte ich dich, mein Leben zu schonen. Thue mir dann den Gefallen, auf mich zu zielen, da du mich dann sicherlich nicht treffen wirst!«

»Spottest du etwa, Effendi! Ich sage dir, daß –«

Er unterbrach sich, sprang auf und blickte, indem er mit der Hand die Augen beschattete, gegen Osten.

»Was ist’s?« fragte ich ihn. »Siehst du etwas?«

,»Ja, ich bemerke einen Punkt über dem Grase, welcher vorher nicht vorhanden war. Es muß ein Reiter sein.«

Nun stand ich auf, öffnete mein Fernrohr und gewahrte, durch dasselbe sehend, einen Mann, welcher auf einem Kamele saß und gerade auf den Brunnen zu geritten kam. Als er sich uns so weit genähert hatte, daß er uns sah, hielt er an, um uns zu betrachten; dann kam er herbei, blieb auf dem Kamele vor mir halten und grüßte:

»Sallam aaleikum! Wirst du mir erlauben, Herr, mein Kamel aus diesem Bir atschahn zu tränken und auch meinen eigenen Durst zu stillen?«

»Aaleikum sallam! Der Brunnen ist für jedermann da, und ich kann dich nicht hindern, zu thun, was dir beliebt.«

Ich gab, ohne ihn willkommen zu heißen, diese kühle Antwort, weil er keinen sympathischen Eindruck auf mich machte. Er war wie ein gewöhnlicher Beduine gekleidet und mit Flinte, Messer und Pistole bewaffnet. Sein Gesicht hatte keineswegs abstoßende Züge, aber der scharfe, forschende, ja stechende Blick, mit dem er uns musterte, gefiel mir nicht. Auch mußte es mir, der ich gewohnt war, auf alles, selbst auf die geringste Kleinigkeit zu achten, auffallen, daß er sich mit seiner Frage an mich wendete. Die Asaker trugen die Uniform des Vicekönigs; ich aber war, wie auch der Führer, in Civil gekleidet. Es wäre also den Umständen nach für ihn geboten gewesen, sich an die Soldaten zu wenden. Dieser Umstand und sein suchender Blick erfüllten mich mit einem leisen Mißtrauen, welches auch späterhin nicht weichen wollte, sondern sich vielmehr vergrößerte.

Er stieg ab und führte sein Kamel zur Seite, damit es grasen möge, nachdem. er ihm den Sattel abgenommen hatte. Dann schöpfte er sich Wasser, trank, setzte sich mir gegenüber und zog einen Tschibuk und einen Tabaksbeutel unter dem Haïk hervor. Nachdem er den ersteren gestopft und den Tabak angezündet hatte, reichte er mir den letzteren zu und sagte:

»Nimm, Herr, und stopfe dir auch! Es ist die Pfeife des Grußes, welche ich dir biete.«

»Deine Güte sei bedankt, ohne daß ich ihr entspreche,« antwortete ich ablehnend.

»So rauchst du nicht? Gehörst du zu einer der strenggläubigen Sekten, deren Anhängern der Tabak verboten ist?«

Sein Ton war derjenige eines Mannes, welcher zwar fragt, aber schon im voraus weiß, welche Antwort man ihm geben wird. Das fiel mir auf, und darum meinte ich fast noch zurückhaltender als vorher:

»Ich rauche auch; aber nicht an dir, sondern an mir war es, den Gruß zu bieten. Der vorher Anwesende hat den später Kommenden zu empfangen; das ist überall die Regel, und hier in der Chala wohl erst recht.«

»Ich weiß es und bitte dich um Verzeihung. Ich besitze den Fehler, das Herz auf der Zunge zu haben. Du gefielst mir gleich beim ersten Blicke, und es trieb mich, dir dies durch das Angebot des Tabakes zu zeigen. Darf ich fragen, woher du mit diesen Asakern kommst?«

»Darf ich vorher fragen, woher du weißt, daß ich zu ihnen gehöre?«

»Ich vermute es.«

»Dein Scharfblick ist bewundernswert; ich an deiner Stelle würde es nicht vermutet haben.«

»So bist du wohl fremd in der Chala, während ich sie öfters durchreite.«

»Nicht nur ich bin hier fremd, sondern auch die Asaker sind noch niemals hier gewesen. Um so anerkennenswerter ist es, daß deine Vermutung gleich das Richtige traf. Du hast mich zwar vorher gefragt, aber da ich mich vor dir hier befand, wird es dir also recht und billig erscheinen, wenn ich, bevor ich dir antworte, gern wissen möchte, wo du deine Reise angetreten hast.«

»Ich habe keinen Grund, es zu verschweigen. In der Chala oder gar in der Wüste muß jeder wissen, wer der andere ist und was derselbe treibt. Ich komme aus EI Feky Ibrahim am Bahr el Abiad.«

»Wo liegt das Ziel deiner Reise?«

»Ich will nach El Fascher hinüber.«

»Zwischen den Orten, welche du nennst, giebt es eine viel benutzte Karawanenstraße, welche über EI Awid und Fodscha geht. Warum benützest du sie nicht? Warum bist du so weit nördlich abgewichen?«

»Weil ich ein Händler bin und also die Bedürfnisse der Gegend kennen lernen muß. Ich will in EI Fascher Waren ein- und sie auf dem Rückwege wieder verkaufen; darum reite ich hier von Brunnen zu Brunnen, um von den da lagernden Leuten zu erfahren, was sie brauchen.«

»Du scheinst ein Anfänger im Handel zu sein.«

»Wieso, Herr?«

»Ein erfahrener Händler würde nicht leer nach EI Fascher gehen, sondern sich in Chartum mit Einfuhrwaren versehen haben, um dieselben auf dem Hinwege zu verkaufen und dabei ein Geschäft zu machen. Du aber willst nur auf dem Rückwege handeln und hast also auf die Hälfte des Gewinnes einer solchen Reise verzichtet. Das thut kein wirklicher Dschelabi

»Ich wollte rasch ans Ziel gelangen; darum belud ich mein Tier jetzt nicht mit Lasten.«

»Ein Handelsmann hat nur das eine Ziel, Gewinn zu machen. Übrigens reitest du kein gewöhnliches Hedschihn; ein Dschelabi aber pflegt sich nur eines Esels zu bedienen.«

»Jeder nach seinem Vermögen, Herr. Ich bin nicht ganz arm. Du hast nun meine Antworten gehört und wirst mir wohl auch Auskunft geben. Woher kommst du?«

Meine Fragen waren derart gewesen, daß er aus denselben mein Mißtrauen herausfühlen mußte; ja, sie waren sogar beleidigend für jeden ehrlichen Mann. Sein Auge hatte einigemale schnell und zornig aufgeblitzt, aber der Ton, in dem er mir antwortete, war stets ein höflicher und scheinbar unbefangener gewesen. Dieser Unterschied zwischen Blick und Ton verriet mir, daß er sich beherrschte, Beherrschung ist Verstellung; hatte der Mann Ursache, sich zu verstellen, so gab er mir damit allen Grund, vorsichtig gegen ihn zu sein.

Ihm zu glauben, daß er ein Dschelabi sei, fiel mir gar nicht ein; auch war ich fast überzeugt, daß er nicht aus EI Feky Ibrahim, sondern aus Chartum kam. Seine Begegnung mit uns schien ihn gar nicht überrascht zu haben; seine ganze Art und Weise ließ vielmehr beinahe vermuten, daß er erwartet habe, auf uns zu treffen. Wie war das zu erklären? Ich gab mich jetzt nicht mit Vermutungen ab; es galt, ihn zu beobachten. Er hatte mich belogen, darum hielt ich es für das beste, ihm nicht die ganze Wahrheit zu sagen, und antwortete auf seine Frage:

»Ich komme aus Badjaruja.«

»Dort waren auch die Asaker?«

»Nein. Ich traf hier auf sie, und sie erlaubten mir, den Brunnen zu benutzen.«

Um seine Mundwinkel spielte ein listiges Zucken, doch that er so, als ob er mir glaube, und fragte weiter:

»Woher kommen sie? Wo sind sie gewesen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Du weißt es, denn du mußt doch mit ihnen gesprochen haben!«

»Ich bat sie um die Erlaubnis, mich hier niederlassen zu dürfen. Weiter habe ich nichts gesagt. Ich halte es auch für eine Unhöflichkeit, Unbekannte sofort nach der Begegnung nach allem möglichen auszufragen.«

»In der Wüste und Steppe ist die Neugierde eine Pflicht, welche man gegen sich selbst zu erfüllen hat. Darum bitte ich dich um die Erlaubnis, dich fragen zu dürfen, welcher Ort das Ziel deiner Reise ist.«

»Ich will nach Kamlin am blauen Nil.«

»So wirst du wohl bei EI Salayiah über den weißen Nil gehen?«

»Ja.«

»Und die Asaker, wohin reiten sie?«

»Das weiß ich nicht. Ich sagte dir bereits, daß ich sie nicht gefragt habe.«

Da machte er eine schnelle Wendung gegen den Führer, welcher an meiner Seite saß, und fragte ihn:

»Und wer bist du? jedenfalls ein Ben Arab?«

Ich hoffte, daß der Befragte mein Mißtrauen beobachtet habe und sich infolgedessen hüten werde, die richtige Auskunft zu erteilen, aber er gab gegen diese meine Erwartung zur Antwort:

»Ich bin allerdings ein Ben Arab, denn ich gehöre zu den Beni Fessarah.«

»Du kommst jetzt aus deiner Heimat?«

»Ja.«

»Wo weiden jetzt eure Herden?«

»Zwischen Bir es Serir und dem Dschebel Modjaf.«

»Ich habe von den Beni Fessarah gehört. Sie sind tapfere Männer, und das Glück wohnt unter ihren Zelten.«

Er wollte den Führer aushorchen. Nun dieser so unvorsichtig gewesen war, den Stamm, zu welchem er gehörte, zu nennen, konnte es mir gleich sein, was er für weitere Auskünfte gab. Ich streckte mich also lang aus, legte den Ellbogen in das Gras und den Kopf in die Hand und gab mir den Anschein der Gleichgültigkeit, wobei ich aber jedes Wort und jede Miene des angeblichen Dschelabi scharf beobachtete. Auf die letztere Bemerkung antwortete der Führer

»Ja, das Glück wohnte bei uns, hat uns aber verlassen.«

»Allah führe es zurück! Was ist denn geschehen?«

»Ibn Asl hat unsere Frauen und Töchter geraubt.«

»Ich weiß kein Wort davon.«

»Aber den Namen dieses Sklavenräubers hast du gewiß schon oft vernommen?«

»Gewiß! Seine Thaten sind derart, daß man wohl von ihm hören muß. Also er hat euch überfallen? Das ist ja ganz undenkbar. Ihr seid strenggläubige Moslemin, und so darf und kann er bei euch keine Sklavinnen suchen. Du irrst dich. Es muß ein heidnischer Stamm gewesen sein, der die That begangen hat.«

»Ich irre mich nicht; es ist vollständig erwiesen, daß es Ibn Asl war. Wenn du es nicht glaubst, kann ich es dir sehr leicht beweisen, denn dieser – –«

Ich sah es ihm an, daß er auf mich deuten und »dieser Effendi« sagen wollte, glücklicherweise blickte er dabei zu mir herüber, und ich gab ihm einen warnenden Wink. Er hielt infolgedessen inne und fuhr, sich verbessernd, fort:

»Denn dieser Vorfall kann mir von den Asakern bezeugt werden, welche bei uns waren und deren Führer ich bin.«

Er begann zu erzählen. Natürlich kam auch meine Person in seinem Berichte vor, doch war er so vorsichtig, mich stets den »fremden Effendi« zu nennen und mit keinem Blicke oder Fingerzeige zu verraten, daß ich derselbe sei. Als er geendet hatte, brach der Fremde in die erstaunten Worte aus-

»Sollte man eine solche Schandthat für möglich halten! Ibn Asl hat eure Frauen und Töchter überfallen; er hat diejenigen Personen, welche nicht zu verkaufen waren, ermordet! Das ist ein fluchwürdiges Verbrechen, für welches ihn die Strafe Allahs treffen wird.«

»Ja, Allahs Arm wird ihn zu finden wissen, und der Effendi und der Reïs Effendina haben ihm Rache geschworen.«

»O, er ist nicht bloß kühn, sondern auch listig, er wird ihnen entgehen!«

»Das glaube ich nicht. Der fremde Effendi ist ein Mann, der jeden findet, den er sucht.«

»Da müßte er allwissend sein!«

»Das ist nicht nötig; aber sein Auge sieht alles, und aus dem, was es gesehen hat, macht sich sein Scharfsinn den Zusammenhang klar. Er konnte den Weg, den die Frauenräuber einschlugen, nicht wissen, hat ihn aber so genau berechnet, daß es so stimmte, als ob sie es ihm mitgeteilt hätten.«

»Wo befindet er sich jetzt?«

»Er ist – ist – ist noch in unserm Dorfe,« antwortete der Gefragte zögernd.

»Noch in eurem Dorfe?« wiederholte der Fremde mit einem nicht ganz zu unterdrückenden Lächeln, bei welchem sein Blick mich kritisch streifte. »Ich möchte diesen Mann einmal sehen. Wenn ich Zeit hätte, würde ich nur zu diesem Zwecke nach Bir es Serir reiten; aber meine Stunden sind so gezählt, daß ich selbst hier nicht länger verweilen kann, sondern nun aufbrechen muß.«

Er erhob sich und ging zu seinem Kamele. Obgleich er von mir unausgesetzt beobachtet worden war, hatte ich auch das Tier betrachtet. Dabei war mir aufgefallen, daß es einen Fehler hatte, den man das »Rupfen« nennt. Ein solches Tier öffnet und schließt beim Laufen die Zehen abwechselnd, dabei rauft es die Grashalme aus, welche zwischen den Zehen stecken bleiben. Großen Schaden verursacht dieser Fehler freilich nicht, doch daß ich ihn bei diesem Tiere bemerkte, sollte mir großen Nutzen bringen und andern ihre bösen Pläne verderben.

Der Mann sattelte sein Hedschihn, stieg auf, trieb es zu uns herbei und sagte zu mir:

»Sallam, Herr! Du hast mir zwar gesagt, woher du kommst und wohin du gehst, aber ich glaube es dir nicht. Nicht gesagt hast du mir, wer du bist; ich denke aber, daß ich es errate und daß du mich bald kennen lernen wirst.«

Ich blieb, ohne mich zu rühren, in meiner vorhin beschriebenen Stellung liegen und antwortete ihm nicht. Er nickte mir höhnisch zu und ritt, mit der Hand verächtlich hinter sich nach mir winkend, von dannen.

»Was war das?« fragte der Führer.. »Was meinte er? Das war ja eine Beleidigung!«

Ich zuckte die Achsel.

»Er glaubt dir nicht, und er errät, wer du bist! Begreifst du, was er will?«

»Wahrscheinlich mein Leben.«

»Allah ‚l Allah!«

»Und dasjenige der Asaker dazu.«

»Effendi, du erschreckst mich!«

»So steig auf dein Kamel, und reite heim! Wahrscheinlich wird es bald zu einem Kampfe kommen, und da dir deine Visionsflinte dabei wohl nicht gehorchen wird, so rate ich dir zu deinem eigenen Besten, dich in Sicherheit zu bringen.«

»Beschäme mich nicht! Ich habe dich nach Chartum zu bringen und werde dich nicht eher verlassen, als bis wir dort eingetroffen sind. Wie kannst du denn auf den Gedanken kommen, daß wir Feindseligkeiten zu erwarten haben? Die Stämme dieser Gegend leben gerade jetzt im tiefsten Frieden miteinander.«

»Der Dschelabi hat es mir gesagt.«

»Ich habe kein Wort gehört!«

»Er hat es mir weniger in Worten als vielmehr durch sein Benehmen gesagt. Hast du ihn wirklich für einen Dschelabi gehalten?«

»Natürlich! Warum sollte er sich für einen solchen ausgeben, wenn er keiner ist?«

»Um uns zu täuschen. Ein Kundschafter hat alle Veranlassung, zu verschweigen, was er ist.«

»Kund – – schaf – – Du hältst ihn für einen Kundschafter? Wer sollte ihn gesandt haben?«

»Vielleicht In Asl, der sich an mir rächen will.«

»Wie kann der wissen, daß du dich hier befindest?«

»Für ihn ist es wohl nicht allzu schwer gewesen, zu erfahren, daß ich die ihm abgenommenen Sklavinnen nach ihrer Heimat geleitet habe. Ebenso leicht ist es, zu erraten, daß ich nach Chartum kommen werde. Ich muß also auf der zwischen diesen beiden Orten liegenden Strecke zu finden sein.«

»Wenn du so redest, beginne ich, zu begreifen. Er hat eine große Rache gegen dich; ja ja, es ist schon denkbar. Er ist höchst wahrscheinlich nach Chartum, wo er viele Bekannte hat. Unter hier wohnenden Stämmen hat er zahlreiche Freunde, welche Nutzen aus seinem Geschäft ziehen und also zu ihm halten. Wenn er dich überfallen will, findet er genug Leute, welche bereit sind, ihm dazu beizustehen. Aber es soll ihm nicht gelingen; ich werde euch einen Weg zeigen, auf dem eine Begegnung ausgeschlossen ist.«

»Ich bin dir dankbar, kann mich aber nicht darauf einlassen.«

»Warum? Es geschieht zu deiner Sicherheit.«

»Wie könnte es mir einfallen, einem Menschen, den ich ergreifen will, aus dem Wege zu gehen! Nun ich mir fast mit Sicherheit sagen kann, daß man mir auflauert, wird man meiner nicht habhaft werden. Und wenn es ihrer hundert sein Sollten, bin ich mit meinen Erfahrungen und meiner List ihnen überlegen. Ich weiche ihnen nicht aus, sondern ich werde sie geradezu aufsuchen. Ich überlasse es natürlich dir, ob du dich der dabei allerdings unvermeidlichen Gefahr aussetzen willst.«

»Ich bleibe bei dir, Effendi. Sprich nicht mehr davon. Wir haben dir so Großes zu danken; wie könnte ich dich verlassen! Aber du sprichst vom Aufsuchen. Wir kannst du wissen, wo die Feinde sich befinden?«

»Hast du nicht selbst vorhin gesagt, daß ich die Sklavenjäger gefunden habe, obgleich ich nicht wissen konnte, welchen Weg sie eingeschlagen hatten? Hier ist es noch viel leichter als dort, denn ich habe einen Führer.«

»Meinst du mich? Ich habe keine Ansicht in dieser Sache; ich ahne nicht, wo wir zu suchen hätten.«

»Ich meine nicht dich, sondern den Dschelabi.«

»Den, den nennst du deinen Führer? Das verstehe ich nicht. Er ist nach EI Fascher, also nach Westen, während du nach Osten zu suchen mußt.«

»Er hat gelogen; er will gar nicht nach Ei Fascher. Sobald er aus dem Bereiche unserer Augen ist, wird er umkehren zu denen, welche ihn auf Kundschaft ausgesandt haben. Es ist also für uns nur nötig, uns von seiner Spur führen zu lassen, so finden wir, was wir suchen.«

»Wenn du dich nur nicht irrst, Effendi! Es ist doch immer die Möglichkeit vorhanden, daß das, was er gesagt hat, wahr ist.«

»Die Möglichkeit ist da, aber ich irre mich wohl nicht. Wie lange reitet man von EI Feky Ibrahim bis EI Fascher?«

»Ungefähr zwanzig Tage.«

»Kann man das ohne Wasserschlauch thun?*

»Nein.«

»Also will er gar nicht hin, denn er hatte keinen! Ferner: wenn Asl wirklich eine Feindseligkeit gegen uns beabsichtigt und die dazu bestimmten Leute selbst befehligt, wird er wohl glauben, daß ich mich auf meinem Wege eines Führers oder wohl auch mehrerer bediene?«

»Jedenfalls, da du ein Fremder bist.«

»Diese Führer müssen aber auch Leute sein, welche nicht nur mit, sondern auch in der Gegend bekannt sind. Wenn er uns nur Kundschafter entgegenschickte, welche hier ebenso bekannt wären, so würden sie unbedingt von meinen Führern erkannt werden.«

»Das ist richtig.«

»Was folgt daraus? Was für Leute müssen seine Spione sein?«

»Solche, die hier niemand kennt, also Fremde.«

»Ein Fremder kann sich verirren; es kann ihm noch anderes zustoßen. Schickt man einen solchen Mann ohne Wasser eine weite Strecke voran?«

»Nein.«

»Der angebliche Dschelabi war Spion; er hatte kein Wasser und sich folglich nicht weit von seinen Kameraden entfernen können. Dieselben sind in der Nähe. Sie werden in einer Linie, welche die unserige gerade durchschneidet, Posten aufstellen. Und wenn ein solcher Posten uns kommen sieht, wird man schnell die andern zusammenholen und uns auf unserm Wege einen Hinterhalt legen. Zu diesen Posten hat der Dschelabi gehört. Man lauert uns auf; die Linie, welche quer über unsern Weg gebildet worden ist, befindet sich nicht weit von hier; der Dschelabi wird umkehren und dieselbe alarmieren; die Gegner erwarten uns an einem Orte, auf welchen unsere gerade Richtung stoßen muß; reiten wir geradeaus, so werden wir unbedingt auf sie treffen. Da wir wohl die Richtung, aber nicht die genaue Entfernung ihres Hinterhaltes von hier kennen, so müssen wir jeden Augenblick gewärtig sein, von ihnen angegriffen zu werden. Das hätte auf offener Fläche keine Gefahr für uns, denn wir würden die Annäherung der Feinde bemerken. Darum werden sie sich eine Stelle, vielleicht ein Gebüsch, einen Wald, eine Felsengegend suchen, wo wir ihnen, ohne sie vorher zu bemerken, in die Hände laufen. Nun fragt es sich, ob es im Laufe des heutigen Tagesrittes und in unserer Richtung einen solchen Ort giebt. Das mußt du als Führer wissen.«

»Ich kenne die Strecke ganz genau. Jetzt ist es Mittag. Wenn wir sofort aufbrechen, werden wir anderthalb Stunden vor Sonnenuntergang einen Cassiawald erreichen.«

»So gebe ich dir mein Wort, daß die Leute in dem Cassiawalde stecken werden.«

Er blickte mich erstaunt an, schüttelte den Kopf und meinte:

»Das behauptest du so gewiß!«

»Allerdings, und du wirst erfahren, daß ich mich nicht irre. Wir werden erst der Spur des falschen Dschelabi folgen, bis wir die Linie der Kundschafter oder Posten erreichen, und dann – –«

»Wie willst du erkennen, daß wir uns bei derselben befinden?« unterbrach er mich.

»Das werde ich dir zeigen. Dann aber schlagen wir ganz gegen ihre Erwartung einen Bogen und kommen aus einer ganz anderen Richtung an den Wald, um ihnen, während sie westlich nach uns ausschauen, von Osten her in den Rücken zu fallen. Vorher aber muß ich wenigstens oberflächlich orientiert sein. Wie groß ist dieser Cassiawald?«

»Er ist ebenso breit wie tief. Man hat über eine Stunde zu reiten, um hindurch zu kommen.«

»Sind die Bäume hoch?«

»Mitunter sehr hoch.«

»Giebt es Unterholz?«

»Stellenweise viel. Es liegt ein Brunnen da, welcher viel Wasser spendet und zahlreiche Sträucher und Schlingpflanzen nährt.«

»Kann man mit den Kamelen durch?«

»Ja, wenn man die offenen und lichten Stellen des Waldes aufsucht.«

»So weiß ich einstweilen genug, und wir wollen aufbrechen.«

»Wollen wir nicht erst nach Westen reiten und dem Dschelabi folgen, um zu erfahren, ob er wirklich sich rückwärts wendet?«

»Das ist überflüssig; ich bin überzeugt, daß er es thut, und wir werden bald auf seine Fährte treffen.«

Er war, da er schnell ritt, unsern Augen längst entschwunden. Wir sattelten, stiegen auf und ritten östlich davon, ich mit dem Führer neben mir voran und die Asaker in der bekannten, bei Karawanen gebräuchlichen Einzelreihe hinterdrein. Diese letzteren hatten in unserer Nähe gesessen und alles gehört. Sie waren neugierig, ob meine Voraussetzungen sich bewähren würden, und brannten, falls dies der Fall sein sollte, darauf, ihren guten Flinten Arbeit zu geben.

Wir verließen den Brunnen auf der Fährte, welche der Dschelabi bei seinem Kommen gemacht hatte. Schon nach einer halben Stunde sahen wir eine andere Fährte von rechts herüberkommen und sich mit der ersten vereinigen. Ich stieg ab, um sie zu untersuchen. Der Führer gesellte sich mir aus Wißbegierde zu. Ich hatte sie in gebückter Haltung betrachtet; als ich mich aufrichtete, erklärte ich:

»Es war der Dschelabi, ganz so, wie ich vermutet habe.«

»Wie kannst du das behaupten, Effendi? Es kann doch auch ein anderer sein.«

»Nein, er ist es. Sieh auf der ersten Fährte das Gras! Es sind einzelne Halme ausgerauft. Bei der zweiten Spur kannst du genau dasselbe beobachten.«

»Das ist richtig, aber – –«

»Es giebt kein aber dabei. Das Kamel des Dschelabi hat empfindliche Ballen, und ›rupft‹. Die zweite Fährte zeigt deutlichere und nach hinten ausgeschleuderte Eindrücke. Daraus ist zu schließen, daß er jetzt viel schneller reitet, als er vorher geritten ist; er ist umgekehrt und hat Eile.«

Der Führer schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. Wir stiegen wieder auf und ritten weiter, der jetzt doppelten Fährte nach. Als vielleicht eine Stunde vergangen war, kamen wir an eine Stelle, an welcher der Reiter gehalten hatte. Das Gras war in einem beträchtlichen Umkreise niedergetreten und niedergelagert. Geradeaus führte eine alte Spur von drei Kamelen und eine neue von einem Tiere nach Osten; rechts und links wich je eine Einzelfährte nach Süden und Norden ab. Als meine Begleitung die Sache nicht begreifen konnte, erklärte ich:

»Was ihr hier seht, ist der vollste Beweis dafür, daß meine Vermutungen ganz richtig gewesen sind. Da weit vor uns im Cassiawald liegen unsere Gegner, und der Anführer hat eine Postenlinie vorgeschickt. Drei Mann kamen hierher; zwei von ihnen lagerten sich, während einer, nämlich der Dschelabi, weicher am unternehmendsten war, weiterritt. Als er zurückkehrte, teilte er ihnen mit, daß er uns gefunden hatte, und ritt auf der dreifachen Fährte nach dem Walde zurück, um seinem Anführer dieselbe Meldung zu machen. Die beiden andern aber eilten, einer nördlich und der andere südlich davon, um die übrigen Posten nach dem Walde zu beordern. Seht euch diesen Platz mit dem niedergedrückten Grase an! Müssen die Kerle nicht denken, daß wir entweder blind oder Dummköpfe sind? Wenn sich hier ein Posten von drei Männern befand, so steht zu erwarten, daß die andern Posten ebenso stark gewesen sind. Da der eigentliche Kriegerhaufen stets größer ist als die sämtlichen Posten zusammen, so können wir auf die Anzahl der Männer schließen, mit denen wir es zu thun haben werden. Wir haben es mit einem zwar unvorsichtigen, wie die Spur beweist, aber auch sehr zahlreichen Feinde zu thun. Aus diesem Grunde will ich meine eigenen Wünsche zurückhalten und euch um eure Meinung befragen. Wollt ihr den Kampf aufnehmen, oder wollen wir demselben ausweichen, was nun, da die Gegner sich alle an einem Punkte versammelt haben, sehr leicht sein würde?«

»Kämpfen, kämpfen!« lautete die allgemeine Antwort.

»Gut, so gehen wir links ab, um von Norden her an den Wald zu kommen, während wir von Westen her erwartet werden. Da dies einen Umweg ergiebt, werden wir schneller als bisher reiten müssen.«

Jetzt ging es weiter, und zwar so schnell, wie unsere Kamele laufen konnten; die weniger raschen wurden mit den Stäben angetrieben. Nach einiger Zeit stießen wir abermals auf eine Fährte, dann auf eine zweite, dritte, vierte und fünfte. Die Spuren hatten alle eine mehr oder weniger südöstliche Richtung und liefen auf den Wald zu. Ich konnte, auch ohne abzusteigen, sehen, daß jede derselben aus den Hufeindrücken von drei Kamelen bestand.

»Ob das lauter Vorposten gewesen sind?« fragte der Führer, welcher wieder an meiner Seite ritt.

»Natürlich!« antwortete ich. »Du siehst, daß ich recht gehabt habe. Angenommen, daß die Spur des Dschelabi in der Mitte der Kundschafterlinie gelegen hat, so giebt es in Summa elf Fährten, jede von drei Reitern; das ergiebt dreiunddreißig Mann. Wie viele mögen da im Walde geblieben sein? Es ist anzunehmen, daß wir es wenigstens mit der doppelten Anzahl, also mit sechzig Gegnern zu thun haben werden.«

»Dann dürfen wir uns auf einen harten Kampf gefaßt machen.«

»Auf gar keinen; wir werden so klug sein, ihnen gar keine Zeit zur Gegenwehr zu lassen.«

»Du meinst, daß wir sie umzingeln und niederschießen, ehe sie dazu kommen, ihre Waffen zu gebrauchen?«

»Umzingeln werden wir sie wahrscheinlich, töten aber nicht. Ich will kein Blut vergießen. Überhaupt dürfen wir sie nicht eher angreifen, als bis wir ihnen beweisen können, daß sie es auf uns abgesehen haben.«

»Wie sollen wir diesen Beweis liefern?«

»Das laß meine Sache sein! Und selbst dann, wenn wir ihnen ihre feindlichen Absichten in das Gesicht sagen können, haben sie dieselben noch nicht ausgeführt, und wir sind nicht berechtigt, einem von ihnen das Leben zu nehmen. Selbst für den Fall, daß wir dieses Recht besäßen, würde ich sie möglichst schonen, um sie dem Reïs Effendina ausliefern zu können.«

»Das ist schade! Wir müssen dir freilich gehorchen, aber wenn ich daran denke, was in unsern Dörfern geschehen ist, so erfaßt mich ein Grimm, welcher von Schonung nichts wissen will.«

»Die Thäter sind bestraft; sie haben ihr Verbrechen mit dem Tode gebüßt, und du mußt bedenken, daß die Leute, welche wir vor uns haben, nicht diejenigen sind, welche eure Frauen und Töchter raubten.«

»Gut, aber ich mache dich darauf aufmerksam, daß du uns durch deinen Entschluß selbst in Gefahr bringst, uns und auch dich. Räumen wir mit unsern Kugeln plötzlich unter ihnen auf, so bleiben wir unverletzt; wie aber willst du dich ihrer lebendig bemächtigen, ohne daß sie sich wehren und verschiedene von uns töten oder doch wenigstens verwunden?«

»Was ich beschließen werde, kann ich jetzt noch nicht wissen; ich muß mich nach den Verhältnissen, welche wir vorfinden, richten. Du weißt, daß ich mich im Wadi el Berd der Sklavenräuber bemächtigt habe, ohne daß einem von uns die Haut geritzt worden ist.«

Er schüttelte bedenklich den Kopf, zog es aber vor, auf weitere Einwendungen, welche doch erfolglos gewesen wären, zu verzichten.

Wir hielten uns zunächst nordöstlich, dann gerade östlich und bogen nach ungefähr zwei Stunden nach Süden um, denn der Führer meinte, daß der Bogen uns nun gerade auf den Wald zuführen werde. Bald erblickten wir am Horizonte einen dunklen Streifen, welcher mehr rechts von uns lag. Wir waren also so schnell geritten, daß wir den Wald beinahe halb umgangen hatten. Dies brachte mich, da wir noch hinreichend Zeit bis zum Untergange der Sonne hatten, auf den Gedanken, nicht von der Seite, sondern vom Rücken her auf die Feinde zu kommen. Aus diesem Grunde hielten wir uns wieder mehr links, und zwar so lange, bis wir den Streifen, welcher den Wald bedeutete, westlich von uns liegen hatten. Und da stießen wir denn auch, wie ich im stillen vermutet hatte, auf einen breiten Streifen, welcher sich von Osten her auf den Wald zu zog. Das Gras war niedergetreten gewesen und hatte sich zwar wieder erhoben, stach aber mit seinen geknickten Spitzen sehr deutlich gegen die andere Fläche der Chala ab. Das war die Gesamtfährte unserer Feinde, welcher ich es ansah, daß die letzteren heute am frühen Morgen hier vorübergekommen sein mußten. Sie hatten sich dann im Walde gelagert und gegen Westen hin ihre Späher ausgesandt.

Wir bogen natürlich in dieselbe Richtung ein und erreichten den Wald an einer so lichten Stelle, daß auch ein größerer Zug als der unserige leicht passieren konnte. Nun galt es, die größte Vorsicht zu entwickeln. Ich stieg ab, um voranzugehen; der Führer, welcher mein Kamel am Halfter nahm, folgte mit den Asakern eine Strecke hinterdrein. Er hatte mir gesagt, daß die Quelle ungefähr in der Mitte des Waldes liege, und ich nahm als ganz selbstverständlich an, daß die von uns Gesuchten sich in der Nähe derselben befanden.

Der Wald bestand da, wo wir ihn durchquerten, aus hohen Cassien und Mimosen. Ich mußte nach einem Verstecke für unsere Kamele suchen und bog also zur Seite ab, wo dichte Büsche unter den Bäumen standen. Das Gesträuch bestand vorzugsweise aus Balsamodendron und stachelstämmigen Bauhinien, welche sich um die Stämme und Äste der Bäume rankten und dichte Festons von prächtig blühenden Zweigen herniederhängen ließen. Hinter diesen dicht verschlungenen Büschen konnte uns niemand sehen; meine Gefährten stiegen vor denselben ab, um ihre Kamele hineinzuführen und da auf meine Rückkehr zu warten, da ich nun rekognoszieren wollte.

Der treue Ben Nil bot sich mir zur Begleitung an; ich lehnte dieselbe aber ab. Auch der Führer wollte mit, und als ich ihn ebenso abwies, meinte er:

»Du kennst aber den Wald nicht und den Weg zur Quelle, Effendi; ich muß ihn dir zeigen.«

»Habe keine Sorge um mich! Ich weiß schon, was ich thue. Übrigens irrst du dich, wenn du etwa meinst, daß die Feinde am Wasser lagern.«

»Wo denn sonst?«

»Irgendwo, aber nur nicht dort. Ja, vorher haben sie sich jedenfalls dort befunden; nach Rückkehr der Posten aber sind sie wohl auf den Gedanken gekommen, den Platz frei zu geben.«

»Weshalb denn wohl?«

»Sie nehmen doch sicher an, daß wir den Brunnen aufsuchen. Dort ist die beste Gelegenheit, über uns herzufallen. Griffen sie uns unterwegs an, wo wir noch im Sattel sitzen und eine ziemlich lange Reihe bilden, so würden sie ihren Zweck nur schwer erreichen. Sie werden also warten wollen, bis wir uns gelagert haben, und darum ist ganz bestimmt anzunehmen, daß sie sich nicht mehr beim Wasser, sondern in der Nähe desselben befinden. Wie führt der Weg von hier aus nach dem Wasser? Macht er etwa viele Windungen?«

»Nein, sondern er bildet eine fast ganz gerade Linie.«

»Das ist vorteilhaft für mich. Ich gehe jetzt, und ihr habt nichts zu thun, als euch so still wie möglich zu verhalten.«

»Was thun wir aber, falls du nicht zurückkehrst?«

»Ich komme wieder!«

»Du sprichst sehr zuversichtlich, Effendi. Möge Allah dich geleiten!«

Da ich den hellen Haïk zurückließ, stach mein dunkelgrauer Anzug nicht von dem Grün der üppigen Vegetation ab. Ich hütete mich natürlich, auf der breiten Fährte zu gehen; dort konnte ich, da die Bäume weit auseinander standen, leicht gesehen werden; ich hielt mich vielmehr zur Seite, stets von Büschen gedeckt, der Fährte parallel.

Nach vielleicht einer Viertelstunde war es mir, als ob links vor mir jemand gesprochen hätte; rechts mußte der Brunnen liegen. Ich blieb stehen und horchte. Ja wirklich, das waren Stimmen! Man sprach nicht allzu laut, konnte sich also gar nicht weit von mir befinden. Ich legte mich nieder und kroch auf den Händen und Knieen weiter. Die Stimmen wurden, je weiter ich vorrückte, desto deutlicher, und sonderbarerweise kam mir eine derselben bekannt vor. Noch konnte ich die Worte, welche gesprochen wurden, nicht verstehen, aber dem Schalle nach mußten die Personen, welche redeten, sich hinter einem undurchdringlich scheinenden Sennesgebüsch befinden. Ich kroch hinzu und erkannte auch die andere Stimme; sie gehörte dem angeblichen Dschelabi, und derjenige, mit welchem dieser sprach, war, wenn ich mich nicht täuschte, kein anderer als – Abd Asl, der Vater des Sklavenjägers, der heilige Fakir, welcher mich im unterirdischen Brunnen bei Siut hatte verschmachten lassen wollen.

Das Sennesgestrüpp konnte nicht sehr breit sein, denn ich hörte und verstand die Worte jetzt so deutlich, daß ich annahm, die Entfernung zwischen mir und den beiden Genannten könne höchstens drei oder vier Ellen betragen. Aus verschiedenen Geräuschen und Tönen, welche an mein Ohr drangen, war zu vermuten, daß die zwei sich nicht allein befanden.

»Alle, alle müssen in die Hölle fahren; nur den Deutschen lassen wir leben!« sagte der Fakir, als ich nun in bequemer Stellung lag und lauschte.

»Warum das?« meinte der Dschelabi. »Gerade er müßte der erste sein, den unsere Kugeln oder Messer treffen.«

»Nein. Ihn will ich aufheben, um ihn meinem Sohne zu bringen. Er soll lange, lange Qualen erdulden. Es fällt mir nicht ein, ihn eines schnellen Todes sterben zu lassen.«

»Dann mußt du gewärtig sein, daß er dir wieder entwischt.«

»Entwischen? Unmöglich! Ich weiß, daß er ein Teufel ist; aber es giebt genug Mittel, selbst einen solchen Satan zu bändigen. Ich werde ihn wie ein reißendes Tier einsperren. Nein, entkommen, entkommen wird er mir nun und nimmermehr! Ginge es nach mir, so ließ ich auch die Asaker leben, um sie langsam zu Tode zu martern; aber da wir nicht lange Zeit zu verlieren haben, so müssen wir uns ihrer schnell entledigen. Wie wollte ich diese Halunken peinigen, welche unsere Genossen erschossen und meinen Sohn, also uns alle um einen so großen Gewinn gebracht haben!«

»Ja, für diese Fessarah-Sklavinnen wäre viel, sehr viel bezahlt worden. Man sollte diesen Menschen die Hände und die Zunge abschneiden, daß sie weder sprechen noch schreiben und also nichts verraten könnten. Dann müßte man sie an den grausamsten aller Negerfürsten verkaufen!«

»Der Gedanke ist nicht übel. Vielleicht führen wir ihn aus. Vielleicht ersinnen wir uns auch noch besseres. Es giebt keinen Schmerz, der für sie zu groß, zu schrecklich sein könnte; sie müssen täglich, stündlich sterben, ohne doch wirklich sterben zu können. Sie haben das verdient, besonders dieser fremde Hund, welcher alle, alle unsere Absichten zu erraten, alle unsere Pläne zu durchschauen weiß und mit der Hilfe des Teufels stets dann entwischt, wenn man ihn am sichersten zu haben meint.«

»Das ist es ja eben, was uns zur größten Vorsicht mahnt! Wenn er uns heute wieder entwischen sollte!«

»Habe da ja keine Sorge! Die Befehle, welche ich gegeben habe, sind so sorgfältig ausgedacht, daß ein Mißerfolg gar nicht eintreten kann. Den ersten Schuß gebe ich ab, und ich ziele auf das Bein des Deutschen. Ist er da verwundet, so kann er uns jetzt und auch später nicht entkommen. Ist dieser mein Schuß gefallen, so drückt auch ihr andern ab. Gegen siebzig Kugeln sind jedenfalls hinreichend, sie alle niederzustrecken.«

»Man sollte es denken. Eigentlich ist es eine Schande für uns, daß wir wegen zwanzig Asakern eine solche Anzahl von Kriegern aufgetrieben haben.«

»Das geschah nicht der Asaker, sondern des Effendi wegen. Unter seiner Führung sind zwanzig Männer so gut wie sonst hundert, und ich sage dir, daß wir nur durch das Unerwartete, durch die Plötzlichkeit des Überfalles siegen können. Wenn wir es zur Gegenwehr kommen ließen, so würde der Erfolg sicher zweifelhaft sein.«

Ich mußte leise lachen. Weder der Dschelabi noch der Fakir besaßen die Klugheit, welche zur Ausführung ihres Vorhabens unbedingt erforderlich war. Sie hatten nicht einmal jetzt eine Wache ausgestellt, um sich unsere Ankunft melden zu lassen; das vernahm ich aus ihren weiteren Worten. Auch hörte ich, daß der Ort, an welchem sie sich befanden, der Quelle so nahe lag, daß sie das Geräusch, welches sie von uns erwarteten, deutlich zu hören hofften.

Aus der Rede des Fakirs ging hervor, daß sein Sohn, der Sklavenjäger, dem Reïs Effendina eine Falle gestellt hatte. Das erfüllte mich mit Besorgnis, und ich nahm mir vor, hier schnell zu handeln und dann unsern Ritt zu beschleunigen, um möglichst rasch nach Chartum zu kommen und den Bedrohten zu warnen. Vor allen Dingen galt es, die Situation zu überschauen. Da, wo ich lag, war das Gebüsch so dicht, daß ich nicht hindurchblicken konnte. Ich kroch weiter, nach links, und fand dort eine lichte Stelle, welche mir die gesuchte Aussicht bot. Mein Auge fiel auf einen baumfreien Raum, auf welchem die siebzig Männer lagerten, viele nur halb bekleidet, aber alle gut bewaffnet. Ich sah Gesichter von hellbraun an bis zum tiefsten Schwarz. Die Kamele lagerten eins neben dem andern links und mir gegenüber am Rande der Lichtung. Der Fakir saß mit dem Dschelabi ein Stück von der Truppe entfernt am diesseitigen Rande, und es war ein günstiger Zufall gewesen, daß ich gerade auf diese Stelle getroffen war, sonst hätte ich sie unter vielen Schwierigkeiten aufzusuchen gehabt.

Die Leute saßen oder lagen nicht eng beisammen, sondern zu zweien oder dreien in einzelnen kleinen Gruppen auseinander. Dieser Umstand mußte uns den Überfall sehr erleichtern. Seitwärts von da, wo ich mich jetzt befand, war Platz genug, meine zwanzig Mann aufzustellen. Sie konnten da die Feinde sehen, und mir war es möglich, jedem einzelnen von ihnen seine besondere Instruktion zu erteilen. Denn jeder mußte für sich wissen, welchen Gegner er anzugreifen hatte, da andernfalls ein Wirrwarr zu befürchten war, bei welchem die Mehrzahl der Feinde Gelegenheit zur Flucht finden mußte.

Da ich nun weiter nichts zu sehen und zu hören brauchte, kehrte ich zu meinen Gefährten zurück, um ihnen den guten Erfolg meiner Rekognoszierung mitzuteilen. Keiner freute sich mehr über die Anwesenheit des Fakirs als Ben Nil, welcher, kaum daß ich geendet, mir zurief.

»Hamdulillah, der Fakir, der Fakir ist da! Effendi, den mußt du mir überlassen; auf den schieße ich!«

»Es wird gar nicht geschossen,« antwortete ich. »Wir werden die Leute nicht töten, sondern dem Reïs Effendina ausliefern.«

»Auch den Fakir, der doch jedenfalls mir verfallen ist?«

»Auch mir ist er verfallen; ich verzichte aber auf die Rache.«

»Ich verzichte aber nicht!«

»So sprechen wir später darüber; jetzt aber verbiete ich dir auf das allerstrengste, ihn zu töten.«

»Effendi, bedenke, daß du mich da in einem Rechte kränkst, das mir kein Mensch nehmen kann!«

»Das thue ich nicht, sondern ich beabsichtige nur einen Aufschub. Der Reïs Effendina befindet sich in einer Gefahr, welche ich nicht kenne; der Fakir kennt sie und soll mir Mitteilung machen. Wird er getötet, so erfahre ich nichts, und der Reïs ist verloren. Ich muß also unbedingt mit dem Fakir reden.«

»Wenn das ist, so will ich mich fügen; dann aber später wirst du nicht so ungerecht sein, mich zu verhindern, das Gesetz der Wüste auszuführen. Nun aber, Effendi, wie wollen wir diese siebzig Krieger überwinden, wenn wir sie nicht erschießen dürfen?«

»Wir schlagen sie mit den Gewehrkolben nieder. Stirbt einer von einem solchen Schlage, so ist es nicht zu ändern und wir werden ihn nicht beklagen. Ihr müßt aber so zuhauen, daß der Getroffene zusammenbricht und sich nicht wehren kann. Ich werde euch führen und einem jeden zeigen, nach welcher Gruppe er sich zu wenden hat, damit nicht einer den andern hindert. Ich selbst nehme den Fakir und den Dschelabi auf mich. Sobald ich durch das Gebüsch breche, folgt ihr mir. Es wird kein Kommando gegeben; keiner darf rufen oder schreien; es muß alles ganz still und lautlos geschehen, denn dann wirkt die Überraschung viel mehr, als wenn der Feind durch unzeitiges Gebrüll gewarnt wird. Bedenkt, daß jeder von euch drei oder vier Gegner niederschlagen muß! Ihr müßt also außerordentlich schnell arbeiten, und das ist nur dann möglich, wenn ihr euch dabei ganz stumm verhaltet. Die Kerle werden dann vor Schreck geradezu starr sein, während euer Kampfgeschrei sie sehr beweglich machen würde.«

Da unsere Kamele an den Beinen gefesselt waren, genügte ein einziger Mann zu ihrer Bewachung. Die andern gingen mit mir.

»Dein Plan gefällt mir, Effendi,« meinte der Führer, als wir aufbrachen. »Mit dem Schießen ist es bei mir nicht ganz sicher, nun aber werden diese Hunde den Kolben meiner Visionsflinte sehr zu kosten bekommen.«

Wir gelangten unbemerkt auf dem von mir ausersehenen Platze an. Es hatte sich dort nichts verändert. Nun verging eine Weile, bis ich jedem einzelnen meiner Leute gezeigt hatte, wohin er sich zu wenden habe; dann stellte ich mich an die lichte Stelle im Gebüsch, durch welche ich vorhin geschaut hatte. Die Gefährten hielten, die Augen auf ihre bestimmten Opfer gerichtet, mir zur linken Hand, wo das Gesträuch nicht schwer zu durchdringen war. Da ich sah, daß ein jeder bereit war, that ich einen Sprung durch das Gesträuch und auf die Lichtung hinaus, wendete mich rechts – zwei Kolbenhiebe, und der Fakir und der Kundschafter waren abgethan.

Hinter mir rauschte es wie Sturmwind im Gebüsch, denn meine Asaker folgten mir. Einige Schritte von den beiden genannten saßen vier Männer, welche über mein Erscheinen so entsetzt waren, daß sie mich bewegungslos anstarrten; ich hieb den ersten nieder, den zweiten; der dritte erhob zur Abwehr die Arme, ich traf ihn dennoch; der vierte wollte aufspringen, kam aber nicht dazu; ich schlug ihn zu den andern. Ich hatte aus Rücksicht auf die Getroffenen mit der breiten Seite und nicht mit der Kante des Kolbens zugeschlagen. Das betäubte nur, tötete aber nicht.

Sechs Mann – das war mein Pensum, und nun machte ich es mir zur Aufgabe, etwaige Flüchtlinge zurückzuhalten. Darum wendete ich mich gegen die Scene, welcher ich jetzt den Rücken zugedreht hatte, und legte den vielschüssigen Henrystutzen zum Schusse an.

Es war ein noch nie erlebter Anblick, der sich mir bot. Die Asaker hatten sich genau nach meiner Vorschrift gehalten; sie »arbeiteten« stumm, und die davon erwartete Wirkung blieb nicht aus; gerade dieses Schweigen vergrößerte den Schreck der Überfallenen; auch sie schienen stumm zu sein. Nur hier oder dort schrie einer auf oder sprang einer empor, um sich zu flüchten, was aber keinem gelang. Übrigens hätte ich jedem, dessen Flucht zu gelingen drohte, eine Kugel in das Bein gegeben, um ihn niederzuwerfen.

Abgesehen von dem Umstande, daß das Niederschmettern von Menschen kein Vorgang ist, über welchen man entzückt sein kann, war es für ein kampfesfrohes Auge eine Freude, die Asaker zu sehen. Am gewandtesten benahm sich Ben Nil; ich glaube, er streckte sechs oder sieben Gegner nieder. Von dem Augenblicke an, in welchem ich das Gebüsch durchdrang, bis zu dem Momente, in welchem ich den letzten Feind hintenüber fallen sah, waren wohl kaum anderthalb Minuten vergangen, und von Seiten der Gegner war nicht ein einziger Schuß oder Schlag gefallen. Das war die Folge der Überraschung, einer so vollständigen, erstarrenden Überraschung, wie ich bisher noch keine beobachtet hatte.

Selbst jetzt, als wir den vollsten Erfolg vor uns hatten, blieben die Asaker still. Sie blickten alle zu mir her, um zu erfahren, was nun zu geschehen habe.

»Bindet schnell alle,« rief ich ihnen zu, »mit Riemen, Schnüren oder Fetzen, die ihr ihnen von den Kleidern reißt! Das Schweigen ist zu Ende; ihr dürft reden.«

Reden? Wie kann man in einer solchen Situation einem afrikanischen Askari gegenüber von »Reden« sprechen! Hätte ich gesagt: »ihr dürft heulen«, so wäre der Erfolg noch lange nicht dem nahe gekommen, was ich jetzt zu hören bekam. Die zwanzig Stimmen brachen in ein geradezu übermenschliches Gebrüll aus; es war, als ob hundert Teufel jauchzten. Dabei versäumten sie aber nicht, meinen Befehl schnellstens auszuführen.

Ich wendete mich natürlich zunächst zu dem Fakir und seinem Kundschafter. Sie hatten die Lippen offen und röchelten; ich band ihnen die Hände hinten und auch die Füße zusammen. Material zum Fesseln war genug vorhanden; jeder Beduine trägt während eines Rittes Schnüre bei sich, da er deren sehr oft braucht. Außerdem ist jedes Kaffije und jede Kapuze mit einem Ukal, einer Schnur versehen, mit welcher die Kopfbedeckung befestigt wird, und so ein Ukal ist ein zum Fesseln höchst praktischer Gegenstand.

Es gab welche, die nur halb betäubt waren; sie waren an ihren Bewegungen zu erkennen und wurden natürlich zuerst gefesselt. In fünf oder höchstens zehn Minuten waren wir fertig und konnten nun daran gehen, zu untersuchen, ob einer oder der andere erschlagen worden sei. Leider waren die Asaker nicht so glimpflich wie ich verfahren; sie hatten mit der Schärfe des Kolbens zugeschlagen, und so gab es mehrere zerschmetterte Schädel. Es ergab sich zu meinem Leidwesen, daß acht Personen tot waren. Drei von ihnen hatte unser Führer auf dem Gewissen, denn er sagte zu mir, indem er das Blut von dem Kolben seiner Flinte wischte:

»Effendi, mein Visionsgewehr hat seine Schuldigkeit gethan, denn von den vieren, welche ich traf, wird nur ein einziger sich erheben.«

»War das deine Absicht?«

»Ja. Ich wollte auch den vierten töten.«

»Das hatte ich doch verboten!«

»Darf ich mir verbieten lassen, mich zu rächen? Oder habe ich dir versprochen, deinem Verbote zu gehorchen? Ich sah unsere Ermordeten im Sande des Bir es Serir liegen und habe jetzt eine Vergeltung geübt, welche nichts ist gegen das, was dort geschah. Du hast kein Recht, mir das meinige zu nehmen!«

Ich zog es vor, ihm nicht zu antworten, und kehrte zu dem Fakir zurück, welcher, wie ich sah, die Augen geöffnet hatte und nun den entsetzten Blick auf seine Umgebung richtete. Auch der Dschelabi war erwacht und schaute ebenso erschrocken wie der andere umher. Während die Asaker die Gefangenen und die Kamele nach Beute untersuchten, was ich ihnen nicht verwehren konnte, setzte ich mich neben dem Fakir nieder. Er schloß die Augen, ob aus Schwäche, vor Wut oder Scham, das war mir gleichgültig.

»Sallam, ia Weli el kebir el maschhur – sei gegrüßt, du großer, berühmter Heiliger!« sagte ich. »Ich freue mich, dich hier zu sehen, und hoffe, daß auch du dich glücklich fühlst, mein Angesicht zu schauen.«

»Sei verflucht!« knirschte er halblaut und ohne die Augen zu öffnen.

»Du hast dich versprochen. ›Sei gesegnet!‹ wolltest du sagen, denn ich weiß, wie groß deine Sehnsucht nach mir war. Du sandtest doch sogar Boten aus, welche meinen Aufenthalt erforschen sollten. Leider aber sollte deine Sehnsucht eine mir verderbliche sein, denn du wolltest meine Asaker erschießen und mir die Zunge und die Hände abschneiden lassen, um mich dann an den grausamsten Negerfürsten zu verkaufen.«

»Er ist allwissend!« entfuhr es ihm, indem er die Augen öffnete und diesen Ausruf gegen seinen Gefährten richtete. Der Blick des letzteren ruhte groß, offen und mit dem Ausdrucke tödlichen Hasses auf mir. Ich nickte ihm freundlich zu und sagte:

»Du hattest vollkommen recht, als du mir sagtest, daß ich dich bald wiedersehen und dich dann kennen lernen würde. Wir sind, obgleich du nach EI Fascher wolltest, schon nach so kurzer Zeit wieder bei einander. Ich bin ganz entzückt darüber, denn es ist der Beweis, daß ich dich ganz richtig beurteilt habe. Du bist es, der den Gedanken, mir die Zunge und die Hände zu nehmen, erfunden hat, und du täuschest dich nicht, wenn du die frohe Überzeugung hegst, daß ich dir meinen Dank für diese Erfindung nicht vorenthalten werde.«

»Ich verstehe dich nicht!« antwortete er. »Warum bin ich gebunden? Warum habt ihr uns überfallen? Was könnt ihr uns beweisen? Ich verlange, losgebunden zu werden.«

»Diesen Wunsch wird man dir auf das bereitwilligste erfüllen, und zwar in dem Augenblicke, in welchem man dich dem Henker übergiebt.«

Er machte eine hastige Bewegung des Widerspruches und öffnete die Lippen zu einer Entgegnung; ich ließ es aber nicht zu derselben kommen, indem ich schnell fortfuhr.

»Ereifere dich nicht, und gieb dir keine Mühe! Du bist viel zu dumm, mich zu täuschen. Ein Mensch wie du sollte daheim bleiben und ja nichts anderes thun als seine eigene Albernheit beweinen. Du warst, als du heute zu uns kamst, noch nicht vom Kamele gestiegen, so wußte ich schon, weß Geistes Kind du bist. Kennst du die Fabel von der Bakkal, welche den Bu husain überlisten wollte?«

»Was geht mich diese Fabel an, welche jedem Kinde bekannt ist!« fuhr er mich an.

»Sehr viel, denn du gleichst dieser Bakka, indem du auf den geradezu verrückten Gedanken gekommen bist, mich übertölpeln zu wollen. Das würde selbst einem tausendmal klügern Menschen nicht gelungen sein. Wie du, dessen Kopf nicht eine Spur von Gehirn enthält, annehmen konntest, daß es dir gelingen werde, mich zu täuschen, das kann ich mir nur durch deine unendliche Albernheit erklären. Du und einen deutschen Effendi überlisten! Das ist ganz genau so wie in der Fabel von der Bakka, welche sich an den Bu husain wagte.«

Es war nicht etwa Überhebung von mir, daß ich den Mund so voll nahm; eine weniger hochmütige Ausdrucksweise hätte ihren Zweck nicht erreicht. Der Erfolg blieb nicht aus, denn er antwortete im zornigsten Tone.

»Wie kann ein Giaur sich einem wahren Gläubigen gegenüber in dieser Weise überheben! Wärst du so klug, wie du dich dünkst, so würdest du längst von deinem Irrglauben abgewichen sein. Nimm uns sofort die Fesseln, welche durch deine Hände beschmutzt sind, ab, sonst – –«

»Schweig!« unterbrach ich ihn. »Wage nicht etwa, mir zu drohen; ich würde dir mit der Peitsche antworten! So hündisches Gezücht bekommt Hiebe, wenn es bellt. Und wenn du deine jetzige Lage so wenig begreifst, daß du es wagst, zu fordern anstatt demütig zu bitten, so werde ich sie dir auf eine Weise zur Erkenntnis bringen, daß dir der Hochmut schnell vergehen soll!«

»Das wirst du unterbleiben lassen, denn ich bin Scheik!« wendete er ein.

»Pah! Ein armseliger Beduinenscheik ist gegen das, was ich bin, gar nichts. Übrigens hast du behauptet, ein Dschelabi zu sein, und bist nebenbei Mitglied einer Mörderbande; danach wirst du behandelt.«

»Dann wehe dir! Du wärst verloren; mein Stamm würde euch alle vernichten!«

»Was, dieser Mensch ist so frech, dich zu bedrohen, Effendi?« rief Ben Nil aus, welcher hinzugetreten war und die Worte gehört hatte. »Soll ich ihm den losen Mund stopfen?«

»Thue es!«

Er wendete ihn mit dem Fuße um, so daß sein Rücken nach oben zu liegen kam, und zog die Peitsche aus dem Gürtel. Ich wendete mich ab. Mein Auge sträubte sich, Zeuge der Züchtigung zu sein; das Ohr sagte mir aber doch, daß Ben Nil seinem Zorne in einer Weise, welche nichts zu wünschen übrig ließ, Luft machte. Indessen erteilte ich den andern die Weisung, die Gefangenen und deren Tiere nach dem Brunnen zu schaffen. Als dies geschehen war, wurden auch unsere Kamele nach demselben gebracht.

Er lag an einer Stelle, von welcher man, um Platz zum Lagern zu bekommen, die Bäume und das Gesträuch entfernt hatte; es gab da Raum für noch mehr Leute, als wir nun zusammen waren; auch Wasser war genug vorhanden.

Meine Asaker hatten sehr gute Beute gemacht und befanden sich infolgedessen in ausgezeichneter Stimmung. Es kamen auf einen jeden die Kamele, Waffen und sonstigen Habseligkeiten von wenigstens drei Gefangenen. Ich beanspruchte natürlich nichts, und Ben Nil folgte, obgleich er ein armer Teufel war, diesem Beispiele. Als ich ihn nach der Ursache dieses Verzichtens fragte, antwortete er:

»Warum nimmst du selbst nichts, Effendi? Ist es nur aus Güte gegen die Asaker, damit diese deinen Anteil mit bekommen? Oder ist es Stolz? Ich weiß von dir, daß die Krieger des Abendlandes keine Beute machen. Auch ich verschmähe es, Gegenstände zu besitzen, welche sich in den schmutzigen Händen dieser Hundesöhne befunden haben.«

Das war eine sehr brave Gesinnung von ihm, und er verdiente es, daß ich seine mir erwiesene Anhänglichkeit durch ein beinahe freundschaftliches Verhalten erwiderte.

Es war geboten, dafür zu sorgen, daß die Gefangenen uns gesichert blieben; sie wurden in die Mitte genommen und sehr scharf im Auge behalten. Für die Nacht waren Wachen vorgesehen. jetzt war es noch Tag, doch durften wir den Anbruch des Abends in einer halben Stunde erwarten. Ich hielt es für geraten, noch vor dem Beginne der Finsternis die Umgebung des Brunnens abzuschreiten. Es war dies eine Vorsichtsmaßregel, deren Ausführung ich bei meinen Reisen nur in Fällen, in denen ich mich ganz sicher weiß, zu versäumen pflege. Darum schritt ich, um nach etwaigen Spuren zu suchen und mich überhaupt zu orientieren, den Umkreis langsam ab. Zugleich hatte ich einige Leute in den Wald nach Brennholz geschickt. Da die Zahl der Gefangenen dreimal größer als diejenige der Asaker war, mußten wir, um sie bewachen zu können, nicht ein, sondern mehrere Feuer haben. Material zu denselben wurde schnell und genug zusammengetragen. Ich kehrte von meinem Gange zurück, ohne etwas Verdächtiges gefunden zu haben. Dafür aber brachte mir einer der Holzleser zwei Gegenstände, welche unter einem Baume gelegen und notwendigerweise seine Aufmerksamkeit erregt hatten.

»Siehe doch einmal diese beiden Knochen an, Effendi,« sagte er. »Es scheinen die Überreste eines Kalbes zu sein, und da niemand ein lebendes Kalb, um es zu schlachten, mit in die Steppe nimmt, so müssen hier Leute, welche Rinderdiebe sind, gelagert haben.«

Ich nahm die Knochenstücke aus seiner Hand, um sie zu betrachten und erschrak. Das eine war ein halbes Schulterblatt und das andere der Fortsatz eines oberen Schenkelknochens.

»Das sind nicht Kalbs-, sondern Menschenknochen!« antwortete ich.

»Allah! So ist ein Mensch hier ermordet worden!«

»Nicht eigentlich ermordet, sondern zerrissen und aufgefressen.«

Sofort war ich umringt, und alle riefen auf mich ein, daß ich mich da wohl geirrt habe.

»Ich irre mich nicht, denn ich weiß die Knochen eines Menschen von denen eines Tieres wohl zu unterscheiden. Dieses Schulterblatt und die Schenkelröhre sind von den Zähnen eines sehr starken, wilden Tieres zermalmt worden. Sollte es in der Steppe oder etwa gar hier im Walde Löwen geben?!«

»Allah beschütze uns und segne uns mit seiner Gnade!« schrie da unser Fessarah-Führer auf »Das ist kein anderer Teufel gewesen als Chazzak ed Dschuma, der Löwe von EI Teitel!«

»Warum wird er nach diesem Orte genannt?«

»Weil er abwechselnd alle Brunnen, welche zwischen EI Teitel und dem Nile liegen, besucht.«

»Und welchem Umstande verdankt er den andern Namen?«

»Es vergeht keine Woche, in welcher er nicht einen Menschen zerreißt und frißt. Er ist schon seit länger als einem Jahr in dieser Gegend.«

»Hat man ihn denn nicht gejagt, nicht versucht, ihn zu erlegen?«

»Gejagt? Was fällt dir ein! Allah behüte jeden Menschen vor diesem gewaltigen Fresser, welcher größer als ein Ochse und stärker als ein Elefant ist!«

»Kennt man seinen Lagerplatz? Hat man ihn vielleicht mit einer Löwin oder mit jungen gesehen?«

»Nein. Darum besitzt er keine bestimmte Wohnung, schläft einmal hier und einmal dort und ist inzwischen von einem Brunnen zum andern unterwegs.«

»Ah, also ein Wahdani! Ich kenne diese einsamen, weil selbst gegen ihresgleichen feindseligen Tiere. Sie sind die allerschlimmsten. Wenn ein solcher einmal einen Menschen gefressen hat, so bleibt er bei dieser Nahrung und schlägt Tiere nur im Falle des allergrößten Hungers.«

»Das ist richtig, Effendi, und so ein Menschenfresser ist dieser Vagabund von EI Teitel. Es kommt sogar vor, daß er in einer Woche zwei verschlingt. Wann mag er hier gewesen sein?«

»Vor vier oder fünf Tagen, wie ich aus der Trockenheit dieser Knochenreste ersehe.«

»O Allah, das ist schlimm! So kann er heute wieder hier sein. Wenn er gestern oder vorgestern da gewesen wäre, befände er sich heute ganz sicher anderswo; nach so langer Zeit aber kann er seine Runde schon wieder beendet haben.«

»Das hängt davon ab, wie viele Brunnen er besucht und ob er inzwischen wiederum ein Opfer gefunden hat. Er kann einen Menschen auf einmal nicht verzehren und geht erst dann, wenn er den letzten Markknochen zerschnitten hat, von dannen. Vielleicht hat er volle drei Tage hier gelegen.«

»So ist Allah uns gnädig gewesen. Der Fresser hätte uns an einem unserer letzten Nachtlager überfallen können. Die Knochen sind vier Tage alt; drei Tage war er hier, also ist er erst einen Tag fort, und wir haben nichts zu befürchten.«

»Dieser Schluß scheint richtig zu sein, kann uns aber täuschen. Der Löwe zieht, wie jedes andere Raubtier auch, den Ort, an welchem er Fraß fand, denjenigen Stellen vor, die er vergeblich aufsuchte. Er kann also leicht rascher, als du denkst, zurückkehren.«

»Das mögen sämtliche Heiligen des Kalifates verhüten! Vielleicht befindet er sich gar noch hier und liegt in einem Hinterhalte!«

»In diesem Falle hätte ich seine Spur gesehen. Dennoch müssen wir vorsichtig sein, da diese Einsiedler verschmitzt und hinterlistig sind und ihre Annäherung nicht wie andere Löwen durch Gebrüll verkünden. Sie schleichen sich vielmehr heimlich wie Panther an und springen lautlos auf ihr Opfer ein. Ich habe einst einen solchen verstockten Sünder geschossen, welcher nur einmal, und zwar vor Freude kurz aufbrüllte, als er auf unsere Fährte traf, und sich dann aber vollständig lautlos näherte.«

»Was, Effendi, du hast auf einen Löwen geschossen?«

»Schon auf mehrere.«

»Und auch getroffen?«

»Meine Kugel traf nur, als ich Anfänger im Schießen war, ihr Ziel zuweilen nicht.«

»Und hast Löwen getötet?«

»Ja.«

»Mit wie vielen Schüssen?«

»Mit einem. Nur ein einziges Mal waren zwei Kugeln nötig.«

»O, Effendi, wie schön du lügst; nein, wie schön du lügst!«

Es fiel mir gar nicht ein, ihm diesen Ausruf übel zu nehmen, denn ich kannte ja die Art und Weise, in welcher die Wüsten- und Steppenbewohner den Löwen zu jagen pflegen. Ist sein Lager aufgespürt, so versammeln sich sämtliche Krieger eines Stammes oder auch mehrerer Stämme und reiten hin. Das Lager wird umstellt und mit Steinen beworfen; dabei brüllt jeder, so sehr und viel er kann, bis der aufgejagte Löwe erscheint. Jetzt krachen, ohne daß man es mit dem Zielen genau nimmt, alle Flinten. Die Kugeln gehen daneben; vielleicht trifft zufällig eine einzige, und das verwundete Tier springt brüllend auf die Menge ein, um einen Reiter oder zwei vorn Pferde zu reißen und zu töten. Die andern springen zurück, um zu laden, bleiben dann halten und schießen wieder – mit demselben Erfolge. Der Löwe geht abermals vor und zerfetzt einen dritten. In dieser Weise folgt Salve auf Salve, bis das Tier endlich mit völlig durchlöcherter Haut und nicht tödlich getroffen, sondern vom Blutverluste erschöpft, zusammenbricht, aber auch so und so viele Menschen den unrühmlichen Sieg mit ihrem Leben bezahlt haben. Die andern fallen jubelnd über die Leiche des »Wüstenkönigs« her, schlagen sie, treten sie mit Füßen, spucken sie an und bewerfen sie mit allen möglichen und unmöglichen Schandwörtern und Schimpfreden. Das geschieht nie in der Nacht, sondern stets am Tage. Daß aber ein einzelner Europäer in dunkler Nacht den Löwen an der Tränke erwartet oder aufsucht, um ihn durch einen Schuß in das Auge oder in das Herz zu erlegen, das ist für diese Leute eine Fabel, eine vollständige Unmöglichkeit; das glauben sie einfach nicht, und so nahm ich es dem Führer auch nicht übel, daß er glaubte, ich wolle ihn mit einer »schönen Lüge« unterhalten.

»Er hat Löwen getötet!« fuhr er lachend fort. »Mit einem Schusse! Des Nachts! Und er war ganz allein! O Allah, o Muhammed, welch ein gewaltiger Held doch dieser unser Effendi ist! Ich möchte ihn einmal so als Sijad es Saba sehen!«

»Wünsche dir das nicht,« warnte ich, doch nicht etwa in beleidigtem Tone. »Dieser dein Wunsch könnte nur dadurch, daß der Löwe käme, in Erfüllung gehen, und ich glaube nicht, daß du dich über dieselbe freuen würdest.<,

»Sogar sehr, sehr würde ich mich freuen,« meinte er, noch immer lachend. »Ich fürchte mich ebensowenig wie du vor ihm. Der Menschenfresser ist ein ungeheuer großes Tier, und wenn ich ihn nahe genug herankommen lasse, kann ich ihn gar nicht fehlen. Was ein Deutscher vermag, der nicht einmal hier geboren ist, das kann auch ich, der ich ein Sohn dieses Landes bin. Ich biete dir eine Wette an, daß ich, wenn der Löwe kommt, ganz dasselbe thue, was du unternimmst.«

»Gut! Um was wetten wir?«

»Setzest du deine Uhr und dein Fernrohr gegen meine Visionsflinte?«

»Ja.«

»Und du scherzest auch nicht?«

»Nein. Gehst du also die Wette ein?«

»Ja; ich schwöre es bei Allah und dem Barte des Propheten. Willst du etwa zurücktreten?«

»Nein. Du hast bei Allah und dem Barte des Propheten geschworen und kannst also auch nicht zurück. Erst widersprachst du mir aus Unglauben; dann kam dir das Verlangen nach der Uhr und dem Rohre. Du glaubst, dieser beiden Gegenstände sicher zu sein, da du überzeugt bist, daß ich, falls der Löwe ja erscheint, ganz hübsch und vorsichtig am Feuer sitzen werde. Aber du irrst dich.«

Er sah eine Weile vor sich nieder; dann sagte er:

»Ich will dich nicht beleidigen, aber ich glaube es dir nicht.«

»Und ich denke zwar nicht, daß das Tier kommen wird, aber falls es kommt, werde ich dir beweisen, daß du dich irrst. Die Wette gilt?«

»Ja; ich habe ja geschworen.«

»So bitte deinen Propheten, den Löwen fern zu halten. Wenn er dir diesen Wunsch nicht erfüllt, ist es um deine berühmte Visionsflinte geschehen. Jetzt wollen wir über unseren Gefangenen – –«

Ich wurde unterbrochen, denn es erschien am westlichen Rande der Lichtung ein Kamelreiter, welcher bei unserem Anblicke ziemlich betroffen halten blieb und uns betrachtete. Er schien im Zweifel darüber zu sein, ob es besser sei, an uns vorüber zu reiten oder nach dem Brunnen einzubiegen, doch entschloß er sich für das letztere, trieb sein Tier auf uns zu, stieg ab und sagte:

»Ehe ich den Sallam über meine Lippen gehen lasse, sagt mir, wer euer Anführer ist!«

»Ich bin es,« antwortete ich.

»Das sind Asaker; du aber scheinst kein Askari zu sein. Wie soll ich es mir da erklären, daß du dich deren Anführer nennst?«

»Macht die Uniform den Askari?«

»Nein. Ich will dir glauben. Warum habt ihr die Leute, welche hier am Boden liegen, gefesselt?«

»Sie sind Gefangene von uns, Sklavenjäger.«

»Das ist doch kein Verbrechen?«

»Nun, dann Menschenraub!«

»Sklaven, überhaupt Schwarze, sind keine eigentlichen Menschen. Du wirst diese Männer also frei lassen!«

Der Mann war wohl etwas über dreißig Jahre alt, hager und trug einen dunkeln, nicht sehr dichten Vollbart. Sein Gewand war weiß gewesen, jetzt aber nicht mehr von allzu reinlichem Aussehen. Der Ausdruck seines Gesichtes war streng, düster asketisch. Er stand gerade und stolz aufgerichtet vor mir, und seine Augen blickten mich fast drohend an, als ob er und nicht ich es sei, der zu befehlen hatte. Ich ahnte nicht, daß dieser Mann später als Mahdi eine so hervorragende Rolle spielen werde.

»Werde ich?« fragte ich ihn. »So! Mit welchem Recht und aus welchem Grunde erwartest du denn, daß ich dies thun werde?«

»Weil ich es sage, der Fakir el Fukara.«

»Schön! Und ich bin der Askari el Asaker und thue nur das, was mir beliebt.«

Fakir el Fukara ist Fakir der Fakire, also der beste, der vorzüglichste Fakir; darum nannte ich mich den Soldaten der Soldaten, also den vorzüglichsten Soldaten. Er schien diese Antwort nicht erwartet zu haben, denn er fragte:

»Kennst du mich denn nicht? Hast du noch nichts von dem Fakir el Fukara gehört?«

Indem er dies sagte, sah ich, daß er mit dem alten, »ehrwürdigen« Fakir, welcher gebunden am Boden lag, einen Blick des Einverständnisses wechselte. Sie kannten sich also, und so antwortete ich:

»Nein; aber meine Gefangenen kennen dich.«

»Woher weißt du das?«

»Du selbst hast es mir gesagt.«

»Ich weiß nichts davon. Wann denn?«

»Eben jetzt. Dein Auge sagte es mir. Du gabst diesem alten Abd Asl ein Versprechen, welches du nicht halten kannst.«

»Ich werde es halten. Frage deine Gefangenen, so werden sie dir sagen, daß ich mächtig bin und sehr wohl weiß, daß ich ein Versprechen, welches ich gegeben habe, auch zu halten weiß.«

»Frage sie vorher nach mir, so werden sie dir wohl mitteilen, daß in diesem Augenblicke ich es bin, der die Macht in den Händen hat. Wer und was du bist, das ist mir sehr gleichgültig. Ich stehe hier an Stelle des Reïs Effendina, also an Stelle des Khedive. Das wird dir genügen.«

»Das genügt mir keineswegs, sondern bringt eine ganz andere Wirkung hervor, als du beabsichtigt hast. Der Vizekönig ist ebenso wie der Reïs Effendina in meinen Augen nichts, und es fällt mir nicht ein, mich nach ihnen zu richten.«

Jetzt kannte ich seine Verhältnisse nicht; später erfuhr ich freilich, weshalb er sich dieses unehrerbietigen, ja geringschätzenden Ausdruckes bedient hatte. Für einige Zeit Steuerbeamter gewesen, hatte er sich gezwungen gesehen, sein Amt niederzulegen, und war Sklavenhändler geworden. Das wußte ich jetzt freilich nicht, antwortete ihm aber doch mit überlegenem Lächeln:

»Du wirst dich aber dennoch nach ihnen richten, indem du dich nach mir richtest, der ich ihre Befehle auszuführen habe.«

»Du wirst sogleich sehen, wie ich diese Befehle achte.«

Er zog sein Messer und bückte sich zu Abd Asl nieder.

»Halt!« gebot ich ihm. »Was willst du thun?«

»Diesen meinen Freund von seinen Fesseln befreien.«

»Das erlaube ich nicht.«

»Was frage ich nach deiner Erlaubnis!«

Er legte das Messer an den Riemen; ich aber legte auch, nämlich beide Hände von hinten und oben an seine Hüften, hob ihn aus seiner gebückten Haltung empor und warf ihn mehrere Schritte weit über die Gruppe der Gefangenen, bei denen Abd Asl lag, hinüber. Er hatte sein Messer festgehalten, raffte sich rasch wieder auf, erhob die Hand zum Stoße und drang auf mich mit den Worten ein:

»Du wagst, dich an dem Fakir el Fukara zu vergreifen? Da, nimm!«

Es fiel mir gar nicht ein, mich einer Waffe zu bedienen. Auch keinem der Asaker kam es bei, mir beizuspringen; nur Ben Nil fuhr mit der Hand in den Gürtel, blieb aber an seinem Platze stehen; sie wußten, daß ich mit dem Angreifer fertig werden würde. Ich gab ihm mit der Faust von unten her einen Stoß in die Achselhöhle des erhobenen Armes, und diese Parade war so kräftig, daß sie ihn aushob und wieder zu Boden warf. Jetzt zog ich den Revolver; als er wieder aufsprang, um mich von neuem anzugreifen, hielt ich ihm denselben entgegen und rief:

»Noch einen Schritt weiter, und ich schieße dich nieder!«

»Bleib stehen, sonst schießt er wirklich, denn er ist ein Giaur!« warnte ihn Abd Asl.

Der Fakir el Fukara zog den bereits erhobenen Fuß wieder zurück, ob aus Furcht vor meiner Waffe oder aus Betroffenheit darüber, mich einen Giaur nennen zu hören, das weiß ich nicht – wohl aus beiden Gründen zugleich, und fragte:

»Ein Giaur? Er ist kein Moslem?«

»Nein, sondern ein christlicher Effendi,« antwortete der Alte.

»Und dieser Hund wagt es, mich – –«

Im Nu stand Ben Nil mit der erhobenen Peitsche hinter ihm und fragte mich.

»Effendi, soll ich ihm die Haut in Streifen schlagen, da er dir den Namen eines verachteten Tieres giebt?«

»Dies eine Mal soll ihm verziehen sein, weil er in der Aufregung gesprochen hat,« antwortete ich. »Wenn er mich aber noch ein einziges Mal beleidigt, so erhält er die Bastonnade, daß er hier liegen bleiben und elend verkommen muß!«

»Allah! Mir die Bastonnade!« knirschte der Mann. »Von einem Christen! Welch ein Frevel, welch eine Kühnheit!«

»Von Kühnheit kann dir gegenüber keine Rede sein,« lachte ich ihm in das Gesicht. »Ich würde mich nicht fürchten, wenn ich zehn Personen deinesgleichen gegenüber stände; hier aber bist du allein und hast außer mir noch zwanzig Asaker gegen dich.«

»Aber sie sind doch Moslemin?!«

»Das sind sie allerdings.«

»So müssen sie doch für mich und nicht für dich sein! Wie kann ein Moslem dulden, daß einem andern Rechtgläubigen von einem Christen mit der Bastonnade gedroht wird, ja, daß dieser sich sogar an ihm vergreift und ihn zu Boden wirft?«

Da stellte sich Ben Nil vor ihn hin und antwortete an meiner Stelle:

»Höre, wir haben diesen unsern Effendi von Herzen lieb und sind bereit, für ihn gegen jedermann zu kämpfen. Zehn und hundert Fakire el Fukara wiegen ihn in unserer Achtung nicht auf, und ich sage dir, daß du nicht der erste wärst, der, weil er ihn beleidigte, die Peitsche bekommen hat. Nimm dich also sehr in acht! Die Bastonnade schwebt über deinem Haupte, und bei Allah, wenn du deinen Mund nicht hütest, senkt sie sich augenblicklich auf dich nieder!«

»Knabe!« fuhr ihn der Fakir an. »Hüte du selbst deine Zunge! Was bist du und was sind zwanzig Asaker gegen die Anhänger, welche zu mir eilen, wenn ich meine Stimme erhebe!«

»Erhebe Sie! Wir werden sehen, ob der Wald lebendig wird!«

»Das darfst zu sagen, weil ich heute niemand bei mir habe; später aber kann ich euch zerquetschen, wie man Würmer mit dem Fuße zertritt!«

Die Soldaten ließen ein zorniges Murmeln hören; er aber kehrte sich nicht daran und fuhr fort:

»Indem ihr einem Christen gegen diese Moslemin dient, verleugnet ihr den Propheten. Habt ihr ein Recht, diese Rechtgläubigen gefangen zu halten? Wenn sie Sklaven gefangen haben, wo steht denn im Kuran, daß der Sklavenhandel verboten ist?«

Seine Absicht war, die Asaker gegen mich aufzuwiegeln, und er glaubte vielleicht, daß ihm dies gelingen werde. Ich hatte gar nicht nötig, ihn durch Zwischenreden in der Ausführung dieses Vorhabens zu hindern, denn Ben Nil, welcher das Wort nun einmal für die andern ergriffen hatte, antwortete ihm:

»Du kennst die Lage der Sache nicht. Ibn Asl, der Sohn dieses alten Fakirs, hat die Beni Fessarah überfallen, viele von ihnen getötet und die jungen Frauen und Töchter davongeführt, um sie in die Sklaverei zu verkaufen. Wir aber haben sie ihm abgenommen und wieder in ihre Heimat geleitet. Aus Zorn und Rache darüber hat er uns seinen Vater mit diesen Männern entgegengesandt. Sie sollten uns hier auflauern und ermorden; dem Effendi aber sollten die Zunge und auch die Hände abgeschnitten werden. Ist es erlaubt, Rechtgläubige zu rauben und zu Sklaven zu machen?«

»Nein,« gestand der Fakir.

»Sind die Beni Fessarah Rechtgläubige oder Giaurs?«

»Rechtgläubige.«

»So hat sich Ibn Asl also einer Todsünde schuldig gemacht, und diese Menschen hier sind seine Mitschuldigen. Sie müssen dafür bestraft werden, gar nicht davon zu sprechen, daß sie Mörder sind, da sie das beabsichtigten, was ich dir mitgeteilt habe.«

Diese Mitteilung des Jünglings verfehlte ihren Eindruck nicht. Der Fakir el Fukara wendete sich an den alten Fakir Abd Asl und fragte:

»Ist das wirklich so, wie ich es jetzt gehört habe?«

»Man mag uns beweisen, daß wir diese Asaker töten wollten,« antwortete der Gefragte. »Es ist eine schändliche Lüge!«

»Leugne es nicht!« herrschte ich ihn an. »Ich habe es mit meinen Ohren gehört. Ich lag, um euch auszukundschaften, hinter dem Gesträuch, vor welchem du mit deinem angeblichen Dschelabi im Gespräch saßest.«

»Du hast dich geirrt,« meinte der Fakir el Fukara zu mir.

Ach habe richtig gehört, und es sind auch noch andere Beweise vorhanden.«

»Welche? Ich muß sie hören.«

»Du mußt? Wer hat dich zum Richter über mich gesetzt? Ich muß bloß das, was ich will, und meinen Willen werde ich dir sofort mitteilen. Ich will nämlich, daß du dich nicht weiter um diese Angelegenheit bekümmerst. Du hast dir in derselben die Hände schon so verbrannt, daß ich dir rate, dich vom Feuer fern zu halten. Du bist hier, ohne mich zu kennen, aufgetreten wie ein Gebieter. Ziehe deines Weges weiter oder lagere dich zu uns an den Brunnen, mir ist beides recht; aber sobald du fortfährst, dich in meine Obliegenheiten zu mischen, werde ich dir beweisen, daß ich infolge meiner Vollmachten der augenblickliche Gebieter an diesem Brunnen bin.«

»Wie willst du das beweisen?«

»Indem ich dich nicht länger dulde, sondern dich fortjage. Und nun kein weiteres Wort darüber! Tritt zurück! Du magst bei den Asakern lagern, bei den Gefangenen aber hast du nichts zu schaffen.«

Er sah es mir wohl an, daß ich Widerspruch nun wirklich nicht mehr dulden würde, und gehorchte; aber der Ingrimm lag wie eine wetterdrohende Wolke auf seinem Gesichte. Er sattelte sein Kamel ab und ließ es laufen, damit es weiden möge. Dann holte er sich Mundvorrat und einen Schöpfbecher aus der Satteltasche und ließ sich an dem Wasser nieder, um sein Abendbrot zu sich zu nehmen. Vorher aber holte er sein Abendgebet nach, welches er versäumt hatte, da zwischen seiner Ankunft und jetzt die Sonne untergegangen und also die Zeit des Mogreb, des vorgeschriebenen ersten Abendgebetes unbenützt verflossen war. Auch die Asaker beteten, da sie die gleiche Versäumnis begangen hatten.

Es waren vier Feuer angebrannt worden. Auf dem Raume zwischen denselben lagen die Gefangenen in voller Beleuchtung, damit wir die Bewegungen jedes einzelnen von ihnen leicht sehen konnten, und um diese herum bildeten die Asaker eine Kette, welche wieder von unsern an den Vorderbeinen gefesselten und in einem Kreise liegenden Kamelen eingefaßt wurde.

Auch ich setzte mich an den Brunnen, um zu essen. Ben Nil und der Fessarah-Führer gesellten sich zu mir. Der Fakir el Fukara saß so wenig entfernt von uns, daß er unser Gespräch hören und verstehen konnte. Ich hatte keine Veranlassung, heimlich gegen ihn zu thun; er hätte sonst vielleicht gar geglaubt, ich scheue oder fürchte mich vor ihm. Ich vermutete, daß Ben Nil nun die Gelegenheit ergreifen werde, seine Forderung in Betreff des alten Abd Asl wieder vorzubringen, und richtig, kaum hatte ich den letzten Bissen in den Mund geschoben, so sagte er:

»Effendi, ich mußte die Mahlzeit ehren; nun du aber fertig bist, hoffe ich, daß ich sprechen darf. Du hast mir den alten Fakir versprochen.«

»So ganz endgültig, wie du zu meinen scheinst, doch wohl nicht.«

»Jawohl! Du wolltest etwas von ihm erfahren, und dann sollte ich ihn bestrafen dürfen.«

»Ich habe es aber noch nicht erfahren, und es hat noch Zeit.«

»Nein. Bedenke, daß du die Auskunft, welche du von ihm haben willst, zu spät bekommen könntest. Ich weiß, du willst nicht seinen Tod, und darum zögerst du.«

»Allah wird ihn strafen!«

»Ja, aber durch mich!«

»Sieh hin! Er ist ein Greis, ein schwacher, wehrloser Mann. Kannst du es über das Herz bringen, ihm das Messer in die Brust zu stoßen?«

»Er hat es über das Herz gebracht, dich und mich in den Brunnen einzusperren, damit wir untergehen sollten. Und heute wieder war er zu einem mehr als zwanzigfachen Mord bereit. Wenn du ihn begnadigst, versündigst du dich gegen Allah, der doch auch dein Gott ist.«

»Das ist richtig,« stimmte der Führer bei. »Auch ich schwebte in Todesgefahr, jeder der Asaker ebenso. Wir alle haben also das Recht, das Blut dieses Massenmörders zu fordern!«

»Richtig! So ist es! Ganz genau so!« ertönten da die zustimmenden Rufe der Asaker.

»Hörst du es, Effendi?« fragte der Führer. »Willst du uns allen unser gutes Recht verkümmern? Dann mußt du gewärtig sein, daß wir es uns nehmen.«

Daran hatte ich auch schon gedacht. Die Soldaten waren wütend auf die Gefangenen. Nur die Achtung, in welcher ich bei ihnen stand, hatte sie vermocht, meinem Befehle zu gehorchen und die Überrumpelten nur zu betäuben, anstatt sie zu töten. Ich konnte ihnen keine Garantie dafür bieten, daß die Schuldigen ihre Bestrafung in Chartum wirklich finden würden, und wenn sie gegen meinen Willen Rache nahmen, was konnte ich dagegen thun? Sie mit Gewalt, durch Drohungen abhalten? Da wäre es mit meiner Autorität sofort vorüber gewesen. Besser, ich opferte einen einzelnen, als daß viele unter den Rächerstreichen fielen, und dieser eine mußte natürlich der alte Fakir sein. Schon war ich halb entschlossen, ja zu sagen, da trat der älteste der Asaker zu mir heran und meldete:

»Effendi, ich bin von meinen Kameraden beauftragt worden, dir eine Bitte vorzulegen.«

»So sprich!«

»Sage vorher, ob wir dir gehorsam gewesen sind und ob du mit uns zufrieden bist!«

»Ich kann vor dem Reïs Effendina jedem einzelnen von euch ein gutes Zeugnis geben.«

»Ich danke dir! ja, es ist wahr, daß wir stets thaten, was du fordertest, obgleich uns dein Wille sehr oft unbegreiflich war. Wir haben uns dann immer überzeugen müssen, daß du das Richtige getroffen hattest, und darum hast du dir unsere Ehrerbietung erworben. Einen Fehler aber haben wir an dir zu tadeln, wenn du uns das erlaubst. Du bist als Christ gegen unsere Feinde stets zu nachsichtig gewesen. Feinde muß man vernichten, um sich selbst zu erhalten. Ergreife ich heute meinen Todfeind und lasse ihn aus Barmherzigkeit wieder entwischen, so wird er morgen abermals über mich herfallen. Wir waren dem Tode geweiht; deine List und deine Umsicht haben uns gerettet; die Feinde sind in unsere Hand gegeben, aber du willst nicht, daß wir uns an ihnen vergreifen. Gut, wir gehorchen dir auch dieses Mal; wir wollen sie nach Chartum schaffen und dem Reïs Effendina übergeben; einer aber soll sterben, nämlich Abd Asl; darauf bestehen wir. Wir wollen uns nicht gegen dich erheben, aber wenn du uns diese kleine Bitte nicht erfüllst, kannst du nicht hindern, daß hier und da irgend ein Messer in irgend ein Herz gestoßen wird und viele von denen, welche zu retten willst, am Morgen nicht mehr am Leben sind. Entscheide dich!«

Das war allerdings energisch gesprochen! Was sollte ich antworten? War ich als Christ denn wirklich verpflichtet, Abd Asl, das Scheusal, du retten und dadurch viele andere in Gefahr zu bringen? Aber vielleicht konnte ich meinen Zweck durch List doch noch erreichen, indem ich mich auf das gute Herz Ben Nils verließ! Nur so lange kein Blut, als ich noch zu befehlen hatte. Was später geschah, das kam nicht auf meine Seele zu liegen. Darum antwortete ich, scheinbar auf die Forderung eingehend:

»Du hast nach euren Anschauungen ganz verständig gesprochen, aber wie kann ich über das Leben des Fakirs verfügen, da es mir nicht mehr gehört? Ben Nil ist derjenige, welcher das erste Recht zur Rache hat.«

»Aber du willst es ihm doch verkümmern, wie wir hören?«

»Nein. Er soll sein Recht haben, wenn ihr einverstanden seid und auf das eurige verzichtet.«

»Dann sind wir ja sofort einverstanden, Effendi.«

»Ihr legt also das Leben des Fakirs in Ben Nils Hände?«

»Ja.«

»So sind wir einig. Sage das den andern!«

Der Askari entfernte sich befriedigt, und Ben Nil reichte mir die Hand, indem er sagte.

»Ich danke dir, Effendi! Nun wird dem Gesetze der Wüste Genüge geschehen und zu den Schandthaten dieses Ungeheuers keine neue kommen.«

»So gehe hin, und stoße ihm, dem gefesselten Greise, das Messer in die Brust! Das ist eines tapfern Mannes würdig!«

Er senkte den Kopf und blickte vor sich nieder; ich sah, er kämpfte mit sich selbst. Dann hob er den Kopf und fragte:

»Der Alte gehört also wirklich mir und ich kann mit ihm ganz nach meinem Wohlgefallen verfahren?«

»Ja.«

»Gut, so werde ich Rache nehmen.«

Er stand auf und zog sein Messer. Da sprang auch der Fakir el Fukara auf, hielt ihn beim Arme zurück und rief:

»Halt! Das würde ein Mord sein, den ich nicht zugeben darf!«

Ben Nil schüttelte den Mann mit einer Kraft, welche ich ihm gar nicht zugetraut hatte, von sich ab und antwortete:

»Schweig! Was hast du hier zu befehlen! Ich kehre mich an deine Worte ebensowenig wie an das Summen einer Mücke!«

»Schweig du selbst, du armseliger Knabe! Wenn es mir beliebt, zerdrücke ich dich zwischen meinen Händen!«

»Versuche es doch!«

Ben Nil hatte, wie bereits erwähnt, sein Messer gezogen, und der Fakir el Fukara riß auch das seinige hervor. Ich schnellte mich zwischen beide, riß dem letzteren die Waffe aus der Hand und gebot ihm:

»Zurück, sonst hast du es mit mir zu thun!«

»Du aber auch mit mir!« rief er wütend.

»Pah! Du hast ja schon gesehen, was du gegen mich vermagst.«

»Das war Zufall. Willst du etwa mehr Mut und Geschicklichkeit haben, als ich besitze? Ein Fakir el Fukara fürchtet keinen Feind, auch den stärksten nicht, es mag sein, wer es wolle!«

Eben wollte ich antworten, da erklang ein Ton in der Ferne, infolgedessen die Entgegnung mir auf der Zunge liegen blieb. Es klang wie das ferne Rollen des Donners und doch zugleich wie das Gähnen einer in der Nähe sich befindenden und aus dem Schlafe erwachenden Hyäne. Ich kannte diesen Ton; ich hatte ihn wiederholt in ähnlicher Lage gehört, und dann hatte es sich allemal um Leben oder Tod zwischen mir und dem Könige der Tiere gehandelt.

»Fürchtest du auch diesen Feind nicht?« fragte ich den Fakir, indem ich mit der Hand nach der Gegend deutete, aus welcher das Rollen erklungen war.

»Nein, überhaupt keinen.«

»Und bist du bereit, es mit ihm aufzunehmen?«

»Ja,« lachte er. »Ich mache aber die Bedingung, daß du mich zu ihm führst.«

»So komme! Ich führe dich.«

Ich nahm meine Büchse und sah nach der Ladung derselben.

»Welch ein Held du bist!« rief er höhnisch. »Mit einer Hyäne zu kämpfen!«

»Eine Hyäne? Bist du taub oder hast du die Stimme des Herrn mit dem dicken Kopfe noch nicht gehört?«

»Des Herrn mit dem dicken Kopfe? Du meinst den Löwen?«

»Wen sonst?«

»Es war eine Hyäne. Du selbst bist taub oder so furchtsam, daß du eine Hyäne für einen Löwen hältst. Und wenn es der Herdenwürger wäre, den wir hörten, ich würde ihm mit dir entgegen gehen, um dir zu beweisen, daß – –«

Er hielt inne. Das Rollen erklang von neuem, nicht viel deutlicher als zum erstenmal. Das war ein Beweis, daß das Tier sich nur langsam näherte. Aber etwas besser war es doch zu hören gewesen, denn die Kamele begannen zu schnauben, und der Fessarah-Führer rief voller Schreck:

»Allah kerihm – Gott sei uns gnädig! Das war wirklich ein Löwe, der große Löwe von EI Teitel. Er wird uns fressen und verschlingen.«

»Ja, er hat unsere Spur gefunden und auch diejenige dieses kühnen Fakir el Fukara; darum hat er zweimal gebrüllt,« antwortete ich. »Nun aber wird er schweigen und sich heimlich nähern, um sich einen von uns zur Speise zu holen.«

»Allah bewahre uns vor den Listen dieses geschwänzten Teufels!«

»Ah, du hast Angst! Wie steht es mit unserer Wette?«

»O, Effendi, diese Wette!«

»Du wolltest doch thun, was ich thue!«

»Ja, das werde ich auch,« antwortete er; aber ich sah die Visionsflinte in seinen Händen beben.

»So komm! Dem Löwen entgegen.«

»Bist du toll!«

»Nein. Wenn ich ihm entgegen gehe, finde und töte ich ihn. Bleibe ich aber hier, so ist ein Mensch verloren.«

»Aber doch nicht gerade du oder ich!«

»Einer wird unbedingt gefressen, welcher, das bleibt sich gleich.«

»Das bleibt sich gar nicht gleich! Ob ich gefressen werde oder ob er einen andern frißt, das ist für mich ein großer Unterschied. Ich bitte dich, doch hier zu bleiben! Wenn sich jeder hinter ein Kamel versteckt, sind wir sicher.«

»Der Löwe holt sein Opfer auch hinter dem Kamele vor. Ich gehe, und dieser vortreffliche Fakir el Fukara wird mich auch begleiten.«

»Ist es dein Ernst, Effendi?« fragte der Fakir.

»Du wolltest ja mit mir zum Löwen gehen! Oder sollte ich, was du so stolz bezweifeltest, wirklich doch mehr Mut und Geschicklichkeit besitzen als du? Prahlen kann jeder Feigling; aber ein Fakir el Fukara sollte doch – –«

»Schweig!« unterbrach er mich. »Ich gehe mit.«

»So komm! Und du, Ben Fessarah?«

»Ich bleibe,« antwortete der Führer.

»Das wußte ich. Mit dem großen Maule bist du tapfer; aber ich werde deine Visionsflinte gewinnen.«

»O Allah! O Muhammed! O Abu Bekr und Osman! Meine schöne, berühmte Visionsflinte,« jammerte er.

»Wenn du zurückbleibst, ist sie verloren!«

»So – so – – so gehe ich mit, Effendi, immer hinter dir her. Geh nur voran; ich komme, ich komme!«

Er zitterte am ganzen Leibe, kam aber doch hinterdrein, doch ganz genau hinter mir, damit der Löwe nicht ihn, sondern mich erwischen möge. Er dauerte mich, und ich hätte ihn gern zurückgewiesen; aber er hatte eine Strafe verdient; außerdem war ich überzeugt, daß er schon nach wenigen Schritten abhanden kommen werde.

»Mehr Holz in die Feuer, damit die Flammen hoch steigen!« gebot ich noch; dann hatte ich den Kreis der Menschen und Kamele hinter mir.

Von den Asakern und den Gefangenen war kein Laut zu hören. Die Angst machte sie verstummen. Sie drängten sich, um Schutz zu suchen, jeder eng hinter den Leib eines Kameles. Innerlich war ich wohl der ruhigste von allen. Wenn der Augenblick der Gefahr da ist, hat jede vorher etwa vorhandene Bangigkeit aufzuhören, sonst ist man verloren. Der Fakir el Fukara hatte wohl nicht geglaubt, daß seine Großsprecherei solche Folgen haben werde; er war überzeugt gewesen, es nur mit einer Hyäne zu thun zu haben. Nun trieb ihn die Angst, für einen Feigling gehalten zu werden, hinter mir drein. Der Fessarahführer hatte ihm Platz gemacht und bildete nun den letzten. Er sah, als wir die Lichtung vielleicht halb überschritten hatten, am Rande derselben eine Bewegung im Gebüsch, duckte sich entsetzt hinter einem einzelnen Busch, an welchem wir vorüber kamen, nieder und schrie:

»Dort ist er, dort! O Allah, o Gnädiger, o Barmherziger! Ich bleibe mutig hier. Lauft fort, um euch zu retten!«

Ja, wir sollten weiter gehen, um vom Löwen gesehen und angesprungen zu werden, während er »mutig« hinter dem Strauche versteckt lag!

Auch ich hatte die Bewegung, durch welche er so in Schreck versetzt worden war, bemerkt, doch konnte sie unmöglich von dem Löwen verursacht worden sein; darum rief ich dem Feiglinge zu:

»Komm nur weiter mit, sonst ist deine Flinte verloren! Du mußt doch thun, was ich thue!«

»Nein, nein; ich bleibe hier und schieße ihn über den Haufen. Lauft nur, lauft! Und schreit recht laut, damit er Angst vor euch bekommt!«

Er forderte uns jedenfalls nur aus dem Grunde zum Schreien auf, daß wir die Aufmerksamkeit des Löwen auf uns ziehen sollten. Dieser aber konnte noch nicht da sein. Als er zum erstenmal brüllte, war er gewiß zwei englische Meilen entfernt gewesen. Darum hatte ich mir zu meinen ironischen Aufforderungen an die beiden Begleiter Zeit genommen. Jetzt mochte das Tier vielleicht drei Viertel dieser Entfernung zurückgelegt haben.

Da das Gebrüll aus Westen erklungen war, hatte ich mich natürlich nach dem dorthin liegenden Rand der Lichtung gewendet und blieb da stehen, um mir eine gute Position auszusuchen. Es war vorauszusehen, daß der anschleichende Löwe, um kein Geräusch zu machen, das Unterholz meiden werde. Da es nun hier auf dieser Seite nur eine von Büschen freie Stelle gab, so war vorauszusehen, daß er aus derselben hervorbrechen werde. Ich hatte mich also in die Nähe derselben zu postieren.

Es gab da zwei sehr starke Thalhabäume, deren Stämme dicht nebeneinander standen; ein üppiges Sunutgesträuch hielt den Schein der Feuer ab und warf einen tiefen Schatten auf die Stelle.

»Hier legen wir uns nieder,« sagte ich. »Das ist der beste Platz.«

»Warum hier?« fragte der Fakir, indem er sich zu mir niederkauerte.

»Weil der Löwe da, ungefähr zehn Schritte von uns, durchbrechen wird.«

»Allah kerihm! Warum so nahe! Wir müssen mehr zurück! Vielleicht auf fünfzig oder sechzig Schritte.«

»Nein. Je näher, desto besser und sicherer ist der Schuß.«

»Effendi, du hast den Verstand verloren.«

»Nein, aber ich habe mehr Mut als du. Ich höre deine Zähne klappern.«

»Kann ich dafür? Mein Kinn ist plötzlich ganz locker geworden.«

»Zittert auch deine Hand?«

»Ja; es geht eine große Kälte durch meine Arme.«

»So schieß ja nicht, wenn er kommt, sondern überlaß ihn mir! Du würdest schlecht oder gar nicht treffen und dadurch die Gefahr für uns verzehnfachen.«

»Wollte doch Allah, ich wäre nicht mitgegangen! Ich bin unverzagt, aber die Aufmerksamkeit des Menschenwürgers absichtlich auf sich zu lenken, das ist denn doch zu verwegen. Sprechen wir ja nicht mehr! Er könnte es hören.«

»Wir flüstern ja nur. Übrigens ist er noch gar nicht da.«

Der Fakir el Fukara hatte eine schreckliche Angst. Ich hörte ganz deutlich seine Zähne aufeinander schlagen, und als ich ihm jetzt die Hand auf den Arm legte, um zu fühlen, ob dieser auch so bebe, stieß er einen lauten Schreckensruf aus. Er hatte meine leichte Hand für die schwere und tödliche Tatze des Löwen gehalten.

Der Fessarah schien indessen irgend etwas vorzuhaben.

Ich sah ihn deutlich hinter seinem Strauche kauern. Von mir aus waren es vierzig Schritte bis zu ihm, achtzig bis zum Brunnen, bis wohin ich also, falls der Löwe dort einbrach, einen sichern Treffer senden konnte. Er hatte erst am Boden gelegen; jetzt kauerte er und machte sich mit seiner Visionsflinte zu schaffen. Dabei legte er den Kopf zur Seite, um hinter dem Busche hervorzulugen. Nun hob er das Gewehr und richtete den Lauf nach der Stelle, an welcher wir vorhin die Bewegung bemerkt hatten. Was hatte er vor? Wollte er etwa schießen? Durfte ich ihn durch einen lauten Zuruf daran hindern? Wenn ich dies auch hätte wagen wollen, es wäre zu spät gewesen, denn schon drückte er ab. Das Visionsgewehr krachte wie eine alte Donnerbüchse und schlug ihn mit dem Kolben so an den Kopf, daß er niederstürzte. Er fuhr aber schnell wieder und zwar ganz empor und schrie, indem er mit beiden Armen freudig um sich windmühlte, in jubilierendem Tone:

»Hamdullilah – Allah sei Preis und Dank! Ich habe ihn, ich habe ihn! Ich habe ihn geschossen und getroffen! Dort stürzte er zusammen; dort liegt er in seinem Blute, der Fresser, der Mörder, der Menschenverwüster und Herdentöter! jubelt, ihr Männer, ruft, schreit und singt zu seinem Ende, einem Ende ohne Ruhm und Ehre, einem Ende der Feigheit und der Schande! Effendi, komme, komme schnell herbei, damit ich ihn dir zeige!«

Das Gebaren des unvorsichtigen Menschen war fast wahnwitzig zu nennen; er gestikulierte wie ein Verrückter. Dort im Lager erhoben sich die Asaker, welche seinen Worten glaubten. Auf was hatte er denn wohl geschossen? Auf alles mögliche, aber nicht auf den Löwen, denn eben jetzt in diesem Augenblicke trug die Luft mir jenen untrüglichen scharfen, stechenden Geruch, welche den großen, wilden Arten der Katzenraubtiere zehnmal, zwanzigmal stärker zu eigen ist als den in Menagerien und zoologischen Gärten lebenden halbzahmen Exemplaren derselben.

»Er hat ihn erschossen. Wir müssen hin, Effendi!« meinte der Fakir el Fukara.

»Unsinn! Der Löwe kommt von entgegengesetzt her; wir haben ihn gerade vor uns. Ich rieche ihn schon.«

»O Allah, o Erbarmen, o Zuflucht und Trost der Gläubigen! Du irrst dich. Der Fessarah ist der Sieger, und ich begebe mich zu ihm.«

Er sprang auf und fort. Ich hätte ihn nicht halten können, selbst wenn ich gewollt hätte, denn ich besaß keine Zeit und auch keine Hand dazu. Der Löwe war da. Ich sah ihn unter den vordersten Bäumen der lichten Stelle erscheinen, fast tageshell von den hochflackernden Feuern beschienen, ein über einen Meter hohes, sicher zwei und ein halb Meter langes, ganz ungewöhnlich starkes, mächtiges Tier mit sehr langer und dichter, dunkel gefärbter Mähne.

Ich lag im Anschlage; er stand aber schlecht zum Schusse, und einen Fehlschuß durfte ich nicht wagen. Zu langen Erwägungen gab es keine Zeit, denn das Tier sah den fortrennenden Fakir el Fukara und machte eine Wendung, um ihm nachzuspringen. Ich schrie aus Leibeskräften, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken. Drehte er sich nach mir um, so hatte ich besseres Ziel. Aber er schien meinen Schrei gar nicht zu hören, wenigstens nicht zu beachten und schnellte hinter dem Fakir her, einen Satz, zwei Sätze, drei Sätze. Er wurde vom Lager aus erblickt; die Asaker heulten vor Entsetzen auf; auch der Fessarah zeterte, als ob er im Höllenfeuer brenne, und dadurch aufmerksam gemacht, blieb der Fakir el Fukara stehen und sah sich um. Als er das ihn verfolgende Raubtier erblickte, brach er vor Todesangst in die Kniee zusammen und hob, unfähig, einen Laut von sich zu geben, die gefalteten Hände empor. Noch drei Sprünge, und der Löwe hätte ihn erreicht.

Das waren nur Augenblicke, aber ich hatte sie benutzt. Meinen Bärentöter in der Rechten, war ich aus meinem Verstecke dem Würger der Herden nachgerannt, hatte mit der Linken den Revolver gezogen und drückte, dazu nicht schreiend, sondern brüllend, die sechs Schüsse nacheinander ab. Das half. Der Löwe hörte sie und warf sich herum. Ich ließ mich gedankenschnell auf das Knie nieder und legte das Gewehr an. Nun war den beiden andern geholfen; das wußte ich genau, denn der Löwe wirft sich unbedingt auf diejenige Person, welche auf ihn zielt; aber was stand nun mir bevor? Entweder er oder ich!

Er maß die Entfernung mit den Augen; in einem Sprunge konnte er mich nicht erreichen; er mußte also zwei thun, und sobald er nach dem ersten den Boden berührte, hatte ihn meine Kugel zu treffen, sonst fand ich keine Zeit mehr zu dem wahrscheinlich nötigen zweiten Schusse. Es waren höllische Momente, da die gewaltige Katze keinen Laut von sich gab. Jetzt schnellte sie in die Höhe, die Vorderpranken weit auseinander gestreckt; zwölf Schritte vor mir kam sie zur Erde nieder und erhielt den ersten Schuß. Ein Ruck, als ob er einen Stoß von vorn bekommen hätte, ging durch den Körper des Löwen; er war gut getroffen worden; aber die einmal angespannte Kraft des Willens und der Muskeln wirkte noch fort; der mächtige Körper flog wieder empor und auf mich zu, mußte genau mich erreichen. Aber bevor dies geschehen konnte, traf ihn meine zweite Kugel in der Luft, und ich warf mich weit zur Seite, indem ich das Gewehr fallen ließ und das Messer aus dem Gürtel zog. Dieses letztere zum Stoße zückend, drehte ich mich blitzschnell wieder um und sah, daß eine solche Verteidigung glücklicherweise nicht notwendig war. Der Löwe lag auf dem Rücken, bewegte sich, die Beine krampfhaft an den Leib gezogen, einmal nach der rechten und einmal nach der linken Seite, blieb da liegen und streckte dann, blutigen Schaum im halbgeöffneten Rachen, in einer letzten Bewegung die vier Pranken weit von sich. Er war tot, und ohne daß es der Bestätigung durch eine lange Untersuchung bedurfte, ersah ich aus diesem Erfolge, daß die beiden Kugeln da saßen, wohin ich sie bestimmt hatte, nämlich die erste durch das Auge in das Hirn und die zweite von unten herauf ins Herz. Dennoch wagte ich es noch nicht, das Tier zu berühren, denn es ist vorgekommen, daß ein scheinbar toter Löwe mit mehreren Kugeln im Kopf wieder aufgesprungen ist. Ich hob mein Gewehr wieder auf, lud es und stieß den Löwen dann mit den Läufen an. Hätte er noch Leben verraten, so konnte ich ihm auf diese Weise noch zwei Kugeln geben, ehe er aufzuspringen vermochte; aber er zuckte nicht; er war wirklich tot.

Das war alles so schnell gegangen, daß der Fakir el Fukara noch am Boden kniete und der Fessarah noch immer schreiend an seinem Busche stand. Die Asaker hatten ihr Heulen eingestellt, da sie sich nicht mehr bedroht sahen. Ich ging auf den ersteren zu, faßte ihn am Arme, um ihn aufzurichten, und sagte.

»Was kniest und betest du noch? Der Menschenfresser ist tot.«

»Tot?« ahmte er wie geistesabwesend das letzte Wort in meinem Tone nach.

»Ja, tot. Du hast nichts mehr zu befürchten.«

»Hamdulillah!«

Dieses eine Wort sprach er noch aus; dann stand er auf und ging fort, ohne sich um den Löwen zu bekümmern, in den Wald hinein, eine für mich gewiß sehr sonderbare Weise, sich mit dem Lebensretter abzufinden. Der Fessarah hatte meine Worte gehört und fragte:

»Ist es wirklich gewiß, daß er tot ist?«

»Ganz gewiß.«

»Kann man ihn besehen und befühlen?«

»Natürlich!«

»So werde ich die Asaker rufen, damit sie unsere Triumphe preisen mögen.«

»Unsere« Triumphe hatte er gesagt. Nun, ich war neugierig, den von ihm erlegten Löwen zu sehen! Zunächst wurde der meinige in Augenschein genommen; aber nicht eilig und in stürmischer Freude kamen die Gefährten herbei, sondern zögernd und still. Die Dimensionen des Löwenkörpers waren selbst noch im Tode so achtunggebietend, daß es meiner mehrmals wiederholten Versicherung bedurfte, ehe ein Askari es wagte, den Kopf der Tierleiche zu fassen und von einer Seite auf die andere zu legen. Als man sich auf diese Weise überzeugt hatte, daß allerdings keine Gefahr mehr vorhanden sei, verwandelte sich die zaghafte Stille in eine Scene übermütiger Lebhaftigkeit. Der Fessarah-Führer machte den Anfang dazu, indem er sich zum Redner aufwarf, den Körper des Löwen als Tribüne bestieg und folgendermaßen begann:

»Preis sei Allah und Heil dem Propheten! Dieser Tag ist ein Tag des Triumphes. Bestätigt es, ihr Gläubigen!«

»Ja, Heil, Preis, Triumph!« schrieen die Asaker, welche alle herbeigekommen waren. Nur Ben Nil, der pflichtbewußte, befand sich bei den Gefangenen, um dieselben zu überwachen.

»Ihr hörtet,« fuhr der Sprecher fort, »von dem Löwen von EI Teitel, welcher sein Maul aufsperrte und in jeder Woche einen Anhänger des Propheten verschlang. Bestätigt es, ihr Freunde und Geführten den beider Helden dieses Tages!«

»Wir bestätigen es!« erklang die Antwort.

Unter den beiden Helden waren jedenfalls ich und er gemeint. Er sprach weiter.

Am Bauche des Herrn mit dem dicken Kopfe liegen viele hundert Moslemin begraben. Vielleicht hat er auch zuweilen einen Ungläubigen verschluckt, was ihm wohl Beschwerden der Verdauung bereitete. Heute kam er nach diesem Brunnen, um seine Verbrechen fortzusetzen; da aber entbrannte der Zorn der Kämpfer und der Grimm der berühmtesten Recken in Afrika. Sie, nämlich der Effendi und ich, machten sich auf, dem Fresser entgegen. Ruft ihnen Heil und Ruhm zu, ihr Zeugen der Thaten!«

»Heil, Ruhm, Heil!« ertönte es ringsum.

»Der Würger der Lebendigen kam nicht allein, sondern er brachte sich einen gottlosen Geführten seiner Schandthaten mit. Dieser Gefährte, dessen Seele Allah in den Körper eines lahmen Hundes fahren lassen möge, hatte die Verwegenheit, sich mir gegenüber aufzustellen. Mich überkam die tapfere Begierde der Vertilgung dieses Ungeheuers, und ich vertrieb es aus dem Lande der Lebenden, denn ich legte meine Visionsflinte an und schoß es über den Haufen. Es liegt dort am Rande des Gebüsches, umleuchtet von den Strahlen meines Heldentumes, und ich werde es euch nachher zeigen, damit ihr rufen könnt: Schmach und Schande über ihn! Mich aber, den Sieger, preiset mit einem dreimaligen Triumphgeschrei!«

Seiner Aufforderung wurde Folge geleistet; dann fand er es für angemessen, sich auch mit meiner Person zu beschäftigen:

»Da ich das lebendige Grab so vieler Gläubiger erschossen habe, sind mir die Uhr und das Fernrohr zuzusprechen, denn ich habe sie gewonnen, da ich ganz dasselbe that, was der Effendi that; ich erlegte gerade so wie er einen vierfüßigen Herrn mit der Stimme, die dem Donner gleicht, ja, ich erlegte den meinigen sogar noch eher als er den seinigen. Dieser liegt hier unter meinen Füßen, hingestreckt in seiner eigenen Haut, welche ihm lebendig vom Leibe hätte gezogen werden sollen. Der Effendi brauchte zwei Schüsse, um ihn zu töten, während bei mir nur eine Kugel nötig war. Dennoch soll auch diesem Sieger die Belohnung werden. Ruft auch ihm ein dreimaliges Heil zu!«

»Heil, Heil, Heil!« wurde mir gebracht.

» So sind also nun die Helden und Sieger geehrt, und es ist das Recht der Besiegten, verhöhnt und angespieen zu werden. Schlagt diesen Mörder des Menschengeschlechtes; stoßt ihn, kneipt und zwickt ihn; zerrt ihn am Schwanze und bei den Ohren; sagt ihm die Namen, welche ihm gebühren, damit seine feige Seele in unendlicher Scham versinke und ersticke! Macht euch über ihn her; rauft ihm die Haare aus; zerreißt sein Fell, damit seinesgleichen sich ein warnendes Beispiel nehme und sich nicht mehr an die Anhänger des Propheten wage, sondern sich mit dem Fleische der Schafe und Ziegen begnüge! Ich habe gesprochen. Preis sei den Siegern! Heil, Heil, Heil!«

Er stieg, während die Asaker in seinen Ruf einstimmten, von dem Löwen herab, auf welchen sich nun alle warfen. Das tote Tier wurde mit Händen und Füßen so bearbeitet, daß ich gezwungen war, Einhalt zu gebieten, um das schöne Fell zu retten. Ich erreichte das am schnellsten dadurch, daß ich das allgemeine Geschrei mit meiner Stimme übertönte:

»Auf, auf, ihr Gläubigen! Diesem Würger von EI Teitel ist nun der Schande genug gebracht worden. Laßt uns jetzt den berühmten Löwen aufsuchen, welchem unser Ben Fessarah das Leben nahm! Meine Seele ist begierig, sich an seinem Anblicke zu erfreuen.«

»O, du wirst dich unendlich freuen, Effendi,« antwortete der Genannte. »Mein Löwe ist fast noch einmal so groß wie der deinige, denn sein Kopf ragte noch über die Büsche empor, in denen er steckte. Ich habe meine Wette gewonnen, und du wirst mich nicht um den Gewinn betrügen, wie auch ich dir den deinigen sofort ausgehändigt hätte. Ich stelle mich an eure Spitze, ihr Männer; folgt hinter mir, und bildet den Triumphzug nach dem Platze des Kampfes, an welchem mein Ruhm den ersten Preis gewonnen hat!«

Was die Wette betraf, so war ich um den Ausgang derselben gar nicht bange. Ich wußte, daß ich gewonnen hatte und daß der »preisgekrönte« Fessarah jetzt einer ebenso großen wie unvermeidlichen Blamage entgegen ging. Ich erriet jetzt, wer oder was sein Uwe war, dessen Kopf noch über die Büsche emporgeragt hatte. Unsere Kamele lagerten am Brunnen; aber dasjenige des Fakir el Fukara, welches frei gegrast hatte, war nicht mehr zu sehen. Es war, die jungen Zweige von den Büschen fressend, zwischen dieselben eingedrungen und von dem einen »Helden dieses Tages« für den Löwen gehalten und er- oder doch wenigstens angeschossen worden.

Der Zug setzte sich still in Bewegung. Man mußte wieder vorsichtig sein, da man noch nicht wußte, ob der zweite Löwe tot oder nur verwundet war. Je mehr man sich der Stelle näherte, desto langsamer schritt der Fessarah voran; er blieb endlich gar stehen und wendete sich rückwärts an mich:

»Effendi, du bist doch überzeugt von meiner Heldenhaftigkeit?«

»Vollständig, denn du hast das größte und berühmteste Tier der Wüste erlegt. Leider aber befürchte ich, daß der Fakir el Fukara dir nicht dafür danken wird.«

»Das erwarte ich auch gar nicht, da er nicht von meinem Löwen, sondern von dem deinigen bedroht wurde. Er mag seinen Dank also an dich richten. Dieser mein Löwe aber bedrohte den Brunnen mit allen Asakern und Gefangenen, und dies ergiebt für mich einen weit größeren und zahlreicheren Dank als denjenigen, den du nur allein von dem Fakir zu erwarten hast. Jetzt aber komm und schreite du voran! Ich weiß, daß du schärfere Augen hast als ich.«

»Du irrst. Ich sehe zu Zeiten sehr schlecht, und dann kann es mir leicht passieren, daß ich einen Löwen für ein Kamel halte. Welch eine Kränkung für dich, wenn mir gerade heute und hier ein solcher Irrtum widerführe! Du bist der Sieger; gehe nur du voran!«

Er mußte sich fügen; aber mit seinem Mute schien es Kap Finisterre zu sein, denn er bewegte sich in einer Weise vorwärts, als ob er auf Eiern gehe, von denen er keins zertreten dürfe. Schon nach sechs oder sieben Schritten blieb er wieder stehen, deutete vorwärts und meldete mit sehr unterdrückter Stimme:

»Allah kerihm! Dort liegt er. Ich sehe zwei seiner Füße, welche sich bewegen. Effendi, was ist da zu thun?«

»Nur immer drauf!«

»Aber er beißt! Er ist noch nicht tot, sondern wohl nur verwundet.«

»So tritt hinzu, und gieb ihm noch eine Kugel! Freilich verkürzt das deinen Ruhm, da du dann nicht mehr behaupten kannst, ich hätte eine Kugel mehr gebraucht als du.«

»Auf diesen Ruhm kommt es mir ja gar nicht an. Das will ich dir beweisen. Ich habe nur eine Kugel in meiner Flinte; dein Gewehr aber ist zweiläufig, du bist also weit besser als ich im stande, dem Fresser vollends den Garaus zu machen. Thue es, Effendi; ich räume dir den Vortritt ein!«

»Meine Bescheidenheit gestattet mir nicht, deinen Wunsch zu erfüllen.«

»Das ist sehr schön von dir, Effendi, aber – – O Allah, er bewegt die Beine wieder, und hörst du das Schnauben? Er ist zornig. Ich stelle mich hinten an!«

Er huschte an mir und den Asakern vorüber und suchte hinter denselben Sicherheit vor dem vermeintlichen Löwen.

Dieser hatte allerdings ein hörbares Lebenszeichen von sich gegeben, aber es war nicht das zornige Schnauben eines angegriffenen wilden Tieres, sondern das schmerzliche Röcheln eines verwundeten Kameles. Auch die Asaker wichen erschrocken zurück, Ich blieb stehen und sagte zu dem Fessarah:

»Gut, ich bin bereit, an deiner Stelle die Gefahr von euch abzuwenden, aber nur unter einer Bedingung. Ich werde ihn umschleichen und nach dir zu heraustreiben. Dann hast du, wenn er sich auf dich wirft, einen herrlichen Schuß.«

Ich that einige Schritte, als ob ich dieses Vorhaben ausführen wolle. Da schrie er auf.- »Um Allahs willen, thue das nicht; ich mag nichts davon wissen!«

»Aha, du fürchtest dich. Nun, so will ich dir zeigen, wie groß die Gefahr ist, welche es dabei giebt. Das sind nicht die Hinterpranken eines Löwen, sondern die Füße eines Kameles.«

»Du irrst dich, du irrst dich! Deine Augen sind schlecht. Du hast es ja selbst gesagt, daß du zuweilen einen Löwen für ein Kamel hältst!«

»Und du ein Kamel für einen Löwen. Du sollst sofort den Beweis dafür haben. Ja, dieses Tier war bedeutend höher als der Löwe, welchen ich geschossen habe; es war aber kein Löwe, sondern das Kamel des Fakir el Fukara! Da, schaut her!« Ich ging hin und schob mit dem Gewehre die Zweige auseinander. Da sahen sie das Kamel liegen; es war in das rechte Hinterbein geschossen. Nun war es mit der Angst der Asaker plötzlich vorüber. Sie drängten sich herbei und brachen in ein schallendes Gelächter aus.

»Welch ein Löwe, welch ein grausiges Untier!« rief einer von ihnen. »Hätte die Kugel des Fessarah ihn nicht niedergestreckt, so würde dieser Menschenfresser uns alle verschlingen. Ja, der Fessarah hat uns aus einer entsetzlichen Gefahr befreit; er hat uns allen das Leben gerettet; er ist der berühmteste Löwenjäger im ganzen Lande. Erhebt eure Stimmen, ihr Männer, um ihn zu preisen! Ruft dreimal Heil, Heil, Heil über ihn!«

»Heil, Heil, Heil!« lachten und jubelten sie.

Der Gepriesene antwortete nicht und entzog sich den weiteren Huldigungen, indem er davonrannte und sich in das Gebüsch versteckte. Das Kamel konnte nicht auf, denn der rechte Schenkelknochen war ihm zerschmettert; es mußte getötet werden. Eben kehrte sein Besitzer, der Fakir el Fukara, aus dem Walde zurück. Er kam zu mir, gab mir die Hand und sagte, so daß alle es hörten:

»Effendi, verzeihe mir, daß ich dich stehen ließ, ohne dir zu danken! Es war zu schrecklich. Ich hatte zu viel gewagt. Meine Glieder klapperten, und meine Seele zitterte mir im Leibe. Der Fresser hatte es auf mich abgesehen, und ohne dich wäre ich von ihm zerrissen worden. Das Entsetzen hatte mir die Sprache geraubt, so daß ich dir kein Wort sagen konnte. Ich entwich in das Dunkel des Waldes, um im stillen Allah zu preisen. Nun kann ich wieder reden und sage dir Dank. Du bist mein Freund und Bruder; die Feindschaft, mit welcher ich dich betrachtete, ist verschwunden, und ich wünsche, dir den Beweis geben zu können, daß meine Gesinnung gegen dich sich vollständig umgewandelt hat. Willst du mir verzeihen?«

»Gern,« antwortete ich, indem ich ihm die Hand schüttelte.

»So sage mir, wie ich dir dienen und dir einen großen Gefallen erweisen kann!«

»Dessen bedarf es nicht. Du wußtest es nicht, was es heißt, von dem Herrn mit dem dicken Kopfe angegriffen zu werden; ich habe es dir gezeigt und bin nun befriedigt. Würdest du es noch einmal wagen, dich einem Löwen entgegenzustellen?«

»Niemals, nie! Bei seinem Anblicke erstarrt einem das Blut im Leibe, und es ist, als ob einem alles Fleisch von den Knochen falle.«

»Das ist die Furcht, die Angst. Warum bin denn ich ganz ruhig geblieben? Hätte auch ich mich gefürchtet, so wäre es sehr schlimm geworden.«

»Ja, Effendi, es ist mir unbegreiflich, wie du es wagen konntest, den Löwen zu veranlassen, sich von mir zu wenden, um sich auf dich zu werfen und obendrein, nachdem ich mich so feindselig gegen dich verhalten hatte! Schreibt dir das etwa dein Glaube vor?«

»Nein, ein guter Christ wird allerdings seinem ärgsten Gegner gern verzeihen, denn Christus, der Sohn Gottes, hat uns sogar geboten, unsere Feinde zu lieben; aber daß ich, um einem Moslem das Leben zu retten, mich selbst von dem Löwen zerreißen lassen soll, das gebietet mir mein Glaube nicht. Ich habe hier weniger als Christ als vielmehr als Mann gehandelt, als ein Schütze, ein Jäger, den selbst der Würger der Herden nicht aus der Fassung bringen kann. Als unerschrockener Mann habe ich den Löwen erschossen; als Christ bin ich bereit, mich mit dir zu versöhnen. Das ist es.«

»Es bleibt sich gleich, ob du mich als Mensch oder als Christ errettet hast. Ich habe dir das Leben zu verdanken und bitte dich, mir zu sagen, wie ich diese große Schuld wenigstens einigermaßen abtragen kann.«

»Es ist von keiner Schuld die Rede. Ich hätte das Tier auf alle Fälle erlegt; daß ich es von dir ablenken mußte, um gut zum Schuß zu kommen, das war nur ein Zufall, welcher dich zu nichts verpflichtet. Ich werde mir das Fell des Löwen nehmen und bin mit diesem Lohne vollständig zufrieden.«

»Das ist mir nur dann begreiflich, wenn ich annehme, daß du nur aus Stolz den Dank eines Mannes, welcher dich beleidigt hat, verschmähst. Aber auch ich habe mein Ehrgefühl, welches mir verbietet, mich gänzlich abweisen zu lassen. Ich werde nachdenken und hoffe, eine Gelegenheit zu finden, dir einen Dienst zu leisten, den du anzunehmen gezwungen bist. Du weißt noch gar nicht, wen du gerettet hast. Später, wenn du weiteres von mir hörst, wirst du erkennen, daß dir All-Islam und der ganze Orient verbunden ist. Da liegt mein Kamel. Was ist mit ihm geschehen?«

»Der Fessarah hat es angeschossen, weil er es für einen Löwen hielt.«

»Dieser Dummkopf! Die Angst hat ihn blind gemacht. Ist es schwer verwundet?«

»Ja; es kann nicht auf, und wenn du es mir erlaubst, so werde ich es durch einen Schuß von seinen Qualen erlösen.«

»Warum willst du das kostbare Pulver und Blei verschwenden? Laß es liegen; es wird von selbst sterben.«

»Das würde grausam sein. Ein Tier ist ebenso Gottes Geschöpf wie der Mensch.«

»Thue, was du willst; ich habe nichts dagegen. Aber was fange ich nun ohne Reittier an? Soll ich laufen?«

»Nein. Ich werde dir eins von den erbeuteten Kamelen schenken. jetzt wollen wir den Löwen nach dem Brunnen schaffen, damit ich ihm das Fell nehmen kann.«

Ich gab dem Kamele den Gnadenschuß; dann gehörten acht Asaker dazu, den mächtigen Körper des Löwen fortzuschleifen. Er wurde nach einem der Feuer gebracht, wo ich ihm den gelbbraunen »Rock« auszog, wie Ben Nil sich ausdrückte. Natürlich sprach man nur von dem Löwen, und alles andere ruhte. Der Fessarah kam in sehr niedergeschlagener Haltung herbei und wurde mit ironischen Lobpreisungen überschüttet. Er ließ sie über sich ergehen, ohne ein Wort zu erwidern, und das war das beste, was er thun konnte. Er legte seine berühmte Flinte weg und sagte:

»Hier liegt sie; geben kann ich sie dir nicht, denn das wäre eine Versündigung an dem Urvater meiner Urahnen. Bist du wirklich so grausam, mich ihrer zu berauben, so nimm sie weg.«

»Ja, ich nehme sie, denn sie ist mein rechtmäßiges und wohlverdientes Eigentum.«

Er hatte auf meine Nachsicht gerechnet; als er sie jetzt in meinen Händen sah, schlug er die seinigen über dem Kopfe zusammen und wehklagte:

»O Allah, o Himmel, o tiefes Herzeleid meiner Seele! Nun bin ich des Ruhmes meiner Ahnen, des Vermächtnisses meiner Vorfahren beraubt und darf mich nie wieder in den Dörfern meines Stammes sehen lassen. Wo ich erscheine, wird man mit Fingern auf mich deuten und über mich rufen: Das ist der Mann, der das Kleinod seines Stammes verspielt und die Ehre seiner Vorfahren verwettet hat; Schande über ihn! Mir bleibt nichts übrig, als in Thränen zu zerlaufen und mich in Zähren aufzulösen. Mein Herz schwimmt in der Flut des Grames, und mein Leben taucht unter in das Wasser des Seelenschmerzes, O Allah, Allah, Allah!«

Es fiel mir nicht ein, die Flinte zu behalten; ich nahm sie nur für einstweilen weg, um ihn für seine Prahlereien ein wenig büßen zu lassen; das konnte ihm nichts schaden. Er streckte sich lang auf den Boden aus, verhüllte mit dem Kopftuche sein Gesicht und verhielt sich von jetzt an vollständig schweigend. Desto lauter und lebhafter waren die Asaker, welche nicht müde werden konnten, das Löwenabenteuer immer von neuem zu besprechen. Sie thaten das in ihrer überschwenglichen orientalischen Weise, und wenn ich nach ihren Ausdrücken beurteilt werden sollte, so war ich nicht nur der größte Held der Erde, sondern überhaupt ein Mann, wie es noch keinen gegeben hatte und auch später niemals einen geben könne. Als dann erst gegen Mitternacht dieses Thema erschöpft zu sein schien, hielt Ben Nil es für an der Zeit, auf das seinige zurückzukommen. Er verlangte die Bestrafung des alten Emirs Abd. Asl. Er war durch den Angriff des Löwen unterbrochen worden und drang nun darauf, daß die Angelegenheit erledigt werde. Als der Fakir el Fukara dies hörte, stand er auf und sagte zu mir:

»Effendi, vorhin trat ich auf, um das Leben dessen, den ihr richten wollt, zu verteidigen, denn er ist mein Freund. Wir kennen uns noch viel näher, als du wissen kannst und ahnst. Ich sehe aber ein, daß ich zu schwach gegen euch bin. Meine Gegenwehr würde ihm nichts nützen. Du bist ja, wie du auch gesagt hast, ganz allein im stande, es mit zehn Fukara el Fukara aufzunehmen. Ferner hast du mich vom Löwen errettet, und ich bin dir Dankbarkeit schuldig. Darum will ich dir nicht widerstehen. Ich mische mich also nicht in diese Angelegenheit; aber meine Augen dürfen nicht den Tod meines Freundes erblicken, und darum werde ich mich zurückziehen, bis es vorüber ist.«

Er ging fort, über den Kreis der Kamele hinaus, und setzte sich dort so nieder, daß er uns den Rücken zukehrte. Ben Nil stand, gerade so wie vorhin, mit dem Messer in der Hand vor mir und fragte:

»Also du erlaubst, daß ich jetzt Rache nehme, Effendi?«

»Ja. Ich antworte dir so, wie ich dir bereits geantwortet habe: Wenn du es für deiner würdig hältst, einen schwachen, sogar gefesselten Greis, der sich nicht wehren kann, niederzustechen, so thue es!«

»Ich weiß, was ich meiner Ehre schuldig bin, und werde dir zeigen, daß ich danach handeln werde.«

»Thue, was du willst! Der Alte ist in deine Hand gegeben; er gehört nur dir; kein anderer darf sich an ihm vergreifen. Darauf sind die Asaker eingegangen. Was du thust, ist endgültig. Das will ich hiermit nochmals in aller Bestimmtheit erwähnt haben. Aber ehe du Rache nimmst, habe ich noch mit ihm zu sprechen.«

Ich ging mit ihm zu Abd. Asl, welcher alles gehört hatte und also wohl wußte, was ihm drohte. Die Züge seines Gesichtes waren starr und unbewegt, so daß man nicht erraten konnte, was in ihm vorging, ob er Angst fühlte oder nicht.

»Du weißt, was dir bevorsteht,« sagte ich. »Mache deine Rechnung mit dem Leben und mit Allah ab!«

»Wer mich tötet, ist ein Mörder,« antwortete er in einem Tone, welcher wie das Zischen einer angegriffenen Schlange klang.

»Denke und sage, was du willst; es kann dich nicht retten, und du wirst in wenigen Augenblicken über Es Siret, die Brücke des Todes, gehen. Erleichtere dein Gewissen; dann wird dir Allah vielleicht gnädig sein.«

»Ich bedarf keiner Gnade; Ungläubige und deren Anhänger auszurotten, ist keine Sünde, sondern ein Verdienst, welches Allah belohnt.«

»Bleibe meinetwegen bei dieser deiner Ansicht! Wenn du den Tod durch das Messer für einen Lohn hältst, so kann ich nichts dagegen haben. Du hast nicht nur mir, dem Christen, sondern auch meinen Gefährten nach dem Leben getrachtet, und diese sind Moslemin. Ferner weißt du, daß der Reïs Effendina vernichtet werden soll. Das kannst du nicht vor Allah verantworten, und ich fordere dich auf, diese Schuld von dir fernzuhalten, indem du mir sagst, in welcher Gefahr er schwebt.«

Da ging ein höhnisches Grinsen über sein Gesicht. Er spuckte aus und antwortete:

»Ich speie dich und den Tod an, denn ich fürchte weder dich noch ihn. Meine Tage sind bei Allah verzeichnet, und ohne seinen Willen kannst du mir nicht eine Minute meines Lebens rauben; hat er bestimmt, daß ich jetzt, hier sterben soll, so kannst du es nicht verhüten. Es wird mir also nicht einfallen, dir ein Wort von dem zu sagen, was du wissen willst.“

»Ich kann dich zum Sprechen zwingen.«

»Versuche es doch! Wie ich dich verlache, werde ich dir beweisen, indem ich eingestehe: ja, der Reïs Effendina befindet sich in einer großen Gefahr. Er ist verloren und mit ihm alle, die sich bei ihm befinden. Nun weißt du genug!«

»Er wird der Gefahr zu entgehen wissen, wie wir euch entgangen sind.«

»Nein. Eine Rettung ist für ihn unmöglich. Er und seine Leute werden dafür vernichtet werden, daß er unsere Gefährten am Brunnen des Wadi el Berd niederschießen ließ. Ja, wenn du wüßtest, was ihm droht, du würdest ihm vielleicht helfen, denn du bist ein frecher Satan, der nur von Gefahren zu leben scheint. Aber du wirst es eben nicht erfahren.«

»Wie nun, wenn ich dich so lange peitschen lasse, bis du redest?«

»Ich werde dennoch schweigen.«

»O, die Schmerzen öffnen selbst den verschlossensten Mund!«

»Diesmal läßt dich deine berühmte Klugheit im Stiche. Lässest du mich schlagen, so werde ich dir irgend eine Antwort geben. Kannst du aber wissen, ob sie wahr ist oder nicht?«

»Ich denke, daß ich dies gar wohl zu beurteilen vermöchte; aber ich werde dennoch darauf verzichten, dich schlagen zu lassen. Ich würde mich schämen, einen alten, gebrechlichen Mann zu peinigen, welcher schon am Rande des Grabes steht.«

»Schmähe mich nicht! Ich bin nicht gebrechlich, und wenn ich nicht dein Gefangener wäre, so würde ich dir das beweisen. Tötet mich, ihr Hunde; aber ich werde schweigen!«

»Gut, er soll seinen Willen haben,« meinte Ben Nil. »Zu erfahren, was dem Reïs Effendina droht, dazu sind wir auch ohne die Mitteilung dieses alten Mörders klug genug. Er mag also zur Hölle fahren.«

Der Jüngling kniete neben ihm nieder, öffnete ihm vorn das Gewand und setzte ihm die Spitze des Messers auf die Brust. Abd. Asl schien nicht erwartet zu haben, daß man doch Ernst machen werde; er schrie jetzt freilich in erschrockenem Tone:

»Halt ein! Bedenke, daß ich ein heiliger Fakir bin, an dem sich niemand vergreifen darf! Allah würde diesen Mord mit den ewigen Qualen der Hölle an dir rächen.«

»Ein Heiliger willst du sein?« antwortete Ben Nil. »Ein Ungeheuer bist du, tausendmal schlimmer als der Löwe, welchen wir erlegt haben! Und wie kann Allah deinen Tod an mir rächen, da du gesagt hast, daß du nur mit seiner Erlaubnis sterben würdest? Wenn ich dich jetzt ersteche, so geschieht es mit seinem Willen und auf seinen Befehl. Also fahre hinab in die Hölle, wo alle Millionen Teufel dich mit Freude erwarten!«

Er stach ihm die Spitze des Messers langsam, langsam – nur durch die Haut, wie ich sah. Der Alte wälzte sich auf die Seite und heulte, nun seine ganze bisher verhaltene Todesangst zeigend:

»Nein, nein! Ich mag nicht sterben; ich will und kann nicht sterben. Verschone mich, verschone mich!«

»Schau, alter Feigling, wie du dich verstellen konntest! jetzt bricht das Entsetzen über dich herein,« sagte Ben Nil.

»Gnade, Gnade! Laß mich leben!«

»Vielleicht schenke ich dir das Leben. Nenne mir aber die Gefahr, welche dem Reïs Effendina droht!«

»Ich sage es dir – ich sage es!«

»Dann schnell, heraus damit, sonst stoße ich zu!«

»Er wird in Chartum vergiftet.«

»Von wem?«

»Von – von – – von dem Muza’bir.«

»Von dem Gaukler also, der unserm Effendi wiederholt nach dem Leben trachtete? Wie will er die That ausführen?«

»Er hat einen Askeri, welcher bei den Leuten des Reïs Effendina Farran ist, bestochen. Er giebt ihm Gift, welches der Farran in den Teig thut, wenn er für den Reïs Effendina Kisrah bäckt.«

»Willst du schwören, daß du damit die Wahrheit sagst?«

»Bei Allah, beim Propheten und bei dem Leben und Lehren aller Kalifen.«

»Sieh, wie schnell ich erfahren habe, was du uns nicht sagen wolltest! Nun werden wir sofort einen Eilboten absenden, um den Kommandanten zu warnen. Die Todesangst hat dir den verschlossenen Mund geöffnet. Aber ich will dir nun zu deinem Ärger sagen, daß du mir dieses Geständnis eigentlich gar nicht zu machen brauchtest, da es mir nicht einfällt, meine Ehre zu beschmutzen, indem ich einen alten, gefesselten Mann, der noch dazu ein solcher Feigling ist, ersteche. Ja, ich will Rache nehmen, aber den Gegner nicht abschlachten. Allah soll entscheiden zwischen mir und dir. Ich will kämpfen, doch nicht mit dir, denn ich bin jung und kräftig. Suche einen deiner Männer aus. Ich werde ihn losbinden und ihm ein Messer geben. Auch ich bewaffne mich mit dem Messer, dann kämpfen wir auf Leben und Tod. Besiegt er mich, so bist du gerettet; stoße aber ich ihn nieder, so sterbt ihr beide, denn er kämpft für dich und du hast sein Schicksal auch zu erleiden. Effendi, ich hoffe, daß du mir deine Erlaubnis nicht versagst.«

Das war brav, sehr brav von dem wackern Kerl! Aber der Ausgang des Duells! Ben Nil war mutig und für seine Jahre auch ungewöhnlich stark und gewandt; aber ob ich ihm den Sieg zutrauen dürfe, das wußte ich nicht. Es verstand sich von selbst, daß der Alte den besten Krieger auswählen werde. Aber durfte ich mich weigern, meine Zustimmung zu erteilen? Nein. Ben Nil konnte thun, was ihm beliebte. Ich machte ihm zwar eine halblaute Vorstellung, doch antwortete er:

»Sorge dich nicht um mich, Effendi! Ich weiß, was ich thue. Du hast mich noch nicht in einem solchen Kampfe gesehen und magst also für mich fürchten; ich sage dir aber, daß ich nicht eine Spur von Angst empfinde.« »Man wird dir den kräftigsten Mann gegenüberstellen. Bedenke das!«

»Das ist mir lieber, als wenn ich mich mit einem Schwächlinge messen soll. Also, stimmst du bei?«

, »Ja, halte dich wacker; sei nicht voreilig, und blicke ja nicht auf das Messer, sondern in das Auge deines Gegners. Suche dich auch so zu stellen, daß das Licht ihn vorn, dich aber hinten trifft!«

Was ich nicht erwartet hatte, der Alte wählte den angeblichen Dschelabi. Es gab unter den Gefangenen welche, die länger und stärker gebaut waren als er; vielleicht besaß er eine größere Gewandtheit und Erfahrung im Einzelkampf. Vielleicht auch hatten sie irgend eine Hinterlist verabredet. Sie lagen nebeneinander, und es war mir nicht entgangen, daß sie heimlich miteinander gesprochen hatten. Ich nahm mir vor, mich auf alle Fälle bereit zu halten.

Als dem Dschelabi die Fesseln abgenommen worden waren, bekam er ein Messer in die Hand. Er reckte und dehnte sich und rieb sich die Beine, um sie, die gebunden gewesen waren, wieder geschmeidig zu machen.

»Wir entkleiden uns und kämpfen nur in der Hose und mit nacktem Oberkörper,« sagte ihm Ben Nil.

»Warum? Bleiben wir doch, wie wir sind!«

»Nein; wie ich sagte, so wird es gemacht.«

Der Dschelabi widersprach noch einigemal, mußte sich aber fügen. Warum wollte er sich des Obergewandes nicht entledigen? Ohne dasselbe war doch leichter zu kämpfen. Wollte er fliehen? Ben Nil fuhr fort:

»Also wenn du mich tötest, erhält Abd Asl das Leben. Töte ich aber dich, so stirbt auch er sofort unter meinem Messer. Du hast also nicht nur dein Leben, sondern auch das seinige in der Hand. Also sage, ob du bereit bist.«

»Ich bin bereit; es kann beginnen.«

Sie standen mitten in unserm Kreise einander gegenüber. Bestimmte Regeln waren nicht gegeben worden, doch erteilte ich dem Dschelabi noch die kurze Warnung:

»Nimm deine Beine in acht!«

»Dies zu sagen, ist überflüssig,« lachte er. »Das Leben wohnt im Herzen; er wird mich also nicht in die Beine stechen wollen.«

Er beachtete es nicht, daß ich meinen Henrystutzen so an mich zog, daß ich ihn augenblicklich anlegen konnte.

»Also jetzt,« meinte Ben Nil. »Komm heran!«

Das fiel dem andern gar nicht ein. Keiner wollte den ersten Stich versuchen. Sie bewegten sich einigemal im Kreise, indem sie sich fest in den Augen behielten. Da sprang der Dschelabi auf Ben Nil ein, und dieser wich zur Seite, um dem Messerstoße zu entgehen; aber der Angriff war nur eine Scheinbewegung gewesen, denn kaum war Ben Nil zur Seite gewichen, so schnellte der Dschelabi an ihm vorüber, sprang über die Köpfe zweier ihm im Wege sitzenden Asaker weg und rannte zwischen den Kamelen hindurch, um den Wald zu erreichen. Meine Vermutung war also ganz richtig gewesen. Aber schon hatte ich das Gewehr angelegt und drückte ab, noch ehe er drei Vierteile des Weges zurückgelegt hatte. Er stürzte vornüber, raffte sich schnell auf, brach aber wieder zusammen. Ich hatte nach dem Beine gezielt und es getroffen. Erschießen wollte ich ihn nicht, weil ich überhaupt nicht töten wollte, und sodann aus einem noch andern, ganz bestimmten Grunde.

Die Asaker, und Ben Nil ihnen voran, waren ihm nachgesprungen, während ich ruhig sitzen blieb. Sie brachten den aus der Wunde Blutenden geschleppt, wobei sie freilich nicht sehr rücksichtsvoll mit ihm verfuhren. Als er vor mir niedersank, sagte ich:

»Du lachtest mich aus, als ich dich warnte. Und doch hatte ich recht, als ich dich aufforderte, auf deine Beine acht zu haben. Du erkennst von neuem, daß es nicht allzu leicht ist, einen christlichen Effendi zu überlisten.«

Ich untersuchte sein Bein. Die Kugel steckte nicht mehr drin; sie hatte das Schienbein zerschmettert. Ich gab ihm einen Notverband.

»Wir müssen den Hund doppelt festbinden und ihn in unserer Mitte behalten,« meinte Ben Nil.

»Nein,« antwortete ich. »Bald wird er das Wundfieber bekommen, und wenn er dann zu schwatzen beginnt, stört er uns im Schlafe. Tragt ihn da hinüber nach den beiden Kafalah-Bäumen, setzt ihn an dem einen nieder, und bindet ihn so mit dem Rücken an demselben fest, daß er auch den Kopf nicht bewegen kann! Indessen mag Abd Asl einen andern Mann bestimmen, welcher mit dir kämpfen kann.«

Dieser Befehl kam meinen Leuten wohl sonderbar vor, doch führten sie ihn aus, ohne eine Gegenbemerkung zu machen. Sie wußten, daß ich bei allem, was ich that, selbst wenn es scheinbar unerklärlich war, doch einen bestimmten Zweck verfolgte. Und weil ich einen solchen auch jetzt hatte, war meine Kugel nur in das Bein des Flüchtlings gerichtet gewesen.

Die Flucht dieses Mannes war mir sehr begreiflich. Er hatte Ibn Asl, den Sklavenräuber, den Sohn des Alten, aufsuchen sollen, um ihn zu benachrichtigen, daß der Angriff gegen uns verunglückt sei und er infolgedessen kommen und die Gefangenen befreien sollte. Der Alte war ergrimmt über das Nichtgelingen dieses Planes; das sah ich seinen Augen an. Er wählte einen andern Mann zum Kampfe aus, und dieser schien allerdings mehr zu fürchten zu sein als der Dschelabi, welcher vorhin nur erwählt worden war, weil er höchst wahrscheinlich ein guter Läufer war.

Der jetzige Gegner Ben Nils hatte fast die tiefdunkle Farbe eines Negers; seine Brust war breit und sein Knochenbau sehr kräftig. Trotzdem zeigte sich Ben Nil nicht im geringsten beunruhigt. Sie standen ungefähr fünf Schritte voneinander, ganz still und bewegungslos. Keiner ließ den Blick von dem Auge des andern. Da plötzlich that der Schwarze einen weiten, tigerartigen Sprung auf Ben Nil zu und holte zum Stoße aus. Er hatte ihn überraschen, vollständig überrumpeln wollen. Der Jüngling aber wich blitzschnell zur Seite, that einen kurzen Quersprung, kam dadurch, ehe dieser sich umdrehen konnte, hinter den Schwarzen und stieß ihm das Messer bis an das Heft in den Rücken. Der Getroffene stürzte da, wo er stand, nieder. Die Klinge war ihm, wie sich nachher zeigte, von hinten in das Herz getroffen.

»Afarihm, maschallah aldik – bravo, bravo!« schrieen die Asaker vor Freude laut. »Das war herrlich, das war prächtig!. Gleich der erste Stoß hat ihn gefällt. Wer konnte das dir, Ben Nil, du Sohn der Tapferkeit, zutrauen!«

Dieser wendete sich sehr ruhig an mich:

»Effendi, siehst du nun, daß du keine Angst um mich zu haben brauchtest? Ich hätte diesen Mann erlegt und wenn er doppelt größer und stärker gewesen wäre. Mein Auge ist scharf, meine Hand ist sicher, und mein Herz kennt keine Unruhe, welche den Blick verdunkelt. Gehört mir nun Abd Asl auch?«

»Ja,« antwortete ich, sehr wißbegierig, was er nun machen werde.

Im Falle, daß er ihn wirklich erstechen wollte, mußte ich um Aufschub bitten. Er beugte sich zu dem Schwarzen nieder und zog ihm das Messer aus dem Rücken. Die blutige Klinge betrachtend, schüttelte er leise den Kopf und sagte dann:

»Du hast recht, Effendi, es ist etwas sehr Verantwortliches, einen Menschen zu töten. Dieses Blut ist mir widerwärtig. Glaubst du, daß der Reïs Effendina den Alten, dessen Leben mir gehört, auch streng bestrafen würde?«

»Auf das allerstrengste natürlich!«

»So möchte ich ihm das Leben schenken. Dieser Schwarze hat für den Alten gekämpft und ist für ihn gestorben; darum will ich mich mit dem, was geschehen ist, begnügen. Bist du einverstanden?«

»Ganz und gar! Ich freue mich sehr, solche Worte von dir zu hören. Dein Entschluß macht dir mehr Ehre, als du von dem Tode Abd Asls haben würdest.«

»Aber ich verlange, daß er später auf das strengste bestraft wird!«

»Ich werde dafür sorgen, daß dies geschieht. Und damit er jetzt nicht wieder irgend einen Fluchtversuch veranlassen kann, schafft ihn hinüber zu dem Dschelabi, und bindet ihn an den zweiten Kafalah-Baum!«

Der Alte wurde von einigen Asakern fortgeschafft. Ben Nil aber fragte verwundert:

»Warum läßt du diese beiden Kerls dorthin bringen? Hier hätten wir sie doch sicherer.«

»Das ist wahr. Wir werden sie auch wieder holen; aber vorher will ich erfahren, was man gegen den Reïs Effendina vor hat.«

»Das weißt du doch!«

»Nein, denn das mit dem Gifte und dem Bäcker war eine Lüge. Gehe jetzt hin, und setze dich als Wächter zu ihnen. Ich werde mich hinter sie schleichen, und wenn ich dann in ihrem Rücken liege, entfernst du dich hierher. Dann glauben sie, allein zu sein, und werden miteinander sprechen.«

Er ging und setzte sich bei den beiden nieder. Die Kafalah-Bäume standen seitwärts von unserm Lager eng nebeneinander, und die zwei Gefangenen waren in der Weise, daß sie nach uns blickten, an die Stämme gebunden. Sie konnten jeden, der aufstand, deutlich sehen, nicht aber, wenn wir saßen, entscheiden, ob einer von uns fehlte oder nicht. Darauf baute ich meinen Plan.

Mehrere Asaker mußten um die Leiche des Schwarzen eine dichte Gruppe bilden und so thun, als ob sie sich über denselben unterhielten. Diese Gruppe bot mir Deckung zu meiner unbemerkten Entfernung. Als sich die Leute aufgestellt hatten, ging ich fort. Die beiden Gefangenen saßen rechts unter den Bäumen; ich entfernte mich nach links, und gerade in der Mitte standen die Asaker, so daß die ersteren mich unmöglich sehen konnten. Erst als ich den Wald erreicht hatte, setzten sich die Soldaten nieder, um bei meiner Rückkehr dasselbe Experiment zu wiederholen.«

Ich ging, gedeckt von Bäumen und Sträuchern, am Waldesrande hin, bis ich einen Halbkreis beschrieben hatte und den beiden Gefangenen also in den Rücken gekommen war. Dann schlich ich auf sie zu, erreichte sie und legte mich hinter ihnen nieder. Ben Nil hatte mich natürlich kommen sehen, denn er saß mit dem Gesichte mir entgegen. Als er sah, daß ich auf meinem Lauscherposten lag, stand er auf, ging einigemale hin und her und entfernte sich dann langsam wie einer, welcher aus Langweile einen kurzen Gang unternehmen will. Das fiel nicht auf und brachte die von mir beabsichtigte Wirkung hervor, denn der Dschelabi sagte zu Abd, Asl:

»Schnell, schnell, ehe er wiederkommt! Was haben wir zu besprechen?«

»Nichts, gar nichts,« knurrte der Alte ingrimmig.

»Aber wir müssen doch einen Plan fassen!«

»Ich weiß keinen. Allah verdamme diesen siebenmal verruchten Effendi in den tiefsten Abgrund der Hölle hinab! Wenn du nur entkommen wärst! Wie schnell konntest du bei der Dschesireh Hassaniah sein und meinen Sohn benachrichtigen. Er wäre mit seinen Leuten nilabwärts gefahren und uns von Makaui oder Katena aus, wo er das Schiff zurückgelassen hätte, entgegengekommen, um uns zu befreien. Jetzt ist das vorüber.«

»Sollte es denn keine andere Rettung geben? Denke doch an den Fakir el Fukara! Wie oft hat er Geschäfte mit uns gemacht und großen Gewinn dabei gehabt. Daß er zufällig hier am Wasser eintraf, ist vielleicht ein Glück für uns. Er wird alles mögliche thun, um uns zu retten.«

»Das ist vorbei. Der Christenhund hat ihm das Leben gerettet, und so wird er ihn in Ruhe lassen.«

»Persönlich und direkt wird er ihm nichts thun, aber auf mittelbare Weise kann er uns helfen. Wenn er wüßte, daß dein Sohn sich auf der Dschesireh befindet, ist zu erwarten, daß er ihn benachrichtigen würde. Du solltest mit ihm sprechen!«

»Man wird es nicht erlauben, und wenn es erlaubt wird, steht der Effendi jedenfalls dabei, um alles zu hören.«

»Was thut das? Zwei oder drei Worte in der Schilluksprache sind schnell gesagt. Der Effendi kennt diese Sprache jedenfalls nicht; der Fakir el Fukara aber kennt sie und weiß dann jedenfalls, woran er ist.«

»Das ist richtig, und ich werde also den Versuch machen. Gelingt derselbe, so ist Rettung möglich, aber der Reïs Effendina wird meinem Sohne entgehen.«

»Wieso?«

»Dieser hat ihn nach der Dschesireh gelockt. In der Nähe derselben giebt es tiefe, dunkle Sunutwälder, welche der Reïs Effendina nicht wieder verlassen soll. Gelingt dieser Anschlag, und wäre uns der Überfall geglückt, so würden wir diese beiden Menschen los sein und ebenso frei und ungestört wie früher jagen und handeln können. Die Anführer sind es, nicht aber die Asaker, die wir zu fürchten haben.«

»Wenn uns kein Rettungsweg offen bleibt, was meinst du, was uns dann in Chartum erwartet?«

»Nun, sehr schlimm wird es wohl nicht werden. Wir sollen dem Reïs Effendina ausgeliefert werden; dieser aber wird sich nicht dort befinden, sondern unter den Streichen meines Sohnes gefallen sein. Allzu strenge Richter haben wir also nicht zu erwarten, zumal unser Hauptankläger ein Franke, ein Christ ist. Wenn wir alles ableugnen, wird man uns hoffentlich mehr glauben als ihm.«

Die beiden sprachen noch weiter; aber ich nahm an, daß ihre ferneren Worte für mich von keiner Bedeutung sein würden, und zog mich also zurück. Als Ben Nil, welcher aufgepaßt hatte, dies sah, kehrte er nach den Kafalah-Bäumen zurück und die Asaker stellten sich wieder in eine Gruppe zusammen, um mir Deckung zu geben. Ich erreichte meinen Platz, ohne daß die beiden Belauschten ahnten, daß ich in ihr Geheimnis eingedrungen war. Kurze Zeit darauf kam Ben Nil, um mir zu melden, daß Abd Asl mit mir zu sprechen verlange. Der Versuch, mich zu hintergehen, sollte also schon jetzt gemacht werden. Ich ging hinüber zu den beiden und fragte den Alten, was er mir mitzuteilen habe.

»Du hattest mein Leben in die Hand deines Ben Nil gegeben,« sagte er; »dieser hat es mir geschenkt. Wird es mir nun erhalten bleiben?«

»Unsererseits hast du jetzt nichts mehr zu befürchten. Für später aber liegt die Entscheidung in den Händen des Reïs Effendina.«

»Und du wirst uns nach Chartum transportieren?«

»Ja. Warum fragst du?«

»Einer Angelegenheit wegen, welche mir sehr am Herzen liegt. Wenn du mich dem Reïs Effendina auslieferst, bin ich verloren. Du hast dir Mühe gegeben, mir wenigstens das Leben zu retten; er aber ist streng und unerbittlich, und ich weiß, daß er mich ohne Gnade und Barmherzigkeit erschießen oder aufhängen lassen wird.«

»Das ist allerdings sehr wahrscheinlich,« bestätigte ich.

»Du sagst es selbst, und so ist es auch sicher. Ich habe mich also auf den Tod vorzubereiten, und du wirst mir dazu behilflich sein, denn ich weiß, daß euer christlicher Glaube lehrt, von dieser Vorbereitung hänge die ewige Seligkeit ab.«

»Das ist richtig. Wer ohne Reue und Buße und gute Werke in seinen Sünden von hinnen fährt, der ist für ewig verloren.«

»Ich bereue und möchte besonders eine That, welche mir schwer auf dem Gewissen liegt, von meiner Seele wälzen. Du bist nicht ein Diener der Rache. Willst du mir dazu behilflich sein?«

»Gern,« antwortete ich, sehr neugierig darauf, was er vorbringen werde, um mich zu übertölpeln. Er fing die Sache sehr fromm und scheinbar in sein Schicksal ergeben an, was meinen Widerwillen gegen ihn nur verstärken konnte. Er machte ein höchst betrübtes Gesicht und fuhr im weichsten Tone, dessen seine Stimme fähig war, fort:

»Ja, eine große, schwere Sünde lastet auf meinem Gewissen. Ich möchte sie gern abwerfen und bin doch überzeugt, daß der Reïs Effendina mir die Gelegenheit dazu nicht geben wird. Darum wende ich mich an dich. Es ist ein Glück, daß der Fakir el Fukara gerade jetzt anwesend ist, denn nur er allein kennt die Verhältnisse so genau, wie es nötig ist, und darum ist er es allein, an den ich mich wenden kann. Würdest du mir erlauben, jetzt einmal mit ihm zu sprechen?«

»Hm!« machte ich mit bedenklichem Gesichte. »Du verlangst da etwas, was ich eigentlich nicht gestatten darf.«

»Es sind ja nur wenige Warte!«

»Ob viel oder wenig, das bleibt sich gleich. Du weißt selbst, wie gering mein Vertrauen zu dir sein kann.«

»Du kannst ja dabeistehen und alles hören!«

»Das beruhigt mich nicht. Wie nun, wenn du mich täuschen und dem Fakir el Fukara gewisse Winke geben Willst, welche darauf hinzielen, daß er dich befreien soll?«

»Das ist doch ganz unmöglich, wenn du dabei bist!«

»O, es ist sehr leicht möglich. Du brauchst ja nur die Worte so zu setzen, daß ich sie nicht verstehe, er aber den Sinn derselben doch begreift.«

»Ein solcher Wortkünstler bin ich nicht, Effendi. Laß dich erweichen! Du bist ein Christ!«

»Ja, jetzt berufst du dich auf meinen Glauben, früher aber hast du ihn verspottet. Ein Moslem würde sich freilich nicht erweichen lassen.«

»Aber du! Ich werde so langsam und deutlich sprechen, daß du jedes einzelne Wort wie auf einer Wage wiegen und abmessen kannst. Denke doch, daß es wie ein Testament ist, daß ich wie ein Sterbender bin, dem der sichere Tod die Arme entgegenstreckt! Was ich von dir erbitte, ist etwas so Einfaches und Leichtes. Du bist streng und unerschrocken, aber grausam nicht. Willst du es zum erstenmale sein? In Beziehung auf List, Klugheit und Umsicht kommt dir niemand gleich. Meinst du, daß du dich gerade heute und jetzt auf diese Vorzüge nicht verlassen kannst? Hätte ich Hintergedanken, so würdest du sie viel eher merken als der Fakir el Fukara, dem du an Scharfsinn ja weit überlegen bist.«

Er schmeichelte mir, um meine scheinbaren Bedenken zu besiegen. Ich erwies ihm nicht den Gefallen, so zu thun, als ob dieses Lob Eindruck auf mich mache, sondern antwortete:

»Was du da redest, ist überflüssig, denn ich kenne mich und meine Eigenschaften selbst am allerbesten. Es würde allerdings weder dir noch dem Fakir el Fukara gelingen, mich zu betrügen; dazu seid ihr beide viel zu dumm. Ich will dir also deinen Wunsch, der für mich ein vollständig ungefährlicher ist, erfüllen.«

»Ich danke dir!« meinte er ruhig und bescheiden, obgleich ich ihn dumm genannt hatte. »Du hast recht; es ist für euch gar keine Gefahr dabei, denn du wirst alles hören.«

»Ich werde nichts hören. Ich werde die gewünschte Unterredung nicht durch meine Gegenwart entweihen.«

»So darf ich ohne Zeugen und ohne Aufsicht mit ihm sprechen?« fragte er, indem er seine Freude nicht vollständig zu verbergen vermochte.

»Ja, wenigstens wird keiner von uns euch stören. Ob dieser sogenannte Dschelabi hier mit zuhören darf, das ist deine Sache. Ich werde dir jetzt den Fakir el Fukara senden und gebe dir volle zehn Minuten Zeit, mit ihm zu sprechen. Du siehst, wie rücksichtsvoll ich bin. Mißbrauche dies nicht, denn es würde dir schlecht bekommen. Ich würde ganz sicher bemerken, daß du mich hintergehen willst.«

»Sorge dich nicht, Effendi! Ich meine es ehrlich, und deine Güte rührt mich so, daß ich, wenn ich wirklich eine Heimtücke geplant hätte, jetzt von derselben absehen würde.«

»Gut, wenn es wirklich so ist. Hast du einmal von dem frommen und berühmten Marabut gehört, welchem ein Geist die Zungen von zwölf sprechenden Raben und die Ohren von zwölf jungen Adlern brachte?«

»Ja. Er mußte sie essen und redete dann die Sprachen aller Menschen und Tiere und hörte bis in die weiteste Entfernung alles, was seine Feinde gegen ihn berieten.«

»Nun wohl; ich sage dir, daß auch ich solche Zungen und Ohren gegessen habe. Nimm dich also in acht; ich höre alles!«

Ich ging und bekam dabei den Beweis, daß ich gar keine bezauberten Adlerohren zu essen brauchte, denn die meinigen waren scharf genug, noch zu verstehen, daß der Alte seinem Genossen schadenfroh zuraunte:

»Welch ein Glück; es wird gehen!«

Der Fakir el Fukara war nicht wenig verwundert, als ich ihm sagte, daß der Alte mit ihm reden wolle und ganz ohne Beaufsichtigung mit ihm sprechen dürfe. Er ging hinüber und setzte sich bei den beiden nieder. Auch die Asaker konnten sich mein Verhalten nicht erklären, und Ben Nil machte mir Vorstellungen. Ich wies dieselben mit dem Bemerken zurück, daß ich sehr wohl wisse, was ich thue.

Nach Verlauf der zehn Minuten sah ich, daß der Fakir el Fukara aufstand, um an seinen Platz zurückzukehren. Er hatte von seiner Dankbarkeit gesprochen, und nun konnte ich mich Überzeugen, ob er es mit derselben aufrichtig meine. Wenn er es mir vergelten wollte, daß ich ihm das Leben gerettet hatte, so mußte er mich über den Anschlag des Alten unterrichten. Doch hütete ich mich, ihm schon jetzt eine Gelegenheit dazu zu geben. Der Alte sollte sehen, daß ich mit seinem Vertrauensmann nicht sprach, und um so mehr darüber erschrecken, daß ich alles wußte. Darum ließ ich den Fakir el Fukara von rechts her nach seinem Platz zurückkehren und begab mich mehr linker Hand wieder zu den beiden Kafalah-Bäumen.

»Nun, ist der Fakir auf deine Bitte eingegangen?« fragte ich den Alten.

»Ja, Effendi. Er hat mir versprochen, den Fehler, welchen ich begangen habe, gutzumachen. Wie sehr, wie herzlich danke ich dir!«

»Und nun ist dir das Herz leicht geworden?«

»So leicht, wie es seit langer, langer Zeit nicht gewesen ist!«

»Das glaube ich und kenne auch den Grund.«

»Wie könntest du denselben wissen? Du hast doch keine Ahnung von der That, um welche es sich handelt.«

»Irre dich nicht! Ich habe dir gesagt, daß auch ich Adlerohren gegessen habe, und dich gewarnt. Es handelt sich allerdings um eine That, aber nicht um eine solche, welche du schon begangen hast, sondern um eine, welche der Fakir el Fukara erst noch vorzunehmen hat.«

»Effendi, da täuschest du dich. Ich verstehe dich nicht!«

»Verstelle dich nicht! Ich habe dir vorhin sehr offen gesagt, daß ihr zu dumm seid, mich zu betrügen. Ihr habt einen Anschlag gegen mich gesponnen.«

»Das ist nicht wahr. Welcher Anschlag könnte das sein?«

»Der Fakir el Fukara soll euch befreien helfen, indem er deinen Sohn Ibn Asl holt.«

»Kein Mensch, kein einziger hat daran gedacht, Effendi! Der Fakir weiß ja gar nicht, wo sich mein Sohn befindet.«

»Du hast es ihm mitgeteilt.«

»Nein. Wir haben gar nicht von ihm gesprochen.«

»Auch nicht von dem Reïs Effendina?«

»Nein.«

»Denke doch an die Adlerohren! Du hast ihm gesagt, in welcher Gefahr sich der Reïs Effendina befindet.«

»Nicht zu ihm, sondern zu dir habe ich davon gesprochen. Dir habe ich gesagt, daß er in Chartum vergiftet werden soll.«

»Ja, das hast du sogar beschworen und dabei einen Meineid geleistet, den Allah dir nicht vergeben wird.«

»Es war die Wahrheit!«

»So? Warum hast du da soeben dem Fakir el Fukara erzählt, daß der Reïs Effendina in die Sunutwälder bei der Dschesireh Hassaniah gelockt werden soll?«

»Allah, Allah!« rief er erschrocken aus, indem er mich anstarrte wie einer, vor dem plötzlich bei heiterem Himmel ein Blitz in den Erdboden gefahren ist.

»Du erschrickst? ja, dein Sohn befindet sich bei der Dschesireh Hassaniah, und der Fakir el Fukara soll schleunigst hin, um ihn zu benachrichtigen, daß euer Angriff auf uns verunglückt ist, und daß Ihr euch in unsern Händen befindet.«

»Ich – weiß – kein – Wort, kein – Wort – davon!« stammelte er.

»Das ist eigentlich nicht notwendig,« lachte ich. »Die Hauptsache ist, daß ich es weiß. Ich habe noch mehr gehört. Dein Sohn Ibn Asl soll mit seinen Leuten und seinem Schiffe bis Makaui oder Katena nilabwärts gehen und dann links in die Steppe marschieren, um uns zu überfallen und euch zu befreien. Du siehst, daß meine Adlerohren mir sehr gute Dienste leisten.«

»Du bist ein Teufel, ja, du bist der richtige und wirkliche Scheitan!« rief er jetzt in seinem grimmigsten Tone aus. »Gehört hast du nichts; das weiß ich genau; dennoch bist du von allem unterrichtet, und das kann nur die Folge davon sein, daß du mit der Hölle im Bunde stehst!«

»Oder mit Allah. Du bist ein schauderhafter Bösewicht; also kann die Macht, welche mir gegen dich beisteht, keine böse, sondern sie muß eine gute sein. Deine Anschläge sind entdeckt, und ich werde dafür sorgen, daß sie zunichte werden; deinem Sohne werde ich einen Besuch abstatten, ohne zu fragen, ob ich ihm willkommen bin, und wehe ihm, wenn ich finde, daß er dem Reïs Effendina auch nur ein Haar gekrümmt hat! Euch beide werde ich jetzt wieder hinüber zum Feuer schaffen lassen. Ihr habt zu wenig Gehirn, zu erraten, weshalb ich euch von den anderen absonderte. Hättet ihr euch Überlegt, daß, wie ihr nun schon oft erfahren habt, alles, was ich thue, einen bestimmten Zweck hat, so wäret ihr nicht in die Falle gegangen, welche ich euch damit stellte.«

Als sich die beiden wieder in der Nähe des Feuers befanden, nahm ich mich der Wunde des Dschelabi sorgfältiger an, als es vorhin geschehen war. Günstigen Falles blieb er für das ganze Leben lahm; da aber in jenen Gegenden die geringste Verletzung leicht einen gefährlichen Charakter annehmen kann, so war eine schlimmere Wendung gar nicht ausgeschlossen.

Nun war ich neugierig, wie der Fakir el Fukara sich verhalten werde. Teilte er mir den Plan des Alten mit, so war es gut; im andern Falle aber mußte ich ihn hindern, den ihm gewordenen Auftrag auszuführen. Er hatte sich wieder abseits von den übrigen gesetzt und gab mir, als die an der Wache nicht beteiligten Asaker sich zu schlafen niederlegten, einen Wink, zu ihm zu kommen. Als ich dieser Aufforderung gefolgt war, sagte er.

»Setze dich für einige Augenblicke zu mir, Effendi! Ich möchte über eine Angelegenheit, welche mir sehr wichtig ist, mit dir sprechen.«

Ich nahm in der Erwartung neben ihm Platz, daß er mir sein Gespräch mit dem Alten mitteilen werde, aber schon der Anfang zeigte, daß ich mich geirrt hatte, denn er begann:

»Du bist ein Christ. Kennst du euer Kitab el mukaddas genau?«

»Ja. Ich habe es mit besonderem Fleiße studiert.«

»Und kennst du auch die Erklärungen, welche eure Schriftgelehrten dazu gegeben haben?«

»Ja.«

»So sage mir, ob ihr Muhammed für einen Propheten haltet!«

»Nach unserer Überzeugung ist er kein Prophet, sondern nur ein gewöhnlicher Mensch.«

»So giebt es bei euch wohl gar keine Propheten?«

»O doch! Wir verstehen unter den Propheten diejenigen vom heiligen Geiste erleuchteten Männer, welche Gott zu seinem Volke sandte, um dasselbe über die ewigen Wahrheiten zu belehren und es auf den Weg des Heils zu leiten.«

»Das hat Muhammed doch auch gethan!«

»Nein. Der Weg, auf welchen er seine Anhänger wies, ist ein Irrweg.«

»So haltet ihr seine Lehre für durchaus falsch?«

»Ich möchte diese Frage freilich nicht mit einem kurzen ja beantworten. Er hat Richtiges und Falsches zusammengeworfen. Da, wo er lebte, gab es Juden und Christen. Von diesen lernte er den Inhalt unserer Bibel kennen und konstruierte sich aus derselben und aus allerlei heidnischen Anschauungen, welche er vorfand, die Lehre, welche ihr Islam nennt. Was davon aus unserer heiligen Schrift stammt, ist richtig, das übrige aber falsch. Da nun selbst die reinste Wahrheit, wenn sie mit der Lüge verquickt wird, nicht mehr Wahrheit ist, so muß der Kuran trotz vieler Stellen, mit denen wir einverstanden sind, verworfen werden.«

»Effendi, ihr begeht den großen Fehler, den Kuran zu verurteilen, ohne ihn zu kennen.«

»Das ist nicht wahr. Ich kann diese deine Behauptung mit vollem Rechte umdrehen. Giebt es eine einzige muhammedanische Medresse, an welcher die Schüler unsere Bibel kennen lernen?«

»Nein, denn es ist Lehrern und Schülern verboten, sich mit den Lehren Andersgläubiger zu beschäftigen. Sie würden eine große Sünde begehen, wenn sie dies thäten.«

»An unsern Medressen aber giebt es sehr gelehrte und sehr berühmte Männer, welche mit ihren Schülern den Kuran studieren und denselben wenigstens, ich sage wenigstens, ebenso genau kennen wie eure Professoren. Ihr könnt die Bibel gar nicht kennen und nennt uns dennoch Giaurs; wir aber kennen den Kuran und sind also sehr wohl im stande, über den Islam ein Urteil zu fällen.«

»Bist du auch der Schüler eines solchen Lehrers gewesen?«

»Ja, und zwar des berühmtesten. Er hat Abu ‚l feda, Beidhawi, Alis hundert Sprüche, Samachschari und andere eurer Gelehrten übersetzt. ich lernte bei ihm eure Sprache, den Kuran, die Sunna und die von euren Religionslehrern dazu gegebenen Erläuterungen kennen und bin bereit, dir über den Islam jede gewünschte Aufklärung zu geben.«

»Wunder über Wunder! Ein Christ will mir, dem gelehrten Fakir el Fukara, Erklärung des Kuran, der Sunna und aller heiligen Schriften geben! Sollte man so etwas für möglich halten! Du bist nicht nur in Thaten, sondern auch in Worten verwegen, Effendi!«

»Von einer Verwegenheit kann da gar keine Rede sein. Was ich sage, hat alles Grund und vollständige Berechtigung. Versuche es!«

»Nein. Ich werde mich hüten, mit einem Christen über den Islam zu disputieren. Du lässest dich doch nicht bekehren. Es waren nur einige wenige Fragen, welche du mir beantworten solltest. Selbst dem weisesten der Weisen ist es unmöglich, ein endgültiges Urteil über unsern Glauben zu fällen, denn Muhammed hat das Werk nur begonnen. Zu Ende führen wird es ein anderer.«

»Wer?«

»Das fragst du? Und doch behauptest du, den Kuran und alle seine Erläuterungen zu kennen! Durch diese Frage hast du bewiesen, daß du sie noch nicht kennst.«

»Du irrst dich abermals. Ich weiß, daß du den Paraklet, den Ma’dijj meinst, den viele von euch erwarten.«

Dieses Wort darf nicht Mahdi, sondern es muß Ma’diji geschrieben werden; es kommt von dem arabischen Verbum hahdaja her, welches »führen« heißt, und bedeutet: der auf den rechten Weg Geführte, der Helfer, der Vermittler. Doch werde ich dem einmal gewohnten Gebrauche folgen und Mahdi schreiben.

»Du, weißt das also doch?« fragte er. »Hast du gehört, daß ein Mahdi kommen wird?«

»Gehört und auch gelesen. Der Kuran erwähnt nichts von ihm, und auch den Kommentaren ist die Sendung eines Mahdi unbekannt; er lebt nur in der mündlichen Überlieferung, auf die ich nichts gebe.«

»Ich desto mehr. Allah wird einen Propheten senden, welcher das von Muhammed begonnene Werk zu vollenden hat. Dieser Prophet wird die Ungläubigen entweder bekehren oder, wenn sie sich nicht bekehren lassen, sie vernichten und dann die Güter dieser Erde so verteilen, daß ein jeder nach seiner Frömmigkeit erhält, was ihm gebührt.«

»Das sind mehr weltliche als religiöse Hoffnungen und Wünsche. Wäre ich Moslem, ich würde mich nur an den Kuran halten, nach dessen Lehren ein solcher Mahdi nicht erwartet werden kann.«

»Wieso? Wenn der Kuran nicht von einem Mahdi redet, so ist das doch kein triftiger Grund, anzunehmen, daß es keinen solchen geben kann und geben wird.«

»O doch, denn die Prophetologie des Kuran ist vollständig abgeschlossen. Nach Muhammeds eigenen Worten ist er der letzte Prophet, den Allah gesandt hat und senden wird; seine Lehre, der Islam, ist in sich vollendet und kann nicht durch Zusätze ergänzt oder gar verbessert werden, und nach ihm wird, wie er sagt, nur einer kommen, nämlich Isa Ben Marryam, und zwar am jüngsten Tage, an welchem er sich auf die Moschee der Ommijaden in Damaskus niederlassen wird, um zu richten die Lebendigen und die Toten. Ganz abgesehen davon, daß Muhammed da den Heiland der Christen als Weltenrichter hoch über sich selbst stellt, macht er damit eure Mahdi-Hoffnung ganz und vollständig zu schanden.«

»Das sprichst du als Ungläubigen«

»Nein, sondern als Kenner des Islam, als welcher ich mich in die Anschauung eines Moslem gedacht habe. Wenn jetzt ein Mahdi erstände, welcher beabsichtigte, die sogenannten Ungläubigen, falls sie sich nicht von ihm bekehren ließen, zu vernichten, so wäre das einfach lächerlich. Es giebt weit über tausend Millionen Menschen, welche nicht Muhammedaner sind; ich will aber nur von uns Christen sprechen. Wie wollte euer Mahdi es anfangen, uns zu vernichten?«

»Mit Feuer und Schwert!«

»Er mag kommen! Und das ist es ja eben, daß er gar nicht kommen kann, nämlich nicht zu uns. Kann eine Quelle der Wüste sich herausnehmen, zum Nile zu kommen, um ihn zu verschlingen? Kann sie die Wüste überwinden und dann die Felsenberge, durch welche sie vom Nile getrennt wird? Sie muß, sobald sie sich aus der Oase hervorwagt, schamrot im Sande verlaufen.«

»Allah wird ihre Wellen mehren und ihre Kräfte stärken, daß sie tausendmal breiter wird als der Nil!«

»Gott ist allerdings allmächtig; aber er läßt nicht der Überhebung eines Moslem zuliebe ein Meer aus dem dürren Boden quellen und die Höhen der Gebirge überfluten.«

»Ihr kennt uns nicht. Wir sind unwiderstehlich, wenn wir uns im Kriege über eure Länder ergießen!«

»Pah! Euer Strom würde elend versiechen, noch lange ehe er unsere Grenzen erreichte. Kennt ihr unsere Länder? Wo liegen sie? Kennt ihr unsere Völker, unsere Einrichtungen, unsere Heere? Ein Wüstenfloh hat den Gedanken, mit den Elefanten und Flußpferden des Sudan, den Büffeln und Bären Amerikas, den Löwen und Tigern Indiens anzubinden! Wahnsinn! Und kämt ihr zu Hunderttausenden, so hast du gar keine Ahnung, wie schnell wir mit euch aufräumen würden.«

»Allah’l Allah! Hast du einmal einen Moslem im Kampfe gesehen? Wir würden euch im Augenblick zermalmen!«

»Aber einen Augenblick vorher würdet ihr aus den Mündungen unserer Gewehre und Kanonen bis auf den letzten Mann den Tod getrunken haben. Ehe du vom Zermalmen redest, besuche die Länder der Christen, um da Umschau zu halten! Du redest wie der Fisch vom Wüstensturm; sobald er nur aus dem Wasser kommt, ist’s mit ihm vorbei. Zähle die Millionen und aber Millionen Krieger, welche wir haben. Und was sind das für Männer! Was sind zehn von euch gegen einen von ihnen! Du fragst mich, ob ich einen Moslem im Kampfe gesehen habe. Nicht einen, sondern viele sah ich schon. Ich selbst habe mit Moslemin gekämpft und wundere mich sehr, daß du mich so fragen kannst. Nimm doch das nächste Beispiel, welches dir zur Verfügung steht, nämlich mich selbst! Man wollte und will mich hier verderben. Ist es gelungen? Sind diese großen Helden nicht alle in ihre eigenen Gruben gefallen? Ich bin der einzige Christ unter euch. Sagt Abd Asl nicht selbst, daß ich mehr zu fürchten sei, als alle Asaker zusammen? Man wollte mich fangen. Was geschah? Ich habe diese sechzig tapfern Moslemin gefangen, und zwar hier, wo sie daheim sind und alle Verhältnisse kennen. Dein Mahdi mag kommen, um uns zu vernichten. Meinst du, daß wir uns gegen ihn zu wehren brauchten? O nein! Wir würden lachen, nur lachen, und vor dem Schalle dieses Spottgelächters würde er samt seinen Helden Hals über Kopf davonlaufen.«

»Du nimmst den Mund sehr voll, Effendi; aber wenn du ihn kommen sähest, so würden deine Zähne vor Entsetzen aufeinander klappen.«

»So? – Hat er ein so fürchterliches Angesicht?«

»Ja, du hast keine Ahnung davon, wie schrecklich er sein kann.«

»Aber du hast diese Ahnung? – So kennst du ihn?«

»Gerade weil du nicht glaubst, daß ein Mahdi kommen wird, gerade weil du über ihn spottest, will ich dir diese Frage beantworten: ja, ich kenne ihn.«

»So, ist er also schon da?«

»Er ist schon da und hat bereits von Allah die Weisung empfangen, sich auf die Eroberung der Erde und die Vernichtung der Ungläubigen vorzubereiten.«

»Willst du ihm einen guten Rat von mir überbringen?«

»Welchen?«

»Er mag in Ruhe und Frieden seine Herde weiden oder sein Feld bebauen, aber in Allahs Namen auf seine eingebildete Prophetie verzichten. Er ist in einer gewaltigen Selbsttäuschung befangen, in einem Selbstbetruge, welchen seine Anhänger, falls er welche fände, mit ihrem Eigentume, ihrem Leben bezahlen würden.«

»Du täuschest dich, aber nicht er sich! Seine Sendung ist ihm von Allah geworden, und er wird dem Befehle, der vom Himmel kam, gehorchen.«

»So will ich dir sagen, was er zu erwarten hat. Er wird sich zunächst gegen den Vicekönig empören. Vielleicht gelingt der Aufstand. Chartum ist weit von Kahira entfernt, und ehe der Khedive Truppen sendet, kann dem Mahdi die an den Nilarmen liegende Gegend zugefallen sein, aber gewiß nur für kurze Zeit; er wird sie bald wieder räumen müssen.«

»Gewiß nicht! Er verachtet den Khedive und wird ihn unterjochen. Dann wird er Mekka nehmen und hernach nach Stambul ziehen, um den Sultan abzusetzen und sich als den wahren Beherrscher der Gläubigen auszurufen.«

»Das wird er bleiben lassen! Du hast ja nicht die mindeste Ahnung von den Verhältnissen, mit denen er zu rechnen hätte und von den Hindernissen, auf welche er stoßen würde. Hier am obern Nile, ja, da könnte er ein wenig Krieg spielen; aber sobald er die Nase über die nubische Grenze steckte, würde man ihn darauf klopfen.«

»Wer?«

»Diejenigen Mächte, welche nicht zugeben können, daß der Vicekönig oder gar der Sultan abgesetzt wird. Es giebt noch ganz andere Kerle, als der Mahdi sein würde, welche es nicht gern sehen, daß der Sultan in Stambul sitzt. Da ist zum Beispiel der Kaiser von Rußland, welcher Stambul gern für sich haben möchte. Er hat gar nicht weit dorthin, denn sein Reich stößt an die Türkei; er besitzt mehrere Millionen Soldaten und nimmt Stambul doch nicht weg, und zwar nicht etwa aus Angst vor den Türken, den Muhammedanern, sondern weil andere, christliche Fürsten es nicht erlauben würden. Und was der große Zar nicht fertig bringt, das soll der Mahdi fertig bringen? Das wäre, wie wenn ein Kind die Hand nach dem Monde ausstreckt; es mag nach ihm verlangen, es mag jammern und schreien, aber es kann ihn eben auf keinen Fall bekommen. Sage also dem Manne, daß es nichts mit diesem Plan ist. Und auch hinter dem Khedive stehen Mächte, welche ihn nicht fallen lassen werden. Ein Mahdi würde höchstens bis Assuan kommen, dort aber auf europäische, also auf christliche Truppen stoßen, an deren Kanonen und Bajonetten seine Macht zerschellen müßte.«

»Wie aber nun, wenn er im Heere des Khedive einen Freund hätte, auf den er sich verlassen kann?«

»Da meinst du jedenfalls einen hohen Offizier, der bereit ist, sich in Kahira zu empören, sobald der Mahdi sich in Chartum erhebt?«

»Ja.«

»Selbst wenn dieser Offizier zunächst Glück hätte, es würde ihn sehr bald verlassen, denn es würden europäische Truppen landen, denen er mit seinen Anhängern nicht gewachsen wäre.«

»Wenn er sie nun aber nicht landen ließe?«

»Was kann er dagegen thun? Sie landen unter dem Schutze ihrer Schiffe.«

»Die zerstört er!«

»Womit? Wie denn? Das sind keine hölzernen Nilbarken, sondern ungeheure Riesenpanzer aus Stahl. Eure Kugeln prallen davon ab; ihre Kanonenkugeln aber, welche fast bis nach Kahira fliegen, säubern in einer Viertelstunde die ganze Gegend. Wollte dein Mahdi den Sudan erobern, um die heidnischen Schwarzen zum Islam zu bekehren, so hätte er es mit Menschen und Verhältnissen zu thun, die er vielleicht kennt, und es wäre am Ende ein Gelingen möglich; aber von anderen Eroberungen mag er die Hände lassen, wenn er nicht tüchtig darauf geklopft sein will. Ein Mahdi, welcher den Erdkreis erobern will, müßte die Summe aller gegenwärtigen europäischen Bildung nicht nur in sich tragen, sondern dieselbe sogar noch überragen. Wo giebt es hier einen solchen Mann?«

»Es giebt einen!« antwortete er in selbstbewußtem Tone, »welcher zehnmal gescheiter ist, als ihr Europäer alle miteinander.«

»Hm! Meinst du etwa dich selbst? Fast klingt es so.«

»Wen ich meine, das werde ich natürlich nicht sagen; aber Allah hat ihm den Geist, die Kenntnisse und alle Eigenschaften, welche zu einer so heiligen Sendung gehören, gegeben, und es wird gar bald die Zeit kommen, in welcher die Kunde von ihm in alle Länder erschallt und alle Kaiser, Könige und Fürsten Boten zu ihm senden, um ihm Geschenke zu geben und ihn um Frieden zu bitten. Darauf kannst du dich bei meinen heiligsten Schwüren verlassen!«

»Was das betrifft, so habe ich oft und auch heute wieder erfahren, was die Schwüre eines Moslems gelten. War dies alles, was du mir zu sagen hattest?«

»Ja. Ich wollte die Ansicht eines unterrichteten Christen über die Sendung des Mahdi hören.«

»Du hast sie gehört. Dann habe auch ich dich um etwas zu fragen. Wovon hast du mit dem alten Abd Asl gesprochen?«

»Von einem großen Fehler, den er einmal begangen hat. Er bat mich, denselben gut zu machen.«

»Wirst du das thun?«

»Ja.«

»Es fragt sich aber wohl, ob du das thun kannst.«

»Ich kann es, denn er hat mir die nötigen Anweisungen gegeben.«

»Darf ich davon erfahren?«

»Warum, Effendi? Es war die Beichte eines Sterbenden, und du selbst bist so zartfühlend gewesen, es nicht hören zu wollen. Willst du jetzt auf einmal diese Großmut bereuen?«

»Nein; aber ich befürchte, daß diese Angelegenheit mir nicht gleichgültig sein kann.«

»Sie geht dich ganz und gar nichts an.«

»Es wird nichts gegen mich geplant?«

»Wie kommst du zu dieser Frage? Du hast mir das Leben gerettet, und ich bin dir Dankbarkeit schuldig. Darum würde ich dich sicher warnen, wenn Abd Asl etwas gegen dich vorhätte.«

»Aber er ist dein Freund!«

»Meine Dankbarkeit gegen dich steht mir höher als diese Freundschaft. Ich bitte dich, mir zu vertrauen!«

»Ich traue nur dem, den ich vollständig kenne; dich aber habe ich heute zum erstenmal gesehen.«

»So thut es mir leid, daß du jetzt nicht Zeit finden wirst, mich besser kennen zu lernen. Ich habe ausgeruht und werde jetzt meine Reise nach Chartum fortsetzen. Ich bitte dich, mir eins der Kamele auszuwählen.«

»Das werde ich thun, doch erst beim Anbruch des Tages.«

»Jetzt nicht? Du hast es mir ja doch versprochen!«

»Allerdings, und ich werde mein Versprechen auch halten.«

»So kann es dir gleich sein, ob du mir das Kamel jetzt oder später giebst.«

»Dir ebenso.«

»Nein, denn ich muß jetzt fort.«

»Und ich bin überzeugt, daß du erst am Morgen abreisen wirst.«

»Ich sage dir aber, daß – –«

»Und ich sage dir,« unterbrach ich ihn in scharfem Tone, »daß mir das, was du sagst, sehr gleichgültig ist. Ich weiß ganz bestimmt, daß du hier bleibst, bis wir auch aufbrechen.«

»Effendi, was fällt dir ein! Ich weiß, was ich will. Oder sollte ich etwa nicht mehr Herr meines Willens sein?«

Ich war aufgestanden; auch er sprang auf und stellte sich mir drohend gegenüber.

»Ich lasse dich nicht fort.«

»Mit welchem Rechte?«

»Mit dem Rechte des Stärkern. Ich bin Gebieter an diesem Brunnen, und zu allem, was hier geschehen soll, habe ich meine Erlaubnis zu geben.«

Er hatte seine Flinte in der Hand. Ich hielt mich auf alles gefaßt, am meisten darauf, daß er plötzlich davoneilen werde. Da ich mein Gewehr an meinem Platze zurückgelassen hatte, konnte er der Ansicht sein, daß ihm die Flucht, ohne daß ihm eine Kugel folgte, gelingen werde.

»Du hast mir ein Kamel versprochen, damit ich weiterreiten kann,« sagte er in sehr bestimmtem Tone. »Ich verlasse mich auf dein Wort.«

»Du wirst es bekommen und kannst weiterreiten, doch wann, davon ist nicht die Rede gewesen. Du wirst in der Frühe mit uns aufbrechen.«

»Ich habe es aber so eilig, daß ich nicht auf euch warten kann!«

»Warum hast du das früher nicht gesagt? Da schienst du es nicht so eilig zu haben. Übrigens werden wir sehr schnell reiten, und du versäumst also nichts, wenn du bis zu unserm Aufbruche wartest.«

»Effendi, ich brauche keine Reisegesellschaft und keine Beschützer, denn ich reise allein viel sicherer, als in Begleitung eines Christen, dessen Gegenwart mich nur in Gefahr bringen kann.«

»Es sind Asaker dabei; das ist etwas ganz anderes. Ich muß wirklich darauf dringen, daß du wartest, bis wir mitreiten.«

»Mit welchem Recht behandelst du mich als deinen Gefangenen?« fuhr er auf.

»Mit dem Rechte, welches ein jeder besitzt, der auf seine Sicherheit, auf sein Leben bedacht sein muß.«

»Bedrohe ich etwa, indem ich fortgehe, deine Sicherheit oder gar dein Leben?«

»Ja.«

»Allah ‚l Allah! Mir das! Mir, dem Mahdi, vor welchem Millionen im Staube liegen werden!«

»Ah, jetzt bekennst du Farbe! Du also bist der Auserwählte, zu welchem Allah gesprochen hat! Du willst den Khedive und den Sultan absetzen? Du willst die Erde erobern und die Christen vernichten? Du willst die unvollendete Sendung des Propheten vollenden und das Schwert des Islam von einem Ende der Welt zum andern tragen?«

Bei jeder dieser Fragen ließ ich den Blick von oben herab und dann wieder von unten herauf über seine Gestalt schweifen, betonte das Wort Du sehr kräftig und fügte dann hinzu:

»Aufrichtig gestanden, du hast mir gar nicht das Aussehen eines Mannes, der auch nur zehn Asaker zu kommandieren vermag, und du willst die Gläubigen, ja sogar den ganzen Erdkreis beherrschen?!«

»Spotte nicht, denn es würde dir schlecht bekommen. Ich bin vom Geiste erleuchtet und weiß alle Dinge. Ich weiß, was geschehen ist und was geschehen wird und sehe die Scharen aller Sterblichen schon im voraus um mich versammelt.«

»So, du weißt also alles, was geschehen ist und kannst auch in die Zukunft blicken? Da hast du ja ganz dieselben scharfen Augen wie ich! Wir wissen also beide, daß du nicht nach Chartum, sondern zur Dschesireh Hassanieh willst, um Ibn Asl aufzusuchen. Weißt du denn auch, daß ich eher dort sein werde als du? Deine Dankbarkeit gegen mich ist wirklich groß, so groß, daß ich dich aus lauter Liebe gar nicht von mir lassen werde. Du wirst bei uns bleiben und – –«

Ich kam nicht weiter, denn er drehte sich plötzlich um und sprang davon, dem Rande der Lichtung zu. Ich war schnell hinter ihm her, ereilte ihn und faßte ihn am linken Arme. Er hatte die Flinte in der rechten Hand und holte aus, um mir den Kolben vor die Brust zu stoßen. Da riß ich ihn zur Erde nieder und kniete auf ihm, um ihn festzuhalten. Der Mann schäumte förmlich vor Wut und erging sich in Schimpfreden, welche eines zukünftigen Mahdi allerdings nicht würdig waren. Ich hatte überhaupt seine ganze Rede von der »Sendung« nicht für wirklichen Ernst genommen.

Die Asaker waren nicht wenig darüber erstaunt, daß ich so plötzlich den Fakir el Fukara als Feind behandelte; als ich sie aber über seine Absicht, uns an Ibn Asl zu verraten, aufklärte, hätten sie ihn, den Undankbaren, am liebsten umbringen mögen.

Unser Reiseziel mußte durch das, was ich erfahren hatte, ein ganz anderes werden. Es galt jetzt, dem Reïs Effendina beizustehen; er mußte, falls es noch Zeit dazu war, gewarnt, und wenn es zu spät war, aus den Händen Ibn Asls gerettet werden. Eile that not, und da der Transport der Gefangenen nicht so schnell vor sich gehen konnte, beschloß ich, voran zu reiten und zwar sofort, ohne vorher geschlafen zu haben.

Es war nicht geraten, ganz allein zu sein; aber wen sollte ich mitnehmen? Einen Askari? Nein. Ich ging Verhältnissen entgegen, welche sehr wahrscheinlich keine gewöhnlichen waren. Es war List, wohl auch Entschlossenheit und Mut erforderlich, und so bedurfte ich eines Begleiters, auf den ich mich in dieser Beziehung verlassen konnte. Zwar hätte ich gern Ben Nil das Kommando über die Asaker gegeben; ihm traute ich es zu, den Zug glücklich ans Ziel zu bringen, aber mir war er noch notwendiger. Besser, die Gefangenen entkamen, als daß dem Reïs Effendina ein Unglück geschah. Darum forderte ich Ben Nil auf, mit mir zu reiten, und übergab dem ältesten der Asaker den Befehl über dieselben. Er hatte einen erfahrenen Gehilfen an dem Fessarah-Führer, welcher die Karawane nach dem Dorfe Hegasi, welches in der Nähe der Insel Hassanieh liegt, bringen sollte. Dort wollte ich sie erwarten. Ich gab ihm seine berühmte Visionsflinte zurück, worüber er in außerordentliche Freude geriet.

»Effendi“, jubelte er, »deine Seele quillt vor Gnade über und deine Barmherzigkeit erquickt mein Herz. Verlaß dich auf mich, und habe keine Sorge; ich werde die Asaker samt den Gefangenen glücklich nach Hegasi führen. Reite also getrost, und Allah segne deine Pfade und beschütze dich!«—