In Siut

Eine Segelfahrt auf dem Nile, welche inhaltsreichen Worte! Man hat el Kahira, die Pforte des Orientes hinter sich und strebt dem Süden zu. Dem Süden! Man glaube nicht, daß das Wort Sudan gleichbedeutend mit unserm deutschen »Süden« ist. Sudan (gesprochen Sudahn) ist der gebrochene Plural von aswad, schwarz; Beled heißt Land, und Beled es Sudan bedeutet also das Land der Schwarzen. Der Süden heißt sowohl im Türkischen als auch im Arabischen Kyble oder Dschenub.

Nach dem Süden! Das ist so viel wie eine Fahrt ins Unbekannte, ins Geheimnisvolle. Und wer diese Fahrt schon zehn- oder zwanzigmal gemacht hat, dem bleibt der Süden doch immer noch die Gegend des Dunkels, in welcher täglich neue Entdeckungen zu machen sind.

Jetzt kann man mit der Bahn von Kairo nach Siut fahren; aber eine pfeifende Lokomotive am Nil, eine dunkle, häßliche Rauchwolke in der herrlichen Luft des heiligen Stromes, das will wie eine Entweihung erscheinen. Und wie fährt man auf der ägyptischen Bahn! Es ist vor einigen Jahren in Ungarn vorgekommen, daß der Zug an einer kleinen Station zwei Minuten zu halten hatte; die Beamten stiegen aus, um Wein zu trinken; der Maschinist that natürlich dasselbe. Da kam den Passagieren der Gedanke, auf einer nahen Kegelbahn ein Spielchen zu machen. Als die erste Partie zu Ende war, wurde noch eine zweite geschoben; dann stieg man gemächlich ein, und der Zug trollte sich mit Beamten und Passagieren von dannen. Wenn das an der schönen, blauen Donau geschieht, was kann man dann am Nile erwarten?

Ich ziehe das Deck eines Schiffes dem engen Bahncoupée vor. Da sitzt man auf seiner Matte oder auf seinem Polster, die Pfeife in der Hand und den duftenden Kaffee vor sich. Der über zweitausend Fuß breite Strom dehnt sich wie ein See vor dem Blicke aus, scheinbar grenzenlos. Das erregt die Phantasie, welche vorauseilt, dem Süden entgegen, um sich denselben mit riesigen Pflanzen und Tierbildern zu bevölkern. Der Nordwind liegt in den Segeln; die Matrosen hocken allerorts und vertreiben sich die Zeit, indem sie schlafen, gedankenlos vor sich hinstarren oder sich mit kindlichen Spielen beschäftigen. Die Augen des Reisenden werden müde; sie schließen sich nicht, und doch beginnt er zu träumen, und er träumt, bis der Ruf erschallt: »Auf zum Gebete, ihr Gläubigen!« Dann knieen alle nieder, verneigen sich nach der Kibblah und rufen: »Ich bezeuge, daß es keinen Gott giebt außer Gott; ich bezeuge, daß Muhammed der Gesandte Gottes ist!« Dann schläft oder spielt man wieder, bis der Reïs ein Kommando erschallen läßt oder ein begegnendes Schiff oder Floß die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Die Flöße sind dem Fremden deshalb interessant, weil sie nicht aus Bäumen, Stämmen oder sonstigen Hölzern, sonder aus – – Wasserkrügen bestehen. Der Ägypter trinkt nur das Wasser des Niles. Die Krüge, in denen man es schöpft, sind porös. – Die Unreinigkeit schlägt sich nieder; durch die Poren dringt die Feuchtigkeit, und indem dieselbe verdunstet, wird das im Gefäße befindliche Wasser kühler, als es im Flusse ist. Es hat einen äußerst angenehmen Geschmack, und wer sich einmal daran gewöhnt hat, der zieht es selbst dem Quellwasser der Oasen vor. Diese Wasserkrüge werden in Ballas, einem Orte am linken Nilufer, fabriziert und darum Ballasi genannt. Man flicht aus Stricken lange, rechteckige Netze, deren Zwischenräume vom Durchmesser der Krüge sind, welche in die Maschen dieses Netzes gehängt werden. Da die Gefäße leer sind, so schwimmen sie auf dem Wasser. Man stellt eine zweite Schicht darauf; dann ist das Floß fertig und kann stromabwärts gehen.

Die Fruchtbarkeit des Landes beruht nur auf den Überschwemmungen des Niles, welcher zu gewissen Zeiten steigt und ebenso regelmäßig wieder fällt. Je höher die Überschwemmung, auf eine desto reichere Ernte ist zu rechnen. Um das Wasser so weit wie möglich zu leiten, sind Kanäle gezogen. Auf den Dämmen dieser Kanäle wie auf den hohen Flußufern sind Sakkias angebracht, Schöpfwerke, mit deren Hilfe die Besitzer das Wasser heben, um es auf ihre Felder zu leiten. Sie bestehen meist aus Rädern, an denen Gefäße hängen, welche das Wasser unten fassen und oben in einen Graben gießen, welcher es weiter leitet. Sie werden durch Kamele, Esel, selbst auch durch Rinder oder gar von Menschenhand bewegt, und ihr monotones Knarren ist weithin zu hören. Oft auch sieht man einen Armen am Kanale stehen, welcher das Wasser für sein winziges Feld mit eigenen Händen schöpft. Er besitzt nicht so viel, um sich eine Sakkia anzuschaffen und sie zu versteuern. Denn in Ägypten muß alles versteuert werden, selbst der Baum, wenn er nur einige Früchte trägt. Es ist vorgekommen, daß ganze Ortschaften ihre Palmwälder vernichteten, um der Steuer zu entgehen. Wer wohlhabend ist, der hütet sich sehr, dies zu zeigen, und der Arme braucht sich nicht zu verstellen. Darum macht die menschliche Staffage der Nillandschaft den Eindruck einer Dürftigkeit, welche zwar nicht zu den sozialen Verhältnissen des Landes, aber desto mehr zu seiner Fruchtbarkeit in grassem Widerspruche steht. –

Wir näherten uns Siut, meinem einstweiligen Ziele. Zwei volle Tage hatte »Esch Schahin« noch am Ufer von Giseh gelegen, bevor wir die Anker lichten konnten. So lange war der Emir durch seine Pflichten dort aufgehalten worden. Seine Nachforschungen nach dem Muza’bir waren in Kairo natürlich vergeblich gewesen, und als er bei seiner Rückkehr von mir erfuhr, daß derselbe auf dem Sandal »Abu’l adschal« flußaufwärts entkommen sei, wurde sein Ärger darüber nur durch die Hoffnung gemildert, daß wir bei der Schnelligkeit unseres »Falken« dieses Fahrzeug bald einholen würden.

Wir hatten in allen Häfen angelegt oder wenigstens das Boot entsendet, um uns nach dem Sandal zu erkundigen, vergebens; er hatte die Ufer vermieden. Nun hofften wir, ihn in Siut zu sehen und dann Näheres über den Muza’bir zu erfahren. Lange, bevor wir den Hafen erreichten, sahen wir die Stadt vor uns liegen. Sie heißt koptisch Saûd und ist das

Lykonpolis (Wolfsstadt) der Alten. Sie steht wenig entfernt vom Ufer in einer sehr fruchtbaren und ungemein reizenden Gegend. Bei einer Einwohnerzahl von über dreißigtausend Köpfen ist sie der Sitz eines Paschas und eines koptischen Bischofes; in neuerer Zeit giebt es einen deutschen Konsularagenten hier. Ihr Handel erstreckt sich bis in das Innere von Afrika, denn sie ist die Hauptstation der nubischen und ostsudanesischen Karawanen. Die Stadt war schon im Altertume von Bedeutung, doch besitzt sie keine Monumente, wenn man nicht die alte Nekropole und die in den westlichen libyschen Bergen gelegenen Mumiengräber des früher hier verehrten Wolfes dazu rechnen will. Unweit des nicht sehr entfernten Dorfes Maabdah befindet sich eine leider wenig besuchte Höhle mit Krokodilsmumien.

Wir ließen am Dorfe EI Hamra, welches den Hafen von Siut bildet, den Anker fallen. Der Emir hatte als Reïs Effendina keine hafenpolizeilichen Obliegenheiten zu erfüllen und konnte also mit mir sofort ans Land gehen. Wir suchten nach dem Sandal; er war nicht da. Von dem Hafenkapitän erfuhren wir, daß dieses Schiff zwar gesehen worden, aber ohne anzulegen vorübergesegelt sei. Wir mußten also annehmen, daß der Muza’bir sich nicht in Siut befinde. Achmed Abd el Insaf, der darauf brannte, den Menschen in seine Hand zu bekommen, beschloß, sofort wieder abzusegeln, um den Sandal einzuholen. Er hätte ohnedies nicht lange vor Siut liegen bleiben können, da seine Pflicht ihn nach Chartum rief. Er hatte noch am letzten Tage in Kairo durch einen seiner Agenten, deren er in jeder Nilstadt einen besaß, erfahren, daß sich da oben etwas vorbereite, wobei ein guter Fang zu machen sei. Was das war, konnte ich trotz seiner sonstigen Offenheit und des Vertrauens, welches er mir schenkte, nicht erfahren. Ich hatte bemerkt, daß er meine Eigenheiten studierte, und mich besonders über seine Wißbegierde gefreut. Tausend und noch mehr Fragen mußte ich ihm beantworten; er war ein sowohl körperlich wie auch geistig reich begabter Mensch und begriff sehr leicht. Am leichtesten aber hatte er eingesehen, daß seine Kenntnisse sehr mangelhaft seien, natürlich dem Wissen eines Europäers gegenüber. Bei dieser Armut an realem Wissen war es freilich kein Wunder, daß ich jede seiner Fragen zu beantworten vermochte, und so kam es, daß er mich, was ich leider nicht verdiente, für einen Ausbund von Klugheit und Gelehrsamkeit hielt. Bei all dieser Hochachtung und den freundschaftlichen Gefühlen, welche er sichtlich für mich hegte, bewahrte er jene Zurückhaltung, welche dem Orientalen eigen ist, und die er seinem Range schuldig zu sein glaubte. Ich erkannte, daß es seine Ansicht sei, er stehe als Reïs Effendina über mir, der ich keinen militärischen oder sonstigen Rang bekleidete. Er hatte auch gar nicht unrecht, und ich bemerkte mit Vergnügen die Genugthuung, mit welcher er die höfliche Bescheidenheit, deren ich mich befleißigte, beobachtete. Er vergalt dieselbe mit einer Zu- und Vertraulichkeit, welche nur dann sich in das Gegenteil verwandelte, wenn ich auf Chartum und seine dort zu verfolgenden Pläne zu sprechen kam. Doch konnte ich, da es sich hierbei um Amts- oder Dienstgeheimnisse handelte, ihm das nicht übel nehmen. Dennoch schien es mir, als ob diese seine Verschwiegenheit ihm weniger durch seine Pflicht als vielmehr aus persönlichen Gründen geboten erscheine, und das war es, was mich zu verstimmen vermochte, wenn ich es mir auch nicht merken ließ.

Da ich Murad Nassyr, meinem dicken Türken, das ihm gegebene Wort, ihn in Siut zu erwarten, halten wollte, so mußte ich mich hier von dem Emir trennen. Die Dinkakinder behielt er auf dem »Falken« in seiner Obhut, da es ihm leichter war als mir, sie in ihre Heimat zurückzubringen. Für mich wäre das vielleicht, ja sehr wahrscheinlich, unmöglich gewesen. Als ich mich von ihnen verabschiedete, hingen sie sich an mich und wollten nicht an Bord bleiben. Ich konnte ihre Thränen nur mit dem Versprechen stillen, daß ich ihnen bald nachkommen wolle. Dann mußten zwei Matrosen meine wenigen Effekten nehmen, und der Emir führte mich nach der Stadt. Als ich ihn fragte, wo er mich da unterbringen wollte, antwortete er mir:

»Wo anders als beim Pascha? Ein Mann wie du darf nur beim vornehmsten Herrn wohnen.«

»Und du meinst, daß ich ihm willkommen sein werde?«

»Natürlich! Zumal wenn ich dich bringe und dich ihm empfehle. Er wird dich wie einen Freund und Bekannten aufnehmen.«

Das beruhigte mich. Dennoch hätte ich lieber in einem gewöhnlichen Hause, wo ich sie bezahlen konnte, um Unterkunft gebeten.

Der Weg führte vom Hafen auf einem Damme nach der Stadt. Zu beiden Seiten desselben breitete sich saftiges Grün aus, und goldenes Sonnenlicht flutete darüber hin. Der Damm war belebt von Menschen, welche, wie wir, vom Hafen kamen oder dorthin gingen. Wir gelangten durch eine saracenische Pforte, welche zugleich den Haupteingang der Stadt bildete, in einen Hof, welcher zu dem Palaste des Paschas gehörte. Die Wände ringsum waren weiß getüncht und die wenigen Fensteröffnungen mit dunklen Blenden versehen. An den Mauern zogen sich niedrige Bänke hin, auf denen, rauchend und kaffeeschlürfend, langbärtige Gestalten saßen, welche ich Lust hatte, für Angehörige der Schloßwache zu halten. Keiner dieser Männer bekümmerte sich um uns.

Man sah, daß der Emir sich nicht zum erstenmale hier befand. Er schritt auf eine Thüre zu, gebot den Matrosen, hier zu warten, und trat mit mir ein. Im Innern stand eine Wache, welche er nach dem Haushofmeister fragte. Der Soldat lehnte sein Gewehr an die Wand und entfernte sich. Nach einiger Zeit kehrte er zurück, hielt dem Emir die hohle Hand hin und sagte:

»Ich soll euch führen, wenn du mir ein Bakschisch giebst.«

Der Reïs Effendina verabreichte ihm eine derbe Ohrfeige und antwortete:

»Hier dein Bakschisch, und nun beeile dich, wenn du nicht die Bastonnade haben willst!«

Der Gezüchtigte betrachtete nun erst den Emir genauer. Er sah ein, daß er es mit keinem gewöhnlichen Manne zu thun hatte; die Ohrfeige war ja der beste Beweis dafür, und schritt, sich eifrig die Wange reibend, uns voran.

Wir gelangten in einen Innenhof, in welchem es rundum Thüren gab. Unter einer derselben stand ein in seidene Gewänder gehüllter dicker, unförmlicher Schwarzer, welcher uns mit finsteren Blicken entgegensah. Sobald aber sein Auge auf den Emir fiel, veränderte sich der Ausdruck seines Gesichtes; er krümmte den breiten Rücken, kreuzte die Arme auf der Brust und rief:

»Verzeihe, daß du mich hier stehen siehst! Hätte ich deine hohe Gegenwart vermutet, so wäre ich dir entgegen gekommen.«

Grobheit erregt Respekt; das schien der Reïs Effendina zu wissen, denn er antwortete in barschem Tone:

»Dessen bedarf es nicht. Aber wie kannst du dem Wächter befehlen, von mir ein Bakschisch zu verlangen?«

»Hat er das gethan?« fragte der Schwarze erschrocken. »Herr, ich habe es ihm nicht geheißen. Allah ist mein Zeuge!«

»Schweig‘! Ich weiß, daß du diesen Leuten gebietest, Trinkgelder zu verlangen, die du dann mit ihnen teilst.«

»Man hat dich falsch berichtet. Zum Beweise, daß ich dir die Wahrheit sage, werde ich dem FrevIer die Bastonnade geben lassen!«

»Dessen bedarf es nicht, denn ich habe ihn schon selbst gezüchtigt. Und wenn du mit ihm teilen willst, so laß dir von ihm das geben, was er von mir erhalten hat. Melde mich dem Pascha, deinem Herrn!«

»Verzeihe, daß ich das nicht thun kann, da der hohe Gebieter mit viel Gefolge nach der Oase Dachel gereist ist.«

»Wann kehrt er zurück?«

»Es kann über eine Woche vergehen, ehe die Augen seiner Diener das Glück haben werden, sein Angesicht wiederzusehen.«

Ich hielt diesen unförmlichen Schwarzen für einen Diener, und zwar, weil er in Seide gekleidet war, für einen bevorzugten, vielleicht einen Haremsdiener, mußte aber meinen Irrtum erkennen, als der Ernir jetzt zu ihm sagte:

»So will ich dir die Befehle geben, welche er dir als seinem Haushofmeister erteilen würde. Dieser Herr hier ist ein sehr gelehrter und vornehmer Effendi aus Germanistan und will einige Tage in Siut bleiben. Ich hatte die Absicht, ihn dem Pascha als Gast zu empfehlen, da dieser aber nicht anwesend ist, so beauftrage ich dich, ihn so aufzunehmen und so für ihn zu sorgen, als ob er ein Verwandter deines Herrn sei.«

Der Neger bekleidete also die nicht geringe Stelle eines Haushofmeisters! Er musterte mich mit nicht eben den freundlichsten Blicken und antwortete dann dem Emir:

»Dein Wille soll geschehen, Herr! Ich werde dem Fremden ein Zimmer anweisen, welches seinem Range angemessen ist. Tretet näher, und erlaubt, daß ich euch mit Pfeifen und Kaffee erquicke!«

»Ich habe nicht Zeit, mich niederzusetzen, da ich schleunigst absegeln muß; ich werde nur solange bleiben, als nötig ist, zu sehen, daß der Effendi eine würdige Wohnung bekommt. Du wirst uns also in dieselbe führen. Beeile dich!«

Es war mir gar nicht lieb, daß der Emir den Mann in dieser Weise behandelte, denn es stand zu erwarten, daß ich später die Folgen zu tragen haben würde. Der Schwarze runzelte die Stirn, verbeugte sich aber höflich und forderte uns auf, ihm zu folgen. Er führte uns in ein großes Gemach, dessen blaue Wände mit goldenen Kuransprüchen geschmückt waren, und bedeutete uns, daß dasselbe meine Wohnung sein werde. Der Emir zeigte sich zufrieden und sagte, daß er sich genau nach meiner Zufriedenheit erkundigen werde, und daß der Haushofmeister jetzt meine Sachen bringen lassen solle. Der letztere entfernte sich. Nach kurzer Zeit kam ein anderer Schwarzer, welcher den Matrosen die Effekten abgenommen hatte. Diesem folgte ein zweiter Neger, welcher mir einen Tschibuk nebst Kaffee brachte und sich, um mich zu bedienen, vor mir niedersetzte. In jedem besseren Hause des Orientes ist heißes Wasser für den Kaffee zu jeder Zeit zu haben. Diese schnelle Bedienung schien dem Emir Bürgschaft genug zu sein, daß man seiner Empfehlung vollständig nachkommen werde. Er gab mir eine Adresse, durch welche ich in Chartum über ihn Auskunft erlangen könne, reichte mir dann die Hand und meinte:

»Und nun zum Abschiede. Du bist hier gut aufgehoben und kannst gehen und kommen, wie es dir beliebt. Sollte man aber deine Wünsche nicht erfüllen, so berufe dich auf mich und werde grob. Allah segne dich und geleite dich glücklich zu mir!«

Er ging. Ich gestehe, daß ich mich gar nicht sehr behaglich fühlte. Es war mir, als ob ich recht bald Veranlassung haben würde, die mir empfohlene Grobheit in Anwendung zu bringen; doch konnte es mir nicht einfallen, diesem Rate zu folgen. Ich mußte mich als einen unwillkommenen Eindringling betrachten. Die Art und Weise, mit welcher der Emir mich eingeführt hatte, war nicht geeignet, mir die Sympathie des schwarzen Haushofmeisters zu erwecken. Ich nahm mir vor, den Palast, falls man mich unfreundlich behandeln sollte, sofort zu verlassen und mir eine andere Wohnung zu suchen.

Wohl eine Stunde lang hatte ich rauchend auf meinem Polster gesessen. Ich glaubte, man werde kommen, um sich nach meinen Wünschen zu erkundigen. Der Emir hatte den Hafen gewiß schon verlassen. Ja, man kam, doch nicht, um auf meine Wünsche zu lauschen. Der Haushofmeister trat ein, und der Diener, welcher so lange Zeit wortlos vor mir gekauert hatte, entfernte sich mit ehrerbietiger Schnelligkeit. Der Schwarze setzte sich nicht etwa, wie die Höflichkeit es erfordert hätte, zu mir nieder, sondern er stellte sich vor mich hin, ließ einen gehässigen Blick über mich gleiten und sagte:

»Also der Reïs Effendina ist dein Freund. Wer ihn hört, sollte glauben, er sei der Vizekönig. Seit wann kennst du ihn?«

»Seit kurzem,« antwortete ich bereitwillig und der Wahrheit gemäß.

»Und da bringt er dich hierher, in den Palast des Pascha? Du stammst aus Germanistan. Bist du ein Moslem?«

»Nein. Ich bin ein Christ.«

»Allah, Allah! Ein Christ bist du, und ich habe dir das Zimmer gegeben, an dessen Wänden die goldenen Sprüche des Kuran prangen! Welch eine Sünde habe ich begangen! Du wirst diesen Raum sofort verlassen und mir nach einem andern folgen, wo deine Gegenwart nicht die Heiligkeit unsers Glaubens beleidigen kann.«

»Ja, ich werde dieses Zimmer verlassen, aber nicht, um von dir ein anderes angewiesen zu bekommen. Du selbst bist es, der den Islam schändet, denn dieser gebietet, den Gast zu ehren, und du handelst gegen diesen Befehl. Ich werde einen Diener senden, um meine Sachen hier abzuholen. Für den Kaffee und den Tabak, welchen ich bei dir genossen habe, magst du dieses Bakschisch nehmen.«

Ich legte die Pfeife weg, stand auf, gab ihm ein nach dortigen Verhältnissen sehr reichliches Trinkgeld und verließ, ohne daß er mich daran zu hindern suchte, die Stube. Als ich auf den Hof trat, hörte ich jammernde Töne. Es wurde links eine Thüre geöffnet, aus welcher zwei Diener einen jungen Mann getragen brachten, welcher aus einer Stirnwunde blutete. Einige andere Personen folgten, unter ihnen eine verschleierte Frau, welche rief, daß man schnell einen Hekim, einen Arzt, holen solle. Als die Gruppe an mir vorüber wollte, fragte ich, was mit dem Verwundeten geschehen sei. Ein vielleicht sechzig Jahre alter Mann, welcher sehr gut gekleidet war, antwortete mir:

»Das Pferd hat ihn gegen die Mauer geworfen. Nun flieht ihm das Leben aus der Stirn. Lauft, lauft, und holt einen Haggahm, herbei! Vielleicht ist noch Rettung möglich.«

Aber in der Verwirrung kam es keinem bei, diesem Gebote Folge zu leisten. Der Mann wollte den Trägern nach, welche weiter geschritten waren. Ich ergriff seinen Arm und sagte:

»Vielleicht ist es nicht nötig, einen Wundarzt zu holen. Ich will den Verwundeten untersuchen.«

Da ergriff der Alte meine beiden Hände und fragte schnell:

»So bist du selbst ein Wundarzt? Komm‘, komm‘, beeile dich! Wenn du meinen Sohn rettest, werde ich dir zehnmal mehr zahlen, als du verlangst.«

Er zog mich mit sich fort, nach rechts, wo die Träger inzwischen in einer anderen Thüre verschwunden waren. Er war der Vater des Verunglückten. Die Thüre führte in ein Gemach, welches jedenfalls als Besuchszimmer benutzt wurde. Von hier aus führte mich der Mann in eine Nebenstube, in welcher man den Verletzten auf einen Diwan gelegt hatte. Die Frau kniete jammernd vor ihm. Der Vater zog sie empor und teilte ihr mit:

»Hier ist ein Wundarzt. Sei still, Weib, und laß ihn zu unserem Sohne! Vielleicht ist Allah gnädig und giebt der Freude und Stütze unseres Alters das schon entflohene Leben zurück.«

Die Frau war also die Mutter des Verunglückten.

»Vielleicht giebt’s Allah zurück,« wiederholten die Träger, indem sie die Hände zusammenschlugen.

Ich kniete zu dem jungen Manne nieder und untersuchte seine Wunde. Sie war nicht gefährlich, und wenn keine andere Verletzung vorlag, so war die Sache gar nicht des Jammerns wert. Er war besinnungslos. Ich hatte ein Fläschchen mit Salmiakgeist bei mir, das gewöhnliche Mittel gegen Insektenstiche, denen man im Süden stets ausgesetzt ist; ich öffnete es und hielt es ihm an die Nase. Die Wirkung ließ sich bald sehen und auch hören; er bewegte sich, nieste und öffnete die Augen. Sofort hatte seine Mutter ihn beim Kopfe; sie weinte laut auf vor Entzücken. Sein Vater aber faltete die Hände und rief:

»Allah sei Dank! Der Tod ist entflohen, und das Leben kehrt zurück.«

»Es kehrt zurück. Allah l‘ Allah!« wiederholten die andern.

Ich bat den Alten, sein Weib wegzunehmen, da sie mich hinderte, und untersuchte nun den Körper des Sohnes. Er hatte nichts gebrochen; aber der Kopf brummte ihm noch gewaltig. Ich forderte Stoff zum Verbinden, welcher schnell gebracht wurde. Die kleine Schmarre wurde gewaschen, die Stirne mit einem Tache umwunden, und dann erklärte ich, daß der Kranke nichts als der Ruhe bedürfe und morgen vollständig wohl sein werde. Die Freude der Eltern war groß; sie hatten die Verletzung für gefährlich, ja die Ohnmacht wohl gar für Tod gehalten.

»Wie soll ich es dir vergelten, Effendi!« rief der Alte. »Ohne dich hätte die Seele meines Kindes den Weg in den Körper nicht wieder zurückgefunden.«

»Du irrst. Dein Sohn wäre fünf Minuten später erwacht; das ist alles.«

»Nein, nein! Ich kenne dich nicht; ich habe dich noch nie gesehen. Du kannst noch nicht lange hier wohnen. Sage mir das Haus, in welchem wir dich zu suchen haben, wenn der Zustand meines Sohnes sich vielleicht verschlimmern sollte!«

»Ich bin erst heute hier angekommen und weiß noch nicht, wo ich wohnen werde. Auch beabsichtige ich, nur wenige Tage hier zu bleiben.«

»So bleibe bei uns, Effendi! Sei unser Gast! Wir haben Raum genug für dich.«

»Dieses Anerbieten darf ich nicht annehmen. Ihr wißt nicht, wer und was ich bin. Ich bin nämlich ein Christ.«

»Ein Christ, ein Christ!« meinte der Alte, indem er mich mit ehrfuchtsvoller Neugierde betrachtete.

»Ein Christ!« wiederholten die andern.

»Ja, ein Christ,« bekräftigte ich. »Nun wird es dir wohl nicht einfallen, deine Einladung zu wiederholen.«

»Warum nicht ? Bist du nicht der Retter meines Sohnes!«

»Nein, der bin ich nicht. Er hätte sich auch ohne mich schnell wieder erholt.«

»Gewißlich nicht! Ich habe gehört, daß die Ärzte der Christen große Zauberer sind, vor denen der Tod oft fliehen muß.«

»Sie sind nicht Zauberer, sondern nur gelehrter und klüger als die eurigen.«

»Das sagst du nur, um es nicht eingestehen zu müssen. Das Fläschchen des Lebens in deiner Hand hat meinen Sohn gerettet. Du verstehst es, das Leben in ein Glas zu bannen, aus welchem du es den Toten mitzuteilen vermagst. Nein, nein, sage nichts dagegen! Ich weiß doch, woran ich bin. Aber meine Einladung werde ich allerdings nicht wiederholen.«

»Das wußte ich. Ein Christ würde dir nicht willkommen sein.«

»Effendi, denke das nicht. Ich verachte den Christen nicht, denn er glaubt auch an Gott und ist also kein Heide; ich würde ihn jederzeit bei mir aufnehmen. Und du bist gar noch der Retter meines Sohnes. Aber wir sind zu gering, als daß ich meine Bitte wiederholen dürfte. Wenn du noch keine Wohnung hast, so erlaube, daß ich dir eine empfehle. Ich werde mit dem Haushofmeister sprechen, welcher dir, da der Pascha nicht da ist, das schönste Zimmer des Palastes anweisen wird. Er ist auch krank, und wenn du ihn heilst, wird er dir unendlich dankbar sein.«

»An welcher Krankheit leidet er?«

»An verdorbenem Magen. Er ißt so viel wie fünf oder sechs andere Menschen; darum ist sein Magen immer krank.«

»So bedarf er meines Rates und meiner Hilfe nicht. Er braucht, um gesund zu werden, nur mäßiger als bisher zu sein. Übrigens liegt ihm gar nichts daran, mich zu sehen und durch mich gesund zu werden. Er hat mich soeben aus dem Hause geworfen.«

»Dich? Unmöglich!«

»Es ist nicht nur möglich, sondern sogar wirklich. Er hat mir die mir gebührende Gastfreundschaft verweigert, obgleich ich ihm von dem Reïs Effendina Achmed Abd el Insaf empfohlen worden bin.«

»Von diesem! O, den haßt der Haushofmeister, weil er von ihm stets grob behandelt wird. Käme die Empfehlung von einem anderen, so hätte der Haushofmeister sich nicht so schlimm an dir vergangen. Nun, da er dich so sehr beleidigt hat, darf ich freilich nicht zu ihm gehen. Ich bin dir so großen Dank schuldig und möchte dich nicht weitergehen lassen. Verzeihe mir, wenn ich zu kühn bin; aber ich bitte dich, dir meine Wohnung anzusehen, und wenn sie dir gefällt, so wird es mir zur größten Freude und Ehre gereichen, dich als meinen Gast bei mir zu sehen.«

Er sagte das in einem solchen Tone, daß ich fühlte, es sei eine Beleidigung für ihn, ihn mit seiner Bitte abzuweisen. Seine Frau hob die zusammengelegten Hände bittend gegen mich empor, und sein Sohn meinte:

»Herr, bleib‘ da! Mein Kopf schmerzt so gar sehr, und du kannst mir dann gleich helfen, wenn es schlimmer wird.«

»Nun gut, ich bleibe,« antwortete ich. »Der Haushofmeister wird euch meine Sachen, welche noch bei ihm liegen, ausliefern. Doch erwarte ich, daß es euch nicht schwer fällt, einen Gast bei euch zu haben.«

»Schwer? O nein!« beruhigte mich der Mann. »Ich bin nicht arm; ich bin der Emir achor, des Pascha und kann dir ganz dasselbe bieten, was du von dem Haushofmeister erhalten hättest. Erlaube, daß ich dir deine Wohnung zeige, und ihr eilt jetzt zum Haushofmeister und holt die Gegenstände, welche dem Effendi gehören!«

Dieser Befehl wurde den Trägern erteilt, welche sich entfernten, um denselben auszuführen. Der Stallmeister geleitete mich durch mehrere Thüren in ein großes, schönes Eckzimmer, dessen eine Thüre in den Hof führte, durch welchen ich gekommen war. Er freute sich herzlich darüber, daß mir dieser Raum gefiel, und bat mich um Verzeihung, daß er sich für einige Augenblicke entfernen müsse, um für seinen Sohn zu sorgen.

So hatte ich also doch im Palaste ein Unterkommen gefunden, und zwar bei einem Manne, welcher mir hundertmal sympathischer als der unförmliche Haushofmeister war. Hätte ich diesen letzteren nur kurze Zeit früher oder später verlassen, so wäre ich nicht dem vom Pferde Gestürzten begegnet und hätte mir in der Stadt eine Wohnung suchen müssen.

Mein Wirt kehrte sehr bald zurück. Er brachte, um mich zu ehren, mir die Pfeife und brannte sie mir auch selbst an. Dann kamen die Träger und brachten mir meine beiden Gewehre und mein anderes Eigentum. Der eine von ihnen berichtete mir:

»Effendi, wir mußten dem Haushofmeister sagen, wo du dich befindest. Als er hörte, daß du ein berühmter Arzt bist, der eine Flasche des Lebens hat, bereute er, unaufmerksam gegen dich gewesen zu sein, und läßt dich ersuchen, ihn bei dir zu empfangen. Er ist sehr krank; unsere Ärzte haben ihm gesagt, daß er zerplatzen werde, und so meinte er, Allah habe dich gesandt als den einzigen, der ihm Hilfe bringen kann.«

»Gut, sagt ihm, daß er kommen darf.«

Es fiel mir nicht ein, dem dicken Schwarzen sein Verhalten nachzutragen und ihn jetzt abzuweisen; ich sagte mir vielmehr, daß seine entsetzliche Krankheit den Stoff zu einer keineswegs tragischen Unterhaltung liefern werde. Er ließ nicht lange auf sich warten. Fast fühlte ich Mitleid, als ich die zerknirschte Miene sah, mit welcher er sich mir näherte.

»Effendi, verzeihe!« bat er. »Hätte ich geahnt, daß du ein so–«

»Sprich nicht weiter!« unterbrach ich ihn. »Ich habe dir nichts zu verzeihen. Der Reïs Effendina ließ es an der schuldigen Höflichkeit mangeln; er war es, der den Fehler begangen hat.«

»Du bist sehr gütig. Darf ich mich zu dir setzen?«

»Ich bitte dich sogar, es zu thun.«

Er nahm mir und dem Stallmeister gegenüber Platz. In dieser sitzenden Stellung sah man weit deutlicher als vorher, welch einen ungeheuern Umfang sein Körper hatte. Er war noch viel, viel beleibter als Murad Nassyr, mein dicker, türkischer Freund. Sein Atem ging beinahe röchelnd; seine Wangen glichen gefüllten Backentaschen, und sein Gesicht war – das sah man trotz der schwarzen Hautfarbe – so blutreich, daß anzunehmen war, ein Schlagfluß müsse seinem Leben ein Ende machen, wenn er nicht noch vorher an einer Verdauungsstörung sterben werde. Als er bemerkte, daß ich ihn so aufmerksam betrachtete, sagte er seufzend:

»Du irrst dich, Effendi. Ich bin nicht so gesund, wie du denkst. Man hält leider die Fetten stets für gesund.«

»Ich nicht. Die Ärzte in Germanistan wissen recht wohl, daß der Mensch dem Tode desto näher steht, je fetter er ist.«

»Allah schütze mich! Sage mir schnell, wie lange ich noch zu leben habe!«

»Wann hast du zum letztenmal gegessen?«

»Heute früh.«

»Und wann wirst du wieder essen?«

»Heute mittag, also in einer halben Stunde.«

»Und was hast du heute früh genossen?«

»Sehr wenig, nur ein Huhn und einen halben Hammelrücken.«

»Was wirst du zum Mittag essen?«

»Auch sehr wenig, nämlich die andere Hälfte des Hammelrückens, abermals ein gebratenes Huhn mit einem Häuflein Reis, nicht größer als ein Turban ist; dazu nur noch einen Fisch, vier Hände lang, und einen Teller mit Negerhirsen, in Milch gekocht.«

»So befürchte ich, daß du den heutigen Abend nicht erleben wirst!«

»O Himmel, o Erde! Ist das dein Ernst?«

»Ja, es ist mein vollständiger Ernst. Wenn ich nur den vierten Teil dessen, was du jetzt genannt hast, essen wollte, so würde ich fürchten, auseinander zu platzen.«

»Ja, du! Dein Leib und mein Leib! In den meinigen geht ja sechsmal mehr als in den deinigen!«

»O nein! Oder meinst du, daß unsere Leiber hohle Fässer sind? Du hast dich nicht nur dick, sondern auch krank gegessen. Ich höre, daß du an Magenschmerzen leidest?«

»Man hat dich recht berichtet. Diese Schmerzen sind nicht auszuhalten.«

»Kannst du sie mir beschreiben? Wo thut es weh?«

»Hier,« antwortete er, indem er die Hand auf die Magengegend legte.

»Welcher Art sind die Schmerzen? Sticht es?«

»Nein. Das ist eben der Schmerz, daß ich gar nichts fühle, daß es ist, als ob ich gar nichts im Leibe hätte.«

»Ach so, ich verstehe! Wann kommen diese Schmerzen? Regelmäßig oder unregelmäßig?«

»Sehr regelmäßig, stets ganz kurz vor der Mahlzeit, so daß ich sofort essen muß.«

Ich gab mir Mühe, das Lachen zu unterdrücken, und sagte, indem ich ein sehr ernstes Gesicht zeigte:

»Das ist freilich eine schlimme, eine sehr schlimme Krankheit!«

»Ist sie zum Tode?« fragte er ängstlich.

»Unbedingt, wenn nicht Hilfe geschafft wird.«

»So sag‘ schnell, kannst du helfen? Ich werde dich mit Gold belohnen!«

»Ich kuriere dich umsonst. Wenn man nur erst den Namen der Krankheit weiß und das betreffende Mittel kennt, so ist sehr leicht zu helfen.«

»Wie heißt meine Krankheit?«

»Bei den Franzosen wird sie faim und bei den Engländern hunger oder appetite genannt; den hiesigen Namen brauchst du nicht zu wissen.«

»Ich mag ihn gar nicht kennen, wenn du mir nur das richtige Mittel nennen kannst.«

»Ich kenne es.«

»So sage es; sage es schnell! Ich bin der Haushofmeister des Pascha und habe Geld in Hülle und Fülle. Ich wiederhole, daß ich dich mit Gold bezahlen werde!«

»Und ich wiederhole, daß ich keine Bezahlung annehmen werde. Dennoch wirst du nicht, ohne in den Beutel zu greifen, davonkommen. Was haben dir die hiesigen Ärzte geraten?«

»Ich soll hungern. Sie sagen, mein Magen sei schwach.«

»Die Thoren! Es findet gerade das Gegenteil statt. Du hast einen starken Magen. Wir Ärzte nennen diese Krankheit einen Rhinozeros- oder Nilpferdmagen. Darum darfst du nicht hungern, sondern du mußt essen, viel essen.«

Sein Gesicht glänzte vor Entzücken. Er schlug die fetten Hände auf die breiten Kniee und rief aus:

»Essen soll ich; essen darf ich; es wird mir sogar befohlen zu essen! O Muhammed, o ihr Kalifen alle! Das ist eine Medizin, gegen welche weder mein Herz noch mein Verstand etwas einzuwenden hat.«

»Es ist die einzige Medizin, welche dir zu helfen vermag, nur muß sie in der richtigen Weise genommen werden.«

»In welcher Weise?«

»Sobald du die große Leere im Magen fühlst, verbeugest du dich siebenmal in der Richtung gegen Mekka; dann setzest du dich nieder, um so viel und so lange zu essen, bis das Gefühl der Leere verschwunden ist.«

»Was denn? Was soll ich essen?«

»Alles, was dir schmeckt. Wenn du dich dann wohler fühlst, so erhebst du dich, um dich nun neunmal gegen Mekka zu verbeugen, und zwar so tief, daß dein Haupt den Boden berührt.«

»Werde ich das fertig bringen?«

»Du mußt es!«

»Aber wenn es doch nicht geht?«

»Es muß gehen, sonst hilft das Mittel nichts. Nimm die Hände zu Hilfe, Wenn du sie auf den Boden stemmst, wirst du den Kopf auch hinunter bringen. Versuche es einmal!«

Er stand gehorsam auf und machte den Versuch. Es war wunderbar anzusehen, wie er auf allen vieren stand und sich bestrebte, mit dem Kopfe den Teppich zu berühren. Noch größer aber war das Wunder des Ernstes, den zu behaupten mir gelang. Es wurde ihm schwer; er wollte es erzwingen, verlor die Balance und schlug einen Purzelbaum. Doch raffte er sich rasch auf und erneuerte den Versuch, welcher ihm nun gelang.

»Es geht, es geht!« rief er froh. »Aber ich werde es heimlich machen müssen, da es, wenn andere sich dabei befänden, um den Ruhm meiner Würde geschehen wäre. Was soll ich noch weiter thun?«

»Dankbare Wohlthat üben.«

»An wem?«

»Ich sah auf dem Wege hierher so viele, viele Augenkranke; meist waren es Kinder. Sie sind an der Entzündung erblindet, und die geschwollenen Augen sind mit Fliegen bedeckt, welche den Eiter fressen.«

»Ja,« nickte er, »es giebt hunderte von solchen Kindern; sie sitzen an den Wegen, um die Vorübergehenden um eine Gabe zu bitten.«

»Nun, du bist reich, und der Prophet gebietet, Almosen zu geben. Willst du von meinem Mittel gesunden, so laß fünfzig solche blinde Kinder kommen, um jedem derselben zwei Piaster zu schenken und zwar alle drei Monate einmal.«

»Effendi, ich werde es thun, denn ich bin überzeugt, daß dein Mittel vortrefflich ist. Du bist ein großer Arzt und in kurzer Zeit wird dein Ruhm in allen Ländern des Niles und weit darüber hinaus erschallen. Soeben fühle ich die Leere in der Magengegend. Darf ich gehen, um zu essen?«

»Ja, beeile dich! Aber vergiß die Verbeugungen und dann auch die blinden Kinder nicht!«

»Ich werde gleich nach dem Essen das Geld selbst unter sie verteilen. Hoffentlich hast du die Güte, mich zu besuchen, um dich von meinem guten Befinden zu überzeugen. Du bist ein Christ; dennoch wünsche ich, daß dir die Pforten des Paradieses offen stehen mögen, da du nicht die Grausamkeit besitzest, einen kranken Magen durch Hunger heilen zu wollen.«

Er reichte mir die Hand und entfernte sich. Der Stallmeister hatte sich sehr ernst und schweigsam verhalten. Jetzt zuckte ein leises Lächeln um , seinen Bart, und er meinte.

»Effendi, du bist nicht nur ein kluger Arzt, sondern auch ein lustiger und guter Mensch.«

»Wieso gut?«

»Weil du für die Blinden sorgst.«

»Und wieso lustig?«

»Oder wäre es wirklich dein Ernst gewesen?«

»Was?«

»Daß du ihm – – hm! Verzeihe! Wie könnte mein Blick deine Kenntnisse und Mittel durchdringen! Mekka ist die heilige Stadt, und so werden die sieben und neun Verbeugungen gewiß höchst notwendig sein; ich glaube es. Ein Arzt, welcher das Leben aus einer Flasche spendet, muß auch wissen, welche Wirkung eine Verbeugung nach Mekka hat. Ein anderer als du hätte mir den Sohn nicht retten können. Verständest du doch auch, mich von der Sorge zu befreien, welche noch auf meiner Seele lastet!«

»Hast du noch eine Sorge? Darf ich erfahren, welche? Wir Franken können viel, was euch unmöglich erscheint.«

»Das nicht. Hier könnte nur ein Beduine helfen, und zwar einer, welcher den Mut hat, sein Leben zu wagen. Die Franken besitzen zwar auch Pferde, aber sie sind keine Reiter.«

»So handelt es sich also ums Reiten, um ein Pferd?«

»Ja, um ein Pferd, welches schlimmer als der Teufel ist. Ich muß dir sagen, daß unser Pascha jenseits Mekka einen Blutsbruder hat, der ihm vor mehreren Wochen einen echten EI Bakarra-Hengst, einen Grauschimmel schickte. Hast du schon einmal von den Pferden der Bakarra gehört?«

»Ja. Sie sollen die feurigsten Arabiens sein.«

»Und weißt du, daß von allen Pferden die Grauschimmel am ungehorsamsten sind?«

»Man sagt es zwar; einem guten Reiter aber muß jedes Pferd gehorchen und eine Farbe wie die andere sein.«

»Sprich nicht so, Effendi! Du bist ein vortrefflicher Arzt, aber ein Reiter kannst du unmöglich sein, erstens als Gelehrter und zweitens als Europäer überhaupt. Ich bin Stallmeister des Pascha und habe noch jedes Pferd bezwungen. Ich bin bei allen Stämmen der Nilländer gewesen, um mit ihnen um die Wette zu reiten, und noch nie besiegt worden. Dieser Grauschimmel aber hat mich abgeworfen, kaum nachdem es mir mit wahrer Lebensgefahr gelungen war, in den Sattel zu kommen. Wenn der Pascha zurückkehrt, soll das Tier wenigstens so weit gezähmt sein, daß er es besteigen kann; das hat er befohlen. Aber um es satteln zu können, muß man es fesseln, und dann, wenn man es besteigen will, schlägt und beißt es so toll um sich, daß man sich unmöglich nähern kann. Es hat mir schon mehrere Reitknechte zu schanden geschlagen, und vorhin hast du ja gesehen, wie es meinen Sohn zugerichtet hat.«

»Er ist abgeworfen worden; folglich hat er im Sattel gesessen. Wie ist er denn hinaufgekommen, da du sagst, daß es sich nicht besteigen läßt?«

»Es wurde mit Stricken gefesselt, so daß es auf der Erde lag. Dann legte man ihm den Sattel auf, und als mein Sohn aufgestiegen war, wurden die Fesseln schnell entfernt. Die Reitknechte, welche dies thaten, mußten augenblicklich fliehen, und ebenso rasch flog mein Sohn aus dem Sattel gegen die Wand.«

»Wo befindet sich das Pferd?«

»Draußen im Hofe der Ställe. Niemand hat den Mut, es jetzt zu berühren. Wir warten, bis es von selbst in den Stall zurückgekehrt ist.«

»Darf ich es einmal sehen?«

»Ja; aber du mußt mir versprechen, dich fern zu halten!«

»Ich verspreche es.«

»So komm! Du wirst ein Pferd erblicken, wie es in deinem Vaterlande noch keins gegeben hat und auch nie eins geben wird.«

Er hatte mich sehr neugierig gemacht. Ein echter EI Bakarra-Hengst! Mein Rih, der mich so weit herumgetragen hatte, war von demselben edlen Blute gewesen. Der gute Stallmeister ahnte nicht, daß ich noch ganz andere Pferde als er zwischen den Schenkeln gehabt hatte. Ich war schon jetzt, noch ehe ich den Grauschimmel sah, vollständig überzeugt, daß man ihn nicht richtig zu behandeln verstand. Selbst der feurigste Araberhengst ist, wenn man ihn zu nehmen weiß, fromm wie ein Kind. Warum sollte gerade dieser hier eine Ausnahme machen!

Der Stallmeister führte mich durch das Nebengemach in einen Gang, welcher durch eine Thüre, die jetzt verriegelt war, in einen größeren Hof mündete. Als er den Riegel zurückgeschoben und die Thüre leise und vorsichtig ein wenig geöffnet hatte, konnte ich den Hof überblicken. Er war mit Sand bestreut, und zahlreiche Hufspuren bewiesen, daß hier Pferde zugeritten wurden oder sich da im Freien tummeln durften. jetzt war nur ein einziges zu sehen, der Grauschim melhengst. Er stand im Schatten der Mauer, an welcher er sich behaglich rieb. Mein Herz wollte bei seinem Anblicke höher schlagen.Ja, das war ein echter, ein vollblütiger Araber! Der kurze, feine, aber sehnige und elastische Bau, der kleine, schöne Kopf mit den großen, feurigen Augen, die zierlichen und doch kräftigen Glieder, der schlanke, in die Höhe strebende Hals, der hoch angesetzte und prächtig getragene Schweif, die weiten, rötlichen Nüstern und eine leichte Mähne mit jenen zwei Wirbeln, welche bei den Beduinen als Zeichen des Mutes und der Ausdauer gelten – es war für den Kenner ein Anblick, welcher das Verlangen erregte, sofort aufzusteigen und hinaus in die unendliche Wüste zu jagen.

Der Hengst trug den Sattel, aber er rieb sich nicht an der Mauer, um denselben abzuscheuern; er war also gewöhnt, unter dem Sattel zu gehen. Seine Haltung war so ruhig, so fromm, daß man der Erzählung des Stallmeisters keinen Glauben hätte schenken mögen.

»Nun?« fragte dieser. »Wie gefällt er dir? Du bist zwar kein Kenner, aber dennoch wirst du zugeben, daß du noch kein solches Tier gesehen hast.«

»Es ist Radschi pack,« antwortete ich kurz.

Diesen Ausdruck hatte er wohl nicht erwartet, denn er blickte mich verwundert an und meinte:

»Was kannst du vom Stammbaum wissen! Du wirst dies Wort einmal gehört und es dir gemerkt haben. Ich sage dir, daß meine Augen noch nie ein solches Pferd erblickten.«

»Ich habe schon schönere gesehen. Übrigens bin ich auch der Ansicht, daß dieser Schimmel ein sehr frommes Pferd ist.«

»Das eben ist grundfalsch. Sieh nur das Feuer seiner Augen! Er dünkt sich allein und unbeachtet. Ich will einmal hinaustreten; dann wirst du gleich sehen, wie sehr du dich irrtest.«

Er öffnete die Thüre vollends und trat in den Hof hinaus. Der Hengst erblickte ihn, stieg sofort vorn in die Höhe, kam herbeigaloppiert und drehte sich um, um mit den Hinterhufen nach ihm auszuschlagen. Der Stallmeister wäre getroffen worden, wenn er sich nicht schnell in den Gang zurückgezogen und die Thüre zugemacht hätte.

»Siehst du den Teufel!« sagte er. »Jedes andere Pferd wäre scheu im Hofe herumgerannt; dieser Sohn der Hölle aber kommt direkt auf mich zu, um mich zu schlagen.«

»Das ist ein Beweis seines echten Blutes. Er hat Verständnis und Gedächtnis. Ihr habt ihn jedenfalls wiederholt beleidigt, und nun ist er widerspenstig und halsstarrig geworden. Es kommt vor, daß ein gewöhnlicher Karrengaul seinen Herrn, der ihn fortgesetzt hart behandelt hat, mit den Hufen und Zähnen tötet. Bei einem so edlen Rosse, wie dieser Schimmel ist, bedarf es gar keines so bedeutenden Anlasses, um es unversöhnlich zu erzürnen. Ihr habt es falsch, grundfalsch behandelt.«

Der Blick, welchen der Stallmeister jetzt auf mich warf, war wirklich köstlich. So mag ein Professor seine Quartaner ansehen, wenn es diesen einfallen sollte, ihn über die Art und Weise, wie man Kometen entdeckt, zu belehren. Er brach in ein helles Gelächter aus und rief:

»Falsch behandelt? Wie meinst denn du, daß Pferde behandelt werden müssen?«

»Als Freunde, aber nicht als Sklaven ihrer Reiter. Das Roß ist das edelste Tier; es hat mehr Charakter als der Hund und der Elephant. Läßt es sich zwingen, so taugt es nichts, denn es hat auf seinen Adel verzichtet und ist eine gemeine, ehrlose Kreatur geworden. Ein edles Pferd opfert sich auf; es sieht den sichern Tod vor Augen und sprengt ihm doch entgegen, um seinen Reiter zu retten. Es hungert und dürstet mit seinem Herrn; es freut sich und grämt sich mit ihm, könnte man fast sagen, wenn das Tier menschlicher Regungen fähig wäre. Es wacht für ihn, und wenn es eine Gefahr wittert, so zeigt es ihm dieselbe an. Bete einem edlen Rosse seine Sure in das Ohr; rufe das Wort des ›Zeichens‹ aus, und es wird mit dir wie ein Wind davonfliegen und nicht innehalten, bis es tot zusammenbricht!«

»Effendi, was weißt du von einem Worte des ›Zeichens‹ und von dem allabendlichen in-das-Ohr-Beten der Sure? Das sind Geheimnisse, welche der Besitzer keinem andern, nicht einmal seinem erstgebornen Sohne verrät.«

»Das weiß ich. Ich habe einen echten Schammarhengst besessen, welcher sein Geheimnis und seine Sure hatte, welche ich ihm täglich vor dem Schlafengehen in das Ohr betete. Er war ein so kostbares Tier, daß ich ihn gegen drei Pferde, wie dieser Grauschimmel ist, nicht hingegeben hätte.«

»Wie? Du hättest einen Schammarhengst besessen?«

»Ja. Ich befand mich damals bei den Haddedihn vom Stamme der Schammar. Wollen kurz sein! Du befürchtest, dir den Zorn des Pascha zuzuziehen, und glaubtest vorhin, daß ich nicht imstande sei, dich von dieser Sorge zu befreien. Du hegest die Ansicht, ein Franke könne nicht reiten und auch kein Pferdekenner sein. Ich will dir das Gegenteil beweisen. Ich besteige das Pferd und reite es. Willst du wetten?«

»Um Allahs willen, was fällt dir ein! Du würdest den Hals brechen!«

»Fällt mir nicht ein! Es wird mir ein Vergnügen sein, dir zu beweisen, daß ihr dieses edle Pferd schlecht behandelt habt. Rufe deinen Sohn und die Reitknechte herbei, damit sie lernen, wie man es machen soll!«

Er hielt mich für einen Laien, welcher sich mutwillig in eine Gefahr begiebt, deren Größe er gar nicht zu beurteilen weiß, und gab sich alle Mühe, mich von meinem Vorhaben abzubringen. Endlich gab er nach. Ich wollte ihm beweisen, daß ein Beduine vor einem Europäer nichts voraus haben müsse. Ich ging in mein Zimmer, um – infolge einer ganz gewissen Absicht – meinen hellen Haïk zu holen, und er suchte indessen seine Leute zusammen. Sie versammelten sich in einem Raume, welcher an das niedrige Stallgebäude stieß und von dem aus man leicht auf das platte Dach desselben steigen konnte. Es fanden sich auch noch andere ein. Zuletzt kam der dicke Haushofmeister zur Thüre hereingekeucht und rief mir außer Atem zu: des leibhaftigen Teufels besteigen willst. Hüte dich vor ihm! Fiele ich von seinem Rücken, so käme ich vielleicht mit dem Leben davon, weil meine Knochen von den weichen Kissen des Fleisches umbettet sind. Wirft er aber dich ab, so fahren deine Gebeine auseinander wie ein Rattennest, in welches eine Katze springt.«

»Sorge dich nicht um mich. Hast du gegessen?«

»Ja.«

»Fühlst du noch Schmerzen?«

»Nein.«

»So steige hinaus auf das Dach des Stalles, und siehe zu, wie schnell der Grimm des Teufels sich in Freundlichkeit verwandeln wird! Er hat niemals in einem Stalle gesteckt; daß er hier eingesperrt worden ist, hat seine Wut erregt. Auch befremdet ihn die Kleidung der Leute. Er hat in seiner Heimat nur Männer getragen, welche in den Haïk gehüllt waren. Das mußtet ihr bedenken. Und anstatt diese Fehler in Liebe gut zu machen, habt ihr ihn mit Strenge behandelt. Sagt, wie heißt der Grauschimmel?«

»Er hat noch kein Geheimnis und noch keinen Namen, da er ein Geschenk werden sollte. Beides soll ihm erst noch vom Pascha gegeben werden.«

»Das ist es, was ich wissen will. Der Beduine pflegt sein Pferd beim Namen oder bei der Farbe zu rufen, und zwar mit sehr schriller Stimme. Ich bin fest überzeugt, daß der Schimmel, falls ich das bei ihm thue, mir gehorchen wird. Also steigt auf das Dach, damit ihr sicher seid! Ich werde erst so, wie ich dastehe, auf den Hof treten und dann im Haïk, und ihr sollt den Unterschied sehen.«

Die Leute folgten meiner Aufforderung. Als sie mit untergeschlagenen Beinen oben nebeneinander saßen, machte ich die Thüre auf und stellte mich vor dieselbe. Kaum hatte der Hengst mich erblickt, so kam er schnaubend herbeigeflogen, und ich mußte mich durch einen schnellen Sprungvor seinen Hufen in das Innere retten. Er blieb draußen stehen, und es dauerte eine geraume Zeit, ehe er sich beruhigte und sich entfernte. Jetzt fuhr ich in den Haïk und zog die Kapuze desselben über den Kopf; dies gab mir das Aussehen eines Beduinen. Der Raum, in welchem ich mich befand, war eine Vorkammer zum Stalle und enthielt nur Gegenstände, welche zu demselben und den Pferden in Beziehung standen. In der Ecke sah ich ein Gefäß mit jener geringsten Sorte von Datteln, welche Bla Halef genannt und mit welchen die Pferde gefüttert werden. Ich steckte einige Hände voll davon ein.

Der Hengst stand jetzt, von mir aus gerechnet, am entferntesten Punkte des Hofes, mit dem Kopfe von mir abgewendet. Ich öffnete die Thüre so leise, daß er es nicht hörte. Die Augen der oben Sitzenden waren mit größter Spannung auf mich und das Pferd gerichtet.

»Ia Hsan azrak!« rief ich so schrill wie möglich. Das Tier fuhr mit dem Kopfe herum. Jetzt mußte sich zeigen, ob ich richtig oder falsch vermutet hatte. Hatte ich mich verrechnet, so befand ich mich in keiner geringen Gefahr, welche ich aber auch zu überstehen hoffte. Das Pferd stutzte; es blieb stehen, mit hoch erhobenem Kopfe nach mir blickend. Es öffnete die Nüstern; es spielte mit den kleinen Ohren, und es wehte mit dem Schwanze; es war ein Bild der Überraschung. jetzt kam das Wagnis. Ich entfernte mich von der Thüre, nahm einige Datteln in die Hand, streckte dieselbe aus und ging auf den Schimmel zu. Vom Dache herunter erschollen Warnungs- und Schreckensrufe.

»Ia Hsan azrak!« lockte ich abermals, indem ich langsam weiterschritt, den Blick fest aber freundlich auf den Hengst gerichtet. Er wieherte leise auf, drehte sich vollends herum und kam in einem kurzen, eleganten Bogen auf mich zugetänzelt. Kurz vor mir blieb er stehen, die Vorderhufe fest eingestemmt und mich mit weit offenen Augen und Nüstern taxierend.

»Grauschimmel, mein Liebling, mein Guter, nimm, friß!« forderte ich ihn in sanftem, zutraulichem Tone auf, indem ich vollends zu ihm herantrat und ihm die Datteln an die halbgeöffneten Lippen hielt. Natürlich mußte ich mich des Arabischen bedienen, da diese Klänge ihm bekannt waren. Er beschnoberte meine Hand, dann den Arm bis herauf zur Achsel und nahm dann eine Dattel, noch eine und noch eine, bis sie alle waren. Ich hatte gesiegt.

Ich nahm noch mehr aus der Tasche, hielt sie ihm mit der Linken hin und liebkosete mit der Rechten seinen schönen Hals. Dann zog ich seinen Kopf nieder und flüsterte ihm diejenige Kuransure, welche mir gerade einfiel, in das Ohr. Das thut der Araber allabendlich mit seinem Lieblingspferde. Er hat dabei stets eine und dieselbe Sure. Ist dieselbe gebetet, so schlafen beide, Pferd und Reiter ein. Das erstere wird dieses Flüstern so gewohnt, daß es einen etwaigen Käufer oder überhaupt späteren Besitzer, welcher dies unterlassen wollte, nicht als Herrn anerkennen und ihm nur mit Widerstreben gehorchen würde.

Der Hengst stutzte. Ob ich die ihm gewohnte Sure traf, was jedenfalls nicht der Fall war, das war natürlich gleichgültig. Die Hauptsache lag in dem Vorgang überhaupt und in dem Flüstertone. Das Tier ließ einen leisen Laut, fast wie ein fröhliches, nach innen gerichtetes Wiehern hören; dann hob es den Kopf und wieherte so schmetternd, daß nicht wenig fehlte, und ich wäre erschrocken zur Seite gesprungen. Nun rieb es seinen Kopf an meiner Schulter und strich mir mit den Lippen wie küssend über das Gesicht. Ich legte ihm beide Arme um den Hals, drückte den Kopf an mich und hielt ihm den Mund an das Ohr, um leise weiter zu flüstern. Das war das Zeichen zum Ruhen, zum Schlafen, und ich erreichte meine Absicht glänzend, denn noch hatte ich nur wenige Verse gesprochen, so legte das Pferd sich nieder, und ich streckte mich zwischen seine Beine hin, indem ich seinen Leib als Kopfkissen benutzte. Vom Dache herab waren laute Rufe der Bewunderung zu hören.

So lagen wir einige Zeit; dann sprang ich plötzlich auf und rief:

»Dir balak, ‚l a’adi – paß auf, die Feinde!«

Im Nu stand das Pferd neben mir, und ich stieg in den Sattel, ohne daß es auch nur die geringste Bewegung des Sträubens machte. Wohl eine halbe Stunde lang ritt ich die arabische Schule durch und fand bei dem Tiere ein solches Verständnis, ein solches Zartgefühl selbst für den leisesten Druck, daß ich hätte glauben können, es verstehe mich vollkommen und unser beiderseitiger Wille sei ein einziges Wollen. Nachdem ich abgestiegen war, belohnte ich es durch Streicheln und die noch übrigen Datteln. Dann führte ich es in die dafür bestimmte Abteilung des Stalles, welche noch offen stand, und brachte es durch sanfte Worte so weit, daß es sich dort willig niederlegte. Als ich mich entfernte, folgte es mir mit den Augen und wieherte mir leise nach.

Als ich mich wieder in dem Hofe befand, wurde ich von den Zuschauern gefragt, ob sie es wagen dürften, zu mir herabzukommen, und ich antwortete getrost bejahend. Dennoch traten sie aus Angst vor dem Pferde sehr zaghaft auf, und als ich sie ersuchte, mit mir in den Stall zu kommen, folgten sie mir nur, indem sie sich hinter meinen Rücken versteckten. Kaum war der Blick des Hengstes auf sie gefallen, so sprang er auf und begann, mit allen vieren um sich zu schlagen. Ich trat zu ihm und brachte es durch Streicheln und Zureden so weit, daß er sich beruhigte und sich sogar von ihnen berühren ließ. Er hielt mich für seinen Herrn und duldete sie, wenn auch nicht gern.

Ich riet, ihn wieder in den Hof zu lassen. Als dies geschehen war, ritt ich einige Male die Runde, stieg dann ab und forderte den Stallmeister auf, den Sattel einzunehmen. Er zögerte. Die Sache mußte ihm allerdings bedenklich vorkommen, doch auf mein wiederholtes Zureden that er es doch. Der Hengst sträubte sich ein wenig und ging einige Male in die Höhe, ließ sich aber doch durch freundliches Zureden zum Gehorsam bringen, so daß der Reiter wiederholt um den Hof galoppieren konnte. Als er abgestiegen war, wurde der Grauschimmel im Freien gelassen, und wir, nämlich der Stallmeister, der Haushofmeister und ich, begaben uns in das Speisezimmer, in welchem das Mittagsmahl eingenommen werden sollte.

Da den Frauen und Töchtern nicht gestattet ist, mit den Männern zu essen, und der einzige Sohn des Hauses, über Kopfweh klagend, sich wieder zurückgezogen hatte, so waren eigentlich nur der Stallmeister und ich diejenigen, für welche das Essen aufgetragen wurde. Der Haushofmeister hatte schon gegessen und setzte sich in einiger Entfernung von uns nieder. Da aber wurde ein wahrer Berg fetten Pillaws und Rosinen gebracht, und dazu kam eine große Platte, auf welcher ein ganzer, gebratener Hammelleib, ohne den Kopf und die Vorderbeine, lag. Das duftete so schön und einladend, daß der Haushofmeister ein leises Räuspern hören ließ. Als dies den gewünschten Erfolg nicht hatte, begann er nachdrücklich zu husten, und zwar in einer so vielsagenden Art und Weise, daß der Stallmeister ein vollständiger Barbar gewesen wäre, wenn er ihn nicht verstanden hätte. Er fragte ihn also, ob er mitessen wolle.

»Nein,« antwortete der Unförmliche, indem er sich mit der Hand den Mund wischte. »Ich habe schon gegessen.«

Damit wäre die Sache abgemacht gewesen; aber da schnitt ich mir ein Stück Keule ab und zog, als ich den ersten Bissen im Munde hatte, mit Absicht ein so verklärtes Gesicht, daß der Dicke nicht zu widerstehen vermochte. Freilich hatte er schon abgesagt; aber es gab ein Mittel, diesen Fehler ungeschehen zu machen. Er griff zu demselben, indem er sich an mich wendete:

»Effendi, mein Magen beginnt schon wieder zu schmerzen. Es ist abermals die schreckliche Leere.«

»So mußt du essen.«

»Dann erlaube, daß ich mich entferne!«

»Nein, das wird er dir nicht erlauben.« fiel der Stallmeister ein. »Dafür aber wird er dir gestatten, mit uns zu speisen.«

»Wenn das der Fall ist, so nehme ich bei euch Platz. Ich habe schon daheim gegessen und werde hier nur ein wenig nippen.«

Er bediente sich des arabischen Wortes dahk, welches so viel wie kosten, versuchen, nippen bedeutet, und ich gestehe, daß ich auf dieses Nippen neugierig war. Nachdem er sein Kissen herübergebracht und sich zu uns gesetzt hatte, riß er sich, ohne ein Messer in Gebrauch zu nehmen, die andere Keule ab und wollte sie zum Munde führen, um sie direkt mit den Zähnen zu bearbeiten; da aber hielt ich seinen Arm und sagte:

»Halt! Willst du sterben?«

»Sterben? Allah verhüte es! Warum fragst du mich so?«

»Vor dem Essen dich siebenmal gegen Mekka verneigen! Verstanden?«

»Ich will ja nicht essen, sondern bloß ein wenig nippen!«

»Es ist ganz gleich, ob du viel oder wenig genießest. Was der Arzt verordnet hat, das muß streng befolgt werden.«

»Du hast recht, Effendi. Es handelt sich um mein Leben, und so muß und werde ich gehorchen.«

Er erhob sich, nahm die Richtung gegen Mekka und machte, die tropfende Keule in der Hand, sieben tiefe Verbeugungen. Dann setzte er sich nieder und begann zu ›nippen‹. Nun, wenn das genippt oder gekostet war, so möchte ich einmal wissen, was essen ist! Es ging mir hier gerade so wie mit Murad Nassyr, meinem dicken türkischen Freunde in Kairo. Ehe ich nur die Hälfte meines kleinen Stückes verzehrt hatte, war die Keule verschwunden. Dann kam die eine Brust daran, welche mit wahrhaft virtuosem Geschicke von den Knochen losgezogen wurde. Während meine Hand nur niedliche Vertiefungen in dem Pillawberge zurückließ, riß der Haushofmeister ganze Gletscher, denen riesige Bergstürze folgten, los. Weißglänzende Reis-Firnen und großblockige Fleischmoränen verschwanden hinter seinem mächtigen Gebisse. Ich konnte nicht weiter essen, denn das Zusehen und Bewundern nahm meine ganze Thätigkeit in Anspruch. Der Stallmeister kannte seinen Mann; er beachtete ihn gar nicht und bemühte sich nur, seinem Beispiele zu folgen. So kam es, daß der Reis-Chimborasso immer niedriger und der Hammel immer magerer wurde, bis nur noch die Knochen übrig waren. Da wischte der große Esser sich die Hände an die Hose ab und sagte, indem er tief aufatmete:

»Meine Schmerzen sind verschwunden. Dem Propheten sei Lob und Dank gebracht!«

»So empfindest du die Leere des Magens nicht mehr?« fragte ich.

»Nein. Ich hatte ja zu Hause gegessen.«

»So wird es unserm guten Stallmeister erwünscht sein, daß du ein anderes Mal zu Hause nippst und hier issest. Aber, bist du wirklich fertig?«

»Ja. Oder giebt es denn noch etwas?«

»Zu essen wohl nicht, denn wir sind vollständig gesättigt. Wo aber bleiben die neun Verbeugungen?«

»Helft, ihr Kalifen! Die hätte ich fast vergessen. Doch, Effendi, warum hast du mir vor dem Essen nur sieben gewöhnliche Verneigungen befohlen, nach demselben aber neun, und diese mit dem Kopfe bis zum Boden nieder?«

»Weil dies die Vorschrift Hischams, des Kalifen ist, in dessen Palaste diese Verbeugungen vor und nach dem Essen gemacht werden mußten.«

»So stehe dieser heilige Hischam mir jetzt bei, daß der Glanz meines Ruhmes nicht das Übergewicht bekommt und auf die Nase fällt!«

Er stand schwer auf, stellte sich mit dem Gesicht gegen Osten, wo Mekka liegt, und gab sich alle mögliche Mühe, der grausamen Vorschrift Folge zu leisten. Er brachte es unter lautem Ächzen und Stöhnen nur dadurch fertig, daß er, durch die Schwere seines Leibes niedergezogen, allemal auf die Knie zu liegen kam. Das waren so unbeschreibliche Anstrengungen und Bewegungen, daß mir, obgleich ich mich hütete, laut zu lachen, die Thränen über die Wangen liefen, natürlich nicht diejenigen des Schmerzes und der Traurigkeit. Das war die Strafe dafür, daß er mir in das Gesicht gesagt hatte, ich als Christ verschimpfiere das Zimmer mit den Kuransprüchen. Aber, aufrichtig gestanden, hatte die Rachsucht weniger Teil daran als der angebotene Schabernack.

Der Dicke fühlte sich infolge der Anstrengung so ermüdet, daß er erklärte, er müsse unverweilt nach Hause gehen, um zu schlafen. Es stand zu erwarten, daß der Schlaf seinen kranken Magen wieder in den schmerzhaften, leeren Zustand versetzen werde, worauf mit Sicherheit ein reichliches Abendmahl folgen mußte. Vielleicht war dann einmal im Wad el Nil (einer arabischen Zeitung) zu lesen, daß er seinen Herrn, den Pascha, arm gegessen und bankerott geschlafen habe. Wir beiden andern blieben noch eine Weile sitzen, um uns über den vortrefflichen Grauschimmel zu unterhalten. Der Stallmeister fühlte sich ganz glücklich darüber, daß es mir gelungen war, denselben zur Raison zu bringen. Nun war ja alle Hoffnung vorhanden, daß das Pferd auch andere außer mir im Sattel dulden werde. Er gab mir zu, daß ein Christ und Europäer denn doch ein besserer Pferdekenner sein könne als ein Ägypter, und nahm mit Aufmerksamkeit die Lehren entgegen, welche ich ihm in Beziehung auf die Behandlung des Hengstes gab. Da er mich nur im engen Hofe in den Bügeln gesehen hatte und ich ihn merken ließ, daß ich ihm nicht nur im Kennen, sondern auch im Können wohl überlegen sei, was er zu bezweifeln schien, so schlug er mir vor, morgen am Vormittage einen Ritt nach der Wüste hinaus zu machen, und ich erklärte mich selbstverständlich bereit dazu. Es mußte ja ein Gaudium sein, mit einem solchen Tiere nicht durch, sondern über den Sand zu fliegen und die Geschwindigkeit eines Schnellzugs zu erreichen.

Die erste Hälfte des Nachmittages war vergangen; die zweite gedachte ich zu einem Spaziergange durch die Stadt zu verwenden, und zwar wollte ich dabei allein sein. Daher lud ich den Stallmeister, welcher wohl gern mitgegangen wäre, nicht zur Begleitung ein. Es war mir bestimmt, dabei eine wichtige Begegnung zu haben, die ich nicht im Traume für möglich gehalten hätte.

Draußen im vordern Hofe angekommen, wendete ich mich nämlich nicht dem Hafen, sondern der Stadt zu und kam an das weißgetünchte Grab eines Scheiks, bei welchem eine Brücke über den Kanal führte. Eben wollte ich dieselbe betreten, als ich voller Überraschung stehen blieb. Ich erblickte eine sehr lange und sehr schmale, weiß gekleidete Gestalt, welche einen riesigen Turban auf dem Haupte trug und in einem höchst charakteristischen schlingernden, schaukelnden Gange mir über die Brücke entgegen kam. Sah ich recht, oder irrte ich mich? Das war auch ein Haushofmeister, aber nicht der unförmliche des Pascha, sondern der spindeldürre meines türkischen Freundes Murad Nassyr in Kairo! jetzt sah auch er mich und blieb, so wie ich, stehen.

»Selim, bist du es denn wirklich?« rief ich ihm zu.

»Richtig, sehr richtig!« antwortete er mir mit seiner schnarrenden Stimme, indem er mir von weitem eine seiner halsbrecherischen Verbeugungen machte. »Und, Effendi, ist es denn auch richtig, daß du es bist? Dann sei Allah Dank, denn ich suche dich.«

»Du suchst mich? Ich glaubte dich bei Murad Nassyr in Kairo. Es müssen wichtige Gründe sein, welche euch veranlaßt haben, die Stadt eher zu verlassen, als berechnet war.«

»So meinst du, daß Murad Nassyr sich mit hier in Siut befindet?«

»Selbstverständlich!«

»Dann irrst du dich. Ich bin allein gekommen, um dich aufzusuchen.«

»Warum das? Doch warte! Hier auf der Brücke können wir uns unmöglich von solchen Sachen unterhalten. Laß uns ein Kaffeehaus aufsuchen; das wird das beste sein.«

»Das ist das allerbeste,« stimmte er bei, indem er eine Verbeugung machte und sich dann umdrehte, um mir weiter in die Stadt hinein zu folgen. Bald erblickten wir ein Kaffeehaus und traten ein. Wir fanden einen stillen Winkel und ließen uns Limonade geben. Dann erkundigte ich mich:

»Also, warum bist du allein gekommen, um hier nach mir zu suchen?«

»Weil mein Herr es mir befahl,« lautete die nicht eben geistreiche Antwort.

»Und welche Absicht hat er dabei?«

»Du sollst nicht allein hier sein.«

»Ah! Glaubt Murad Nassyr etwa, daß ich mich fürchte?«

»Das nicht; aber es ist auf jeden Fall besser, wenn ich bei dir bin. Ich war der berühmteste Krieger meines Stammes und nehme es, wie du weißt, mit allen Helden des Weltalls auf – –«

»Aber nur mit keinem Gespenste,« unterbrach ich ihn.

»Scherze nicht, Effendi! Gegen Geister kann man sich nicht mit Flinte und Messer verteidigen; da helfen nur Stoßgebete.«

»Aber es waren ja keine Geister!«

»Der reine Zufall! Es konnten auch wirkliche Seelen von wirklich Abgeschiedenen sein, und die kann man nicht erschießen, weil sie schon tot sind. Ich habe meine Pflicht gethan und an der Thüre auf der Lauer gelegen. Sende mir nur einmal leibhaftige, lebendige Feinde, etwa fünfzig oder hundert oder meinetwegen auch tausend! Du sollst sehen, wie mein Heldenarm unter ihnen aufräumt! Mein Mut ist wie der Sturm der Wüste, der alles niederreißt, und vor meiner Tapferkeit erbeben selbst die Felsen. Wenn ich im Kampfe meine Stimme und meinen Arm erhebe, so rennen selbst die Tapfersten davon, und vor dem Brüllen meines Gewehres hält kein Verwegener stand. Darum sendet mich Murad Nassyr zu dir, damit du sicher wohnen solltest unter dem Schilde meines Schutzes und dem Dache meiner Gönnerschaft.«

»Ich meine aber, es muß noch eine andere Absicht vorliegen.«

»Da irrst du dich. Ich weiß nur, daß ich dich beschützen soll, und alles andere ist mir unbekannt.«

Ich sah dem alten, feigen und doch so gutmütigen Schlagotodro an, daß er die Wahrheit sprach. Aber Murad Nassyr hatte jedenfalls einen ganz anderen Grund als den höchst lächerlichen, seinen »Richtig, sehr richtig« mir zum Schutze zu senden. Welcher Grund konnte das sein? Ich sann hin und her und fand nur einen einzigen Gedanken, welcher sich als stichhaltig erwies: Der Türke traute mir nicht. Glaubte er vielleicht, daß ich ihm, nachdem er für mich bezahlt und mir außerdem noch eine kleine Summe gegeben hatte, durchbrennen werde? Das wäre ein schändliches Mißtrauen gewesen, zu welchem ich ihm nicht die geringste Veranlassung gegeben hatte. Oder lag es wohl in den gegebenen Verhältnissen, daß ich, wenn ich mich allein in Siut befand, ihm ganz ohne alle Absicht einen Strich durch seine geschäftlichen Absichten machen könnte? Nun, dann hätte er nur aufrichtig sein und mir sagen sollen, welche Art von Plänen er im Auge hatte. War eins von beiden, oder auch beides der Fall, so schien mir Selim, so weit ich ihn kannte, nicht der Mann zu sein, mich von der Ausführung eines Entschlusses, von einer That zurückzubringen, die ich für gut und richtig und also für geboten halten würde. Mit einem Worte, ich hatte das aufrichtige Gesicht meines dicken Türken nicht mehr vor Augen; ich betrachtete ihn jetzt aus der Ferne, und da wollte mein Vertrauen wankend werden. Er erschien mir berechnender und egoistischer als vorher, und es stieg eine Ahnung in mir auf, daß es geraten sei, vorsichtiger als früher mit ihm zu verfahren. Dabei dachte ich an den Reïs Effendina. Dieser hatte sich mir in jeder Beziehung so offen gegeben. Warum hatte er sich verschlossen, sich zurückgezogen, warum war er still geworden, sobald der Name Murad Nassyrs erwähnt worden war? Das mußte doch einen Grund haben, einen Grund, welcher nicht in dem einen und nicht stichhaltigen Umstande lag, daß der Emir glaubte, den Namen des Türken schon einmal gehört zu haben. Nun, die Ankunft des letzteren war in einigen Tagen zu erwarten, und dann hoffte ich, Gelegenheit zu finden, mir über seine Verhältnisse und Absichten klar zu werden. Bis dahin mußte ich mir die Anwesenheit und den Schutz des »Helden« Selim gefallen lassen. Dieser mochte, während ich diese Gedanken in mir erwog, Langweile fühlen, denn er unterbrach das Schweigen durch die Frage:

»Warum. bist du so still geworden? Ist es dir nicht recht, daß ich gekommen bin?«

»Es ist mir gleich, ob du dich in Kahira oder hier befindest,« antwortete ich. »Nur befürchte ich, daß du dich in Siut, wo du doch keine Beschäftigung hast, langweilen wirst.«

»Keine Beschäftigung? Langweilen? Das denke ja nicht! Ich habe ja dich hier, und die Aufgabe, dein Beschützer zu sein, wird mir genug Beschäftigung bringen. Ich darf dich nicht verlassen; Murad Nassyr, mein Herr, hat es befohlen.«

»Ah! So willst du wohl auch bei mir wohnen?«

»Natürlich! Wo hast du ein Unterkommen gefunden?«

»Im Palaste des Paschas. Ich weiß nicht, ob man dich dort gern aufnehmen wird.«

»Zweifelst du etwa daran? Ja, du bist leider ein Ungläubiger und weißt also nicht, daß der Islam jedem seiner Anhänger die größte Gastfreundlichkeit gebietet. Außerdem bin ich, als der größte Held meines Stammes, ein berühmter Mann, den selbst der Vizekönig willkommen heißen würde. Ich werde meinem Wirte sagen, daß ich ihn und meinen Freund verlassen muß, um in den Palast zu ziehen.«

»Ah, einen Freund hast du bei dir?«

»Ja. Ich lernte ihn auf dem Schiffe kennen, und er stieg mit mir hier aus, um mit mir zusammen zu wohnen. Nun aber werde ich ihn verlassen.«

»Was ist er?«

»Ein Händler, welcher in Siut Einkäufe machen will. Bleibe eine kleine Weile hier sitzen! Ich werde sofort zu ihm gehen, um ihn zu benachrichtigen.«

»Warte damit noch, bis wir erfahren, ob man bereit ist, dich im Palaste aufzunehmen.«

»Das brauchen wir gar nicht erst zu erfahren und zu versuchen, denn es kann gar kein Zweifel darüber herrschen.«

»Möglich. Aber dennoch will ich sicher gehen. Ich denke, du hast nichts dagegen, daß wir uns zunächst nach dem Palaste begeben.«

»Richtig, sehr richtig! Ich folge den Stapfen deiner Füße. Laß uns aufbrechen!«

Es war mir gar nicht lieb, für ihn um Aufnahme bitten zu müssen; aber ich war gezwungen, mich darein zu finden, denn dieser »größte Held seines Stammes« wich gewiß keinen Augenblick von mir. Ich bezahlte also, und dann brachen wir nach dem Palaste auf. Dort angekommen, sah ich den dicken Haushofmeister unter derselben Thüre stehen, an welcher er mich und den Reïs Effendina bei meiner Ankunft empfangen hatte. Er machte mir eine sehr tiefe Verneigung und warf einen fragenden Blick auf meinen Begleiter. Als ich ihm dessen Namen genannt und ihm gesagt hatte, daß derselbe bei mir zu bleiben wünsche, meinte er schnell und im gefälligsten Tone:

»Effendi, laß ihn zu mir! Ich habe dich verkannt, und darum bist du zum Stallmeister gegangen. Ich erkenne, daß deine Anwesenheit die Ehre unseres Hauses ist, und bitte dich, mir zu erlauben, meinen Fehler an diesem Manne gut machen zu dürfen.«

Das Anerbieten kam mir sehr gelegen, und ich sagte also zu. Wenn Selim von dem dicken Schwarzen beherbergt wurde, so wohnte er nicht direkt bei mir und konnte mich weniger belästigen. Er war auch selbst einverstanden und machte mir dies durch die Worte bemerklich:

»Siehst du, daß ich recht hatte, Effendi! Der Vorzug meiner Eigenschaften wird überall bewundert, und wo ich erscheine, finde ich die Thüren aller Häuser und Zelte offen. Bevor ich aber in diese gesegnete Wohnung trete, muß ich mich für kurze Zeit entfernen, um mich von meinem Wirte und meinem Gefährten zu verabschieden. Bald werdet ihr mein Angesicht wieder bei euch erscheinen sehen. Allah verlängere eure Tage und lasse euch die Freude meiner Anwesenheit mit dankbarer Aufmerksamkeit genießen.«

Er ging. Was sollte ich thun? Daheim bleiben und auf ihn warten? Ich hatte einen Spaziergang durch die Stadt machen wollen und konnte dies nun doch ausführen. Eben stand ich im Begriff, den Hof zu verlassen, als mein Stallmeister erschien und, was er vorher unterlassen hatte, mich bat, mich begleiten zu dürfen. Als das der Schwarze hörte, erklärte er, daß er, falls er sich uns nicht beigeselle, den Zorn Allahs und aller Kalifen auf sich laden werde. Er ersuchte mich also, einige Augenblicke zu verziehen, bis er dafür gesorgt habe, daß Selim während unserer Abwesenheit gut empfangen werde. Auch der Stallmeister zog sich für einige Minuten zurück, um sich vorzubereiten. Als beide wieder zum Vorscheine kamen, hatten sie sich mir zu Ehren in die besten Feierkleider geworfen. Der Haushofmeister brachte zwei Läufer und zwei Neger mit. Die ersteren sollten mit ihren weißen Stäben vor uns herschreiten, um uns nötigenfalls den Weg zu bahnen, und die letzteren hatten die Aufgabe, den Zug zu schließen und dabei kostbare Pfeifen und Tabaksbeutel zur Schau zu tragen. Wie ich später erfuhr, hatte der Haushofmeister sogar die Absicht gehabt, uns drei Reitpferde nachführen zu lassen, um zu zeigen, daß wir nicht etwa aus Armut und Mangel an Tieren durch die Stadt wanderten. Nur die Rücksicht auf mich, der ich allerdings kein Pferd besaß, hatte ihn bewogen, von diesem Vorhaben abzustehen.

So wanderten wir denn langsam und gravitätisch durch die Straßen der Stadt, deren Häuser meist aus dunklem Schlammsteine gebaut sind. Was soll ich über sie sagen! Siut ist nicht Kahira. Es ist hier ganz dasselbe wie dort, nur in verkleinertem Maßstabe und mit einigen topographischen und Terrain-Abwechslungen. Es gab hier Wasser-, Obst- und Brothändler, Eselsjungen, Lastträger, Türken, Kopten und Fellata, gerade so wie dort. Diese orientalischen Städte gleichen einander außerordentlich. In den Bazars gab es ein großes Gedränge; aber unsere Läufer schoben, stießen und schlugen mit ihren Stäben so kräftig um sich, daß wir stets freie Bahn hatten. Die Ehrfurcht, mit welcher mein schwarzer Haushofmeister gegrüßt wurde, galt mir als ein Beweis dafür, daß seine Stellung eine wichtige und einflußreiche sei. Der kurze, langsame Spaziergang griff ihn so an, daß er bei jedem Schritte stöhnte, und schließlich erklärte er, daß er vor Müdigkeit und Hunger nicht weiter könne und unbedingt in einem Sufra einkehren müsse.

Sufra heißt eigentlich Speisetisch und wurde von dem Dicken mit der Bedeutung als Speisehaus gebraucht. Das hatte ich noch nicht gehört, und darum war ich neugierig, in was für ein Lokal er uns führen werde. Er gab den voranschreitenden Läufern einen Befehl; sie bogen in eine Seitengasse ein und blieben dann wie Schildwachen zu beiden Seiten einer Hausthüre stehen. Als wir eingetreten waren, kamen wir in einen kleinen, offenen Hof, auf welchem mehrere Reihen von Polstern lagen. Da saßen die Gäste dieses Speisehauses. Jeder hatte eine thönerne Schüssel vor sich, aus welcher er mit beiden Händen zulangte. Sauberkeit schien hier nicht gefordert zu werden; das sah man bei dem ersten Blicke. Dazu gab es einen solchen Geruch nach ranzigem Öle, daß mir, selbst wenn ich Hunger gehabt hätte, der Appetit sofort vergangen wäre.

Der Haushofmeister steuerte auf eine leere Ecke zu und ließ sich dort auf ein Kissen nieder. Da der Stallmeister seinem Beispiele folgte, so that ich dasselbe. Die beiden Neger kauerten sich vor uns nieder, um unsere Pfeifen zu besorgen. Einer der schmutzigen Wärter kam herbei, um nach unsern Befehlen zu fragen; der dicke Schwarze antwortete stumm dadurch, daß er drei Finger emporhielt.

»Nein, für mich nicht!« meinte der Stallmeister. »Ich esse nicht.«

Nun wußte ich, was die drei Finger zu bedeuten hatten, nämlich drei Portionen, und beeilte mich, zu erklären, daß auch ich nichts zu genießen beabsichtige.

»Dennoch drei!« befahl der Dicke, indem er die Finger abermals emporstreckte. Nach kurzer Zeit wurde das Verlangte gebracht. Es hatte ein braungrünes, schlammiges Aussehen. Ich betrachtete es, sog den durchdringenden Duft ein -vergebens; ich konnte nicht erraten, was es war.

»Nimm das, aus Liebe zu mir!« forderte mich der Haushofmeister auf, indem er mir eine der drei Schüsseln hinschob.

»Ich danke dir! Mein Körper bedarf jetzt keiner Speise. Möge sie dem deinigen wohl bekommen!«

»Dieses Essen bekommt jedermann; es ist die Quelle der Lieblichkeit. Linsenmehl in Öl gekocht. Es erhebt die Seele zum reinsten der Gefühle und stärkt das Herz für alle Leiden dieser Welt.«

Dabei fuhr er mit seiner fetten, schwarzen Rechten in den Brei, ballte einen Teil zu einer Kugel und hielt ihn mir mit den Worten an den Mund:

»Nimm, und versuche es einmal!«

»Behalte nur!« antwortete ich, indem ich seinen Arm von mir schob. »Ich gönne dir diese Reinigung der Gefühle und diese Stärkung des Herzens sehr gern.«

Er schob nun die Kugel in seinen Mund und schmunzelte dabei:

»Ihr Christen wißt doch nie, was ihr thut. Hat doch Esau seine Erstgeburt für ein Linsengericht in Öl an den Erzvater Jakob verkauft. Davon aber weißt du natürlich nichts.«

»Oho! Diese Geschichte von dem Linsengerichte wird in unserer Bibel erzählt, und Muhammed hat sie aus derselben abgeschrieben. Aber in unserer heiligen Schrift wird nichts davon gesagt, daß die Linsen in Öl gesotten gewesen seien.«

»Steht es wirklich nicht darin? Nun, so ist der Prophet sehr klug gewesen, als er es für uns herausschrieb. Du kennst also auch den Kuran? ja, du bist ein gelehrter Mann. Du hast das Leben in der Flasche und kennst alle Heilungen des Magens, aber was gut schmeckt, das weißt du doch noch nicht.«

Er schob eine Handvoll Brei nach der andern in den Mund; er leerte den ersten, den zweiten und dann auch den dritten Teller, wie die Schüssel auch genannt werden konnte, und reinigte dann alle drei, wie es unerzogene Kinder zu machen pflegen, mit dem gebogenen Zeigefinger, welchen er ableckte. Dabei nahm er auch fleißig an der Unterhaltung teil, welche ich mit dem Stallmeister führte, der ein leidlich wißbegieriger Mann war. Da ich verstanden hatte, das Pferd zu zähmen, so traute er mir auch alle andern Geschicklichkeiten und Kenntnisse zu und legte mir eine Frage nach der andern vor, die ich ihm beantworten mußte. Als wir endlich nach Hause zurückkehrten und in den Hof traten, sahen wir die herbeigeholten blinden Kinder vor der Thüre hocken. Ihr Anblick war ebenso herzbrechend wie Ekel erregend. Die erblindeten Augen schwellen zu eiternden Halbkugeln an, auf denen Fliegen und andere kleine Insekten ihr Wesen treiben. Die schlimme Krankheit ist ansteckend; sie geht von Auge zu Auge, von Individuum zu Individuum über. Die Kinder erhielten ihr Geld und wurden dann fortgeführt. Der kleine Scherz, welchen ich mir mit dem Dicken gemacht hatte, belastete mein Gewissen nicht im geringsten. Er war in Beziehung auf sein Einkommen so gestellt, daß er die kleine Summe an die armen, bedauernswerten Blinden recht wohl entrichten konnte.

Kurze Zeit später brach die Dämmerung herein, und dann dunkelte es schnell. Ich wurde zum Abendessen gerufen, welches der Stallmeister mit mir allein einnahm. Er fragte mich zwar, ob er meinen Gefährten einladen solle, ich aber erklärte ihm, daß Selim nicht eigentlich so genannt werden könne, sondern nur der Diener eines späteren Gefährten von mir sei. Es lag mir nichts daran, den langen Menschen immer bei mir zu haben, und der Stallmeister fühlte seinerseits auch keine Lust, eine so untergeordnete Persönlichkeit bei sich sitzen zu sehen.

Nach dem Essen forderte mein Wirt mich zum Schachspiele auf. Eben hatten wir die Figuren aufgestellt, als sich draußen ein ungewöhnlicher Lärm erhob. Mehrere Stimmen riefen durcheinander, doch konnten wir die Worte nicht verstehen. Wir glaubten, es sei ein Unglück geschehen, und eilten in den Stallhof hinaus. Da standen die Reitknechte und andere Bedienstete, starrten gen Himmel und riefen:

»Eine Mondfinsternis, eine Mondfinsternis!«

Es war so; der Mond verfinsterte sich. Ich hatte gar nicht gewußt, daß eine Mondfinsternis zu erwarten sei. Wir standen im Vollmonde. Der Erdschatten legte sich nicht kupferrot, sondern dunkelgrau nach und nach über die Scheibe unsers Trabanten; daraus war zu schließen, daß die Verfinsterung nicht eine totale sein werde; doch ging er nach und nach so weit herüber, daß nur eine sehr schmale Sichel des Mondes unbedeckt blieb. Die Himmelserscheinung war mir interessant; den andern aber flößte sie Angst ein. Der dicke Haushofmeister kam gekeucht, hinter ihm mein langer Selim.

»Effendi,« rief der erstere, als er mich erblickte, »siehst du auch, daß der Mond verschwindet? Sage mir, was das zu bedeuten hat!«

»Das hat zu bedeuten, daß die Erde zwischen der Sonne und dem Monde steht und nun ihren Schatten auf ihn wirft; dadurch wird er verdunkelt.«

»Zwischen Sonne und Mond? Ihren Schatten? Hast du ihn schon einmal gesehen?«

»Schon wiederholt, und jetzt abermals.«

»Effendi, du bist der Quell der Weisheit und der Brunnen der Wissenschaft; aber von der Sonne und dem Monde und den Sternen darfst du nicht sprechen. Von ihnen verstehest du nichts, gar nichts. Weißt du denn nicht, daß es der Teufel ist, der den Mond verhüllt?«

»Ah! Zu welchem Zwecke sollte er das thun?«

»Um uns ein Unglück anzudeuten. Dieses Zeichen ist ein Zeichen des Unheiles für alle Welt und außerdem eine ganz besondere Drohung für mich.«

»Für dich? Was hättest du mit dieser Mondfinsternis zu thun?«

»Viel, sehr viel! Siehst du dieses Amulett an meinem Halse? Ich trage es zum Schutze gegen die Mondfinsternisse.«

»Eine Mondfinsternis ist eine ganz natürliche Erscheinung. Und selbst wenn sie gefährlich wäre, könnte ein Amulett dich nicht beschützen.«

»Das sagst du, weil du ein Christ und nicht ein Moslem bist. Was kann ein Christ von dem Monde wissen! Welches ist das Zeichen des Christentumes? Ist es nicht das Kreuz?«

»Allerdings.«

»Und das Zeichen des Islam ist der Halbmond. Also müssen wir von dem Monde mehr verstehen als ihr. Das ist doch klar. Oder siehst du das nicht ein?«

Dieses Argument war von seinem Standpunkte aus gar nicht übel; ich konnte ihn nur von diesem Punkte aus schlagen; darum antwortete ich:

»Nein, das sehe ich ganz und gar nicht ein. Ist etwa der Neumond oder Vollmond euer Zeichen?«

»Nein, nur der Halbmond.«

»So sprich meinetwegen von diesem, also von dem ersten oder letzten Viertel; von dem Neumonde aber und von dem Vollmonde versteht ihr nichts. Und heute ist Vollmond! Na, was sagst du nun?«

Er sah mir betroffen und offenen Mundes in das Gesicht und antwortete dann:

»Effendi, da kann ich dir freilich nicht widersprechen. Den Neumond habe ich überhaupt noch nicht gesehen.«

»So behaupte ja nicht, daß du dich auf den Mond verstehst! Wer noch nicht einmal den Neumond gesehen hat, wie will der über eine Mondfinsternis urteilen? Übrigens ist auch nicht einmal der Halbmond das wirkliche, ursprüngliche Zeichen des Islam.«

»Was denn?«

»Der Säbel, der krumme Säbel Muhammeds. Als euer Prophet im Monate Ramadhan des zweiten Jahres der Hedschra den Mekkanern das erste große Treffen lieferte, steckte er seinen Säbel auf eine Stange und ließ dieselbe als Fahne vorantragen; sie führte zum Siege und wurde von da an als Feldzeichen benutzt. In einem späteren Kampfe wurde der Griff des Säbels abgeschlagen, und es blieb nur die krumme Klinge, welche die Gestalt eines Halbmondes darstellte. Dies veranlaßte dann den Kalifen Osman, den Halbmond zum Symbol des Osmanischen Reiches und des Islam zu machen.«

»Allah, Allah! Effendi, du kennst alle Tiefen der Geschichte und alle Geheimnisse der Religionen!« rief er aus.

»Und auch alle Breiten, Höhen und Tiefen des Mondes!« fügte ich hinzu. »Er ist 380,000 Kilometer von der Erde entfernt; sein Durchmesser beträgt 3480. Kilometer, und er ist also fünfzigmal kleiner als die Erde. Sein größter Berg ist 7200Meter hoch.«

Da verstummten alle, welche ringsum standen. Da man in Ägypten ebenso wie in der Türkei nach Metern rechnet, so begriffen die Leute die angegebenen Maße; aber daß man diese letzteren überhaupt anzugeben vermag, das glaubten sie nicht. Ihre Blicke richteten sich von dem Monde auf mich. Ein allgemeines Murmeln ließ sich hören; dann rief der Dicke aus.

»Allah lasse dich lange leben und erleuchte deinen Verstand! Beim Leben deines Vaters und bei den Bärten aller deiner Ahnen, sage mir, ob du im Ernste redest!«

»Ich scherze nicht.«

Er schüttelte den Kopf und sah mich bedenklich an, Was sollte ich machen? Meine Erklärung zu verstehen, dazu besaßen sie die erforderlichen Vorkenntnisse nicht; ich mußte also den Schwarzen und die andern bei ihrer Meinung lassen. Sie beteten, um sich vor der bösen Wirkung der Finsternis zu bewahren, eine Menge Kuransprüche und wehklagten dazwischen so lange, bis dieselbe vorüber war. Dann äußerten sie sich aber nicht etwa froh darüber, sondern sie waren der Meinung, daß die Folgen von jetzt an erst zu sehen sein würden. Der lange Selim wollte sich an mich machen, wohl in der Meinung, daß ich ihn auffordern würde, mich in das Haus zu begleiten; ich sagte ihm aber, daß ich jetzt schlafen gehen werde, und so kehrte er mit dem Dicken in dessen Wohnung zurück. –

Am andern Morgen wurden nach dem Frühstücke die Pferde vorgeführt. Der verabredete Ritt wurde in größerer Gesellschaft gemacht, als ich vermutet hatte. Der Haushofmeister ließ es sich nicht nehmen, sich uns anzuschließen, und Selim behauptete, daß auch er mitreiten müsse, da er mein Beschützer sei und mich vor einem Sturze vom Pferde zu bewahren habe. Ich versicherte ihm zwar, daß er gar keine Besorgnis zu haben brauche, doch er antwortete:

»Effendi, ich bin der größte Held und Reiter meines Stammes; du aber bist ein Franke, und ich habe dich noch nicht auf einem Pferde sitzen sehen. Wenn du den Hals brichst, so habe ich es zu verantworten; darum werde ich stets an deiner Seite bleiben und kein Auge von dir lassen.«

»Das bezweifle ich. Oder wärest du wirklich ein so ausgezeichneter Reiter?«

»Mir hat es noch niemals einer gleichgethan,« antwortete er mit einer tiefen, tiefen Verbeugung.

»So erwarte ich von dir, daß du Wort hältst. Falls du nur einen Augenblick von mir weichst, werde ich mich bei deinem Herrn beschweren und ihm sagen, daß du ein schlechter Beschützer bist, auf den man sich nicht verlassen kann.«

»Thue das; thue das! Meine Macht und Sorgfalt würde dich umschweben, selbst wenn der Sturm der Wüste dich mit deinem Pferde davonführte. Ich würde mit den bösen Geistern des Samum um die Wette reiten.«

Er sagte das in einem so zuversichtlichen Tone, als ob er schon mit allen Stürmen um die Wette geritten sei, und ich freute mich schon im voraus auf die Blamage, welche ihn erwartete.

Wir waren also sechs: der Haushofmeister, der Stallmeister, Selim, ich und zwei Reitknechte, welche uns begleiteten. Wir ritten langsam durch die Stadt und die Höhe nach den Felsengräbern hinan. Auf den Höhen angelangt, welche das Nilthal gegen die libysche Wüste hin begrenzen und beschützen, erblickten wir die weite Sandebene, die im Sonnenstrahle rötlich glänzend vor uns lag. Es ging die Höhe hinab, noch immer langsam; als wir aber unten angekommen waren, meinte der Stallmeister:

»Jetzt Galopp, Effendi! Wir haben Raum genug hier in der Wüste.«

Er gab seinem Pferde die Sporen und flog davon; wir folgten ihm. Ich muß Selim das Zeugnis erteilen, daß er bisher sein Wort gehalten hatte und nicht von meiner Seite gewichen war. In seinen Blicken und auf seinem Gesichte lag der Ausdruck stolzer Genugthuung; er glaubte, besser, viel besser reiten zu können als ich. Und das hatte seinen guten Grund. Mein Pferd hatte, sobald es die Straße betrat, mit mir davonstürmen wollen; ich aber hatte es so streng in die Zügel und so fest zwischen die Schenkel genommen, daß es seine Ungeduld bezähmen mußte. Diese meine Bemühung war von den andern nicht bemerkt worden; außerdem saß ich nach der Weise der Prairiejäger im Sattel, nämlich die Beine nach hinten, den Oberkörper zusammengesunken nach vorn gebeugt. Das ergiebt keineswegs einen schönen, ritterlichen Anblick, ist aber für den Reiter bequem und entlastet die Hinterhand, welche dann später, wenn es gilt, um so mehr zu leisten und zu tragen vermag. Die andern saßen nach arabischer Weise gerade und stolz zu Rosse, wovon nur der dicke Haushofmeister eine Ausnahme machte, und so hatte es den Anschein, als ob sie bessere Reiter seien als ich. Selim ritt nicht schlecht, auch hatte er kein übles Pferd, und darum war es ihm nicht zu verargen, daß er mich ein wenig von oben her betrachtete. Jetzt, wo wir zu galoppieren begannen, wollte mein Bakarra-Hengst seine Schnelligkeit entfalten; ich hielt ihn aber zurück, und so kam es, daß ich mit Selim, welcher nicht von mir weichen wollte, zurückblieb. Die beiden Reitknechte mußten uns eigentlich vor sich behalten; aber sie wurden schließlich ungeduldig und schossen an uns vorüber und über uns hinaus.

»Schneller, schneller, Effendi!« rief mir Selim zu. »Wir müssen sie einholen, sonst werden wir ausgelacht.«

»Es geht nicht,« antwortete ich. »Ich falle sonst herunter.«

»Allah, Allah! Wie kann man herabfallen wollen! Du blamierst mich auf das schrecklichste. Diese Männer werden denken, ich könne nicht reiten, und doch bin ich der kühnste Reiter aller Stämme der Wüste. Leider bin ich gezwungen, bei dir zu bleiben. Aber nun siehst du doch wohl ein, daß du ohne meinen Schutz hier zu Schanden würdest?«

»Ja, leider muß ich das zugeben.«

»Richtig, sehr richtig. Sage das meinem Herrn, wenn er hier angekommen ist! Dieses dein Zeugnis wird ihm aufs neue beweisen, daß ich ein Mann bin, der durch keinen andern zu ersetzen ist. Aber reite doch schneller, schneller! Ich lasse dich nicht fallen. Ich greife sofort zu, wenn du das Gleichgewicht verlierst.«

Um ihn noch mehr in seiner Meinung zu bestärken, nahm ich die allerdümmste Haltung an, rutschte bald herüber, bald hinüber und gab mir den Anschein, als ob es meinerseits der größten Anstrengung bedürfe, mich oben zu halten. Er erging sich in allerhand Ausrufungen, welche mir im Stillen herzlichen Spaß bereiteten, und schimpfte fort und fort darüber, daß wir weiter und immer weiter zurückblieben. Die andern hatten allerdings einen bedeutenden Vorsprung, der von Sekunde zu Sekunde größer wurde. Nur der dicke Haushofmeister kam nicht mit den andern fort; er befand sich zwischen ihnen und uns. Ich hatte schon manchen unfertigen Reiter gesehen, so eine Figur aber wie die, die er bildete, noch nicht. Zunächst ritt er sehr schlecht, und sodann paßte seine unförmliche Gestalt nicht in einen Pferdesattel. Seiner Schwere wegen hatte er sich einen äußerst gewichtigen Gaul ausgesucht, dessen Bemühung, mit den andern Pferden Schritt zu halten, zum Lachen reizte. Auf dem Rücken dieses Tieres saß das schwarze Monstrum mit weitgespreizten Beinen und zusammengezogenem Oberkörper. Der Gaul »schukkerte« gewaltig, was dem Reiter eine Bewegung gab, welche der reitgewandte Gaucho Südamerikas »el mohnillarse ä la silla«, das Sich-Quirlen im Sattel nennt. Er machte die größte Anstrengung, fest zu sitzen, und sein Pferd gab sich alle Mühe, schnell fortzukommen, doch vergeblich. Es war wirklich zum Lachen.

Der Stallmeister war uns nun mit den Reitknechten so weit voraus, daß er sich zum Anhalten gezwungen sah, um auf uns zu warten. Der Dicke langte kurz vor uns bei ihm an. Er stöhnte, und sein Pferd keuchte, als ob sie stundenlang im Galoppe über die Wüste gerast seien.

»Was ist denn das, Effendi?« fragte der Stallmeister erstaunt. »Du bleibst zurück!«

»Er kann nicht reiten,« antwortete Selim an meiner Stelle.

»O, er kann es gar wohl. Wir haben es gesehen, als er gestern den Grauschimmel zum Gehorsam zwang.«

»Das war eine Folge der Datteln, welche er ihm gab. Ja, kirre machen kann er ein Pferd; das versteht er wohl; aber reiten, nein, das kann er nicht. Hätte ich ihn nicht in meinen Schutz genommen, so hätte er zehnmal Hals und Beine gebrochen. Es ist ein Elend, an seiner Seite bleiben zu müssen!«

»Das ist sehr richtig,« fiel ich ein. »Es ist ein Elend, bei mir aushalten zu sollen, und du bringst es darum nicht fertig.«

»Was sagst du!« rief er aus. »Habe ich etwa nicht bei dir ausgehalten? Oder bist du mir zuliebe zurückgeblieben, so thue mir nun doch auch den Gefallen, mir zuliebe schneller zu reiten!«

»Du würdest mir nicht nachkommen.«

»O Allah! Es hat noch niemals einen Reiter gegeben, den ich nicht überholt hätte. Wollen wir wetten?«

»Ja. Um was?«

»Du hast Goldstücke aus England; ich habe es gesehen. Man nennt sie Pfund, und sie sind über hundert Piaster wert. Willst du ein solches Goldstück gegen mich setzen?«

Er sah mich gespannt an. Es lag ihm daran, daß ich ja sagte, denn er zweifelte nicht im mindesten daran, daß ich die Wette verlieren würde.

»Hast du denn auch solche Goldstücke?« erkundigte ich mich.

»Nein; aber ich habe genug Piaster, um das Gleiche setzen zu können. Machst du mit?«

»Ja. Heraus mit dem Gelde! Hundert Piaster gegen ein englisches Pfund. Wir geben es dem Stallmeister, und wer dann siegt, bekommt es von ihm. ist dir das recht?«

»Recht, sehr recht!« stimmte er schmunzelnd ein. »Schon in wenigen Augenblicken wird der Glanz deines Goldes in meiner Tasche sein. Ich bin der Schnelle, der Unbesiegbare; mich holt niemand ein, und du am allerwenigsten.«

Der Stallmeister bekam das Geld, und dann begann der Ritt. Zunächst hielt ich meinen Grauschimmel so zurück, daß Selim eine Strecke weit sich mir zur Seite halten konnte.

»Siehst du, daß ich gewinnen werde?« fragte er triumphierend.

»So sollst du gleich auch das Gegenteil zu sehen bekommen. Lebe wohl, Selim! In zwei Minuten siehst du gar nichts mehr, nämlich von mir.«

Jetzt ließ ich dem Hengste die Zügel schießen. Darauf hatte dieser mit Begierde gewartet. Er wieherte laut auf, ging vor Freude mit allen vieren in die Luft und flog dann davon, so daß es einem nicht ganz guten Reiter sicher schwindelig geworden wäre. Ich hütete mich, die Sporen in Anwendung zu bringen; ein so edles Tier nimmt das übel. Ich rief dem Pferde aufmunternde Worte zu, und es verstand mich vortrefflich. Meine Gefährten kamen mir schreiend nachgesprengt; ihre Stimmen wurden schnell schwächer, denn die Wüste schien förmlich unter den Hufen meines Grauschimmels zu verschwinden. Als ich mich nach ungefähr einer Minute umschaute, sah ich die Reiter in der Größe von Kindern, welche auf Schaukelpferden sitzen, hinter mir. Nach einer zweiten Minute erblickte ich sie nur noch als kleine Punkte; dann verschwanden sie. Nun hätte ich anhalten sollen; das fiel mir aber gar nicht ein. Ich wollte die Freude, ein solches Pferd reiten zu dürfen, auskosten und jagte weiter. Das Tier freute sich ebenso sehr wie ich. Es wieherte von Zeit zu Zeit hell auf vor Lust, und wenn ich ihm dann den Hals streichelte, ließ es einen tiefen Brustton hören, den man nicht beschreiben kann, den ich aber kannte. Es ist ein Laut des Entzückens.

So ging es wohl drei Viertelstunden in gerader Richtung in die Wüste hinein, welche vor mir immer neu auftauchte und hinter mir wieder verschwand; dann schlug ich nach rechts einen weiten, weiten Bogen. Es stand zu erwarten, daß die andern meiner Fährte folgen würden, und ich wollte sie äffen. Nach einer weitern halben Stunde war aus dem Bogen ein Kreis geworden, welcher mich auf meine eigene Spur zurückbrachte. Meine Gefährten waren schon vorüber; ich sah es an den Hufspuren und ritt ihnen nach. Bald sah ich sie vor mir, während sie glaubten, sich weit, weit hinter mir zu befinden. Je mehr ich mich ihnen näherte, desto deutlicher sah ich, daß sie bemüht waren, die größte Schnelligkeit zu entwickeln. Dennoch blieben sie beisammen, denn die bessern Reiter hielten ihre Pferde zurück, um nicht den andern voraus zu kommen. Da sie ihre ganze Aufmerksamkeit nach vorn gerichtet hatten, so gewahrten sie mich auch nicht eher, als bis ich ihnen auf zwanzig Pferdelängen nahe gekommen war und nun laut rief:

»Wo wollt ihr denn hin!«

Sie hörten meine Stimme, drehten sich um und waren nicht wenig erstaunt, mich hinter sich zu sehen. Noch ehe sie ihre Pferde zum Stehen gebracht hatten, befand ich mich mitten unter ihnen. Der dicke Haushofmeister schwitzte wie eine Fensterscheibe im Winter und stöhnte wie eine Dampfmaschine.

»Wo kommst du her, Effendi?« fragte er mich, indem er ein so dummes Gesicht zeigte, daß ich lachen mußte.

»Von da her,« antwortete ich, indem ich nach rückwärts zeigte. »Ich mache es wie die Sonne: ich gehe im Westen unter und im Osten wieder auf.«

»Wer soll das begreifen! Wir wären fortgeritten, um dich einzuholen, immer weiter und weiter, bis ans Ende der Welt.«

»So weit nun wohl nicht. Ihr seid meiner Fährte gefolgt und diese würde euch in einem Kreise zurückgeführt haben. Daraus magst du ersehen, welch ein herrlicher Renner dieser echte Bakarra-Hengst ist. Der Stallmeister ist sehr unvorsichtig gewesen.«

»Das soll eine Unvorsichtigkeit sein? Im Gegenteile! Dadurch, daß du ihn zureitest, machst du ihn gutwillig, auch mich und seinen Herrn, den Pascha, zu tragen.«

»Ganz recht. Aber wie nun, wenn ich ihn gestohlen hätte?«

»Gestohlen!« rief er aus, indem er vor Schreck erbleichte. Es kam ihm erst jetzt die Erkenntnis dessen, was hätte geschehen können, wenn ich nicht ein ehrlicher Mann gewesen wäre.

»Ja, gestohlen. Nimm einmal an, ich wäre nicht wiedergekommen. Was hättest du da gethan? Hättest du mich etwa einzuholen vermocht?«

»Nein, nein. Allah, Allah! In welcher Gefahr bin ich gewesen!«

»Du warst in gar keiner Gefahr, denn ich bin kein Dieb. Aber dieser Hengst ist hunderttausend Piaster wert, und das könnte unter Umständen für einen sonst ganz ehrlichen Mann eine Versuchung sein.«

»Du hast recht, ja, du hast recht, Effendi! O Allahl o ihr heiligen Kalifen, was wäre aus mir geworden, wenn du das Pferd gestohlen hättest! Ich wäre nicht im stande gewesen, es zu ersetzen, und der Pascha, dessen Leben ewig leuchten möge, hätte mich totpeitschen lassen. Ich bleibe neben dir.«

»Das würdest du nicht fertig bringen, wenn ich mich für dein Mißtrauen rächen wollte. Aber wie steht es denn mit unserer Wette? Du hast das Geld erhalten. Wer hat es gewonnen?«

»Natürlich du.«

»So gieb es her. Dieser Selim, welcher sich den kühnsten Reiter aller Stämme der Wüste genannt hat, mag jetzt noch einmal behaupten, daß ich nicht reiten kann und ohne seinen Schutz den Hals brechen müsse.«

Der Stallmeister reichte mir das Geld, und ich steckte es ein. Der lange Selim machte ein Gesicht, als ob er von dem größten Unglücke der Erde betroffen worden sei, und meinte.

»Effendi, du bist der Ausfluß der Güte und der Bronnen der Barmherzigkeit. Du wirst mir das Zeugnis geben, daß ich dich unmöglich beschützen kann, wenn du nicht bei mir bleibst und daß ich ein armer Diener bin, ein erbarmenswerter Sklave meines Herrn Murad Nassyr!«

»Ich denke, du bist sein Beschützer und der meinige auch!«

»O nein!« beeilte er sich zu beteuern. »Ich bin sogar der ärmste Mann aller Stämme und Dörfer. Ich bin wie die Luft, welche niemand sieht, und wie das dürre Reiskorn in der Wüste. Ich bin ein reines Nichts, und wenn Allah in meine Taschen leuchtet, so ist darinnen nichts als der Inbegriff aller Armut zu finden. Ein Piaster ist für mich ein Vermögen, dessen Verlust mir das Leben verkürzt und meine Seele mit den Schauern der Trostlosigkeit umhüllt.«

Ich hatte gleich bei seinem ersten Worte gewußt, worauf es abgesehen war, that aber nicht so, als ob ich ihn begriff, sondern antwortete:

»Dann will ich dir einen guten Rat erteilen, durch dessen Befolgung du dir große Reichtümer sammeln kannst. Wette so oft und so viel wie möglich! Wette besonders mit Reitern! Da du der kühnste Reiter deines Stammes bist und sogar den Samum der Wüste einholst, so wirst du jede Wette leicht gewinnen und in kurzer Zeit ein steinreicher Mann sein.«

»Effendi, scherze nicht!« bat er mich im kläglichsten Tone. »Ich habe nicht geglaubt, daß deine Seele von solcher Bosheit zu überfließen vermag. Ich bin der beste Reiter der Wüste, das ist wahr; aber gerade im Wetten habe ich kein Glück; es ist mein Fatum, mein Kismet, daß ich stets verliere.«

»So wette nicht!«

»Ich will auch nicht; aber zuweilen wird man förmlich gezwungen. So war es auch vorhin. Nur die Höflichkeit, die Ehrerbietung und Liebe, die ich für dich empfinde, veranlaßte mich, hundert Piaster gegen dein goldenes Pfund zu setzen. Ich wollte dich nicht beleidigen; ich wollte dir meine Hingebung beweisen. Willst du nun weniger großmütig sein, als ich es gewesen bin? Willst du von dem Blute der Armut leben und das Elend des Bedürftigen verzehren? Wer den Piaster des Bettlers verschlingt, dem wird einst die Hölle doppelt geheizt! Bedenke das!«

»Nun, du kannst leicht wieder in den Besitz deiner hundert Piaster gelangen, wenn du mir der Wahrheit nach das aufrichtige Zugeständnis machst, daß du nicht im stande bist, mein Beschützer zu sein.«

Das war schlimm für ihn. Er wollte sich nicht blamieren, hatte aber auch keine Lust, auf das Geld zu verzichten, weiches ich ja überhaupt nicht behalten hätte. Darum fragte er:

»Wenn du mir keine andere Bedingung machen kannst, Effendi, so gebe ich zu, daß du meines Schutzes nicht bedarfst.«

»Halt, das ist eine Finte! Du sollst eingestehen, daß du nicht der Mann bist, mich in Schutz zu nehmen.«

»Effendi, du bist hart; aber ich will dir die Freundlichkeit erweisen, deinen Wunsch zu erfüllen. Ja, ich kann dich nicht beschützen. Bist du nun zufrieden?«

»Ja, Hier hast du die hundert Piaster zurück, und ich denke, daß es dir wohl nicht wieder beikommen wird, mich zu einer Wette aufzufordern.«

Er steckte das Geld rasch ein, zog dann ein ganz anderes Gesicht auf, eine seiner bisherigen Gönner- und Protektormienen, und antwortete:

»Im Reiten vielleicht nicht wieder, nämlich unter diesen Umständen; aber im übrigen darfst du, wenn du gerecht sein willst, getrost zugeben, daß die Eigenschaften meiner Persönlichkeit die große Macht besitzen, die Herzen aller Gläubigen und Ungläubigen zu erfreuen.«

Der Kerl war unverbesserlich; aber es war unmöglich, ihm gram zu sein. Seine Aufschneidereien schadeten niemanden; sie standen mit seinem ganzen Wesen in so inniger Verbindung, daß er ohne dieselben gar nicht genießbar gewesen wäre.

Wir kehrten nach der Stadt zurück, aber nicht in der Richtung, aus der wir gekommen waren, sondern der Stallmeister schlug eine südlichere ein, um mich nach dem Tell es sirr, zu bringen, einem Orte, von welchem er behauptete, daß sich da der Eingang zur Hölle befinde.

Die libyschen Berge zogen sich in langer, aber niedriger Reihe quer über unsere Gesichtslinie. Etwas von diesem Höhenzuge entfernt, ein wenig in die Wüste gerückt, befand sich eine kleine Kuppe, welche nichts als ein Sandhaufen zu sein schien. Das war der Hügel des Geheimnisses.

»Wie ist man denn hinter das Geheimnis, daß da die Pforte der Hölle sei, gelangt?« fragte ich den Stallmeister.

»Das weiß ich nicht. Ich habe es von andern erfahren, die es wieder von andern hörten.«

»Ist der Name Tell es sirr bekannt?«

»Nicht allgemein, denn man spricht nicht gern von diesern bösen Orte. Wer es weiß, der meidet ihn. Aber du bist ein Sohn der Wissenschaft, und da du meinen Sohn mit der Flasche des Lebens gerettet hast und gern alles Merkwürdige in Augenschein nimmst, so habe ich dich auf diese Stelle der Wüste aufmerksam gemacht.«

»Ich sage dir Dank und werde einmal nach der Kuppe des Hügels reiten.«

»Thue das nicht, Effendi! Wenn der Scheitan, sich gerade in der Nähe befindet, so streckt er die Kralle aus der Erde hervor und zieht dich in die Hölle hinab. Es ist hier schon mancher verschwunden, den kein Auge wieder erblickt hat.«

»Das ist möglich; aber dann hat nicht der Teufel es gethan, sondern es giebt Höhlungen, in welche die Betreffenden eingebrochen sind.«

»Man hat nie eine Höhlung gesehen.«

»Weil dieselben durch den Sand der Wüste verschüttet worden sind. Der Wind der Wüste weht von West nach Ost und treibt den Sand unaufhörlich in dieser Richtung fort; dadurch wird jede Vertiefung des Bodens bald ausgefüllt.«

»Du erklärst dir das nach deinem Glauben; wir aber sind Anhänger des Propheten und hüten uns vor dem Rachen der Hölle. Willst du den Hügel wirklich besteigen, so bitte ich dich, auf unsere Begleitung zu verzichten. Wir werden unten bleiben und auf dich warten.«

Jetzt stand dieser Tell es sirr vor uns, ein kleiner Sandkegel von höchstens fünfzig Ellen Höhe. Wir stiegen ab, und ich machte mich daran, ihn zu besteigen. Das hatte keine Schwierigkeit, da er nicht sehr steil war; aber der Sand, aus welchem er zu bestehen schien, war sehr fein und locker, so daß man ein Gefühl hatte, als ob man durch Mehl wate. Ich stieg, um ihn von allen Seiten in Augenschein zu nehmen, nicht in gerader Richtung, sondern in einer Schneckenlinie empor, konnte aber nichts entdecken, was auch nur den geringsten Schein einer Merkwürdigkeit hatte. Ich stand, als ich oben angekommen war, im nackten Sande. Sand, nichts als Sand unter mir und um mich her. Wer weiß, auf welche Weise das dumme Gerücht, daß sich hier der Eingang zur Hölle befinde, entstanden war. Bei Siut gab es Grabgewölbe.Vielleicht waren hier in der Nähe des Hügels auch Gräberhöhlen. Da war nun einmal einer eingebrochen, und sofort hatte man die dadurch entstandene Vertiefung mit der Hölle in Verbindung gebracht. Unter mir sah ich die Gefährten; sie befanden sich nicht weit vom Fuße des Hügels. Es schien, als ob mein langer Selim die Schlappe, welche ihm durch mich geworden war, vergessen machen wolle, denn er hatte sein Pferd wieder bestiegen und ließ es allerlei Sprünge und Wendungen machen. Dann stieg er ab, und nun kroch der dicke Haushofmeister auf seinen schweren Gaul, um ihm dieselben Kunststücke nachzumachen. Wie ich dann hörte, war zwischen diesen beiden ein Streit entstanden, wer von ihnen der beste Reiter sei. Das vermutete ich gleich jetzt und blieb oben stehen, um zu sehen, wie der Dicke seine Sache machen werde.

Er ließ sein Pferd einige Schritte gehen und wollte es dann zwingen, sich vorn aufzurichten; der Gaul sollte sich auf den Hinterfüßen um sich selbst drehen. Aber er war zu schwerfällig dazu und hatte auch keine Lust zu einer so überflüssigen Anstrengung; darum wehrte er sich, schlug aus, stampfte mit den Hufen und – – sank plötzlich mit den Hinterfüßen ein. Noch zur rechten Zeit that er einen mächtigen Satz, arbeitete sich empor und stieg nun vor Schreck vorn in die Luft; der Dicke verlor das Gleichgewicht, fiel hinten herab und – – war verschwunden.

So viel hatte ich von meinem entfernten Standpunkte aus sehen können. Die andern vier brüllten vor Entsetzen wie die Löwen und sprangen von der gefährlichen Stelle fort. Ich rannte den Hügel hinab, dieses Mal nicht in einer Schnecken-, sondern in gerader Linie. Als ich unten angekommen war, rief mir der Stallmeister entgegen:

»Siehst du, daß ich recht hatte, Effendi! Hier ist der Eingang zur Hölle; sie hat den Haushofmeister verschlungen. Das ist die Mondfinsternis von gestern; die hat es ihm verkündet!«

»Richtig, sehr richtig!« stimmte Selim bei. »Nun ist er in die Hölle gestürzt und wird dort braten in alle Ewigkeit.«

»Unsinn!« antwortete ich. »Es hat hier eine Höhlung gegeben, deren Decke unter den Hufen des stampfenden Pferdes eingestürzt ist. Nun kommt es darauf an, welche Tiefe dieselbe hat. Ist es ein Schacht, welcher senkrecht niederfährt, dann steht es freilich schlimm; ist es aber ein wagrechter Stollen oder Gang, so holen wir den Mann gewiß heraus.«

»Es ist kein Stollen, sondern ein Schacht, ein Loch, welches gerade hinab in das Feuer der Hölle führt,« behauptete der Stallmeister. »Der Haushofmeister ist verloren. Wir werden weder seinen Leib noch seinen Geist jemals wiedersehen.«

»Sein Geist wird dir wohl überhaupt noch nicht erschienen sein. Kommt mit zu dem Loche! Wir müssen es untersuchen!«

»Allah behüte mich! Ich bin ein gläubiger Sohn des Propheten und werde mich hüten, dem Eingange zur Hölle nahe zu kommen.«

»Richtig, sehr richtig!« stimmte Selim in seinem schnarrenden Tone bei. »Allah schütze mich vor dem neunzigmal geschwänzten Teufel und der Hölle, deren Flammen die Haut keines frommen Menschen widerstehen kann!«

»Schweig‘!« zürnte ich. »Ihr sprecht vom Eingange und vom Feuer der Hölle. Habt ihr jemals ein Feuer gesehen, welches keinen Rauch hat? Wenn dort unten die Hölle wäre, dann müßte das Loch rauchen. Siehst du das nicht ein?«

Dies Argument hatte die gewünschte Wirkung, welche sich noch steigerte, als ich hinzufügte:

»Du willst der größte Held aller Stämme der Wüste sein und fürchtest dich vor einem kleinen Loche im Erdboden. Schäme dich! Wenn sich hier die Hölle wirklich öffnete, so müßte es nicht nur Rauch, sondern eine fürchterliche Hitze geben; da nun weder das eine noch das andere zu bemerken ist, so ist eure Angst nicht bloß lächerlich, sondern sie kann dem Haushofmeister sogar verhängnisvoll werden. Wir können ihn wahrscheinlich heraufholen; wenn wir aber damit zögern, müssen wir befürchten, die Schuld von seinem Tode auf unser Gewissen zu laden. Seid also keine Feiglinge, und kommt mit heran!«

Während ich das sprach, näherte ich mich der Unglücksstelle. Die andern hatten Mut gewonnen und kamen langsam herbei. Ich blieb ungefähr zwei Ellen von dem Rande des Loches stehen und bog mich vor, um hinabzublicken. Die Seiten der Öffnung bestanden aus Sand. Mein Auge reichte nicht tief genug hinab. ich trat also noch einen Schritt weiter vor; da gab der Boden unter meinen Füßen nach, und ich fand kaum Zeit, mich zurückzuwerfen, so war die Stelle, an welcher ich gestanden hatte, auch in die Tiefe geglitten.

Die andern retirierten schleunigst und Selim rief mir zu:

»Zurück, zurück, Effendi! Bald hätte es dich auch gepackt. Es ist wirklich die Hölle, vielleicht diejenige Abteilung von ihr, in welcher die Seelen der Ungläubigen im ewigen Froste zittern müssen. Da giebt es keinen Rauch. Laß uns die heilige Fatha beten und dann heimkehren, um Allah zu preisen, daß wir nicht auch versunken sind!«

Sie gingen zu den Pferden; ich kam ihnen aber zuvor, zog den Revolver heraus und drohte:

»Bei eurem Propheten und allen Kalifen, ich schieße den, welcher aufsteigt, gleich wieder herunter! Laßt doch nur mit euch reden!«

Das schüchterte sie wohl ebenso sehr ein wie der Gedanke an die Hölle; sie traten zurück, und der Stallmeister antwortete:

»Effendi, du willst der Mörder deines Gastfreundes werden? Das ist nicht recht von dir! Doch wollen wir hören, was du uns noch zu sagen hast.«

Höchst wahrscheinlich mußte dieses lange Verhandeln und Zögern dem Verunglückten verhängnisvoll werden; aber ich allein konnte ihm keine Hilfe bringen; ich brauchte den Beistand der andern und mußte sie zu meinen Absichten bereden. Endlich hatte ich sie so weit.

»Nehmt den Pferden die Zügel,« sagte ich, »und alle Riemen ab. Wenn wir dieselben aneinander schnallen oder binden, werden wir das bekommen, was mir nötig ist.«

Sie machten sich sofort an die Arbeit, bei welcher keine Gefahr vorhanden war. Bald war das Riemenzeug zu einem genügend langen Streifen vereinigt, dessen eines Ende ich mir auf dem Rücken an den Gürtel schnallte; das andere sollten sie festhalten, um mich zurückzuziehen, sobald ich Gefahr lief, einzubrechen. Nun gingen wir wieder zu dem Loche. Sie blieben in der gebotenen Entfernung von demselben stehen; ich legte mich nieder und kroch weiter, ganz so, wie man es thun muß, wenn man einen auf dem Eise Verunglückten aus dem Wasser ziehen will. Je näher ich dem Loche kam, desto langsamer und vorsichtiger schob ich mich vor. Die andern ließen den Riemen so durch ihre Hände gleiten, daß er stets gespannt blieb. Noch war mein Kopf nur einen Fuß von dem Rande entfernt, da gab die entgegengesetzte Kante nach und schoß in die Vertiefung hinab; auf meiner Seite aber hielt der Boden. Es war mir, als ob aus der Tiefe, in welche ich noch nicht sehen konnte, ein Röcheln oder Grunzen ertöne. Ich schob mich also das noch fehlende Stückchen weiter vor und blickte hinab. Was ich jetzt sah, das war überraschend.

Das Loch hatte eine Tiefe von ungefähr vier Ellen. Die Wände desselben bestanden in dem unteren Teile aus schwarzen Nilziegeln und in dem oberen aus Sand. Der erstere Teil hatte ungefähr zwei Ellen ins Geviert; der Durchmesser des letzteren war bedeutender. Die unteren dunklen Ziegelwände glichen dem Innern eines großen, viereckigen Schornsteines, welcher oben durch eine Decke aus ebensolchen Ziegeln verschlossen gewesen war. Darüber hatte sich der Sand der Wüste gebreitet. Die Ziegeldecke war morsch geworden oder hatte sich gelockert; der Sand drückte auf sie, und vorhin hatte sie unter dem Stampfen des schweren Pferdes nachgegeben; sie war ein- und der auf ihr lastende Sand nachgestürzt. Aus diesem Sande ragte – – der Oberkörper des Dicken hervor. Der gute Haushofmeister war bis an den Gürtel hinab zu sehen; er hatte die Hände gefaltet und hielt die Augen geschlossen. Tot war er nicht, denn seinen wulstigen Lippen entfuhr jenes ächzende Seufzen, welches schon mehr ein Grunzen zu nennen war.Jetzt kam es vor allen Dingen darauf an, wie weit der schwarze Ziegelschacht in die Tiefe führte. Ich lag da jedenfalls über einem altägyptischen Bauwerke, über welches sich im Laufe der Jahrhunderte oder Jahrtausende der Sand der Wüste angehäuft hatte, so daß es unter demselben vollständig verschwunden war. Jedenfalls war der Hügel, welchen ich vorhin bestiegen hatte, auch ein Teil, und vielleicht der wesentliche dieses Bauwerkes. Es war möglich, daß der Schacht eine nur geringe Höhe oder vielmehr Tiefe besaß. Es konnte aber auch sein, daß dieselbe sehr bedeutend war. In diesem letzteren Falle war er durch den niederbrechenden Sand so verstopft worden, daß der Dicke hatte stecken bleiben können. Verlor aber diese Verstopfung den Halt, so mußte der Haushofmeister mit in die Tiefe stürzen. Auf alle Fälle war die Rettung dieses Mannes eine nicht ungefährliche Aufgabe. Da er nur stöhnte, sich aber nicht bewegte, hielt ich ihn für verletzt und besinnungslos. Ich rief ihn an. Ein lautes Grunzen war die Antwort. Ich wiederholte meinen Ruf, und nun antwortete er in dumpfem, gebrochenem Tone:

»Hier bin ich, Asrael!«

Er hielt mich also für den Engel des Todes.

»Kapu kiahaja!« brüllte ich nun hinab. »Öffne doch die Augen, und siehe dich um!«

»Ich kann nicht,« antwortete er jetzt vernehmlicher. »Ich bin ja tot.«

»Auch die Toten werden, wenn sie erwachen, die Augen öffnen. Versuche es nur!«

Da schlug er die Augen auf und blickte geradeaus. Er sah die schwarze Mauer vor sich.

»Schau in die Höhe!« gebot ich ihm.

Er gehorchte und erblickte meinen Kopf, mein Gesicht.

»Du bist es, Effendi?« fragte er matt. »So bin ich also in der Hölle! O Allah, Allah, Allah!«

»Warum in der Hölle?«

»Weil ein Christ nicht in den Himmel, sondern nur in die Hölle kommen kann. Da du bei mir bist, sind wir also in der Hölle.«

Wie konnte ich den Mann von seiner Einbildung, welche seine Rettung verzögerte, befreien? Es gab ein vielleicht sicheres Mittel, nämlich seinen Heißhunger, und ich wendete dasselbe an, indem ich ihm zurief.

»Ja, wir sind in der Hölle; aber du bist nur in ein kleines Loch gestürzt. Wenn wir dich herausgeholt haben, reiten wir nach Siut heim, um das Mittagsmahl einzunehmen. Ich habe Hunger.«

»Ich auch!« antwortete er wie elektrisiert. Sein Gesicht bekam einen ganz anderen Ausdruck. Seine Augen öffneten sich weiter als vorher, und der Blick, den er jetzt nach oben sandte, war klar und forschend auf mich gerichtet.

»So wollen wir uns beeilen!« fuhr ich fort. »Du bist also nicht verwundet oder sonst irgendwie verletzt?«

»Nein – – wenn ich ja nicht gestorben bin.«

»Laß dich nicht auslachen. Du lebst. Wo hast du die Beine? Stehest oder sitzest du im Sande?«

Auf die Lage seiner Beine kam viel an. Saß er, so war der Schacht wahrscheinlich nicht tief-, hatte er sie aber in senkrechter Richtung, so steckte er im Sande über einem gähnenden Schlunde.

»Ich sitze,« antwortete er zu meiner Freude, »auf einem Fußboden von Ziegeln.«

Das erleichterte mir das Herz. Es war kein tiefer Schacht vorhanden, sondern mein Dicker saß in einem wagerechten, unterirdischen Gange, und das senkrechte, viereckige Loch, durch welches er gebrochen war, hatte diesem Gange zur Ventilation gedient.

»Stehe einmal auf!« gebot ich ihm. »Es wird dir nicht schwer fallen, da der Sand dich nicht tief bedeckt.«

Er gehorchte; aber es wurde ihm doch nicht so leicht, wie ich gedacht hatte. Die Enge des Raumes und die Schwere seines Körpers hinderten ihn. Endlich brachte er es doch fertig. Er stand, und ich konnte mit meinem hinabgestreckten Arme beinahe seinen Kopf erreichen. Dabei bemerkte ich, daß meine Sandunterlage hinreichende Festigkeit besaß; der lockere Teil derselben war hinabgestürzt. Der Dicke seufzte tief, tief auf und rief:

»O Allah, o Himmel, o Muhammed, ich bin also wirklich nicht tot; ich lebe; ich werde heimreiten und einen Hammel essen! Effendi, ich sehe nur dich allein. Wo sind die andern?«

»Sie stehen hinter mir, und du wirst sie bald zu sehen bekommen. Kannst du klettern?«

»Nein. Meinst du, daß ich eine Katze bin?«

»So komme ich hinab, um dich zu heben.«

»Dann bin ich oben, und du bist unten. Wie bringen wir dann dich hinauf?«

»Ich klettere an dem Riemen empor. Warte einen Augenblick!«

Ich stand auf und ging zu den andern. Als ich ihnen das Nötige mitgeteilt hatte, wuchs ihr Mut, und sie folgten mir an das Loch. Dort wurden die Riemen doppelt genommen und, während sie dieselben oben festhielten, hinuntergelassen. An diesem Strange kletterte ich hinab. Als ich nun neben dem Dicken stand, füllten wir den Raum, so weit derselbe die Ziegelwände hatte, vollständig aus. Wir konnten uns kaum bewegen, und darum hatte ich große Mühe, dem Dicken die Riemen um die Brust und unter den Armen hindurch auf den Rücken festzuschnallen.

Nun sollte er nach oben geschafft werden. Den schweren Mann bloß zu ziehen, das ging nicht; der Sand hätte nachgegeben und uns verschüttet; ich mußte heben. Aber wie das bewerkstelligen, da ich mich kaum zu bewegen vermochte? Es gab nur eine einzige Art der Ausführung. Ich stand hinter dem Schwarzen; er machte seine Beine so weit wie möglich auseinander, und ich ließ mich langsam niedergleiten, um mich zwischen denselben in den Sand zu setzen, so wie er vorhin gesessen hatte. Dies gelang. Dann mußte er auf meine Schultern steigen, und während die vier Männer oben zogen, erhob ich mich in dem gleichen Tempo unten, indem ich mich mit den Händen und Ellbogen an den Mauern stützte. Das war ein schweres, saures Stück Arbeit. Die oben stehenden Männer durften ihre volle Kraft nicht anwenden, da sonst der Sandboden nachgegeben hätte, und darum hatte ich den größten Teil der Last des schweren Mannes zu tragen. Aber es mußte gehen, und als ich endlich aufrecht stand, ragte sein Oberleib vollständig aus dem Loche empor, so daß sie ihn durch einen letzten, kräftigen Ruck vollends hinausbefördern konnten. Sie hatten so stark gezogen, daß er sich einige Male überkugelte und dann stöhnend liegen blieb. Dies war auf meine Weisung in ganz guter und wohlbedachter Absicht geschehen, da bei einem langsamen Hinaussteigen des unförmlichen Menschen ich der Gefahr des Verschüttens ausgesetzt gewesen wäre. Dann wurden mir die Riemen herabgelassen, und ich turnte mich an denselben ins Freie, ganz unbekümmert darum, ob die Ränder und Wände des Loches unter meinem Gewichte nun einstürzten oder nicht. Als ich oben ankam, hatte der Dicke sich eben von dem gewaltigen Rucke erholt, mit welchem man ihn aus dem Loche geschleudert hatte. Er richtete sich in sitzende Stellung auf, betastete seinen Leib und seine Beine, um zu erfahren, ob vielleicht etwas an ihnen entzwei gegangen sei, und als er sich von dem Wohlbefinden seines Körpers überzeugt hatte, richtete er sich in die Kniee auf, blickte mit dem Gesichte nach Mekka und betete die heilige Fathha, die erste Sure des Kuran. Dann erst stand er vollends auf, trat zu mir, ergriff meine Hände und sagte:

»Effendi, ich war in der Hölle und sehe den Himmel wieder; ich war tot und bin wieder lebendig geworden. Das habe ich dir zu verdanken.«

»Effendi, hast du bemerkt, wie fest ich gehalten habe, als du an den Riemen hingst?« fiel Selim plötzlich ein. »Die andern wollten loslassen, und dann wärest du in das Loch zurückgestürzt und nie wieder herausgekommen. Ich aber hielt fest, und so hast du es nur mir zu verdanken, daß du das Licht des Tages wieder zu sehen bekommst. Da bist du nun hoffentlich überzeugt, daß ich ein starker Beschützer und ein kräftiger Beschirmer bin!«

»Überzeugt bin ich allerdings,« lachte ich und wandte mich ab.

Jetzt stiegen wir auf und ritten nach der Stadt. Der Haushofmeister ersuchte uns, über das Vorgefallene zu schweigen; er befürchtete, sich an seiner Ehre gekränkt zu sehen, falls unser Abenteuer in die Öffentlichkeit dringen sollte. In Beziehung auf das Mittagsmahl waren wir zufrieden. Der Stallmeister und ich mußten als Gäste bei ihm und Selim speisen, und ich muß sagen, daß wir vier so viel vorgesetzt bekamen, daß sich dreißig Personen hätten satt essen können; aber auch nur in dieser Massenhaftigkeit allein bestand der Vorzug dieses Fest- und Freudenessens.

Es war mir ein Spaß, Selim dabei zu beobachten. Bei Murad Nassyr hätte er es nicht wagen dürfen, sich mit an den Tisch zu setzen; hier aber war er Gast, also ein Herr, welcher bedient wird. Sein Gesicht strahlte vor Wonne und Hammelfett, und er floß über von Höflichkeiten und Verheißungen. Er erzählte seine Abenteuer und rechnete uns alle seine Vorzüge an den Fingern her. Kurz und gut, er befand sich so in seinem Fahrwasser und unterhielt uns infolgedessen in einer so prächtigen Weise, daß wir sitzen blieben, bis der Abend dämmerte. Wir konnten also aufstehen, um uns sofort wieder zum Nachtmahle niederzulassen. Der. Dicke hatte während dieser Zeit so viel gegessen, daß ihm die von mir vorgeschriebenen Verbeugungen beinahe unmöglich wurden.

Ich hatte eigentlich vorgehabt, am Nachmittage die Krokodilshöhle von Maabdah zu besuchen, mußte dies aber nun auf den nächsten Morgen verschieben. Der Haushofmeister versprach mir, die dazu nötigen Vorbereitungen anzuordnen. Ich war höchst begierig, diesen Begräbnisplatz von Krokodilen, welche vor zwei- oder dreitausend Jahren einbalsamiert wurden, kennen zu lernen –——————