In der Wüste

Korosko! Ein berühmter, weit bekannter Name, und doch welch eine elende Ortschaft! Dieses nubische Dorf wird von Felsenbergen umgeben, deren nackte Abhänge wie Blechblenden die heißen Sonnenstrahlen sammeln und niederwerfen. Kein Mensch würde hier wohnen; aber bei diesem Orte verläßt der Nil – aufwärts gerechnet – seine bisherige Richtung und windet sich in einem mächtigen Bogen durch die felsige Gegend, welche Batn el Adschar, Bauch der Steine, genannt wird. In diesem Bogen giebt es mehrere Stromschnellen und Katarakte, welche die Schiffbarkeit des Stromes, wenn nicht unterbrechen, so doch sehr hemmen. Die Fahrzeuge müssen ausgeladen, an Seilen durch die Stromengen gezogen und dann wieder beladen werden, was nicht nur große Mühe, sondern auch bedeutenden Zeitverlust verursacht. Darum pflegt man von Korosko aus den großen Bogen, anstatt ihn zu Wasser mitzumachen, zu Lande abzuschneiden und so die Reise um ein Beträchtliches zu kürzen. Dieser Landweg ist ungefähr 400 Kilometer lang und führt durch die Atmur, wie die zwischen Korosko und Berber gelegene nubische Wüste genannt wird. Da der erstgenannte Ort der Ausgangspunkt dieser Wüstenreise ist, so hat man dort sein Gepäck zu ordnen, Kamele zu mieten, die letzten Einkäufe zu machen und vieles andere mehr. Dies giebt dem Orte einige Bedeutung, und dennoch besteht er nur aus höchstens fünfzehn elenden Hütten und einem Khan, in in welchem man übernachten kann. Auch eine Moschee giebt es da, deren Minaret wie ein Taubenhaus gebaut ist. Das sogenannte Postgebäude ist das einzige, welches sich einer verschließbaren Thüre zu rühmen vermag. Am Wasser stehen einige Schuppen, die mit Matten und alter Sackleinwand gedeckt sind. Das sind die Comptoire und Niederlagen der arabischen Händler, welche die Erzeugnisse des Sudans gegen diejenigen Europas umsetzen.

Der erwähnte Wüstenweg mündet bei Abu Hammed wieder auf den Nil. Er war ganz in Vergessenheit geraten. Da erteilte Mehemmed Ali einem kleinen Ababdeh-Häuptlinge den Auftrag, ihn wieder aufzufinden. Der Ababdeh löste diese schwierige Aufgabe ohne Kompaß und andere Instrumente, und dafür wurden er und seine Nachkommen zu Schechs des Wüstenstreifens ernannt. Sein Sohn hieß Hammed Khalifa und zeigte sich als absoluten Beherrscher der Wüste und Karawanen. Er erhob für jedes Kamel einen kleinen Zoll und bürgte dafür für die Sicherheit des Lebens und des Eigentumes der Reisenden. Aus diesem Grunde reiste man durch den Atmur bedenkenloser als durch andere Wüstenstrecken. Und doch reichte auch die Macht dieses Schechs nicht ganz hin, die garantierte Sicherheit zu einer vollständigen zu machen. – – –

Murad Nassyr, mein dicker Türke, war endlich mit seinem Sandal in Siut angekommen und hatte mich, Ben Nil und Selim an Bord genommen. Er erfuhr natürlich sofort, was wir erlebt hatten, und konnte gar nicht begreifen, daß der Haß Abd el Baraks so große Dimensionen angenommen hatte. Natürlich zeigte er sich sehr erfreut darüber, daß ich keinen Schaden davongetragen hatte. Als ich ihm mitteilte, daß ich die Bekanntschaft des Reïs Effendina gemacht hatte, schien er einigermaßen verstimmt darüber zu sein, und ich nahm mir vor, dieses Thema nicht wieder zu erwähnen.

Die Fahrt von Siut nach Korosko kam mir nicht langweilig vor. Es gab so viel zu sehen, zu hören, zu beobachten. Ich saß mit Murad Nassyr unter dem Zeltdache und mußte ihm, wenn er bei guter Laune war, von meinen Erlebnissen erzählen. Er schien es darauf abgesehen zu haben, meine Vergangenheit genau kennen zu lernen, und oft ruhte sein Blick mit einem Ausdrucke auf mir, welcher mich erraten ließ, daß er etwas Wichtiges mit mir vorhabe, aber noch nicht mit sich im reinen sei, ob er es mir mitteilen solle oder nicht.

Seine Schwester sah ich täglich öfters, allerdings nur tief verschleiert. Ihre zwei schwarzen Dienerinnen verhüllten die Gesichter nicht; die beiden weißen aber thaten es, wenn auch nicht mit der Strenge wie ihre Gebieterin. Einst, als der Wind den Schleier Fatmas, der Köchin und Lieblingsdienerin, zur Seite wehte, erblickte ich das Gesicht derjenigen, deren Haare ich im Pillaw gefunden hatte, und ich kann sagen, daß dasselbe ein sehr gewöhnliches war. Das Gesicht der Herrin aber hätte ich sehr gern einmal gesehen.

Wenn sie sich auf dem Deck erging und ich, dasselbe thuend, ihr begegnete, so durfte ich sie grüßen und erhielt einige Worte der Erwiderungvon ihr. Sie erlaubte und that dies, weil sie mir zur Dankbarkeit verpflichtet war. Ihr Bruder sagte mir, daß die Zierde ihres Hauptes wieder zu wachsen beginne. Mein Haarmittel hatte gewirkt. Ihre Stimme war ein sanfter, reiner, tiefer Alt, welcher sehr sympathisch klang.

Wenn ich geglaubt hatte, etwas Näheres über Murad Nassyrs Verhältnisse zu erfahren, so hatte ich mir dies leichter vorgestellt, als es war. Er hielt in dieser Beziehung sehr zurück und schien mich erst genauer kennen lernen zu wollen.

Als wir in Korosko ankamen, verließen wir das Schiff. Der Reïs sollte es über die Katarakte wegbringen, während wir die schnellere Landreise machen wollten. Wir waren zusammen neun Personen, nämlich Murad Nassyr, seine Schwester, ich, vier Dienerinnen, Ben Nil und Selim. Da der Sandal sofort weiter segelte, mußten wir im Orte Quartier nehmen. Wir zogen also in den Khan, wo die Damen vollständig abgesondert logierten.

Das waren langweilige Tage. Wir brauchten Kamele, und es wurden keine gebracht. Die Beduinen ließen uns warten, um recht hohe Löhne von uns zu erpressen. Um mir die Zeit zu vertreiben, schoß ich in den wenigen und sehr lichten Palmengärten nach Tauben oder setzte mich in den lieben Nilschlamm, um zu fischen, was in der Hitze jener Gegend keine Erholung ist. Abends saßen wir rauchend zusammen, um die Kühle zu genießen, und es ist wahr, die Nächte sind dort von einer solchen Temperatur, daß man einen wollenen Überrock recht wohl vertragen könnte.

Es war am dritten Tage des Abends. Wir saßen wieder beieinander, nämlich Murad Nassyr und ich, und ich hatte ihm einige Kapitel aus der biblischen Geschichte erzählt, wofür er sich zuweilen interessierte, da fragte er mich:

»Warum dürft ihr nicht mehrere Frauen nehmen?«

»Das ist sehr einfach. Weil Gott dem Adam nur eine gab.«

»Dürftest du eine Heidin oder eine Muhammedanerin beiraten?«

»Nein.«

»O Allah! Was ist den Christen nicht alles verboten! Wir fragen unsere Frauen nicht, was sie glauben, denn das Weib hat keine Seele. Wenn du nun eine Muhammedanerin liebtest? Würdest du auch diese nicht nehmen?«

»Vielleicht, ja; aber sie müßte Christin werden.«

»Das würde ihr nicht einfallen, sondern sie würde von dir verlangen, Moslem zu werden.«

»Das würde nun wieder mir nicht einfallen.«

»Wenn sie nun sehr schön wäre?«

»Auch dann nicht.«

»Und dazu sehr reich?«

»Nein.«

»Aber du bist doch arm!«

»Du irrst. In meinem Glauben bin ich reich. Ich tausche mit keinem Menschen.«

Er sah einige Zeit vor sich nieder, betrachtete dann mich eine Weile und fuhr nachher fort:

»Ich habe dir schon früher gesagt, daß ich dich gesehen habe und von dir sprechen hörte. Du bist ein Mann für mich, und ich wünsche, dich an mich zu fesseln. Erlaube, daß ich dir etwas zeige!«

Er zog ein Portefeuille aus der Tasche, öffnete es und hielt mir es dann hin. Ich sah ein ganzes Paket hoher Noten der englischen Bank.

»Weißt du, welchen Wert diese Scheine haben?«

»Es ist ein Vermögen.«

»Und trotzdem ist das nur ein kleiner Teil dessen, was ich besitze. Und nun will ich dir noch etwas zeigen. Aber von dem, was du jetzt zu sehen bekommst, sollst du ja nicht sprechen. Komm!«

Ich sah, daß die Entscheidung gekommen sei. Er wollte mich für sich gewinnen, wozu und zu welchem Zweck, das mußte ich abwarten. Wir verließen sein Gemach, in welchem wir uns befanden, traten in den Hof hinaus und gingen zu der Thüre, welche in die Räume führte, die von seiner Schwester und deren Dienerinnen bewohnt wurden. Er klopfte an; eine Schwarze öffnete. Er sagte ihr einige leise Worte, und wir wurden eingelassen. Er führte mich zu einer innern Thüre, zeigte auf dieselbe und sagte:

»Tritt ein! Ich werde dich hier erwarten.«

Unter Thüre darf man hier nicht das verstehen, was wir uns unter diesem Worte denken, sondern dicke Palmenmatten, welche beliebig fortgeschoben oder auch ganz weggenommen werden können. Ich schob die Matte zur Seite und trat ein. Was ich sah, das mußte mich in ein nicht geringes Staunen versetzen. Auf einigen übereinander gelegten Teppichen lag ein junges Mädchen von vielleicht siebzehn Jahren. Den linken Arm, in dessen Hand der Kopf ruhte, hatte sie auf ein Kissen gestemmt. Sie trug weite und bis an die Knöchel reichende Frauenhosen; die nackten Füße steckten in Samtpantoffeln; den Oberleib verhüllte eine Art Jäckchen, welches von roter Farbe und reich mit Gold gestickt war, und darüber fiel vom Halse bis auf die Füße ein schleierartiges Oberkleid. Das Haar, in welchem Perlen und goldene Münzen funkelten, war in lange Zöpfe geflochten. An allen Fingern glänzten Ringe. Die Wimpern und Brauen waren mit Khol gefärbt und die Fingernägel mit Hennah gerötet.

Das Gesicht – – ah, dieses Gesicht! Wenn von einer orientalischen Schönheit gesprochen wird, so stellt man sich, um mit dem Dichter zu sprechen, ein »nächtig-, mächtig-prächtiges« Wesen vor, mit den Zügen einer Kleopatra, Emineh oder Schefaka. Und hier – –? Auf den Jahrmärkten meiner Vaterstadt hielt gewöhnlich ein Mädchen aus dem erzgebirgischen Beierfeld Reibeisen und blecherne Löffel feil, welches ein ganz eigenartiges Gesichtchen hatte, so klein und zusam-mengedrückt, eine zwei Finger schmale Stirn, ein Näschen wie eine trockene Zwetschge, nur nicht schwarz, kleine, schmale Lippen, Öhrchen wie ein Mäuschen und Äuglein so klein und so lustig und listig wie – na wie eben auch ein Mäuschen. Ich hatte dieses Gesichtchen nie vergessen können. Und nun lag es da vor mir, dieses Beierfelder Mäuschen, aber in orientalischem Gewande. Es blickte mich aus dem unverschleierten Gesicht halb verschämt, halb erwartungsvoll an und sagte kein Wort.

Aufrichtig gestanden, ich war ein wenig das, was man perplex zu nennen pflegt. So eine Überraschung hatte ich nicht erwartet, und daher kam es, daß ich mich zu der nicht eben geistreichen Frage gedrängt fühlte:

»Wer bist du?«

»Kumra,« antwortete sie.

Dieser türkische Name bedeutet Turteltaube. Sie hatte ihn mit einer tiefen Altstimme ausgesprochen, was mich zu der zweiten Frage veranlaßte:

»Die Schwester Murad Nassyrs?«

»Ja, Effendi.«

»Wußtest du, daß ich kommen würde?«

»Mein Bruder sagte es mir.«

»Bist du wieder krank? Wünschest du, eine Arznei zu haben?«

»Nein. Du hast den Glanz meines Hauptes wieder hergestellt, und weiter fehlt mir nichts.«

»So sage mir, weshalb du mich sehen wolltest!«

»Wolltest? Ich sollte dich sehen. Mein Bruder wünschte es.«

»Nun, so sieh mich einmal an, aber so genau wie möglich!«

Ich stellte mich nahe vor sie hin und drehte mich schnell dreimal um meine eigene Achse. Es flog ein fröhliches Lächeln über ihr Gesichtchen, als sie sagte:

»O Effendi, ich habe dich ja schon so oft gesehen; ich wollte sagen, daß du mich sehen solltest, nicht ich dich.«

»Ah! Warum?«

»Mein Bruder wird es dir sagen.«

»So darf ich wohl fragen, ob die gegenwärtige Audienz zu Ende ist?«

»Ja, sie ist beendet. Er wird dich erwarten.«

Ich verbeugte mich auf orientalische Weise und trat wieder hinaus. Da stand Murad Nassyr, nahm mich beim Arme und führte mich wieder in seine Stube hinüber. Wir setzten uns wie vorhin neben einander, brannten unsere Pfeifen an, und dann entfuhr seinen Lippen das fragende Wörtchen:

»Nun – –?«

»Was – –?« fragte ich zurück, da mir nichts Besseres einfiel.

»Sahst du sie in all ihrer Schönheit und Lieblichkeit?«

Ich dachte an das Beierfelder Mäuschen und antwortete, leider vollständig gegen meine Überzeugung:

»Wunderbar!«

»Nicht wahr, sie ist herrlich?«

»Wie die Morgenröte!«

»Ein wahrer Sonnenstrahl! Noch kein unberufenes Auge hat ihr Angesicht geschaut. Du bist außer ihrem Bräutigam, welchem ich sie zuführe, der einzige, welchem eine solche Gnade zu teil wird.«

»Warum gerade mir diese Gnade?«

»Weil sie eine Schwester hat.«

»Ah – sie – hat eine – –?«

»Ja, eine Schwester, welche um ein Jahr jünger ist und ganz dieselben Züge besitzt, das schöne Näschen, die funkelnden Augen, alles, alles ist genau dasselbe. Hörst du, was ich sage?«

Er bemerkte jedenfalls, daß ich etwas nachdenklicher oder vielmehr, daß mein Gesicht bedeutend länger geworden war.

»Ich höre es,« antwortete ich.

»Und verstehst du es auch?«

»Deine Güte ist heute so unendlich groß, daß ich sie weder verstehen noch begreifen kann.«

»Das höre ich nicht gern. Es fällt mir nicht leicht, dir das zu sagen, was du nicht begreifst.«

»So sage es nicht. Du brauchst dir keine Schmerzen zu verursachen.«

»Aber du sollst und mußt es wissen, und wenn du es nicht errätst, so muß ich es dir doch sagen. Ich teilte dir bereits mit, daß ich dich an mich zu fesseln beabsichtige. Weißt du, daß meine Schwestern reich sind?«

»So ist Allah gegen dich freundlicher gewesen als gegen mich. Ich habe keine reichen Schwestern.«

»Die brauchst du auch nicht, da du eine sehr reiche Frau haben wirst.«

»Freund, das ist mir bisher unbekannt gewesen; habe ich doch noch nicht daran gedacht, mir ein Weib zu nehmen.«

»Auch das ist nicht notwendig. Du brauchst es dir nicht zu nehmen, denn du bekommst es von mir.«

»Behalte es, behalte es! Meine aufrichtige Freundschaft für dich verbietet mir, dich zu berauben.«

»Du beraubst mich nicht, denn ich gebe dir nicht eine von meinen Frauen, sondern meine jüngere Schwester.«

O weh! In was für eine Beißzange war ich da geraten! Ich fühlte es förmlich, wie er sie fester und fester zusammendrückte. Wie konnte ich mich befreien? Er handelte gegen alle orientalische Gewohnheit und Tradition, ob aus Freundschaft oder aus Eigennutz, das blieb sich gleich. Eine Abweisung war eine großartige Beleidigung und mußte ihn mir zum Todfeinde machen. Wäre dieser Unglückselige doch nicht auf diesen Gedanken gekommen! Er konnte die jüngere Schwester, meinetwegen auch die ältere und alle eventuellen übrigen dazu dem Großsultan zum Geburtstage schenken! Und dabei ließ er mich nicht aus den Augen, sondern er hielt den Blick unausgesetzt auf mein Gesicht gerichtet, um aus demselben meine Gedanken zu erraten. Als ich aber gar nichts that und sagte, fragte er:

»Darf ich deine Meinung hören?«

»Meine Meinung ist, daß man mit so ernsten und wichtigen Dingen nicht scherzen soll.«

»Wer sagt dir, daß ich scherze? Es ist mein Ernst.«

»Unmöglich! Weil ich ein Christ bin.«

»Eben daraus magst du erkennen, daß ich dich sehr hoch schätze. Du sollst meine Schwester zum Weibe haben, ohne deinen Glauben ändern zu müssen.«

»Dann müßte sie dem ihrigen entsagen!«

»Auch das ist nicht notwendig. Man läßt den Kadi kommen; du sagst ›Bu benum‹ zu ihr; er unterschreibt, und dann ist sie dein Weib.«

»Das ist mir als Christ verboten. Nur diejenige kann als das Weib eines Mannes gelten, welche ihm vom Priester angetraut wurde.«

Schon glaubte ich, ihm entwischt zu sein, da aber meinte er:

»So laß sie dir antrauen!«

»Das geht nicht, da sie keine Christin ist.«

Er senkte den Kopf, machte ein finsteres Gesicht und schüttelte unmutig den Kopf. Ich war überzeugt, daß er sein abenteuerliches Anerbieten jetzt zurücknehmen werde, ja, zurücknehmen müsse, hatte mich aber auch jetzt vollständig verrechnet, denn er hob plötzlich den Kopf, schlug wie unter einem raschen Entschlusse die Hände zusammen und rief:

»Nun wohlan, so mag sie Christin werden! Die Frauen haben keine Seelen; sie kommen weder in den Himmel noch in die Hölle; da ist es ganz gleichgiltig, ob sie Allah oder Gott, ob sie Muhammed oder Christus sagen.«

Der gute Mann that ja über alle seine, aber noch mehr über meine Kräfte! Ich hatte nicht das geringste verlangt, und er erklärte sich zu den schwersten Zugeständnissen bereit. Was war zu machen? Am liebsten wäre ich davongelaufen; aber ich mußte bleiben und ihm pfiffig kommen. Schon wollte ich den Mund zu einer Ausrede öffnen, da forderte er mich auf:

»Also sage mir aufrichtig, ob Kumra dir wirklith gefallen hat!«

»Hältst du es für möglich, daß jemand das Gegenteil behaupten könne?«

»Nein, denn sie ist die Krone der Lieblichkeit und das Vorbild der Schönheit. Ich habe sie dir gezeigt, um dir einen Begriff von ihrer jüngeren Schwester zu geben. Diese wird dir wenigstens ebenso gefallen, und da du siehst, daß ich dir in allem entgegen komme, so wirst du jetzt mit Freuden deine Einwilligung geben. Hier ist meine Hand. Schlag‘ ein!«

Er streckte mir wirklich die Hand entgegen; ich zögerte natürlich, ihm die meinige zu geben, und antwortete:

»Nicht so schnell! Es giebt noch Verschiedenes zu bedenken.«

»Was noch? Ich habe ja in alles gewilligt.«

»In alles Bekannte; aber es giebt noch Unbekanntes. Haben deine Schwestern noch Vater und Mutter?«

»Nein. Ich bin ihr einziger Herr und Gebieter, und sie müssen thun, was ich ihnen befehle.«

»So laß derjenigen, von welcher du sprichst, Unterricht im Christentum erteilen. Sie muß unsere Lehre genau kennen lernen, denn sie wird darin exarniniert. Wenn sie das Examen nicht besteht, so muß sie Moslema bleiben und kann also nicht meine Frau werden. Ich kann dir also nicht eher eine bestimmte Antwort erteilen, als bis sie ihr Examen gemacht hat.«

Da sprang er zornig auf, fuchtelte mit dem Tschibuk hin und her und rief:

»Da mag der Teufel ein Christ sein, ich aber nicht! Wenn es für euch so schwer ist, in die Ehe zu kommen, um wie viel schwieriger muß es da sein, in den Himmel zu kommen. Aber du sollst sehen, daß ich meinen Plan doch durchsetze. Meine Schwester ist ein kluges Mädchen; sie ist fast klüger als ich selber; sie wird sich schnell in eure Lehre finden und ein sehr gutes Examen bestehen. Da das für mich über allen Zweifel erhaben ist, so werde ich dich bereits jetzt als ihren Gatten behandeln und dich in mein Geschäft einweihen, in welches du eintreten sollst.«

Da, da brach es also doch noch herein, was ich gefürchtet hatte! Das ferne Donnergrollen war vorüber, und nun zuckte der Blitz hernieder, den ich hatte abwenden wollen. Ich ahnte, was er mir vorschlagen werde; ich kannte meine Antwort voraus und wußte, daß dieselbe mich mit ihm entzweien müsse. Es war mir nicht mehr möglich, unter falscher Flagge zu segeln; ich mußte Farbe bekennen, und das schadete eigentlich auch gar nichts, da der Bruch doch früher oder später kommen mußte.

Er setzte sich wieder nieder, schien nach einem passenden Anfange zu suchen und fragte dann:

»Weißt du, welches Geschäft unter allen Geschäften die meisten Zinsen bringt?«

»Ja. Das Geschäft eines Attar

»O, ich kenne eins, welches noch viel mehr und viel schneller lohnt. Auch der Apotheker muß seine Waren kaufen und bezahlen; bei dem Geschäft aber, welches ich meine, erhält man sie umsonst.«

»So meinst du den Diebstahl, den Raub?«

»Du wendest zu harte Worte an.«

»Nein. Übrigens ist dieses Geschäft das allerschlechteste, welches ich mir denken kann, denn man bekommt die Waren nicht, wie du irrig meinst, umsonst, sondern man muß sie viel, viel teurer als jeden andern Gegenstand bezahlen.«

»Womit denn?«

»Mit der Ruhe des Gewissens und mit der ewigen Seligkeit. Das ist doch weit, weit mehr als Geld.«

»Du sprichst als Christ; ich aber denke und fühle als Moslem. Auch rede ich nicht vom gemeinen Raube oder Diebstahle.«

»Ich weiß es. Du meinst die Sklaverei.«

»So ist es.«

»Weißt du noch, was du mir über diesen Gegenstand in Kahira gesagt hast?«

»Ja, ich weiß es noch sehr genau.«

»Du sagtest: ›Jch kann gar nicht die Absicht haben, Neger zu fangen.‹ jetzt aber scheinst du anderer Ansicht zu sein.«

»Ich denke jetzt gerade so wie damals. Laß mich zu dem, was ich sagte, einige Worte hinzufügen! Ich meinte: Ich habe gar nicht die Absicht, Neger zu fangen, aber ich bin entschlossen, welche zu kaufen.«

»Das ist sogar noch schlimmer. Warum wird der Hehler strenger bestraft als der Dieb? Weil er den letzteren zum Diebstahle verführt. So auch in dem angegebenen Falle. Wenn es keine Sklavenhändler gäbe, würde es auch keine Sklavenjäger geben.«

»Du vergissest ganz, daß die Sklaverei eine geheiligte Einrichtung ist. Schon die Erzväter haben Sklaven gehabt, und wir Moslemin, welche den Glauben und die Gebräuche derselben noch heute besitzen, können ohne die Sklaverei gar nicht existieren.«

»Darüber ließe sich streiten; ich will es aber nicht thun. Ich verurteile die Sklavenjagden; das ist alles, was ich sage.«

»Verurteile sie, so viel du willst; ich habe nichts dagegen. Du sollst ja gar nicht jagen. Wenn du den Vorschlag hörst, den ich dir zu machen habe, wirst du ganz anders über diese Sache denken.«

»Gewiß nicht!«

»So höre mich nur! Ich kenne dich von früher und habe dich für einen kühnen, unternehmenden Mann gehalten. Was du nun in den letzten Wochen erlebt und gethan hast, das ist mir ein Beweis, daß du jede Gefahr beherrschest und selbst aus den schlimmsten Lagen einen Ausweg findest. Darum mache ich dir meine Mitteilungen, die du erst später hören solltest, schon jetzt. Ich werde so kurz wie möglich sein.«

»Das ist mir lieb.«

»Also: ich kenne einen berühmten Sklavenjäger, welcher – –«

»Meinst du etwa Ibn Asl ed Dschasuhr?« unterbrach ich ihn.

»Wen ich meine, das kann ich dir nur in dem Falle sagen, daß du auf meinen Vorschlag eingehest. Mit diesem Manne bin ich in Verbindung getreten. Ich werde mich seiner und seiner Ehrlichkeit gegen mich dadurch versichern, daß ich ihm meine älteste Schwester zur Frau gebe.«

»Hat er sie verlangt?«

»Ja. Wir sind miteinander darüber einig geworden. Ich werde in der Nähe von Chartum einige Stationen gründen, heimlich natürlich, da der Sklavenhandel verboten ist. Unterdessen geht der Mann meiner Schwester auf die Jagd und bewahrt seine Beute an gewissen Stellen des Stromes auf. Es giebt da Inseln und Buchten, welche unzugänglich sind. Diese besuchst du, um die Sklaven dort abzuholen und mir zu bringen. Das ist deine Arbeit. Dafür bekommst du meine jüngere Schwester zur Frau und den dritten Teil des Gewinnes als Lohn. Außerdem habe ich dir schon gesagt, daß meine Schwestern reich sind.«

Ich hatte einen ähnlichen Antrag erwartet, aber doch nicht in dieser Weise. Ich war ganz starr und blickte Murad Nassyr an, als ob ich nicht sprechen könne.

»Nicht wahr, so ein reiches Anerbieten hättest du nicht erwartet!« lächelte er. »Ich weiß, daß du es annehmen wirst, denn du bist kein Thor, würdest aber einer sein, wenn du diese Gelegenheit, dein Glück zu machen, vorüber gehen ließest. Dennoch will ich dir bis morgen mittag Bedenkzeit geben,denn ––«

»Bedenkzeit brauche ich nicht,« unterbrach ich ihn. »Ich kann dir meine Antwort schon in diesem Augenblicke sagen.«

»So sprich! Ich bin überzeugt, daß du mit Freuden zustimmst.«

»Warte noch! Also drei sollen zu einem Compagniegeschäft zusammentreten, der Sklavenjäger, du, der Sklavenhändler, und ich?«

»So ist es; so meine ich es.«

»Du errichtest heimliche Niederlagen zum gelegentlichen Verkaufe oder Weitertransporte. Das ist nicht gefährlich, da du die Schuld stets auf andere wälzen kannst. Der Sklavenjäger hat auch nichts zu riskieren, da er sich bei dem Überfalle der Negerdörfer so fern vom Kampfe hält, daß er weder verwundet noch gar getötet werden kann. Zwischen euch beide habe ich zu treten. ich soll die Sklaven von den Seriben abholen und dir zuführen. Das geht durch wilde oder gar feindliche Gebiete, und außerdem habe ich mich der Soldaten der Regierung zu erwehren, welche förmlich Jagd auf mich machen werden.«

»Das ist alles wahr; aber gerade darum ist meine Wahl auf dich gefallen. Du bist der Mann, welcher für solche Gefahren wie geschaffen ist.«

»Es freut mich, daß du mich für einen mutigen Mann hältst; aber es freut mich ganz und gar nicht, daß du mich zugleich für fähig hältst, meinen Mut auf einem solchen Felde in Anwendung zu bringen. Die Sklaverei ist eine Schande für die gegenwärtige Menschheit, und die Sklavenjagd ist ein Verbrechen, welches zum Himmel schreit. Ich würde selbst eine kleine Sünde wissentlich nicht um vieles Geld begehen, um wie viel weniger werde ich diese Schande und solche Blutthaten auf mein Gewissen.Iaden. Wie du einem Christen, und zudem mir, einen solchen Antrag stellen konntest, das ist mir unbegreiflich.«

Er war vollständig enttäuscht; das sah man seinem Gesichte an, als er jetzt fragte:

»Ist das wirklich die Antwort, welche du mir geben willst?«

»So ist es.«

»Bedenke den Gewinn!«

»Ein ruhiges Gewissen ist mir lieber.«

»Und meine Schwester!«

»Gieb sie, wem du willst.«

»Verachtest du sie etwa?«

»Nein. Du hast sie mir angeboten und dabei gegen eure Gebote und heiligsten Gebräuche gehandelt; das könnte mich stolz machen; aber ich kann mir dieses Vorbild der Schönheit und Muster der Lieblichkeit leider nicht verdienen. Ich will dich nicht beleidigen. Du wirst mir verzeihen, daß ich nach den Geboten meiner Religion handle. Gehen wir in Frieden auseinander!«

Ich stand bei diesen letzten Worten auf. Auch Murad Nassyr erhob sich, warf den Tschibuk zornig fort und fragte:

»In Frieden? Wie wäre das möglich! Wenn wir jetzt scheiden, so sind wir Feinde, grimmige Feinde für das ganze Leben.«

»Ich kann die Notwendigkeit dazu nicht ersehen.«

»Sie liegt klar zu Tage. Du hast mir erzählt, was in den letzten Tagen geschehen ist. Du bist ein Freund des Reïs Effendina und willst ihn in Chartum aufsuchen. Du willst ferner den Sklavenhändler Ibn Asl finden und – –«

»Ah, so giebst du also zu, daß er derjenige ist, mit welchem du in Verbindung stehst!«

»Nichts gebe ich zu; gar nichts erfährst du von mir! Ich wollte nur beweisen, daß du nicht der Freund meiner Feinde sein kannst, ohne auch mein Feind zu sein. Du weißt nun zu viel von mir; scheiden wir, so bist du mir gefährlicher als alle andern. Darum überlege es dir noch einmal, ob du bei deinem Entschlusse bleiben willst!«

»Es bedarf keiner Überlegung.«

»Du wirst diesen Entschluß nicht ändern?«

»Nein.«

»Wohlan, so sind wir geschieden, und ich bedaure, daß ich dich mit Wohlthaten überschüttet habe.«

Sein Gesicht hatte einen ganz andern Ausdruck bekommen. Die biedere, ehrliche Aufrichtigkeit war verschwunden; sie hatte der Miene drohenden Hasses Platz gemacht. In seinen blitzenden Augen stand deutlich zu lesen, daß er von jetzt an mein unerbittlicher Feind sein werde.

»Mit Wohlthaten überschüttet?« fragte ich ruhig. »Ich aß und schlief bei dir, weil du mich so dringend einludest, daß es eine Unhöflichkeit gewesen wäre, es abzuschlagen. Nennst du das Wohlthat?«

»Ich bezahlte die Passage und gab dir außerdem noch Geld!«

Jetzt zeigte er sich als der gemeine Charakter, wie er zum Sklavenhändler geeignet ist. Ein anderer hätte ihm geantwortet, ihm die Wahrheit gesagt; ich that dies nicht; ich zog meinen Beutel, zählte den Betrag ab, welchen er ausgegeben hatte, warf denselben auf den Teppich und ging. Als ich mich unter der Thüröffnung befand, rief er:

»Halt noch einmal! Willst du wirklich nicht nach –«

Ich ging weiter, ohne auf seine Worte zu achten. Da brüllte er mir nach:

»So packe dich, du Hund, und nimm dich nun vor mir in acht!«

Von Schlaf war jetzt bei mir keine Rede; ich mußte zunächst meine innere Erregung zur Ruhe bringen. Darum verließ ich den Chan, ging an dem Wächter desselben vorüber und wendete mich durch den Ort der Wüste zu. Wie unverzeihlich unvorsichtig war ich gewesen, als ich mich in Kairo von diesem Murad Nassyr überreden ließ, bei ihm zu bleiben! jetzt hatte ich ihm sein Geld zurückgegeben und stand nun hier im fernen Nubien, ohne die ausreichenden Mittel zur Heimkehr zu besitzen! Doch das machte mich nicht bange; mich erregte nur die Enttäuschung, welche ich erfahren hatte. Für einen solchen Menschen hatte ich Murad Nassyr denn doch nicht gehalten.

Wohl über eine Stunde war ich gegangen, als ich von fern her ganz eigentümliche, seltsame Töne vernahm. Es war, als ob der Wind durch eine Äolsharfe strich. Das Gekling kam näher und wurde deutlicher. Ich unterschied weibliche Stimmen und den Klang von Saiten. Nun erschien ein Kamelreiter, dessen Lanzenspitze im Strahle des Vollmondes funkelte. Als er mich erblickte, bog er weit aus. Ihm folgten zwölf Kamele, welche Tachtirwans, trugen, aus denen die singenden, plaudernden und lachenden Stimmen erschallten. Hinterher kamen mehrere bewaffnete Männer. Wie Schatten flogen die hochbeinigen Kamele an mir vorüber. Man hätte an Freiligraths »Geisterkarawane« denken können.

Das war ein Transport junger Sklavinnen, welche heimlich nach Ägypten gebracht wurden. Man zwingt die Armen, unterwegs zu lachen, zu singen, zu scherzen, damit sie sich nicht vergrämen und infolgedessen ihren Wert verlieren. Der Zug kam wohl von Abu Hammed her, hütete sich aber, in Korosko zu halten und sich dort sehen zu lassen.

Ich kehrte um und legte mich, im Chan angekommen, zur Ruhe. Zu einem richtigen Schlafe aber brachte ich es nicht. Nicht daß der Verlust von Nassyrs Freundschaft oder gar die Angst vor ihm mich beunruhigt hätte, o nein; ich hatte an anderes zu denken.

Vor allen Dingen beschäftigte mich sein wahrscheinliches Verhältnis zu Ibn Asl, dem Sklavenjäger. Ich wollte den Aufenthalt dieses Mannes kennen lernen; um denselben zu erfahren, brauchte ich nur Murad Nassyr im Auge zu behalten. Hatte ich mich mit diesem Türken entzweit, so wollte ich nun um so nachdrücklicher für den Führer in Maabdah thätig sein, um womöglich dessen verschollenen Bruder aufzufinden.

Ich stand zeitig auf, setzte mich vor die Thüre des Chans und ließ mir von dem Chandschi Kaffee bringen. Indem ich über das erwachte Tierleben meine Betrachtungen anstellte, sah ich einen Reiter kommen. Er war noch so fern, daß man ihn kaum erkennen konnte, mußte aber ein ausgezeichnetes Tier reiten, denn er kam so rasch näher, daß er scheinbar aus der Erde wuchs. Als er nahe genug gekommen war, erkannte ich ihn. Es war zu meinem Erstaunen der Schiffslieutenant des Reïs Effendina. Ich stand natürlich auf, um ihn zu bewillkommnen. Er sah mich, lenkte sein Tier auf mich zu, ließ es knieen und sprang aus dem Sattel.

»Wie kommst du nach Korosko?« fragte ich ihn. »Ich mußte den Emir doch in Chartum glauben.«

»Er war auch dort. Wo er sich jetzt befindet, werde ich dir sagen, wenn ich mit dem Schech el Beled, gesprochen habe, den ich jetzt gleich aufsuchen muß.«

»Er ist auch schon wach. Ich sah ihn vorhin vor seiner Hütte knieen, um das Morgengebet zu beten.«

Ich zeigte ihm die Hütte, und er schritt derselben zu, um dem Schech seinen Auftrag auszurichten. Sein Kamel kniete in meiner Nähe. Es war ein herrliches, sehr teures Tier von mausgrauer Farbe, an welcher man die echten Reitkamele erkennt. Wie kam der Lieutenant zu einem solchen Eilkamele? Es giebt Tiere dieser Rasse, welche an einem Tage und ohne einmal anzuhalten über hundert Kilometer zurücklegen. Es war auch sehr wohl erzogen, denn als ich es streichelte, sah es mich mit den großen Augen zutraulich an und verfiel nicht in die gewöhnliche Unart der Kamele, welche Fremde beißen, treten oder auch wohl gar anspeien. Noch war ich mit dem Tiere beschäftigt, da trat Selim aus dem Thore. Er schien mich gesucht zu haben, denn er kam, als er mich erblickte, auf mich zu und sagte:

»Effendi, ich habe sehr, sehr Schlimmes vernommen und möchte infolgedessen eine große Bitte an dich richten, welche du mir vielleicht genehmigen wirst.«

»Was ist’s?«

»Du hast dich mit Murad Nassyr verfeindet?«

»Wer sagte es dir?«

»Er selbst und verbot mir streng, mit dir zu reden.«

»Und da kommst du als sein treuer Haushofmeister sofort zu mir, um sein Gebot zu übertreten?«

»Ja, das thue ich, denn du weißt, daß ich dich viel lieber habe als ihn.«

»Natürlich,« antwortete ich, obgleich mich seine Dummheiten sehr oft geärgert hatten. »Welche Bitte willst du mir denn zu hören geben?«

»Ich mag nicht länger bei Murad Nassyr bleiben.«

»Ah! Warum? Hast du es nicht gut bei ihm? Bist du unzufrieden mit ihm?«

»Ich habe es gut und bin auch zufrieden; aber seit wir von Siut unterwegs sind, redet er von Dingen, welche mir ganz und gar nicht gefallen.«

»Von welchen Dingen?«

»Ich stehe noch in seinem Dienste und weiß also nicht, ob ich es dir verraten darf.«

»Meinst du etwa den Sklavenhandel?«

»Richtig, sehr richtig! Wie ich höre, weißt du auch schon, daß er ein Sklavenhändler ist.«

»Das weiß ich allerdings.«

»So bin ich also kein Verräter, wenn ich mit dir davon rede. Er verlangt von mir, daß ich in seinem Dienste bleiben soll. Wenn ich dies thue, und wir werden erwischt, so kann es mir schlecht ergehen.«

»Fürchtest du dich schon wieder einmal!«

»Fürchten? Nein. Du weißt, daß ich der größte Held aller Beduinen bin und es mit tausend Kriegern aufnehme. Ich will auch gerne bei passender Gelegenheit den Heldentod sterben, aber als Sklavenhändler möchte ich mich doch nicht gerne aufknüpfen lassen.«

»Das ist sehr ehrenwert von dir gedacht.«

»Du giebst mir also recht?«

»Ja.«

»So werde ich meinen Dienst auf der Stelle verlassen. Aber was soll ich dann anfangen? Wenn ich dich nicht so lieb hätte, würde ich gar nicht fragen; so aber geht es mir zu Herzen, von hier zu scheiden, und da möchte ich dir eine Vorstellung machen.«

»Rede nur!«

»Schau, Effendi, du bist ein kluger Mann; du kennst alle Wissenschaften und dringst in die Tiefen aller Geheimnisse; aber einen Fehler hast du doch.«

»Welchen?«

»Dir fehlt ein Diener, wie ich einer bin. Man würde dich zehnmal mehr als bisher respektieren, wenn man sähe, daß ich dir zur Seite stehe.«

»Du möchtest also bei mir bleiben?«

»Ja, Effendi.«

»Das geht nicht, denn deine immerwährende Tapferkeit gefällt mir nicht; sie kann leicht Mord und Totschlag über mich bringen.«

»O, was das betrifft, so darfst du keine Sorge haben. Wenn ich in meinem überschäumenden Mute mit jemand einen Kampf beginne, so fechte ich ihn auch selber aus; da kennst du mich ja zur Genüge. Du hättest also gar nicht nötig, dich meinetwegen in eine Gefahr zu begeben; im Gegenteile würde ich jeden Augenblick bereit sein, mich und meine Heldenenergie für dich aufzuopfern.«

»Es würde für mich und dich nützlicher sein, wenn du sie behieltest, anstatt sie aufzuopfern.«

»Ganz wie du befiehlst; ich werde dir gerne gehorchen. Was wirst du nun zu meinem Vorschlage sagen?«

»Ich werde ihn mir überlegen.«

»Effendi, da giebt es ja gar nichts zu überlegen. Es kann gar keinen Menschen geben, der so wertvoll für seinen Herrn ist, wie ich.«

»Möglich; aber ich habe schon einen Diener.«

»Ben Nil? Was nützt dir dieser junge Mensch? Welche Schlachten hat er geschlagen und welche Siege errungen?«

»Er ist noch jung und kann leicht ein noch viel größerer Held werden, als du jetzt bist.«

»Das glaube ich nicht. Er nimmt keine Lehre an; er hört mir nicht zu; er widerspricht mir stets. Wer nichts lernen will, aus dem kann nie etwas werden.«

»Du als der Erfahrene und Verständige mußt Nachsicht haben. Es wäre mir lieb, wenn du dich seiner annehmen wolltest.«

»Wenn du es wünschest, werde ich es sehr gerne thun. Ich will seine Schwächen ertragen und seine Dummheiten mit Gleichmut und Geduld schonen.«

»So suche ich ihn jetzt auf, und sage ihm, daß du bei mir bleiben willst. Was er mir dann rät, das werde ich thun.«

»Wie? Du, ein so berühmter Effendi, willst dich von dem Willen eines Dieners abhängig machen?«

»Abhängig nicht, aber berücksichtigen will ich ihn, da Ben Nil es ist, der mit dir zu verkehren hat.«

»Was das betrifft, so muß er es als eine große Ehre schätzen, den Glanz meiner Gegenwart genießen zu dürfen. Aber da du es wünschest, werde ich mit ihm sprechen und dir dann melden, daß er hochbeglückt von meiner Nachricht ist.«

Er ging. Ich hätte dieser Unterredung gerne als Lauscher beigewohnt. Es hatte sich nämlich zwischen den beiden Dienern ein ganz eigentümliches Verhältnis entwickelt. Sie hatten einander lieb gewonnen, und doch lagen sie einander vom Morgen bis zum Abend in den Haaren. Selim besaß trotz seiner Fehler ein sehr gutes Gemüt und war in allen seinen Besorgungen, wobei kein Mut von ihm gefordert wurde, höchst zuverlässig und aufmerksam. Man mußte ihm seine krankhafte Idee, als Helden gelten zu wollen, verzeihen. Ben Nil hatte mein ganzes Interesse erweckt. Er war ernst und still und entwickelte trotz seiner Jugend Ansichten, welche mancher Alte nicht besaß. Sein Scharfsinn war bewundernswert, und die Energie, welche er bisher freilich nur in gewöhnlichen Dingen hatte zeigen können, ließ mit Recht darauf schließen, daß er dann, wo es gelte, auch den gehörigen Mut zeigen werde.

Wenn die beiden Leute aneinander gerieten, so gab es stets eine heitere Scene. Das brachte Abwechslung in die oft unangenehme Eintönigkeit, und darum war ich gerne bereit, Selim bei mir zu behalten. Was er mich kostete, nun, das mußte eben aufgebracht werden.

Jetzt sah ich den Lieutenant aus der Hütte des Schechs treten. Dieser kam auch heraus und rannte, ganz seiner dorfoberhäuptlichen Würde entgegen, dem Flusse zu. Der erstere kam herbei, zog seinen Tschibuk aus der Kameltasche, stopfte ihn und setzte sich dann zu mir nieder. Ich gab ihm Feuer.

»Du reitest ein sehr vortreffliches Kamel,« sagte ich ihm. »Es muß eine Wonne sein, auf seinem Rücken durch die Wüste zu fliegen.«

»Du wirst diese Wonne kennen lernen,« antwortete er, »denn du sollst es reiten. Der Emir hat es für dich geliehen.«

»Wirklich? Wie kommt er auf den Gedanken, mir ein Kamel zu senden?«

»Er sendet dir nicht nur das Kamel, sondern nebenbei eine Bitte, welche ich dir vortragen soll. Bist du bereit, sie zu hören?«

»Ja.«

»Du bist schon oft in der Wüste gewesen und verstehst es, alle Spuren der Menschen und der Tiere zu lesen. Darum läßt er dich fragen, ob du – –«

Er hielt mitten in der Rede inne, und zwar warum?

In der Nähe der schon beschriebenen Lagerschuppen war eine Anzahl von Beduinen erschienen, welche Kamele bei sich hatten. Sie stammten jedenfalls aus der Umgegend und wollten versuchen, sich und ihre Tiere für die Tour durch die Wüste zu vermieten. Murad Nassyr hatte sie vom Hofe aus erblickt und kam heraus, um mit ihnen zu reden. Da wir neben dem Thore hart an der Mauer saßen, sah er uns nicht, ging an uns vorüber und winkte den Leuten, herbeizukommen. Sobald der Blick des Lieutenants auf ihn fiel, schwieg dieser und betrachtete ihn mit einem finster forschenden Blicke.

Jetzt drehte sich der dicke Türke um und sah uns. Kein Anzeichen verriet, daß er den Lieutenant kenne. Dieser stand auf, stellte sich in die Mitte des Einganges, um Nassyr zum Stehen zu zwingen, und sagte:

»Mir scheint, es steht mir eine große Überraschung bevor. Haben wir uns nicht schon einmal gesehen?«

»Ich dich? Niemals,« antwortete der Türke stolz, indem er einen wegwerfenden Blick auf den Lieutenant warf. Man sah es ihm an, daß er nicht log, sondern die Wahrheit sagte.

»Möglich, daß du mich nicht bemerkt hast, aber ich habe dich gesehen.«

»Das ist mir gleichgültig. Mich haben viele Leute gesehen. Was habe ich mit dir zu schaffen? Laß mich vorüber!«

»Warte noch ein Weilchen! Ich habe mit dir zu reden, denn ich möchte gerne deinen Namen erfahren.«

»Frage andere! Ich habe dir nicht zu antworten.«

»Irre dich nicht! Weißt du vielleicht, was ein Reïs Effendina ist?«

Über das Gesicht des Türken ging ein plötzliches Zucken; der Blick, welchen er jetzt auf den Sprecher, der die gewöhnliche Kleidung eines Nubiers trug, warf, war ein ganz anderer als vorher.

»Das weiß ich gar wohl; das weiß ja ein jeder,« antwortete er bedeutend höflicher als vorher.

»So wirst du wohl auch wissen, daß der Reïs Effendina mit gewissen Vollmachten ausgerüstet ist, welche ihm oft mehr Macht erteilen, als mancher Mudir besitzt.«

»Auch dies weiß ich.«

»Ich bin der Lieutenant des Emirs und interessiere mich sehr lebhaft für dein Gesicht. Nun wirst du mir wohl Rede stehen?«

»Beweise mir vorher, daß du wirklich derjenige bist, für den du dich ausgiebst!«

»Verlangst du das wirklich? Da magst du mit zum Schech el Beled kommen; aber dann wird unsere Unterredung eine amtliche sein, während ich hier höflich mit dir gesprochen hätte.«

»Nun, ich bin ebenso wie du ein Freund der Höflichkeit. Frage also!«

Der Türke schien also doch Grund zu haben, eine amtliche Vernehmung zu scheuen. Der Lieutenant meinte lächelnd: »Ich wiederhole meine Frage nach deinem Namen.«

»Ich heiße Murad Nassyr.«

»Woher?«

»Aus Nif bei Ismir.«

»Was bist du?«

»Bazirgijan.«

»Kauf- und Handelsherr! Womit handelst du?«

»Mit allem möglichen. Jetzt will ich nach Chartum, um Senna, Gummi und Elfenbein einzukaufen.«

»Hast du nicht auch schon andere Ware ge- und verkauft?«

»Oft.«

»Ich meine lebendige Ware – Sklaven?«

»Das ist mir niemals eingefallen. Ich bin ein gehorsamer Unterthan des Großherrn und werde nichts gegen seine Gesetze und gegen die Befehle des Khedive thun.«

»Wohl dir, wenn dem so ist. Kennst du vielleicht den Ort Kauleh, welcher am Bahr el Abiad liegt?«

»Nein.«

»Sonderbar! Ein solcher Handelsmann sollte diesen Ort nicht kennen? Das kommt mir verdächtig vor! Vor wenig über einem Jahre wurden Sklaven von Karanak nach Kauleh über den Nil geschifft; sie sollten nach Messalamieh gebracht werden. Wir befreiten sie, indem wir die Treiber überfielen. Der Führer, welcher uns entkam, sah dir so ähnlich, wie du dir selbst. Ich fragte einen der Treiber, der in unsere Hände geriet, nach dem Namen dieses Führers, und er nannte ihn mir; er klang ganz anders als dein jetziger.«

»Das beweist doch, daß ich nicht derjenige bin, für den du mich hältst.«

»Das kann auch beweisen, daß du verschiedene Namen führst. Ich habe damals dein Gesicht gesehen und es nicht vergessen.«

»Herr, ich bin ein ehrlicher Händler! Das kann mir der Effendi bezeugen, neben dem du sitzest. Er kennt mich genau und will mit mir nach Chartum gehen.«

Das war mehr als kühn; das war frech!

»Ist das wahr? Kennst du ihn?« fragte mich der Lieutenant.

»Ich kenne ihn so, wie er sich genannt und gegeben hat.«

»Wie nannte er sich dir?«

»Genau so, wie er dir vorhin antwortete.«

»Hat er nicht von Sklavenjagden zu dir gesprochen?«

»Allerdings, gestern abend wieder.«

»Was sagte er?«

»Er bot mir seine Schwester zum Weibe an, wenn ich gewillt sei, ihm beim Sklavenhandel die Hand zu reichen.«

»Erzähle es ausführlich, Effendi!«

Ich kam dieser Aufforderung nach, denn es gab keinen Grund, im Interesse des Türken zu schweigen oder gar Lügen zu machen. Er preßte die Zähne zusammen und sah mich mit einem Blicke an, welcher mir sagte, daß er sich bei gegebener Gelegenheit blutig an mir rächen werde.

»Nun, was sagst du dazu?« fragte ihn der Lieutenant, als ich geendet hatte.

»Herr, ich hatte einen sehr triftigen Grund, so zu sagen. Dieser Effendi, welcher nichts kann, nichts besitzt und nichts taugt, wollte mich zwingen, ihn umsonst als Begleiter mitzunehmen. Er hat mich von Siut bis hierher viel Geld gekostet, und um ihn los zu werden, machte ich ihm weis, daß ich ein Sklavenhändler sei. Es half auch sofort, denn er bekam Angst und trennte sich von mir.«

»Und vorhin behauptetest du, daß er mit dir nach Chartum reisen wolle.«

»Ich hatte mich nur versprochen.«

»Du bist mir sehr verdächtig. Kannst du es beweisen, daß du dieser Murad Nassyr aus Nif bist?«

»Ja. Ich habe zwei Pässe bei mir, einen vom Großherrn und den andern vom Khedive unterzeichnet.«

»Zeige sie mir!«

»Da muß ich dich ersuchen, mit in mein Gemach zu kommen.«

Der Lieutenant ging mit hinein, und ich war neugierig, was erfolgen werde. Er kam nach einiger Zeit allein zurück und teilte mir mißmutig mit:

»Die beiden Pässe sind in schönster Ordnung-, er reist mit seiner Schwester nach Chartum. Ich habe seine Sachen untersucht; es ist ihm nichts anzuhaben, und doch bin ich überzeugt, daß er jener Sklavenhändler ist.«

»Und ich könnte beschwören, daß er mir den Antrag, welchen er mir stellte, im vollsten Ernste gemacht hat.«

»Das glaube ich ganz gern, denn ich weiß, daß du klüger bist, als er, und dich von ihm nicht übertölpeln lassen würdest. Aber ich muß ihn laufen lassen, doch nur für heute. Wir werden, ohne daß er es bemerkt, ein wachsames Auge auf ihn haben. Jetzt können wir in dem Gespräche, welches er unterbrach, fortfahren.«

»Nicht hier; wir sind zu gestört. Laß dein Hedschihn in den Khan bringen, und dann spazieren wir zum Flusse, wo wir allein sind und von niemand gehört werden können.«

Er folgte dieser Aufforderung, übergab dem Khandschi das Kamel, und dann gingen wir nach dem Wasser. Dort sah ich ein Boot, in welchem ein einzelner Ruderer Saß, der mit Anstrengung aller Kräfte schnell stromaufwärts strebte.

»Das ist mein Bote, welchen der Schech el Beled auf meinen Befehl nach Derr gesendet hat,« sagte der Lieutenant.

»In welcher Angelegenheit? – Darf ich das erfahren?«

»Du mußt es sogar wissen. Von Derr aus geht ein zweiter Bote nach Abu Simbel, von da aus ein dritter nach Wadi Halfa, von dort aus ein vierter nach Semneh, und so weiter, bis das ganze Nilthal alarmiert ist.«

»So muß etwas ganz Außergewöhnliches geschehen sein!«

»Etwas Ungeheuerliches, ein Sklavenraub, wie er seit Menschengedenken nicht vorgekommen ist. Wenn Schwarze überfallen werden, so ist das etwas Gewöhnliches; beim Raube von Nubiern und Nubierinnen drückt man noch ein Auge zu; wenn aber Araber, welche noch dazu rechtgläubige Moslemin sind, in die Sklaverei geschleppt werden, so ist das eine Sünde gegen den Kuran, welcher über alle Grenzen geht.«

»Wo hat man so etwas gewagt?«

»Hast du von dem Bir es Serir gehört, welcher im Westen von Es Safih liegt?«

»Ja. Dieser Brunnen befindet sich südöstlich vom Dschebel Modjaf, einen vollen Hedschihn-Ritt vom Wadi Melk entfernt. Er gehört, wenn ich mich nicht irre, den Fessara-Arabern.«

»Du bist gut unterrichtet. Die Abteilung der Fessara, welche ihre Herden an diesem Brunnen tränkt, feierte ein Fest. Alle Männer zogen nach dem Dschebel Modjaf, um dort eine großartige Fantasia auszuführen; die Frauen blieben daheim. Als die Männer am andern Tage zurückkehrten, lagen die Kinder und alten Weiber erschlagen da; die jungen Frauen und die Mädchen aber hatte man entführt. Die Herden waren zerstreut; es gab über vierzig Leichen am Platze.«

»Das ist ja schrecklich! Die Mädchen und Frauen der Fessara sind wegen ihrer Schönheit berühmt. Hat man denn keine Spuren gefunden?«

»Nein. Am Morgen war ein Sturm erwacht, der alle Fährten der Wüste und der Steppe verweht hat.«

»Wann ist die That geschehen?«

»Heute vor zwanzig Tagen. Du weißt, wie groß die Entfernung ist, und wirst dich nicht wundern, zu erfahren, daß wir erst vor drei Tagen die Nachricht erhielten.«

»O, es wundert mich, daß es so schnell gegangen ist.«

»Wohin glaubst du, daß die Thäter sich gewendet haben?«

»Weder nach Westen noch nach Süden, denn dort würden sie die Geraubten nicht verkaufen können. Ich meine, es ist nur eine einzige Richtung denkbar, nämlich diejenige nach dem roten Meere, um die Sklavinnen nach Ägypten und der Türkei zu bringen.«

»Ganz genau so dachte auch der Reïs Effendina. Aber da sind nun wieder mehrere Wege denkbar.«

»Nur zwei.«

»Welche?«

An der Nähe des Wadi Melk nach der Bajuda-Wüste und in die Gegend von Berber, und von da aus auf möglichst gerader Route nach Suakin. Der zweite Weg würde sein durch das Wadi Melk und das Wadi el Gab nach Dongola und quer durch die nubische Wüste bis in die Gegend von Ras Rauai am roten Meere.«

Es war ein Blick des Erstaunens, den der Lieutenant auf mich warf, als er sagte:

»Effendi, der Reïs Effendina kennt dich genau; er hatte auch gerade diese beiden Gedanken und sagte, daß du gewiß seiner Ansicht sein werdest.«

»Das freut mich. Was aber hat meine Ansicht mit dieser Angelegenheit zu thun?«

»Sehr viel, mehr als du denkst. Die beiden Wege müssen verlegt werden, aber ganz im stillen, so daß kein Mensch etwas davon erfährt und es den Frauenräubern verraten kann. Der Reïs Effendina hat sich also in Chartum Soldaten geben lassen und bringt dieselben auf seinem Schiffe nach der Gegend von Berber, um mit ihnen die Straße nach Suakin zu verlegen. Mich aber sendet er mit der ursprünglichen Besatzung des Schiffes hierher, um den andern Weg zu bewachen.«

»Das wären also vierzig Mann. Wo befinden sie sich?«

»Draußen in der Wüste, weil niemand sie sehen soll. Wir haben Kamele requiriert, für dich und mich zwei echte Hedschihn, um große Strecken abreiten zu können, für die andern und für das Wasser und den Proviant gewöhnliche Tiere.«

»Warum auch für mich ein Hedschihn?«

»Das errätst du nicht? Kennst du denn die hohe Meinung, welche der Reïs Effendina von dir hat, nicht? Er glaubt, dein Rat könnte mir nützlich sein, und da er mit ziemlicher Sicherheit annehmen konnte, daß du jetzt in Korosko seist, befahl er mir, hierher zu reiten und dich zu bitten, dich uns anzuschließen. Wirst du mir diese Bitte erfüllen?«

Meine Lage war eine eigentümliche. Ich befand mich in Beziehung auf die Reisekosten in Verlegenheit und konnte nicht nach Kairo umkehren. Von dem Emir konnte ich Hilfe erwarten; ich hatte ihm überhaupt versprochen, ihn in Chartum aufzusuchen, und durfte ihm die Erfüllung des Wunsches, welchen er jetzt durch den Lieutenant aussprechen ließ, nicht versagen. Übrigens mußte ich auch wegen meines dem Führer in Maabdah gegebenen Versprechens nach Chartum gehen, und endlich sagte ich mir, daß in dem Vertrauen, welches der Reïs Effendina mir zeigte, eine große Ehre für mich liege. Darum antwortete ich:

»Wie könnte ich eine solche Bitte abschlagen! Dein Herr hat mir so zahlreiche Gefälligkeiten erwiesen, daß ich mit Freuden die Gelegenheit ergreife, ihm nützlich zu sein.«

»Effendi, ich danke dir! Ich muß dir sagen, daß der Reïs Effendina allerdings bestimmt erwartete, daß du einwilligen werdest; aber da die Aufgabe, welche wir zu lösen haben, eine so gefährliche ist, so glaubte ich das Gegenteil. Er meinte freilich, du seist nicht der Mann, dich vor einigen Sklavenjägern zu fürchten, und so erfreut es meine Seele, daß du seine Voraussetzung nicht zu Schanden werden lässest. Was wir auszuführen haben, ist mit großen Schwierigkeiten verknüpft; aber nun ich weiß, daß mir dein Rat zur Seite steht, bin ich überzeugt, daß ich wenigstens keine großen Fehler begehen werde.«

»Du hast nicht nur auf meinen Rat, sondern auch auf meine That zu rechnen. Sind dir besondere Instruktionen geworden, von denen du jetzt noch nicht gesprochen hast?«

»Nein. Mir wurde im allgemeinen befohlen, jeden Sklavenjäger oder Sklavenhändler aufzuheben und ihn mit seinem Raube dem Emir zuzuführen. Natürlich habe ich meine Aufmerksamkeit zunächst den entführten Frauen und den Töchtern der Beni Fessara zuzuwenden und soll mich, wie ich dir aufrichtig mitteile, mehr auf dich als auf mich verlassen.«

»Dieses letztere ist mir keineswegs lieb, weil es niemals von Vorteil ist, wenn zwei Stimmen maßgebend sein sollen. Es treten da leicht Meinungsverschiedenheiten ein, welche das Gelingen in Frage stellen.«

»O, was das betrifft, so kannst du sicher darauf rechnen, daß ich mich stets deinem Willen fügen werde. Das ist mir anbefohlen worden, wie ich dir gleich beweisen werde. Der Emir hat mich beauftragt, dir, sobald ich dir die Verhältnisse erklärt habe, diesen Zettel zu übergeben.«

Er zog ein kleines, zusammengefaltetes Papier hervor, öffnete es und gab es mir. Ich las die wenigen, aber inhaltsreichen Worte:

»Du bist der erste, er ist der zweite.«

Das war genug und ein weiterer, noch größerer Beweis des Vertrauens, welches ich seitens des Emirs genoß. Wenn ich bedachte, welche Macht er infolge seiner Ausnahmestellung besaß, so hätte ich leicht stolz darauf sein können, daß er einen so bedeutenden Teil derselben in meine Hände legte.

»Bist du nun beruhigt?« fragte der Lieutenant.

»Ja,« antwortete ich. »Ich bin nicht nur beruhigt, sondern ich habe nun die Überzeugung, daß wir die Frauenräuber, falls sie den nördlichen der beiden vorhin erwähnten Wege eingeschlagen haben, treffen werden.«

»Überzeugt? Wirklich? Ist das nicht zuviel behauptet, Effendi?«

»Nein, denn ich weiß sehr wohl, was ich sage.«

»Aber bedenke, wie groß die Wüste ist! Wir brauchen von hier aus vier Tage, um den Brunnen Murat zu erreichen, welcher nicht ganz in der Mitte derselben liegt. Der ganze Weg ist neun Tagereisen lang. Selbst wenn wir diese große Strecke besetzen könnten, würde es für die Räuber viele, viele Lücken geben, durch welche sie, zumal des Nachts, uns entkommen könnten.«

»Du mußt mit der Beschaffenheit der Wüste rechnen, welche sie zu durchqueren haben. Vom Nile bis zum roten Meere, an welchem doch wohl ihr Ziel liegt, sind zwanzig Kameltagemärsche. Sie können sich unmöglich für eine so lange Zeit mit Wasser versehen und sind also gezwungen, Brunnen aufzusuchen, an denen wir sie treffen werden.«

»Verlaß dich nicht zu sehr darauf! Hast du einmal davon gehört, daß es geheime Brunnen giebt?«

»Ja. Ich habe in der großen Sahara oft solche geheime Brunnen entdeckt und aus ihnen getrunken.«

Er sah mich an, schüttelte den Kopf und meinte:

»Ich habe freilich gehört, daß die Franken in vielen Dingen viel, viel klüger sind als wir, aber der Bewohner der Wüste muß dieselbe doch besser kennen als ein Abendländer, der sich zum erstenmale darin befindet!«

»Warte bis später! Ich will dir jetzt keine Erklärung geben; die That soll dir beweisen, daß ich recht habe.«

»Du spannst meine Erwartungen, und ich bin begierig darauf, zu erfahren, in welcher Weise du mich überzeugen willst, daß du dich nicht verrechnest. Für jetzt kann ich dich nur fragen, ob es also wirklich sicher ist, daß du mit mir reitest?«

»Es ist sicher.«

»So habe ich dir noch etwas vom Emir zu übergeben. Allah hat gefügt, daß der Mensch ohne Geld nicht bestehen kann. Selbst in der Wüste ist es dem Wanderer nötig, weil er nicht in die Zukunft zu blicken vermag und also seine Bedürfnisse und Ausgaben nicht vorher kennen kann. Der Emir hat mich also beauftragt, dir diese Kasse zu übergeben, über welche du nach deinem Ermessen verfügen sollst. Besonders sollst du hier alles kaufen, was für dich selbst nötig ist.«

Er brachte einen Lederbeutel zum Vorscheine, welcher, als er ihn schüttelte, einen sehr erfreulichen, hellen Klang hören ließ. Ich öffnete und sah ihn mit ägyptischen Thalern (Rijal masri) und ägyptischen Viertelpfund-Goldstücken gefüllt. Die Summe betrug nach unserm deutschen Geld beinahe achthundert Mark. Das war für einige Wochen mehr als genug, zumal ich erfuhr, daß die Soldaten mit allem, was sie voraussichtlich brauchen würden, versehen seien. Ich zögerte keineswegs, den Beutel einzustecken, bemerkte aber dabei:

»Für jetzt habe ich keine Bedürfnisse und werde das Geld, falls es nötig ist, für euch verwenden und dann dem Emir Rechnung ablegen. Wann brechen wir auf?«

»Sobald es dir gefällt. Nur möchte ich vorher das Kamel tränken. Es hat seit zwei Tagen kein Wasser bekommen.«

»Es wird auch noch zwei Tage, und vielleicht noch länger, keins erhalten.«

»Warum, Effendi?«

»Weil ich etwaige verborgene Brunnen entdecken will.«

Er warf mir einen Blick zu, aus welchem ich ersah, daß er meine Antwort nicht begriff, und sagte, indem er abermals mit dem Kopfe schüttelte:

»Ich verstehe dich nicht, Effendi. Wir müssen, um verborgen zu bleiben, die Brunnen meiden, und unsere Kamele sind also zum Dürsten gezwungen. Hier befinden wir uns am Ufer des Niles, und darum solltest du die Gelegenheit ergreifen, dein Tier recht tüchtig trinken zu lassen.«

»Ich werde es im Gegenteile recht tüchtig dürsten lassen.«

»Ist das nicht Grausamkeit? Gebietet dir die Lehre des Christentumes nicht, für deine Tiere zu sorgen?«

»Meine Lehre ist den Tieren noch viel freundlicher als die deinige; aber es ist besser, ein Kamel dürstet, als daß viele Menschen leiden. Sobald ich erfahren habe, was dieser Türke Murad Nassyr zu thun gedenkt, werden wir aufbrechen. Da muß ich dich aber vorher fragen, wie wir zu deinen Leuten kommen wollen, da du nur ein Kamel bei dir hast?«

»Ich habe deren zwei, dieses hier und noch eins, welches ich mit gefesselten Füßen zurückgelassen habe. Ich wollte nicht sehen lassen, daß ich gekommen bin, dich abzuholen.«

»Das war klug gehandelt. Wo befindet es sich?«

»Gar nicht weit von hier am Ufer des Niles. Man kann, wenn man geht, in einer halben Stunde hinkommen.«

»So steige auf und reite hin. Tränke dein Tier, aber das meinige nicht. Ich komme nach.«

»Du wirst mich nicht finden!«

»Habe keine Sorge, ich finde dich.«

»Aber du kennst ja die Stelle nicht!«

»Ich brauche sie nicht zu kennen; es giebt eine Führerin, welche mich ganz sicher zu dir bringt.«

»Wer könnte das sein?«

»Deine Spur.«

»Verstehest du es denn wirklich so gut, die Spur zu lesen?«

»Sie ist für mich so deutlich wie die Schrift des Kurans für deine Augen.«

»So will ich dir gehorchen und werde sehen, ob du mich wirklich findest.«

Er kehrte zu der Stelle zurück, an welcher das für mich bestimmte Hedschihn lag, stieg auf und ritt davon. Ich wartete noch eine Weile. Da kamen die Araber, welche Murad Nassyr gerufen hatte, und gingen zum Flusse, um ihre Kamele zu tränken. Daraus ersah ich, daß er sie gemietet hatte und sofort aufbrechen wollte, was ihnen jedenfalls nicht lieb war, da sie gewohnt waren, jede Reise am Nachmittag anzutreten. Nun ging ich langsam nach dem Khan. Am Thore stand der Türke; ich mußte hart an ihm vorüber. Dabei fuhr er mich an:

»Du Hund, du Verräter! Nun bleibst du hier sitzen, und der Teufel des Hungers wird dich stückweise auffressen. Sollte das nicht geschehen, sollte ich dich wiedersehen, so zerschmettere ich dich!«

Ich achtete dieser Worte nicht und ging in den Hof. Als ich an der Thüre vorüber wollte, durch welche er mich zu seiner Schwester geleitet hatte, hörte ich deren tiefe Stimme, welche mir zuraunte:

»Effendi, bleib‘ stehen, aber blicke dich nicht nach mir um!«

Was wünschest du?« fragte ich, ihr den Rücken zukehrend und mir den Anschein gebend, als ob ich in der Betrachtung des Khans versunken sei.

»Ich sah dich jetzt kommen und eilte an die Thüre, um nochmals mit dir zu sprechen. Mein Bruder hat mir erzählt, daß du meine Schwester verachtest.«

»Ich verachte sie nicht; aber ich bin ein Christ und als solcher ein Feind aller Sklavenhändler. Ich muß mich also von Murad Nassyr trennen.«

»Das betrübt mich sehr! Du hast mir die Zierde meines Hauptes wiedergegeben, und ich wollte dir gerne dafür dankbar sein; nun aber ist dies unmöglich. Aber ich werde immer an dich denken.«

»Auch ich werde mich deiner gern erinnern. Lebe wohl, o Blume des Glückes, o Abglanz der Lieblichkeit!«

»Lebe wohl, Effendi! Ich zürne dir nicht.«

Ich ging weiter, in meine Stube, welche eigentlich nur ein Loch zu nennen war. Da saßen Selim und Ben Nil und stritten sich, wie ich hörte, wieder einmal über die Tapferkeit des ersteren. Bei ihrem Anblicke fiel mir ein, daß ich vergessen hatte, den Lieutenant auf diese beiden aufmerksam zu machen. Ich teilte ihnen mit, was ich ihnen zu sagen für nötig hielt, und sah sie darüber erfreut, daß sie nun mit dem Türken nichts mehr zu thun hatten. Ich aber befand mich um ihretwillen in einer kleinen Verlegenheit. Wie sollten sie mit mir fortkommen?

In dieser Bedrängnis fiel mir der Schech el Beled ein. Der Lieutenant war bei ihm gewesen, und daraus schloß ich, daß er diesen und den Reïs Effendina kenne. Als ich bei ihm eintrat, begrüßte er mich als den fremden Effendi, von dem der Lieutenant mit ihm gesprochen habe. Ich trug ihm mein Anliegen vor, und er antwortete:

»Herr, du bist ein Freund des Emirs, und ich stehe dir sehr gerne zu Diensten. Willst du Reit- oder Lastkamele?«

»Tiere zum Reiten, aber sie müssen gut und schnellfüßig sein.«

»Die sind teuer. Kannst du sie denn bezahlen?«

»Den Preis für zwei Reitkamele habe ich freilich nicht bei mir.«

»So kannst du sie nur leihen?«

»Auch das geht leider nicht. Ich müßte den Besitzer mitnehmen und kann zu dem, was ich vorhabe, keinen solchen Mann gebrauchen.«

»Das thut nichts. Du leihst sie ja für den Emir, und ich sage gut für dich und ihn. Du hast sogar nicht nötig, die Miete voraus zu bezahlen. Ihr übergebt die Tiere dem Ababdeh-Schech in Abu Hammed; dieser sendet sie mir zu, und wenn dann später der Emir einmal nach Korosko kommt, werde ich die Rechnung mit ihm machen.«

»Das ist mir sehr lieb. Aber sind denn gute Reitkamele schnell zu haben? Es giebt, wie ich sehe, hier nur einige Lastkamele, welche der Türke, mit dem ich gekommen bin, gemietet hat.«

Er zog ein schlaues Gesicht und antwortete:

»Du bist zwar ein Franke, aber vielleicht weißt du dennoch, wer mächtiger ist als selbst der mächtigste Fürst.«

»Das weiß ich. Du meinst eine Hand, welche offen ist?«

»Ja; eine offene Hand vermag alles.«

Ich zog einige ägyptische Thaler heraus; als ich sie ihm hinreichte, griff er schnell zu, steckte sie ein und sagte:

»Effendi, du bist der klügste unter den Weisen, und deine Güte fließt über von Erbarmen. Du stehst hier an Stelle des Emir, welcher schnell und gut bedient wird. Die Verleiher lassen ihre Tiere nicht sehen, um hohe Mieten zu erzielen; du aber sollst, wenn du jedem der Besitzer noch ein Bakschisch von einem Thaler giebst, in der kürzesten Zeit zwei Reitkamele haben, welche ebenso schnell laufen, wie dasjenige, auf welchem der Lieutenant gekommen ist.«

»Dieses Bakschisch will ich gern zahlen.«

»So gehe ich sofort, um mit den Männern zu sprechen, und dann werden wir die Tiere bringen.«

Er eilte fort, und ich kehrte in den Khan zurück. Dort war der Türke beschäftigt, die von ihm gemieteten Kamele beladen zu lassen. Eins von denselben bekam einen Tachtirwan zu tragen, eine Frauensänfte, welche für die Schwester Murad Nassyrs bestimmt war. Zwei andere trugen den Proviant und die vollen Wasserschläuche; zwei weitere wurden mit je zwei Körben behangen, in welche die vier Dienerinnen zu sitzen kamen; ein sechstes bestieg der Türke und ein siebentes der Führer, dem die Kamele gehörten. Der letztere gab das Zeichen zum Aufbruche, indem er rief:

»Ia Schech Abd el Ka-a-der!«

Der Heilige der Kadirine ist nämlich nicht nur der Patron der Schiffer, sondern auch der Kameltreiber und Karawanenführer, und wird infolgedessen auch von diesen bei jedem Aufbruche angerufen. Der kleine Zug setzte sich in Bewegung. Bevor der Türke durch das Thor ritt, drehte er sich nach mir um und rief:

»Du hast mir Selim abspenstig gemacht, du schmutzigster unter allen Unreinen. Merke dir, was ich dir schon sagte: Sollte ich dich wiedersehen, so zerschmettere ich dich!«

Ich zog es auch jetzt vor, nicht zu antworten. Ich wußte ja, daß sehr bald eine viel bessere Gelegenheit dazu kommen werde. Diese ließ nicht lange auf sich warten, denn kaum war eine Viertelstunde vergangen, so kam der Schech el Beled mit zwei Männern, von denen jeder ein Reitkamel am Halfter führte. Ich erschrak beinahe, als ich diese beiden gesattelten Tiere erblickte. Das waren keine gewöhnlichen Reitkamele, und es stand zu erwarten, daß der Emir für dieselben eine so hohe Miete zahlen müsse, daß ich dieselbe nicht verantworten könne. Als ich dieses Bedenken gegen den Schech aussprach, antwortete er:

»Laß dir das Herz nicht schwer werden, Effendi! Nicht wir bestimmen die Höhe der Miete, sondern der Reïs Effendina sagt, wieviel er geben will. Er ist der Abgesandte des Vizekönigs und braucht eigentlich nichts zu bezahlen. Du hast jetzt nichts zu thun, als mir zu bescheinigen, daß du diese Kamele von uns empfangen hast.«

Ich gab die schriftliche Bescheinigung und zahlte zwei Thaler Trinkgeld; dann verabschiedete ich mich von dem Schech und den beiden Männern. Selim und Ben Nil stiegen auf; ich reichte ihnen meine Effekten hinauf, bezahlte den Khandschi, denn der Türke hatte, obgleich ich sein Gast und Begleiter gewesen war, nichts für mich entrichtet, und verließ dann stolz zu Fuß Korosko, während meine Diener auf ihren prächtigen Tieren thronten. Würde in Deutschland jemand einem Fremden zwei solche Kamele geliehen haben?

Da ich beobachtet hatte, welche Richtung von dem Lieutenant eingeschlagen worden war, so fiel es mir nicht schwer, seine Fährte draußen vor dem Orte aufzufinden. Wir folgten derselben. Sie führte erst vom Nile ab und dann in einem Winkel auf denselben zu. Da ich gut ausschritt, erreichten wir nach wenig über einer Viertelstunde das Ufer. Er saß da unter Sträuchern, von deren saftigen Spitzen sein Reitkamel knusperte. Das meinige lag mit gefesselten Füßen entfernt vom Wasser, gegen welches es sehnsüchtig die weit offenen Nüstern richtete. Es that mir leid, dieses Tier fasten lassen zu müssen, aber ich wußte, daß dies für uns von großem Nutzen werden könne.

Der Lieutenant war überrascht, mich in Begleitung kommen zu sehen. Da er aus meinem Berichte meine jüngsten Erlebnisse kannte, vermutete er, wer die beiden seien.

»Ich habe lange auf dich warten müssen,« sagte er, »und glaubte schon, daß du meine Spur nicht gefunden hättest. Ist dieser Jüngling vielleicht Ben Nil, von dem du mir erzählt hast?«

»Ja.«

»Und der andere ist Selim, der Held der Helden?«

»Ja, der bin ich,« nahm der Genannte mir die Antwort aus dem Munde. »Wenn du mich kennen gelernt hast, wirst du staunen.«

»Ich staune schon jetzt, aber nur darüber, daß du mir antwortest, während ich doch nicht dich, sondern den Effendi gefragt habe. Wollen diese beiden etwa mit uns reiten?«

Er richtete diese letzten Worte wieder an mich, und ich beeilte mich, ihm die nötige Aufklärung zu geben. Als ich fertig war, meinte er:

»Wollen hoffen, daß diese Leute es verdienen, von solchen Kamelen getragen zu werden! Du bist der erste, und ich bin der zweite. Du kannst thun, was dir beliebt, und ich wünsche nur, daß du keinen Fehler begangen hast. Füllen wir jetzt unsere Schläuche, um dann aufzubrechen.«

An jedem Sattel hing ein Wasserschlauch, welcher gefüllt wurde; dann stiegen wir auf, um den Ritt zu beginnen. Mein Tier war schwer vom Ufer wegzubringen; es wollte trinken; als wir aber den Nil einmal im Rücken hatten, gehorchte es willig der Führung, und bald zeigte es sich, daß es besser und edler als die andern drei war.

Wir bogen zunächst nach der Karawanenstraße ein, welche erst südwestlich führte und sich dann genau nach Süden bog. Sie folgte einem Chor. So werden die Flußbette genannt, welche nur während der Regenzeit Wasser führen und außer derselben trocken liegen. Die Gegend war wild und öd; es gab zur Seite nur kahle, nackte Felsen, und die Kamele schritten über scharfes, unfruchtbares Steingeröll.

Der erste Teil des Wüstenpfades führt durch bergiges Terrain; die eigentliche Sandwüste beginnt erst nach der zweiten Tagereise und wird Bahr bela mah, Meer ohne Wasser genannt. Diese Bezeichnung ist nicht selten; sie kommt öfters in der großen Sahara und auch drüben jenseits des roten Meeres vor. Der Araber, der Beduine, der Berber, der Tuareg, sie alle pflegen jene Sandwüsten, welche einem Meere gleichen, Bahr bela mah zu nennen.

Unsere Tiere schritten trotz des schlechten Weges wacker aus. Der Kamelstrott ist sehr ausgiebig, und mit einem Reitkamel kommt selbst ein echt arabischer Renner auf die Dauer nicht fort. So kam es, daß wir schon nach Verlauf von zwei Stunden die langsam dahinziehende Karawane Murad Nassyrs vor uns sahen. Als er uns kommen hörte, drehte er sich um und war nicht wenig erstaunt, mich zu sehen. Im Vorüberreiten rief ich ihm zu:

»Jetzt siehst du mich wieder; nun zerschmettere mich!«

Er antwortete mit einem Fluche. Selim hielt bei ihm an und sagte:

»Du wirst nicht dein Ziel erreichen, sondern in der Wüste umkommen, da ich nicht mehr dein Beschützer bin.«

»Geh‘ zum Teufel!« fuhr ihn sein früherer Herr zornig an.

»Vielleicht treffe ich dich dort, wenn ich zu ihm komme.«

Als wir dem Türken aus den Augen waren, bogen wir von der Straße rechts ab, weil der Lieutenant seine Soldaten in dieser Richtung gelassen hatte. Er war kein Wüstenreisender, und so wäre es wohl möglich gewesen, daß er sich in der Richtung irrte; aber die so verschieden gestalteten Felsen und Berge gaben genug Anhaltspunkte, in denen man sich kaum irren konnte. Als ich in dieser Beziehung eine Frage aussprach, antwortete er:

»Hier ist es ganz unmöglich, sich zu verirren; es giebt zwar keinen eigentlichen Weg oder Steg, aber ich habe mir die Gestalt der Höhen, an denen ich vorübergekommen bin, so eingeprägt, daß ich mich nicht irren kann. Anders ist es in der Sandebene, in welcher ich mich nicht zurechtfinden kann.«

»Wie hast du da Korosko gefunden? Ihr habt ja durch die Sandwüste gemußt.«

»Habe ich dir nicht gesagt, daß der Emir uns einen vortrefflichen Führer mitgegeben hat? Dieser Mann ist ein alter Korporal, welcher öfters im Sudan gekämpft hat und ganz besonders diese Wüste kennt. Er hat uns geleitet und ist bei den Soldaten zurückgeblieben, nachdem er mir die genaue Richtung nach Korosko angegeben hat. Du wirst ihn als einen sehr brauchbaren Menschen kennen lernen.«

Nach einiger Zeit erreichten wir abermals ein trockenes Chor; dies war der Ort, an welchem die Soldaten die Rückkehr des Lieutenants erwarteten. Wir fanden sie nicht alle; es waren nur zehn da, und zwar ohne Kamele. Der Lieutenant erschrak und erkundigte sich nach dem Verbleib der andern und der sämtlichen Tiere. Wir erfuhren, daß der alte Korporal auf den Gedanken gekommen war, die Abwesenheit des Anführers zu einem Schnellritte nach dem Nile zu benutzen, um die Kamele, welche wohl für längere Zeit des Wassers zu entbehren hatten, zu tränken und dabei die Schläuche mit frischem Wasser zu füllen. Dieses eigenmächtige Handeln erfüllte den Lieutenant mit Besorgnis; ich versuchte, ihn zu beruhigen; er aber meinte zornig:

»Nimm ihn nicht in Schutz, Effendi! Wir sind keine gewöhnlichen Reisenden, sondern Soldaten, und da muß auf strenge Disziplin gehalten werden. Dieser Onbaschi durfte ohne meine Erlaubnis diese Stelle nicht verlassen.«

»Er hat es gut gemeint.«

»Das mag sein; aber mancher hat eine Dummheit begangen, indem er es gut meinte. Es soll uns niemand sehen, und doch reitet dieser Mensch mit dreißig Männern und über vierzig Kamelen nach einer Gegend, in welcher er unbedingt gesehen werden muß!«

»So hast du ihn mir also ganz falsch geschildert.«

»Wieso?«

»Du nanntest ihn einen brauchbaren Mann, scheinst ihn aber, wie ich jetzt höre, für unzuverlässig zu halten.«

»Das ist er eigentlich nicht; nur hätte er mich fragen sollen. Wie leicht kann er Leuten begegnen, welche ihn und uns an diejenigen verraten, die wir fangen wollen!«

»Du sagst, daß er die Wüste kennt; er wird also wohl einen Weg einschlagen, auf welchem er niemand begegnet.«

»Dennoch kann eine solche Begegnung stattfinden, weil der Nil noch zu nahe liegt.«

»Wenn er von hier aus gerade reitet, so trifft er zwischen Toschkeh und Tabil auf den Fluß und wird voraussichtlich von niemandem gesehen. Und sieht er unterwegs jemand kommen, so wird es ihm, wenn er wirklich so erfahren ist, wie du sagtest, leicht sein, auszuweichen. Warten wir ruhig seine Rückkehr ab.«

»So meinst du nicht, daß wir ihm nachreiten sollen?«

»Nein, denn wir würden dadurch eine etwaige Unvorsichtigkeit nicht ungeschehen machen können.«

Wir lagerten uns bei den Gepäckstücken, welche am Boden lagen. Die zehn Soldaten hielten sich in ehrerbietiger Entfernung. Aus den Blicken, welche sie auf mich warfen, ersah ich, daß sie sich über mein Eintreffen freuten. Sie kannten mich ja vom Schiffe her und mochten mich für einen Mann halten, dessen Anwesenheit ihnen nützlich sein könne. Ben Nil, welcher bescheiden war, setzte sich zu ihnen. Selim hätte, wie ich ihm ansah, gerne den Herrn gespielt und sich bei mir und dem Lieutenant niedergelassen; dieser letztere aber blickte ihn in einer Weise an, daß er sich abwendete und zu den Soldaten trat. Er musterte sie von oben herab und sagte: »Also ihr seid Asaker, des Reïs Effendina, den wir mit unserer Hilfe zu beglücken beabsichtigen? Ich hoffe, daß ich mit euch zufrieden sein kann. Kennt ihr mich?«

»Nein,« antwortete einer, welcher ebenso wie die andern den Sprecher neugierig erstaunt betrachtete. Sie wußten nicht, ob er im Verhältnisse zu ihnen ein Gleich- oder Höherstehender war.

»So seid ihr also vollständig fremd in diesem Lande, in welchem jedes Kind über meine Heldenthaten berichtet. Mein berühmter Name ist so lang, daß er von hier bis Kahira reichen würde, doch will ich euch gestatten, mich einfach Selim zu nennen. Ich bin der größte Krieger aller Völker und Stämme des Orientes, und meine Abenteuer werden allüberall erzählt und in tausend Büchern beschrieben. Meine mächtige Hand ist der Schirm, in dessen Schatten ihr sicher und ruhig wohnen könnt all euer Lebelang.«

Er breitete dabei seine beiden Arme über sie aus und nahm dabei eine fast unnachahmlich hoheitsvolle Haltung an. Die Soldaten wußten sichtlich nicht, was sie von ihm denken und zu seinen Worten sagen sollten. Sie sahen zu mir herüber und bemerkten mein Lächeln. Ben Nil zuckte die Achsel und meinte »Timm el kebir«, was so viel wie Großmaul, Prahler bedeutet. Infolge dieser Worte und meines Lächelns fühlten sie sich orientiert, und einer von ihnen, ein noch junger Mensch, welcher, wie ich später erfuhr, der Lustigmacher war, antwortete, indem er sich erhob, und eine tiefe Verbeugung machte, in salbungsvoll-ehrerbietigem Tone:

»Wir sind, o Selim aller Selime, beglückt und entzückt von den Strahlen deiner Gegenwart. Du bist, wie wir hören, der Inbegriff aller erhabenen Vorzüge und Eigenschaften und wir setzen das feste Vertrauen in dich, daß du uns das Licht derselben leuchten lassen werdest.«

»Das werde ich,« meinte Selim ohne Ahnung, daß er im Begriff stehe, in eine Falle zu gehen. »Ich bin zu jeder Zeit bereit, euch in alle meine Erhabenheiten einzuschließen.«

Sein Gegner wollte antworten, mußte aber seine Aufmerksamkeit auf den Horizont richten, an welchem jetzt eine lange Reihe von Kamelreitern erschien. Es war der alte Onbaschi, welcher mit seinen Asakern von der Tränke zurückkehrte. Die Kamele hatten sich förmlich dick getrunken und sahen wohl und kräftig aus. Das war ein Vorteil für unser Unternehmen, zumal der Alte auch alle Schläuche mitgenommen und gefüllt hatte. Dadurch war die Sorge um Wasser für mehrere Tage hinausgeschoben, und ich bat den Lieutenant, dem Korporal die für uns ganz und gar nicht nachteilige Eigenmächtigkeit zu verzeihen. Der Alte hörte diese meine Worte, reichte mir dankend die Hand und sagte:

»Effendi, deine Güte thut meinem Herzen wohl. Wir sind von keinem Menschen gesehen worden, und mit durstigen Tieren würden wir das nicht vollbringen, was wir nun erreichen werden. Du bist der erste Gebieter und wirst einen gehorsamen und treuen Diener an mir haben.«

Jetzt war es Zeit, das Gepäck zu untersuchen. Munition gab es mehr als genug, auch an Proviant war kein Mangel. Jeder Mann hatte einen Becher, und außerdem sah ich einige Schüsseln und einen eisernen Kessel, in welchem das Essen gekocht werden sollte. Der Emir war in seiner Fürsorge so weit gegangen, für den Lieutenant und mich ein Zelt mitzugeben. Ein schweres Paket enthielt Ketten und Handfesseln für unsere eventuellen Gefangenen.

Da die Leute hungrig waren, ich aber keine Zeit verlieren wollte, wurden sie mit getrockneten Datteln gespeist. Dann galt es, uns über den festzustellenden Plan zu beraten. Das geschah zwischen dem Lieutenant, dem Onbaschi und mir. Die gewöhnlichen Soldaten hatten natürlich keine Stimme. Dabei erkannte ich, daß leider noch niemand darüber nachgedacht hatte, in welcher Weise unsere Aufgabe am besten auszuführen sei.

Sie war nicht leicht. Wir hatten eine Strecke von wenigstens dreihundert Kilometern zu überwachen, und diese Strecke war eine Wüste, in welcher es nur einen einzigen Brunnen gab, welcher außerhalb der Regenzeit ein leidlich genießbares Wasser liefert, nämlich der schon erwähnte Bir Murat. Andere Brunnen, welche auf der Karawanenstraße liegen, wie z. B. Bir Absa, geben in der trockenen Jahreszeit kaum einen Tropfen. Aber gerade dieser Umstand war mir willkommen.

Wenn diejenigen, welche wir suchten, wirklich durch die nubische Wüste wollten, hatten sie vom Nile aus bis zur Karawanenstraße, welche sie kreuzen mußten, vielleicht acht Tagereisen weit; sie waren also unbedingt auf den Bir Murat angewiesen. Da aber ein Kamel nicht acht volle Tage dürsten kann, mußte angenommen werden, daß diese Leute heimliche Brunnen kannten, über welche sie ihre Richtung nehmen mußten. Infolge dessen zerfiel unser Auftrag eigentlich in zwei Aufgaben. Wir mußten nämlich den Bir Murat bewachen, aber so, daß wir nicht bemerkt wurden, und zweitens galt es, die verborgenen Brunnen zu entdecken und bei denselben die Erwarteten zu beobachten. Das erstere war verhältnismäßig leicht, das letztere aber sehr schwer, und das Schwierigere wollte ich selbst übernehmen.

Als ich dies den beiden vorstellte, gaben sie mir recht. Auch der Onbaschi war überzeugt, daß es heimliche Brunnen geben müsse, nur meinte er, daß es unmöglich sei, einen solchen zu entdecken.

»Das überlaß mir,« sagte ich. »Falls ich auf einen solchen treffe, werde ich gewiß nicht vorüberreiten.«

»Wie aber willst du bemerken, daß es dort Wasser giebt? Weißt du, wie ein solcher Brunnen beschaffen ist?«

»Ja. Man gräbt den Sand so weit auf, bis man auf das Wasser kommt, legt einige Speerschäfte oder sonstige Hölzer darüber und breitet auf diese ein Fell, eine Matte oder irgend eine Decke. Dann wird der Sand wieder aufgeschüttet und mit der Umgebung ausgeglichen. Die Stelle ist auf diese Weise für das Auge unbemerkbar gemacht.«

»So kannst also auch du sie nicht entdecken.«

»Ich nicht, aber mein Kamel.«

»Dein – – Kamel? Hat das schärfere Augen als du?«

»Nein, aber empfindlichere Geruchsnerven. Du vergissest, daß solche Stellen, bevor man sie zu Brunnen macht, auch schon nur durch die Kamele entdeckt werden. Ein durstiges Reitkamel ist außerordentlich empfindlich für die Feuchtigkeit des verborgenen Wassers; es rennt streckenweit dem betreffenden Orte zu, um mit den Vorderfüßen den Boden aufzuscharren. Aus diesem Grunde habe ich das meinige nicht trinken lassen.«

»Allah ist groß; er verleiht jedem Wesen eine besondere Gabe! Was du sagst, leuchtet mir ein. Also du willst nach den Bijar es Sirr forschen. Du reitest doch nicht allein?«

»Nein.«

»Wer soll dich begleiten?«

»Das ist jetzt noch unbestimmt. Vorher möchte ich wissen, ob man sich auf dich und deine Ortskenntnis verlassen kann.«

»Frage den Lieutenant, ob ich ihn nicht trefflich geführt habe! Ich kenne diese Wüste ebenso gut wie ein hiesiger Karawanenführer.«

»Auch die Bajudawüste jenseits des Nils?« »Auch.« »Kennst du die Widian derselben?«

»Alle. Ich nenne dir das Wadi Mokattem, Uscher, Ammer, Abu Runi Laban und Argu.«

»Und das große Wadi im Westen dieser Wüste?« »Du meinst das Wadi Melk?«

»Ja. ich vermute, daß die Räuber, wenn sie den nördlichen Weg einschlagen, sich in der Nähe dieses Wadi halten. Dasselbe stößt in der Nähe von Abu Gusi auf den Nil. Glaubst du, daß die Leute dort über den Nil gehen werden?«

»Auf keinen Fall, denn Abu Gusi liegt Alt Dongola gegenüber, und da ist die Gegend zu belebt, also zu gefährlich für sie.«

»Wo sollten sie sich denn hinwenden?«

»Weiter nördlich, das Wadi el Gab entlang, vielleicht bis nach Tura und Moscho, wo es einsam ist und die Insel Argo den Übergang erleichtert. Stimmst du mir nicht bei?«

»Ganz dasselbe, was du jetzt sagtest, habe ich schon dem Lieutenant als meine Ansicht erklärt. Ich halte an derselben fest und legte dir diese Frage nur vor, um dich zu prüfen.«

Es war ein sehr wohlgefälliges und selbstbewußtes Lächeln, mit welchem er mich fragte:

»Habe ich die Prüfung bestanden?«

»Ja. Ich sehe, daß du die Gegend kennst. Die Hauptsache aber ist, daß du hier in Atmur ebenso orientiert bist.«

»Das bin ich. Von Korosko aus kommt man über Ugab, Abu Rakib, Merischa, Bir Murat, Bir Absa, Tabun und Abu Schurwut nach Abu Hammed an den Nil.«

»Das ist vollständig richtig. Nun wünsche ich nur noch, daß du die Lage des Bir Murat genau kennst.«

»Das ist sehr der Fall, Effendi. Ich war öfters dort und bin weit in der Gegend umhergestreift. Von der Seite von Korosko her kommt man durch ein Dumpalmenthal in das Thal des Brunnens, welches von hohen, steilen Felswänden umschlossen ist. Jenseits desselben giebt es eine sehr beschwerliche Schlucht, welche nach und nach wieder in ebene Gegend führt.«

»Es stimmt. Welche Zeit würdest du brauchen, um von hier aus dorthin zu kommen?«

»Drei Tage, mehr nicht, da unsere Kamele frisch getränkt sind.«

»Und würdest du dich getrauen, die Asaker allein, ohne den Lieutenant und mich, in die Nähe des Brunnens zu führen?«

»Warum nicht? Es würde das doch nicht schwerer sein, als wenn ihr dabei wäret.«

»Gut, so schlage ich folgendes vor: Der Lieutenant reitet mit mir, um die Brunnen aufzusuchen und anderweit zu rekognoszieren, und du bringst die Asaker nach dem Bir Murat, aber ja nicht bis ganz zum Brunnen, da du nicht gesehen werden darfst.«

»Soll ich dort auf euch warten?«

»Ja. Aber wie lange, das ist unbestimmt.«

»Was sollen wir indessen dort thun?«

»Nichts, gar nichts. Ihr geht nicht zum Brunnen und weicht auch jeder andern Begegnung aus.«

»Aber ich setze den Fall, wir sähen die Räuber kommen. Da müssen wir sie natürlich angreifen!«

»Nein.«

»Nicht? Effendi, mache ja keinen Fehler! Wenn wir diese Gelegenheit nicht benützten, würden sie uns entgehen.«

»Gewiß nicht. Ihr müßtet sie vorüberlassen, ohne daß sie euch bemerkten. Du kannst sicher sein, daß ich hinter ihnen kommen würde.«

»Ich verstehe dich nicht, aber ich muß dir gehorchen. Wie aber willst du mit Genauigkeit den Ort bestimmen, an welchem wir auf euch warten sollen? Das ist in der Wüste unmöglich.«

»Es ist möglich. Du selbst sagst, daß die Räuber voraussichtlich zwischen Tura und Moscho über den Nil gehen werden. In welcher Richtung von Bir Murat liegen diese beiden Orte?«

»Gerade südwestlich.«

»Also mußt du dich genau südwestlich von Bir Murat postieren, und zwar eine halbe Tagreise von diesem Brunnen entfernt; das wird also ungefähr an der Westseite des alleinstehenden Dschebel Mundar sein.«

»Das stimmt genau. Ich sehe, daß du diese Gegend ebenso kennst, wie ich sie kenne, Effendi. Jetzt weiß ich genau, wo ich zu halten habe, und bin überzeugt, daß du uns gewiß finden wirst. Nur fragt es sich, ob der Lieutenant, als mein nächster Vorgesetzter, mir die Asaker anvertrauen wird.«

Der Genannte hatte bisher geschwiegen. Er sah ein, daß der Onbaschi hier erfahrener war, als er selbst. Vielleicht freute er sich im stillen darüber, daß seine Verantwortlichkeit auf mich übergegangen war, und hütete sich nun, etwas zu sagen, was dies ändern könne. Jetzt, da er direkt zum Sprechen aufgefordert war, antwortete er:

»Natürlich thue ich das. Ich habe nichts gegen das, was der Effendi bestimmt. Er ist der erste, und ich bin der zweite; was er thut, das ist wohlgethan. Aber wohin werden wir reiten? Es ist doch ganz unmöglich, zu wissen, wo die heimlichen Brunnen liegen.«

»Es ist nicht unmöglich. Mit einigem Nachdenken kann man wenigstens die Richtung erraten. Wir vermuten, daß die Räuber bei der Insel Argo über den Nil gehen und dann ihre Richtung nach dem Bir Murat nehmen; da sie dieses Ziel nicht ohne Wasser erreichen, haben wir die heimlichen Brunnen nur auf dieser Linie zu suchen.«

»Und du kennst den Weg?«

»Es giebt keinen Weg, aber ich werde mich nicht verirren. Da die Sklavenjäger von Westen kommen, werden wir westlich von der Karawanenstraße und parallel mit derselben gerade südwärts reiten. Auf diese Weise müssen wir, wenn sie ja schon vorüber sein sollten, auf ihre Fährte stoßen. Treffen wir auf keine Spur, so sind sie noch nicht da, aber wir können sie für jeden Augenblick erwarten. Vor allen Dingen muß ich streng bestimmen, daß der Onbaschi mit seinen Asakern nichts unternimmt, bevor wir zu ihm stoßen.«

Das waren die Grundzüge meines Planes; es brauchte nur noch Nebensächliches besprochen zu werden; dann konnten wir aufbrechen. Wir wurden auch in diesen Dingen einig. Der Onbaschi bekam sehr genaue Instruktionen, und dann fragte es sich nur noch, was mit Ben Nil und Selim geschehen solle. Der erstere erklärte, daß er mein Diener sei und mich nicht verlassen werde; der andere sagte dasselbe. Es schien diesem unheimlich bei den Asakern zu werden, da sie nicht an seine Vorzüge glauben wollten. Mir konnte seine Gegenwart nichts nützen, dem Onbaschi aber noch viel weniger. Ritt er mit diesem nach dem Brunnen, so mußte ich gewärtig sein, daß er Dummheiten machen und meinen Plan vereiteln werde. Mir wagte er nicht zu widerstreben, und so sagte ich ihm, daß er auch mit mir reiten könne.

So waren wir also vier Personen. Jeder nahm einen Wasserschlauch und den nötigen Proviant zu sich auf das Reitkamel, und dann ging es gerade nach Süden vorwärts. Die Asaker hatten zunächst dieselbe Richtung einzuhalten, mußten sich aber später mehr nach links, also ostwärts halten, um parallel mit der Karawanenstraße zu bleiben.

Man rechnet von Korosko bis zum Bir Murat vier Tagereisen. Ich wollte diese Strecke, das heißt bis auf die gleiche Breite mit demselben, in zwei Tagen zurücklegen. Das gab eine starke Leistung für unsere Kamele, der sie aber, zumal das meinige, gewachsen waren.

Unangenehm war dabei, daß wir nur am Tage reiten konnten. Gewöhnliche Karawanen pflegen mit Sonnenaufgang aufzubrechen und bis ungefähr elf Uhr zu marschieren. Dann ruht man während der größten Tageshitze bis zwei Uhr, um nachher bis zum Abend wieder unterwegs zu sein. Nach Sonnenuntergang wird eine Stunde zum Abendessen Rast gemacht, und dann geht es im Mond- oder Sternenscheine bis Mitternacht weiter. Wir aber wollten Spuren finden, Spuren der Sklavenjäger, welche sich von West nach Ost quer über unsere Richtung ziehen mußten; die konnten wir des Nachts nicht sehen, und darum mußten wir auch in den heißen Mittagsstunden im Sattel bleiben.

Die Gegend war zunächst noch bergig. Die Lastkarawane erreicht das Sandmeer gewöhnlich erst am dritten Tage. Was sich unsern Blicken bot, war lauter Öde und Trostlosigkeit; kein Baum, kein Strauch, nicht einmal ein einzelner Grashalm war zu sehen. In diese Einsamkeit brachten außer uns nur hier und da ein Geier oder ein Rabe Leben, welche über unsern Häuptern dahinzogen. Beide sind die einzigen Vögel der nubischen Wüste. Dieser Geier ist der weißköpfige (Vultur fulvus); er und der Rabe wagen sich nicht an lebende Tiere, infolgedessen man unterwegs oft Scenen vor sich hat, welche einem im Herzen weh thun.

Wenn nämlich ein Lastkamel ermattet und nicht mehr fort kann, so sinkt es nieder und ist weder durch gute Worte noch durch Anwendung von Gewaltmitteln zum Aufstehen zu bewegen. Man läßt es dann einfach liegen und bürdet seine Last den andern Tieren auf. Es ist nicht tot, aber es hat keine Kraft mehr, sich zu erheben. So liegt es noch Tage lang, bewegt ein Bein oder das andere, hebt den Kopf, und rundum sitzen die Geier und Raben, um zu warten, bis es nach und nach verschmachtet, und es dann zu zerreißen. Der Wüstenbewohner geht gefühllos an solchen armen Tieren vorüber; seine Kamele sehen das Bild ihres einstigen Schicksales und schreiten kläglich brüllend vorbei; ich aber habe stets, wenn ich ein noch lebendes Kamel liegen sah, die Leiden desselben durch eine Kugel geendet. Die Raben und Geier nagen das Fleisch bis auf die Knochen ab, und die Gerippe bleiben liegen, bleichen in der Sonne und bezeichnen den Weg, den die Karawane ziehen muß. Zuweilen sieht man seitwärts vom Pfade einige aufeinander gelegte Steine. Das sind die Stellen, an denen ein Mensch verschmachtete oder auf irgend eine andere Weise vom Leben zum Tode kam.

Wir bekamen während unsers Rittes kein einziges dieser Todeszeichen zu sehen, da wir uns in der wilden Wüste und nicht auf dem Karawanenwege befanden. Die Ordnung, welche wir innehielten, war sehr einfach. Ich ritt mit dem Lieutenant voran, und Ben Nil und Selim folgten. Über die Richtung konnte ich nicht im Irrtume sein, selbst der Kompaß war nicht nötig. Ein Blick auf die Uhr und auf den Stand der Sonne genügte zur genauen Orientierung. Des Nachts dienen die Sterne, besonders das südliche Kreuz, den Dewalil als Merkzeichen; da aber dieses Sternbild in jenen Breiten zeitig untergeht, kommt es vor, daß der beste Führer sich einmal verirrt.

Die felsige Wüste zu beschreiben, ist eine undankbare Aufgabe; darum will ich nur sagen, daß wir, als die Sonne untergegangen war, ungefähr in gleicher Breite mit dem Nildorfe Serah Halt machten und uns lagerten. Wir waren so schnell geritten, daß wir zwei Kameltagereisen hinter uns gebracht hatten.

Unser Abendessen bestand aus Datteln und Wasser. Wir konnten uns nicht einmal einen Mehlbrei bereiten, da es uns an Feuermaterial fehlte. Die Karawanen sammeln den auf dem Wege liegenden Kamelmist, um denselben als Feuerungsmaterial zu benützen; auf unserm einsamen Wege aber war davon nichts zu finden gewesen. Wir hätten uns übrigens auch nicht die Mühe des Sammelns geben können, da unsere Zeit zu kostbar war.

Meine drei Begleiter waren nicht nur solcher Parforcetouren, sondern überhaupt des Kamelreitens nicht gewöhnt; darum fühlten sie sich angegriffen. Der Lieutenant besaß zu viel Stolz, als daß er geklagt hätte; auch Ben Nil war still; aber Selim jammerte sehr.

Mit dem Morgengrauen erwachten wir und setzten den Ritt fort. Die Berge wurden bald seltener, und die Felsen machten dem Sande Platz, dessen Fläche sich wie ein endloses, unbewegtes, gelbes Meer vor uns ausdehnte. Ich trieb mein Kamel an, und die andern mußten folgen, obgleich die gestrige Anstrengung ihnen noch in den Gliedern lag.

Die Sonne stieg an dem wolkenlosen Himmel höher und höher und sandte ihre Strahlen herab, welche die Attnosphäre mit steigender Glut erfüllten. Um die Mittagszeit war es, als ob wir Feuer atmeten. Der Lieutenant wurde stiller und stiller, Ben Nil ebenso; desto lauter klagte Selim. Er wollte in jeder Viertelstunde anhalten, um abzusteigen und sich niederzulegen. Ich redete ihm zu, vergebens. Ich nahm ihn bei der Ehre, indem ich sagte:

»Ich habe bisher geglaubt, du seist vom Stamme der Fessara; das scheint aber nicht wahr zu sein.«

»Es ist wahr.«

»Aber die Fessara sind doch wohl die berühmtesten Kamelreiter zwischen Darfur und dem Nile?«

»Auch das ist richtig,« antwortete er in stolzem Tone. »Ich bin der größte Held ihres Stammes.«

»Dann würdest du dich nicht in dieser Weise über einen leichten Ritt beklagen. Du jammerst ja wie ein Kind. Ist das eines Helden würdig?«

»Nein; aber in diesem Augenblicke bin ich kein Held, sondern ein zerschlagener und ausgedorrter Mann, den die Strahlen der Sonne fressen. Ich muß unbedingt absteigen und mich ausruhen.«

»Jetzt, wo die Versäumnis eines Augenblickes genügt, unsern Plan unausführbar zu machen? Bedenke, daß wir die geraubten Weiber und Töchter der Fessara, also deines Stammes, retten wollen!«

»Was gehen mich alle Weiber und Töchter der Erde an, wenn ich ihretwegen zu Grunde gehen soll!«

»Du bist kein guter Mensch, Selim. Um anderen Gutes zu erweisen, muß man ein Opfer bringen, und hier handelt es sich um die Freiheit und das Glück sehr vieler Personen!«

»Ich mag von ihnen nichts wissen.«

»So bist du geradezu ein schlechter Kerl!«

»Richtig, sehr richtig! Aber mein Leben muß mir lieber sein als dasjenige hundert anderer. Ich bin ein Held, ein tapferer, verwegener Kämpfer und Krieger; ich fürchte mich selbst vor dem Teufel und vor Gespenstern nicht, wie ich dir glanzvoll bewiesen habe, aber von der Sonne gebraten zu werden, das ist zuviel, das braucht sich kein Held gefallen zu lassen. Ich halte an und steige ab.«

»Thue es; ich habe nichts dagegen,« antwortete ich zornig.

»Ich danke dir, Effendi! Ich wußte, daß du doch noch verständig handeln werdest. Wir werden also hier ausruhen!«

»Wir? Nein, sondern nur du. Wir reiten natürlich weiter.«

»Weiter reiten?« fragte er besorgt. »So soll ich hier allein bleiben?«

»Jawohl, da es dir so beliebt. Ich steige nicht eher ab, als bis ich unser heutiges Ziel erreicht habe. Wer nicht mit will, der mag zurückbleiben und sich von den Geiern fressen lassen. Gehen dich die Frauen der Fessara, welche deine Verwandten sind, nichts an, so habe auch ich mit dir nichts mehr zu schaffen.«

Ich trieb mein Kamel weiter, zornig über den Mann, der sich so gefühllos gegen seine Stammesangehörigen zeigte. Er sah ein, daß er verloren war, falls er zurückblieb, und folgte. Überdies wäre ihm das Absteigen wohl nicht sehr leicht geworden, da sein Kamel, wenn wir andern weiter geritten wären, sich geweigert hätte, anzuhalten.

Auf diese Eigentümlichkeit der Kamele bauend, hielt ich mich stets voran. Noch am Vormittage hatten wir die Höhe von Abu Rakib erreicht, und nach Mittag kamen wir in diejenige von Wadi Merischa. Während dieser ganzen Zeit hatte ich den Boden unausgesetzt im Auge gehabt, um eine Spur zu entdecken, aber nichts dem ähnliches gefunden.

Und weiter ging es, immer weiter. Die vier Kamele warfen die langen Beine ohne Ermüden vorwärts; es waren wirklich ausgezeichnete Tiere. Wenn nur die drei Reiter ebenso ausdauernd gewesen wären. Von Selim war gar nicht zu reden; er war ein Schwächling in jeder Beziehung; die beiden andern hatten Charakter, aber sie waren die Wüste nicht gewöhnt und mußten sich zu sehr anstrengen. Sie sprachen kein Wort und folgten mir, weil sie mir folgen mußten.

Ich will nicht sagen, daß dieser Ritt mir leicht geworden sei, o nein. Auch ich empfand die entsetzliche Hitze, welche mein Gesicht verbrannte, so daß an mehreren Stellen, auch an den Händen, die Haut sich löste; aber wir hatten eben ein Ziel vor uns und mußten es unbedingt erreichen. Hat der Mensch einmal ein Muß erkannt, so soll er alle Kräfte einsetzen, demselben gerecht zu werden.

Gegen Abend tauchte eine Hügelkette vor uns auf; die Höhen zogen sich quer über unsere Richtung und waren nicht bedeutend. Ich irrte mich nicht, als ich annahm, daß dies die Hügelkette sei, welche sich vom Dar Sukkot quer durch die nubische Wüste zieht. Zu ihr gehören auch die Felsen, zwischen denen der Bir Murat liegt. Wir befanden uns also mit demselben parallel, und nun galt es, doppelt scharf aufzupassen. Ich mußte den Sand nach Spuren untersuchen, was bei der Schnelligkeit unseres Rittes nichts Leichtes war, und zugleich die Hügel betrachten, um aus der Form und Lage derselben auf etwa vorhandenes Wasser zu schließen.

Da plötzlich hielt mein Kamel im Schreiten inne; es blieb stehen und sog die Luft durch die Nüstern. Dann wendete es sich nach rechts und rannte, fast möchte ich mich des Ausdruckes bedienen, zu gleichen Beinen davon. Ich ließ das Halfter so locker wie möglich; es fiel mir gar nicht ein, das Tier zu verhindern, seinem Instinkte oder vielmehr seinem Geruche zu folgen – es hatte Wasser gespürt.

Die andern Tiere folgten mit derselben Schnelligkeit. Der Sand flog rechts und links und hinter uns in Wolken empor; wir schossen zwischen zwei Hügeln hindurch, welche im Hintergrunde durch einen dritten verbunden wurden, so daß ein kleiner, vorn offener Thalkessel vor uns lag. In der Mitte desselben angekommen, blieb mein Kamel stehen und wollte mit den Vorderhufen den Sand aufscharren. Ich sprang, ohne es erst niederknieen zu lassen, aus dem hohen Sattel herab, nahm es beim Kopfe und riß es zurück. Es sträubte sich; es zerrte, schrie, schlug und biß nach mir – vergeblich; es mußte zurück, und dann legte ich ihm die Fesseln so eng um die Beine, daß es nicht von der Stelle konnte. Über meinen Widerstand wütend, warf es sich zu Boden und blieb da bewegungslos, wie tot, liegen. Dieselbe Not hatte ich auch mit den drei andern Tieren, obgleich dieselben gestern sich toll und voll getrunken hatten; auch sie wurden gefesselt.

In meine drei Begleiter war Leben gekommen. Sie sahen, daß der Ritt für heute zu Ende sei, und das gab ihnen die Kräfte und die Lebenslust zurück.

»Effendi, du hast wirklich recht gehabt,« sagte der Lieutenant voller Freude. »Nach dem Verhalten unserer Kamele muß es hier Wasser geben.«

»Es giebt welches; darauf könnte ich schwören.«

»Ist es nicht möglich, daß du dich irrst?«

»Seht ihr nicht die feinen Spuren von Kamelmist? Es sind Kamele, folglich auch Menschen hier gewesen. Und wo Menschen so fern von den Karawanenwegen in der Wüste verkehren, da muß es Wasser geben. Laßt uns nachgraben! Übrigens hätte ich, selbst wenn ich allein, ohne Kamel, hierher gekommen wäre, aus der Lage und Gestalt dieses Hügelkessels auf Wasser geschlossen.«

Wir knieten nieder, um den Sand wegzuräumen; er war nicht fest, und acht kräftige Arme förderten die Arbeit. Bei drei Fuß Tiefe wurde er feucht, bei vier Fuß naß; dann stießen wir auf ein Leder, welches aus einigen zusammengenähten Gazellenhäuten bestand, und als wir dasselbe entfernt hatten, sahen wir noch eine Elle tiefer das klare Wasser; einige Holzstäbe steckten quer darüber, um das Leder zu tragen.

»Allah sei Preis und Dank!« rief Selim. »Hier giebt es frisches Wasser. Laßt uns auf die Hitze des Tages trinken, damit wir neue Kraft bekommen!«

Er machte die Gürtelschnur los, um seinen Becher an dieselbe zu binden und von dem Wasser zu schöpfen.

»Halt!« sagte ich. »Recht, dem Recht gebührt. Erst soll der Finder trinken.«

»Der Finder? Der bist du!«

»Nein, mein Kamel; es hat vier Tage lang gedürstet und soll nun seinen Lohn erhalten.«

»Aber der Mensch kommt vor dem Tiere!«

»Nicht in allen Fällen. Hier haben wir einen Fall, wo es umgekehrt ist. Mein Kamel kommt vor mir; ich habe getrunken, dasselbe aber nicht, obgleich es mich tragen mußte und ich sicher auf seinem Rücken saß.«

»Ihr Christen seid sonderbare Leute, und wir, die wahren Gläubigen, müssen darunter leiden. Soll dein Kamel etwa dieses frische Wasser saufen, während dann wir uns mit dernjenigen in unsern Schläuchen, welches bereits stinkt, begnügen müssen?«

»Nein. Es bekommt das Wasser zweier Schläuche, welche wir dann hier von neuem füllen. So ein geheimer Brunnen ist nicht etwa so ausgiebig wie der Bir Murat. Wir können jetzt, wie ich sehe, nur zwei Schläuche füllen, und es kann wohl einen Tag währen, bis sich wieder ebenso viel gesammelt hat.«

»Und wie soll dein Kamel saufen, da dieser Brunnen zu eng ist und wir auch kein Gefäß haben?«

»Aus diesem Leder, dessen Ecken ihr emporhaltet, so daß in der Mitte eine Vertiefung entsteht.«

Die drei faßten das Leder in der bezeichneten Weise an, und ich goß das Wasser aus zwei Schläuchen hinein. Dann nahm ich dem Tiere die Fesseln ab; es sprang auf und trank mit großer Begier, bis der letzte Tropfen verschwunden war. Nun füllten wir die entleerten Schläuche aus dem Brunnen, welcher eigentlich ein sehr seichtes Wasserloch war, und schöpften ihn damit vollständig aus. Dann wurde er wieder zugedeckt, damit die heiße Luft nicht eindringen könne.

Wir hatten jeder von dem frischen Wasser getrunken und fühlten uns außerordentlich erquickt. Mittlerweile hatte die Sonne den Horizont erreicht, und die drei Muhammedaner knieten nieder, um das Aschia zu beten. Es muß erwähnt werden, daß sie auch unterwegs die vorgeschriebenen Gebete nicht vergessen hatten und auch später nicht versäumten. Es wurde zur betreffenden Zeit abgestiegen, niedergekniet und gebetet.

Nach dem Aschia nahmen wir das Abendbrot ein, welches aus Datteln und getrocknetem Fleische bestand. Die Kamele bekamen eine kleine Portion Negerhirsen zu fressen. Hierauf gingen wir schlafen. Die drei lagerten sich an der Quelle; ich aber stieg die westliche Höhe hinan, auf deren Gipfel ich mich niederlegte – als Wächter gegen etwaige Überraschungen. Die Sklavenjäger konnten ja möglicherweise auch des Nachts kommen. Sehr bald drang das Schnarchen der Gefährten zu mir herauf, und auch ich schlief ein, doch ohne Sorgen, denn ich wußte, daß mein Schlaf ein so leiser war, daß ein lauter Kamelschritt mich gewiß geweckt hätte.

Als ich erwachte, graute der Tag; der Osten begann sich zu färben, und ich weckte die drei, damit sie das Fagr beten sollten. Fagr heißt Morgenröte; darum wird das für die Zeit des Sonnenaufganges vorgeschriebene Gebet so genannt. Sie standen auf, sprachen ihr Gebet, und dann sahen wir nach dem Wasser. Es hatte sich während der Nacht so viel gesammelt, daß wir wieder zwei Schläuche füllen konnten; das alte Wasser bekamen die Kamele. Dann aßen wir einen Brei, welcher aus Durrhamehl, in kaltem Wasser eingerührt, bestand. Der ärmste deutsche Bettler würde diese Speise für ungenießbar erklären; die Wüste aber nimmt keine Rücksicht auf den verwöhnten Gaumen eines Menschen.

Ich hatte über meine ferneren Absichten geschwiegen, und meine Gefährten schienen überzeugt zu sein, daß ich hier an dem Brunnen die Sklavenjäger abfangen wolle, denn der Lieutenant meinte, während wir aßen.

»Effendi, deine Berechnung ist wirklich richtig gewesen. Ich bin überzeugt, daß dieser Brunnen genau in Richtung zwischen Bir Murat und der Insel Argo liegt. Wenn die Räuber wirklich dort über den Nil gehen, müssen sie uns hier in die Hände laufen. Wir erwarten sie in aller Ruhe und Bequemlichkeit, und wenn sie kommen, so – so – so – –«

»Nun, was dann?« fragte ich.

»Dann – dann – – ja, was wirst du denn dann thun?«

»Meinst du wirklich, daß wir sie hier in solcher Bequemlichkeit erwarten?«

»Ja.«

»Wenn sie dann kommen, sind sie höchst wahrscheinlich viele Köpfe stark, während wir nur vier Männer sind. Ich fürchte mich zwar nicht, aber es ist besser, für irgend einen guten Zweck zu leben als für denselben zu sterben. Wir würden also einen Kampf nicht aufnehmen, sondern uns schnell, ehe sie uns bemerkt hätten, zurückziehen.«

»Wohin?«

»Auf unsere Asaker, welche heute abend am Dschebel Mundar eintreffen. Bis dahin ist eine halbe Tagereise. Uebrigens werden wir gar nicht in die Lage kommen, uns schon heute mit den Asakern zu vereinigen. Wir sind noch nicht am Ziele.«

»Noch nicht? Wohin willst du denn?«

»Südwärts. Wir haben bis hierher keine Spur gefunden; es ist aber möglich, daß die Erwarteten weiter oben, also südlich, in die Wüste eingedrungen sind. Man muß so sicher wie möglich gehen. Welch ein Ärger, wenn wir hier ruhig sitzen blieben und dann hörten, daß sie inzwischen zum Beispiele nach Dschebel Daraweb und dem Bir Absa vorüber seien! Wir müssen also sofort weiter.«

»Allah! Ich will dir gestehen, daß ich einen solchen Ritt nicht mehr aushalte.«

»Ich auch nicht!« stimmte Selim bei. »Ich mag weder weiter reiten noch wieder riechen.«

Ben Nil schwieg. Es war ihm nicht besser zu Mute als den beiden andern, aber er war trotzdem bereit, meinem Willen zu folgen. Der brave Junge dauerte mich. Ich hatte einen Ritt vor, welcher an Anstrengung den gestrigen noch übertreffen mußte; wenn ich es mir recht überlegte, so konnten mich die andern nur hindern, und da ich einmal wenigstens einen von ihnen hier als Posten zurücklassen mußte, so war es jedenfalls am klügsten, keinen von ihnen mitzunehmen und lieber allein zu reiten.

Als ich ihnen dies mitteilte, waren sie einverstanden. Nur der treue und besorgte Ben Nil meinte.

»Effendi, ist es nicht besser, ich reite mit? Du könntest leicht in irgend eine Gefahr geraten, in welcher ich dir, wenn es Allahs Wille ist, vielleicht beizustehen vermöchte.«

»Wenn es Allahs Wille ist, würde ich eine solche Gefahr auch allein bestehen. Ihr bedürft einen Tag der vollen Ruhe, und es ist besser, daß alle drei sich hier befinden, denn ich bin beinahe überzeugt, daß die Sklavenjäger doch durch diese Gegend kommen. Ich würde selbst hier warten, aber Pflicht und Vorsicht gebieten, daß ich andere Möglichkeiten auch mit in Berechnung ziehe.«

»Aber wenn dir ein Unglück begegnet, sind wir hier, ohne dir helfen zu können und ohne zu wissen, was wir thun sollen.«

»Wenn ich bis morgen mittag noch nicht hier bin, so – –«

»So weit und so lange willst du fort?« unterbrach er mich.

»Wie weit ich reite, weiß ich noch nicht. Also, wenn ich bis dahin nicht zurückgekehrt bin, eilt ihr zu den Asakern und reitet nach Süden, wo ihr auf die Fährte der Räuber treffen werdet. Ich kehre nämlich nur dann nicht zurück, wenn ich auf diese Leute treffe und dabei verunglücken sollte.«

»Allah möge es verhüten! Mir wird angst und bange, Effendi. Ich werde dich doch lieber begleiten!«

»Nein. Ich bin überzeugt, daß mir nichts geschieht, und dein Arm ist hier vielleicht nötiger als bei mir. Es gilt, gut und aufmerksam Wache zu halten. Hier unten am Brunnen habt ihr Schatten, und ich bin gar nicht dagegen, daß ihr hier lagern bleibt, einer von euch aber muß sich stets auf dem Hügel, wo ich geschlafen habe, befinden, um Ausschau nach Südwest zu halten. Wenn ihr während meiner Abwesenheit die Räuber kommen seht, so werft euch schleunigst auf die Kamele und eilt zu den Asakern, um ihnen zu sagen, daß sie sich zurückziehen und die Sklavenjäger vorüber lassen sollen.«

»Da entkommen diese ja!«

»Nein. Ich will nicht haben, daß ihr in meiner Abwesenheit einen Angriff auf sie unternehmt. Darum sollt ihr sie lieber vorüber lassen. Sie reiten auf alle Fälle nach dem Bir Murat, und dort fassen wir sie nach meiner Rückkehr.«

»Aber wenn sie dort nicht lange bleiben?«

»So reiten wir ihnen nach. Wir kommen doch jedenfalls schneller vorwärts als ein Sklavinnentransport und werden sie also auf alle Fälle einholen. Also, komme ich zurück und finde euch nicht mehr vor, so weiß ich euch bei den Asakern und suche euch bei diesen auf. Geschieht aber nichts, so bleibt ihr bis morgen mittag hier!«

Es wurden zwar noch allerlei Einsprüche erhoben, doch ich blieb bei meinen Bestimmungen, welche ich für die den Umständen am angemessensten hielt. Mein Tier hatte sich heute sehr anzustrengen, darum gab ich ihm ein doppeltes Quantum Negerhirsen und einige Hände voll Datteln. Nachdem ich meinen Wasserschlauch hinter dem Sattel befestigt hatte, schärfte ich den dreien noch einmal Vorsicht ein und stieg dann auf. Es war acht Uhr morgens, als ich den Brunnen verließ.

Es ging wieder, wie während der zwei letzten Tage, gerade südwärts. Bald war die Hügelkette im Norden verschwunden, und es gab nun rund um mich das gelbe, öde, abwechslungslose Bahr bela mah, das Meer ohne Wasser. Ist die Einöde schon erdrückend, wenn man Begleiter bei sich hat, so ist sie es noch weit mehr, wenn man sich ganz allein befindet. Es kommt eine Art Grauen über einen. Man fühlt sich der Unendlichkeit gegenüber klein und machtlos – ein hilfloser Wurm der gerade in ihrer Einförmigkeit und Unfruchtbarkeit gewaltigen Natur gegenüber. Auch mich überkam ein Gefühl, als ob die Wüste sich hebe und der Himmel sich senke und ich zwischen beiden zerquetscht, zermalmt werden sollte. Da ich kein Leben sah, mußte ich es hören – ich begann zu pfeifen, wie furchtsame Schulknaben zu pfeifen pflegen, wenn sie sich im Dunkeln grauen. Und doch war es so hell, so licht um mich.

Mein Kamel spitzte die Ohren und verdoppelte seine Schnelligkeit. Die Wirkung, welche das Pfeifen auf die Kamele ausübt, ist wirklich erstaunlich. Mag das schwerbeladene Schiff der Wüste noch so ermüdet sein, sobald sein Führer die eigens dazu konstruierte Pfeife an die Lippen setzt, kommt es wie neue Kraft über das abgetriebene Tier. Auch ein frisches, also nicht ermüdetes, Kamel nimmt das Pfeifen für eine Aufforderung zu größerer Schnelligkeit.

Während der beiden letzten Tage hatte ich meine Begleiter schonen müssen; heute brauchte ich diese Rücksicht nicht zu nehmen. Ich wollte sehen, welche Schnelligkeit mein grauer Schnellläufer entwickeln könne; darum trieb ich ihn durch Liebkosungen, Zurufe und Pfeifen an – ich flog nur so dahin. Der beste arabische Renner hätte nicht Schritt halten können. So ging es über eine Stunde lang, ohne daß das Tier Schweiß oder Ermüdung zeigte oder durch Schnauben kund gab, daß es ihm an Atem mangele. Das Tier hatte seine Freude an diesem Dauerlauf, denn als ich es zügelte, mußte ich Gewalt anwenden, um ihm Einhalt zu thun.

Stunde um Stunde verging. Zuweilen kam ich quer durch ein Chor, wo ein einsamer, blattloser Sidr-Strauch, eine Mimosenart, stand, ein trauriger Rest der spärlichen Vegetation, welche sich während der Regenzeit in so einem Chor entwickelt. Es wurde Mittag und Nachmittag, ohne daß ich eine Kamelspur zu finden vermochte. Die Sonne senkte sich tiefer und tiefer; ich befand mich sicher in gleicher Breite mit dem Nildorfe Tinareh und hielt nun an. Weiter südlich hatte ich die Sklavenjäger, wenn sie überhaupt den nördlichen Weg einschlugen, nicht zu suchen. Ich stieg also ab, um meinem braven Tiere eine Stunde der Ruhe zu gönnen; es erhielt auch einige Becher Wasser aus dem Schlauche und eine Handvoll Datteln.

Als die Sonne verschwunden war, stieg ich wieder auf, um zurückzukehren. Das war ein Ritt! So ganz allein, wirklich mutterseelenallein! Und doch nicht allein. Unten ist die Öde, der Tod; droben aber glänzt das Leben; da leuchten die Sterne und erzählen mit flammenden Worten von dem, der ewig war, ewig ist, ewig bleibt und den Menschen mit liebender Vaterhand selbst durch das Grauen der Wüste leitet. Die Gedanken des Menschen in einer solchen sternenhellen Wüstennacht, wer wollte sie nachdenken oder gar beschreiben!

Natürlich ging die Rückkehr nicht so schnell wie der Ritt am Tage. Ich hatte sorgfältig darauf zu achten, daß ich nicht aus der Richtung kam. Die Sterne leuchteten hell genug, um mich, wenigstens von Zeit zu Zeit, meine Fährte erkennen zu lassen. Dieselbe war sehr deutlich, weil mein Kamel während des Eillaufes den Sand tief aufgegriffen hatte. Das vortreffliche Tier schien selbst jetzt nicht ermüdet zu sein, und um mich dafür dankbar zu erweisen, pfiff ich ihm alle mir geläufigen Melodien vor, nur dann eine kurze Pause machend, wenn mir die Lippen weh thaten. Als der erste Tagesschein im Osten erwachte, fühlte ich mich zwar körperlich ermüdet, aber geistig so frisch wie gestern, da ich vom Brunnen aufgebrochen war. Ich hatte den Mittag als die späteste Zeit meiner Rückkehr bezeichnet und brauchte mich nicht zu beeilen. Darum ließ ich mein Tier in gemächlichem Schritte gehen und freute mich der Genauigkeit, mit welcher ich während der Nacht auf meiner eigenen Spur geritten war; sie zog sich auch jetzt noch sichtbar gerade gen Norden.

Es mochte gegen neun Uhr sein, als ich die Hügelkette vor mir erblickte. Bald erkannte ich auch die drei Höhen, hinter denen der verborgene Brunnen lag. Wie mochte es dort stehen? War etwas geschehen oder nicht? Ich trieb mein Tier unwillkürlich zu größerer Eile an. Bald darauf aber hielt ich es so kräftig an, daß es stehen blieb. Es war etwas geschehen, ganz gewiß! Ich sah nämlich von links her eine breite Fährte kommen, welche hinter den drei Hügeln verschwand und dann rechts von denselben wieder erschien, um da gegen Nordost weiter zu gehen. Es war also jemand da gewesen und wieder fortgeritten. Dieser jemand aber mußte aus mehreren Reitern bestehen, wie ich aus der Breite der Fährte bemerkte.

Nun trieb ich mein Kamel wieder vorwärts, legte das Gewehr über den Sattel und nahm den einen Revolver in die Hand. So ritt ich um den linken Hügel herum, stieg da ab und schlich mich vorsichtig weiter bis dahin, wo ich zwischen den beiden Hügeln hindurch nach dem Brunnen sehen konnte. Ich bemerkte mit dem ersten Blicke, daß derselbe zugeschüttet und seine Oberfläche mit der Umgebung ausgeglichen war. Ein Mensch befand sich nicht da.

Die Fährte deutete auf fünf Reiter. Waren meine drei Gefährten, als sie dieselben kommen sahen, sofort davon geritten, um den Onbaschi aufzusuchen? Ich sah die fünffache Fährte nach dem Brunnen führen und untersuchte nun die andere, welche wieder heraus- und nach Nordosten weiter ging. Sie zeigte die Hufeindrücke von acht Kamelen. Das stimmte. Erst waren meine drei Leute fort und dann später die fünf Fremden. Später? O nein! Die Spuren waren gleich alt, keine auch nur eine halbe Stunde jünger als die andere. Die acht Kamele hatten zu gleicher Zeit den Brunnen verlassen. Mir wurde angst, und doch beruhigte es mich, aus den noch scharfen, nicht eingefallenen Sandrändern der Hufeindrücke zu ersehen, daß nach dem, was hier geschehen war, höchstens eine Stunde vergangen sein konnte. Also war es mir, falls meine Leute sich in Gefahr befinden sollten, wohl möglich, ihnen noch Hilfe zu bringen.

Ich ging nun zum Brunnen. Da sah ich an dem Fuße der linken Anhöhe einen Sandhaufen, welcher vorher nicht dagewesen war, wohl vier Ellen lag, zwei breit und eine hoch, fast wie ein Grab. Der Sand war locker; ich begann, ihn aufzuwühlen. Dabei bemerkte ich unweit von mir eine rotgefärbte Stelle. Hier war also Blut geflossen! Wer lag unter dem Haufen? Ich arbeitete fast krampfhaft weiter. Ein nackter Fuß kam zum Vorscheine und dann noch einer.

Sollte ich den Körper nach und nach von seiner Sanddecke befreien? Das ließ meine Ungeduld nicht zu. Ich faßte also beide Füße, zog und zog und riß endlich den ganzen Körper mit einem gewaltsamen Rucke aus dem Sande.

Gott sei Dank, es war weder der Lieutenant, noch Ben Nil, noch Selim! Es war ein mir fremder, bärtiger, sonnverbrannter Mann mit halb arabischem und halb negerartigem Gesichte. Man hatte ihm die Kleider genommen; er war ganz nackt, und in seiner Brust klaffte eine breite Stichwunde. Der Messerstoß hatte unbedingt das Herz getroffen.

Wer war der Mann? Wer hatte ihn erstochen? Es trieb mich fort, die Fährte schleunigst aufzunehmen, aber die Überlegung sagte mir, daß ich ruhig und bedachtsam sein müsse und hier nichts versäumen dürfe. Ich hatte hier unten genug gesehen und konnte mir den Vorgang erklären. Fünf Reiter waren gekommen; meine Gefährten hatten sich gewehrt und einen von ihnen getötet; man hatte sie aber überwältigt und gefangen genommen. Dann war der Tote begraben, der Brunnen verdeckt und jede Spur des Geschehenen verwischt worden. Nur die blutige Stelle hatte man gelassen; sie sollte um Rache zum Himmel schreien.

Es war klar, daß meine Kameraden sich in Lebensgefahr befanden; dennoch folgte ich ihnen nicht sofort, sondern stieg zunächst auf den Hügel, auf welchem ich geschlafen hatte, und hielt Umschau. Es war ja möglich, daß ich von diesem Standpunkte aus noch irgend etwas bemerkte, was mir von unten entgangen war. Und richtig, ich hatte mich nicht geirrt! Ich entdeckte etwas, sogar etwas sehr Wichtiges.

Nämlich ungefähr tausend Schritte von den drei Hügeln, zwischen denen sich der Brunnen befand, lag eine einzelne Anhöhe; in halber Entfernung sah ich einen Mann, welcher langsam und zögernd, ja ängstlich näher kam. Er war sehr lang, sehr dürr, trug einen weißen Haik und einen riesigen Turban von derselben Farbe. Das war ja mein Aufschneider, mein Großprahler, der alte Schlingelschlangel!

»Selim, Selim, ich bin es!« rief ich ihm zu. »Komme schnell; du hast nichts zu befürchten!«

»Tamahm, tamahm ketir – richtig, sehr richtig!« brüllte er als Antwort. Dann setzte er seine langen, »tapfern« Beine in so eilige Bewegung, daß er in Zeit einer halben Minute vor mir stand, der ich inzwischen rasch wieder zu der Leiche hinabgestiegen war.

»Allah sei Lob, Preis und Dank gesagt, daß du gekommen bist, Effendi!« begrüßte er mich. »Jetzt ist alles, alles gut, denn ich hoffe, daß du mir helfen wirst, den Lieutenant und Ben Nil zu retten. Solltest du dich aber fürchten, so werde ich es ganz allein unternehmen.«

»Prahle nicht! jedenfalls bist du wieder einmal feig gewesen, sonst ständest du nicht hier.«

»Feig? O, Effendi, warum verkennst du mich doch stets und immer! Ich habe mit einer Klugheit gehandelt, welche du loben solltest. Ich habe mich bewahrt, um unsere Freunde retten zu können.«

»Hättest du sie sofort gerettet! Wohin sind sie denn?«

»Dorthin.«

Er deutete in die Richtung, welche die Fährte zeigte.

»Auch das brauchst du mir nicht zu sagen. Mit wem denn?«

»Das weiß ich nicht.«

»Du mußt doch wissen, wer die fünf Männer waren, welche euch überfielen? Ihr müßt doch mit ihnen gesprochen haben!«

»Ich war nicht da.«

»Wo warst du denn?«

»Dort hinter der Anhöhe.«

Er zeigte dahin, woher er eben jetzt gekommen war.

»Ah, du bist geflohen?«

»Nein. Ich nahm nur eine andere Stellung ein, welche sich besser zur Verteidigung eignete. Leider waren die beiden andern nicht klug genug, meinem leuchtenden Beispiele zu folgen.«

»Ich verstehe schon. Ausreden und Beschönigungen sind bei mir nicht angebracht. Saht ihr denn die Fünf nicht kommen?«

»Nein.«

»So habt ihr keine Wache ausgestellt?«

»O doch. Ich hatte die Wache.«

»Und du sahst die Menschen nicht, als sie kamen!«

»Effendi, ich konnte sie doch nicht sehen. Es war die Zeit des Morgengebetes, und ich kniete da oben, mit dem Gesichte, wie es vorgeschrieben ist, nach Osten, gegen Mekka gewendet; da nun diese Fünf aus Westen kamen, konnte ich sie nicht sehen.«

»Lüge nicht! Die Spuren sagen mir, daß der Überfall nach der Zeit des Morgengebetes geschehen ist. Hättest du da oben gekniet, so wärest du schon von weitem gesehen worden und den Feinden nicht entkommen!«

»Was ich sage, ist wahr, Effendi. Ich war allzu tief in das Gebet versenkt.«

»In den Schlaf! Geschlafen hast du! Gestehe es!«

Mein Ton war nicht eben ein freundlicher, wie sich leicht denken läßt; das schüchterte ihn ein. Er blickte verlegen vor sich nieder und antwortete:

»Ist es dir nicht auch schon geschehen, daß du betend eingeschlafen bist? je tiefer die Andacht, desto näher der Schlummer.«

»Um keine Zeit zu verlieren, will ich dieses halbe Geständnis für ein ganzes nehmen. Also du bist auf dem Posten eingeschlafen. Als du erwachtest, was gab es da, was sahest du?«

»Ich sah nichts, sondern ich hörte unten am Brunnen laute, drohende Stimmen. Ich kroch herzhaft und verwegen bis an den Rand der Höhe vor, um hinabzublicken. Was aber sah ich da!«

»Nun was?«

»Es war grauenhaft! Der Lieutenant lag am Boden und wehrte sich gegen zwei Männer, und drei andere hatten Ben Nil gepackt. Hier lagen unsere Kamele und draußen fünf fremde.«

»Laß die Kamele! Ich will wissen, was die Menschen thaten.«

»Ben Nil stieß einem der Angreifer das Messer in das Herz, so daß derselbe niedersank, wurde dann aber von den beiden übrigen niedergerissen.«

»Und du, was thatest du?«

»Was ich zu thun schuldig war, Effendi. Meine Leidenschaft für alles Kühne und Verwegene trieb mich zwar, mich hinab und auf die Gegner zu stürzen, aber ich sah ein, daß es schon zu spät war, sie zu vernichten. Ich nahm meine Zuflucht zu der Kühlheit meines Verstandes und zu der Überlegenheit des Nachdenkens und sagte mir, daß meine Einmischung den Gefährten nicht Nutzen, sondern nur Schaden bringen könne. Ich mußte mich erhalten, um ihnen später desto sicherere Hilfe bringen zu können. Auch mußte doch jemand hier bleiben, um dich zu benachrichtigen, und das konnte doch nur ich sein. Hatte ich recht oder nicht, Effendi?«

»Es ist wahr, dein Verstand war außerordentlich kühl und bedächtig. Erzähle jetzt nur weiter!«

»Ich war nicht gesehen worden und rannte jenseits die Höhe hinab. Du weißt ja, wie ich laufen kann, wenn es gilt, Freunde zu bewahren oder zu beschützen.«

»Ja, du hast es schon gezeigt!«

»Ich begab mich nach dem Hügel, von welchem du mich kommen sahst.«

»Du begabst dich hin? Ich denke, du wirst gerannt sein wie ein gehetzter Schakal!«

»Natürlich war ich so schnell und behend wie möglich, da es die Rettung meiner Gefährten galt. ich versteckte mich dort auf der andern Seite, wo ich nicht bemerkt werden konnte. Später sah ich die Halunken mit den beiden Gefangenen abziehen.«

»Waren sie gebunden?«

»Wahrscheinlich. Sehen konnte ich es nicht, da die Entfernung wohl über tausend Schritte beträgt. Ich sah nur, daß der Trupp aus sechs Reitern und zwei ledigen Kamelen bestand. Nun wartete ich natürlich auf dich. Ich sah einen einzelnen Reiter kommen. Er ließ sein Tier niederknieen, stieg ab und schlich sich vorsichtig nach dem Brunnen. Ich konnte die Züge seines Gesichtes nicht erkennen, aber seine Kleidung und seine Gestalt ließen erraten, daß du es seist. Ich kam herbei und sah dich auf dem Hügel stehen, von wo aus du mich riefst. Jetzt weißt du alles und wirst mir das Zeugnis geben, daß ich als Held und Mann gehandelt habe!«

Er sagte das in so zuversichtlichem Tone, daß es mit meiner Selbstbeherrschung nun endlich zur Neige ging. Ich war ergrimmt über diesen Menschen und fuhr ihn an:

»Als Held und Mann? Weißt du, was du bist? Du bist der allergrößte Feigling und Schafskopf, der mir jemals vorgekommen ist!«

Man nehme mir diesen Ausdruck nicht übel. Gegen die geradezu haarsträubenden Schimpfreden, deren sich der Araber bedient, ist das Wort Schafskopf die reine Schmeichelei. Dennoch rief Selim betroffen aus:

»Wie nennst du mich? Habe ich das verdient? Ich hatte Lob und Anerkennung erwartet, und – –

»Anerkennung?« unterbrach ich ihn. »Ich erkenne nur an, daß du ein Nichtsnutz bist, ein Taugenichts, der stets das große Wort führt, aber vor der Nase einer Maus erschrickt. Hättest du gehandelt wie ein Mann, o, nicht wie ein Mann, sondern nur wie ein leidlich mutiger Knabe, so säßen der Lieutenant und Ben Nil jetzt als Sieger hier am Brunnen. Dann wollte ich es gelten lassen, wenn du von Mut und Tapferkeit redetest!«

»Effendi, ich verstehe dich nicht!«

»So will ich mich verständlicher machen. Du hast nicht gewacht, sondern geschlafen; um so mehr war es deine Pflicht, die Folgen deiner Unachtsamkeit möglichst auf dich zu nehmen. Da unten rangen deine beiden Gefährten, welche jedenfalls auch im Schlafe überfallen wurden, denn sonst hätten sie sich ihrer Schußwaffen bedient, mit den fünf Gegnern. Ben Nil, der noch fast ein Knabe ist, stieß den einen nieder. Und was thatest du? Du befandest dich hier oben auf einem Punkte, welcher das Thal beherrschte. Du hattest deine Waffen bei dir, denn du trägst sie ja noch jetzt. Hättest du auf die Kerls geschossen, dort von deinem sichern Standpunkte aus, an welchem dir die Feinde gar nichts anhaben konnten, so wäre der Verlauf des Kampfes ein ganz anderer geworden, denn die Gefährten hätten Luft bekommen. Aber anstatt dies zu thun, bist du feig davongerannt, hast sie ihrem Schicksale überlassen und brüstest dich nun mit der Kühlheit deines Verstandes. Wenn mich nicht deine unendliche Dummheit erbarmte, so würde ich jetzt dafür sorgen, daß es deinem Verstande etwas wärmer würde. Und da wagst du, mir zu sagen, daß du die Gefangenen allein retten wolltest, wenn ich nicht den Mut dazu besitze! Was hast du denn verdient? Was soll ich denn eigentlich mit dir thun? Sag‘ mir das einmal!«

Er stand in zusammengeknickter Haltung und mit niedergeschlagenen Augen wie ein ausgescholtener Schulbube vor mir und hatte nicht den Mut zu antworten.

»Nun, rede doch! Sage, wie habe ich gesprochen, falsch oder richtig?«

»Tamahm, tamahm ketir – richtig, sehr richtig, Effendil« entfuhr ihm, jedenfalls ganz wider Willen, seine gebräuchliche Redensart.

Das klang so sonderbar, daß mein Zorn schnell verschwand. Was konnte er auch dafür, daß er das Herz eines Hasen bekommen hatte! Und seine Aufschneidereien? Nun, die allgemeine Erfahrung lehrt, daß die größten Feiglinge mit dem Munde gern die größten Helden sind. Darum fuhr ich in milderem Tone fort:

»Das war endlich einmal ein richtiges, ein wahres Wort von dir, und ich hoffe, daß es der Anfang einer nachhaltigen Besserung ist!«

»O, Effendi, ich bin doch nicht so schlimm, wie du denkst!«

»Davon wollen wir jetzt nicht sprechen. Schlimm ist zunächst die Lage, in welcher sich Ben Nil und der Lieutenant befinden. Wir müssen ihnen Hilfe bringen.«

»Natürlich, natürlich; das versteht sich ja ganz von selbst! Aber wie?«

»Wie lange sind sie schon fort?«

»Wenig über eine Stunde.«

»Was für Kamele hatten die Feinde? Lastkamele?«

»Nein, leichte Reitkamele.«

»So ist keine Zeit zu versäumen. Ich muß fort.«

»Du? Nicht auch ich?«

»Ja, du meinetwegen auch. Eigentlich sollte ich dich fortjagen, aber ich will ein Nachsehen haben und dir erlauben, mir zu folgen.«

»Ich habe doch kein Kamel! Diese Halunken haben das meinige mitgenommen.«

»Daraus schließe ich, daß ihre Klugheit keine große ist. Sie haben zwei Gefangene. Aus dem Umstande, daß es drei Hedschihn mit Sätteln gab, hätten sie ersehen können, daß ein dritter Reiter anwesend sei, und nach dir suchen sollen. Du bist freilich sehr erfreut darüber, daß sie das unterlassen haben.«

»O nein. Ich hätte mit ihnen gekämpft bis aufs Blut und – –«

»Schweig‘! Was ich von deinem Kampfesmute halte, das weißt du längst. Darum ist es mir lieb, daß ich dich jetzt nicht mitnehmen kann. Du würdest mir ja doch alles verderben. Ich reite den Leuten nach, und du kommst zu Fuße hinterdrein.«

»Das ist unmöglich, Effendi! Wie soll ich dich einholen!«

»Nichts ist einfacher als das. Die Kerle sind seit einer Stunde fort; in zwei Stunden hole ich sie ein und warte dann auf dich.«

»Damit ich mitkämpfen soll?«

»Sei nicht so dumm! Wenn du kommst, bin ich längst mit ihnen fertig. Du wirst, um an die Stelle zu gelangen, an welcher ich sie in zwei Stunden einhole, wenigstens fünf Stunden rasch gehen müssen. Meinst du, daß ich sie, deiner berühmten Tapferkeit zuliebe, drei volle Stunden festhalten soll? Übrigens hoffe ich, daß du dich sputest. Ich habe weder Zeit noch Lust, allzu lange auf dich zu warten. Du hast die Schnelligkeit und Ausdauer deiner langen Beine gerühmt; nun setze sie, da es einmal wirklich notwendig wird, in den Stand, zu beweisen, daß sie diese Lobrede verdienen!«

Ich war während dieser letzten Worte zu meinem Kamel gegangen. Als ich Miene machte, aufzusteigen, meinte Selim in kläglichem Tone:

»Du reitest also wirklich ohne mich fort? Wie kannst du mich so allein in der Wüste lassen!«

»Hättest du dein Kamel verteidigt, so besäßest du es noch. Ich weiß es, du fürchtest dich, so allein in der Wüste zu sein. Nimm es als Aufmunterung zur Besserung hin.«

»Ich fürchte mich nicht, gewiß nicht; aber, darf ich nicht hinter dir aufsteigen und mitreiten?«

»Meinetwegen,« antwortete ich schadenfroh. »Aber ich sage dir, daß ich mitten unter die Feinde reiten werde und weder Tod noch Wunden scheue, um die Gefährten zu befreien. Die Feinde werden sich wehren.«

»Das wäre mir gleich, aber,« lenkte er um, »aber ich sage mir, daß dein Kamel, wenn es auch mich noch tragen soll, nicht rasch genug laufen kann, und da ist es sehr leicht möglich, daß die Feinde dir entwischen. Darum reite lieber allein, und ich werde so schnell wie möglich nachkommen.«

»Gut!« lachte ich. »Du bist wirklich unverbesserlich. Verlaufen kannst du dich nicht. Die Fährte ist so deutlich, daß ein Blinder sie mit den Füßen fühlen würde. Halte deine Waffen bereit! Es giebt Löwen und Panther hier!«

Ich war aufgestiegen und hörte ihn im Fortreiten hinter mir schreien.

»Löwen und Panther! Allah kerihm – Gott sei mir gnädig! Ich fürchte mich gewißlich nicht, aber mit Tieren, welche nur des Nachts auf Raub ausgehen, wird ein wahrer Held aus Mitleid nicht am Tage kämpfen. Effendi, nimm mich mit, nimm mich mit!«

Ich schaute mich um und sah ihn in solcher Eile hinter mir dreinspringen, daß sein Haïk wie eine Fahne ihm im Rücken wehte. Natürlich hörte ich nicht auf sein Rufen, sondern trieb mein Tier zur größten Eile an, um die Entfernung zwischen mir und den Gesuchten so rasch wie möglich zurückzulegen.

Wenn man bedenkt, daß das Kamel seit gestern früh unterwegs gewesen war, so muß man eine solche Leistung als fast unglaublich bezeichnen; aber einem echten Reitkamel wird, wenn es not thut, zuweilen noch mehr zugemutet. Dafür wird es dann sorgfältig geschont und mit einer Aufmerksamkeit gepflegt, als ob es ein Kind des Besitzers sei.

Es entwickelte dieselbe Schnelligkeit wie gestern, und dabei war sein Tritt so leicht und sicher, daß ich sanft, wie in einem Schaukelstuhle, hin und her gewiegt wurde und von den Unebenheiten des Bodens nichts empfand. Und solcher Unebenheiten gab es genug, mehr als mir lieb war. Ich befand mich zwischen den Dar Sukkot-Höhen. Die Gegend war ein immerwährender Wechsel zwischen Sandstrecken und Hügeln, welche, je weiter ich kam, immer steinigter wurden. Glücklicherweise war die Spur so deutlich, daß ich selbst da, wo der Sand aufhörte, mich nicht irren konnte. Anderthalb Stunden waren vergangen; ich legte eben den Weg zwischen zwei niedrigen Höhen hin, da erblickte ich die Gesuchten vor mir auf einer größeren offenen Sandstrecke. Ich zog das Fernrohr aus der Satteltasche und richtete es im Jagen auf die Gruppe. Es ist ein gewisses Geschick erforderlich, von einem laufenden Kamele aus durch das Rohr zu sehen. Das Glas brachte mir die Personen näher. Zwei Personen ritten voran, und zwei, welche die beiden ledigen Kamele neben sich führten, hinterdrein; in der Mitte befanden sich die Gefangenen.

Jetzt galt es. Ich lockerte die beiden Revolver und das Messer und nahm das Gewehr zur Hand. Jetzt tausend, dann neunhundert, nun achthundert Schritte war ich von ihnen entfernt. Einer der Voranreitenden sah sich zufällig um und erblickte mich. Er mochte den andern sagen, daß ein Reiter hinter ihnen her komme, denn sie drehten sich auch um. Ich war ein einzelner Mann, den sie, wie sie glaubten, nicht zu fürchten hatten; sie hielten an, um mich herankommen zu lassen, griffen aber als vorsichtige Leute zu den Waffen.

Sie besaßen lange Beduinenflinten, welche nur in der Nähe gefährlich sind. Die Gefangenen waren gefesselt; von ihnen hatte ich keine Unterstützung zu erwarten. Ich mußte mich auf mich allein verlassen. Die Entfernung zwischen ihnen und mir, der ich mein Kamel auch angehalten hatte, betrug wohl gegen dreihundert Schritte. So weit reichten die Flinten nicht; ich aber war sicher, daß meine Kugeln die Stelle, auf welche sie gerichtet waren, genau treffen würden. Dadurch war ich ihnen überlegen. Nun kam es auf das Verhalten der beiden Gefangenen an. Verrieten sie durch Worte oder Zeichen, daß sie mich kannten, daß ich komme, um sie zu befreien, so wurde mir die Ausführung meines Vorhabens ganz beträchtlich erschwert.

Der eine von den vieren winkte mir, heranzukommen; ich gab ihm denselben Wink nach mir her. Er sprach mit seinen Gefährten einige Worte, kam dann auf mich zugeritten und blieb in einer Entfernung von vielleicht hundert Schritten von mir halten.

»Wer bist du?« rief er mir zu.

»Ein Sajih aus Kahira,« antwortete ich.

»Willst du etwas von uns?«

»Ja. Ich habe eine Bitte und werde, wenn du sie mir erfüllst, auch dir einen Wunsch erfüllen.«

»Ich habe keinen!«

»Du wirst einen haben, sobald du mein Verlangen erfüllst. Komme näher!«

»Nein, komme du!«

Wenn ich meinen Zweck erreichen wollte, so mußte ich dieser Aufforderung Folge leisten, doch that ich das in einer besonderen Weise, welche ihn zwang, mich im Vorteile zu belassen. Ich ritt nämlich nicht zu ihm hin, sondern ich ließ mein Kamel niederknieen, stieg ab und ging langsam auf ihn zu. Die Wüstenregel gebot ihm nun, dasselbe zu thun. Er stieg also auch von seinem Tiere und kam mir würdevoll entgegen. Als er mich erreichte, blieb er stehen, sah mir scharf und forschend in das Gesicht, reichte mir die Hand und sagte:

»Sallam aaleikum! Sei mein Freund!«

»Aaleik sallam! Ich werde dein Freund sein, sobald du der meinige bist. Du weißt nun, was ich bin und woher ich komme. Darf ich auch erfahren, zu welchem Stamme du gehörst und wo der Ausgang deiner Reise liegt?«

Ein Messer und zwei Pistolen sahen mit ihren Griffen aus seinem Gürtel. Er stützte sich auf seine Flinte wie einer, der seiner Sache sicher ist und nichts zu fürchten hat, und antwortete:

»Auch wir sind Reisende und kommen aus dem Dar Sukkot.«

»Dein Herz ist der Brunnen der Herablassung, und deine Gnade erleichtert meine Seele.«

Dabei setzte ich mich nieder, doch so, daß ich seine Leute im Auge hatte. Er mußte sich nun auch niederlassen und that dies so, daß er mir gegenüber, also mit dem Rücken nach den Gefangenen, saß. Meine Worte frappierten ihn; er wußte nicht, was ich meinte, und sagte darum:

»Der Wille deiner Zunge ist mir verschlossen. Warum redest du von Herablassung?«

»Weil du dich vor mir verbirgst und erniedrigst wie Harun al Raschid, welcher einst als Armer die Straßen von Bagdad, seiner Stadt, durchwandelte.«

»Du irrst. Ich bin kein Sultan und auch kein Emir.«

»Aber ein hoher Beamter des Vicekönigs, dessen Tagen Allah noch tausend zuzählen möge.«

»Wie kommst du auf diesen Gedanken?«

»Ich sehe Gefangene bei dir, also mußt du ein Memur el insaf, sein. Sind es wichtige Verbrecher, welche du ergriffen hast?«

»Ich bin kein Mernur, und die Hunde, welche ich gebunden habe, werden Kahira nicht zu sehen bekommen, sondern eines baldigen Todes sterben, weil sie einen meiner Gefährten ermordet und beraubt haben. Sie sind Räuber und Kameldiebe. Doch das wird dich nicht interessieren. Du sprachst von einer Bitte und von einem Wunsche, welchen du mir dann erfüllen willst. Darf ich deinen Wunsch vernehmen?«

»Ja, denn ich bin nur deshalb, ihn dir vorzutragen, hierher gekommen.«

»Zu mir? Wußtest du denn, wo ich zu suchen sei?«

»Deine Spur sagte es mir.«

»Wo trafst du auf dieselbe?«

»Auf meinem Lagerplatze, über den ihr geritten seid.«

»Du irrst dich schon wieder. Wir sind durch kein Lager geritten.«

»O doch!«

»Wo denn?«

»Es befand sich bei dem geheimen Brunnen, welchen wir geöffnet hatten. Du hast ihn wieder geschlossen.«

Jetzt schien ihm unheimlich zu Mute zu werden. Er schob sein Messer und seine Pistole hin und her, zog die Brauen zusammen und meinte.

»Dort bist du gewesen? Ich habe dich nicht gesehen.«

»Ich war in die Wüste geritten, um die Schnelligkeit meines Kamels zu üben. Als ich heimkehrte, waren meine Diener fort, und an deren Stelle sah ich das Grab einer fremden Leiche.«

»Hast du es geöffnet?«

»Ich mußte es doch öffnen, um zu sehen, ob der Tote vielleicht einer meiner Diener sei. Nachdem ich ein fremdes Gesicht gesehen hatte, setzte ich mich auf mein Eilkamel, um deinen Spuren zu folgen, dir meinen Wunsch zu sagen und dann auch den deinigen zu erfüllen.«

»Welcher Wunsch ist das?«

»Gieb mir meine Diener zurück!«

Er zuckte mit keiner Miene; sein Gesicht blieb ganz dasselbe; es wurde weder heller noch finsterer, als er sich erkundigte:

»Und welchen Wunsch soll dann ich wohl haben?«

»Den, daß ich dich ungehindert weiterziehen lasse.«

Jetzt freilich nahm sein Gesicht einen äußerst hohnvollen Ausdruck an. Er sah mit einer unendlichen Geringschätzung zu mir herüber und fragte:

»Wenn ich den deinigen nicht erfülle, was wirst du dann thun?«

»Ich werde dir die Erfüllung des deinigen verweigern.«

»Du willst uns anhalten?«

»Nein; das ist gar nicht nötig, da ich es schon gethan habe. Du bist ja von mir angehalten worden.«

»Aber ohne allen Erfolg. Ich werde gehen, wenn es mir beliebt.«

»Du wirst es versuchen, aber nicht weit kommen.«

»Du bist allein, und wir sind vier. Du aber sprichst, als ob du hundert gegen uns hättest!«

»Die habe ich auch.«

»Wo denn?«

»Hier. Ich allein bin so viel wie hundert euch gegenüber.«

»Du bist ein verrückter Mensch!« fuhr er mich an. »Wenn du wüßtest, wer wir sind, würdest du vor uns im Staube kriechen!«

»Du hast dich einen Reisenden genannt, und ich bin auch ein solcher. Sei sonst, was dir beliebt; jetzt aber sind wir Reisende und stehen einander gleich. Erhebt sich aber ein Streit zwischen uns, so ist derjenige der höhere und bessere, der ihn zu seinem Vorteile zu entwickeln weiß. Ob ich verrückt oder bei gesunden Sinnen bin, wirst du bald erkennen.«

»Trotze nicht etwa auf deine Waffen; es sind diejenigen der Europäer, welche in deinen Händen wertlos sind.«

»Jetzt irrst du dich auch einmal, denn ich weiß sehr gut mit ihnen umzugehen; ich bin ein Europäer.«

»Ein Europäer? Aus welchem Lande?«

»Aus Almanja.«

»Also ein Christ! Allah verdamme dich! Wie kannst du, ein Giaur, es wagen, mich hier anzuhalten und mir Vorschriften zu machen!«

»Du wünschest, daß Allah mich verdammen möge, und ich wünsche, höflich gegen dich, daß er dich behüten möge. Ich habe guten Grund zu diesem Wunsche für dich, denn wenn du noch ein einziges Schimpfwort sagst, so tritt das Ende deiner Tage augenblicklich ein!«

»Du willst mir sogar drohen, du – –«

Er hielt inne und griff nach einer Pistole, denn ich hatte einen Revolver gezogen.

»Weg mit der Hand!« donnerte ich ihn an. »Sobald deine Waffe sich im Gürtel auch nur leise bewegt, bist du eine Leiche! Du überschätzest dich; ich aber bin wirklich wie hundert gegen euch!«

Er sah meinen Revolver drohend auf sich gerichtet und zog die Hand zurück; um einen Trumpf auszuspielen, sagte er:

»Bilde dir das nicht ein! Ich brauche nur meine Leute zu rufen, so bist du verloren!«

»Versuche es! Rufe sie! Beim ersten lauten Worte, welches man zwanzig Schritte von hier vernehmen kann, bekommst du die Kugel in das Herz!«

»Das ist Verrat, schändlicher Verrat!« meinte er ergrimmt, aber mit nun vorsichtig gedämpfter Stimme.

»Wieso?«

»Ich bin zu dir gekommen, weil du mir winktest, und habe mich niedergesetzt, weil ich deinem Beispiele folgen mußte. Das ist der Brauch der Wüste. Nach diesem sind wir beide frei und können auseinander gehen, ohne daß der eine den andern halten darf. Du aber willst die Heiligkeit dieses Gesetzes entweihen.«

»Wer hat dir das gesagt? Ich habe in Freundlichkeit und Güte mit dir sprechen wollen, und jede Hinterlist war und ist mir fern. Wenn du mich aber beschimpfest und deine Leute rufen willst, so brichst du die Ordnung der Wüste und ich kann zu meinem Schutze thun, was mir beliebt.«

»So laß mich gehen.«

»Erst dann, wenn ich mit dir gesprochen habe.«

»Ich mag nichts hören!«

»Gut, so geh‘!«

»Wirst du etwa auf mich schießen, wenn ich dir im Gehen den Rücken zukehre?«

»Nein, denn ich bin ein Christ und kein Meuchelmörder. Aber ich sage dir, daß ich meine Diener haben will; eher kommt ihr nicht von der Stelle!«

»Wie willst du uns zwingen, sie auszuliefern? Bei der geringsten Feindseligkeit von deiner Seite töten wir sie.«

»Thue, was dir beliebt!«

»Du auch! Deine Worte klingen wie die eines Herrschers, uns aber halten sie nicht einen Augenblick lang.«

»So werden meine Kugeln euch länger halten, als du jetzt denkst. Wer den Platz, auf welchem ihr euch befindet, eher verläßt, als bis ich meine Diener wieder habe, der wird auf demselben begraben!«

»Du selbst wirst in wenig Augenblicken eine Leiche sein.«

Er ging langsam fort, stieg auf sein Kamel und ritt den Seinen zu. Auf die Ehrlichkeit meines Wortes schien er doch zu bauen, denn er drehte sich nicht ein einziges Mal um. Ich hätte ihm leicht eine Kugel durch den Rücken in das Herz geben können.

Ich konnte auf das, was ich erreicht hatte, gar nicht stolz sein. Lag es an dem Feinde, an den örtlichen Verhältnissen oder an mir, kurz und gut, die Lage der Gefangenen war jetzt schlimmer als vorher, da ich gekommen war. Infolgedessen konnte ich es nicht ändern, daß die Entscheidung meinem Gewehre übergeben war. Menschen töten ist grauenhaft, aber wenn sie einen dazu zwingen, so ist man wenigstens entschuldigt. – Uebrigens hegte ich die Überzeugung, es mit einem Vortrabe der Sklavenjäger zu thun zu haben. Solche Leute zu meinem eigenen Schaden zu schonen, wäre beinahe lächerlich gewesen. In diesem Augenblicke kam mir die Tötung eines Sklavenjägers fast wie ein Verdienst vor, weil durch dieselbe mehreren oder auch vielen Negern die Freiheit und das Leben erhalten würde.

Jetzt hatte der Mann die Gruppe erreicht und blickte sich nach mir um. Er sah mich nicht, denn ich war während seines langsamen Entfernens nicht unthätig gewesen. Ich hatte mir eine mehr als ellenhohe und ebenso breite Sandwelle zusammengescharrt“ hinter welcher ich nun verborgen lag; sie gewährte mir eine leidliche Deckung. In einer engen Vertiefung lag der Lauf meines Gewehres, so daß selbst beim Zielen mein Kopf nicht zu sehen war, und um schnell laden zu können, hatte ich mir mehrere Patronen handgerecht zur Seite gelegt.

Der Mann sprach mit seinen Leuten. Darauf folgte ein vierstimmiges, überlautes Hohngelächter. Man hielt meine Drohungen für leeren Schall und glaubte, mein Gewehr nach ihren Flinten beurteilend, nicht, daß dasselbe bis hin zu ihnen tragen werde. Sollte ich wirklich einen oder zwei von ihnen, vielleicht alle erschießen? Schade wäre es nicht um sie gewesen; aber jetzt im letzten Augenblicke, dachte ich daran, daß sie ihre Gefangenen, die sie doch leicht töten konnten, geschont hatten. Zwar war davon die Rede gewesen, daß sie sterben müßten, dennoch fühlte ich mich zur Milde gestimmt. Einige Kamele aber mußten fallen. Dabei konnte ich ganz leicht die unseren schonen, denn zwei von ihnen trugen den Lieutenant und Ben Nil, und das dritte wurde am Halfter ledig nebenher geführt. Die Fremden saßen auf ihren eigenen Tieren.

Sie setzten sich jetzt in Bewegung, schüttelten die Fäuste gegen mich und sandten mir ein abermaliges Gelächter zu. Sie hielten die bereits beschriebene Ordnung ein. Voran ritt derjenige, mit dem ich gesprochen hatte, jedenfalls der Anführer, mit noch einem, und hinter den Gefangenen folgten der dritte und der vierte. Ich zielte und drückte auf das Kamel des Anführers ab; es brach mit ihm zusammen; der zweite Schuß traf mit ganz demselben Erfolge das Tier seines Nebenmannes. Laute Rufe und Flüche schollen zu mir herüber. Die augenblickliche Verwirrung gab mir mehr als genügend Zeit zum Wiederladen. Die beiden nächsten Schüsse streckten die Kamele der hintern Reiter nieder. Nun gab es nur noch ein fremdes Kamel und unsere drei Hedjihn. Ich lud natürlich abermals. Die Kerle hatten Respekt bekommen; ihr Gebaren war kein herausforderndes mehr, sondern ein erschrockenes. Hätten sie hinter ihren Gefangenen Deckung suchen können, so wären sie vor meinen Schüssen sicher gewesen und konnten versuchen, mich mit ihren Kugeln zu treffen; aber diese Deckung war glücklicherweise nicht mehr vorhanden, nicht mehr möglich.

Durch die vier Schüsse, das Stürzen der getroffenen Tiere und das Geschrei der unter die letzteren geratenen Reiter scheu gemacht, waren die vier noch unverletzten Kamele mit den beiden gefesselten Gefangenen durchgegangen; ich sah sie linksab hinaus in die Wüste rennen. Die Fremden hatten sich unter ihren Kamelen hervorgearbeitet, blickten ratlos zu mir herüber und dann den fliehenden Kamelen nach, sprachen einige Worte mit einander und ließen mich dabei durch ihre Gesten erraten, daß sie fliehen wollten. Da sprang ich auf, legte das Gewehr auf sie an und rief ihnen zu:

»Stehen bleiben, sonst schieße ich!«

Sie hatten zu ihrem Schaden erfahren, daß mit meinen Kugeln nicht zu spaßen sei, und folgten meiner Aufforderung.

»Werft die Flinten weg! Wer die seinige in der Hand behält, wird erschossen!« fuhr ich fort.

Auch diesem Befehle wurde Gehorsam geleistet, und nun ging ich mit angeschlagenem Gewehre auf sie zu. Ich hätte sie laufen lassen können, aber ich war beschimpft worden, ohne sofort Vergeltung zu üben, und wollte nun Abbitte haben. Bei ihnen angekommen, legte ich das mir lästige Gewehr ab und nahm den Revolver in die Hand, um sie bezüglich ihrer Messer und Pistolen in Schach zu halten. Die Kerle machten Gesichter, als ob sie träumten; das finsterste war dasjenige des Anführers.

»Zweimal habt ihr mich verlacht,« sagte ich zu ihm, »wollt ihr es nun zum drittenmale thun?«

Keine Antwort.

»Siehst du nun ein, daß ich so gut wie hundert gegen euch war? Hundert Männer hätten es auch nicht besser machen können. Ich habe euch sogar gefangen, ohne euch zu verletzen, und ihr habt ganz und gar vergessen, euch zur Wehr zu stellen. Was meint ihr wohl, daß ich nun mit euch thue, ihr tapfern Reiter ohne Kamele?«

Keiner antwortete; sie blickten ingrimmig vor sich nieder. Darum fuhr ich fort:

»Seht diese kleine Waffe an! Es sind sechs Kugeln darin, also mehr als genug für euch. Ich werde euch die Freiheit geben, da ich solche armselige Menschen nicht zu fürchten brauche; vorher aber verlange ich unbedingten und augenblicklichen Gehorsam. Eure Waffen bleiben hier, damit ihr nicht andern schaden könnt. Ich werde sie euch abnehmen. Hebt die Hände über die Köpfe empor! Wo nicht, so schieße ich. Rasch!«

Drei folgten dieser Weisung sofort, der Anführer aber nicht; er fuhr mit der Hand nach dem Gürtel und rief:

»Beim Propheten, das ist zu viel! Du sollst nicht sagen, daß – –«

Er kam nicht weiter; er hatte nach der Pistole gegriffen, dafür aber eine Kugel in die Hand bekommen.

»Hände auf!« fuhr ich ihn drohend an.

Ich hörte das Knirschen seiner Zähne, aber er gehorchte doch. Mit der Rechten die Waffe schußbereit, leerte ich mit der Linken ihre Gürtel und warf die Pistolen und Messer hinter mich.

»So, das ist geschehen. Nun nur noch eins. Du hast mir die Verdammung gewünscht und mich einen Giaur genannt; ich verlange, daß du mich um Verzeihung bittest und »Samih’ni« (vergieb mir) sagst. Zögerst du, so ist meine Kugel schneller als dein Wort. Also –!«

Ich richtete den Lauf gegen seine Brust. Er schluckte und schluckte, das Wort wollte nicht heraus; aber endlich kam es doch, heiser und durch die geschlossenen Zähne gestoßen. Der Schweiß des unterdrückten, maßlosen Grimmes stand ihm im ganzen Gesicht.

»Wir sind fertig, außer dem guten Rate, den ihr noch anhören mögt. Hütet euch in Zukunft, einen Europäer, zumal einen Christen, gering zu achten, denn er ist euch auf alle Fälle überlegen. Kommt ihr je mit ihm in Zwist, so rechnet weit mehr auf seine Güte als auf eure Macht und Tapferkeit. Ich habe mich in Freundlichkeit mit euch vergleichen wollen; ihr antwortet mit Hohn und habt nun die Folgen. Ich will nicht genauer nachforschen, wer und was ihr seid, doch tretet ihr mir zum zweitenmale feindlich entgegen, so kommt ihr nicht so leichten Kaufs davon wie jetzt. Nun könnt ihr gehen, wohin euch beliebt, aber schnell. Ich schieße eure Gewehre ab, und ihr könntet leicht durch eure eigenen Kugeln verwundet werden.«

Sie wendeten sich schweigend um und entfernten sich eiligen Schrittes. Ich schoß hinter ihnen ihre Pistolen ab, um ein etwaiges Unglück beim Transporte derselben zu vermeiden, und dann auch die Gewehre. Den Lauf der ersten Flinte richtete ich gegen die Erde. Der Schuß streute. Das fiel mir auf. Ich grub mit dem Messer nach und fand, daß die Ladung aus Nägeln und gehacktem Blei bestanden hatte. Dasselbe war auch mit den andern Flinten der Fall. Ich hatte es mit sehr gefährlichen, gefühl- und rücksichtslosen Menschen zu thun gehabt und war mehr als froh, in dieser Weise davongekommen zu sein. – Mein Kamel kniete noch ruhig an der Stelle, wo ich abgestiegen war. Ich trug die erbeuteten Waffen hin, band sie mit einer Kamelleine zusammen und befestigte das Bündel am Sattel. Dann stieg ich auf und ritt nach links ab, um Ben Nil und den Lieutenant zu suchen. Ein anderer hätte das wohl schon eher gethan, aber mir war aus verschiedenen und leicht ersichtlichen Gründen daran gelegen gewesen, den Sklavenjägern, als welche sie sich später wirklich herausstellten, den Unterschied zwischen ihnen und einem Europäer auf das allernachdrücklichste zu zeigen. Das konnte unter Umständen dann andern Christen von großem Nutzen sein. Das Aufsuchen der Gefangenen konnte für diese kurze Zeit aufgeschoben werden. Ich war überzeugt, sie sehr bald zu finden.

Die Spur ging in schnurgerader Richtung in die Wüste hinein, und zwar gar nicht weit. Schon nach fünf Minuten sah ich die Reiter in der Ferne still nebeneinander halten; ganz in der Nähe hatten sich die beiden ledigen Kamele hingelegt.

Die Freude des Lieutenants und Ben Nils war, als sie mich kommen sahen, natürlich sehr groß. Der erstere rief mir schon aus der Ferne zu:

»Allah sei gepriesen, daß du endlich kommst! Seit unserer Gefangennahme bis zu dem Augenblicke, an welchem du erschienst, haben wir nicht so viel Angst ausgestanden, wie während der kurzen Zeit hier in der Wüste. Wir wußten nicht, ob du gesiegt habest oder unterlegen seiest, und ob man uns hier suchen und auch finden werde. Wäre dies nicht der Fall gewesen, so hätten wir, mit den Kamelen zusammengebunden, elendiglich untergehen müssen.«

»Ihr seht, daß ich Sieger bin,« antwortete ich. »Aber da fällt mir eben, und am Ende zu spät ein, daß ich vielleicht etwas Wichtiges unterlassen habe. Ehe ich euch losbinde, muß ich erfahren, wo euer Eigentum ist, welches man euch jedenfalls abgenommen hat.«

»Es befindet sich alles am Sattel und in der Satteltasche von Selims Kamel, welches dort am Boden kniet. Die Gewehre hängen am Sattelknopfe; alles andere steckt in der Tasche. Sie wollten gleich teilen, wurden aber nicht einig und beschlossen darum, die Teilung später vorzunehmen.«

»Das ist gut; es freut mich, daß ihr nichts eingebüßt habt. Wir haben im Gegenteile Beute gemacht, diese Waffen, ein gutes Kamel, und bei den toten Kamelen wird auch wohl noch manches zu finden sein. Nun sollt ihr vor allen Dingen frei werden; dann schnell zum Kampfplatze zurück. Ich traue diesen Halunken zu, daß sie, wenn sie sehen, daß ich mich entfernt habe, wiederkommen, um ihre Sachen zu holen. Was zu reden ist, können wir für nachher aufheben.«

Man hatte die beiden Kamele mit den Köpfen zusammen – und die Gefangenen dann an den Sätteln festgebunden. Ich löste die Leinen, holte den beiden ihre Waffen, und dann kehrten wir, die zwei ledigen Kamele mit uns führend, nach dem »Schlachtfelde« zurück.

Noch hatten wir nicht die Hälfte des Weges hinter uns, da sah ich draußen, weit vor uns vier sich bewegende Punkte. Das waren die Sklavenjäger, welche, wie ich vermutet hatte, zurückkehren wollten. Als sie uns bemerkten, lenkten sie um und liefen eiligst von dannen, in nordöstlicher Richtung, was für mich wichtig war, da ich daraus erkannte, daß sie nach dem Bir Murat wollten.

Bei den von mir niedergestreckten Kamelen angekommen, sah ich, daß eins derselben noch lebte; ich tötete es mit einem Revolverschusse in das Auge. Dann untersuchten wir den Inhalt der Satteltaschen. Es gab da vielerlei, was für mich nutzlos, für einen Askeri aber brauchbar war. Auch der Anzug dessen, den Ben Nil erstochen hatte, war vorhanden. Die wertvollste Beute fand ich bei dem Kamele des Anführers, nämlich einige große Papierbogen, auf welche die Gebiete der sudanesischen Stämme, der Lauf der Flüsse, die Lage hunderter von Ortschaften, die Karawanen- und Sklavenjägerwege und vieles sonst noch Wichtige sehr sorgfältig und mit großem Fleiße gezeichnet waren. Diese Karten steckte ich als das einzige, was ich von der Beute in Anspruch nahm, zu mir. Alles andere sollte auf das ebenso erbeutete Kamel geladen und dann später verteilt werden.

Nun mußten wir auf Selim warten und hatten also Zeit, uns über das Geschehene auszusprechen. Ich erfuhr, daß der Schlingelschlangel allerdings an dem Unglücke schuld sei; er hatte wachen sollen, aber geschlafen. Die beiden andern hatten, da jeder von Sonnenunter- bis Sonnenaufgang vier Stunden auf Wache gewesen war, sich nach dem Morgengebete wieder niedergelegt und waren plötzlich mit Gewalt geweckt worden. Die Augen öffnend, hatten sie sich in den engen Umschlingungen der Feinde gesehen. Beide hatten sich gleich kräftig gewehrt, aber nur Ben Nil war es gelungen, sein Messer zu ziehen und einen Gegner niederzustechen. Das hatte den Grimm der Sklavenjäger im höchsten Grade erregt, und einer von ihnen war der Ansicht gewesen, daß der Mörder sofort zu töten sei; die andern aber, unter ihnen der Anführer, hatten gemeint, die Rache müsse aufgeschoben werden, um dann desto fürchterlicher zu sein. Darauf war die Leiche entkleidet und eingescharrt worden. Man hatte die Tiere aus dem Brunnen getränkt und diesen nachher zugeworfen. Gleich darauf war der Aufbruch erfolgt.

»Wie hat man euch dann unterwegs behandelt?« fragte ich.

»Gar nicht, weder gut noch schlecht,« antwortete der Lieutenant. »Man sprach nicht mit uns; es war, als ob wir für sie gar nicht vorhanden seien.«

»Aber unter sich sprachen sie doch?«

»Sehr wenig und nur von ganz gewöhnlichen Dingen.«

»Habt ihr nicht aus diesem Wenigen zu erraten vermocht, wer und was sie sind und woher sie kommen oder wohin sie wollen?«

»Nein. Sie nannten sich nicht einmal beim Namen.«

»Das ist sehr geheimnisvoll; sie sind außerordentlich vorsichtig gewesen, und gerade daraus läßt sich schließen, daß sie alle Ursache haben, heimlich und vorsichtig zu sein. Haben sie denn nicht gefragt, wie ihr an den Brunnen gekommen seid, wie ihr ihn entdeckt habt?«

»Das fragten sie freilich, aber wir sagten es ihnen nicht. Sie wollten noch mehr, ja alles wissen, aber wir schwiegen hartnäckig und haben keine ihrer Fragen beantwortet. So erfuhren sie nichts von deiner und Selims Anwesenheit; wir hielten es eben für das allerbeste, von gar nichts zu reden, um uns nicht deinen Tadel zuzuziehen.«

»Das war sehr klug gehandelt, denn nun bleibt uns freies Spiel. Von großer Wichtigkeit wäre es mir, zu erfahren, ob sie den heimlichen Brunnen gekannt haben oder nur zufällig in jene Gegend gekommen sind.«

»Sie kannten ihn und waren sehr zornig darüber, daß er so wenig Wasser enthielt, weil wir es für uns verbraucht hatten.«

»So weiß ich nun, für was ich sie zu halten habe. Durch diese Kenntnis des Brunnens haben sie sich verraten. Sie sind die von uns erwarteten Sklavenjäger.«

»Unmöglich, Effendi! Sie hatten ja keine Sklavinnen bei sich, und wir sind gerade gekommen, um dieselben zu befreien.«

»Diese fünf Männer bilden nur die Vorhut. Sie sollen, sozusagen, Quartier machen, für Wasser sorgen und auf alles bedacht sein, was zur Sicherheit des Sklaventransportes nötig ist.«

»Wenn das so ist, so hast du einen großen Fehler begangen, indem du sie entkommen ließest. Du hättest sie festhalten und ausfragen sollen. Wie nützlich würde uns das gewesen sein!«

»Nützlich? Ich bin da ganz anderer Meinung. Ich pflege in so wichtigen Momenten mit Überlegung zu handeln und die Folgen dessen, was ich thue, zu berechnen. Wäre es mir eingefallen, diese Männer auszufragen, so hätte ich nichts erfahren. Ich bin überzeugt, daß sie mir alles mögliche, aber nur nicht die Wahrheit gesagt hätten. Und da es mir unmöglich gewesen wäre, ihnen die Lüge sofort zu beweisen, so war es jedenfalls klüger, sie laufen zu lassen. Nun können sie sich wenigstens nicht einbilden, mich falsch berichtet zu haben. Es fällt mir nicht ein, solche Uute auch nur für wenige Stunden denken zu lassen, daß ich von ihnen überlistet worden sei.«

»Aber nun sind sie fort, und wir sind nicht weiter und nicht klüger als vorher!«

»Gerade weil sie fort sind, werden wir sehr bald klüger sein, denn sie werden mir alles sagen, was ich wissen will und was sie mir jetzt jedenfalls verheimlicht hätten.«

»Wie? Sie werden dir dies alles mitteilen? Wann denn und wo denn? Wie willst du sie dazu veranlassen?«

»Sie werden es mir sagen, ohne zu wissen, daß ich es höre. Ich habe sie laufen lassen, um sie später am Bir Murat zu belauschen. Ichwerde nochvor ihnen dort ankommen.Von hier aus ist es eine halbe Tagereise nach dem Brunnen. Da sie keine Kamele haben und also gehen müssen, werden sie erst am Abend dort ankommen, und das giebt mir Gelegenheit, sie nicht nur zu beobachten, sondern sogar zu belauschen, ohne daß sie mich bemerken.«

»Effendi, sie müßten ja blind und taub sein, wenn sie dich nicht sähen und hörten!«

»Das laß meine Sorge sein. Ich verstehe es, mich so anzuschleichen, daß ich unsichtbar und unhörbar bleibe.«

»Aber wenn sie dich dennoch bemerken, so bist du verloren. Sie werden nicht allein am Brunnen sein, denn es vergeht kein Tag, an welchem nicht eine Karawane dort lagert; oft sind es auch mehrere. Diese Leute sind niemals Gegner des Sklavenhandels und werden also gegen dich sein.«

»Das weiß ich. Ich bin sogar überzeugt, daß ich einen unversöhnlichen Feind dort treffen werde, einen Feind, welcher gegebenen Falles sogar auf meinen Tod dringen wird, Murad Nassyr, den Türken, meinen früheren Reisegefährten.«

»Das ist wahr. Er wird nun bei dem Brunnen angekommen sein oder denselben spätestens heute abend erreichen. Du hast dich also doppelt in acht zu nehmen, und ich warne dich. Gehe ja nicht allein, sondern nimm mich und einige meiner Asaker mit!«

»Das werde ich bleiben lassen. Allein bin ich viel sicherer als in Begleitung deiner Soldaten. Ihre Gegenwart hätte nur zur Folge, daß man uns, das heißt also mich, bemerken würde.«

»So sollen sie am Dschebel Mundar bleiben?«

»Nein. Wir reiten zu ihnen, um sie abzuholen. Dann begeben wir uns in eine gesicherte Stellung in der Nähe des Brunnens, von wo aus ich später meinen abendlichen Gang unternehme.«

Der Lieutenant blickte kopfschüttelnd vor sich nieder. Das Unternehmen, welches ich plante, schien ihm zu gefährlich, wohl auch überflüssig zu sein, denn er meinte nach einer Weile:

»Sage, was du willst, ich bin doch überzeugt, daß du dich nicht in diese Gefahr zu begeben brauchtest, wenn du die Kerls, welche ganz in deine Hand gegeben waren, ausgefragt hättest.«

»Das kann man nur dann, wenn man genau weiß, was die Wahrheit ist. Was hätte ich machen wollen, wenn sie behaupteten, daß ihre Aussagen wahr seien?«

»Hm! Diese Entschuldigung hat etwas für sich; aber weißt du denn, ob sie, wenn du sie belauschest, gerade von dem, was du hören willst, reden werden?«

»Ich warte so lange, bis sie davon sprechen.«

»Und wenn inzwischen der Tag anbricht? Du darfst doch nicht so lange bleiben.«

»Was das betrifft, so bin ich überzeugt, daß ich nicht so lange zu warten habe. Nach Dingen, wie die sind, welche hier geschahen, kann man sicher darauf rechnen, daß von ihnen gesprochen wird.«

»Nun, ich habe dir nichts zu befehlen, sondern ich bin beauftragt, mich in allem dir zu fügen; aber eins muß ich doch noch erwähnen. Du hast nach heimlichen Brunnen gesucht, weil du glaubtest, die Sklavenjäger da zu treffen. Du hast auch einen solchen gefunden. Warum sollen wir ihn verlassen? Warum willst du die Asaker nach dem Bir Murat führen, da du doch wissen mußt, daß die Gesuchten denselben vermeiden werden? Auf diese Weise können sie uns sehr leicht entgehen.«

»Sie werden uns in die Hände laufen.«

»Aber du sagtest selbst, daß du überzeugt seiest, daß die fünf Männer, von denen du uns befreitest, die Vorhut der Sklavenjäger seien. Folglich kommen die letzteren nach; sie werden den heimlichen Brunnen aufsuchen, und wir können sie dort abfangen. Nun aber führst du uns fort, und zwar gerade dahin, wohin sie nicht kommen werden.«

Der Mann war so bedenklich, weil er mich nicht kannte. Doch überzeugten mich seine Einwendungen von seiner Vorsicht und von dem Ernste, welchen er der Sache widmete; darum zwang ich mich zur Geduld und erklärte ihm in ruhigem Tone:

»Deine Betrachtungen sind gerade nach vorn, nicht auch nach rechts und links gerichtet. Auf Selim können wir uns nicht verlassen; wir sind also nur drei Personen. Aus wie vielen Köpfen aber werden die Sklavenjäger bestehen? Wie nun, wenn sie so bald kämen, daß uns nicht Zeit bliebe, die Asaker kommen zu lassen? Könnten wir uns an sie wagen und sie gar, was wir doch thun sollen, gefangen nehmen? Ja, ich bin überzeugt, daß sie den heimlichen Brunnen aufsuchen; aber sie werden, weil es dort kein Wasser für sie giebt, ihn schnell wieder verlassen und vielleicht einige Reiter mit Schläuchen nach dem Bir Murat senden, um von dort Wasser zu holen. Am geheimen Brunnen dürfen wir sie nicht erwarten.«

»So brauchten wir denselben ja gar nicht aufzusuchen!«

»Du gehst zu weit! Ich wollte dort auf die Spur der Sklavenräuber kommen und habe diese Absicht vollständig erreicht. Du solltest mich also loben, anstatt mich zu tadeln. Nun ich die Fährte habe, werde ich sie nicht wieder verlieren. Es giebt zwei Wege, zwischen denen wir wählen können. Entweder lassen wir die Räuber an uns vorüber und folgen ihnen, um, falls es paßt, über sie herzufallen, oder wir reiten ihnen voraus, um uns ein zum Kampfe geeignetes Terrain zu suchen und sie dort zu erwarten. Dieses letztere halte ich für das bessere.«

»Dann müßten wir ihre Richtung wissen.«

»Die werde ich am Abend erfahren.«

»Und wenn nicht, was dann?«

»In diesem Falle können wir immer noch den erstbezeichneten Weg einschlagen.«

»Ich würde ihn überhaupt sofort wählen, denn er ist sicherer als der andere. Ich begreife nicht, daß du auf das Belauschen so versessen sein kannst.«

»Weil ich aus Erfahrung weiß, welche Vorteile es bringen kann. Es ist leicht möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß ich viel mehr höre, als was ich erfahren will. Das, was ich erhorche, kann von großer Wichtigkeit sein. Ich bitte dich, nicht mehr zu widersprechen, denn deine Einwendungen haben keinen Erfolg. Übrigens müssen wir unser Gespräch abbrechen, denn ich sehe da draußen einen kommen, der kein anderer als Selim sein kann.«

Es tauchte nämlich jetzt am westlichen Horizonte ein weißer Punkt auf, welcher sich uns näherte. Bald erkannten wir einen Fußgänger, welcher so eilig lief, daß sein weißer Burnus wie eine Fahne hinter ihm her wehte. Es war Selim, welcher froh war, uns eingeholt zu haben, und sich darüber freute, daß mir die Befreiung der Gefangenen gelungen war. Wir brachen auf.

Unsere Gegner hatten die nordöstliche Richtung, welche direkt nach dem Bir Murat führte, eingeschlagen. Da sie nicht erfahren sollten, daß wir dasselbe Ziel hatten, hielten wir uns mehr östlich und ritten dann, als wir gewiß waren, sie überholt zu haben, auf den Dschebel Mundar zu.

Es war zur Zeit des Asr, des Nachmittaggebetes, als wir am Fuße desselben anlangten, und es fiel mir nicht schwer, den alten Onbaschi mit seinen Asakern, trotzdem sie sich versteckt hielten, aufzufinden. Er hatte dies nicht für möglich gehalten und darum einige Posten ausgestellt; ich aber traf sein Versteck, ohne auf einen dieser Leute gestoßen zu sein.

Es wurde einige Zeit ausgeruht und bei dieser Gelegenheit die Beute verteilt. Ich behielt die Karten. Was mit dem übrigen geschah, war mir gleichgültig; nur bestimmte ich, daß Selim nichts bekommen solle. Das war die Strafe für seinen Mangel an Wachsamkeit und für die Feigheit, welche er dann gezeigt hatte. Der alte Schlingel that mir eigentlich leid, doch konnte ihm diese Lehre gar nichts schaden. Eine Stunde nach Asr stiegen wir wieder auf, um, diesmal natürlich in Begleitung der Asaker, bis in die Nähe des Bir Murat zu reiten.

Es wurden über die Lage desselben schon einige Andeutungen gegeben. Wer ihn von Norden her erreichen will, der kommt durch ein Thal, welches von einem Dumpalmen-Walde bestanden ist. Nach einem langen Ritte durch die öde, dürre Wüste ruft der Anblick desselben das Entzücken des Wanderers hervor. Durch diesen Wald mußte auch Murad Nassyr gekommen sein oder noch kommen.

Der Brunnen selbst liegt in einem kleinen Thale, welches von steilen Felswänden eingeschlossen wird. Er hat sechs Löcher, welche ungefähr drei Meter tief in den lehmigen Boden gegraben sind. Das Wasser ist keineswegs rein; es schmeckt wie eine Lösung von englischem Salze und hat auch ganz dieselbe Wirkung. An dieser Stelle haben einige Beduinen ihre Zelte aufgeschlagen, um im Auftrage des Schechs den Brunnen zu bewachen und eine Abgabe zu erheben. Sie sehen elend und leidend aus und sind dürr, fast wie Skelette – eine Folge des Wassers, welches sie genießen müssen.

Der Weg von Bir Murat nach Süden führt stundenlang über Felsen und Steingeröll eine beschwerliche Schlucht aufwärts. In der Nähe dieser Schlucht hielten wir, als wir kurz vor Sonnenuntergang dort ankamen. Es gab da Plätze genug, welche uns zum Verstecke dienen konnten. Ich ging, ehe es dunkel wurde, rekognoszieren. Ich mußte später, wenn es Nacht geworden war, in die Schlucht hinabklettern und über eine halbe Stunde lang derselben folgen; das war, da ich nicht gehört werden durfte, keine leichte Aufgabe.

Der Lieutenant riet mir noch einmal von meinem Vorhaben ab, natürlich vergeblich. Als ich von meinem Orientierungsgange zurückkam, aß ich einige Datteln und ein Stück getrocknetes Fleisch, welches ich durch zwei oder drei Schluck Wassers aus dem Schlauche verdaulicher machte; dann war es dunkel geworden, und ich brach auf. –