Die Sklavinnen

Der treue Ben Nil bat, mich begleiten zu dürfen, doch durfte ich ihm das nicht erlauben. Ich hätte ihn gern mitgenommen, denn er war nicht nur mutig, sondern auch klug und vorsichtig, und vier Augen und Ohren konnten jedenfalls mehr sehen und hören als nur zwei; aber das Terrain war zu schwierig, und er hatte im Schleichen nicht die notwendige Übung. Ein falscher Schritt konnte uns verraten.

Ich brauchte aus dem angegebenen Grunde wohl eine halbe Stunde, ehe ich von der Kante der Schlucht hinab auf die Sohle derselben kam. Die Sterne leuchteten noch nicht, und infolgedessen war das Klettern beinahe halsbrecherisch zu nennen. Dann schlich ich mich in der Schlucht abwärts, sehr oft zweifelhafte Stellen des Weges erst mit den Händen untersuchend, ehe ich den Fuß vorwärts setzte. Endlich sagte mir ein Lichtschein, daß ich dem Ziele nahe sei.

Wie bereits erwähnt, war der graue Anzug, den ich in Kairo getragen hatte, durch den Besuch der Höhle von Maabdah und der vermeintlichen Königsgräber so defekt geworden, daß ich mir in Siut einen andern gekauft hatte. Dieser war von derselben Farbe. Den hellen Haïk hatte ich im Lager gelassen. Zur Bedeckung des Gesichtes hatte ich das Kaffije bei mir, ein Kopftuch, welches zum Gebrauche für Männer ungefähr die Größe eines Quadratmeters besitzt. Es wird einmal zusammengeschlagen, so daß es zwei aufeinander liegende Dreiecke bildet, und dann mit dem Ukal, einer Schnur, so auf den Tarbusch (Fez) befestigt, daß die lange Seite nach vorn kommt und der hinten herabfallende Zipfel den Nacken schützt. Wenn es sehr heiß ist, wird unter dem Fez noch ein Schweißkäppchen getragen. Arme Leute tragen wollene oder halbwollene Kaffijen; reiche bedienen sich seidener Tücher, welche in Kairo zwölf Mark und höher pro Stück zu stehen kommen. Diese seidenen Kaffijen werden meist in Zuk und Beirut gefertigt und zeigen gewöhnlich ein blaues oder rotes Muster auf goldfarbigem oder weißem Grunde. Mein Kaffije war dunkel. Von Waffen hatte ich das Messer und die Revolver bei mir; ein Gewehr wäre mir nur hinderlich gewesen. Im Falle einer Gefahr mußte ich zunächst nach dem Messer greifen; des Revolvers durfte ich, da ich Lärm so viel wie möglich zu vermeiden hatte, mich nur notgedrungen bedienen.

Also, ich sah einen Lichtschein vor mir. Er ging von einem Feuer aus, welches durch getrockneten Kameldünger unterhalten wurde – das einzige und ausschließliche Feuermaterial in dieser Wüste. Man geht sehr sparsam mit demselben um und läßt es nie zu einer wirklich hellen Flamme kommen. Das war natürlich ein Vorteil für mich, denn ein helles Feuer hätte mich, da das Thal des Brunnens nicht breit ist, leicht verraten können.

Das Feuer glimmte nur; daß ich es trotzdem sah, war mir ein Beweis, daß ich mich nicht weit von demselben befand. Ich band mir das Kaffije so um den Kopf, daß außer den Augen das ganze Gesicht bedeckt war, legte mich auf den Boden und kroch nun weiter.

Die bisher engen Felsenwände traten jetzt mehr auseinander, und nun sah ich vor mir und zur rechten Seite noch zwei Feuer glimmen, während das zuerst erblickte sich jetzt links von mir befand. Wohin sollte ich mich wenden? Aus den drei Feuern war zu schließen, daß drei Trupps hier kampierten. Ich wollte die Sklavenjäger belauschen; sie konnten jetzt noch nicht wohl da sein, doch war ihre Ankunft sehr bald zu erwarten. Wohin würden sie sich lagern? Jedenfalls in die Nähe des Wassers, denn es war anzunehmen, daß sie von der Fußwanderung durch die heiße Wüste sehr durstig geworden seien. Vor allen Dingen und zunächst mußte ich wissen, wer jetzt schon da war. Auf die Anwesenheit Murad Nassyrs konnte ich fast mit Gewißheit rechnen.

Ich kroch zunächst nach links hinüber, wo sich in diesem Augenblicke der leise Ton einer Rababa, einer einsaitigen Geige hören ließ. Nach wenigen Augenblicken fielen die Klänge einer Kamandscha ein. Das ist eine zweisaitige Geige, deren Schallkörper aus einer Kokosnußschale besteht. Diesen beiden Instrumenten gesellten sich eine Zammara und eine Schabbabi bei, eine Pfeife und eine Flöte von einfachster Konstruktion.

Was man vortrug, war nach unserm Begriffe keine Musik zu nennen. Es gab weder Takt noch Melodie und Harmonie. Jeder der vier Künstler strich oder blies ganz nach Belieben; aber die vier Instrumente erklangen zu gleicher Zeit, und das war für diese Leute genug, um als Konzert zu gelten. Die Dissonanzen beleidigten mein Ohr, waren mir aber dennoch sehr willkommen, da sie ein etwa von mir verursachtes Geräusch verdeckten.

Als ich näher kam, sah ich formlose Massen an der Erde liegen. Das waren Kamele und die Lasten, welche sie getragen hatten. Am Feuer saßen wohl ein Dutzend Männer; vier von ihnen gaben sich dem musikalischen Verbrechertume hin; zwei waren beschäftigt, einen Mehlbrei als Abendessen zu bereiten, und die andern sahen und hörten zu, mit großem Vergnügen, wie es schien.

Diese Leute konnten mich nicht interessieren; ich kroch also nach rechts, wo ich bald einige Zelte erblickte. Die nähere Untersuchung belehrte mich, daß es diejenigen der Ababdeh-Beduinen seien, denen die Beaufsichtigung des Brunnens anvertraut war. Auch hier hatte ich nichts zu suchen, und so schob ich mich auf den Knieen und Fingerspitzen nach dem dritten Feuer. Dieses glimmte vor einem Zelte, in dessen Nähe ein zweites stand. Zwei weibliche Gestalten hockten daran: auch sie waren mit der Bereitung des Abendessens beschäftigt. Eben bückte sich die eine nieder, um das fast verlöschende Feuer anzublasen; dadurch wurde ihr Gesicht beleuchtet. Das war Fatma, die Lieblingsdienerin und Köchin, deren Haare ich im Pillaw gefunden hatte! Die beiden Zelte gehörten also meinem feindlichen Freunde Murad Nassyr. Das eine war für seine Schwester und deren Dienerinnen bestimmt, und in dem andern wohnte jedenfalls er selbst. Als ich mich demselben näherte, sah ich ihn mit seinen Kameltreibern, welche er in Korosko gemietet hatte, vor dem Eingange sitzen.

Auch hier hatte ich nichts zu schaffen, denn was er mit seinen Führern sprach, konnte mir sehr gleichgültig sein. Wohin also nun? Ja, wenn ich gewußt hätte, ob die Erwarteten am Brunnen bleiben würden! Dieser lag in der Nähe des zweiten Feuers. Am besten schien es mir, mich dorthin zu wenden. Schon drehte ich mich um, diesen Vorsatz auszuführen, als ich den Schritt eines nahenden Kameles vernahm.

Der Reiter desselben schien die Örtlichkeit genau zu kennen, sonst wäre er in der Finsternis wohl langsamer geritten. Jedenfalls wollte auch er zum Brunnen. Aus dem Schalle der Huftritte hörte ich, daß er schneller war, als ich es sein konnte. Es war mir unmöglich, den Brunnen vor ihm zu erreichen und mich dort zu verstecken; ich befand mich gerade auf seinem Wege und sah mich also gezwungen, zur Seite auszuweichen. Aber wohin? Hinter Murad Nassyrs Zelt, welches ganz nahe an dem Felsen stand. Ich schnellte mich also zur Seite, und da ertönte auch schon die Stimme des Ankömmlings: »Heda, Wächter! Wo ist eure Leuchte?«

Diese Stimme kam mir bekannt vor. Wo hatte ich sie gehört? Es fiel mir nicht sofort ein. Ich wußte, daß man den Mann mit Licht empfangen werde, und mußte mich auf das schnellste unsichtbar machen. Ich schlich mich also hinter das erwähnte Zelt, fühlte mich da aber, wenigstens zunächst, gar nicht gut aufgehoben. Zwischen dem Zelte und der nahen Felsenwand gab es nämlich ein dichtes Strauchwerk, und als ich unter dasselbe kroch, bemerkte ich, daß es stachelige Mimosen waren. Aber ich war nun einmal da und mußte, wenn ich sicher sein wollte, immer tiefer hinein. Das war zunächst unangenehm, denn die spitzen Stacheln drangen durch mein Gewand, durch das Gesichtstuch und stachen mich auch in die nackten Hände, aber außerdem auch gefährlich, denn es waren hier Skorpionen zu vermuten. Vielleicht gab es da sogar Assalehs, welche die giftigsten Schlangen der Wüste sind. Der Biß einer solchen wäre unter den gegenwärtigen Verhältnissen für mich absolut tödlich gewesen. So geht es, wenn man zum Besten fremder Menschen in der Wüste und in den Oasen herumkriecht, zumal des Nachts!

Jetzt war ich gut versteckt und konnte um das Zelt bis zu Murad Nassyr blicken. Auf den Ruf des Neuangekommenen hatten die Brunnenwächter eine aus Palmenfaser und Harz gefertigte Fackel geholt; sie wurde an dem angeblasenen Feuer angezündet und dann, als sie brannte, emporgehalten. Die Flamme beleuchtete einen weiten Kreis, glücklicherweise aber das Mimosengestrüpp nicht mit. Der Reiter stieg ab. Er wendete mir den Rücken zu. Die Wächter kreuzten die Arme und verbeugten sich tief. Er mußte ein sehr vornehmer oder sehr frommer Mann sein. Jedenfalls war es auffällig, daß er keinen Führer, keinen Begleiter hatte, und des Nachts allein durch die Wüste ritt. Jetzt drehte er sich zur Seite. Murad Nassyr erblickte sein Gesicht, sprang sofort auf und rief: »Abd Asl! Bei Allah ist alles möglich; aber wie konnte ich ahnen, dich hier zu sehen?«

Der andere drehte sich bei diesem Rufe vollends um, und nun sah auch ich seine Züge. Wahrhaftig, es war Abd Asl, der »heilige Fakir«, welcher mich und Selim in den Brunnen bei Siut gelockt hatte, um uns in demselben umkommen zu lassen! Es zuckte in meinen Armen und Beinen, zu ihm hinzueilen, um Abrechnung mit ihm zu halten; aber das durfte ich nicht. Also darum war mir vorhin seine Stimme bekannt vorgekommen!

»EI Ukkazi!« antwortete er im Tone des Erstaunens. »Sehen meine Augen recht? Du bist hier beim Bir Murat? Allah hat dich hergeführt, denn ich habe mit dir zu sprechen.«

Er schritt auf Murad Nassyr zu und reichte ihm die Hand. Dieser schüttelte sie und entgegnete:

»Ja, Allah fügt dieses Zusammentreffen. Meine Seele freut sich deines Angesichtes. Du bist allein, und ich habe Dienerinnen bei mir. Sei mein Gast, und setze dich zu mir!«

Der Fakir nahm diese Einladung an. Er befahl den Wächtern, seinem Kamele den Sattel abzunehmen und es zu tränken, und ließ sich an der Seite des Türken nieder. Ich hatte jetzt doppelt Ursache, mich zu wundern. Erstens war sein Kamel, wie ich beim Scheine der Fackel sah, ein noch wertvolleres Reitkamel als das meinige. Wie kam dieser Fakir, der als solcher doch ein Armer war, zu einem so kostbaren Tiere? Und zweitens hatte er den Türken nicht Murad Nassyr, sondern EI Ukkazi genannt. Ukkazi heißt Krücke und wird auch in der Bedeutung von Krüppel gebraucht. Woher hatte der Türke diesen Beinamen? Er besaß doch ganz gesunde Glieder!

Er ging selbst in das Zelt, um dem Fakir einen Tschibuk zu holen. Dieser hatte mir in Siut gesagt, daß er niemals rauche; jetzt aber nahm er die Pfeife an und qualmte bald wie einer, der auf Kontrakt zu rauchen hat. Jetzt war ich dem stacheligen Gebüsch nicht mehr gram. Ich lag höchstens fünf Schritte von den beiden entfernt und durfte hoffen, Interessantes zu hören.

Sie wechselten zunächst die allgebräuchlichen Redensarten; dann wurde gegessen, und die Kameltreiber zogen sich zurück. Als das Mahl eingenommen worden war, sah der Fakir sich forschend um und sagte:

»Was ich mit dir zu sprechen habe, ist nicht für jedermanns Ohr. Du hast ein Harem bei dir; können unsere Worte in demselben gehört werden?«

»Die Tochter meines Vaters bewohnt das Zelt; sie kann alles hören; aber ihre Sklavinnen sind bei ihr, und so ist es besser, wenn wir in das meinige gehen.«

Sie begaben sich in das Zelt, hinter welchem ich lag. Drin war es vollständig dunkel. Die Brunnenwächter hatten die Fackel wieder verlöscht; nun war es auch im Freien wieder finster, doch begannen die Sterne nach und nach heller zu glänzen. Ich schob mich bis an das Zelt und horchte. Sie sprachen drin, aber nur halblaut, und die Leinwand ließ ihre Worte nicht deutlich zu mir dringen. Ich wollte und mußte aber hören; darum versuchte ich, die Zeltwand zwischen zwei Pfählen emporzuheben. Es ging, und zwar so gut, daß ich den Kopf hindurchstrecken konnte. Zu sehen vermochte ich die beiden nicht, ihren Stimmen aber entnahm ich, daß ich sie mit dem ausgestreckten Arme hätte erreichen können. Schade, daß ich den Anfang ihres Gespräches nicht gehört hatte, denn kein anderer als ich selbst war der Gegenstand desselben! Das hörte ich sofort aus den Worten des Fakirs:

»Da muß ich dich vor einem Menschen warnen, welcher mit dem Reïs Effendina im Bunde steht und zu ihm hinauf nach Chartum will, um Sklavenhändler abzufangen.«

»Solltest du denselben meinen, den auch ich kenne?« fragte Murad Nassyr. »Ich weiß einen, vor dem ich auch dich zu warnen habe.«

»Wer ist er?«

»Ein Giaur aus Almanja.«

»Allah! Es ist derselbe, von dem ich sprechen wollte. Wo hast du ihn kennen gelernt?«

»In Kahira sah ich ihn wieder; aber ich habe ihn schon vorher in Dschezair, gesehen. Daß und wie du mit ihm zusammengetroffen bist, das weiß ich ganz genau, denn er selbst hat es mir in Siut erzählt.«

»So trafst du ihn nicht bloß in Kahira, sondern auch dann in Siut?«

»Er wartete in Siut auf mich, denn er sollte mich nach Chartum und von da aus weiter den Bahr el Abiad hinauf begleiten. Er ist ein kluger und verwegener Kerl und wäre für uns so unbezahlbar gewesen, daß ich ihm die jüngere Tochter meines Vaters angeboten habe.«

»Allah kerihm! Wie konntest du das thun! Nun ist er dein Freund und Schwager, und ich darf mich nicht an ihm rächen.«

»Nichts ist er, gar nichts weiter, als mein ärgster Feind, Er hat mein Anerbieten abgeschlagen.«

»Ist das möglich! Das wäre ja eine Beleidigung, welche nur mit Blut abgewaschen werden kann!«

»Ja, das ist sie, und dreimal wehe ihm, wenn er in meine Hand gerät! Doch vor allen Dingen muß ich dir genau und ausführlich erzählen, wie und warum ich ihn an meine Seite gezogen habe.«

Sein Bericht umfaßte alles Geschehene bis zu unserer Entzweiung in Korosko. Als er bei den Versprechungen ankam, welche er mir gemacht hatte, meinte der Fakir zornig:

»Dein Kopf ist krank gewesen! Wie konntest du ihm beides versprechen, deine Schwester und Reichtum! Keins von beiden gehört ganz dir! Mein Sohn hat teil an allem, was dir gehört. Du bringst ihm jetzt die ältere Tochter deines Vaters. Wie konntest du da die jüngere diesem räudigen Giaur versprechen, den Allah verbrennen und verdürsten lassen möge! Wie darf ein solcher Hund die Schwester eines Weibes haben, welches meinem Sohne gehört!«

»Bedenke seine Eigenschaften!«

»Was gehen sie mich an, wenn er ein Giaur ist!«

»Ich stellte ihm ja die Bedingung, zum Islam überzutreten!«

»Das zu thun, fällt diesem Schakale niemals ein. Ich bin ihm von Gizeh aus gefolgt, ohne daß er es ahnte. Die Kadirine hatte ihn in meine Hand und in die Hand des Gauklers gegeben. Dein Selim, welcher kein Hirn besitzt, war, ohne es zu wissen, unser Verbündeter. Dieser Mensch sollte schon in Maabdah zu Grunde gehen; aber da der Stallmeister des Pascha sich bei ihm befand, mußte ich eine andere Gelegenheit herbeiführen. Selim hatte zu viel erfahren und mußte also auch zum Schweigen gebracht werden. Darum lockte ich beide in den alten Brunnen und war, ebenso wie der Gaukler, überzeugt, daß sie denselben nie wieder verlassen würden. Aber der Scheitan scheint mit ihnen im Bunde zu stehen und ihnen einen uns unbekannten Ausweg gezeigt zu haben. Sie entkamen, und ich mußte schleunigst fliehen, um ihrer Rache zu entgehen. Die Konsuls dieser fremden Hunde sind mächtiger als der Khedive selbst. Erst nach einiger Zeit wagte ich es, nachzuforschen, und erfuhr, daß der Giaur mit Selim auf einem Sandal, welcher Et Tahr heißt, nilaufwärts gefahren sei.«

»Das war mein Schiff; ich hatte es gemietet.«

»Das wußte ich nicht. Ich hatte überhaupt keine Ahnung davon, daß du dich schon wieder in Ägypten befindest. Du wolltest die Tochter deiner Mutter viel später bringen.«

»Und ich ahnte bisher nicht, daß du zur Kadirine gehörst. Darum freute ich mich, daß es diesem Giaur gelang, mich von den Gespenstern zu befreien.«

»Das war ein Eingriff in unsere Geheimnisse. Dann wurde auf seine Veranlassung unsere Sklavendahabije konfisziert. Beides mußte er mit dem Leben büßen. Er entkam uns. Wenn er erzählt, was geschehen ist, können wir uns auf Schlimmes gefaßt machen; er muß also verschwinden. Dazu kommt, daß er auch dich tödlich beleidigt hat. Ich werde ihn zerschmettern!«

»Ganz dasselbe habe auch ich ihm angedroht; er aber hat mich verlacht.«

»Laß ihn lachen! Wir werden ihn erreichen. In kurzer Zeit wird er sich zwischen mir und dem Gaukler befinden und sicher einem von uns in die Hände laufen. Jener folgt ihm auf dem Nile, und ich ließ mir von einem Freunde das schnellste Reitkamel geben, um nach Abu Hammed zu gehen. Dort erwarte ich ihn; der Gaukler treibt ihn mir zu.«

»Da täuschest du dich. Wie kannst du denken, daß er sich auf meinem Sandal befinde! Er hat mich beleidigt; wir sind Todfeinde; meinst du, daß ich ihm da erlauben werde, mein Schiff zu benutzen?«

Das Gesicht des Fakirs zeigte jetzt sicher den Ausdruck größter Enttäuschung; ich konnte es nicht sehen; dafür hörte ich ihn im Tone tiefer Betroffenheit sagen:

»Wie! Er ist nicht auf dem Sandal! So befinden wir uns also auf falscher Fährte?«

»Ja. Er ist euch abermals entgangen. Du hast recht; dieser Giaur steht mit dem Scheitan im Bunde.«

»Aber wohin ist er? Weißt du es vielleicht?«

»Ich weiß es nicht, kann es auch nicht erraten; aber ich glaube, daß er eher als du in Abu Hammed sein wird – wenn er überhaupt dorthin zu gehen beabsichtigt. Es hatte den Anschein, als ob er von Korosko nach Korti wolle, um von dort aus durch die Bajuda-Wüste direkt nach Chartum zu gehen.«

»Woraus schließest du das? Hat er vielleicht ein unbedachtes Wort darüber fallen lassen? Warst du bei seiner Abreise zugegen?«

»Nein. Ich ritt eher fort als er; aber er kam mir sehr bald nach. Es war mir das unerklärlich. Er saß mit dem Lieutenant des Reïs Effendinavor dem Thore des Chans und – –«

»Mit wem?« unterbrach ihn der Fakir. »Der Reïs Effendina hat seinen Lieutenant nach Korosko geschickt?«

»Ja. Der Lieutenant nahm mich vor und behauptete, mich zu kennen. Er hatte recht, doch leugnete ich. Meines Bleibens konnte keinen Augenblick länger sein, und so mietete ich die ersten besten Kamele und machte mich aus dem Staube. Bald darauf kam der Giaur mit dem Lieutenant nach. Sie ritten Prachtkamele und hatten Selim und Ben Nil bei sich.«

»Ben Nil? Allah, Allah! Ich kannte einen dieses Namens, der ist aber tot.«

»Ein Matrose aus Gubator?«

»Ja. Wie kommst du dazu, diesen Ort zu nennen?«

»Weil ich von demjenigen spreche, den du für tot hältst. Du hast ihn, wie er mir selbst erzählte, in den Brunnen gelockt; aber dieser deutsche Ungläubige hat ihn befreit und mit sich genommen.«

»Das – ist – – nicht möglich!« hörte ich den Fakir beinahe lallend sagen.

»Es ist ganz genau so, wie ich es dir erzähle. Ben Nil ist der Diener des Giaur geworden.«

»Allah kerihm! Das ist zu viel! Da sind ja alle drei, welche sterben sollten, beisammen! Und wir hatten doch alle Vorsichtsmaßregeln getroffen? Das ist schon wieder einer mehr gegen uns. Aber noch fürchte ich mich nicht. Ich habe die Macht in den Händen, sie alle zu verderben, und ich schwöre bei dem Propheten und seinem Barte, daß ich es thun werde. Ich werde ihnen folgen; ich werde sie jagen, und sollte ich bis an den Bahr el Ghazal gehen. Ich suche meinen Sohn auf, und finde ich selbst sie nicht, so gebe ich sie in seine Hände. Hast du denn gar keine Ahnung, wo sie zu treffen sind?«

»Nein. Sie folgten der Karawanenstraße nur eine kurze Strecke weit; dann sind sie, wie die Spuren zeigten, nach rechts abgeritten.«

»So muß ich mich beeilen, nach Abu Hammed zu kommen. Sind sie nicht dort, so sende ich Boten nach Berber, nach Korti und auch nach Debbeh. An einem von diesen Orten muß ich wenigstens eine Spur von ihnen finden.«

»Das ist mir leid. Ich freute mich, als ich dich sah, denn ich glaubte, daß wir nun miteinander reisen würden.«

»Das ist nicht möglich. Du hast das Harem bei dir und kannst nur langsam reisen; mir aber thut nun die höchste Eile not. Wann sind sie von Korosko fort?«

»Arn Montag früh.«

»Und heute ist Donnerstag. Du sagtest, daß sie gute Reitkamele ritten; da haben sie einen großen Vorsprung, den ich unbedingt einholen muß. Ich – –«

Seine folgenden Worte konnte ich nicht hören, denn es ließ sich wieder Hufschlag hören, und eine laute Stimme rief-

»Auf, ihr Wächter, ihr Bewahrer des Brunnens! Zündet die Leuchte an, denn wir brauchen Wasser!«

Ich zog den Kopf unter dem Zelte hervor und versteckte mich wieder in das Gesträuch. Die Sterne leuchteten heller als vorhin, und ihr Schein war hinreichend, mich sehen zu lassen, daß nicht nur ein Kamelreiter, sondern ein ganzer Trupp angekommen war. Sie ließen ihre Tiere niederknien und stiegen im Finstern ab. Es wurde eine Fackel angebrannt, und nun konnte ich sieben Männer Zählen, welche auf fünf Tieren gekommen waren. Dieses Verhältnis der Zahl der Reiter zu derjenigen der Kamele befremdete mich anfangs, doch konnte ich es bald erklären, denn ich erkannte – – die vier Sklavenjäger, welchen ich die Freiheit gelassen hatte.

Die andern drei waren von der Haupttruppe der Sklavenjäger abgeschickt worden, um auf fünf Kamelen beim Bir Murat Wasser zu holen, und hatten unterwegs ihre verunglückten Kameraden getroffen. Nun war es gewiß, daß ich mich nicht geirrt hatte; die vier gehörten zu den Frauenräubern, welche wir suchten. Die letzteren hatten wirklich den nördlichen Weg eingeschlagen und mußten uns nun in die Hände fallen.

Das freute mich natürlich; um so weniger befriedigte mich meine gegenwärtige Situation. Ich war gekommen, um die Sklavenjäger zu belauschen, und steckte nun hier hinter dem Zelte fest. Sie hielten sich jedenfalls nicht lange auf, und ich fand höchst wahrscheinlich keine Gelegenheit, mich ihnen zu nähern. So dachte ich; aber glücklicherweise gestalteten sich die Umstände günstiger, weit günstiger, als ich hoffen durfte.

Murad Nassyr war nämlich mit dem Fakir aus dem Zelte getreten, um einen Blick auf die Ankömmlinge zu werfen. Da rief der erstere überrascht:

»Allah, Allah! Abermals ein Wunder! Das ist ja wieder ein Freund, den meine Augen erblicken!«

Und der andere stimmte bei:

»Ja, es ist ein Freund, den wir hier unmöglich erwarten konnten. Malaf, nahe dich uns, um aus unserm Becher zu trinken und eine Pfeife des Willkommens mit uns zu rauchen!«

Malaf drehte sich zu ihnen um. Es war der Anführer der Leute, denen ich ihre Gefangenen abgenommen hatte.

»EI Ukkazi und Abd Asl, der Vater unsers Gebieters!« rief er erstaunt. »Allah gebe euch Gnade und Glück zu jedem eurer Schritte! Erlaubt eurem Diener, euch zu begrüßen!«

Er trat zu ihnen und machte eine sehr respektvolle Verneigung.

»Bist du zufällig hier?« erkundigte sich der Fakir.

»Nein. Wir holen Wasser für eine Karwan er Reqiq

»So befiehl deinen Leuten, die Schläuche zu füllen, und komme, während sie dies thun, zu uns in das Zelt! Ich möchte dich nach meinem Sohne fragen.«

Diese Worte waren mir lieber, als wenn mir jemand tausend Mark geschenkt hätte, denn ich war nun überzeugt, nicht nur das, was ich ursprünglich wissen wollte, sondern auch noch andere Dinge von höchster Wichtigkeit zu erfahren.

Die Fackel brannte noch und wurde während des Füllens der Schläuche wohl auch nicht ausgelöscht. Das hätte leicht störend wirken können, allein ich bemerkte zu meiner Freude, daß das Gestrüpp dicht und auch breit genug war, mich vollständig zu decken. Ich konnte den Kopf wieder unter die Zeltwand stecken, ohne daß man meinen Körper von außen dabei zu sehen vermochte.

Malaf gehorchte der an ihn ergangenen Aufforderung; er gab seinen Männern die betreffende Anweisung und kam dann in das Zelt. Als ich mit dem Kopfe in das Innere desselben gelangte, stand er im Begriff, sich niederzusetzen. Ich konnte alle drei ziemlich deutlich erkennen, da die Eingangsmatte offen stand und von der Fackel ein Lichtschein hereindrang. Als Malaf Platz genommen hatte, sagte der alte Fakir:

»Ich glaubte euch jetzt am obern weißen Nil. Ist der Fang so schnell gegangen und war der Transport so leicht, daß ihr jetzt schon hier sein könnt?«

»Wir waren gar nicht am Bahr el Ghazal, sondern haben die Richtung nach Westen eingeschlagen.«

»Also nach Kordofan? Dort giebt es doch nichts zu holen!«

»Wir waren weiter.«

»Nach Dar-fur also? Wie kommt das? Wer kauft Sklaven, welche dort geboren sind? Früher, ja, aber jetzt nicht mehr.«

»Wir waren weder in Kordofan noch in Dar-fur, sondern wir haben arabische Frauen und Mädchen geholt.«

»Allah! Arabische Beduininnen?«

»Ja.«

»Aber das sind doch Anhängerinnen des wahren Glaubens, welche nicht verkauft werden dürfen?«

»Frage sie,« lachte Malaf, »und sie werden dir sagen, daß sie den Islam gar nicht kennen.«

»So ist es recht! Ihr seid kluge Geschäftsleute. Die Furcht vor der Strafe wird sie, wenn es gilt, zu Heidinnen machen. Aber von welchem Stamme habt ihr sie geholt?«

»Von demjenigen, welcher seiner schönen Frauen wegen berühmt ist, nämlich von dem der Fessarah.«

»Beim Barte des Propheten, das war sehr viel gewagt. Die Krieger der Fessarah sind als sehr tapfere Männer bekannt, und der Raub ihrer Frauen und Mädchen wird euch das Leben vieler Leute gekostet haben.«

»Es ist kein einziger verwundet oder gar getötet worden. Ihre Krieger waren alle nach dem Dschebel Modjaf geritten, um eine große Fantasia dort abzuhalten, und die Frauen befanden sich also mit den Kindern und Greisen ganz unbeschützt im Duar. Wir umzingelten denselben, suchten gegen sechszig der Schönsten aus und töteten alle übrigen, damit niemand über uns berichten könne.«

»Und unterwegs? Habt ihr da auch Glück gehabt?»

»Ganz ebenso. Wir hatten schon auf dem Hinzuge stets gute Kundschafter vor uns, um alle Begegnungen zu vermeiden, und thaten das auf dem Rückwege ebenso. Ein Wüstensturrn verwehte unsere Spuren, so daß jetzt kein Mensch weiß, wer die Jäger gewesen sind.«

»Wer hat diesen Plan ausgesonnen?«

»Wer anders als Ibn Asl ed Dschasuhr, dein Sohn, unser Gebieter.«

»Ja, das konnte ich mir denken. Er ist der berühmteste Sklavenjäger, und ich bin stolz auf ihn. Aber wie kam er auf den Gedanken, Beduininnen zu holen? Es ist dies das größte Wagnis, welches er bisher unternommen hat. Wenn entdeckt wird, daß er es war, treten nicht nur die weltlichen Richter, sondern auch die Religionslehrer gegen ihn auf, und dann kann es ihm schlimm ergehen.«

»Es wird nichts verraten werden. Unsere Leute erhalten einen so guten Anteil, daß keiner von ihnen den Mund öffnet, um den Anführer zu bezeichnen. Einer unserer Abnehmer in Stambul bat um Araberinnen. Er schrieb, Negerinnen seien zu häßlich und die Cirkassierinnen ständen jetzt nicht in der Mode. Araberinnen hat man noch nicht in den Handel gebracht, und da die Töchter der Wüste etwas so seltenes sind, stand ein sehr lohnendes Geschäft zu erwarten.«

»Nach Stambul also! Welchen Weg werdet ihr nehmen?«

»Wir sind durch das Wadi Melk und Wadi el Gab gekommen, bei der Insel Argo über den Nil gegangen und wollen nun nach dem Vorgebirge Rauai, Dschidda gegenüber. Dort wird das Schiff unsers Abnehmers anlegen und die Ware in Empfang nehmen.«

Diese Worte bestätigten auf das Genaueste meine Vermutungen. Gegen sechzig Sklavinnen! Und darüber ging der alte Fakir mit der größten Ruhe hinweg. Wie hatte mir in Maabdah und Siut sein ehrwürdiges Gesicht gefallen. Er wurde als Heiliger verehrt und war doch ein Scheusal. Ein Fakir, ein Marabut, und doch billigte er ohne den geringsten Vorbehalt den Raub von sechzig Muhammedanerinnen! Da steckte ein Teufel in der Maske eines Heiligen.

»Jetzt aber die Hauptsache,« fuhr er fort. »Mein Sohn ist doch bei euch?«

»Ja. Er reitet mit bis Ras Rauai, um dort das Geld in Empfang zu nehmen.«

»Nach dem Bir Murat kommt er nicht?«

»Nein, denn er soll am allerwenigsten gesehen werden. Du weißt, daß wir einige geheime Brunnen in der Wüste haben; das erleichtert es uns, unbemerkt zu bleiben. Aber sechzig Sklavinnen, fünfzig Begleiter und die dazu gehörigen Tiere bedürfen viel Wasser. Dennoch hätten wir uns nicht hierher zu wenden gebraucht, wenn unser letzter geheimer Brunnen nicht von andern entdeckt und geleert worden wäre.«

»Wie kann man einen solchen Brunnen entdecken!«

»Auch ich habe es für sehr schwierig gehalten. Der Zufall muß diesem Christenhunde günstig gewesen sein.«

»Einem Christen? Du hast einen Giaur in der Wüste am Brunnen getroffen?«

»Einen verfluchten Schakal mit seinen Begleitern. Aber dieser Schakal war nicht feig, sondern verwegen wie ein hungriger Panther. Er hat uns nicht nur die beiden Gefangenen, sondern auch alles, was wir nicht auf dem Leibe trugen, abgenommen.«

»Ich verstehe dich nicht; ich entnehme aus deiner Rede nur, daß euch ein seltsamer Unfall widerfahren ist. Erzähle also, was geschehen ist!«

Malaf gehorchte. Er hielt sich ganz genau an die Wahrheit und sagte kein Wort zu wenig oder zu viel. Er stellte meine Unerschrockenheit ins Licht, freilich nicht aus Gerechtigkeit, sondern aus Klugheit. je höher er mich ernporhob, desto geringer wurde die Veranlassung, ihm Vorwürfe zu machen. Ibn Asl ed Dschasuhr war an dem heimlichen Brunnen angekommen und hatte dort kein Wasser gefunden. Darum hatte er Leute mit Kamelen und Schläuchen nach dem Bir Murat gesandt, und diese waren auf Malaf und dessen Begleiter getroffen. Nun wollten sie hier schöpfen und mit Anbruch des Morgens fortziehen.

Die beiden Zuhörer hatten den Erzähler nicht unterbrochen; jetzt fragte Murad Nassyr:

»Wie viele Männer hatte der Giaur bei sich?«

»Zwei.«

»Wer waren sie? Woher kamen sie, und wo wollten sie hin?«

»Auch das kann ich nicht sagen, denn die Schurken haben keine meiner Fragen beantwortet.«

»Sollte es der deutsche Giaur gewesen sein? Beschreibe ihn und die beiden andern einmal genau!«

Malaf kam dieser Aufforderung nach; er beschrieb erst den Lieutenant, dann Ben Nil und endlich mich.

»Er ist’s, er ist’s!« rief der Fakir aus, und der Türke stimmte ihm bei. »Es kann kein anderer sein; ein Irrtum ist unmöglich. Und die beiden andern waren Ben Nil und der Lieutenant des Reïs Effendina. Da fehlt aber Selim. Wo mag er geblieben sein?«

»Die Frage ist sehr leicht zu beantworten,« meinte Murad Nassyr. »Selim ist ausgerissen; er hat sich versteckt. Der Halunke nennt sich den obersten der Helden und ist doch der größte Feigling, den man sich denken kann.«

»Sollte er sich wirklich in der Nähe befunden haben?«

»Ganz gewiß, denn sein Kamel war ja da und ist mit erbeutet worden. Nur der Deutsche war abwesend, ist später an den Brunnen zurückgekehrt und dann den Spuren gefolgt. Vielleicht hat Selim ihn erwartet und ihm das Geschehene mitgeteilt. Das alles ist mir sehr klar; was aber hat der Ungläubige mitten in der Wüste am geheimen Brunnen zu suchen? Das möchte ich wissen.«

»Ich will es dir sagen,« antwortete der Fakir. »Er weiß, daß wir ihm nach dem Leben trachten, und reitet nicht den gewöhnlichen Karawanenweg, um sich unsern Nachforschungen zu entziehen.«

»Was aber will der Lieutenant bei ihm?«

»Dieses Zusammentreffen ist ein reiner Zufall und ebenso ihr Halten am Brunnen.«

»Woher hat er so schnell die guten Kamele für sich, Selim und Ben Nil bekommen?«

»Das ist mir freilich ein Rätsel. Zu bekommen sind sie nicht schwer, wenn man gut bezahlen kann; aber das kann er nicht, denn er hat kein Geld. Er hat dir das, was du ihm schenktest, zurückgeben müssen.«

»Das ist richtig, und ich weiß, daß er nicht mehr besaß, als zur Rückkehr in seine Heimat nötig ist. Dazu kommt noch ein anderes. Wer Kamele borgt, muß den Besitzer oder einen Beauftragten desselben mitnehmen; es war aber niemand dabei, folglich sind die drei Kamele nicht geliehen. Aber gekauft kann er sie noch viel weniger haben.«

»Vielleicht hat er sie von der Weide geholt, also gestohlen!«

»Nein. Der Kerl ist ein Hund, ein Christ, aber er würde lieber sterben als stehlen. Ich halte ihn sogar für einen Mann, welcher lieber hundert Piaster giebt, als daß er sich einen ohne Gegenleistung schenken läßt. Daß er sich in dem Besitze dreier Reitkamele befindet, und zwar so kurze Zeit, nachdem ich nur Lasttiere bekommen konnte, das ist mir unbegreiflich . Doch mag dem sein, wie ihm wolle, ich kann nur zur Vorsicht raten. Wir müssen deinen Sohn warnen.«

»Das halte ich für unnötig. Meinst du, daß der Deutsche es wagen würde, mit dem berühmten Ibn Asl ed Dschasuhr anzubinden?«

»Warum nicht? Er hat noch ganz anderes gewagt.«

»Aber er ahnt von der Gegenwart meines Sohnes nicht das mindeste!«

»Täusche dich nicht! Ich hörte in Dschezair von ihm erzählen, und er selbst hat mir manches Erlebnis mitgeteilt, freilich kurz und schlicht, aber ich konnte zwischen den Worten lesen. Dieser Mensch hat einen Geruch wie ein Geier und ein Auge wie ein Adler.«

»So besitzt er also auch Glück im Erraten.«

»Nein; er errät nichts, sondern er berechnet alles. Ihm kommen Gedanken, die ein anderer niemals haben würde. Wenn ich mir diesen Halunken, sein Wesen, seine ganze Art und Weise vergegenwärtige, so möchte ich schwören, daß er jetzt irgendwo sitzt und über uns lacht. Er hat es sich ausgerechnet, daß eine Sklavenkarawane im Anzuge ist, und weiß vielleicht sogar, wo dieselbe jetzt hält.«

»Das ist unmöglich. Und selbst wenn er es wüßte, was könnte es schaden! Oder meinst du, daß es ihm einfallen könne, der Karawane zu folgen?«

»Warurn. nicht? Dieser Hund fängt eben alles anders an als wir.«

»Vier Personen gegen fünfzig. Es wäre lächerlich!«

»Nein. Nehmen wir den Fall an, daß er der Karawane heimlich folgen will. Er würde sehr bald bemerken, daß Ras Rauai ihr Ziel ist. Wenn er dann schnell voranreitet, nach Dschidda überfährt und die dortigen Christen-Konsule benachrichtigt, so werden deinem Sohne die Sklavinnen weggenommen, und ihm bleibt, um der Strafe zu entgehen, kein anderer Weg als nur die Flucht.«

»Bei allen Teufeln des Abgrundes, da hast du recht! Ich muß meinen Sohn warnen, denn so etwas ist diesem Giaur zuzutrauen, und wenn er es auch nur thäte, um sich an mir zu rächen.«

»An dir? Wie konnte er dabei an dich denken!«

»Er weiß ja, daß ich der Vater des berühmten Sklavenhändlers bin. Es entfuhr mir, daß Ibn Asl jetzt der größte Sklavenhändler sei. Das war auf dem Wege nach dem Brunnen, in welchem er verschmachten sollte. Ich war also der Überzeugung, daß meine Mitteilung keine Folgen haben könne. Nun hat er gewiß erfahren, daß ich Abd Asl heiße. Abd Asl und Ibn Asl, diese beiden müssen unbedingt Vater und Sohn sein; das ist ganz selbstverständlich.«

»Dann hast du freilich allen Grund, deinen Sohn zu warnen, und zwar so schnell wie möglich. Auch ich muß mit ihm reden. Er ahnt nicht, daß wir uns in seiner Nähe befinden und daß ich seine zukünftige Sitti bei mir habe. Er will schon früh aufbrechen und muß sich nun erst recht beeilen. Darum müssen wir noch in dieser Nacht mit ihm reden. Ich muß wissen, wohin ich meine Schwester führen soll, und habe außerdem eine Bestellung auf Sklaven mit ihm zu besprechen. Wo lagert er?«

»Nicht allzuweit von hier, gegen Norden, am Rande des Palmwaldes,« antwortete Malaf, an den diese Frage gerichtet war.

»Und ihr sollt bis früh hier bleiben?«

»Bis zum Morgengrauen. Dann verlassen wir den Brunnen südwärts, wenden uns aber bald nach Nordost, wo wir in der Richtung auf Wadi el Berd mit Ibn Asl zusammentreffen.«

»Soll in diesem Wadi gelagert werden?«

»Ja. Wir wollen es morgen abend erreichen. Es giebt dort Wasser.«

»Und ich habe dieses Wadi stets für wasserlos gehalten,« meinte der Fakir.

»Das ist es nicht, freilich nur für den Kenner. Es giebt ungefähr in der Hälfte seiner Länge an einer Felsenwand ein Loch, welches noch lange nach der Regenzeit Wasser hält. Wir haben es mit einer Steinplatte zugedeckt und Geröll darauf geworfen, so daß ein Fremder es nicht entdecken kann. Einer von unsern Leuten fand es vor mehreren Jahren. Er. sah drei Gaziah-Bäume stehen und schloß aus deren Vorhandensein auf Wasser. Sie stehen noch, aber da wir oft dort verkehren, so haben unsere Kamele die Zweige und die Rinde abgefressen, und die Bäume sind verdorrt.«

Diese Mitteilung wurde nur so nebenbei gemacht, war aber für mich von außerordentlicher Wichtigkeit. Sie konnte die Grundlage meines Kampfplanes bilden. Hätten die drei geahnt, daß ich hinter ihnen lag und alles hörte!

»Ich bin unruhig und auch besorgt geworden,« wendete der Fakir sich an Malaf. »Willst du uns jetzt sofort zu meinem Sohne führen?«

»Das geht nicht an. Wollten wir drei den Brunnen auf eine längere Zeit verlassen, so würde dies auffallen, und das muß ich vermeiden. Wir haben zwar von Seite derer, die hier lagern, gar nichts zu befürchten, aber es ist auf alle Fälle viel besser, wenn von unserer Karawane gar nicht gesprochen, ja gar nichts vermutet wird.«

»Wie lange soll ich warten?«

»Bis man schläft. Dann hole ich euch ab, und wir schleichen uns heimlich fort. Es kann schon Aufmerksamkeit erregen, daß ich jetzt so lange bei euch bin; darum werde ich mich entfernen und zu meinen Leuten gehen.«

»Thue es; aber sage uns vorher, ob du vielleicht bemerkt hast, daß der Deutsche euch folgte!«

»Wir sahen von weitem, daß er sich mit den zwei befreiten Gefangenen niedersetzte. Dann gingen wir, um möglichst schnell Bir Murat zu erreichen, wo, wie wir wußten, unsere Wasserholer uns treffen würden. Ich bin überzeugt, daß er sich gar nicht weiter um uns bekümmert hat.«

»Aus welchem Grunde?«

»Weil er uns nicht festhielt. Hätte er irgend eine Absicht mit uns oder auf uns, so wären wir nicht von ihm entlassen worden. Und wäre er uns später gefolgt, so hätte er uns, die wir zu Fuße waren, mit seinen guten Kamelen sehr bald eingeholt. Der Mann ist, wie ich ja selbst erfahren habe, ein sehr verwegener Kerl, für uns aber nun gänzlich ungefährlich.«

Er ging. Jetzt hörte man draußen eine laute Stimme, welche einen Vortrag zu halten schien.

»Das ist der Besitzer meiner Kamele,« sagte Murad Nassyr. »Er erzählt ein Märchen; ich hörte noch nie einen so guten Erzähler wie diesen Mann. Wir haben jetzt nichts Notwendiges mehr zu verhandeln; laß uns hinausgehen und ihm zuhören!«

Der Orientale ist unermüdlich im Anhören von Märchen; Abd, Asl war sofort einverstanden und folgte dem Türken hinaus und hinüber an den Brunnen, wo sich schnell ein Kreis Neugieriger um den Erzähler bildete. Ich zog den Kopf aus dem Zelte zurück und überlegte, was zu thun sei. Ich konnte von dem, was ich gehört hatte, höchst befriedigt sein, und doch wäre ich sehr gerne noch länger geblieben. Es war jedenfalls höchst wichtig, zu erfahren, wie der Sklavenjäger sich zu der beabsichtigten Warnung verhalten werde. Aber konnte ich auf die Rückkehr Murad Nassyrs und des Fakirs warten? Wohl kaum. Jetzt wurden jedenfalls noch stundenlang Märchen erzählt; dann dauerte es lange, ehe alle schliefen, und nachher war vorauszusehen, daß die beiden Genannten von Ibn Asl vielleicht gar bis gegen Morgen zurückgehalten würden. Eine so lange Zeit hier im Gebüsch zu bleiben, konnte ich nicht wagen und war auch zu unbequem. Bis jetzt war alles prächtig abgelaufen; ein kleiner Zufall konnte alles wieder verderben; ich mußte den Rückzug antreten, welcher mir durch den Märchenerzähler erleichtert wurde. Was Ohren hatte, stand oder saß bei ihm; sogar die Frauen hatten sich dem Kreise genähert, um an dem Genusse teilzunehmen. Dadurch war mir der Weg frei geworden, und ich konnte binnen fünf Minuten so weit kriechen, daß ich mich dann erheben und aufrecht gehen durfte.

Bald lag das Thal des Brunnens hinter mir, und ich trat in die Schlucht ein. Da war kein Lauscher zu erwarten, aber dennoch beobachtete ich dieselbe Vorsicht wie bisher. Die Sterne funkelten am Himmel; hier in der Tiefe aber war es fast stockdunkel. Indem ich lautlos vorwärts ging, drang ein schwaches Geräusch an mein Ohr; es kam von vorn und war über mir. Ich blieb stehen und lauschte. Tiefe Stille rings umher, wohl fünf Minuten lang. Ich schlich also weiter, Da rollte ein Steinchen von oben herunter; mehrere folgten; dann schien eine Gerölllawine loszubrechen.

»Allah kerihm!« kreischte eine Stimme.

Das Gepolter wurde ärger; ich mußte zur Seite springen, um von dem Gestein nicht getroffen zu werden, gelangte aber aus dem Regen in die Traufe, denn etwas Großes, Schweres aber nicht so Hartes wie Stein krachte auf mich nieder und riß mich zu Boden. Ich wollte schnell wieder auf, mußte mir aber Zeit nehmen. Ich war an Kopf und Schulter schwer getroffen worden und fühlte in der letzteren einen lähmenden Schmerz. Vor mir lag das lange, dunkle Ding, welches auf mich herabgesaust war. Ich streckte die Hand aus, um es zu betasten, und fühlte eine Nase. Also ein Mensch! Wer war der Mann? Er bewegte sich nicht. War er tot oder nur ohnmächtig? Ich nahm ihn beim Kopfe, um nach der Schläfenschlagader zu fühlen; diese Berührung war von unerwartetem Erfolge; der Mann schrie laut, sprang auf und rannte fort, glücklicherweise nicht nach dem Brunnen zu, sondern nach der entgegengesetzten Richtung. Ich eilte ihm natürlich nach. Die Sprünge, welche er mit seinen langen Beinen machte, schienen echt »Selim’sche« zu sein. Da strauchelte er über einen Stein und stürzte nieder; sofort warf ich mich auf ihn und hielt ihm die Kehle zu, damit er nicht schreien könne. Er regte sich nicht und wehrte sich nicht; ich betastete sein Gesicht, da es hier zu dunkel war, als daß ich seine Züge mit dem Auge hätte erkennen können. Richtig, ich hatte mich nicht geirrt. Ich nahm die Hand von seinem Halse und gebot ihm:

»Sprich leise, Selim! Bist du verletzt?«

Beim Klange meiner Stimme sprang er schnell wieder auf und antwortete:

»Du selbst bist es, Effendi? Da brauche ich mich nicht tot zu stellen!,«

»Wo kommst du her?«

Von da oben herunter.« Er deutete an der Felsenwand empor.

»Sage Allah Dank, daß du mich trafst! Ich fühle mich zwar wie zerschlagen, aber wenn du direkt auf das Gestein stürztest, so lägst du jetzt tot oder mit gebrochenen Gliedern da. Was hattest du denn da an der Schlucht zu suchen?«

»Ich wollte herabklettern, um dich zu retten.«

»Unsinniger! Ich befand mich ja gar nicht in Gefahr.«

»Du bliebst so lange weg, und da wurde man besorgt um dich. Als tapferster der Helden schlich ich mich natürlich fort, dich zu befreien. Im Herabsteigen rutschte plötzlich der Boden unter meinen Füßen weg, und infolgedessen kam ich viel rascher herab, als es in meiner Absicht liegen konnte.«

»Das ist nun wieder einer deiner Streiche. Befände ich mich wirklich in Gefahr, so wärest du der allerletzte, der mich retten könnte.«

»Aber, Effendi, ich bin ja zu solchen Thaten geboren!«

»Das brauchst du mir gar nicht erst zu versichern; ich weiß auch ohnedas und schon längst, daß du nur für unsinnige Streiche im Buche des Kismet verzeichnet stehst. Du könntest mir und uns allen den größten Schaden bereiten! Aber ich habe Eile und also keine Zeit zum Zanken; kannst du steigen?«

»Ja, das Steigen ist mir angenehmer als das Fallen.«

»So folge eng hinter mir. Ich bin hier herab; diese Stelle ist am leichtesten zu passieren.«

Ich wäre schnell hinauf gekommen; aber dieser Schleuderer der Knochen war zwar ein schneller Läufer, jedoch ein desto schlechterer Kletterer; ich zog ihn mehr, als daß er stieg, und als wir endlich oben anlangten, mußte ich stehen bleiben, um Atem zu schöpfen.

Er hatte eigentlich eine tüchtige Strafrede verdient, aber ich wußte vorher, daß dieselbe erfolglos sein werde; er war unverbesserlich. Seine Anwesenheit wurde zu einer fortgesetzten Gefahr für mich; aber ich hatte ihm versprochen, ihn bei mir zu behalten, und mußte mein Wort halten. Dazu kam, daß er sich aus Sorge um mich wirklich in die Schlucht gewagt hatte. Das machte mich irre an ihm. Ich hatte ihn für absolut und unheilbar feig gehalten; sollte er doch zuweilen Mut fühlen? Oder war es nur Leichtsinn, das Unvermögen, die Folgen seines Thuns sich vorherzusagen?

Als wir das Lager erreichten, fand ich die Gefährten nicht allein um mich, sondern noch viel mehr um Selim, den man vermißt hatte, in Besorgnis; unser Erscheinen beruhigte sie indessen schnell. Selim hatte nichts eiligeres zu thun, als sein Abenteuer zu erzählen. Er war natürlich nicht gefallen, sondern, mich in Gefahr sehend, mit unvergleichlicher Kühnheit in die tiefe Schlucht hinabgesprungen, so daß sämtliche Feinde entsetzt die Flucht ergriffen hatten.

Der Lieutenant empfing mich in der Überzeugung, daß mein Gang vollständig vergebens gewesen sei; ich belehrte ihn eines bessern, indem ich ihm und dem Onbaschi erzählte, was ich erlauscht und erfahren hatte. Die beiden schlugen eine Beratung vor; ich lehnte aber ab und riet, sofort nach dem Wadi el Berd aufzubrechen, damit wir unsere Vorbereitungen dort zeitig treffen könnten. Sie sahen ein, daß ich recht hatte, und stimmten mir bei.

Der Onbaschi war glücklicherweise schon einmal im Wadi el Berd gewesen und versicherte, daß er sich trotz der Nacht nicht in der Richtung irren werde. Die Kamele wurden also gesattelt; wir stiegen auf und begannen den nächtlichen Ritt.

Gleich beim Beginne desselben fand sich ein böses Hindernis. Wir mußten nämlich über die Schlucht hinüber, und da dies selbst am Tage auf dem Rücken der Kamele fast unmöglich gewesen wäre, so sahen wir uns zu einem weiten Umwege gezwungen. Wir ritten so lange südwärts, bis die Schlucht sich verflachte und wir sie zu überschreiten vermochten. Drüben angekommen, schlugen wir die nordöstliche Richtung ein, welche uns nach dem Wadi bringen mußte.

Ich hatte mein Kamel sehr anstrengen müssen; vielleicht standen ihm und mir noch weitere außergewöhnliche Leistungen bevor; ich wollte es also schonen und hatte mich auf ein anderes gesetzt. Der Weg war während der Nacht sehr beschwerlich. Wir befanden uns zwischen den Dünen oder vielmehr Hügeln, welche nach Dschebel Schigr hinüberlaufen, und kamen erst beim Anbruche des Tages aus denselben heraus. Nun freilich ging es besser. Wir konnten sehen und hatten die ebene, offene Wüste vor uns. Zu Mittag hatten wir den Bir en Nabeh im Süden zu unserer Rechten, so daß drei Vierteile des Weges hinter uns lagen, und eine Stunde nach dem Asr, also ungefähr vier Uhr nachmittags, sahen wir einen niedrigen Höhenzug, welcher sich von Nordost nach Südost hinzog, vor uns liegen. Der alte Onbaschi behauptete, daß wir hinter demselben das Wadi el Berd finden würden. Es stellte sich heraus, daß er recht hatte und ein guter Führer gewesen war.

Nun galt es, doppelt vorsichtig zu sein. Wir waren es schon bisher gewesen, indem wir uns weiter rechts, also mehr östlich gehalten hatten, als der Weg der Sklavenkarawane zu vermuten war. Es stand also zu erwarten, daß dieselbe nicht auf unsere Fährte stoßen werde. Da die ihrige aber in der Nähe des Wadi sich leicht mit der unserigen vereinigen konnte, so ritten wir jetzt im Gänsemarsche, und das letzte Kamel mußte meine an zwei Stricke gebundene Zeltleinwand hinter sich herziehen. Dieselbe war mit den Zeltstangen beschwert, und indem sie auf dem Sande hinschleifte, löschte sie unsere Spuren aus.

Der erwähnte Höhenzug bestand aus einzelnen niedrigen Felsenhügeln, welche direkt aus dem Sande aufstiegen und das Wadi vor dem Eindringen desselben schützten. Unter Wadi hat man hier eigentlich ein Flußbett zu verstehen, welches in der Regenzeit mehr oder weniger Wasser führt und sonst ein trockenes Thal bildet. Dieses Regenbett war von unregelmäßiger Breite, senkte sich hinter dem Höhenzuge ziemlich schroff in die Tiefe und wurde jenseits von einer ähnlichen Hügelreihe eingefaßt. Es war nicht überall möglich, hinabzukommen, sondern wir mußten uns eine geeignete Stelle suchen, um auf die Sohle des Thales zu gelangen.

Dort fand sich, wie schon erwähnt, kein Sand, sondern nur lockeres Steingeröll. Der Sand, welchen das Wasser der Regenzeit mit sich geführt hatte, lag tiefer als das Geröll, und so hinterließen wir, wenigstens für die ungeübten Augen derer, mit denen wir es zu thun hatten, keine Spuren.

Nun fragte es sich, wo der heimliche Brunnen zu suchen sei, ob nach rechts oder links, ob ab- oder aufwärts. Der Lieutenant und der Onbaschi stimmten für rechts, ich aber war der entgegengesetzten Meinung und erklärte ihnen den Grund derselben:

»Die Sklavenkarawane macht gewiß keinen Umweg und hält sicher gerade auf den Brunnen zu. Da wir uns nun rechts von ihrer Richtung befinden, müssen wir uns nach links wenden. Das ist doch klar.«

»Aber wenn du dich irrst, Effendi?« meinte der Lieutenant.

»So ist es noch immer Zeit, rechts zu gehen. Ich denke aber, daß ich richtig vermute.«

Wir folgten also dem Thale nach Nordwest, und schon nach einer halben Stunde ergab es sich, daß ich recht gehabt hatte. Wir sahen an einem Felsen, welcher stufenähnlich zur Höhe stieg, die erwähnten dürren, zweiglosen GaziahBäume stehen. Wir hielten bei denselben an. Die unterste Stufe des Felsens hatte die doppelte Höhe eines Mannes, und da die andern, welche sich übrigens sehr unregelmäßig übereinander bauten, viel weniger hoch waren, so konnte man, wenn man einmal auf ihr stand, unschwer zur Höhe gelangen, das heißt, zum andern Ufer als demjenigen, von welchem wir gekommen waren. Ich muß das erwähnen, damit das später folgende leichter erklärlich wird. Die unterste, höchste Stufe stand so weit vor, daß jemand, der auf derselben nicht stand, sondern lag, von den Gaziahstumpfen aus nicht gesehen werden konnte.

Also diese Gaziah-Bäume hatten wir gefunden; wo aber war das Wasser? Es sollte im Felsen ein Loch geben, welches jetzt natürlich verschüttet war. Wir untersuchten mit unseren Blicken die ganze Umgebung, doch vergebens. Der Boden ließ nicht die mindeste Feuchtigkeit erkennen, und es war auch keine Spur einer künstlichen Aufschüttung oder Ausfüllung zu sehen. Da mußte ich mich wieder an mein Kamel wenden. Es lag bei den andern. Ich holte es herbei; es senkte den Kopf, blies die Nüstern auf und begann, mit dem Vorderhufe neben den Bäumen im Boden zu wühlen. Die Stelle lag hart am Felsen. Es wurde wieder weggeführt, und wir gruben nach. Schon in einer Tiefe von drei Fuß stießen wir auf eine Steinplatte. Ihr Durchmesser war so groß, daß wir wohl eine Viertelstunde brauchten, um sie frei zu machen. Als sie entfernt worden war, standen wir vor einem Loche, welches bis herauf an den Rand mit hellem, kühlem Wasser gefüllt war. Ich kostete es und fand, daß es bedeutend besser als dasjenige des Bir Murat schmeckte. Es hatte keinen Natrongehalt. Aus diesem Grunde wurde es für uns bestimmt, während die Kamele das in den Schläuchen befindliche bekommen sollten. Wir hatten einige geleerte Daruf, und konnten sechs derselben füllen, bevor das Loch so weit ausgeschöpft war, daß der Bodensatz trübe wurde.

Nun hatten wir gutes Wasser, eine Hauptsache in der Wüste, und uns mußte dies doppelt willkommen sein, da wir dadurch der Sklavenkarawane gegenüber eine größere Überlegenheit erlangten.

»Was thun wir nun?« fragte der Lieutenant. »Du meinst, daß die Sklavenjäger noch heute kommen?«

»Sie kommen gewiß,« antwortete ich.

»Und willst du sie hier erwarten?«

»Das kann mir nicht einfallen. Kommt die Karawane droben am Ufer an und wir befinden uns hier unten, so können uns diese Kerle mit größter Leichtigkeit wegschießen, ohne daß uns eine fruchtbare Gegenwehr möglich ist. Nein, wir müssen das Verhältnis umkehren. Wir steigen hinauf, und unsere Gegner müssen herab. Wir verstecken uns hinter eine Höhe des nördlichen Ufers. Vorher decken wir den Brunnen wieder zu. Haben sie sich dann hier unten gelagert, so greifen wir sie von zwei Seiten an. Sie haben dann vor sich und hinter sich die Felsen, rechts und links uns und müssen uns in die Hände fallen.«

»Das ist sehr richtig. Wann steigen wir hinauf?«

»Je eher desto besser. Wir haben hier nichts mehr zu suchen, und so ist es geraten, uns so bald wie möglich zu entfernen. Man weiß nicht, was geschehen kann. Es ist möglich, daß sie wieder einige Reiter voranschicken, und wir dürfen von denselben auf keinen Fall gesehen werden. Deckt also den Brunnen wieder zu, aber so, daß man nicht sehen kann, daß jemand hier gewesen ist; ich werde inzwischen auf- und abwärts je eine Stelle suchen, an welcher wir vom hohen Ufer zum Angriffe leicht herabgelangen können!«

Erfreulicherweise gab es zwei solche Stellen in der Nähe. Die eine lag ungefähr tausend Schritte auf- und die andere fast ebensoweit abwärts vom Brunnen. Wenn wir uns heute abend teilten und an diesen beiden Punkten herniederstiegen, mußten wir die lagernde Karawane zwischen uns bekommen.

Zum Wasserloche zurückgekehrt, fand ich dasselbe verschüttet und ebnete den Boden selbst, um ganz sicher zu sein, daß keine Spur von unserer Anwesenheit vorhanden sei. Dann entfernten wir uns, indem wir an der einen der angegebenen Stellen unsere Kamele hinauf zum Ufer führten. Ich ging hinterher, um etwaige Huf- oder Fußeindrücke auszulöschen. Oben angekommen, mußten wir uns nach einem Verstecke umsehen, welches uns hinreichend verbarg und nicht allzuweit entfernt sein durfte. Ich ging rekognoszieren und fand ganz in der Nähe einen vortrefflich geeigneten Platz. Eine Anhöhe, welche hart an den Rand des Wadi trat, hatte auf ihrer andern, dem Regenbette abgewendeten Seite eine Einbuchtung, welche hinreichend Raum für uns und unsere Tiere bot. Dort lagerten wir uns.

Das erste war natürlich, daß ich einen Posten auf diese Höhe sandte. Er hatte dort einen so freien und weiten Ausblick, daß sich niemand dem Wadi nähern konnte, ohne von ihm bemerkt zu werden. Ich that dies aus angewohnter Vorsicht, nicht aber, weil ich es für unbedingt nötig hielt. Am Tage war in dieser einsamen Gegend kein Wanderer zu erwarten, und die Karawane kam jedenfalls erst am Abend, wo sie von dem Posten nicht gesehen werden konnte. Und doch war es gut, daß ich diese Maßregel getroffen hatte, denn wir waren noch nicht ganz zur Ruhe und in Ordnung gekommen, so meldete der Posten von oben herab:

»Effendi, ich sehe im Süden drei Reiter.«

»Welche Richtung haben sie?«

»Das kann ich noch nicht erkennen. Es sind drei kleine, weiße Punkte, und ich weiß nicht, wohin sie sich bewegen.«

»Ich komme selbst hinauf.«

Ich stieg zu ihm empor und nahm das Fernrohr mit. Ja, es waren drei Karnelreiter; durch das Glas sah ich ganz deutlich, daß sie aus Süden kamen und schnurgerade auf den Brunnen zuhielten. Da kam mir natürlich bedenklich vor.

»Sie scheinen den verborgenen Brunnen zu kennen,« sagte ich. »Das ist doch höchst sonderbar!«

»So gehören sie wohl zu der Sklavenkarawane!« meinte der Posten.

»Das glaube ich nicht, da diese ja aus Südwesten kommt. Ich vermute aber, daß sie Bekannte oder Freunde der Sklavenjäger sind, da die letzteren das Geheimnis des Brunnens gewiß keinem Fremden verraten. Lege dich nieder, damit sie dich nicht sehen!«

Er hatte aufrecht gestanden und legte sich nun neben mich auf die Erde. Der Lieutenant war neugierig; er kam auch herauf und kauerte sich zu mir nieder. Ich gab ihm das Rohr; er sah hindurch und sagte dann kopfschüttelnd:

»Da weiß man nicht, was man denken soll. Hier können doch, wie zu erwarten steht, nur die Leute des Ibn Asl verkehren, da ein Fremder den Brunnen ganz gewiß nicht kennt. Sollte er doch einen andern Weg eingeschlagen haben, als wir vermuteten?«

»Das Rätsel wird gelöst werden, sobald die Reiter hier angekommen sind. Sie nähern sich, und zwar in einer Weise, welche vermuten läßt, daß sie sich nicht zum erstenmale in dieser Gegend befinden. Warten wir das weitere ab.«

Ich hatte das Fernglas wieder an mich genommen und hielt es auf die drei Reiter gerichtet. Sie saßen auf sehr guten Tieren und kamen rasch näher. Schon konnte ich die Haltung, die Bewegungen ihrer Arme unterscheiden; nun sah ich auch ihre Gesichter.

»Alle tausend Wetter!« entfuhr es mir in der Überraschung, obgleich ich mich sonst vor solchen Ausrufen zu hüten pflege.

»Was giebt’s?« fragte der Lieutenant.

»Es sind alte Bekannte von mir. Der Voranreitende ist Abd el Barak, der Mokkadem der Kadirine, von dem ich dir erzählt habe, mein guter Freund von Kahira her. Der zweite ist der Muza’bir, der Gaukler, der mich wiederholt verfolgt hat.«

»Allah! Irrst du dich nicht?«

»Nein, denn ich sehe ihre Gesichtszüge so deutlich, als ob sie hier vor mir ständen.«

»Und der dritte?«

»Den kenne ich nicht. Er scheint ein Scheik zu sein, denn er hat die Kapuze seines Chram nach hinten geworfen, und so sehe ich, daß er an seinem Fez die el Arabs-Troddel trägt.«

»Es wird der Führer sein.«

»Das glaube ich nicht. Der Mokkadern kennt jedenfalls den Brunnen; er macht den Führer; er reitet ja auch voran. Der Scheik ist wohl der Kamelverleiher.«

»Das ist möglich, ja wahrscheinlich. Wie aber kommen deine beiden Feinde nach diesem Wadi, und was wollen sie hier?«

»Das weiß ich freilich nicht, werde es aber erfahren. Ich werde sie belauschen, wozu das Terrain sehr geeignet ist, vorausgesetzt, daß sie den Brunnen aufsuchen.«

»Wo sollten sie anders halten!«

»Man muß alle Umstände in Betracht ziehen. Es ist auch möglich, daß sie das Wadi und den Brunnen gar nicht kennen und nur ganz zufällig hier vorüber kommen. Wir müssen warten, ob sie bleiben oder weiter reiten.«

Jetzt hatten die drei den jenseitigen Rand des Wadi erreicht und ritten an einer dazu geeigneten Stelle in dasselbe hinab. Ich konnte von meinem Standpunkte aus nicht in die Tiefe sehen und wartete ungefähr fünf Minuten. Als sie da noch nicht diesseits erschienen waren, konnte ich annehmen, daß sie unten abgestiegen waren, um zu lagern. Ich gab also dem Posten den Befehl, ferner scharf aufzupassen, ohne sich aber sehen zu lassen, und stieg mit dem Lieutenant von der Höhe hinab; er war oben überflüssig und konnte lieber aufmerken, daß seine Leute keine Dummheiten begingen. Von da aus verließ ich unsern Schlupfwinkel und begab mich nach dem Ufer des Wadi und zwar an diejenige Steile, welche oberhalb des Brunnenfelsens lag. Ich hatte dem zuverlässigen Ben Nil gewinkt, mir zu folgen, und gebot ihm jetzt:

»Setze dich hier nieder, und warte! Sobald du einen scharfen Pfiff von mir hörst, springst du schnell in unser Lager und holst einige bewaffnete Männer, mit denen du eiligst hinab zum Brunnen kommst. Ich bedarf dann eurer.«

»Du begiebst dich schon wieder in Gefahr, Effendi,« meinte er. »Nimm mich doch lieber rnit!«

»Nein; ich bin allein viel sicherer als in Begleitung anderer; aber wenn ich pfeife, mußt du dich beeilen.«

»Wäre es da nicht besser, die Leute gleich jetzt zu holen und hier mit ihnen zu warten? Wir sind dann schneller bei dir, als wenn ich sie erst holen muß.«

»Sehr wahr. Aber sorge dafür, daß sie sich ruhig verhalten!«

Er ging zurück, und ich stieg an dem Felsen nieder. Ich hatte kein Gewehr mit, da die Revolver mir genug Sicherheit gaben. Ich mußte sehr vorsichtig sein, denn es war heller Tag, und ich konnte sehr leicht gesehen werden. Auch durfte ich kein Steinchen ins Rollen bringen.

Die obern Felsenabsätze waren so niedrig, daß ich leicht von einem auf den nächst untern gelangen konnte. Als ich den halben Weg zurückgelegt hatte, hörte ich unter mir Stimmen. Die Sprechenden befanden sich bei dem Brunnen, ganz nahe am Felsen, und konnten mich also nicht sehen.

Ich hätte nur dann bemerkt werden können, wenn sie weiter hinüber nach der Mitte des Wadi gegangen wären.

So gelangte ich unbemerkt auf der untersten Felsenstufe an, welche, wie bereits bemerkt, ungefähr doppelte Manneshöhe hatte. Dort legte ich mich nieder und schob mich so weit vor, daß mein Gesicht gleich mit der Kante lag. Ich sah vorsichtig hinab. Die Kamele lagen mit gefesselten Beinen in der Nähe, und die drei Männer knieten an der Erde, um den Brunnen auszugraben. Ich hörte, was sie sprachen.

»Weißt du auch wirklich gewiß, daß es hier Wasser giebt?« fragte der fremde Beduine, den ich für einen Scheik gehalten hatte.

»Ganz gewiß,« antwortete Abd el Barak. »Ich bin heute nicht zum erstenmale hier. Aus diesem verborgenen Wasserloche kann man in der jetzigen Jahreszeit wohl sieben oder acht Schläuche füllen.«

»Allah gebe es, denn wir haben keinen einzigen Schluck mehr!«

»Habe keine Sorge! Du wirst trinken, so viel du willst, und deine Kamele werden auch bekommen. Und selbst wenn es hier kein Wasser gebe, bedürfte es nur eines Tagrittes, um den Bir Murat zu erreichen. Verdursten kannst du also nicht!«

»Verdursten oder getötet werden, eins von beiden; ich hätte die Wahl. Ihr wißt ja, daß der Bir Murat den Ababdehs, den Feinden meines Stammes, gehört. Es ist eine Rache zwischen uns, und ich als Scheik des Monassirstammes müßte sterben; sie würden mir nicht erlauben, mich durch Zahlung des Blutpreises loszukaufen.«

Also dieser Scheik war der Anführer der Monassir, welche später im Mahdikriege den Adjutanten Gordons, den Obersten Stewart, ermordeten und aus Strafe dafür dann von General Earle überfallen werden sollten. Die Monassir sind ritterlich gesinnte, kriegerische Leute, welche auch heute noch ihre Unabhängigkeit mit größter Eifersucht bewachen. Sie zeigen ihren Haß offen und ehrlich, und sind mir infolgedessen sympathischer als jene Stämme, welche sich kriechend unterwerfen und später hinter dem Rücken des Siegers Heimtücke üben.

Die drei gruben sehr fleißig weiter. Sie hatten leichte Arbeit, da wir vor ihnen den Boden gelockert hatten; das fiel ihnen aber nicht auf. Endlich erreichten sie die Platte und schoben sie zur Seite. Ein dreifacher Ausruf der Enttäuschung war zu hören.

»Allah sei uns gnädig und barmherzig!« klagte der Scheik. »Das ist ja kein Wasser, sondern eine Brühe, welche selbst ein Kamel nicht genießen kann!«

»Wohl wahr!« antwortete der Muza’bir betroffen. »Welch ein Unglück!«

»Schweig‘!« fuhr der Mokkadem ihn an. »Von einem Unglück ist keine Rede. Wir brauchen nicht einmal den Bir Murat aufzusuchen. Wenn wir bis morgen früh warten, ist das Loch wieder voll.«

»Aber wir treffen Ibn Asl nicht, weil er schon hier war.«

»Nein! Nach dem, was wir erfahren haben, kann er dieses Wadi noch gar nicht erreicht haben.«

»Das ist doch der Fall, wie ich dir gleich beweisen werde. Kennt außer Ibn Asls Leuten und Freunden noch jemand diesen Brunnen?«

»Nein.«

»Hält das Loch Wasser?«

»Stets. Selbst im dürrsten Monate kann man vier, auch fünf Schläuche füllen.«

»Es ist aber leer, folglich ist es geleert worden, und zwar von Ibn Asl selbst, den wir hier erwarten wollten. Er ist also vorüber.«

»Der Teufel giebt dir diese Rede ein, magst du nun recht haben oder nicht. Wenn Ibn Asl schon hier gewesen ist, so sind auch seine Verfolger hinter ihm her, und er ist verloren.«

Der Scheik hatte diesen Wortwechsel mit einem Gesichte, in weichem sich das größte Erstaunen aussprach, angehört; jetzt, da der Mokkadem schwieg, sagte er:

»Der Sinn eurer Worte ist mir dunkel. Ihr sprecht von Ibn Asl. Meinst du etwa Ibn Asl ed Dschasuhr, den Sklavenjäger?«

»Ja.«

»Allah! Warum habt ihr mir das verschwiegen! Warum habt ihr mir nicht die Wahrheit gesagt!«

»Wir haben sie gesagt! Wir mieteten deine Kamele, um einen Freund hier zu treffen; dieser Freund ist Ibn Asl. Ist das etwa die Unwahrheit gesprochen?«

»Nein, aber die Wahrheit verschwiegen!«

»Bist du denn ein Feind von ihm?«

»Ja. Er hat auf einem seiner Züge die besten Kamele meines Stammes gestohlen.«

»Das ist doch kein Grund, über uns zornig zu werden! Wir wissen von jenem Diebstahle nichts; vielleicht irrst du dich!«

»Nein. Er ist mit unsern Kamelen gesehen worden.«

»So hast du jetzt die beste Gelegenheit, mit ihm quitt zu werden. Wenn er hier ankommt, kannst du mit ihm sprechen; er wird dir die Kamele bezahlen.«

»Mit einem Messer oder einer Kugel!«

»Nein, denn du stehst unter unserm Schutze.«

»Wohl mir, wenn ich das glauben darf! Warum habt ihr unterwegs so oft leise miteinander gesprochen? Ich habe dennoch verschiedenes verstanden.«

»Was hörtest du?«

»Ich hörte von einem fremden Effendi, welcher getötet werden Soll, und von Soldaten, die bei ihm sind.«

»So hast du falsch verstanden,« fiel der Muza’bir ein.

»Nein, er hat richtig gehört!« widersprach der Mokkadem.

Der Muza’bir blickte ihn erstaunt fragend an; der andere aber fuhr, sich an den Scheik wendend, gleichmütig fort-

»Da du so viel gehört hast, ist es besser, du erfährst das andere auch. Bist du ein Gegner der Sklaverei?«

»Was geht mich die Sklaverei an! Ich bin ein freier Monassir und bekümmere mich nicht um die Schwarzen.«

»So ist es recht! Du bist also auch nicht prinzipiell Gegner von Ibn Asl?«

»Nein. Er ist ein kühner Mann, und ich achte und lobe den Mut; aber unsere Kamele soll er nicht stehlen!«

»Er wird sie dir ersetzen. Sprechen wir jetzt nun von der Hauptsache! Der Khedive hat den Sklavenfang verboten. Er hat einen Reïs Effendina gesandt, welcher die Sklavenschiffe und Sklavenhändler abfangen soll. Zu diesem Reïs Effendina gehört ein Franke, ein Christenhund, den der Teufel verschlingen möge. Dieser Mensch glaubt nicht an Allah und lästert den Propheten; er befindet sich, wie wir erfahren haben, in Korosko. Nun ist Ibn Asl mit einer Sklavenkarawane unterwegs; der Reïs Effendina hat das erfahren und befindet sich mit vielen Asakern in der Gegend von Berber, um den Transport dort abzufangen. Die Karawane kann sich auch nördlicher wenden; darum hat der Reïs Effendina einen Lieutenant und einen Trupp Asaker nach Korosko zu dem Giaur gesandt, welcher diesen Weg verlegen soll. Ich weiß nun ganz genau, daß Ibn Asl diesen Pfad einschlägt und bin daher mit diesem Begleiter schleunigst aufgebrochen, um ihn vor dem ungläubigen Hunde zu warnen. Ist das etwas Unrechtes?«

»Nein. Was hat ein Franke, ein Christenhund sich um die Angelegenheiten dieses Landes zu bekümmern? Mag er in die Hölle fahren! Ich habe nichts gegen das, was ihr thut oder was ihr beabsichtigt; ich fürchte auch Ibn Asl nicht, denn ich habe ihn nicht beleidigt, sondern er hat vielmehr mich zu fürchten, weil er der Räuber unserer Kamele ist. Wenn er kommt, so bin ich bereit, mich mit ihm zu versöhnen, falls er sich bereit erklärt, die gestohlenen Tiere zu bezahlen.«

»Er wird es thun, denn ich werde für dich sprechen.«

»Thue es, und ich will dir danken! Aber meinte der Muza’bir nicht, daß Ibn Asl schon vorüber sei?«

»Er meinte es, hat aber jedenfalls unrecht. Das Wasser ist ausgeschöpft worden. Hätte das die Sklavenkarawane gethan, so würde man die Spuren des Lagers hier sehen. Ich weiß, daß Ibn Asl stets Kundschafter voraus sendet; diese sind hier gewesen und haben das Loch geleert; die Karawane wird nachkommen, und bis dahin wird das Loch sich wieder gefüllt haben.«

»So laßt uns den Stein wieder darauf legen, damit die Wärme der Sonne nicht hineindringen kann. Dann hauen wir einen dieser Bäume um, um ein Feuer brennen zu können.«

»Das dürfen wir nicht,« widersprach der Mokkadem. »Die drei Bäume sind die Merkmale des Brunnens und sollen nicht verletzt werden. Wenn du ein Feuer haben willst, so brauchst du nur im Wadi nach Kameldünger zu suchen.«

Der Scheik nahm sein am Boden liegendes Gewehr auf und entfernte sich. Ich war überzeugt, daß im ganzen Wadi keine Spur von Kamelmist zu finden sei. Der Mokkadem mußte einen Grund haben, den Scheik jetzt zu entfernen; ich ahnte denselben und bekam ihn auch sehr bald zu hören, denn als der Beduine den Augen der beiden entschwunden war, meinte der Muza’bir in zornigem Tone:

»Welche Unvorsichtigkeit, diesem Scheik alles so aufrichtig zu sagen! Brauchte er zu wissen, was wir vorhaben?«

Sie saßen neben dem Wasserloche, und ihre langen Flinten lehnten am Felsen. Der Mokkadem antwortete:

»Wie kannst du es wagen, mich eines Fehlers zu zeihen! Wer hat dir erlaubt, in diesem Tone mit mir zu reden! Darf ich dem Führer etwa nicht sagen und erzählen, was mir beliebt?«

»Ich habe nichts dagegen; aber wie wird Ibn Asl es aufnehmen?«

»Mit der größten Zufriedenheit. Der Führer kann alles wissen; er wird nichts verraten, da sein Mund bald für ewig schweigen wird.«

»Du meinst, daß er sterben wird?«

»Er wird sterben, weil er sterben muß, denn er kennt nun das Geheimnis dieses Brunnens. Sobald nun die heimlichen Brunnen verraten sind, kann jeder,welcher kommt, sich Wasser nehmen, und dann ist es für Ibn Asl nicht mehr möglich, seine Sklavenkarawane zu tränken; er muß das Geschäft aufgeben. Darum hat er jedem Fremden, welcher einen der geheimen Brunnen entdeckt, den Tod geschworen. Sein Gruß an diesen Scheik der Monassir wird eine Kugel sein.«

»Dann wird freilich alles, was du demselben anvertraut hast, verschwiegen bleiben. Aber war es recht, ihn hierher zu führen? Du wußtest doch vorher, daß es ihn das Leben kosten werde!«

»Konnte ich anders? Wir brauchten schnell Kamele, und zwar Eilkamele. Er war der einzige, welcher solche hatte und wollte sie uns nur unter der Bedingung leihen, den Ritt mitmachen zu dürfen. Er mißtraute uns. Nun hat er die Folgen zu tragen. Ich habe ihn nach Kamelmist gesandt, um dir dies sagen zu können, ohne daß er es hört. Indem ich aufrichtig mit ihm gewesen bin, habe ich sein Vertrauen zu uns gestärkt, und er wird desto sicherer in den Tod gehen, der ihm beschieden ist. Glaubst du noch immer, daß ich unvorsichtig gehandelt habe?«

»Jetzt nicht mehr. Aber du wirst zugeben, daß du nicht immer vorsichtig gewesen bist!«

»So! Wann hätte ich es denn an der nötigen Klugheit fehlen lassen?«

»Schon oft. Denke an die Nacht in Kahira, als dich der Giaur als Gespenst erwischte!«

»Erinnere mich nicht daran!« rief der Mokkadern zornig aus. »Die Stunde, während welcher ich mich in der Hand dieses Hundes befunden habe, ist die unglücklichste meines Lebens, und ich ruhe nicht eher, als bis ich es ihm vergolten habe. Aber du hast kein Recht, mich zu tadeln. Bist du etwa klüger als ich gewesen? Hast du nicht in Gizeh vor ihm vom Schiffe fliehen müssen? Und ist er euch nicht dann entgangen, als ihr ihn ganz sicher in dem alten Brunnen von Siut wähntet?«

»Schweig‘ davon! Wenn ich daran denke, so will der Ingrimm mich übermannen. Dieser Giaur hat ein Glück, wie noch kein wahrer Gläubiger es besessen hat. Er macht alle unsere Pläne zu Schanden, und wenn wir ihn fest zu haben meinen, entschlüpft er uns durch die Finger.«

»Dieses Mal entkommt er uns nicht!«

»Vielleicht doch! Bedenke, welche Zahl von Asakern er bei sich hat!«

»Die Asaker fürchte ich nicht. Er allein wird uns mehr zu schaffen machen, als sie alle. Ibn Asl hat jedenfalls genug Krieger bei sich, um die Asaker in Schach zu halten. Wenn es uns gelingt, ihn zu warnen, richtet sich die Waffe des Giaur gegen ihn selber. Er will die Sklavenkarawane überfallen und wird dann selbst von ihr überrumpelt. Ein wahres Glück, daß ich in Berber unter den Asakern dieses Reïs Effendina unsern Ben Meled erblickte, welcher mich sofort erkannte und mir dann alles verriet. Ich wollte eigentlich direkt und schnell nach Chartum, aber ich bereue diesen Zeitverlust und Umweg nicht, da mir dadurch der Giaur in die Hand geraten muß.«

Eben jetzt kehrte der Scheik zurück. Er hatte die letzten Worte gehört und meinte, indem er ein verdrießliches Gesicht zeigte:

»Wir müssen auf das Feuer verzichten, denn es war kein Brennmaterial zu finden. Ich will dir wünschen, daß deine Hoffnung, diesen Ungläubigen zu fangen, nicht ebenso vergeblich ist. Ist’s nur, weil er sich gegen Ibn Asl auflehnt oder hast du eine persönliche Rache gegen ihn?«

»Das letztere ist der Fall.«

»So erzähle es mir! Ich bin euer Dalul und kann euch für die Erreichung eures Zweckes wohl nützlich sein.«

Er lehnte sein Gewehr zu den ihrigen und setzte sich zu ihnen nieder. Der Mokkadem erfüllte ihm seinen Wunsch, aber in einer Weise, daß mir die Haare hätten zu Berge stehen mögen. Er erzählte schreckliche Geschichten, deren Held ich gewesen sein sollte, und schilderte mich als einen Inbegriff aller Laster und Schlechtigkeiten.

»Allah!« rief der Scheik am Schlusse aus. »So ein Mensch ist eigentlich gar kein Mensch. Aber daran ist der Teufel schuld. Als Allah den Adam geschaffen hatte, wollte der Teufel es ihm nachmachen und schuf ein Wesen, weiches zwar menschliche Gestalt hatte, aber die Seele eines Teufels besaß. Von diesem Wesen stammen die Christen ab, während Adam der Urahne der gläubigen Moslemin geworden ist. Man möchte sich fürchten, von diesem Giaur zu sprechen und zu hören. Behüte mich Allah vor diesem dreimal gesteinigten Satan! Wenn ihr ihn fangt, werde ich ihn nur von weitem betrachten; aber so ein Teufel ist schwer zu fangen. Ich glaube nicht, daß ihr ihn in eure Hände bekommt.«

»Dieses Mal ganz gewiß!« meinte der Muza’bir. »Welch eine Wonne wird das für uns sein! Und wehe, tausendfach wehe dann ihm! Ich wollte, ich hätte ihn schon jetzt in meiner Hand; ich wollte –- –« Er kam in seiner Rede nicht weiter, denn ich richtete mich oben auf der Stufe empor, sprang herab und fiel ihm in das Wort:

»Ich will dir deinen Wunsch erfüllen. Hier hast du mich!«

Ich hatte den Sprung in der Weise gethan, daß ich jetzt zwischen ihnen und ihren Gewehren stand. Sie saßen neben dem Loche, ohne sich zunächst zu bewegen, und starrten mich an, als ob ich ein Gespenst sei. Ich zog die beiden Revolver hervor, richtete die Läufe auf sie und fuhr fort:

»Wenn man den Teufel an die Wand malt, so kommt er; ihr habt mich als Teufel beschrieben, und so bin ich da.«

Der Mokkadem faßte sich zuerst. Er griff nach seiner Pistole, zog sie aus dem Gürtel und schrie:

»Ja, du bist kein Mensch, sondern ein Teufel. Fahre zur Hölle, wohin du gehörst!«

Er wollte die Waffe auf mich richten; ich stieß sie ihm mit dem Fuße aus der Hand, daß sie weit fortflog und trat ihm, als er aufspringen wollte, mit demselben Fuße so gegen den Leib, daß er niederstürzte und sich überschlug. In diesem Augenblicke schnellte der Muza’bir empor; er war zehnmal gewandter und geschmeidiger als der Mokkadem; aufspringen und auf mich schießen war bei ihm das Werk einer Sekunde. Ich fand kaum Zeit, mich auf die Seite zu werfen. Die Kugel flog an mir vorüber, und fast in demselben Moment traf ihn meine Faust so gegen die Schläfe, daß er besinnungslos zusammenbrach.

Inzwischen hatte sich der Mokkadern wieder aufgerafft und das Messer gezogen. Er drang mit demselben auf mich ein. Was hinderte mich, diesen Menschen niederzuschießen?

Ich that es nicht, sondern parierte seinen Stoß durch einen von unten herauf gegen seinen Ellenbogen geführten Hieb, wodurch ihm das Messer aus der Hand geschleudert wurde; dann warf ich ihn nieder und drückte ihm mit beiden Händen die Kehle zusammen. Er schlug einige Augenblicke mit den Armen und Beinen um sich und lag dann auch bewegungslos. Ich nahm zwei Finger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus; dann hob ich die beiden Revolver auf, welche ich weggeworfen hatte, um den Gegner zu fassen.

Das war alles weit schneller geschehen, als man es erzählen kann, und doch hatte ich dabei mein Auge auch mit auf den Scheik haben müssen. Dieser aber war noch zu keiner Bewegung gekommen. Er saß wie eine Statue da und starrte mich an. Das unendlich verblüffte Gesicht, welches er zeigte, hätte mich, wenn die Situation nicht so ernst gewesen wäre, zum Lachen bringen können.

»Allah akbar, Gott ist groß!« brachte er jetzt hervor, indem er langsam aufstand und mit dem Zeigefinger auf die beiden andern zeigte. »Wer bist du, und was haben dir diese Männer gethan, daß du sie mit der Faust erschlägst, wie Kaled seine Hunde?«

»Wer ich bin?« antwortete ich. »Ich habe es doch schon gesagt. Ich bin derjenige, von dem sie dir erzählten.«

»Der Gi – – der – Christ?«

»Ja.«

»Udschubi Allah – Wunder Gottes! Wie kannst du es wagen, diese Männer in meiner Gegenwart zu – –«

Er wollte nach seiner Flinte greifen; darum trat ich ihm schleunigst in den Weg und fiel ihm dann in die Rede:

»Ereifere dich nicht! Du kannst an dem, was geschehen ist und noch geschehen wird, nichts ändern.«

»O doch! Gieb mir mein Gewehr!«

»Das bleibt einstweilen in meiner Verwahrung.«

»So habe ich hier – – –«

Er griff mit beiden Händen nach dem Gürtel unter seinem Übergewande. Da legte ich die meinigen um seinen Leib, hielt ihm die Arme fest und rief Ben Nil, welcher jetzt mit acht Asakern gelaufen kam, zu:

»Bindet zunächst diesen Scheik der Monassir; aber thut ihm nicht wehe, denn er wird sehr bald aus einem Feinde ein Freund für uns werden!« .

Er wollte sich sträuben, doch ohne Erfolg; er wurde entwaffnet und so gebunden, daß er die Arme gar nicht und die Füße nur in kleinen Schritten bewegen konnte. Desto thätiger war seine Zunge. Er rief alle möglichen Rachearten vom Himmel und Allah auf uns herab. Wir ließen ihn aber ganz getrost schimpfen.

Während der Mokkadem und der Muza’bir auch, und zwar viel fester und sorgfältiger gefesselt wurden, rief vom Rande des Wadi eine Stimme herab:

»Haut sie nieder; schlagt sie tot! jagt ihnen alle Kugeln durch die Köpfe, und stoßt ihnen die Messer in die Leiber! Seid ihr fertig? Ist es gelungen?«

Selim war natürlich dieser Schreier.

»Schweig’« antwortete ihm Ben Nil. »Warum stehst du da oben? Es läßt dich doch nur die Angst nicht herab!«

Aus diesen Worten entnahm der Schleuderer der Knochen, daß keine Gefahr mehr vorhanden war. Er kam mit beiden Beinen zugleich herabgesprungen und schrie, als er die drei Gefangenen erblickte:

»Sieg, Triumph, Ruhm und Ehre! Die Schlacht ist geschlagen und der Feind überwunden.«

»Schweig, Prahler!« antwortete Ben Nil. »Dich wird kein Mensch preisen, denn du bist nur beim Essen der erste, wo es Mut gilt, aber stets der letzte, und beim Kampfe habe ich dich noch nie gesehen. Hier, nimm diesen Scheik, und führe ihn hinauf in das Lager!«

»Den Scheik? Das fällt mir nicht ein. Ich nehme den Muza’bir, der mich in dem Brunnen verschmachten lassen wollte. Meine Rache wird entsetzlich sein.«

»Du wagst dich an ihn, weil er gebunden ist. Ich habe nichts dagegen.«

Der Muza’bir war wieder zu sich gekommen, ebenso der Mokkadem. Sie sollten nach dem Lager geschafft werden, und damit wir sie nicht tragen müßten, wurden ihnen die Fußfesseln so locker gelassen, daß sie gehen konnten. Selim richtete beide auf, nahm dann den ersteren beim Arm und sagte:

»Vorwärts, Halunke! Du bist in meine gewaltige Macht gegeben, und ich werde dich so stolz vernichten, wie der Elefant einen Wurm zertritt.«

Der Muza’bir konnte nicht die Arme, sondern nur die Füße bewegen, dennoch sprang er auf ihn ein, riß ihn zu Boden und setzte ihm, da sein Grimm kein andres Werkzeug besaß, die Zähne an die Gurgel. Er biß wie ein wütender Hund, konnte aber glücklicherweise nur die Haut verletzen. Selim streckte, ohne sich zu wehren, Arme und Beine aus, so erschrocken und feig war er, und schrie und blökte geradezu wie ein Kalb, weiches geschlachtet werden soll. Ich nahm den Muza’bir beim Genick, riß ihn auf und gab ihm einige Ohrfeigen, von denen ihm die Nase blutete. Das war vielleicht unanständig, für diesen frechen und brutalen Patron aber ganz geeignet. Selim stand auf, griff an seinen Hals und jammerte:

»Er hat mich erbissen; er lag auf mir wie ein Tiger. Effendi, du bist der berühmteste aller Ärzte des Weltalls und des Firmamentes; untersuche mich einmal, ob ich sterben muß!«

Es war ihm nur die Haut geschürft worden, dennoch machte ich ein bedenkliches Gesicht und erklärte:

»Die Luftröhre, die Leber und die Milz sind zwar unverletzt, aber die Zähne eines wütenden Menschen sind giftig; darum ist höchst wahrscheinlich eine Simm ed Damm zu befürchten.«

»Eine Simm ed Damm? Von dieser Krankheit habe ich noch nie gehört. Allah sei mir gnädig! Wie verläuft sie, Effendi?«

»Die Wunde schwillt an, und die Anschwellung läuft bis zum Herzen; der Magen wird weiß, die Lunge grün, das Gesicht schwarz mit gelben Strichen; die Beine und Arme fallen ab, und der Körper löst sich los, so daß endlich nur der Kopf übrig bleibt, der aber schon nach einigen Wochen auch zu Grunde geht.«

»O Muhammed, o ihr heiligen Kalifen! Das ist die Simm ed Damm! Ich bin verloren; dieser Muza’bir hat mich ermordet! Giebt es kein Mittel gegen dieses entsetzliche Übel?«

»Es giebt eins; es ist sehr einfach, aber ich glaube nicht, daß ich es bei dir anwenden kann.«

»Sage mir nur, was ich thun soll, mein lieber, lieber, mein guter und verehrungswürdigster Effendi! Ich werde alles thun, alles, und wenn es noch so schwer sein sollte.«

»Gut, ich will versuchen, dich zu retten; aber du mußt gehorchen.«

»Ich gehorche wie der niedrigste der Sklaven. Gieb mir nur schnell deine Befehle!«

»Zunächst muß ich dich mit meinem Ruh el Umo einreiben, und von diesem Augenblicke an darfst du nur durch die Nase atmen; du darfst also den Mund nicht öffnen, also vor allen Dingen nicht sprechen.«

»Allah! Das ist sehr schlimm! Wie lange dauert das?«

»Bis die Gefahr vorüber ist; ich werde es dir sagen.«

»Aber ich muß doch essen und trinken, und Allah weiß es, daß man das nicht durch die Nase thun kann!«

»Beim Essen und Trinken ist es gestattet, den Bissen oder den Schluck in den Mund zu nehmen, aber ja nicht dabei atmen oder gar sprechen!«

»Ich werde es thun, Effendi, ja, ich werde es thun. Ich will lieber einige Zeit lang schweigen als an dieser fürchterlichen Simm ed Damm zu Grunde gehen. Welch ein schauderhaftes Ende, die Arme, die Beine und den Körper zu verlieren und dann noch wochenlang nur mit dem Kopfe zu leben. Nein, das könnte ich nicht aushalten! Ich schwöre dir bei allen Bärten aller Kalifen, daß ich kein Wort sprechen werde.«

»Gut, ich will es einmal mit dir versuchen. Du bist ein willensstarker Mann und wirst meiner Kunst und Wissenschaft wohl keine Schande machen.«

»Richtig, sehr richtig! Du wirst deine Freude an mir haben, nur wünsche ich, daß ich auch meine Freude an deinen Vorschriften erlebe. Allah ist groß; er giebt Leben und Tod; aber wenn er dem wahren Gläubigen gestattet, den Tod durch die Kunst des Schweigens zu überwinden, so sehe ich nicht ein, warum ich dieser schauderhaften Simm ed Damm zuliebe sprechen und sterben soll!«

Die drei Gefangenen und deren Kamele wurden hinauf in unser Versteck gebracht. Wir mußten das Wasserloch wieder schließen, und ich sorgte dafür, daß von dem Geschehenen keine Spuren zurückblieben. Dann mußte ich den Lieutenant und den alten Onbaschi für den heutigen Abend instruieren.

Es war vorauszusehen, daß ich die Karawane belauschen werde; darum mußten die beiden Abteilungen, welche wir bei dem Überfalle zu bilden hatten, von den beiden Genannten angeführt werden. Ich zeigte ihnen also, nachdem ich Selims Hals mit Salmiakgeist eingerieben hatte, die Stellen, an denen sie ihre Abteilungen hinab in das Wadi zu führen hatten; das darauf Folgende mußte sich aus den Umständen ergeben. Ich selbst stieg noch einige Male die Felsenstufen auf und ab, um mit der Örtlichkeit so vertraut zu werden, daß in der Dunkelheit kein Fehltritt zu erwarten war, und kehrte nachher befriedigt nach dem Lager zurück, befriedigt ganz besonders deshalb, weil zwei meiner ärgsten Feinde, von denen der eine, Abd el Barak, der eigentliche Anstifter aller gegen mich unternommenen Angriffe war, in unsere Hände gefallen waren.

Was aber mit ihnen thun? Das fragte ich mich selbst, und das fragte mich auch der Lieutenant, als ich bei ihm und dem Onbaschi Platz genommen hatte. Die Gefangenen lagen, um unser Gespräch nicht hören zu können, unter der Obhut zweier Wächter, genügend von uns entfernt. Selim kauerte in derjenigen Haltung, welche der Araber Rahat el A’da nennt, also mit untergeschlagenen Beinen neben Ben Nil, welcher sehr fleißig auf ihn einsprach. Der junge Mann machte dabei ein so unternehmendes Gesicht, daß ich seine Absicht erriet. Er wollte Selim zum Sprechen bringen; dieser aber ließ sich nicht verleiten, gegen meine hinterlistige Verordnung zu handeln, und hielt mit großer »Tapferkeit« sein Schweigen fest.

»Es ist ganz eigentümlich, Effendi, daß deine Entschlüsse stets den besten Erfolg haben,« meinte der Lieutenant. »Du weißt ja, daß ich oft anders dachte als du und auch gegen deine Ansichten gesprochen habe; aber ich sehe jetzt wieder ein, daß es immer geraten ist, dir zu folgen. Wir haben dadurch jetzt einen sehr guten Fang gemacht, und ich bin überzeugt, daß es uns auch gelingen wird, diesem Ibn Asl die gefangenen Frauen abzujagen.«

»Damit wäre ich nicht zufrieden,« antwortete ich. »Ich will ihm nicht nur die Sklavinnen abnehmen, sondern auch ihn und seine Leute festnehmen, um sie dem Reïs Effendina zu überliefern.«

»Das wäre ein Streich, ein großer Ersatz, durch welchen vielen Hunderten von Schwarzen die Freiheit oder das Leben erhalten bliebe. Aber es wird Blut kosten!«

»Wahrscheinlich; aber eine Wahrscheinlichkeit ist noch keine Gewißheit, keine Notwendigkeit. Man darf sich nicht immer nach den gegebenen Verhältnissen richten, sondern man muß suchen, dieselben zu beherrschen, sie zum eigenen Vorteile umzuändern.«

»Ich möchte einmal sehen, wie das anzufangen ist. Die heutigen Verhältnisse sind doch so, daß Ibn Asl kommen und an dem Brunnen lagern wird; wir überfallen seine Krieger, kämpfen mit ihnen, töten so viel wie möglich von ihnen und nehmen die übrigen gefangen. Wie ist es möglich, dies anders zu machen und es gar so anzufangen, daß seine fünfzig Männer ohne Kampf und Blutverlust überwältigt werden?«

»Das weiß ich jetzt noch nicht. Ich halte das Leben eines Menschen für das höchste irdische Gut desselben, und darum soll man es schonen. Kann ich ohne Blut zum Zwecke kommen, so thue ich es. Es ist möglich, daß wir mit List unser Ziel erreichen. Es ist ein stolzes Gefühl, einen Feind mit der Waffe in der Hand besiegt zu haben, und jede Wunde, jede Narbe bringt dem Manne Ehre; aber einen schlauen, übermächtigen, heimtückischen Feind überlistet zu haben, das ist auch nicht gering zu schätzen; ich weiß das aus eigener Erfahrung. Für jetzt freilich müssen wir an dem einfachsten Plane festhalten: Ich steige zum Felsen hinab, um zu lauschen, und ihr begebt euch rechts und links vom Brunnen auch hinunter, um im Dunkeln zu warten, bis ihr von mir das Zeichen des Angriffes erhaltet.«

»Welches Zeichen?«

»Hast du einmal einen Aasgeier im Schlafe oder Traume krächzen gehört?«

»Ja.«

»Ich werde diesen Laut nachahmen; er ist selbst in der Wüste so gewöhnlich, daß er Ibn Asl oder seinen Wächtern gar nicht auffallen kann.«

»Aber wir können nicht alle hinab; wir müssen bei den Kameln und Gefangenen einige Wachen zurücklassen.«

»Natürlich! Zwei oder drei Leute werden genügen. Die Gefangenen behalten ihre Fesseln, bis auf den Scheik. Er ist unschuldig, hat uns nichts gethan und hegt wohl auch keine bösen Absichten gegen uns. Wir wissen nicht, ob er und sein Stamm uns nicht noch dienlich sein kann, und so ist es geraten, milder als mit den beiden andern mit ihm zu verfahren.«

»Da stimme ich dir bei. Was aber hast du in Beziehung auf den Mokkadem und den Muza’bir beschlossen?«

»Die überbringen wir dem Reïs Effendina. Es hat sich herausgestellt, daß sie in Verbindung mit dem Sklavenjäger stehen.«

»Du willst dich nicht an ihnen rächen? Sie haben dir doch nach dem Leben getrachtet!«

»Darüber richte nicht ich; meine Religion verbietet mir die Rache.«

Ben Nil hatte dies gehört und sagte: »Aber ich bin kein Christ, Effendi. Der Muza’bir war der Verbündete des heiligen Fakir und auch der Mokkadem gehört zu ihnen. Man hat mich in den Brunnen gelockt, um mich zu verderben. Wärest du nicht gekommen, so hätte ich den elenden Tod des Verschmachtens sterben müssen; diese beiden Gefangenen gehören also nicht dem Reïs Effendina, sondern mir.«

»Willst du sie töten, – ermorden?« fragte ich.

»Nein,« antwortete der Jüngling in stolzem Tone. »Seit ich bei dir bin, ist dein Sinn der meinige geworden. Ich töte keinen wehrlosen Menschen, selbst wenn er mein ärgster Feind wäre; aber dennoch muß und will ich mich rächen. Ich werde mit ihnen ehrlich kämpfen. Du giebst ihnen ihre Waffen zurück, und dann mag Allah über uns entscheiden.«

»Ich werde es mir überlegen.«

Dies sagte ich natürlich, um ihn zu beruhigen, hatte aber keineswegs die Absicht, seinen Wunsch zu erfüllen. Das wackere Kerlchen war mir zu wert, als daß ich ihm hätte erlauben mögen, sich einer Gefahr auszusetzen, welcher er, wie ich glaubte, nicht gewachsen war.

Nun ließ ich den Scheik der Monassir zu mir holen. Er mußte sich zu uns setzen und that dies, indem er sogleich und in strengem Tone fragte:

»Was habe ich euch gethan, daß ihr mich wie einen Feind behandelt?«

»Du bist der Gefährte unserer Feinde; das ist meine selbstverständliche Antwort auf deine Frage. Übrigens wirst du wohl gehört haben, daß ich befahl, gegen dich nicht streng zu sein.«

»Ich hörte es; aber dennoch bin ich noch gebunden wie ein Gefangener. Deine Worte klingen gut, aber dein Verhalten ist dasjenige eines wortbrüchigen Christen.«

»Laß dir raten, auf deinen Vorteil bedacht zu sein! Durch beleidigende Reden wirst du mich nicht bestimmen, dich besser zu behandeln als diejenigen, welche meine Feinde sind. Du bist ihr Genosse; sie haben mir nach dem Leben getrachtet, und nach dem Gesetze der Wüste könnte ich sie, und dich mit ihnen, sofort töten. Aber während du mit ihnen sprachst, befand ich mich in eurer Nähe und hörte eure Worte; ich weiß also, daß du ihnen die Kamele vermietet und sonst keinen Teil an ihnen hast. Die Gerechtigkeit, welche mein Glaube mir gebietet, befiehlt mir, dich ihre Thaten nicht entgelten zu lassen. Darum sollst du frei sein, wenn du bereit bist, die Bedingungen zu erfüllen, welche ich dir stellen werde.«

»Nenne sie!«

Der finstere Ausdruck seines Gesichtes wollte sich nicht ändern. Er war ein starrer Moslem und als solcher ein Gegner aller Andersgläubigen. Zudem glaubte er das, was Abd el Barak ihm von mir vorgelogen hatte. Ich erzählte ihm also kurz das Geschehene und fügte dann hinzu:

»Du wirst nun wohl einsehen, daß ich der Teufel nicht bin, als welcher ich dir beschrieben wurde. Ich bin dir nicht feindlich gesinnt und weiß, daß die Monassir tapfere Krieger sind, welche niemals ein gegebenes Wort brechen. Darum mache ich dir folgenden Vorschlag: du versprichst mir beim Barte des Propheten, diesen Ort ohne meine Erlaubnis nicht zu verlassen und auch nicht mit dem Mokkadern und dem Muza’bir zu sprechen; thust du das, so lasse ich dir die Fesseln abnehmen, gebe dir sogar deine Waffen zurück und du wirst, so lange wir hier bleiben, unser Gast anstatt unser Gefangener sein.«

»Und dann, wenn ihr von hier fortreitet?«

»Dann bist du ganz frei und kannst thun, was dir beliebt.«

»Ist das eine Hinterlist oder die volle Wahrheit?«

»Ich lüge nicht.«

»So gebe ich dir mein Wort.«

»Sprich es richtig und vollständig aus!«

»Ich schwöre beim Barte des Propheten, daß ich deine Forderungen streng erfüllen werde!«

Es war ihm anzusehen, daß er sein Wort halten werde; ich nahm ihm also die Fesseln ab, gab ihm seine Waffen und sagte:

»So magst du von jetzt an als Freund und Gast bei un sitzen. Danke übrigens Allah, daß ich ein Christ bin, und daß er dich zu mir geleitet hat! Ohne mich würdest du morgen nicht mehr leben.«

Er sah mich mit einem mißtrauischen Blicke von der Seite an und fragte:

»Wieso? Wer könnte mir nach dem Leben trachten? Doch nur du!«

»Ich am allerwenigsten. Meine Gefährten werden dir sagen, daß ich das Leben selbst meines ärgsten Feindes zu schonen trachte. Weißt du, warum du vorhin fortgeschickt wurdest, um nach Kameldünger zu suchen?«

»Natürlich weiß ich das. Es sollte ein Feuer angezündet werden.«

»Wenn du das denkst, so besitzest du ein sehr vertrauensseliges Herz. Wo soll hier am Wadi el Berd der Dünger herkommen!«

»Von den Kamelen der Sklavenkarawanen, welche heimlich hier verkehren.«

»Wie viele solcher Karawanen kommen jährlich hierher? Der Brunnen ist nur den Leuten Ibn Asl’s bekannt, und wenn diese im Jahre zwei- oder dreimal an demselben halten, so ist das viel. Wie viel Dünger giebt das? Und ich denke, daß kein Karawanen-Ältester den Dünger seiner Kamele liegen läßt; dieser Stoff wird so nötig gebraucht, daß man ihn auf das sorgfältigste sammelt. Du wirst also einsehen, daß Abd el Barak sehr genau wußte, daß dein Suchen vergeblich sein werde.«

»Weshalb sollte er mich denn sonst fortgeschickt haben?«

»Um, ohne daß du es hörtest, mit dem Muza’bir von dir reden zu können. Ich habe, als du fort warst, jedes Wort vernommen. Es handelte sich um deinen Tod.«

»Allah! Beweise mir die Wahrheit deiner Worte!«

»Ibn Asl ed Dschasuhr, der Sklavenjäger, kann seine Karawanen nur so lange, als seine Brunnen unentdeckt bleiben, durch diese Wüste senden. Sobald die geheimen Wasserlöcher entdeckt werden, ist es aus mit dem Geschäft und dem Gewinne, den er macht. Kommt zufällig ein anderer hinter das Geheimnis, so frage ich dich, was Ibn Asl höher stehen wird, das Leben dieses Mannes oder die hohen Summen, welche ein Sklavenjäger verdient?«

»Das Geld natürlich. Aber ich bin ja mit nach dem Wadi genommen worden; ich habe mich nicht in das Geheimnis gedrängt!«

»Das bleibt sich gleich; es ist verraten, und um es zu wahren, muß Ibn Asl dich töten.«

»Das sagte Abd el Barak?«

»Ja. Oder meinst du, daß ich dich belüge?«

»Nein. Ich glaube, daß du die Wahrheit sprichst. Welche Schlechtigkeit aber ist es da von diesen beiden Männern, mich mit nach dem Wadi zu nehmen!«

»Du selbst trägst die Schuld. Du hast ihnen deine Kamele nicht anvertrauen wollen; du hast verlangt, mitgenommen zu werden.«

»Das ist wahr. Und ich sehe ein, daß sich mich auf die Gefahr, welcher ich mich dadurch aussetzte, nicht aufmerksam machen konnten; sie sind also weniger schuldig, als ich glaubte, und da ich nun unter deinem Schutze nichts mehr zu befürchten habe, will ich ihnen verzeihen.«

»Ich höre, daß Allah dir ein versöhnliches Herz gegeben hat. Deine Milde ist diejenige eines Christen, was mich um so mehr erfreut, als ich dich für einen strengen Gegner meines Glaubens halten mußte.«

»Das bin ich auch und werde es immer bleiben. Das wird dich aber wohl nicht veranlassen, mir das Gebet zu verbieten?«

»Ich habe weder das Recht, es zu erlauben, noch dasjenige, es zu untersagen.«

»So wisse, daß die Zeit des Gebetes des Sonnenunterganges gekommen ist, und mein Gebetsteppich befindet sich bei meinem Kamele. Darf ich ihn mir holen?«

»Du darfst. Das Kamel, der Teppich und all dein Eigentum gehört dir; wir sind keine Diebe oder Räuber.«

Er holte sich seinen Sidschschadi, wie der Araber seinen Teppich des Gebetes nennt, und schloß sich der Andacht der andern an. Die Sonne tauchte eben hinter den westlichen Horizont hinab, und die Stimmen der Betenden erschallten laut über das Wadi hinüber und in die Wüste hinaus. Dann wurde es schnell Nacht, da es in jenen Gegenden keine Dämmerung giebt.

Nach dem Gebete wurde gegessen. Dabei kam mir ein scharfer Geruch in die Nase. Ich sah mich um und gewahrte einen Askari, welcher mit dem Bauche an der Erde lag und aus Leibeskräften in ein kleines, glimmendes Feuer blies. Ich sprang hin und drückte es aus.

»Was fällt dir ein!« schalt ich ihn aus. »Wer hat dir das erlaubt?«

»Ich wollte ja nur ein Feuerchen machen, Effendi!« entschuldigte er sich in sehr kindlicher Weise.

»Das sehe ich eben! Wie es scheint, hältst du das für erlaubt?«

»Ja, Effendi.«

»Ich habe es nicht verboten, weil ich nicht glaubte, daß einer von euch Dünger bei sich hat. Woher hast du ihn?«

»Ich sammelte ihn, indem ich heute stets hinter den andern herritt und dann allemal abstieg.«

»So hast du dir sehr viel Mühe ganz umsonst gemacht. Siehst du denn nicht ein, daß es für uns gefährlich ist, ein Feuer anzuzünden? Ein solches Feuer riecht man weit, selbst wenn man es nicht sieht. Wenn jetzt Ibn Asl käme und da unten Lager machte, könnte es uns ihm leicht verraten.«

»Daran habe ich nicht gedacht. Verzeihe mir!«

Dieses kleine, an und für sich ganz unwichtige Intermezzo sollte mir später großen Vorteil bringen.

Wir Männer lagerten in der Einbuchtung des Hügels; auch die beiden Gefangenen befanden sich da. Draußen vor der Bucht lagen die Kamele, welche von zwei Asakern bewacht wurden. Auf dem Hügel stand der Posten, welcher seine Aufmerksamkeit scharf nach Südwest zu richten hatte. Da ich gewohnt war, mich mehr auf mich selbst als auf andere zu verlassen, so stieg ich zu ihm hinauf, und später kam der alte Onbaschi nach; er kannte die Wüste und glaubte, mich unterstützen zu können. Nach einiger Zeit ging der Mond auf und warf seinen Schein auf die gegenüberliegenden Felsenhöhen. Wir konnten die tiefen, dunkeln Stellen derselben von den hellen, höheren leicht unterscheiden. Es mochte gegen zehn Uhr sein, als ich drüben eine Bewegung wahrnahm. Ich sah helle Gestalten an dem dunkeln Hintergrunde erscheinen und vorübergleiten. Das waren die weißen Haïks der Sklavenjäger. Ich stieg also in das Versteck hinab, meldete dem Lieutenant die Ankunft der Erwarteten, empfahl ihm große Stille und Vorsicht, ließ den beiden Gefangenen den Mund verbinden, damit sie die Sklavenkarawane nicht durch laute Rufe warnen konnten und stieg dann die Felsenstufen hinab, um noch vor Ibn Asl auf meinem Lauscherposten zu sein.

Der Mond konnte nicht in die Tiefe des Wadi gelangen, und der Schein der Sterne war zu schwach, das hier herrschende Dunkel zu durchdringen. Meinen hellen Haïk hatte ich natürlich zurückgelassen; ich konnte nicht gesehen werden.

Da klang es vom jenseitigen Ufer wie Schwalbengezwitscher herüber, welches zuweilen von einem tiefern Tone unterbrochen wurde. Das Gezwitscher waren die hellen, fernen Stimmen der Sklavinnen, und der zuweilen dreinklingende Baß war die kommandierende Stimme des Führers, welcher die Richtung des abschüssigen Pfades angab.

Die Stimmen kamen näher; die Karawane erreichte die Tiefe des Wadi und wendete sich dann ganz genau dem Punkte zu, an welchem das Wasserloch lag. Ich sah die Haïks der Reiter und die hellen Zeltdächer der Frauensänften sich bewegen; alles andere blieb in dem tiefen Dunkel unsichtbar. Nun erklang die tiefe Stimme des Führers:

»Halt! Danket Allah und dem Propheten, denn wir sind glücklich bei dem Wasser der Erquickung angekommen!«

Nun war es, als ob mehrere hundert Stimmen antworteten. Männer riefen, schrieen oder fluchten; Frauenstimmen schwirrten wirr durcheinander; Kamele blökten und brummten. Da wurde es hell; zwei Fackeln brannten, und nun konnte ich sehen, was sechs Ellen unter mir vorging. Das war wirklich eine ansehnliche Karawane. Es wurden mehrere Palmfaserfackeln angebrannt, und beim Scheine derselben zählte ich fünfzehn Lastkamele, welche Tachtirwahns trugen. Die Formen dieser Frauensänften sind sehr verschieden, aber stets phantastisch, ja grotesk; am seltensten nehmen sie sich natürlich im Lichte des Feuers oder wie hier, der Fackeln aus. Außer diesen Sänftenkamelen gab es noch andere Lasttiere, welche die Wasserschläuche, Vorräte und Zelte trugen. Reitkamele gab es wohl fünfzig; ich konnte sie nicht sofort und genau zählen.

Das war wohl eine Viertelstunde lang ein Wirrwarr, der kaum zu lösen schien; dann kam Ordnung in die Menge. Es wurden die Frauenzelte aufgeschlagen, welche Arbeit die Sklavinnen selbst verrichteten; die Männer nahmen den Kamelen ihre Lasten ab, und einige kamen mit einer Fackel nach der Stelle des Brunnens, um die Bedeckung desselben zu entfernen.

Mir war ganz eigentümlich zu Mute. Ich hatte den Orient kennen gelernt, aber doch noch kein so ganz und gar fremdartiges Bild vor Augen gehabt wie dasienige, welches sich da unter mir entrollte. Dabei wirkte natürlich am meisten das Bewußtsein, daß die gegenwärtige Scene sich sehr bald in eine blutige verwandeln werde.

Die Anordnung des Lagers war leicht zu erkennen. Ich befand mich gerade über dem Brunnen. Rechts von demselben breiteten die Männer ihre Decken und Tücher aus; links erhoben sich die Frauenzelte; hinter diesen lagen die Pack- und Reitsättel mit den Lasten, und weiterhin wurden sämtliche Kamele gezwungen, sich in das scharfe Steingeröll zu legen. Dieser Plan war ganz und gar nicht geeignet, die Ansicht zu bekräftigen, welche ich bisher über den berühmten oder vielmehr berüchtigten Ibn Asl ed Dschasuhr gehegt hatte. Ein solcher Mann muß vor allen Dingen um- und vorsichtig sein; dieses Lager aber war noch leichtsinniger als das Nest einer Amsel angelegt. Jedenfalls war man allzu fest der Überzeugung, daß die weite Wüste außer der Karawane keinen Menschen berge. Unter mir wurde das Loch aufgegraben. Die dabei be schäftigten Leute arbeiteten mit den Händen. Bei ihnen stand ein langer, sonnverbrannter und schwarzbärtiger Kerl, welcher ihnen zuschaute und zuweilen nach rechts oder links einen lauten, kurzen Befehl hinüber rief. Dieser Mann war also der Anführer, Ibn Asl, der Sklavenjäger. Er hatte nicht die mindeste Ähnlichkeit mit seinem Vater, dem scheinbar ehrwürdigen und sehr heiligen Fakir Abd Asl.

Jetzt waren die Brunnengräber bis an die Steinplatte gelangt; sie hoben sie weg, und der Anführer ergriff die Fackel und kniete nieder, um hinabzuleuchten. Er stieß einen mehr als kräftigen Fluch aus und fügte im Tone der Enttäuschung hinzu:

»Da giebt es ja kaum zwei Fuß Wasser. Da hat der Teufel den Regen nach einer andern Richtung gelenkt, und wir können nicht einen einzigen Schlauch füllen, denn dieses Wasser hier müssen wir den Sklavinnen geben, um sie frisch und gesund zu erhalten. Allah schnüre diesen Frauen, derentwegen wir dürsten müssen, die Kehlen zu!«

»Es wird sich vielleicht welches nachsammeln,« bemerkte einer der Männer.

»Das weiß ich auch, du Sohn und Neffe der Überklugheit. Aber wie lange wird das währen? Können wir tagelang hier warten?«

»Verzeihe! Wir müssen doch ohnedies hier warten, bis die andern nachgekommen sind.«

»Die kommen natürlich schon morgen, und dann muß sofort aufgebrochen werden.«

»Aber sie bringen Wasser vom Bir Murat mit.«

»Sauf du es, wenn es dir schmeckt! Ich habe keinen Tropfen von dem getrunken, welches Malaf heute früh brachte. Holt die Weiber herbei, daß sie schöpfen! Ich werde sie selbst beaufsichtigen, damit kein Tropfen verloren gehe.«

Diesem Beispiele wurde Folge geleistet. Es kamen mehrere Frauen, welche wortlos schöpften und dann mit ihren Gefäßen unter den Zelten verschwanden. Sie befanden sich in gedrückter Stimmung oder fürchteten den Anführer so, daß sie in seiner Nähe nicht zu sprechen wagten.

Er setzte sich, als das Loch leer geworden war, neben dasselbe auf die Erde, stemmte den Ellbogen auf das Gestein und legte den Kopf in die Hand. In dieser Stellung sah er dem Treiben der andern zu.

Ich that dasselbe wie er und beobachtete alles so genau wie möglich. Mir fiel vor allen Dingen auf, daß keiner der Männer eine Flinte oder Pistole bei sich hatte; sie trugen alle nur das Messer im Gürtel. Sie hatten, wie ich später bemerkte, die ihnen jetzt unbequemen Schußwaffen hinter den Frauenzelten bei dem Gepäck abgelegt.

Der Indianer ist weit vorsichtiger. Er giebt, wenn er sich nicht in seinem Wigwam befindet, die Waffe nie aus der Hand und hat sie sogar während des Schlafens im Arme liegen. Dies war auch mir zur Gewohnheit geworden. Bei den Beduinen aber kann man oft sehen, daß sie die Langgewehre auf einen Haufen legen und ruhig schlafen, ohne daran gedacht zu haben, eine Waffenwache auszustellen.

Jetzt drang der Rauch von angebranntem Kamelmist unter den Zelten hervor. Die Frauen bereiteten ihr Abendessen. Die Männer brachten einige Wasserschläuche und Dattelsäcke und lagerten sich in der Nähe des Anführers, um ihren frugalen Imbiß zu verzehren. Es war eine zusammengewürfelte Gesellschaft, und ich sah alle Farben vom tiefsten Schwarz bis zum sonngedunkelten Hellbraun vertreten.

Sie sprachen leise miteinander; auch sie schienen nicht den Mut zu besitzen, in Anwesenheit des Anführers laut zu werden. In den Zelten sprachen die Frauen; aber ich konnte nichts verstehen. Diejenigen, welche ich, als sie Wasser geholt hatten, gesehen hatte, bestätigten den Ruhm, welchen die Frauen der Fessarah wegen ihrer Schönheit besitzen. Ich hatte, da sie nicht verschleiert waren, die Regelmäßigkeit ihrer Gesichtszüge deutlich bemerkt.

Da kam von den Kamelen her einer gegangen, welcher sich neben den Anführer setzte und, ohne diesem ein Wort zu sagen, ein Stück Trockenfleisch hervorzog und zu essenbegann. Er war noch jung, aber jedenfalls im Kampfe viel erfahren, denn sein Gesicht war so voller Narben, als ob es durch ein Hackebrett zerfleischt worden sei. Als er den letzten Bissen in den Mund gesteckt und verschlungen hatte, sagte er zu dem Anführer:

»Nun, wie ist’s heute? Soll sie endlich gehorchen oder nicht?«

Seine Stimme klang rauh und krächzend; sie war fast ebenso häßlich wie sein Gesicht.

»Marba!« rief anstatt der Antwort der Anführer in lautem Tone. Aller Augen richteten sich nach einem der Zelte; aber die Gerufene kam nicht.

»Marba!« wiederholte er, doch mit demselben Mißerfolge.

Er winkte zweien seiner Leute; diese standen auf, verschwanden unter dem Zelte und brachten ein junges Mädchen aus demselben; sie führten es vor den Anführer und setzten sich dann wieder nieder. Marba war vielleicht sechzehn Jahre alt und ein sehr schönes Mädchen. Ihr Gesicht zeigte nicht die mindeste Spur jener Schärfe, welche älteren Beduinenfrauen eigentümlich ist. Sie ging barfuß; ihr Körper war ganz in ein dunkles, kaftanartiges Gewand gehüllt, und ihr dunkles Haar hing in zwei dicken, langen Zöpfen über dem Rücken hinab. Ihr Gesicht war starr und unbewegt, und ebenso starr blickte ihr dunkles Auge, welches auf den Anführer gerichtet war und den andern gar nicht zu sehen schien. Der erstere deutete auf den letzteren und gebot dem Mädchen:

»Du hast ihn beleidigt und mußt es sühnen. Küsse ihn!«

Sie hörte diesen Befehl, aber gehorchte nicht; sie bewegte nicht den Fuß, nicht die Hand, nicht die Lippen und nicht einmal die Wimpern.

»Küsse ihn!« rief der Anführer lauter als vorher. »Sonst –!«

Er richtete sich empor und zog die Nilpeitsche aus dem Gürtel. Sie stand wie ein steinernes, lebloses Bild, sah ihm starr in das Auge und rührte sich nicht. Da trat er auf sie zu, holte aus, schlug sie und wiederholte seinen Befehl abermals. Sie nahm die schmerzhaften Streiche hin, ohne zu zucken.

»Haue sie, bis sie gehorcht!« rief der Narbige zornig, indem er aufsprang.

»Das darf nur In Asl. Warte, bis er morgen kommt! Aber fühlen soll sie es doch, daß ich heute zu befehlen habe.«

Er gab ihr noch mehrere Streiche und setzte sich dann nieder; der Häßliche folgte seinem Beispiele; das Mädchen drehte sich um und schritt langsam auf das Zelt zu, hinter dessen Vorhang sie verschwand.

Wie gerne wäre ich herabgesprungen, um diesem Menschen seine eigene Peitsche zu kosten zu geben! Leider mußte ich für jetzt darauf verzichten, nahm mir aber vor, ihm die verdiente Züchtigung nicht zu schenken. Seine letzten Worte waren von großer Wichtigkeit für mich. Er hatte gesagt, daß Ibn Asl erst morgen kommen werde; also war er nicht Ibn Asl selbst, sondern wohl nur dessen Unteranführer. Wo aber befand sich der Sklavenhändler? Vorhin war davon die Rede gewesen, daß »andere« noch zurück seien und morgen vom Bir Murat Wasser nachbringen würden. Sollte sich Ibn Asl bei diesen Männern befinden? Aus welchem Grunde war er zurückgeblieben, war er nicht bei seiner Karawane?

Ich brauchte gar nicht lange auf die Beantwortung dieser Frage zu warten, denn die beiden unter mir setzten das unterbrochene Gespräch fort, indem der Häßliche sagte:

»Hätte Ibn Asl diese Tochter des Scheiks der Fessarah nicht so in seinen Schutz genommen, weil er denkt, gerade für sie einen sehr hohen Preis zu erzielen, so würde ich, indem ich auf alles andere verzichtete, sie als meinen Anteil verlangen und dann die Unverschämte zur Strafe totpeitschen. Mich den verfluchtesten Teufel zu nennen und mir in das Gesicht zu spucken! Wäre sie eine Negerin oder auch eine braune Nubierin, so hätte ich ihr, ohne Ibn Asl zu fragen, die Kehle durchschnitten. Schade, daß er dieses Mal selbst bei der Karawane ist und nicht uns, wie es stets geschah, den Transport anvertraut hat! Er konnte heimziehen und wäre dann auch nicht in die Gefahr geraten, von diesem fremden, ungläubigen Effendi aufgehoben werden zu sollen.«

»Sorge dich nicht um ihn! Die Gefahr wird ihren Rachen jetzt diesem Giaur zugewendet und ihn verschlungen haben.«

»Dieser Überzeugung bin ich nicht. Übrigens ist es gar nicht gewiß, ob er sich an uns wagen wird!«

»Abd Asl sagte es, und der Türke Murad Nassyr war derselben Meinung. Beide kennen den Fremden und wissen wohl recht gut, was derselbe machen wird. Ich habe der ganzen Unterredung beigewohnt. Was die beiden noch nicht wußten, das hat der Scharfsinn unseres Herrn erraten und ergänzt. In Chartum weiß man gewiß von unserem Überfalle der Fessarahweiber, und der Reïs Effendina lauert also am Nile auf uns. Den Lieutenant hat er in gleicher Absicht abgesandt, und dieser ist sicher nicht allein gekommen, sondern hat eine Schar Asaker mitgebracht. Er ist mit dem fremden Effendi in Korosko gesehen worden; daraus folgt, daß die beiden auf uns lauern. Aber wehe diesem Christenhunde, wenn er sich an Ibn Asl wagt! Der Herr hat mir mitgeteilt, was er mit ihm machen wird.«

»Zu Tode peitschen?«

»Nein, sondern noch viel schlimmer. Er fängt ihn, schneidet ihm die Zunge heraus, um von ihm nicht verraten werden zu können, und verkauft ihn als Sklaven an einen schwarzen Stamm des Bahr-el-Ghasal-Landes.«

»Das wäre eine wohlverdiente Rache. Die fränkischen Christen mögen in ihrem Lande bleiben und sich nicht in unsere Angelegenheiten mischen. Was für ein Recht haben sie, uns den Sklavenhandel zu verbieten? Nicht das mindeste! Hoffentlich gelingt es Ibn Asi, diesen Ungläubigen zu ergreifen.«

»Ich zweifle nicht daran, denn er hat Malaf bei sich behalten und auch die andern, welche den Giaur gesehen haben, als er ihnen ihre Gefangenen abnahm. Sie kennen ihn also sehr genau und werden den Herrn auf ihn aufmerksam machen. Ibn Asl war ergrimmt über sie, daß sie sich von diesem einzelnen Manne besiegen ließen; darum werden sie nun alles aufbieten, den Fehler, welchen sie begangen haben, quitt zu machen.«

»Bringt der Herr, wenn er morgen kommt, seine Braut mit?«

»Nein. Er müßte sie ja mit nach Ras Rauai schleppen, was weder für sie, noch für ihn oder für uns bequem wäre. Ihr Bruder, der Türke, ist mit ihr heute früh von Bir Murat fort, und Abd Asl begleitet ihn, um sie nach Faschodah zu bringen.«

Ich hatte genug gehört und brauchte nichts weiter zu erlauschen. Der Sklavenhändler war beim Brunnen Murat zurückgeblieben, um mich zu fassen; Murad Nassyr und der heilige Fakir waren von dort fort; morgen wollte der Sklavenhändler nachkommen. Weiterer Nachrichten bedurfte ich nicht, um einen Plan, welcher mir soeben beigekommen war, ausführen zu können. Dieser Plan war, ganz offen in das Lager der Karawane zu gehen und den Überfall in der Weise vorzubereiten, daß ein blutiger Kampf möglichst verhindert wurde. Ich kehrte jetzt also nach unserm Verstecke zurück und teilte dort meine Absicht dem Lieutenant und dem Onbaschi mit. Sie waren beide ganz und gar dagegen.

»Das wage ja nicht, Effendi!« sagte der erstere. »Du riskierst das Leben. Der kleinste Zufall kann zur Entdeckung führen.«

»Wenn ich es nicht dumm anfange, kann von einem solchen Zufalle keine Rede sein.«

»Und wenn man trotzdem merkte, wer du bist?«

»So hätte ich meine Arme, meinen Kopf, der mich noch nie verlassen hat, und meine Waffen.«

»Fünfzig gegen dich, das ist zu viel!«

»Es ist besser, ein einzelner wagt etwas, als daß beim Überfalle viele getötet werden.«

»Aber wenn dieser einzelne derjenige ist, dessen Kopf und Arme die andern brauchen, so ist es besser, es unterbleibt.«

»Das mag wahr sein; aber ich habe stets Glück gehabt und hoffe, daß ich es auch heute haben werde.«

»Nun, so muß ich es dir mitteilen, obgleich ich noch nicht davon gesprochen habe: Der Reïs Effendina hat mir zwar geboten, dir zu gehorchen, aber er hat mir auch befohlen, mich zu widersetzen, wenn du dein Leben wagen solltest. Und heute, jetzt, widersetze ich mich.«

»Wie willst du das anfangen? Wenn ich gehen will, kannst du mich doch nicht mit Gewalt zurückhalten!«

»Doch! Ich halte dich zurück.«

»So mache ich Lärm und alles ist verdorben. Die Karawane wird uns entgehen.«

»Das wirst du doch nicht thun!«

»Ich führe es aus; ich gebe dir mein Wort darauf, und du weißt, daß ich mein Wort nie breche.«

»Allah, Allah,« meinte er ratlos, »was ist zu thun?«

Wir standen neben Ben Nil und Selim, welche noch immer bei einander saßen. Der letztere interessierte sich, ob beistimmend oder abgeneigt, das wußte ich nicht, in der Weise für meinen Plan, daß er aufsprang und ausrief:

»Effendi, du mußt heute – –«

Schweig‘, Unglückseliger!« herrschte ich ihn an. »Willst du an der schauderhaften Simm ed Damm sterben? Habe ich dir nicht das Reden verboten!«

Er sank sofort, tief erschrocken, wieder zur Erde nieder, zog das bejammernswerteste aller Gesichter und hielt sich beide Hände an den Mund, um anzudeuten, daß er denselben nicht wieder öffnen werde.

»Du siehst ein,« fuhr ich, zu dem Lieutenant gewendet, fort, »daß ich mich von meinem Vorsatze nicht abbringen lasse, und ich rate dir, mir kein Hindernis in den Weg zu legen.«

»Aber, Effendi, wenn dir ein Unglück passiert, wie soll ich es da vor dem Reïs Effendina verantworten?«

»Indem du ihm sagst, daß es mein Fatum, mein Kismet gewesen sei. Das ist doch sehr einfach.«

»Das ist wahr; du beruhigst mich, Effendi. Thue, was dir beliebt; ich habe nun nichts mehr dagegen, denn ich weiß, daß du doch auf meine Warnungen nicht hörst.«

»Ich bin für jede begründete Warnung dankbar; aber die deinige ist so allgemein und unbestimmt, daß ich sie unmöglich gelten lassen kann. Übrigens stürze ich mich nicht etwa kopfüber in die Gefahr, sondern ich gehe ihr mit vollem Bedachte entgegen; das vermindert ihre Größe und vermehrt meine Sicherheit.«

»Aber wer willst du denn sagen, daß du bist?«

»Ein Abgesandter des Mokkadem, welcher mich schickt, um Ibn Asl vor dem fremden Effendi zu warnen.«

»So willst du diese Leute also vor dir selbst warnen!«

»Damit sie doppelt leicht in unsere Hände fallen. Ich habe gar nicht zu fürchten, für einen Franken gehalten zu werden. Mein Kismet ist heute, dir die Sklavenkarawane in das Netz zu liefern.«

»So sage mir, was ich thun soll!«

»Du mußt scharf aufpassen. Wenn du den schlaftrunkenen Schrei des Geiers hörst, brecht ihr von hier nach beiden Seiten auf und kommt hinunter in das Wadi. Wenn ihr unten anlangt, bleibt ihr lautlos halten, bis ich euch hole.«

»Wenn sie dich aber festhalten, so daß du uns nicht holen kannst?«

»In diesem Falle würde ich das Zeichen nicht geben. Sollte ich, wenn das Kreuz des Südens vom Himmel verschwunden ist, das Zeichen noch nicht gegeben haben, so bin ich gefangen, und ihr kommt hinab, um die Männer zu überfallen und mich zu befreien. Und außerdem die allgemeine Regel: Wenn ihr drei dünne Revolverschüsse hinter einander fallen hört, so befinde ich mich in Gefahr, und ihr müßt euch beeilen, mir beizustehen. Für alle Fälle aber mußt du hier bei den Kamelen und den beiden Gefangenen eine sichere Wache lassen. Versäume das ja nicht, da sonst leicht alles verdorben werden kann.«

»Auf mich kannst du dich verlassen, Effendi. Ich werde nichts versäumen, was zu deiner Sicherheit und zum Gelingen deines Planes notwendig ist.«

»Das erwarte ich freilich ganz bestimmt, denn die Gefahr, welcher ich vielleicht entgegen gehe, kann mir nur dann schädlich werden, wenn du fehlerhaft handelst. Meine Gewehre lasse ich bei dir zurück; es sind abendländische und sie würden mich verraten; ich nehme dafür deine lange arabische Flinte mit.«

Diese letzteren Worte waren an Ben Nil gerichtet; er stand auf und antwortete:

»Effendi, willst du nicht lieber die Flinte Selims nehmen? Ich brauche die meinige zu deiner und meiner Verteidigung; ich gehe natürlich mit dir, denn es ist sehr leicht möglich, daß du der Hilfe eines zweiten bedarfst.«

»Ich bin mir selbst genug und will niemand in Gefahr bringen.«

»Ja, so bist du stets und immer; aber das dulde ich nicht mehr, wenigstens heute nicht. Ich habe dich lieb und bin als dein Diener mit dir gegangen. Soll der Diener sich pflegen, wenn sein Herr das Leben wagt?«

»So schlimm ist es nicht.«

»Es ist so, genau so, wie ich sage. Du hast mir das Leben gerettet, und mein Herz gebietet mir, dir dankbar zu sein. Es ist grausam von dir, mich jeder Gelegenheit dazu zu berauben.«

»Ich kenne deine Gesinnung, Ben Nil, und das genügt mir vollständig.«

»Mir aber nicht. Du bist mein Vorbild geworden und so werde ich deinem jetzigen Beispiele folgen und genau so gegen dich handeln, wie du dich zu dem Lieutenant verhalten hast. Er wollte dich nicht fortlassen, und da drohtest du, Lärm zu machen; nun wohl, wenn du mich nicht mitnimmst, so zwinge ich dich. Ich laufe hinter dir her, und wenn die Sklavenjäger dann Verdacht schöpfen, so hast du es dir, nicht aber mir zuzuschreiben.«

Es war mir, als ob ich diesen Widerstand eigentlich nicht dulden dürfe; aber der liebe, kleine Kerl handelte aus reiner Zuneigung und Dankbarkeit; ich durfte ihn nicht kränken und entschied darum, indem ich ihm die Hand drückte:

»Nun wohl, so geh‘ mit. Zwar wird mein Plan dadurch eine Änderung erleiden, aber ich denke, daß es keine unglückliche sein wird.«

Ich ging mit ihm zum Scheik der Monassir und fragte diesen:

»Hast du daheim einen Sohn?«

»Mehrere,« antwortete er.

»Vielleicht einen im ungefähren Alter dieses meines Dieners?«

»Ja.«

»Wie heißt er?«

»Ben Menelik, wie ich.«

»Kennt dich Ibn Asl, oder kennst du einen seiner Leute?«

»Auch nicht. Warum legst du mir diese Fragen vor, Effendi?«

»Das werde ich, da ich jetzt keine Zeit dazu habe, dir vielleicht später erklären.«

Jetzt ging ich zu dem Askeri, welcher vorhin ein Feuer hatte anzünden wollen, und ließ mir seinen Kamelmist geben, welcher mir jetzt sehr zu statten kam. Dann sattelte ich mein Kamel und Ben Nil das seinige. Als imitirter Muselmann mußte ich einen Gebetsteppich mitnehmen, und außerdem versah ich mich mit den Vorräten, welche ein Wüstenreisender bei sich führen muß. Ich that dies für den Fall, daß man mir keinen Glauben schenken und uns und unsere Kamele untersuchen werde. Alles, was mich verraten konnte, Papier, Bleistift und dergleichen, gab ich dem Lieutenant zur Aufbewahrung; die Revolver aber nahm ich mit, weil sie mich wehrhaft machten und ich ihren Besitz leicht auf irgend eine Weise zu erklären vermochte.

Nun brachen wir auf. Indem wir, die Kamele am Zügel führend, neben einander herschritten, erklärte ich Ben Nil meinen Plan und sagte ihm, wie er sich dabei zu verhalten habe. Er sollte mich Saduk el Baija, Saduk den Händler, aus Dimiat (Damiette) nennen und ja nicht Effendi, sondern Sihdi zu mir sagen. Ich traute ihm gern diejenige Vorsicht und Aufmerksamkeit zu, welche notwendig war, um Fehler zu vermeiden. Dem Lieutenant hatte ich gesagt, daß er sich an einen oder einige Flintenschüsse, welche bald fallen würden, ja nicht kehren solle. Ungefähr tausend Schritte von unserm Lager entfernt, lag die von mir untersuchte Stelle, an welcher man leicht in das Wadi hinabgelangen konnte. Wir schritten langsam hinunter, verbanden aber vorher unsern Kamelen die Mäuler, damit sie, falls ihre Nasen ihnen die Anwesenheit anderer Kamele verrieten, nicht laut werden konnten.

Unten angekommen, wendeten wir uns nach links und gingen vielleicht noch tausend Schritte weiter. Dann machte das Wadi eine leichte Krümmung, hinter welcher wir anhielten. Wir nahmen unsern Kamelen ihre Sättel ab und hießen sie, sich legen. Ich schoß die Flinte ab und lud sie wieder; dann setzten wir uns nieder. Zwei auf einander gelbe Steine bildeten einen kleinen Herd. Ich wartete ungefähr zehn Minuten und schoß noch einmal.

Die Sklavenjäger mußten die Schüsse gehört haben; sie sandten sicher einige Leute aus, um die Ursache derselben zu erforschen. Jetzt legte ich den mitgenommenen Kameldünger auf die Steine und brannte ihn an. Ein Napf wurde mit Wasser gefüllt, in welches ich Mehl rührte, und über das Feuer gesetzt. Dann brannte ich mir den Tschibuk an, legte mich mit dem Rücken an den Felsen und wartete der Dinge, die da kommen sollten.

Es dauerte gar nicht lange, so sagte mir mein Ohr noch mehr als das Auge, daß die Kundschafter kamen. Das waren freilich nicht die völlig unhörbaren Schritte eines Indianers. Man hörte den Steingrus knacken. Nach dem Geräusch zu urteilen, rührte es von wahrscheinlich drei Personen her. Wenige Augenblicke später sah ich, daß mein Ohr mich nicht getäuscht hatte. Wir saßen an einer vom Monde beschienenen Stelle des hier breiten Wadi; ich hatte dieselbe mit Absicht gewählt; man sollte uns leicht finden und deutlich erkennen. Drüben im Schatten der Felsen schlichen drei Gestalten und hockten sich gerade gegenüber nieder, um uns zu beobachten. Die dummen, ungeschickten Kerle trugen ihre Haïks, deren helle Farbe grau aus dem Schatten hervortrat.

Jetzt begann ich, mit Ben Nil zu sprechen, und zwar so laut, daß sie uns drüben hören konnten. Sie sollten uns für Leute ansehen, welche sich für vollständig allein hielten und von der Anwesenheit der Karawane keine Ahnung hatten. Wir nannten uns dabei mit den erdichteten Namen, und zwar deutlich genug, um verstanden zu werden. Nach einigen Minuten bewegten sich die Lauscher wieder zurück und verschwanden hinter der Biegung des Wadi.

»Sie sind fort!« meinte Ben Nil in enttäuschtem Tone. »Sie kamen nicht herüber. Nun ist unsere Absicht vereitelt!«

»O nein. Diese drei waren nur die Kundschafter; sie machen jetzt ihre Meldung, und dann wird man kommen, um mit uns zu reden.«

Wir warteten zehn Minuten, und dann aßen wir unsern Mehlbrei, natürlich in echt orientalischer Weise, indem wir mit den Fingern in den Napf fuhren und uns das kleisterartige Zeug liebreich auf die herausgestreckte Zunge, welche dann die Weiterbeförderung zu besorgen hatte, strichen. Wir thaten das, um für ganz und gar unbefangene Leute gehalten zu werden. Ein gut gebratenes Haselhuhn mit nachfolgendem »Fürst Pückler« wäre mir freilich lieber gewesen, aber ländlich, sittlich, und da der Negerhirsenbrei hier ländlich war, so durfte ich ihn nicht für unsittlich halten. Da kamen sie, dieses Mal noch viel weniger leise als vorher. Es waren volle zehn Mann; sie trugen alle ihre Waffen, bogen um die Krümmung des Wadi, kamen auf uns zu, blieben bei uns stehen, und der Voranschreitende grüßte mit seiner tiefen Baßstimme, die mir schon bekannt war.

»Mesalcher – guten Abend.«

Es war der Anführer, welcher Marba, die gefangene Scheikstochter, gepeitscht hatte. Ich sprang scheinbar erschrocken auf und antwortete:

»Allah jumessik bilcher! Wie bin ich erschrocken! Wer seid ihr, und was thut ihr hier?«

Auch Ben Nil war empor gefahren; er hatte den Napf ergriffen, so thuend, als ob er den kostbaren Inhalt für sich retten wolle, strich sich den Mund voll Brei und erwiderte dann auch den Gruß, doch war kein Wort zu verstehen. Er spielte seine Rolle ausgezeichnet. Der Anführer bedeutete ihm lachend:

»Ängstige dich nicht; wir nehmen dir dein Essen nicht!« Und sich an mich wendend, fragte er:

»Du heißt Saduk el Baija?«

»Ja,« antwortete ich erstaunt. »Woher weißt du das?«

»Und dein Begleiter heißt Ben Menelik?«

»Ja; aber woher weißt du das? Ich kenne dich nicht.«

»Ich weiß alles, und nichts, was in der weiten Wüste geschieht, kann mir verborgen bleiben,« antwortete er stolz. »Was thut ihr hier?«

»Wir – wir – wir essen, oder vielmehr wir aßen,« antwortete ich befangen.

»Das sehe ich! Aber ich will wissen, welche Absicht euch in das Wadi geführt hat.«

»Allah weiß es, frage ihn.«

Ich hatte so thun müssen, als ob das plötzliche Erscheinen dieser Leute mich überrascht habe, aber es lag ganz und gar nicht in meinem Plane, für einen furchtsamen Mann gehalten zu werden; darum gab ich jetzt diese kurzen Antworten.

»Allah zu fragen, ist schwer,« antwortete er rauh. »Dich zu fragen, ist leicht, und du hast mir zu antworten.«

»Wer will mich zwingen, zu sprechen, wenn ich schweigen will?«

»Ich!«

»Wer bist du?«

»Das geht dich nichts an!«

»So geht dich auch meine Person nichts an. Geh‘ also dorthin, wo du hergekommen bist!«

Ich riß Ben Nil den noch nicht ganz geleerten Napf aus der Hand, setzte mich nieder und zog mir so ruhig, als ob gar nichts geschehen sei, mittels der krumm gebogenen Finger, mit denen ich den Napf auswischte, den Rest des Kleisters zu Gemüte. Das imponierte. Als ich dann nach edler Beduinenart das Gefäß gar auszulecken begann, rief der Mann aus:

»Beim Propheten, so ein Mensch ist mir noch gar nicht vorgekommen! Höre, du Saduk el Baija, dein Leben hängt an einem einzigen dünnen Haare!«

»Das ist Kismet. Ich kann nichts hinzuthun und nichts wegnehmen. Allah weiß es!«

»Wenn du mir nicht Rede stehst, wirst du erschossen!«

»Wenn es im Buche vorgezeichnet ist, erschieße ich dich, anstatt du mich.«

»Wie willst du das fertig bringen?« lachte er. »Wir sind zehn Männer gegen einen Mann und einen Knaben.«

Er hatte den Kolben seines Gewehres auf die Erde gesetzt und stützte sich mit den Armen auf den Lauf desselben. Seine Gefährten standen in genau derselben malerischen Haltung hinter ihm. Ben Nil handelte nach der ihm vorher erteilten Weisung. Er war weniger als ich beobachtet worden und hatte sich ganz in das tiefe Dunkel des Felsens zurückgezogen, an einer Spalte, bis wohin der Schein des Mondes nicht dringen konnte. Dort stand er mit angelegter und genau auf die Brust des Sprechers gerichteter Flinte.

»Lache nicht,« antwortete ich; »es ist mein Ernst. Macht nur ein einziger von euch Miene, sein Gewehr zu heben, so bist du eine Leiche, denn in diesem Falle wirst du augenblicklich die Kugel meines tapfern Ben Menelik, den du einen Knaben nennst, in das Herz erhalten.«

Jetzt sahen sie nach Ben Nil hin.

»Allah!« rief der Anführer. »Ich schieße dieses Kind über ––«

»Halt!« unterbrach ich ihn, da er sein Gewehr aufnehmen wollte, in befehlendem Tone, indem ich rasch aufsprang und mein bereit liegendes Gewehr auch auf seine Brust richtete. »Zucke ja nicht mit dem kleinsten Gliede! Zwei Kugeln sind dir gewiß! Ich glaube, es ist nicht mein, sondern dein Kismet, heute zu sterben. Ihr seid an den Unrechten gekommen. Ich bin nicht gewöhnt, zu gehorchen, wo ich befehlen kann. Laß deine Flinte fallen, und befiehl deinen Leuten, dasselbe zu thun! Ist das, bis ich drei sage, nicht geschehen, so kann im nächsten Augenblicke der Teufel deine Seele in der Dschehennah suchen. So wahr ich ein gläubiger Sohn des Propheten bin, ich halte Wort! Eins – zwei –– !«

Man meint, daß solche oder ähnliche Scenen nur in Romanen vorkommen können; das ist sehr richtig, denn – – das Leben ist der fruchtbarste und phantasiereichste Romanschreiber, welcher nicht, um eine unmögliche Situation zu ersinnen, ein dutzend Gänsefedern zerkauen muß. Mein Ton und meine Haltung waren wohl der Art, daß kein Zweifel über die Schnelligkeit unsers Handelns aufkommen konnte; die beiden Flintenläufe wirkten überzeugend; wir brauchten nur den Zeigefinger am Drücker zu krümmen – kurz und gut, das Gewehr des Anführers entglitt seiner Hand und fiel nieder, und die langen Flinten seiner Leute folgten diesem Beispiele.

»So!« nickte ich. »Nun tretet zehn Schritte zurück!«

Sie gehorchten so exakt, als ob sie darauf eingeschult worden seien. Ich folgte ihnen und fuhr, als ich dann zwischen ihnen und ihren Gewehren stand, fort, doch ohne meine noch immer auf die Brust des Anführers gerichtete Flinte sinken zu lassen:

»Jetzt wirst du es sein, der mir einige Fragen beantwortet. Wenn einer von euch es wagt, nach der Pistole zu greifen, oder wenn du mit deinen Antworten nur zwei Sekunden zögerst, schieße ich, und die Kugel meines Ben Menelik wird den nächsten treffen. Also antworte schnell: Seid ihr allein in diesem Wadi?«

»Nein,« antwortete er ohne Pause. Vielleicht meinte er, daß mir bei der Nachricht, daß er noch mehr Leute zur Verfügung habe, der Mut sinken werde.

»Wo befinden sie sich?« fragte ich weiter.

»Nicht fern von hier.«

»Waret ihr schon öfters im Wadi el Berd?«

»Ja.«

»Giebt es eine Stelle, an welcher drei verdorrte Gaziahbäume stehen?«

Er zögerte in Hinsicht auf den heimlichen Brunnen mit der Antwort.

»Schnell, schnell, sonst schieße ich!« drängte ich ihn.

»Es giebt drei solcher Bäume da, wo wir lagern.«

»Im nasib, im adschibi – o Schickung, o Wunder!« rief ich im Tone des Erstaunens aus. »Kommt ihr über den Nil herüber vom Bir Murat?«

»Ja.«

Sofort ließ ich die Flinte sinken, gebot Ben Nil, dasselbe zu thun, trat auf den Anführer zu, streckte ihm die Hand entgegen und sagte in freudigem Tone:

»Fast hätte ich dich erschossen. Dank sei dem Propheten, daß ich es nicht gethan habe, denn dein Tod hätte mich bis an das Ende meiner Tage betrübt. Aber du trugst die Schuld, weil du mir drohtest, und ich bin das nicht gewöhnt. Da ihr bei den Gaziahbäumen lagert, seid ihr diejenigen, welche ich suche.«

Er nahm meine Hand nicht, behielt sein finsteres Gesicht bei und sagte:

»Du uns suchen? Das ist eine Lüge! Niemand weiß, daß wir uns hier befinden.«

»Daß du mich einen Lügner nennst und ich dir trotzdem nicht sofort eine Kugel gebe, mag dir beweisen, daß ich die Wahrheit gesprochen habe und mich als euern Freund betrachte. Ich bin überzeugt, daß ihr zu Ibn Asl ed Dschasuhr gehört. Habe ich recht?«

»Darauf darfst du keine Antwort erwarten. Wir kennen dich nicht.«

»Du wirst mir dennoch Auskunft erteilen, wenn ich dir sage, daß ich zu euch gesandt bin, um euch zu warnen vor dem Lieutenant des Reïs Effendina und vor einem ungläubigen Effendi, den ihr in die Dschehennah wünschen werdet.«

»Allah! Woher weißt du von diesen Leuten?«

»Von denen, die mich geschickt haben, Abd el Barak, der Mokkadem der Kadirine, und sein Begleiter, welcher el Muza’bir genannt wird.«

»Sie sind Freunde von uns, aber sie können unmöglich wissen, daß wir uns hier befinden. Wo hast du sie getroffen, und wie können sie dich nach dem Wadi el Berd senden, um uns zu warnen? Ich begreife das nicht.«

»Du wirst es sofort begreifen, nachdem ich es dir erklärt habe. Nehmt eure Gewehre, und setzt euch für kurze Zeit her zu uns! Wir haben nichts voneinander zu befürchten und werden vielmehr die besten Freunde sein.«

Ich setzte mich an meinen kleinen, improvisierten Herd, auf welchem das Feuer ausgegangen war, und Ben Nil ließ sich neben mir nieder. Es war wirklich spaßhaft, die Art zu sehen, in welcher diese zehn Sklavenjäger meiner Aufforderung Folge leisteten. Sie schämten sich jedenfalls, daß ich ihnen trotz ihrer größeren Zahl überlegen geworden war; es schien ihnen unmöglich, in mir, dem Unbekannten, einen Freund oder gar Verbündeten sehen zu müssen, und doch trat ich mit einer Sicherheit auf, welche sie überzeugen mußte. Das erteilte ihrem Thun, ihren Bewegungen das gerade Gegenteil davon, nämlich eine Unsicherheit, welche ihnen, den bis an die Zähne bewaffneten Menschenräubern, ganz eigentümlich zu Gesichte stand. Sie nahmen langsam und wie zögernd ihre Gewehre auf und hockten sich dann zu uns nieder. Da ich nicht sofort sprach, begann der Anführer:

»Deine Worte sind Rätsel für uns. Wir kennen deinen Namen und wissen, daß du ein Händler bist; aber wo wohnst du, wo bist du her?«

»Ich bin aus Dimiat. Doch, bevor ich weiter spreche, erkläre mir erst den Zwiespalt, welcher darin liegt, daß ihr unsere Namen wißt, und doch behauptet, mich nicht zu kennen!«

»Wir hörten Schüsse, und ich sandte Kundschafter aus. Sie kamen hierher, sahen euch und hörten eure Unterredung. Ihr nanntet euch bei den Namen und spracht von den Preisen schwarzer, brauner und cirkassischer Sklavinnen.«

»Das stimmt, und diese Erklärung befriedigt mich. Dort am Felsen stand ein Tier; ich schoß auf dasselbe; es zog sich zurück, kam aber wieder und verschwand erst dann, als ich ihm eine zweite Kugel sandte. Kennt ihr einen Mann, welcher auch Händler ist und Murad Nassyr heißt?«

»Ja, den kennen wir.«

»Er ist aus Nif bei Ismir und ein sehr guter Geschäftsfreund von mir. Euch kann ich es mitteilen, daß auch ich heimlich mit Requiq handle. Ihr werdet mich nicht verraten; ich hoffe vielmehr, noch manches gute Geschäft mit euch zu machen. Murad Nassyr war nach Ägypten gekommen, um große Einkäufe zu machen, und suchte mich in Dimiat auf, fand mich aber nicht, da ich verreist war. Ich ging ihm nach Kahira nach; er war schon fort; ich folgte ihm nach Siut, ohne ihn zu finden, und hörte, daß sein Schiff, der Sandal Et Tehr, nach Korosko gefahren sei.«

»Das stimmt, das stimmt,« nickte der Befehlshaber. »Er hat einen Sandal, welcher Et Tehr heißt, gemietet.«

»Das weißt du?«

»Ja. Ich habe es in letzter Nacht von ihm selbst erfahren. Er war am Bir Murat bei uns und hat uns sehr seltsame Erlebnisse erzählt.«

»So habt ihr ihn getroffen? Ich hatte nicht dasselbe Glück. Ich brauchte Sklaven und mußte ihn unbedingt einholen, hörte aber in Korosko, daß der Sandal schon wieder fort sei. Ihm folgend, holte ich ihn in Handak ein und hörte zu meinem Leidwesen von dem Reïs, daß Murad Nassyr in Korosko ausgestiegen sei, um zu Karnele nach Abu Hammed zu gehen. Ich fuhr also noch bis Dugmitt und ritt von da aus auf einem gemieteten HedschIbn nach Berber hinüber, um dort auf Murad Nassyr zu warten.«

Das Gesicht des Anführers hatte sich während des Vortrages meiner Fabel bedeutend aufgeheitert; er begann, Vertrauen zu mir zu fassen, und seine Leute warfen gar beinahe freundliche Blicke auf mich. Leider hatte diese Fabel eine sehr wunde Stelle, was ich aber unmöglich vermeiden oder ändern konnte. Nämlich wenn Murad Nassyr von Korosko aus den kurzen Landweg nach Abu Hammed eingeschlagen hatte und ich erst nach ihm in Korosko angekommen und die viel, viel längere Strecke auf dem Nile heraufgefahren war, konnte ich ganz unmöglich vor ihm in Berber angekommen sein und mich nun gar infolge eines sehr langen Retourrittes durch die Wüste heute hier im Wadi el Berd befinden. Es lag da eine Zeitdifferenz von über einer Woche, also eine sehr grobe Finte vor. Meine Zuhörer ahnten das glücklicherweise nicht; sie rechneten nicht nach, und ich ging, um sie nicht zum Nachdenken kommen zu lassen, mit größter Eile über diesen heiklen Punkt hinweg, indem ich fortfuhr:

»In Berber stieß ich zu meiner Freude auf zwei Freunde von mir. Ich bin Mitglied der heiligen Kadirine und besuchte ein Kaffeehaus, welches unserer Verbrüderung sehr warm empfohlen ist. Da traf ich den Mokkadern und den Muza’bir. Sie freuten sich natürlich, mich zu sehen, doch war diese Freude eine so große, daß ich einsah, sie müsse noch einen ganz besonderen, anderen Grund haben. Diesen Grund erfuhr ich denn auch sehr bald. Sie erzählten mir von euerm Sklavenzuge nach dem Duar der Fessarah; ihr hattet große Beute gemacht und – – –«

»Aber woher wußten sie von diesem Zuge?« wurde ich unterbrochen.

»Laßt mich nur erzählen! Ihr werdet es sogleich hören. Euer Raubritt hatte ein ungeheueres Aufsehen erregt, und der Reïs Effendina trachtete darnach, euch abzufangen. Er wollte euch den Weg durch den Ahmur verlegen und sandte zu diesem Zwecke einen Lieutenant mit einer Schar Asaker nach Korosko zu einem fremden, christlichen Effendi, der sein Verbündeter ist; er selbst legte sich in Berber auf die Lauer und ließ sich Asaker aus Chartum kommen. Glücklicherweise befand sich unter diesen ein Mitglied der Kadirine; der Mann heißt Ben Meled und – –«

»Das stimmt, das stimmt wieder!« rief der Anführer. »Dieser Ben Meled wird von uns bezahlt und hat uns schon oft sehr gute Dienste geleistet. Ich erkenne, daß wir dir alles Vertrauen schenken dürfen. Du bist wirklich ein Freund von uns, und jetzt will ich dich gerne willkommen heißen.«

Er reichte mir seine Hand, und dann mußte ich auch die Hände der anderen drücken. Wie gut war es gewesen, daß ich, als ich am Nachmittage den Mokkadem und den Muza’bir belauschte, diesen Namen Ben Meled gehört hatte! Es war wirklich nicht gar so leicht, die Namen, welche ich erfahren hatte, und die wenigen Umstände, welche ich kannte, zu einer Erzählung zu vereinigen, mit welcher ich mir das Vertrauen dieser außerordentlich vorsichtigen und mißtrauischen Leute erwerben wollte. Sie rückten enger zusammen und näher zu mir heran, als ich nun weiter berichtete:

»Der Mokkadem kennt euern geheimen Wüstenweg; er wollte und mußte euch warnen, hatte aber keine Zeit dazu, da er in Chartum erwartet wurde. Dieser fremde Effendi muß ein höchst gefährlicher Mensch sein, wie mir der Mokkadem erzählte. Der letztere weiß, daß ich Sklaven suche, und gab mir den sehr guten Rat, dieselben nicht mehr durch Murad Nassyr, sondern direkt von euch, von Ibn Asl, zu beziehen. Er riet mir, Ibn Asl sofort aufzusuchen, um ihm zu sagen, daß sich der Giaur, der Effendi, hier in der Wüste befindet, um ihm aufzulauern. Ich war natürlich gern bereit dazu. Er beschrieb mir dieses Wadi und sagte, daß ich euch ganz sicher bei drei Gaziahbäumen, welche hier stehen, treffen würde. Da ich aber die Wüste nicht kenne, mietete ich mir von Menelik, dem Scheik der Monassir ––«

»Von dem habe ich gehört,« fiel der Anführer ein. »Er ist ein sehr strenger Moslem, ein Feind der Christenhunde und billigt den Sklavenraub.«

»Das zu hören, ist mir lieb, denn dieser mein Führer ist sein Sohn, Ben Menelik. Er gab ihn mir mit, weil er mich nicht selbst begleiten konnte und der Sohn schon einigemal mit ihm durch dieses Wadi geritten ist.«

»So fällt auch dies zu unserer Zufriedenheit aus. Wenn dieser Jüngling der Sohn des Obersten der tapferen Monassir ist, so brauchen wir nicht zu sorgen, daß er uns verraten wird. Es liegt in unserm Vorteile und in unserer Absicht, mit seinem Stamme ein Freundschaftsbündnis zu schließen, und so heißen wir ihn ebenso aufrichtig willkommen wie vorhin dich, o Saduk el Baija.«

Jetzt war Ben Nil es, welcher zehn Hände zu drücken hatte. Er that es mit dem Ernste und dem Anstande eines jungen Beduinen, dessen Vater der Kriegsherr eines großen und berühmten Beduinenstammes ist. Er löste seine schwierige Aufgabe zu meiner vollsten Zufriedenheit, ja weit über mein Erwarten. Wenn er mir in den nächsten Stunden ebenso wacker und umsichtig zur Seite stand, so konnte ich die vollste Überzeugung hegen, daß mein Plan gelingen werde. Um meine Erzählung endlich zum Schlusse zu bringen, bemerkte ich noch kurz:

»Wir versahen uns mit allem nötigen und schlugen die Richtung über den Brunnen Nedschm und den Dschebel Schizr ein. Als wir am Nachmittag das östliche Wadi erreichten, verfolgten wir es nach Westen, um die drei Gaziahbäume zu suchen. Es wurde dunkel, bevor wir sie fanden, und so hielten wir hier an, um zu lagern und morgen weiter zu forschen. Das weitere wißt ihr, und ich habe also nichts hinzuzufügen, als daß ich ganz glücklich bin, euch gegen alles Erwarten hier getroffen zu haben. Fast wäre dabei Blut geflossen, aber der Prophet hat dieses Unglück verhütet; ihm und den heiligen Kalifen sei Dank gesagt!«

Ich war natürlich über den Verlauf dieser Unterredung äußerst befriedigt. Allem Anscheine nach war meinen Angaben voller Glaube geschenkt worden, und so durfte ich annehmen, daß meine Absicht wenigstens auf keine unüberwindlichen Schwierigkeiten stoßen werde. Diese Absicht war, wie bereits erwähnt, anstatt durch Gewalt, durch List an das Ziel zu gelangen. Wie dies anzustellen sei, das konnte ich jetzt freilich noch nicht wissen; mein Verhalten mußte sich nach demjenigen der Sklavenhändler richten, nach deren Lager wir uns nun begaben. Während ich meinem Kamele den Sattel auflegte und Ben Nil mit seinem Tiere dasselbe that, wobei wir uns in einiger Entfernung von den andern befanden, flüsterte er mir zu:

»Welch eine List, Effendi! jetzt glaube ich, daß du dich vor keinem Feinde zu fürchten brauchst. Deine Verschlagenheit ist noch viel größer als deine Tapferkeit. Ich bin überzeugt, daß wir allen Gefahren gewachsen sind.«

Nun folgten wir, unsere beiden Kamele am Halfter führend, den Sklavenjägern nach dem Brunnen. Dort war alles dunkel, doch wurden nach unserer Ankunft einige Fackeln angebrannt. Jetzt galt es vor allen Dingen, das Verhalten des Anführers zu beachten. Hieß er uns in der üblichen Weise und in ausführlichen Worten willkommen, so hatten wir keine Hinterlist zu befürchten. Nach der in der Wüste herrschenden Sitte mußte er uns dabei einen Imbiß reichen und auch selbst von demselben nehmen. Sei es auch nur eine einzige Dattel, welche der Beduine mit seinem Gaste teilt, sobald jeder die Hälfte der Frucht gegessen hat, ist an einen Verrat nicht mehr zu denken. Der Kommandant befahl, unsere Kamele zu den übrigen zu schaffen, und lud mich dann ein, mich am Brunnen bei ihm niederzusetzen. Da er dabei Ben Nil nicht erwähnte und mir dadurch Veranlassung gab, für die Sicherheit desselben zu befürchten, fragte ich ihn:

»Und Ben Menelik, mein Begleiter? Wo soll dieser lagern?«

»Er mag sich zu meinen Leuten setzen,« antwortete er in beinahe wegwerfendem Tone.

»Das möchte ich ihm nicht zumuten,« erwiderte ich. »Er ist mir während unseres Rittes mehr Freund als Diener gewesen, und darum möchte ich, daß er auch jetzt bei mir bleiben darf.«

»Das geht nicht. Ich bin der Kolarasi dieser Karawane, also ein Offizier, und darf bei keinem sitzen, der unter mir steht.«

»Dann bitte ich dich, zu bedenken, daß Ben Menelik der Sohn des Scheikes eines großen und berühmten Stammes ist!«

»Was ist das weiter? Mir steht er trotzdem nicht gleich, und ich will dir aufrichtig sagen, daß ich mich schon herablasse, indem ich dir, der du nur ein Händler bist, erlaube, bei mir zu sein. Also setz‘ dich nieder und sprich mir nicht dagegen!«

Es zuckte mir in der Hand, ihm eine Ohrfeige zu geben; aber ich mußte gute Miene zum bösen Spiel machen. Verfeindete ich mich mit ihm, so brachte ich nicht nur meinen Plan, sondern sogar mein Leben in Gefahr. Es kam zunächst darauf an, von ihm die Zeichen der Gastfreundschaft, also der Sicherheit zu erhalten, und das wäre jetzt durch fernern Widerspruch verhindert worden. Wartete ich aber bis dahin, so gelang es mir höchst wahrscheinlich, die Gefahr, in welcher sich Ben Nil ohne allen Zweifel befand, von ihm abzuwenden. Darum schwieg ich und setzte mich nieder, und zwar neben den schon erwähnten häßlichen Menschen, welchen ich mit dem Anführer an dem Brunnen belauscht hatte. Letzterer nahm einige Datteln, teilte sie mit mir, füllte einen kleinen Flaschenkürbis mit Wasser, reichte mir das Gefäß, nachdem er einige Schlücke getrunken hatte, gab mir die Hand und sagte:

»Willkommen; iß, trink; du bist mein Gast!«

Ich trank schnell einen Schluck, steckte eine Dattel in den Mund und gab Ben Nil, welcher uns scharf beobachtend in der Nähe stand, einen Wink. Er verstand die Situation vollkommen, trat rasch herbei, nahm den Kürbis und eine Dattel von mir, trank, schob die Dattel in den Mund und sagte, sich zu dem Anführer wendend:

»Ich esse und trinke deine Gaben; nun sind deine Flügel über mich gebreitet, und jeder deiner Freunde oder Feinde ist auch der meinige.«

Das war so schnell geschehen, daß der Anführer gar nicht Zeit gefunden hatte, es zu verhindern. Er fuhr mich zornig an:

»Warum hast du es weiter gegeben? Habe ich es dir befohlen?«

Da ich nun sein Gast geworden war und nichts mehr für mich zu fürchten hatte, brauchte ich nicht mehr so zurückhaltend wie vorher zu sein und antwortete infolgedessen:

»Ich habe Ben Menelik gegeben, weil er zu mir gehört und also ganz selbstverständlich ebenso dein Gast ist, wie ich es bin. Befohlen hast du es mir allerdings nicht, weil deine Klugheit und Einsicht es dir verbot.«

»Meine Einsicht? Wieso?«

»Wieso?« wiederholte ich im Tone des Erstaunens seine Frage. »Weil du mir nichts zu befehlen hast.«

»Du irrst dich. Ich bin hier der Anführer und Gebieter!«

»Aber nicht der unserige. Der Sohn eines Scheikes erkennt keinen Gebieter über sich, und was mich betrifft, so bin ich zwar jetzt in diesem Augenblicke und während dieser Reise ein Händler, sonst und im übrigen aber der Reïs el Beledije von Dimiat. Was das heißt, wirst du wohl wissen, und nun bist du es, der stolz darauf sein kann, daß er bei mir sitzen darf. Ben Menelik, laß dich an meiner Seite nieder! Du bist ein treuer und geschickter Führer und ein freier Krieger vom Stamme der Monassir. Es beleidigt meine Würde nicht, wenn der Zipfel deines Gewandes den Zipfel des meinigen berührt.«

Der junge Mann kam dieser Aufforderung natürlich nach, freilich sehr gegen den Willen des Anführers. Auf diesen schien der »Bürgermeister von Dimiat« zwar einigen Eindruck gemacht zu haben, doch beabsichtigte er trotzdem, mir zu imponieren, denn er sagte:

»Du verfährst sehr selbständig, o Saduk el Baija. Wenn du wüßtest, wer ich bin, würdest du wohl weniger zuversichtlich sein.«

»Ich bin während meines ganzen Lebens noch niemals ohne Zuversicht gewesen; da du mir aber deinen Namen noch nicht gesagt hast, so hoffe ich, ihn jetzt zu erfahren.«

»Ich bin Ben Kasawi, der Unterhauptmann unsers Herrn.«

Ben Kasawi heißt Sohn der Grausamkeit, gewiß ein ominöser Name. Als der Mann ihn aussprach, sah er mich an, als ob er erwarte, mich erschrecken zu sehen; ich aber antwortete ihm in ruhigem Tone:

»Und mich benennt man in Dimiat mit dem Beinamen Abu Machuf, woraus du wohl ersehen wirst, daß ich ein Mann bin, der wohl Furcht und Angst verbreitet, sie aber niemals selbst empfindet. Den Beweis hast du an dir selbst erfahren, als ihr uns gefangen nehmen wolltet und es dabei doch so anders wurde, daß euer aller Leben in unsere Hände gegeben war. Dürfen deine Freunde, auch euer Herr, davon wissen, oder soll ich schweigen?«

Jetzt hatte ich ihn in die Enge getrieben. Ich hörte es dem Tone seiner Stimme an, als er antwortete:

»Was vorüber ist, soll man ruhen lassen, und so denke ich, daß dein Mund verschlossen bleiben wird. Wenn Ibn Asl morgen kommt, werde ich ihm berichten, daß ich euch getroffen habe; von den nähern Umständen braucht er nichts zu wissen. Die Leute, welche hier sind, werden schweigen, denn sie fürchten mich. Nun ist alles in Ordnung, und wir wollen uns zur Ruhe legen. Deine Nacht sei glücklich!«

»Deine Nacht sei gesegnet!« antwortete ich.

»Wir sind sehr schläfrig. Deine Nacht sei ohne Sandflöhe!« sagte Ben Nil.

Dieser kleine Kerl grüßte trotz der sehr bedenklichen Lage, in welcher er sich befand, mit einer Ironie, welche mich überzeugte, daß er sich der Gefahr, in welcher er schwebte, sehr wohl bewußt war, sie aber nicht fürchtete. In der Wüste hat man gar wohl Veranlassung, den Sandfloh zu scheuen. Dieses Insekt wird dadurch nicht nur unangenehm, sondern oft sogar gefährlich, daß sich das Weibchen unter den Nägeln der Zehen eingräbt, um dort Eier zu legen. Diese schwellen zur Größe eines Schrotkornes an und verursachen eine böse Entzündung, welche durch die auskriechenden Maden noch verschlimmert wird. Es giebt da keine andre Hilfe, als die Eier mit dem Messer auszugraben. Der Wunsch, des Nachts von diesem Ungeziefer verschont zu bleiben, ist also ein sehr berechtigter, doch hörte ich ihn als Nachtgruß hier zum erstenmal. Die Nacht war still. Die müden Kamele schliefen und die Menschen ebenso, doch bei den letztern gab es wohl einige Ausnahmen. Vier von ihnen waren, selbst als über eine halbe Stunde vergangen war, gewiß noch munter, nämlich ich, mein braver Ben Nil, der Anführer und der Häßliche.

Daß die beiden letzteren meinen Gefährten nicht als ihren Gast und Schützling betrachteten, glaubte ich annehmen zu dürfen. Infolgedessen hatten sie jedenfalls etwas gegen ihn vor. Ich als ihr erklärter Hamiji durfte nicht erfahren, was sie beabsichtigten. Was sie thun wollten, das mußte heimlich geschehen, also während der Nacht, und voraussichtlich schon während dieser Nacht. Darum nahm ich an, daß sie nicht schliefen. Es galt aufzupassen.

Sie gaben sich den Anschein, fest zu schlafen, und bewegten sich nicht. Ich holte tief und regelmäßig Atem wie ein Schlafender, und zwar so, daß sie es hörten. Ben Nil schnarchte sogar ein wenig, doch war ich überzeugt, daß auch er sich verstellte. Wir vier lagen so nahe nebeneinander, daß zwei nicht miteinander flüstern konnten, ohne daß es von den andern, wenn sie wachten, bemerkt worden wäre; aber sehen konnten wir uns nicht. Zwar schienen die Sterne, aber ihr Licht war hier unten am tiefen Fuße des Felsens nicht einmal hinreichend genug, die Haïks von dem hellen Sande und Steingrus unterscheiden zu lassen. Die beiden Sklavenjäger mußten sich miteinander verständigen; da dies nicht hier so nahe bei uns geschehen konnte, so war zu vermuten, daß sie sich entfernen würden, und das konnte vorsichtigerweise nur nach der von mir und Ben Nil abgelegenen Seite geschehen. Ich beschloß also, mich nach dieser Seite zu machen, um ihre Entfernung beobachten zu können.

Ich schob mich zu Ben Nil hin, legte ihm den Mund an das Ohr und flüsterte ihm die beiden Worte »bleib‘ liegen!« zu. Er antwortete nicht, berührte aber meine Hand mit der seinigen, um mir anzudeuten, daß er wach sei und mich verstanden habe. Dann kroch ich in einem Bogen weiter, bis ich an der andern Seite der beiden Sklavenjäger zu liegen kam. Dort sprang eine Kante des Felsens vor, hinter welcher ich es mir bequem machte. Ich hatte eine Weile zu warten; dann hörte ich, bevor ich etwas sah, ein leise knirschendes Geräusch.

Es bewegte sich jemand. Dann kamen sie an mir vorüber, nicht gegangen, sondern sie wälzten sich, um auf diese Weise zunächst so weit fort zu kommen, bis ihre Schritte nicht mehr zu hören waren. Ich schob mich hinter ihnen her. Bald standen sie auf und gingen. Ich folgte ihnen in der Weise eines vierfüßigen Tieres, indem ich mich auf Händen und Füßen fortbewegte. Glücklicherweise blieben sie nicht innerhalb des Kreises der Schläfer stehen, was das Belauschen natürlich sehr erschwert hätte, sondern sie gingen über denselben hinaus; dort setzten sie sich nebeneinander nieder.

Ich fragte mich, warum sie sich setzten und nicht stehen blieben. Einen aufrecht stehenden Menschen sieht man leichter als einen sitzenden. Wollten sie selbst auch von den Ihrigen nicht gesehen werden? Dann hatten sie die Absicht, ihr Vorhaben allein und ohne Zeugen auszuführen. Das war, wie ich bald erfuhr, ganz richtig vermutet. Den für mich günstigen Umstand, daß sie sich gesetzt hatten, benutzend, kroch ich so nahe zu ihnen heran, daß mein Kopf sich nur zwei Ellen vor ihnen befand. Da sie nicht laut sprachen, sondern flüsterten, durfte ich, um sie zu verstehen, nicht hinter, sondern vor ihnen liegen, was allerdings doppelt gefährlich war. Ich vertraute aber meinem guten Glücke, der herrschenden Finsternis und vor allen Dingen der Ähnlichkeit der Farbe meines Anzuges mit derjenigen der Umgebung. Sollte ich dennoch von ihnen bemerkt werden, so mußte ich entweder den Umständen nach schnell handeln oder eine Ausrede hervorsuchen.

Bei dem leisen Tone, in welchem sie sprachen, gingen mir viele ihrer Worte verloren, doch hörte ich so viel, daß ich mir den Zusammenhang zu konstruieren vermochte. Sie sprachen zunächst von mir; ich hörte den »Sohn der Grausamkeit« sagen:

»Ich stieß dich an, mir zu folgen, weil wir äußerst vorsichtig sein müssen. Was sagst du zu diesem Saduk el Baija?«

»Daß er kein gewöhnlicher Mann sein kann,« antwortete der Häßliche. »Zum Bürgermeister einer Stadt, wie Dimiat ist, macht man nur einen Menschen, welcher sich viel ausgezeichnet hat. Und daß man ihn dort Vater des Entsetzens nennt, ist ein Beweis, daß er mit seinen Untergebenen sehr streng verfährt.«

»So sind diese Beamten alle, gegen ihre Untergebenen streng und hart; sie selbst aber kümmern sich wenig um die Gesetze. Der Bürgermeister handelt mit Sklaven, was doch verboten ist. Aber darum fragte ich dich nicht; ich meinte es anders. Dieser Mann bekleidet zwar jetzt eine Civilstellung, ist aber jedenfalls Offizier gewesen. Das ist aus der Art und Weise zu ersehen, wie er sich gegen uns verhielt, als wir Ibn überrumpelten.«

»Nun, überrumpeln hat er sich ja gar nicht lassen; wir liefen, anstatt ihn zu überraschen, ihm in die Arme. Allah weiß es, das wir uns vor ihm schämen müssen. Es war ein Glück, daß er uns suchte; im andern Falle hätte er uns niedergeschossen, denn gegen so einen fränkischen Revolver kann man mit Messern und einläufigen Flinten nicht aufkommen. Er ist ein geistesgegenwärtiger und verwegener Kerl, was uns aber nur lieb sein kann, da er unser Freund und Verbündeter ist. Aus diesem Grunde müssen wir auch darüber hinsehen, daß er den hiesigen Brunnen kennen gelernt hat; aber der Knabe, welcher ihn begleitet, sollte von diesem Geheimnisse nichts wissen.«

»Das ist es, worüber ich mit dir reden will. Dieser Sohn der Monassir wird seinen Leuten natürlich mitteilen, daß es hier Wasser giebt, und sie werden infolgedessen hier so oft lagern, daß der Ort, ohne welchen wir nicht bestehen können, für uns verloren geht. Das muß verhütet werden.«

»Ganz richtig! Aber wie?«

»Sage du es!«

»Meinst du, daß wir ihn schwören lassen, das Geheimnis zu bewahren?«

»Das genügt nicht. Selbst wenn er den Schwur halten sollte, würde er für seine Person den Brunnen zuweilen benutzen, und das darf nicht geschehen, gar nicht davon zu sprechen, daß er dabei zufällig beobachtet werden kann, wodurch unser Geheimnis in noch viel größere Gefahr kommen würde. Der Schwur ist ein Schloß vor dem Munde; aber jedes Schloß ist zu öffnen. Man hat nur dann die volle Sicherheit, wenn der Mund für immer stumm gemacht worden ist.«

»Aber dieser Ben Menelik ist doch unser Gast! Er hat mit uns Wasser getrunken und deine Dattel gegessen!«

»Aber nicht von meiner Hand. Die Gabe des Willkommens bindet mich nur an denjenigen, dem ich selbst sie gereicht habe. Was andere thun, kann mich nicht verpflichten. Wenn der Bürgermeister dem Knaben das Wasser und die Datteln gereicht hat, so bin nicht ich es, sondern er ist es, welcher Freundschaft mit ihm geschlossen hat. Dieser Ben Menelik ist uns also gerade noch so fremd wie vorher, und wir haben nicht die mindeste Ursache, ihn zu schonen. Habe ich recht oder nicht?«

»Ich bin jetzt ganz derselben Meinung. Der Knabe muß schweigen; mit Sicherheit aber schweigt nur ein Toter, und darum soll er sterben.«

»Das habe ich von dir erwartet, und darum führte ich dich hierher, um mit dir zu reden. Wir beide müssen es allein thun. Es giebt unter unsern Männern doch welche, die den Knaben in Schutz nehmen würden, weil er den Willkommen, wenn auch nicht direkt von mir, erhalten hat.«

»Das war klug, und ich bin bereit zu handeln. Du willst also wohl nicht warten, bis unser Herr ankommt?«

»Nein, denn er würde über eine solche Zögerung zornig werden. Wer schnell handelt, handelt richtig.«

»So sage, wie wir es anzufangen haben! Es wird uns nicht leicht werden, den Burschen ohne alles Geräusch stumm zu machen. Und was wird der Bürgermeister sagen, wenn er sieht, daß sein Begleiter ermordet worden ist!«

»Ermordet? Um diesen Gedanken in ihm zu erwecken, müßten wir es sehr verkehrt anfangen. Mit dem Messer dürfen wir den Knaben nicht töten. Es wird ihn eine Assaleh, die giftigste Schlange der Wüste, beißen.«

»Wo soll die herkommen?«

»Denke doch an den Sahm es Samm, welchen mir der Takali-Häuptling schenkte! Der Mensch, welchem mit der Spitze dieses Pfeiles die Haut nur ganz leise geritzt wird, ist unbedingt verloren. Da du jünger und gewandter bist als ich, so gebe ich dir nachher den Pfeil, und du schleichst dich an den Knaben. Da er nur Sandalen trägt, so – –«

»Trägt er nicht Schuhe?« unterbrach ihn der Häßliche.

»Auch möglich. Aber einem Schlafenden ist der Schuh leicht auszuziehen, ohne daß er es bemerkt. Du stichst ihn mit der Pfeilspitze in die Zehe.«

»Er wird erwachen und schreien!«

»Nein, denn du brauchst ihn ja nur leicht zu ritzen. Er wird meinen, es habe ihn ein Sandfloh gestochen. Nach kurzer Zeit schwillt sein Körper an; das Bewußtsein schwindet ihm, und wenn am Morgen der Bürgermeister erwacht, sieht er ihn tot neben sich liegen und muß nach allen Anzeichen glauben, daß ihn eine giftige Schlange gestochen habe. Auf diese Weise ist es gar nicht möglich, daß ein Verdacht auf uns fällt, und der ›Vater des Entsetzens‹ wird nur froh sein, daß die Schlange nicht zu ihm gekommen ist.«

»Ja, so muß es gehen; so wird es gemacht. Der Gedanke ist ausgezeichnet. An den Giftpfeil habe ich gar nicht gedacht. Hole ihn! Ich werde deinen Auftrag sofort ausführen.«

»So schleiche dich jetzt zurück, und lege dich nieder! Ich komme nach und bin bald wieder bei dir.«

Sie erhoben sich, um den Platz zu verlassen. Das durfte ich nicht zugeben. Wenn ich es so weit kommen ließ, daß Ben Kasawi zu seinem Sattel kam, so setzte er sich in den Besitz des Giftpfeiles, einer Waffe, welche uns im Falle des Handgemenges äußerst gefährlich werden konnte.

Ich war in England und Amerika Zeuge von Kämpfen zwischen Preisboxern gewesen und hatte mich, um auch dies kennen zu lernen, bei einem namhaften Trainer im »Milling« geübt. Darum kannte ich den sogenannten Knock-down-blow jenen erfolgreichsten aller Boxerschläge, welcher mitten auf den Kopf geht und, gut geführt, den Gegner sofort zu Boden streckt. Dabei kommt es freilich vor, daß der Gegner bei Besinnung bleibt. Besser ist der Hieb gegen die Schläfe, welchen ich von dem Indianerhäuptling Winnetou gelernt hatte; nur ist aber die Schläfe eine so empfindliche Stelle, daß man einen Menschen, den man nur betäuben will, leicht erschlagen kann. Die beiden Sklavenjäger mußten betäubt werden; aber wenigstens Ben Kasawi war nicht mehr jung, und ich glaubte, bemerkt zu haben, daß sein Schädel keineswegs der starkknochige eines Indianers sei; darum gedachte ich, um ihn nicht etwa zu erschlagen, den Knock-down-blow anzuwenden. Ich lag so, daß sie an mir vorüber mußten. Ben Kasawi ging voran, ich wollte ihn vorüber lassen, um von hinten an ihn zu kommen und dann den ihm folgenden Häßlichen gleich griffrecht zu haben; aber sein Auge war zufälligerweise zu Boden gerichtet; er blieb schon beim zweiten Schritte stehen und sagte, ebenso leise wie immer bisher-.

»Was ist das? Hier liegt etwas. Das scheint ein Mensch zu sein, der uns behorcht hat. Ergreife den Kerl, und – –«

Weiter kam er nicht. Er hatte sich im Sprechen niedergebückt, um mich besser sehen zu können, und diese seine Stellung war für meine Absicht so bequem, daß ich sie augenblicklich benutzte. Er erhielt den Hieb und krachte förmlich zusammen. Im nächsten Augenblicke war ich vollends auf und hatte seinen Kumpan bei der Kehle. Auch er gab keinen Laut von sich – ein kurzes, krampfhaftes Schlingern der Arme und Beine, dann ließ ich den Besinnungslosen neben dem Anführer niedergleiten. Nun legte ich die beiden Hände mit den innern Flächen zusammen, hielt sie an den Mund und trillerte ein halblautes, aber trotzdem weithin hörbares »Krrraaaaärrr« hinein. Das klang ganz genau so wie die verschlafene Stimme eines halb aus dem Traume erwachten Geiers, das erwähnte Zeichen für den Lieutenant und den alten Onbaschi, mit ihren Leuten herab zu kommen. Dann kniete ich nieder, um mich der beiden Männer ganz zu versichern. Zu diesem Zwecke nahm ich ihnen die Tücher von den Köpfen, schob ihnen den einen Zipfel derselben als Knebel in den Mund und band die andern Ecken hinten zusammen; dann knüpfte ich ihnen die Hände hinten fest. Eben war ich damit fertig, als ich den Sand klingen hörte. Ich drehte mich um und gewahrte eine Gestalt, welche sehr vorsichtig herbeigekrochen kam. Wahrscheinlich war es Ben Nil; aber ich mußte als vorsichtiger Mann auch mit der Möglichkeit, es könne ein anderer sein, rechnen. Darum schnellte ich mich hin zu ihm, warf mich auf ihn, hielt ihm mit der Linken den Hals fest zu und befühlte mit der Rechten sein Gewand, um zu erfahren, wer er sei. Ja, es war Ben Nil. Er bäumte sich unter mir. Damit er nicht etwa in der Angst einen lauten Ruf ausstoße, drückte ich ihn noch kräftiger zu Boden, hielt ihn da fest, ließ ihm etwas mehr Luft und raunte ihm zu:

»Ich bin es. Schweig‘; sei ganz still!«

Seine Gegenwehr hörte sofort auf. Ich nahm das als ein Zeichen, daß er mich verstanden hatte, und gab seinen Hals frei. Um ganz sicher zu sein, fuhr ich ihm mit der Hand über den Kopf und das Gesicht, und als ich nun vollständig überzeugt war, daß es wirklich Ben Nil sei, ließ ich ihn vollends los und fragte:

»Warum kommst du mir nach, anstatt dort auf mich zu warten?«

»Ich hörte das Zeichen,« antwortete er.

»Ein anderes Mal aber hast du dich genau nach meinen Weisungen zu richten. Der Ungehorsam bleibt nicht immer so ohne Folgen wie jetzt. Bist du stark genug, einen Menschen zu tragen?«

»Ja, wenn er nicht gerade ein Riese ist.«

»So nimm diesen Kerl und folge mir.«

»Wer ist es? Was ist mit ihm geschehen, Effendi?«

»Davon später. Jetzt haben wir keine Zeit zum Plaudern.« Ich nahm Ben Kasawi auf und ging voran; Ben Nil folgte mir mit dem Häßlichen. Zunächst mußten wir leise gehen; je weiter wir uns aber entfernten, desto bequemer konnten wir es uns machen. So kamen wir an die Stelle, an welcher der Lieutenant rechts von der Höhe herab erscheinen mußte. Wir legten da unsere Lasten ab, um zu warten. Ich erzählte Ben Nil nun, was ich erlauscht hatte. Er nahm es, ohne zu erschrecken, auf und sagte nur:

»So hast du mir also das Leben abermals gerettet, und meine Schuld wird immer größer. Was gedenkst du nun zu thun? Bist du noch immer entschlossen, die Mörder mit List zu behandeln? Wäre es nicht besser, sie zu überfallen und einfach niederzuschießen oder zu erstechen? Wir werden mit ihnen fertig sein, ehe sie Zeit zur Gegenwehr gefunden haben.«

»Das mag sein; aber ich morde nicht. Es ist bis jetzt so gut gegangen, daß ich gar keinen Grund habe, mich plötzlich anders zu entschließen. Nun der Anführer sich in unserer Gewalt befindet, werden wir auch die andern bekommen.«

Jetzt ließ sich das Geräusch nahender Schritte von oben herab vernehmen, und als ich an dem Felsen hinauf gegen den Sternenhimmel blickte, sah ich die Asaker, welche einer hinter dem andern herabgestiegen kamen. Ich wartete, bis sie in guter Hörweite waren, und rief sie dann an, um ihnen mitzuteilen, daß ich hier sei, sonst hätten sie vielleicht, uns gewahrend, Lärm gemacht. Bald standen sie neben uns. Sie hatten sich sehr in acht genommen, und ich war überzeugt, daß das Geräusch, welches sie trotz aller Vorsicht hatten verursachen müssen, in dem Lager der Sklavenjäger nicht gehört worden sei.

»Wir haben dein Zeichen vernommen und sind sofort gekommen, Effendi,« meinte der Lieutenant. »Ich nehme an, daß du durch List nichts zu erreichen vermochtest und uns nun den Überfall erlauben wirst.«

»Du irrst. Die List hat Erfolg gehabt und wird uns, wie ich hoffe, ohne Kampf zum Ziele führen. Mein Plan wird nur dann mißlingen, wenn ihr unvorsichtig seid. Hier liegen zwei Gefangene. Es ist Ben Kasawi, der Unteranführer von Ibn Asi, welcher morgen nachkommen wird, und einer seiner Leute.«

»Wie? Du hast Ben Kasawi gefangen? Wie konntest du das fertig bringen, ohne daß seine Leute ihm beistanden?«

»Durch die List, zu welcher du kein Vertrauen hast. Später wirst du alles erfahren; jetzt müssen wir handeln. Ist der Onbaschi auch unten?«

»Ja; er brach zu gleicher Zeit mit mir auf und wird sich nun jenseits des Lagers befinden, um deine Befehle zu erwarten.«

»Wer ist oben geblieben?«

»Dein Selim und zwei Kamelwächter.«

»O weh, was hast du da gethan? Das durftest du nicht wagen.«

»Ich habe nichts gewagt. Oder sind zwei Männer zur Beaufsichtigung der Kamele nicht genug?«

»Gewiß. Aber ich denke jetzt nicht an diese Tiere, welche übrigens nicht davonlaufen würden, auch wenn kein Wächter bei ihnen wäre; ich sorge mich vielmehr um die Gefangenen.«

»Die sind uns sicher, denn Selim sitzt bei ihnen. Ich weiß, daß er zuweilen Dummheiten macht und habe ihn daher nicht mitgenommen; er hätte leicht alles verderben können.«

»So! Seines Leichtsinnes wegen schlossest du ihn aus, aber die wichtigen Gefangenen vertrautest du ihm an? War das klug gehandelt? Es ist aber nicht zu ändern, da wir keine Zeit verlieren dürfen. Ich werde euch erklären, was zu geschehen hat; tretet also herbei, damit ich nicht zu laut zu sprechen brauche!«

Nachdem sie einen Kreis um mich geschlossen hatten, fuhr ich fort:

»Die beiden Gefangenen, welche ihr hier liegen seht, sind gefesselt und geknebelt; sie hatten das Bewußtsein verloren, werden nun aber wieder zu sich gekommen sein. Einer von euch bleibt bei ihnen zurück, um sie zu bewachen. Ich gebe ihm die Erlaubnis, beide sofort zu erstechen, falls sich nur einer von ihnen bewegen sollte. Die übrigen von euch folgen mir nach dem Lager der Feinde. Diese sind so unvorsichtig gewesen, keine Posten auszustellen. Das Lager befindet sich nicht ganz fünfhundert Schritte von hier, und ich muß es euch beschreiben. Wenn man sich demselben von hier aus nähert, kommt man zunächst an den Brunnen, an welchem ich und Ben Nil mit diesen zwei Gefangenen lagen; jetzt befindet sich niemand dort. Am Felsen weiterhin haben die Sklavenjäger alle ihre Flinten abgelegt, was von ihnen sehr albern war, für uns aber ganz vortrefflich ist. Rechts davon, mehr nach der Mitte des Wadi hin, lagern sie ungefähr in einem Kreise, innerhalb dessen sich die Sklavinnen befinden. Jenseits dieses Kreises liegen die Kamele. Die Hauptsache ist, daß wir uns der Gewehre bemächtigen, und das ist gar nicht schwer. Haben sie keine Flinten, so sind sie ganz in unsere Hand gegeben, denn mit ihren Messern oder Pistolen können sie uns, die wir sie einschließen, nicht erreichen. Um zum Zwecke zu gelangen, legt ihr hier euere Gewehre ab, die euch hinderlich sein würden; ich gehe voran; Ben Nil folgt mir; dann kommt der Lieutenant, und hinter diesem gehen die andern, jeder zwei Schritte nach seinem Vordermanne. Wenn ich mich niederlege, um zu kriechen, habt ihr diesem Beispiele zu folgen und alles Geräusch zu vermeiden. Lange ich als der vorderste bei den Flinten an, so nehme ich dieselben einzeln weg, um sie euch zuzureichen; ihr gebt sie weiter nach hinten, bis jeder zwei Stück hat oder drei; dann werden sie alle sein. Dann erhaltet ihr von mir das Zeichen zur Rückkehr; ihr dreht euch um und schleicht euch, einer hinter dem andern, in umgekehrter Reihe als vorher von dannen. Was dann zu geschehen hat, werdet ihr noch erfahren.«

Das war so deutlich, daß mich keiner mißverstanden hatte. Ich suchte einen Mann aus, welcher die hier zu lassenden Gewehre und die Gefangenen zu bewachen hatte. Bevor wir aufbrachen, fragte der Lieutenant:

»Du hast etwas Wichtiges vergessen, Effendi. Was soll geschehen, wenn wir entdeckt werden?«

»Sehen kann uns niemand; nur ein Geräusch könnte uns verraten. In diesem Falle würde der Betreffende näher kommen, um nachzusehen, wodurch dasselbe verursacht worden ist, und ich als der vorderste von euch würde ihn auf mich nehmen, und zwar so, daß es ihm unmöglich wäre, Lärm zu schlagen. Auf alle Fälle aber habt ihr euch vor Kampf zu hüten. Sollte etwas Unberechenbares geschehen, so eilt ihr schnell nach hier zurück. Jetzt vorwärts hinter mir!«

Ich glaube, dieser heimliche Gänsemarsch nach dem feindlichen Lager erschien den Leuten viel interessanter als ein Überfall desselben. Sie gaben sich die möglichste Mühe, meinen Weisungen nachzukommen, und ich muß sagen, daß ich aufpassen mußte, wenn ich den Sand unter ihren Füßen knirschen hören wollte. In der Entfernung von fünfzig Schritten vom Lager legte ich mich nieder und begann, zu kriechen; als ich mich umsah, lag Ben Nil auch am Boden und die folgenden jedenfalls ebenso. Ich hielt mich hart links an die Felsenwand. Es war eine wahre Freude, wie still und geräuschlos die Asaker sich hinter mir durch das Dunkel bewegten. Wir kamen am Brunnen vorüber, und nun galt es, doppelt und zehnfach vorsichtig zu sein, denn zu unserer Rechten lagen die nächsten Schläfer. Und nun, endlich, endlich! kam ich zur Stelle, an welcher die Flinten lagen. Ich ergriff eine nach der andern und gab sie Ben Nil, welcher sie weiter reichte. Als ich ihm die letzte gegeben hatte, flüsterte ich ihm zu:

»Jetzt zurück; sage es weiter! Ich komme später nach.«

»Du gehst nicht mit, Effendi? Wohin willst du?«

»Zu dem Onbaschi, um ihm zu sagen, wie er sich zu verhalten hat.«

»Mitten durch die Feinde! Effendi, das ist höchst gefährlich. Darf ich mit?«

»Nein; ich kann dich nicht brauchen. Deine Begleitung würde die Gefahr für mich erhöhen. Sorge lieber dafür, daß die andern nichts Dummes begehen!«

»Ich gehorche, Effendi; aber nimm dich ja sehr in acht, und laß uns nicht allzu lange auf dich warten!«

Der gute Junge sorgte sich um mich! Er gab meinen Befehl weiter; die Reihe machte Kehrt und bewegte sich mit den erbeuteten Waffen zurück. Mir fiel es natürlich nicht ein, meinen Weg mitten durch das Lager zu nehmen, vielmehr bewegte ich mich eine kleine Strecke zurück und wendete mich dann hinüber nach der andern Seite des Wadi. Das Ufer des Thales bestand auch dort aus steilen Felsen, und ich fand es so, wie ich vermutet hatte: die Sklavenjäger lagerten nicht bis ganz hinüber, so daß es zwischen inen und dem Felsen einen freien Raum gab, welchen ich ohne Gefahr zu passieren vermochte. Als ich nun das Lager im Rücken hatte, ging ich weiter, um auf den Onbaschi zu treffen; es gab auch da ungefähr fünfhundert Schritte zurückzulegen. Als ich etwas über vier Fünfteile dieses Weges hinter mir hatte, ließ ich das erwähnte Zeichen hören, damit der alte Korporal meine Annäherung erfahren und mich ja nicht für einen Feind halten und Lärm machen solle. Er hatte auch sofort, als er es hörte, gewußt, woran er war, denn er kam mir eine kleine Strecke entgegen und sagte, als er auf mich traf:

»Bist du es, Effendi? Es ist gut, daß du das Zeichen gabst, sonst hätten wir dich feindlich empfangen. Wie stehen die Dinge? Können wir zum Angriffe schreiten?«

Ich machte ihn mit der Lage der Sache bekannt und gab ihm dann meine Anweisungen. Ich führte ihn und seine Leute soweit vor, daß zwischen ihnen und dem Lager ein Raum von höchstens hundert Schritten blieb. Dort mußten sie dasselbe in einer Reihe halb umfassen, und zwar so, daß der rechte Flügelmann dicht am Felsen stand und die andern, einen Viertelkreis bildend, nach links hinüber reichten. In derselben Weise wollte ich die Leute des Lieutenants jenseits aufstellen, so daß der äußerste Mann desselben mit dem äußersten des Onbaschi Fühlung bekam. Dann bildeten die Asaker einen Halbkreis, welcher das Lager vollständig umschloß und dessen Durchmesser der unersteigliche Felsen war, an dessen Fuße der Brunnen lag. So konnte uns keiner der Sklavenjäger entwischen, und ich gab Befehl, auf jeden, welcher den Versuch machen werde, durchzubrechen, zu schießen.

Jetzt hätte ich eigentlich direkt zu dem Lieutenant zurückkehren sollen, aber ich dachte an die Sklavinnen und an ihre Angst, falls geschossen werden sollte. Es war nicht nur möglich, sondern sogar wahrscheinlich, daß sie fliehen und dadurch meinen Leuten arg zu schaffen machen würden. Darum hielt ich es für geraten, sie zu benachrichtigen; ein wenig gefährlich war das wohl, aber nicht gar sehr. Ich kroch also dem Lager zu und nahm als Ziel die Stelle, wo das Zelt stand, von dem ich gesehen hatte, daß sich in demselben Marba, die Tochter des Scheiks der Fessarah, befand.

Es galt, den Kreis der Sklavenjäger zu durchbrechen, und ich fand bald eine Lücke, welche mir hinlänglich Raum gewährte. Diese Leute mußten sich hier für sehr sicher halten, denn sie schliefen wirklich wie die Ratten. Ich kam glücklich durch und gelangte bis an das betreffende Zelt. Eigentlich hätte doch wenigstens vor jedem Zelte ein Wächter sein müssen, aber auch das war nicht der Fall.

Die Matte, welche die Thüre bildete, war herabgelassen; ich hob sie ein wenig empor und horchte hinein. Ich hörte atmen, und zwar schien es, als ob sich eine beträchtliche Anzahl Schläferinnen hier befänden. Ein Geräusch sagte mir, daß sich eine derselben umwendete; bald hörte ich es wieder, und dieses Mal war es von einem Seufzer begleitet. Ich erriet, daß die Scheikstochter infolge der erhaltenen Schläge nicht schlafen konnte und sich vor Schmerzen von einer Seite auf die andere warf.

»Marba!« sagte ich zwar leise, doch so, daß sie es hören mußte. Da niemand antwortete, so wiederholte ich das Wort mehreremale, bis ich eine unterdrückte Stimme fragen hörte:

»Wer ruft? Wer ist da?«

»Jemand, der euch die Freiheit bringt. Komme näher; ich muß mit dir reden.«

»Die Freiheit? O Allah, Allah! Wer bist du?«

»Sei ohne Sorge! Ich gehöre nicht zu den Sklavenjägern; ich bin ein Fremder und habe mich in das Lager geschlichen, um dir zu sagen, daß ihr wenig später als mit Tagesanbruch frei sein werdet.«

»Das ist Lüge! Hier in diesem Wadi verkehren nur unsere Peiniger, und kein Mensch wird es wagen, sich mitten unter diese Leute zu schleichen.«

»Ich spreche die Wahrheit; du wirst es erfahren.«

»Wenn ich dir glauben Soll, so schwöre bei dem Barte des Propheten!«

»Das thue ich nicht, denn ich bin ein Christ und schwöre nicht.«

»Ein Christ? O Allah! Bist du etwa der fremde Effendi, der jenseits des Bir Murat ganz allein Malaf und seine Begleiter besiegt und ihnen ihre Gefangenen abgenommen hat?«

»Ja, der bin ich allerdings.«

»So glaube ich dir. Warte, ich komme, ich komme!«

Es entstand im Innern des Zeltes eine anhaltende Bewegung; es rauschte und knisterte da und dort; leise, ganz leise Worte wurden gewechselt: Marba weckte ihre Gefährtinnen.

»Es könnte zufällig jemand kommen und mich hier sehen. Im Zelte ist es für mich sicherer. Erlaubt, daß ich hinein komme!«

Indem ich diese Worte sagte, kroch ich auch schon unter der Matte hinein und blieb hinter derselben sitzen.

»Um Allahs willen, thue das nicht!« antwortete Marba. »Kein Mann darf das Zelt der Frauen betreten!«

»Dieses Gesetz erleidet im jetzigen Falle eine Ausnahme. Wenn ich entdeckt und ergriffen werde, kann ich euch nicht befreien.«

»Du hast recht, und da du ein Christ bist, so dürfen wir dir vertrauen. Sage uns nur vor allen Dingen, ob es wahr ist, daß du uns befreien willst!«

»Es ist wahr. Wir haben die Spur Ibn Asl’s gefunden und das Lager mit unsern Asakern eingeschlossen. Nun warten wir, bis der Tag anbricht und die Schläfer erwachen.«

»Hat mein Vater euch gesandt?«

»Nein. Wir kommen im Auftrage des Khedive, welcher den Sklavenhandel verboten hat. Aber du nanntest mich den fremden Effendi. Hat man in deiner Gegenwart von mir gesprochen?«

Sie war herbei gekommen; sie saß neben mir; ich hörte das, als ihre Antwort ganz nahe bei mir erklang:

»Man wußte nicht, daß ich es hörte. Es war gestern, als mehrere Männer in unser Lager kamen; der eine war ein Türke und der andere ein Fakir. Wir lagerten am Palmenwalde des Bir Murat, und ich lehnte an dem Stamme einer Palme; da kamen sie, stellten sich in meiner Nähe auf und sprachen von dir.«

»Was sagten sie?«

»Daß ein Mann, welcher Reïs Effendina heißt, seinen Lieutenant zu dir gesandt hat, wozu, das konnte ich nicht verstehen, aber ich merkte, daß sich alle vor dir fürchteten. Die beiden Ankömmlinge erzählten einiges von dir und sprachen lauter Böses.«

»So wirst du mich wohl auch für einen bösen Menschen halten?«

»O nein, Effendi, denn wenn böse Menschen über einen andern bös reden, so ist er gewiß gut, und wenn sie sich gar vor ihm fürchten, so muß er doppelt gut sein.«

»Aber ich bin ein Christ. Darfst du einen Andersgläubigen gut nennen?«

»Warum nicht? Die Fessarah sind nicht so starre Muhammedaner, wie du denkst. Es sind schon einigemal Franken bei uns gewesen, welche Christen waren, und sie alle waren sehr kluge und sehr gute Menschen. Diejenigen aber, welche uns geraubt haben, sind Muhammedaner. Welche Religion ist da die bessere?«

»Die christliche; das kannst du mir glauben. Der Christ kennt keine Sklaverei; er ist ein Sohn der ewigen Liebe und befleißigt sich der Geduld, Sanftmut, Freundlichkeit und Barmherzigkeit; euch aber hat man nicht nur geraubt, sondern sogar geschlagen.«

Sie schwieg, aber ein leises Knirschen ihrer Zähne sagte mir, welche Seite in ihr ich berührt hatte.

»Ich werde Ben Kasawi und seinen Genossen dafür züchtigen,« fuhr ich fort; »sie können uns nicht entgehen, und auch Ibn Asl selbst wird in unsere Hände fallen.«

»So mußt du ihn hier erwarten, denn er blieb mit einigen Männern zurück, um am Bir Murat auf dich zu lauern und dich aus dem Hinterhalte zu erschießen.«

»Er kommt, wie ich gehört habe, heute hier an; ich werde Ihn empfangen.«

»So bitte ich, dich vor Libban sehr zu hüten!«

»Wer ist Libban?«

»Ein früherer Askari, welcher lange Zeit im Sudan gelebt und da gelernt hat, mit Pfeil und Bogen umzugehen. Er trifft sehr genau. Vor einiger Zeit haben mehrere Sklavenjäger von einem Takali-Häuptlinge Giftpfeile geschenkt bekommen; außer demjenigen von Ben Kasawi, welcher den seinigen behalten hat, sind diese Pfeile alle an Libban abgegeben worden, weil dieser der beste Schütze ist, und jetzt ist er mit Ibn Asl, um einen solchen Pfeil auf dich zu schießen. Ibn Asl sagte, eine Kugel werde unter Umständen nur verwunden, ein Giftpfeil aber sei auf alle Fälle tödlich.«

»Das ist sehr gut gemeint von diesem lieben Mann, und ich werde mich dafür bei ihm bedanken.«

»Thue es, thue es, Effendi! Nach dem, was ich von dir gehört habe, bist du der richtige Mann, uns zu rächen. Du weißt nicht, was wir erduldet haben. Jetzt will ich nicht davon sprechen, aber später werde ich es dir erzählen. Schade, daß es dunkel ist! Ich würde mich sehr darüber freuen, dein Angesicht sehen zu können. Könntest du uns unsern Vätern und Brüdern wiederbringen, wir würden mit Jubel empfangen, und niemals, niemals würden die Beni Fessarah den Namen des Mannes vergessen, welcher ihre Frauen und Töchter vor der Schande der Sklaverei bewahrt hat.«

»Ich hoffe mit Zuversicht, daß ihr die eurigen wiedersehen werdet!«

»Und die Gräber der Ermordeten! Effendi, wirst du die Mörder unsern Kriegern überliefern?«

»Diese Frage kann ich jetzt noch nicht beantworten, da das Schicksal der Räuber nicht von mir allein abhängt. Auch muß ich mich jetzt entfernen. Ich kam nur für einen Augenblick, um euch mitzuteilen, daß Helfer in der Nähe sind. Ihr würdet, falls es zum Kampfe kommen sollte, jedenfalls sehr erschrecken; nun aber wißt ihr, was es giebt, und ich bitte euch, ganz ruhig in euern Zelten zu bleiben, was meinen Leuten ihre Aufgabe sehr erleichtern wird.«

»Allah sei Dank! Die Räuber werden mich nicht mehr schlagen, und auch keinen andern Menschen mehr wird ihre Peitsche treffen.«

Sie sagte das in einem hastigen und entschlossenen Tone, als ob sie es sei, die über das Schicksal dieser beiden Männer zu bestimmen habe. Ich fragte sie noch, an welchem Orte die Fackeln aufbewahrt würden, und erfuhr, daß sich zwei oder drei hier in dem Zelte befanden; diese ließ ich mir geben und nahm dann Abschied. Marba reichte mir die Hand, und auch die andern kamen herbeigehuscht, um dasselbe zu thun; dann kroch ich hinaus. Ich kam unbemerkt durch die Schläfer und suchte nun den Lieutenant auf. Bei demselben angekommen, gab ich ihm meine Weisungen, und er ging mit seinen Leuten ab, um in die bereits beschriebene Stellung einzurücken. Ich blieb mit Ben Nil und dem Askeri, welcher die beiden Gefangenen bewacht hatte, bei denselben zurück.

Wir befanden uns hinter einer so plötzlichen Windung des Wadi, daß man uns von dem Lager aus, selbst wenn ein Feuer brannte, nicht sehen konnte. Darum steckte ich eine Fackel an, um die Gefesselten zu sehen. Sie hatten, wie mir der Wächter sagte, sich zuweilen nur ganz leise zu bewegen gewagt. Ich ließ ihnen die Knebel abnehmen, zog das Messer, drohte ihnen mit demselben und sagte: »Kein lautes Wort! Wer einen Ruf ausstößt, bekommt sofort das Messer! Ihr könnt zu mir sprechen, aber nur ganz leise.«

Sie sahen mich starr an. Mich hier zu sehen, das hatten sie nicht erwartet. Sie wußten noch gar nicht, wer derjenige, der sie niedergeschlagen hatte, gewesen war.

»Du bist es, du?« stieß Ben Kasawi hervor. »Was fällt dir ein. Wie kannst du uns, deine Gastfreunde, in dieser Weise behandeln!«

»Wer mein aufrichtiger Freund ist, wir auch derjenige meines Begleiters sein.«

»Das sind wir ja.«

»Nein. ihr wolltet ihn töten. Ich habe jedes eurer Worte gehört. Sein Mund sollte zum Schweigen gebracht werden, und ihr glaubtet, ich würde die Spitze eines Takali-Pfeiles für den Zahn einer Giftschlange halten. Solche Leute, solche Meuchelmörder können nicht meine Freunde sein. Allah vergilt jede That des Menschen, und auch ihr werdet nach eurem Thun gerichtet werden.«

»So ist Allah der Richter, aber du bist es nicht. Gieb uns frei! Wenn Ibn Asl kommt, wird er sehr zornig über unsere Behandlung sein.«

»Allerdings! Aber sein Zorn wird sich mehr gegen euch als gegen mich richten. Er wird es wohl nicht für möglich halten, daß solche Männer, wie ihr sein wollt, sich auf eine so leichte Weise fangen lassen.«

»Ich verstehe dich nicht. Du hast doch nur einen allerdings zu weit gehenden Scherz mit uns getrieben?«

»Scherz? O nein! Mit Leuten eures Gelichters scherze ich nicht.«

»Aber du willst doch Geschäfte mit uns machen; du willst Sklaven von Ibn Asl nehmen!«

»Das ist sehr wahr. Nehmen will ich sie, aber nicht etwa bezahlen. Ich nehme Sklaven und gebe Flintenkugeln dafür.«

»Du scherzest immerfort. Rede doch vernünftig, damit wir wissen, woran wir sind! Und binde uns los, sonst wird es dir von Ibn Asl schlimm ergehen!«

»Pah! Auch ihr hattet es schlimm mit mir vor, und was war die Folge! Ihr seid jetzt zum zweitenmal in meine Hand geraten. Und euern Ibn Asl fürchte ich nicht mehr als euch. Ich kenne Ihn und auch seine Absichten. Er hält sich am Bir Mutat verborgen, um mir durch Libban einen Giftpfeil geben zu lassen.«

»Libban! Was weißt du von ihm? Ich habe ja gar nicht von ihm gesprochen. Und der Pfeil ist doch nicht für dich bestimmt.«

»Natürlich für mich!«

»Nein, sondern für den fremden Effendi, den Christenhund.«

»Also doch für mich!«

»Für – –!«

Er brachte nur dieses erste Wort hervor und starrte mich, ebenso wie der Häßliche, voller Entsetzen an. Dann nach einer Weile stotterte er:

»Wie? Du – du wärst dieser – dieser Effendi?«

»Natürlich!«

»Und hättest dich so verwegen mitten unter deine Feinde gewagt?«

»Allerdings! Du bist ein Dummkopf sondergleichen. Du hattest von mir gehört; als ich euch, zehn Mann stark, ganz allein im Schach hielt, hättest du sofort vermuten sollen, daß ich dieser Effendi sei. Der Reïs Effendina hat mich aufgefordert, euch zu fangen und euch die Sklavinnen abzunehmen. Jetzt lauert der berühmte Ibn Asl am Brunnen Murat auf mich, und während Allah ihm die Augen blendet, befinde ich mich hier und nehme den ganzen Trupp, die ganze Karawane gefangen.«

»Das soll dir schwer werden! Meine Leute werden sich wehren.«

»Wehren? Sie schlafen alle. Ich habe meine Asaker an den Brunnen geführt, um die Gewehre zu holen, die ihr so einfältigerweise zusammengelegt hattet. Da, schau her!«

Die Flinten lagen in der Nähe; ich ließ den Schein der Fakkel auf sie fallen.

»O Allah, O Prophet, o ihr Kalifen!« rief Ben Kasawi aus. »Das sind unsere Gewehre, wirklich unsere Gewehre!«

»Ja, sie sind es. Und nun haben meine Asaker euer Lager umstellt und warten nur auf mein Zeichen, um über dasselbe herzufallen. Es sind ihrer mehr als genug, um mit euch fertig zu werden. Übrigens habe ich es Marba gesagt, daß wir gekommen sind, sie und ihre Gefährtinnen zu befreien. Die Sklavinnen wissen sich also unter unserm Schutze, und ihr habt sie nun als Feindinnen, welche jeden Widerstand gegen uns erschweren werden, in eurer Mitte.«

»O Allah, behüte uns vor dem Teufel und allen seinen Gehilfen! Wer hätte das gedacht; wer konnte das auch nur leise ahnen! Du hast uns belogen, schändlich belogen, Effendi. Deine Heimtücke – –«

»Schweig! Schimpfe nicht, sonst bekommst du die Peitsche! Wenn Menschenjäger, Räuber und Mörder von Heimtücke sprechen, so schlägt man sie auf das Maul. Mit räudigen Hunden verfährt man anders als mit den edlen Wächtern des Zeltes. Mit Leuten, welche Tausende ihrer Nebenmenschen ins Elend jagen und, um dies zu erreichen, ebenso Tausende morden, welche Dörfer verwüsten, Palmenhaine umhauen, sogar rechtgläubige Dijaüberfallen und hundert andere Schändlichkeiten begehen, ich sage, mit solchen Leuten verfährt man nicht nach den Gesetzen und Vorschriften, nach denen man ehrliche Leute behandelt. Ich habe euch überlistet; das ist alles; von Heimtücke kann keine Rede sein. Wenn ein Panther eure Herden lichtet, und ihr beschleicht Ihn, um ihn zu töten, ist das Heimtücke von euch? Nein, es ist nur Notwehr. Sklavenjäger aber stehen noch tief, tief unter dem wildesten Tiere. Es liegt in der Natur des letzteren, sich durch Raub zu ernähren; der Mensch aber soll ein Abbild Gottes sein, welcher die ewige Liebe ist. Ein reißendes Tier tötet seine Beute mit einem einzigen Schlage seiner Tatze; ihr aber bringt diejenigen, welche in eure ruchlosen Hände fallen, in ein Elend, welches erst nach vielen Jahren endet. Ihr seid keine Menschen mehr, sondern die verächtlichsten und verworfensten Kreaturen, welche die Erde trägt. Darum ist es die Pflicht eines jeden braven Mannes, euch auszurotten, und wenn man dies durch List versucht und auch erreicht, so ist das keineswegs verdammlich, sondern im Gegenteile sehr löblich gehandelt.«

»Nun,« knirschte Ben Kasawi, »wenn du uns mit wilden Tieren vergleichst, so fürchte unsere Tatzen! Du hast zwar die Flinten meiner Leute gestohlen, aber sie haben noch ihre Messer und Pistolen.«

»Was können sie damit gegen unsere Gewehre ausrichten? Und sie schlafen ja. Ein einziges Wort von mir, und ihr Schlaf verwandelt sich in den Tod.«

»Wage das nicht! Ibn Asl würde sich entsetzlich rächen.«

»Wie denn? Sobald er kommt, läuft er mir in die Hände.«

»Selbst wenn du ihn ergreifst, hast du noch viele andere, mächtigere zu fürchten. Denke nur an den Mokkadem der heiligen Kadirine und an den Muza’bir, welche schon längst deine Feinde sind! Sie halten zu uns, und was du uns thust, das ist, als ob es ihnen geschehen sei.«

»Das gebe ich zu, und darum sollen sie mit ganz demselben Maße gemessen werden, nach welchem ihr von uns zu messen seid. Ihr seid gefangen und seht eurer Bestrafung entgegen; ganz dasselbe ist auch mit ihnen der Fall.«

»Mache mir das nicht weis. Du würdest niemals wagen, deine Hand an den Mokkadem zu legen.«

»Ich habe dieses ›Wagnis‹ nun nicht mehr nötig, weil es bereits geschehen ist. Gerade die beiden, welche du nanntest, liegen da oben auf dem Felsen, genau ebenso gefesselt wie ihr.«

»Das ist – – das ist – –«

»Wahr, vollständig wahr!« fiel ich ein und erzählte ihm den Sachverhalt ausführlich. Die Kerle fühlten sich tief beleidigt, aber auch ebenso tief beschämt. Sie wußten, daß ich ihnen jetzt die volle Wahrheit mitgeteilt hatte; sie waren überzeugt, daß wir uns wirklich in dem Besitze des Mokkadem und des Muza’bir befanden. Wenn ich es gewagt hatte, mich an dem erstern zu vergreifen, nun, so war keine Hoffnung vorhanden, daß ich mich vor ihnen selbst fürchten und sie schonen würde. Diesen Eindruck vertiefte ich durch die Hinzufügung:

»Was soll ich nun mit all dem Ungeziefer thun, welches ich gefangen habe und noch fangen werde? Es von der Erde vertilgen, wie es die Menschenpflicht mir vorschreibt! Als Sklavenjäger steht ihr unter einem andern Richter; aber ihr habt meinen Gefährten vergiften wollen; darauf setzt das Gesetz der Wüste und die Sorge für unsere Sicherheit den Tod. Ihr habt sehr wenig Zeit, euch auf denselben vorzubereiten. Ich werde kurzen Prozeß mit euch machen.«

»Das könntest du nicht verantworten!« fuhr Ben Kasawi auf. »Wir sind Unterthanen des Khedive, du aber bist ein Fremder!«

»Ihr handelt gegen die Gesetze des Khedive und erkennt ihn also nicht als euern Herrn und Regenten an; folglich ist nur nach Wüstenrecht mit euch zu verfahren. Ihr werdet zertreten wie die Mistkäfer, auf welche die Füße der Kamele treffen.«

»So willst du, ein Christ, Menschenblut vergießen? Du sagtest vorhin, daß der Christ ein Diener der ewigen Liebe sei!«

»Aber er ist auch zugleich ein Diener der ewigen Gerechtigkeit.Jetzt, wo es dir an das Leben geht, nimmst du deine letzte Zuflucht zu meinem Glauben, zu meiner Lehre; vorhin aber nanntest du mich einen Christenhund. Nun wird der ›Hund‹ dein Richter sein.«

»Wir wissen, daß du im Auftrage des Reïs Effendina handelst; du hast uns also an ihn auszuliefern!«

Ah, er hatte also Angst; er glaubte, daß ich seinen Tod wolle. Die sonst gewiß gefürchtete Auslieferung an den Reïs Effendina schien ihm jetzt die einzig mögliche Rettung zu bieten. Das war mir sehr lieb, denn nun brauchte ich ihm keine großen Versprechungen zu machen, um ihn zu bewegen, seine Leute vom Widerstande abzuhalten. Ich durfte nun hoffen, daß kein Blut fließen werde, mußte aber leider sofort erfahren, daß diese Hoffnung eine trügerische war, denn eben jetzt ertönte eine überlaute, schnarrende Stimme von der Felsenhöhe herab:

»Halt an, halt an; bleib hier, bleib hier!« Das war die Stimme Selims, des »Schleuderers der Knochen«. Ich erriet sogleich, was seine Worte zu bedeuten hatten. Einer der Gefangenen war entflohen; vielleicht waren beide fort. Der Lärm mußte die Sklavenjäger wecken. Jetzt brüllte der Kerl mit einer wahren Löwenstimme von oben herab:

»Effendi, Effendi, paß auf! Der Mokkadem und der Muza’bir sind fort!«

So ein Unglücksmensch! Ich war wütend auf ihn. Also ich sollte aufpassen; er aber hatte nicht aufgepaßt. Wer sollte die Entflohenen in dieser Finsternis sehen, verfolgen und ergreifen? Das war ganz unmöglich. Man mußte sie laufen lassen. Aber in anderer Beziehung galt es, rasch zu handeln. Ich gebot dem Wächter:

»Du bleibst mit Ben Kasawi hier und haftest mit deinem Kopf für ihn. Sollte einer der Entflohenen hier herabkommen, So schießest du ihn nieder!«

Und zu dem Häßlichen mich wendend, fuhr ich fort:

»Dich werde ich jetzt durch die Linie meiner Asaker, welche euer Lager umschließt, bringen. Du sagst deinen Leuten, daß sie umzingelt sind. Ich habe Befehl gegeben, jeden von euch, welcher sich aus dem Lager wagt, zu erschießen. Teile das deinen Genossen mit, und warne sie! Wenn sie dieser Warnung gehorchen, werde ich vielleicht Milde walten lassen.«

Ich löste seine Fesseln, nahm ihn beim Kragen und schob ihn vor mir her. Ben Nil ging mit. Bei unserer Linie angekommen, ließ ich den Menschen los, und er machte sich schleunigst aus dem Staube. Nun war abzuwarten, für welches Verhalten die Sklavenjäger sich entschließen würden. Die Asaker mußten sich zu Boden legen, weil sie, gegen den Himmel blickend, da jeden Annähernden leichter erkennen konnten. Ich aber gab Ben Nil mein Gewehr zum halten und kroch auf das Lager zu.

Der Häßliche hatte vorhin von mir erfahren, wie oft ich Lauscher gewesen war. Besaß er nur einigermaßen Klugheit, so mußte ihm der Gedanke kommen, daß ich vielleicht auch jetzt wieder horchen werde, und konnte seine Maßregeln danach treffen. Dennoch wagte ich mich weit und weiter vor, bis ich das erste Zelt erreichte. in der Nähe desselben standen die Jäger in einem dunklen Haufen. Ich hörte, daß der Häßliche auf sie einsprach, und konnte nur einzelne Worte oder Silben verstehen; das reichte aber hin, mir über ihre Absicht klar zu werden. Während einige Männer bei den Zelten zurückbleiben sollten, wollten die andern nach der Seite ausbrechen, in welcher sich Ben Kasawi befand, und diesen holen. Gelang es, ihn zu befreien, so hatte ich einen Trumpf weniger in den Händen.

Es gab einen Gegencoup. Wir konnten die Kerle passieren lassen und uns dann ganz leicht des Lagers bemächtigen; aber das wäre sehr fehlerhaft gewesen, da ich nicht nur das Lager, sondern auch die Sklavenjäger haben wollte. Ich beschloß also, die letzteren gar nicht durchzulassen. Sie waren gewarnt; griffen sie uns dennoch an, nun, so hatten sie die Verantwortung der Folgen zu tragen.

Ich kehrte also schnell zurück und zog die Hälfte meiner Leute an einem Punkte zusammen, welcher die Ausfallsrichtung beherrschte; sie knieten, die Gewehre schußfertig haltend, eng nebeneinander nieder. Kaum war das geschehen, so hörte ich die Feinde kommen; bald sahen wir sie; sie kamen gekrochen. Unsere Läufe senkten sich; ein Ruf von mir – sie krachten; das Echo erscholl von dem Felsen zurück, und in dasselbe mischte sich das Geschrei der Getroffenen und der – Fliehenden.

Ja, sie flohen; sie wichen zurück; sie hatten den Mut verloren. Daraus schloß ich, daß ihr Verlust kein ganz unbedeutender sei. Ich hatte nicht geschossen, sondern dies nur im Falle der Not thun wollen. Die so eng zusammengetretenen Asaker kehrten wieder jeder in seine vorherige Stellung zurück, damit der Halbkreis ein geschlossener bleibe.

Jetzt kam von rückwärts einer gelaufen; ich ging ihm entgegen. Noch hatten wir einander nicht erreicht, so blieb er stehen und rief.

»Effendi, Effendi, wo bist du? Ich suche dich!«

Selim war es, der unglückliche Selim. Dieser alte Schlingel konnte doch nichts, gar nichts anders als geradezu verkehrt machen!

»Halte den Mund!« antwortete ich ihm. »Was fällt dir ein, so zu schreien!«

»Damit du es hörst, Effendi.«

»Unsinn! Denkst du denn nicht daran, daß es auch die Feinde hören!«

»Das schadet nichts, denn meine Stimme bringt selbst den mutigsten Feind zum Zittern.«

»Schneide nicht auch noch auf! Fast hättest du uns durch dein Geschrei alles verdorben; jedenfalls trägst du die Schuld an dem Blute, welches geflossen ist.«

»Allah kehrim – Gott sei uns gnädig! Ich hörte die Felsen widerhallen. Sind unsere Asaker erschossen?«

»Ja, alle, bis auf den letzten Mann; nur ich allein bin übrig.«

»So laß uns fliehen. Schnell, schnell, komm, Effendi!«

Er nahm meinen Arm, um mich fortzuziehen.

»Bleib nur, alte Memme! Wir haben geschossen, und die Feinde sind vor uns zurückgewichen.«

»Hamdulillah! Ich wußte es, meine Stimme hat sie erschreckt. Sobald ich sie erhebe, reißen alle Helden und Völker aus, denn es ist die Stimme des kühnsten und verwegensten Kriegers vom mächtigen Stamme der Fessarah.«

»Nein, sondern es ist die Stimme des größten Esels, den ich jemals gesehen habe, und vor einem Esel nimmt kein Frosch, keine Maus Reißaus. Kerl, bitte doch Allah, daß er dir, wenn auch nur ein allereinziges Mal in deinem ganzen Leben, einen Gedanken schenke, welcher wenigstens nicht ganz und gar verkehrt ist. Die Gefangenen sind fort?«

»Der Scheik der Menassir hat sie fortgelassen.«

»Der Scheik? Waren sie denn ihm anvertraut?«

»Nein, mir, aber ich werde erzählen, damit du erkennst, daß ich unschuldig bin und vielmehr alles gethan habe, um diese Sklavenjäger, unsere Feinde, in Angst und Schrecken zu versetzen. Ich saß oben bei den Gefangenen, und der Scheik war dabei. Ich überlegte, was ein tapferer Krieger in meiner verantwortungsreichen Lage zu thun habe. Es konnte hier unten zum Kampfe kommen; meine zwei Gefangenen konnten einen Fluchtversuch unternehmen; in beiden Fällen war es höchst nötig, gerüstet zu sein. Ich lud also, um die Feinde hier im Wadi und die Gefangenen da oben in Schach zu halten, zwei Kugeln in die Pistole und drei in das Gewehr.«

»Auch doppeltes Pulver?«

»Dreifaches sogar, denn je mehr Kugeln, desto mehr Pulver; das ist eine alte wohlbekannte Heldenregel.«

»Mensch, bist du toll? Dein Jammerrohr wäre beim Schießen zerplatzt, und du hättest nur dich selbst verwundet!«

»Keineswegs! Man trifft bekanntlich nur den, auf den man zielt, und du wirst einem so bewährten Helden wie ich bin, doch nicht zumuten, daß er auf sich selbst zielt!«

»Drei Kugeln in den Lauf! Das hast du nur aus Angst gethan. Die Gefangenen sollten Furcht vor dem Gewehre bekommen, weil sie höchst wahrscheinlich vor dir selbst keine Angst hatten. Du hast aber gerade das Gegenteil erreicht, denn als du vor ihren Augen ludest, sahen sie zu ihrer Genugthuung, daß das Gewehr nur dir, aber nicht ihnen gefährlich sein werde.«

»Das ist grundfalsch, obgleich auch der Scheik es behauptete.«

»So, hat er es gesagt? Bei welcher Gelegenheit?«

»Als ich auf die Flüchtlinge schießen wollte.«

»Ah, ich begreife! Sie waren aber doch gebunden!«

»Allerdings, und ich war so vorsichtig, ihre Fesseln von Zeit zu Zeit zu untersuchen. Die Halunken lachten darüber; da aber bekanntlich nur alberne Menschen lachen, so hüllte ich mich in die Würde einer tief ergreifenden Schweigsamkeit. Sie sprachen sehr viel mit dem Scheik.«

»Leise oder laut?«

»Leise natürlich! Anfänglich forderte ich sie zwar auf, verständlich zu sprechen, da ich als ihr Wächter wissen möchte, was sie sich mitzuteilen hatten; aber sie machten mich glücklicherweise darauf aufmerksam, daß ein lautes Sprechen hier unten von den Feinden gehört werden könne. Das aber hätte deinen Plan verdorben, und so gab ich sehr gern zu, daß sie heimlich sprachen. Ich hoffe, deinen Plan dadurch sehr wesentlich gefördert zu haben!«

»Da nichts mehr zu ändern ist, will ich dir mein Urteil darüber lieber vorenthalten. Nun will ich aber wissen, wie die Flucht vor sich gegangen ist!«

»Vor sich gegangen? Sehr schnell. Der Scheik zog nämlich sein Messer, zerschnitt den Gefangenen, ehe ich es verhindern konnte, die Fesseln, und sie sprangen auf und davon.«

»Der Scheik! Ah, wie konnte er das thun! Er ist mit fort?«

»Fällt ihm gar nicht ein! Er sitzt noch oben, da, wo er vorher gesessen hat.«

»Hat er dir gesagt, was ihn zu der That bewogen hat?«

»Nein; aber dir will er es sagen. Als die Halunken fortliefen, legte ich das Gewehr an, um ihre Körper mit den drei Kugeln zu durchbohren; er aber nahm es mir weg und sagte, daß der Lauf platzen werde. Da der Lauf nun doch vielleicht eine schadhafte Stelle haben konnte und du meines Lebens und meines Schutzes noch so sehr bedarfst, so gab ich ihm recht und begnügte mich damit, dir das Geschehene vom Felsen hinab zu melden.«

»Nach welcher Richtung haben sie sich gewendet?«

»Wer kann bei der jetzigen Dunkelheit eine Richtung erkennen? Sie sind fort; wohin, das weiß nur Allah und der Prophet. Hätte der Scheik nicht die Fesseln zerschnitten, so säßen sie noch oben unter dem Schutze meiner scharfen Augen, denen nichts entgehen kann. Nun sage mir, was ich thun soll! Soll ich die Sklavenjäger angreifen, um sie zu überwinden?«

»Nein, nein! Am besten ist’s, du thust gar nichts; dann sind wir am sichersten vor dir. Da du aber so kühn vom Kampfe sprichst, wo hast du denn deine Flinte?«

»Die liegt oben.«

»Warum hast du sie nicht mitgebracht?«

»Wegen der schadhaften Stelle. Ich könnte, wenn der Lauf platzt, leicht einen guten Freund verletzen, und werde mich daher beim Kampfe lieber auf den niederschmetternden Eindruck meiner Stimme verlassen.«

»Und ich ersuche dich allen Ernstes, zu schweigen! Ich mag weder deine Stimme hören noch dich hier länger sehen. Steig also wieder hinauf, und setz dich zu den Wächtern der Kamele! Ich möchte nur wissen, welch unglückliches Zeichen am Tage deiner Geburt am Himmel gestanden hat!«

»Ich bin im Zeichen ›es Saba‹ geboren, Effendi.«

»Nein, nein, sondern wahrscheinlich im Zeichen ›es Saratan‹. Darum wiederhole ich: Lauf‘ rückwärts, und mach‘, daß du zu den Kamelen kommst. Hoffentlich wirst du ihnen nicht auch Unglück bringen.«

Er wollte mir widersprechen, doch ging ich fort und ließ ihn stehen. Zunächst mußte ich unsere Truppe um drei Mann vermindern, welche ich Selim nachsandte. Es stand zu erwarten, daß die Entflohenen sich noch in der Nähe befanden, um sich der für die Flucht so nötigen Kamele zu versichern; darum mußten die Wachen verstärkt werden. Dann erst fand ich Zeit, mit dem Lieutenant zu sprechen. Er war natürlich über das Entkommen des Mokkadem und des Muza’bir ebenso erzürnt wie ich, doch konnten wir weder es ungeschehen machen noch an eine Verfolgung denken. Es war Nacht, und wir brauchten unsere Leute so notwendig, daß wir auch nicht eine einzige Person entbehren konnten.

Die Nacht verging, ohne daß die Belagerten den Versuch, auszubrechen, wiederholten. Als das Dunkel des Wadi dem anbrechenden Tage zu weichen begann, sahen wir sie bei den Zelten lagern. Man merkte ihnen an, daß sie während der ganzen Nacht eines Angriffes gewärtig gewesen waren.

Wer jetzt die Situation überblickte, der mußte finden, daß wir uns sehr im Vorteile befanden; sie hatten zwar mehr Deckung als wir, aber keine Flinten. Ich ließ Ben Kasawi holen, um mit ihm zu reden. Sein Gesicht zeigte einen gehässig finstern Ausdruck, und als er den Plan überblickte, verdüsterte es sich noch mehr.

»Was sagst du dazu?« fragte ich ihn. »Wer wird wohl unterliegen, wir oder ihr?«

Er musterte unsere Leute und ihre Bewaffnung und warf dann einen spähenden Blick das Wadi hinauf und hinab.

»Wen suchen deine Augen? Etwa Ibn Asl? Der kann noch nicht hier sein. Oder den Mokkadern mit dem Gaukler? Die können euch keine Hilfe bringen; sie haben keine Waffen und auch keine Kamele und werden von den Leuten, welche ich ihnen nachsende, schnell eingeholt werden.«

»Allah’l Allah! Wer kann gegen das Kismet!« murmelte er.

»Niemand,« antwortete ich. »Und dein Kismet ist der Tod.«

»Wann soll ich sterben?«

»In einer Viertelstunde.«

»Erschießen?«

»O nein; eine Kugel ist viel zu ehrenvoll für deinesgleichen. Du bekommst einen Strick um den Hals und wirst von einem Kamele zu Tode geschleift.«

»O Muhammed, o Abu Bekr! Wie darf ein Gläubiger durch einen Strick umgebracht werden!«

»Klage nicht! Schuft ist Schuft, gleichviel ob er sich einen Moslem, einen Juden oder einen Heiden nennt. Du bekommst das, was dir gebührt.«

»Ein jeder wandelt den Weg, welcher ihm vorgezeichnet ist, und keiner kann anders, als ihm beschieden ist. Darum trifft keinen Menschen eine Schuld.«

»Das ist eine sehr billige Beruhigung, und ich glaube nicht, daß sie dir die Schlinge des Strickes erweitern wird. War es aber dein Kismet, die Freuden und Einkünfte eines Sklavenjägers zu genießen, so gebietet dir dasselbe Kismet, das traurige Ende eines solchen durchzukosten. Du hast nur noch zehn Minuten zu leben.«

»Nicht so schnell, nicht so schnell! Schenke mir das Leben, so gebe ich dir die Sklavinnen!«

»Du hast keine Menschen zu verschenken; sie sind nur Gottes Eigentum.«

»So nimm unsere Kamele!«

»Die gehören mir schon; ich brauche nur die Hand auszustrecken.«

»Nimm alle meine Leute, und töte sie, aber gieb mich frei!«

»Mensch, du bist nicht nur ein Bösewicht, sondern auch ein Feigling ohnegleichen. Du hast vielleicht Tausende von armen Negern töten helfen, aber deinen eigenen Tod fürchtest du mit Entsetzen. Fühlst du denn nicht, wie gottlos und teuflisch selbstsüchtig der Vorschlag ist, welchen du mir machst! Um einen einzelnen nicht der gerechten Strafe zu überliefern, soll ich fünfzig Menschen töten? Mir graut vor dir!«

»Laß dir grauen! Mir graut nicht vor mir, sondern nur vor dem Tode. Ich will leben, leben, leben! Schenke mir das Leben, und ich thue alles, was du von mir forderst.«

Der Kerl wimmerte fast vor Todesangst. Es war zum Ekel. Um mir diese mehr als unangenehme Empfindung abzukürzen, antwortete ich:

»Wirst du es halten, wenn ich dich beim Worte nehme?«

»Ich schwöre es dir bei allem, was du willst!« antwortete er, von neuem aufatmend.

»Gut! Ich will milder sein, als du es verdienst. Ich erinnere mich deiner Forderung, dich dem Reïs Effendina zu übergeben, und bin bereit, sie zu erfüllen, wenn du thust, was ich befehle.«

»Befiehl nur, Effendi, und ich gehorche!«

»Ich will nicht haben, daß noch weiteres Menschenblut vergossen werde. Wir sind alle unverletzt; ihr aber habt Tote und Verwundete; das ist die Folge davon, daß dein Mitgefangener die ihm gewährte Freiheit schändlicherweise dazu benutzte, deine Leute zum Kampfe aufzureizen. Damit aber mag es genug sein. Dein Auge wird dir sagen, daß es euch unmöglich ist, uns zurückzuweisen. Entweder schießen wir euch mit unseren weittreffenden Flinten einzeln weg, oder ihr wagt einen Gesamtangriff und fallt unter unsern Kugeln, ehe ihr mit euern Messern uns erreichen könnt. Ergebt euch freiwillig, so verspreche ich, euer Leben zu schonen und euch dem Reïs Effendina auszuliefern.«

Sein Gesicht erheiterte sich schnell. Er kannte die Mängel der ägyptischen Strafrechtspflege, zumal hier oben in dieser Gegend. Einem hiesigen Gericht überliefert zu werden, heißt so viel, wie sich loskaufen können. Vielleicht hielt er auch die Gerechtigkeit des Reïs Effendina für käuflich, denn er antwortete sofort:

»Ich gehe darauf ein.«

»Hast du aber so viel Macht über deine Leute, daß sie dir gehorchen?«

»Ich habe sie, denn dem geringsten Ungehorsam folgt bei uns der Tod. Ohne diese Strenge würde es keine Sklavenjäger geben.«

»Wie aber willst du ihnen den Befehl zugehen lassen?«

»Darf ich hinüber?«

»Nein.«

»So erlaube mir, einen zu rufen, mit dem ich mich verständigen werde!«

»Ich erlaube es, aber diese Verständigung muß in meiner Gegenwart geschehen.«

Es wurde bereits erwähnt, daß unsere Asaker eine ganze Ladung von Sklavenketten bei sich führten; ich schickte einen der Leute nach oben, um sie auf einem Kamele herabzubringen. Auf den Ruf Ben Kasawis, welcher drüben verstanden wurde, kam ein Mann herüber, welcher sich zu ihm setzte. Der Anführer gab ihm seinen Entschluß zu erkennen und erklärte ihm die Gründe desselben. Der Mann sah mich, als er aufgestanden war, mit finsterem Blicke an und sagte:

»Effendi, du hast uns die Flinten weggenommen und kannst uns nun niederschießen, wie es dir beliebt; das wissen wir, und darum willigen wir in die Ergebung. Halte dein Wort, uns auszuliefern! Aber glaube ja nicht, daß man uns töten wird. Diese Freude macht kein ägyptischer Richter einem Christen. Vielleicht sehen wir uns später wieder, und dann wirst du es sein, der sich ergeben muß!«

Er ging, und da brachte der nach den Ketten fortgeschickte Asaker sein Kamel geführt. Er war mit dem Tiere an derselben Stelle ins Thal gekommen, welche ich gestern mit Ben Nil benutzt hatte, als wir mit unsern zwei Kamelen in das Wadi niederstiegen, um die Sklavenjäger zu täuschen. Jede dieser Ketten war mit einer Fuß- und zwei Handschellen versehen; wer mit einer solchen gefesselt war, den hatte man sicher, zumal hier in der Wüste, wo ein Gefangener nicht an Flucht denken konnte, ohne sich der Gefahr des Verschmachtens auszusetzen. Die Ketten wurden abgeladen und für die Sklavenjäger bereit gelegt.

Diese standen, wie wir sahen, um den Bevollmächtigten versammelt; er sprach sehr dringlich auf sie ein, und dann entwickelte sich eine lebhafte Debatte zwischen ihm und ihnen. Sie schienen nicht auf seinen Auftrag eingehen zu wollen. Es schien ihm aber doch zu gelingen, sie zu überzeugen, denn sie wurden nach und nach ruhiger, und als er dann zurückkehrte, konnte er mir melden, daß sie bereit seien, sich uns zu ergeben. Als er die Ketten erblickte, fühlte er sich unangenehm überrascht und fragte:

»Da liegen Fesseln von Eisen. Sind sie etwa für uns bestimmt?«

»Ja,« antwortete ich.

»Das können wir uns unmöglich gefallen lassen!«

»Ihr werdet euch doch darein finden müssen!«

»Keinesfalls! Wir sind freie Männer und lassen uns nicht binden.«

»Freie Männer? Ihr befindet euch in unserer Gewalt, und ich habe euch als meine Gefangenen dem Reïs Effendina zu übergeben. Nennst du das frei sein?«

»Aber wozu die Fesseln? Du sagtest selbst, daß wir uns in eurer Gewalt befinden; da sind die eisernen Ketten gar nicht nötig.«

»Wenn auch nicht nötig, so wird es doch zur Beruhigung meines Herzens dienen, euch mit ihnen geschmückt zu sehen. Ihr transportiert eure Sklaven, wenigstens die männlichen, stets auch in gefesseltem Zustande, obgleich ihr wißt, daß sie euch in der Wüste nicht entrinnen können. Es wird zur Bereicherung euers Wissens dienen, einmal zu erfahren, wie es ist, wenn man Ketten zu schleppen hat. Wenn ich euch das Leben schenke, so ist das eine ganz unverdiente Gnade, und ihr habt nicht den mindesten Grund, euch dieser Ketten wegen zu beschweren.«

»Die Leute werden sich weigern, sie sich anlegen zu lassen!« »Das ist mir gleichgültig. Wer widerstrebt, bekommt die Kugel.«

»Effendi, bedenke, daß wir noch nicht gefangen sind und uns wehren können!«

»Versucht es doch einmal! Wenn ihr Widerstand leistet, kommt keiner mit dem Leben davon.«

»So muß ich noch einmal hinüber, um es ihnen vorzustellen. Bin ich in einer Viertelstunde noch nicht zurück, so ist das das Zeichen, daß wir uns wehren werden.«

»Es wird das Zeichen euers Unterganges sein. Ich werde dich zu euerm eigenen Wohle mit einigen Kugeln unterstützen. Ist die Viertelstunde vorüber, so werde ich diejenigen, welche am meisten widerstreben, lahm machen, indem ich sie in das rechte Knie schieße. Seht ihr dann, wie sicher wir treffen, so werdet ihr euch doch noch entschließen, euch mit den Ketten zu befreunden.«

Er entfernte sich zögernd. Das Lahmschießen kam ihm unheimlich vor. Als er bei seinen Leuten angekommen war und sie hörten, um was es sich handelte, erhoben sie ein zorniges Geschrei. Ich trat einige Schritte vor, um mir diejenigen zu merken, welche durch die Heftigkeit ihrer Gestikulationen bewiesen, daß sie am meisten widerstrebten. Es entspann sich eine Debatte, deren Resultat der Entschluß war, uns anzugreifen. Ich sah das, ohne ihre Worte und Reden verstehen zu können, denn sie lockerten die Messer und sahen nach ihren Pistolen, um sich zu überzeugen, daß dieselben in Ordnung seien.

Die Viertelstunde war vorüber. Ich legte das Gewehr an und nahm einen der ärgsten Schreier auf das Korn. Er that, als ich abgedrückt hatte, einen Luftsprung und fiel dann zu Boden; ich hatte ihm die Kniescheibe zerschmettert. Ein wütendes Geheul antwortete mir, und einer trat vor und schwang sein Messer gegen mich. Ich stand noch im Anschlage und gab ihm die zweite Kugel; auch er stürzte nieder, genau an derselben Stelle wie der vorige getroffen. Abermaliges und verdoppeltes Geheul! Ich lud schnell wieder. Derjenige, welcher den Unterhändler gemacht hatte, wich eine kleine Strecke von den andern zurück. Die Angst vor meinen Kugeln trieb ihn, mir damit anzudeuten, daß er nicht mit ihnen einverstanden sei. Er machte ihnen Vorstellungen, welche sie aber übel aufnehmen wollten, denn es trat einer zu ihm hin und fuchtelte ihm mit dem Messer vor dem Gesichte hin und her. Er fuchtelte nicht lange, denn meine dritte Kugel warf ihn nieder.

Dieses Mal schrie man nicht. Vielleicht hatte man vorher angenommen, es sei Zufall, daß ich so genau traf; die dritte Kugel aber gab den Beweis, daß man sich geirrt hatte. Das wirkte. Die Verwundeten krümmten sich an der Erde. Wem galt meine nächste Kugel? So fragten sie sich wohl. Der Bevollmächtigte sprach hastig und dringend auf sie ein, und als ich das Gewehr wieder hob, um zu zielen, machte er eine abwehrende Handbewegung und rief mir zu:

»Schieß nicht, Effendi, sondern warte noch!«

»Nur eine einzige Minute!« antwortete ich, indem ich das Gewehr absetzte.

Sonderbarerweise fiel es den Kerlen nicht ein, hinter den Zelten Deckung zu suchen, was ihnen freilich nur einen kurzen Aufschub gewährt hätte. Als die kurze Frist verstrichen war und ich den Lauf wieder hob, wollte keiner derjenige sein, welcher getroffen wurde. Sie warfen ihre Waffen weg, und der Unterhändler rief unter einer bittenden Bewegung seiner Arme:

»Halt! Sie ergeben sich. Schieß nicht; schieß nicht!«

»So kommt herüber, aber einzeln und unbewaffnet! Bei wem wir eine Waffe finden, der wird aufgehängt.«

Er machte den ersten. Bei mir angekommen, sagte er-

»Effendi, du bist ein schrecklicher Mann, und deine Kugeln muß der Teufel gegossen haben. Ich glaube, du würdest uns, einen nach dem andern, alle lahm machen. Da wollen wir uns doch lieber fügen. Hier sind meine Hände; laß mir die Kette anlegen!«

Dieser Wunsch wurde ihm sofort erfüllt. Dann rief er seine Leute einzeln bei den Namen, und sie kamen, wie sie gerufen wurden, herüber und erhielten die Schellen angelegt. Keiner sprach ein Wort; aber die Blicke, welche sie mir zuwarfen, waren beredt genug. Wehe mir, wenn ich später einmal einem von ihnen in die Hände fallen sollte! Der Häßliche machte den letzten, und er war der einzige, welcher es nicht fertig brachte, sich schweigend in sein Schicksal zu fügen. An mir vorübergehend, zeigte er mir die Faust und drohte:

»Heute mir, später aber dir. Wir rechnen ab!«

»So wirst du nachher das Draufgeld erhalten,« antwortete ich ihm.

Die Verwundeten hatten natürlich nicht kommen können; wir mußten zu ihnen hin. Als wir dies thaten, wurden die Zelte geöffnet, und die befreiten Sklavinnen strömten uns entgegen. Es folgte eine Scene, welche man sich gar nicht lebhafter vorzustellen vermag.

Man behauptet, daß das schöne Geschlecht dem starken in Beziehung auf Zungenfertigkeit weit überlegen sei; ob ich mich zu dieser Theorie bekenne, das ist Nebensache, hier aber würde dem ausgesprochensten Gegner derselben die Überzeugung gekommen sein, daß sie wenigstens in Beziehung auf die Fessarah ihre volle Berechtigung habe. Diese Thätigkeit der Sprachwerkzeuge war wirklich beinahe beängstigend! Wir wurden mit Lobpreisungen so überschüttet, daß wir den Schwall derselben stumm und widerstandslos über uns ergehen lassen mußten. Ich wurde umringt; alle drängten und sprachen auf mich ein; hundert Hände streckten sich mir entgegen; eine jede rief, sprach, flötete, zirpte und klarinettierte auf mich ein. Ich spreizte die Beine aus, um wie ein Fels im Meere zu stehen, wurde aber hin und her geschoben, so daß es mir schwer wurde, mich aufrecht zu halten.

Eine einzige machte eine Ausnahme, Marba, die Tochter des Scheiks. Sie stand von fern, ohne sich an dieser gegen mich gerichteten Brandung zu beteiligen, und ließ ihre Gefährtinnen gewähren. Als sie dann bemerkte, daß es mir schließlich angst und bang wurde, stieß sie einen schrillenRuf aus, infolgedessen die Schönen sofort zurückwichen und sich hinter ihr aufstellten. Da kam sie auf mich zu, reichte mir die Hand, sah mich mit einem großen, ernsten Blicke an und sagte:

»Also das bist du; so siehst du aus, Effendi! Wir haben dich beobachtet und es gesehen, wie du den Widerstand unserer Peiniger überwunden hast. Wir danken dir und bitten dich, uns zu erlauben, zur Feier unserer Befreiung eine Fantasia aufzuführen.«

Der Beduine hat eine Leidenschaft für Fantasias und läßt gewiß keine Gelegenheit zu einer solchen vorübergehen. Es wäre hart von mir gewesen, meine Genehmigung zu versagen; aber ich hatte keine Zeit, jetzt eine solche Feierlichkeit über uns ergehen zu lassen. Eine Fantasia dauert wenigstens mehrere Stunden, oft sogar einige Tage lang, und nun gar eine Frauenfantasia! Diese guten Damen brauchten wenigstens den halben Tag, nur um sich zu derselben zu schmücken. Sodann die Reigen und Tänze, die unendlichen und stets wiederkehrenden »Lululululu«-Gesänge! Nein, nur das heute nicht! Darum antwortete ich:

»Wir werden uns freuen, dieser Fantasia beiwohnen zu dürfen, wenn eure Befreiung vollendet ist. Wir haben Ibn Asl noch nicht ergriffen, und so lange dieser frei ist, dürfen wir nicht an eine solche Feier der Errettung denken.«

»Aber, Effendi, ich weiß, daß du ihn nicht zu fürchten brauchst. Hast du seine sämtlichen Leute überwunden, ohne daß einem von euch ein Haar gekrümmt worden ist, so wirst du auch mit ihm, dem einzelnen, leicht fertig werden.«

»Ich widerspreche dir nicht; aber ehe ich mit ihm fertig werde, sind wir eben noch nicht fertig. Er wird bald kommen, und zwar nicht allein, denn er hat Krieger bei sich. Außerdem sind uns zwei wichtige Gefangene entflohen, welche ich wieder ergreifen will. Ich muß aufbrechen, um sie zu verfolgen. Darum bitte ich dich, mir Zeit zu gönnen.«

»Du hast recht, Effendi. Aber dann, wenn das erledigt ist, wirst du uns erlauben, euch die Gesänge und Tänze des Ruhmes und Dankes zu bringen?«

»Dann sofort. Jetzt muß ich zunächst nach den Verwundeten sehen.«

Ich wollte fort. Sie hielt mich an der Hand zurück und antwortete:

»Warte noch einen Augenblick! Diese Leute verdienen nicht, daß du dich ihrer annimmst. Wenn sie an ihren Verletzungen zu Grunde gehen, so haben sie es nicht anders gewollt.«

»Sie sind aber doch Menschen!«

»Nein, sondern reißende Tiere, und ehe ich dich zu ihnen lasse, bitte ich dich, mir zu sagen, was mit uns und ihnen geschehen soll.«

»Wir führen euch von hier nach Berber. Dort befindet sich der Reïs Effendina, welcher euch in eure Heimat bringen lassen wird.«

»Du mußt mit, damit unsere Väter und Brüder dir danken können. Und was wird mit den Räubern geschehen?«

»Ich übergebe sie dem Reïs, damit sie bestraft werden.«

»Von wem?«

»Von den Richtern des Khedive.«

Sie machte eine geringschätzende, verächtliche Handbewegung und meinte:

»Die Gerechtigkeit dieser Männer ist bekannt! Ibn Asl hat nicht das Gericht, sondern unsern Stamm beraubt, also hat nicht das Gericht, sondern unser Stamm über die Räuber zu urteilen. Ich verlange, daß sie nach den Dörfern der Fessarah gebracht werden!«

»Ich meinesteils hätte nichts dagegen, doch ist es mir leider unmöglich, dir diesen Wunsch zu erfüllen.«

»Wird der Reïs Effendina ihn erfüllen?«

»Nein; die Gesetze verbieten es ihm.«

»So sind diese Gesetze ungerecht gegen uns; und wir brauchen sie nicht anzuerkennen. Denke, was diese Räuber gethan haben! Soll ich es dir aufzählen? Was wird ihre Strafe sein? Unsere Mütter, unsere Kinder liegen erschlagen im Sande der Wüste. Was mußten wir unterwegs erdulden! Haben wir nicht das größte Recht auf Rache? Effendi, ich bitte dich, aufrichtig und wahr gegen mich zu sein. Werden unsere Krieger sich rächen dürfen? Werden die Missethäter uns ausgeliefert werden?«

»Nein.«

»Ich danke dir; es ist gut!«

Ihr Auge flammte bei diesen Worten drohend auf; sie trat zurück, und ich wendete mich zu den drei Verwundeten. Sie verbissen ihre Schmerzen und würdigten mich, als ich sie mit Hilfe Ben Nils verband, keines Blickes. Da, wo wir in der Nacht den Ausfall zurückgeschlagen hatten, lagen fünf Leichen, und bei den Kamelen fand ich mehrere Schwerblessierte, welche von ihren Genossen verbunden worden waren.

Nun wollte ich einen Blick in die Zelte werfen, doch wurde meine Aufmerksamkeit in eine andere Richtung gezogen. Ich hörte nämlich eine Stimme erschallen, gegen welche diejenige Stentors, welcher bekanntlich fünfzig Männer überschrie, das reine Zephyrsäuseln war. Mich umdrehend, gewahrte ich Selim, welcher mit fliegendem Gewande und windmühlenflügelartig kreisenden Armen gelaufen kam und dabei in einem brüllte:

»Heil, Preis, Ruhm und Ehre! Wir haben sie besiegt. Sie sind niedergeworfen und zerschmettert. Speit die Hunde an, die feigen; speit sie an!«

Er rannte auf die Gefangenen zu, blieb, eben als ich auch dort ankam, bei ihnen stehen und schrie sie, obgleich er ganz außer Atem war, an:

»Haben wir euch endlich, ihr Unwürdigen, ihr Elenden! Die Geier werden euch fressen und die Schakale und Hyänen eure Gebeine verzehren. Die Macht meines Armes hat euch niedergeworfen und der Glanz meines Ruhmes euch in Ketten gelegt. Erhebt eure Augen zu mir, und fühlt, wie eure Herzen zittern beim Anblicke des Helden aller Helden, des größten und berühmtesten Kriegers vom Stamme der Fessarah!«

Diese Aufforderung hatte einen ganz andern Erfolg als den erwarteten. Die Frauen sahen und erkannten ihn, und eine von ihnen rief erstaunt-.

»Selim el Fallah, el Dschabani – Selim, der Ausreißer, der Feigling! Wie kommt er hierher? Was hat er bei diesen tapferen Männern zu suchen?«

Er wendete sich der Sprecherin zu und antwortete ihr, sie mit stolzem, verächtlichem Blicke messend:

»Schweig, du Tochter der Verleumdung; ich kenne dich! Dein Maul ist eine niemals schweigende Trompete, vor welcher selbst der kühnste Held von dannen läuft. Richte deine Augen auf mich, und erblicke in mir Selim, den Sieger vieler Schlachten, das unüberwindliche Schwert des Gefechts, das strahlende Vorbild aller Krieger, das Muster und Beispiel der tapfersten Männer aller Völker, Stämme und Dörfer!«

Das allgemeine Gelächter der Frauen wurde ihm als Antwort.

»Ihr lacht?« rief er empört. »Wißt ihr, daß ich euch dafür bestrafen kann? Soll ich diesen Menschenräubern die Ketten abnehmen und sie freilassen, damit sie euch in die Sklaverei fortschleppen, von welcher ich euch errettet habe? Hier sind meine Hände, denen ihr die Erlösung zu verdanken habt. Ihr solltet sie drücken und küssen; anstatt dessen beschimpft ihr mich und wollt den Glanz meines Ruhmes und die Fackel meiner Ehre verdunkeln. Stimmt lieber ein in den Lobgesang meiner Thaten und in den Preis meines Heldentumes! Und du, Effendi, sage diesen Töchtern des Geschwätzes, wen sie vor sich haben; belehre sie über die Vorzüge meiner Eigenschaften, und gebiete ihnen, die Gestalt meines Körpers mit Hochachtung und Ehrfurcht zu umringen!«

Als er sich mit dieser Aufforderung an mich wendete, fragte mich die vorige Sprecherin:

»Effendi, gehört dieser Mann zu dir? Trifft ihn vielleicht die unverdiente Gnade, in deinem Schatten zu wandeln?«

»Er ist mein Diener,« antwortete ich.

»Sein Diener, Freund und Beschützer,« verbesserte mich Selim.

»Welches Wunder!« rief sie aus. »Du und dieser Selim, welcher wegen Feigheit aus dem Stamme gestoßen wurde!«

»Schweig, du Posaune der Lästerung!« gebot er ihr. »Nicht ausgestoßen wurde ich, sondern ich ging im Drange meiner Kühnheit, um Heldenthaten zu verrichten, zu denen ich bei euch keine Gelegenheit fand. Nun kehre ich zurück, umstrahlt von hundert Sonnen der Ehre, und in den Dörfern der Fessarah wird man Denkmäler errichten, um meinen Namen der Nachwelt zu überliefern.«

Er wendete sich um und trat mit einer so stolzen Haltung ab, als ob er wirklich ein zweiter Cid oder Bayard sei.

Also ausgestoßen war er worden! Es that mir leid, daß ihm dies so in das Gesicht gesagt worden war, aber er hatte sich die Schuld selbst zuzuschreiben. Warum konnte er sein Mundwerk nicht in Ruhe halten!

Es galt nun zunächst, den Mokkadem und Muza’bir zu verfolgen. Das konnte ich keinem andern überlassen. Zwar wäre meine Anwesenheit hier im Lager auch notwendig gewesen, aber ich glaubte, mich auf den Lieutenant verlassen zu können. Als ich ihm dies sagte, machte er dennoch ein ziemlich bedenkliches Gesicht und sagte:

»Effendi, ich gestehe dir offen, daß es mir weit lieber wäre, wenn du bliebst. Diese Menge der Gefangenen zu transportieren und dabei sechzig Frauenzimmer in Ordnung zu halten, das ist vielleicht mehr, als ich vermag.«

»Die Gefangenen sind ja gefesselt, und die Frauen folgen dir gern. Was könntest du also für Not haben?«

»Das weiß man nicht. Wer kann ein Weib beherrschen, und hier sind ihrer ein ganzes Schock! Effendi, thue mir nicht das Leid an, sie mir allein aufzubürden! Ich weiß ja noch nicht einmal, welchen Weg ich mit ihnen einzuschlagen hätte.«

»Nach dem Bir Murat natürlich, wohin sich jedenfalls auch die Flüchtlinge gewendet haben. Sie wissen, daß Ibn Asl von dorther kommt, und sind ihm entgegen, da sie nur durch ihn vor dem Verschmachten in der Wüste bewahrt werden können.«

»So reitest du voran, ihnen nach, und ich soll dir folgen?«

»Ja.«

»Wenn du ihn aber nicht triffst, und er stößt auf uns!«

»Was weiter! Hast du nicht genug Asaker bei dir? ihn werden höchstens vier oder fünf Männer begleiten.«

»O, das ist es nicht, was ich fürchte. Ich würde kurzen Prozeß machen und sie alle niederschießen lassen; aber die Frauen, die Frauen, die machen mir Sorge, große Sorge!«

»Das begreife ich nicht. Du ladest sie in die Tachterwahns und reitest fort. Was giebt es da zu sorgen! Und die Gefangenen werden auf die Kamele gebunden.«

»Sie sollen reiten?«

»Natürlich! Wenn sie gehen müßten, würdest du den Bir Murat erst nach zwei Tagen erreichen, und indessen ging dir das Wasser aus. Reiten sie aber, so kommst du schon in nächster Nacht am Brunnen an.«

»Du reitest doch nicht allein voran?«

»Nein, sondern ich nehme Ben Nil mit.«

»Ist das genug, falls Ibn Asl dir begegnet?«

»Mehr als genug. Ich getraue mich, ihn und seine Leute auf mich allein zu nehmen. Um ganz sicher zu gehen, will ich einmal nachforschen, ob die Spuren der Flüchtlinge zu finden sind.«

Unser Lager, aus welchem sie geflohen waren, lag am nördlichen Ufer des Wadi, dennoch stieg ich jetzt zum südlichen hinauf, weil in dieser Richtung der Bir Murat lag. Ich war überzeugt, daß sie das Wadi überschritten hatten. Auf der Höhe angekommen, schritt ich zunächst ein Stück gerade in die Wüste hinein und wendete mich dann rechts, um, parallel mit dem Wadi gehend, den Sand abzusuchen. Ich brauchte gar nicht lange zu forschen, so fand ich die Spuren, welche vom Wadi herkamen und in südlicher Richtung in die Wüste hineinführten. Dann kehrte ich zurück.

Als ich gestern Zeuge war, daß Marba geschlagen wurde, hatte ich in meiner Empörung über diese Mißhandlung beschlossen, Ben Kasawi und den Häßlichen dafür zu züchtigen; sie sollten die Peitsche bekommen, und das wollte ich jetzt, vor meiner Entfernung, geschehen lassen. Dieser Vorsatz konnte aber nicht ausgeführt werden. Als ich nämlich von der Höhe in das Thal hinabstieg, bemerkte ich im Lager eine Aufregung, deren Veranlassung ich nicht erkennen konnte. Die Frauen frohlockten in den üblichen Gutturaltönen, und dazwischen hinein wetterte die zornige Stimme des Lieutenants. Was war geschehen? Ich beeilte mich, hinab zu kommen. Als ich die Sohle des Wadi erreichte und der Lieutenant mich sah, kam er mir entgegen gelaufen und rief mir schon von weitem zu:

»O, Effendi, ich bin nicht schuld; ich kann nichts dafür!«

»Was ist denn vorgegangen?«

»Ich konnte es nicht verhindern; es geschah allzu schnell. Wärst du doch nicht fortgegangen, sondern da geblieben!«

»So rede doch! Was hat es gegeben?«

Aber anstatt meine Frage zu beantworten, klagte er:

»Und da soll ich ohne dich mit diesen Weibern durch die Wüste ziehen! Das ist nur eine gewesen; was soll ich aber beginnen, wenn die Wut sie alle faßt!«

»Mann, antworte doch nur! Ich will wissen, was sich zugetragen hat!«

»Ein Mord, ein Mord, ein Doppelmord! Komm, und siehe!«

Er nahm mich beim Arme und zog mich fort, hin, wo die Asaker und die Frauen um die gefangenen Sklavenjäger einen Kreis bildeten. Dieser öffnete sich, als ich kam, und hineintretend sah ich Ben Kasawi und den Häßlichen in ihrem Blute liegen. Sie waren tot, genau in das Herz gestochen. Niemand sprach, und aller Augen waren auf mich gerichtet, zu erfahren, was ich thun und sagen werde. Ich wußte sofort, woran ich war. Mein Blick suchte Marba. Sie stand mir gegenüber und hielt das blutige Messer noch in der Hand. Mich fast trotzig anblickend, rief sie mir zu:

»Bestrafe mich, Effendi! Sie haben mich geschlagen. Die Striemen können nur mit Blut abgewaschen werden. Ihr wollt sie meinem Stamm nicht ausliefern; da habe ich Gericht gehalten. Die andern schenke ich dir; diese beiden aber mußten unbedingt mir gehören. Ich wiederhole es: Bestrafe mich!«

Sie kam auf mich zu und reichte mir das Messer.

»Wem gehört es?« fragte ich.

»Mir,« antwortete Ben Nil.

»Sie hat es dir entrissen?«

»Nein, Effendi, sie bat mich darum, und ich habe es ihr gegeben.«

»Sagte sie, wozu sie es haben wolle?«

»Ja, und ich verweigerte es ihr nicht, da ich das Gesetz der Wüste achte. Die Missethäter haben hundertfach den Tod verdient; der Richter wird Geld nehmen und sie laufen lassen. Vielleicht bekommen einige die Bastonnade; wenn es hoch kommt, wird man diesen oder jenen für einige Zeit einsperren; das ist alles! Der Mokkadem und der Muza’bir waren mir verfallen, du aber sträubtest dich gegen meine Rache. Ich hätte sie getötet, und Allahs Auge würde, wenn es sich jetzt zur Erde richtet, durch den Anblick zweier Schufte weniger beleidigt werden. Nun aber sind sie entflohen, und es fragt sich, ob es uns gelingt, sie wieder zu ergreifen. Das sind die Folgen deiner Nachsicht gegen Leute, welche man ohne Gnade und Barmherzigkeit von der Erde ausrotten muß. Es ist gut für ein Volk, Gesetze zu haben; wenn aber derjenige, welcher die Ausübung derselben zu überwachen hat, die Mörder laufen läßt, so ist es Pflicht des Rächenden, die Bestrafung in seine eigene Hand zu nehmen. Wenn du Marba bestrafst, so bestrafe auch mich, der ich teil an dem Blute dieser beiden Missethäter habe!«

Er stellte sich neben das Mädchen. Was konnte ich thun? Wie die Sache lag, ging sie mich nichts an; ich sagte mir vielmehr im stillen, daß das Schicksal der Getöteten wohl von heilsamer Wirkung auf die andern Gefangenen sein werde. Ich ging also zu Ben Nil hinüber, gab ihm sein Messer zurück und sagte:

»Ich lege die Entscheidung, ob ihr schuldig seid, in Allahs Hand; er mag euch richten; ich habe kein Recht dazu.«

Da erhoben die Frauen ihre jubelnden Stimmen; der Gefangene aber, welcher vorhin den Unterhändler gemacht hatte, rief mir zornig zu:

»Das ist Untreue und Verrat, Effendi! Du hast uns versprochen, uns nicht zu töten, sondern dem Reïs Effendina auszuliefern. Dieses Mädchen hat einen Doppelmord begangen, und der Knabe ist ihr dazu behilflich gewesen. Ich verlange, daß sie beide bestraft werden. Leben um Leben; Blut um Blut; das ist das Gesetz der Wüste. Da ihr euch auf dasselbe beruft, müssen wir es auch für uns in Anspruch nehmen!«

»Du schweigst!« gebot ich ihm. »So weit es in meinen Kräften steht, werde ich mein Wort halten. Was hinter meinem Rücken und gegen meinen Willen geschieht, das habe ich nicht zu verantworten. Ben Kasawi und der andere haben Marba geschlagen; sie wollten Ben Nil töten, durch einen vergifteten Pfeil umbringen; das Gesetz der Wüste bestimmt für beides den Tod; dieser ist erfolgt, und also ist der Gerechtigkeit volle Genüge geschehen. Übrigens will ich mich herbeilassen, die Anforderungen eures Glaubens zu berücksichtigen. Man begrabe die Toten im Sande, in sitzender Stellung, und mit dem Gesicht nach Mekka gerichtet. Die vorgeschriebenen Suwar, mag der Onbaschi beten.«

Jetzt hatte der Lieutenant noch weniger Mut als früher, den Transport der Frauen auf sich allein zu nehmen. Er fürchtete, daß die Beduininnen auch den Tod der andern Gefangenen fordern würden, und fühlte sich einer Empörung dieser »Teufelinnen«, wie er sie nannte, gegenüber zu schwach. Es gelang mir aber, ihn zu beruhigen.

Darauf gebot ich Ben Nil, unsere Kamele, welche noch unten bei denen der Sklavenjäger lagen, zu satteln. Selim wollte mit uns reiten, doch schlug ich ihm diese Bitte ab. Ich hatte gestern mein Fernrohr oben im Lager zurückgelassen und stieg hinauf, um es mir zu holen. Ohne daß ich eigentlich eine wirkliche Veranlassung dazu hatte, zog ich das Rohr aus, um nach der Richtung zu sehen, in welcher der Mokkadem und der Muza’bir fortgegangen waren. Drüben gegen Südwest glänzte etwas; es war ein weißer Punkt, auf welchen die Sonne schien, vielleicht eine ausgetrocknete, natronsumpfige Stelle. Ich schenkte derselben weiter keine Beachtung und stieg wieder hinab.

Während des Abstieges hatte ich das Wadi bis zu der Krümmung, hinter welcher ich gestern mit Ben Nil die Sklavenjäger angelockt hatte, vor mir liegen. Mein Blick fiel dort hinüber, und da sah ich zu meinem Erstaunen zwei Kamelreiter, welche um die Ecke bogen und, unser Lager erblickend, schnell wieder hinter den Felsen zurückwichen. Ich blieb stehen und richtete das Rohr nach der Stelle. Nach einigen Augenblicken erschien ein Mann zu Fuße, sich eng an den Felsen drückend, damit er nicht gesehen werde, und sehr aufmerksam zu uns herüberschauend. Ich hätte ihn schon an seinem reichen, goldgestickten Anzuge erkannt, auch ohne sein Gesicht so deutlich vor mir im Glase zu haben. Welch eine Überraschung; es war der Reïs Effendina!

Er war an die tausend Schritt entfernt und hätte meinen Ruf nicht hören können. Darum eilte ich vollends hinab und auf die Stelle zu, an welcher er sich befand. Er sah mich kommen, erkannte mich und trat vor.

»Effendi, das ist gut!« rief er mir zu. »Ich glaubte schon, die Sklavenjäger vor mir zu haben.«

»Das ist auch der Fall,« antwortete ich, indem ich ihm die Hand bot, denn ich hatte ihn erreicht. »Wir haben sie gefangen genommen.«

»Und die Sklavinnen?«

»Sind dabei, sie sind frei.«

»Allah ‚l Allah! Effendi, ich erstaune; ich bin im höchsten Grade verwundert! Wie hast du das angefangen? Wo hat der Lieutenant dich getroffen?«

»In Korosko.«

»Ich dachte es; ich schickte ihn dahin. Also so weit dort unten. Wie konntest du da den Weg der Räuber entdecken?«

»Das werde ich dir erzählen. Aber du bist jedenfalls nicht allein gekommen. Wo sind denn deine Leute?«

»Hier hinter dem Felsen. Ich ritt voran und sah das Lager. Da ich glaubte, die Räuber vor mir zu haben, wich ich schnell zurück und stieg vom Kamele, um heimlich zu beobachten. Da kamst du gelaufen.«

»Ich sah zwei Reiter um die Ecke biegen und wieder verschwinden. Ich sah durch das Fernrohr und erkannte dich. Ich mußte dich natürlich in Berber vermuten und bin ganz erstaunt, dich hier zu sehen.«

»Du sollst nachher erfahren, warum ich Berber verlassen habe; laß uns nur vor allen Dingen jetzt nach dem Lager gehen!«

Auf seinen Ruf kamen seine Leute hinter der Felsenecke hervor. Es waren über vierzig wohlbewaffnete Reiter, alle auf schlanken Kamelen sitzend, Asaker, welche er von Chartum nach Berber beordert hatte. Wir schritten ihnen voran, dem Lager zu.

Dort hatte mein Gebaren Aufmerksamkeit erregt. Man hatte mich laufen sehen und sah mich nun mit so vielen Menschen kommen. Als unsere Soldaten ihren Gebieter erkannten, kamen sie uns entgegen,ihn mit lautem Jubel zu empfangen.

Nun gab es zu erzählen. Unsere Asaker machten sich an die seinigen, um ihnen ihre Erlebnisse zu berichten. Der Reïs bekümmerte sich zunächst gar nicht um die gefangenen Sklavenjäger und die befreiten Frauen. Ich mußte mich mit dem Lieutenant und dem alten Onbaschi zu ihm setzen, denn er wollte vor allen Dingen über den Stand der Dinge unterrichtet sein. Ich überließ die Erzählung den beiden andern, und ich kann sagen, daß sie von meinem Lobe so überflossen, daß ich ihnen oft Einhalt thun mußte.

Es verging fast eine Stunde, ehe sie alles erzählt hatten; denn sie thaten das mit der Gründlichkeit des Orientalen, für welchen die Zeit wenig oder gar keinen Wert besitzt. Endlich hatte er alles bis auf das Kleinste und Unbedeutendste erfahren. Er drückte mir die Hand und sagte:

»Ich glaubte, dich zu kennen, kannte dich aber noch lange nicht, Effendi. Ich war überzeugt, meinen Leuten in dir einen guten Berater zu geben; aber daß du ein gar so schlauer und verschmitzter Mann seist, das wußte ich doch nicht. Ich muß sagen, daß das, was ich höre, über alle meine Erwartungen geht. Ich glaubte, mit den Räubern kämpfen zu müssen und finde die Arbeit schon ohne Kampf gethan.«

»So wußtest du, daß du sie hier treffen würdest? Von wem?«

»Es gab unter meinen Leuten einen Verräter, einen Anhänger der Kadirine, welcher – –«

»Du meinst Ben Meled?«

»Wie, du kennst ihn?«

»Ja, denn er ist derjenige, welcher dem Mokkadem deinen Plan mitteilte.«

»Er hat seinen Lohn. Er plauderte gegen einen andern; dieser war treu und sagte es mir. Ich erfuhr also, daß der Mokkadem mit dem Muza’bir nach diesem Wadi sei, um da auf Ibn Asl zu treffen. Ich requirierte schnell Kamele und brach auf, nachdem der Verräter die Bastonnade in der Weise bekommen hatte, daß er der Kadirine wohl nicht mehr viel Nutzen bringen wird. Wir sind über Nacht geritten und suchten vom Morgen an den Brunnen, bis wir nun hier ihn und dich gefunden haben.«

»Allah sei Dank dafür!« seufzte der Lieutenant. »Da du selbst gekommen bist, ist mir die große Sorge um die Weiber abgenommen. Ich will lieber gegen hundert Feinde kämpfen, als sechzig solche Teufelinnen geleiten. Diese Marba sticht wie ein wilder Sudanese um sich! Sie ist eine der jüngsten und Schönsten; wie verwegen mögen da erst die andern sein! Ich konnte den Mord unmöglich verhindern.«

»Ich selbst hätte ihn nicht verhindert. Wehe dem, der wehe thut!« meinte der Reïs Effendina in ernstem Tone, indem er sich seines bekannten Wahlspruches bediente. »Jetzt bin ich unterrichtet und will mir das Lager und die Menschen ansehen.«

Er ging mit uns zu den Zelten, vor denen die Frauen saßen. Sie hatten schon gehört, wer er war, und harrten neugierig, wie er sich gegen sie verhalten werde. Die Ermordung Ben Kasawis und des Häßlichen schien ihnen nun doch bedenklich zu sein. Sie erhoben sich vor ihm. Er musterte sie mit freundlich ernstem Blicke; ich mußte ihm Marba zeigen. Er trat zu ihr hin und fragte:

»Du hast zwei Männer erstochen?«

»Verzeihe es, Herr! Der Effendi hat es auch verziehen.«

»Ich habe nichts zu verzeihen, denn du hast recht gehandelt. Wehe dem, der wehe thut! Ihr werdet alles, was euch geraubt wurde, soweit es vorhanden ist, wiederbekommen. Ich gebe euch zwanzig Asaker mit, welche euch in eure Heimat bringen, und da der Effendi hier euch befreit hat, so mag er der Anführer eurer Karawane sein.«

Er wendete sich ab und ging zu den Gefangenen hinüber. Auch sie hatten gehört, daß er der Reïs Effendina sei; sie wußten also, daß sich ihr Schicksal schon jetzt entscheiden werde. Er blickte ihre Reihe streng und finster durch. Er befand sich im Besitze außerordentlicher Vollmachten und ich kann sagen, daß ich auf seine Entscheidung mehr als neugierig war. Ich mußte ihm den Unterhändler zeigen, an den er sich in scharfem Tone wendete:

»Du magst mir im Namen aller antworten! Ibn Asl ist euer Anführer?«

»Ja.«

»Ihr habt die Töchter der Fessarah geraubt und entführt?«

»Ja.«

Diese beiden »Ja« klangen nicht so zuversichtlich, wie er vorhin mir geantwortet hatte. Es lag in dem Tone und dem ganzen Wesen des Emirs etwas, was nicht sehr Hoffnung erweckend war und eine lange Antwort oder gar Verteidigungsrede vollständig ausschloß.

»Dabei habt ihr viele Menschen getötet?« lautete die dritte Frage.

»Ja – – leider – – ging es nicht anders,« würgte der Mann hervor.

»Dann als ihr euch diesem Effendi ergeben solltet, habt ihr ihm gedroht: heute ihr, das nächste Mal er?«

»Ja.«

»Nach welchem Gesetze wollt ihr gerichtet sein, nach demjenigen der Wüste oder nach dem meinigen?«

»Nach dem deinigen,« antwortete er, jetzt leicht aufatmend.

»Ihr sollt mein Urteil hören, und es wird auch sofort vollzogen. Wehe dem, der wehe thut!«

Er wendete sich ab, zog mich auf die Seite und fragte:

»Effendi, wie würdest du sie bestrafen?«

»Durch das Gericht.«

»Das bin jetzt ich. Ich habe das Recht sowohl des Urteiles, als auch des Vollzuges erhalten und möchte deine Meinung hören. Haben diese Menschen den Tod verdient?«

»Ja; aber bedenke, daß Gott gnädig ist!«

»Allah ist gnädig, das ist wahr; er mag ihnen also gnädig sein. Du bist ein Christ und richtest deine Augen gerne hinauf zur ewigen Gnade. Ich aber soll vor allen Dingen gerecht handeln und – –«

»Halt, was ist das?« unterbrach ich ihn. »Da oben liegt ein Mensch.«

Er hatte bei seinen Worten »hinauf zur ewigen Gnade« den Arm gen Himmel erhoben, und mein Auge war unwillkürlich dieser Richtung gefolgt. Da sah ich ein Gesicht, welches sich über den Rand des Felsens vorbeugte und, als ich aufwärts blickte, sofort verschwand.

»Ein Mensch?« fragte er. »Wer könnte das sein? Etwa der Muza’bir oder der Mokkadem?«

»Nein. Diese beiden werden sich hüten, hier in der Nähe zu bleiben. Aber kurz bevor du kamst, sah ich draußen am Horizonte einen weißen Punkt, den ich für eine leuchtende Salzlache hielt. Vielleicht ist es ein Mann mit weißem Burnus gewesen.«

»So eile hinauf, und sieh ihn dir an. Ben Nil mag mitgehen, denn er ist klug und mutig, und du kannst dich auf ihn verlassen!«

Ich rief Ben Nil, nahm mein Gewehr und stieg so schnell wie möglich nach oben. Unterwegs überlegte ich mir, daß dies nicht geschehen konnte, ohne daß der betreffende Lauscher es von oben sah. Es war vorauszusehen, daß er fliehen werde; darum schickte ich, um ihn verfolgen zu können, Ben Nil zurück, um unsere beiden HedschIbn zu holen. Ich kam gerade zur rechten Zeit oben an, um sehen zu können, daß ein Mann sein Kamel bestieg und davonritt. Er hatte einen reinen, weißen Burnus an, und sein Tier war auch von weißer Farbe. Gern hätte ich es niedergeschossen, um des Reiters habhaft zu werden, aber mein Kennerauge machte mir einen Strich durch die Rechnung. Als es auf das Kamel fiel und die Formen und Bewegungen des Tieres erblickte, fühlte ich mich so enthusiasmiert, daß ich das Schießen vergaß. Ja, das war ein HedschIbn! Zehn vom Werte des meinigen wogen es nicht auf! Ich stand mit angelegtem Gewehre da, und als ich meiner Bewunderung Meister geworden war, hatte es spielend schon eine solche Strecke zurückgelegt, daß meine Kugel es nicht mehr erreichen konnte. Der Reiter drehte sich um und schwang sein Gewehr höhnisch gegen mich.

Ich glaubte, es müsse fast eine Stunde verflossen sein, als Ben Nil mit den Kamelen bei mir ankam. Wir stiegen auf und jagten fort, dem Reiter nach.

Wir hatten, wie schon oft erwähnt, ganz vortreffliche, ja ausgezeichnete Tiere und schlugen sie mit dem Metrek, dem dünnen Stabe, mit welchem man die Kamele leitet, so um die Ohren, daß sie gleich im Anfange ihre größte Schnelligkeit entwickelten, doch vergebens. Ich mußte schon nach zehn Minuten einsehen, daß es unmöglich sei, den weißen Reiter einzuholen. Der Vorsprung, den er hatte, wuchs von Schritt zu Schritt; seine Gestalt wurde kleiner und immer kleiner, und als er am Horizonte nur noch wie ein scheinbar haselnußgroßer Punkt zu sehen war, hemmte ich den Lauf meines Kameles, um nach dem Wadi umzukehren. Ben Nil folgte mir mißmutig. Hätten wir gewußt, wer dieser Reiter war, so hätten wir uns schon jetzt über die Maßen geärgert.

In der Nähe des Wadi angekommen, hörte ich ein dumpfes Getön, welches aus demselben drang; es klang wie Donner, aber heller und nicht ganz so stark. Sollte das Gewehrfeuer sein? Wir hatten, um hinab zu können, mit den Tieren einen Umweg zu machen, welcher in einer Rinne hinunterführte; darum konnten wir nicht eher etwas sehen, als bis wir die Tiefe des Wadi erreicht hatten.

Was ich da erblickte, machte mir beinahe das Blut stocken. Sämtliche Sklavenjäger, nur einen einzigen ausgenommen, lagen am Felsen hin in einer langen Reihe tot am Boden, und diesen Leichen gegenüber stand noch jetzt die Reihe der Asaker, welche die Exekution vollzogen hatten. Der Emir selbst war mit dem Lieutenant beschäftigt, die Hingerichteten zu untersuchen, ob vielleicht in einem von ihnen noch Leben vorhanden sei. Die Salve der Asaker war es also gewesen, welche wir gehört hatten.

Als der Reïs Effendina mich kommen sah, trat er mir entgegen und sagte, indem er auf die Leichen deutete:

»Da liegen sie, welche nicht nach dem Gesetze der Wüste, sondern nach dem meinigen gerichtet sein wollten. Sie glaubten, sich dadurch retten zu können; aber ich bin gekommen, um zu strafen, um Gerechtigkeit walten zu lassen, nicht aber, um diesen zehn- und hundertfachen Mördern Gelegenheit zu geben, sich mit Gold und Silber loszukaufen.«

»Warum aber alle?« fragte ich, der ich ein Grauen nicht abzuwehren vermochte. »Du konntest die Verführer strafen und gegen die Verführten Milde walten lassen!«

»So? Konnte ich das?« fragte er unter einem grimmigen Lachen. »Meinst du wirklich, daß es hier Verführer und Verführte gab? So kennst du diese Verhältnisse nicht genau oder bist als Christ gewöhnt, auf alle Fälle einen Grund zur schwächlichen Barmherzigkeit ausfindig zu machen. Wehe dem, der wehe thut! Nach diesem Spruche habe ich zu handeln. Vergegenwärtige dir doch, was diese Scheusale begangen und auf ihren Gewissen hatten! Denke an die Härtigkeit ihrer Herzen, an die Verruchtheit ihrer Gesinnung! Sie würden die Schwäche des Richters verspottet haben. Ich werde die Sklavenjäger mit dem Schwerte, dem Messer, der Kugel ausrotten. Das geht viel schneller, und Allah wird mir nicht zürnen, wenn ich durch unbeugsame Gerechtigkeit das schnell zu erreichen suche, was durch Milde erst nach langen, langen Jahren, vielleicht auch niemals erreicht werden kann. Giebst du mir recht oder nicht?«

»Ja, ich gebe dir recht, denn das Christentum lehrt nicht nur die Liebe, sondern auch das Gericht. Auch bei uns wird der Verbrecher bestraft, doch nehmen wir an, daß er sich bessern kann.«

»Ein Ibn Asl bessert sich nie. Aus Rücksicht auf dich habe ich dir vorher nichts gesagt und die Exekution in deiner Abwesenheit vornehmen lassen. Nur den Jüngsten habe ich leben lassen, damit er Ibn Asl aufsuchen kann, um ihm zu erzählen, was geschehen ist. Dann wird die Kunde von meiner unbeugsamen Strenge überall, wo Sklavenjäger sind, erschallen, und die Furcht vor mir wird ebenso viel wirken, wie ich selbst vermag,«

»Warum diesen Mann Ibn Asl nachsenden, da wir denselben doch bald ergreifen werden!«

»Bist du denn wirklich so sicher, ihn zu erwischen?«

»Ich halte es für nicht allzu schwer, obgleich er von dem, was sich hier ereignet hat, bald benachrichtigt sein wird.«

Ich erzählte ihm von dem weißen Reiter. Seine Aufmerksamkeit war auffallend groß, warum, das erfuhr ich sofort, denn als ich geendet hatte, fragte er in gespanntem Tone:

»Weißt du genau, daß sein HedschIbn weiß war? Hatte es nicht vielleicht nur eine hellgraue Farbe?«

»Nein; es war so weiß wie eine Schimmelstute vom Dschebel Tumtum el Mukkeny.«

»Und er trug einen weißen Burnus?«

»Einen vollständig hellen Haïk, dessen Kapuze über den Kopf gezogen war.«

»So konntest du sein Gesicht nicht sehen?«

»Die Kapuze verhüllte nur die Stirne, dennoch konnte ich seine Züge nicht genau erkennen, da die Entfernung sehr bedeutend war.«

»Hatte er einen Bart?«

»Einen dichten, schwarzen Vollbart.«

»Und seine Statur?«

»Er war nicht hoch, aber breitschulterig.«

»Himmel! Er war es; er ist es gewesen!«

»Wer?«

»Ibn Asl selbst. Deine Beschreibung stimmt ganz genau. Und sein Kamel ist weit und breit berühmt. Es ist ein schneeweißes Dschebel-Gerfeh-HedschIbn, dem kein anderes gleicht. Es ist schnell wie ein Pfeil und ausdauernd wie die Nässe in der Regenzeit; kein anderes Tier kann es einholen.«

»O weh! So hätte ich also den Mann vor mir gehabt, ohne ihn fassen zu können!«

»Ja, so ist es! Er war da; er hat sich bis an das Wadi gewagt.«

»Welche Kühnheit!«

»Wie ich dich kenne, würdest du ganz dasselbe wagen. Übrigens führt er ja den Beinamen el Dschasuhr, der Kühne. Er ist unterwegs nach hier gewesen und hat den Mokkadem und den Muza’bir, welche euch entflohen sind, getroffen. Die haben ihm erzählt, daß ihr die Karawane überfallen habt, und er schickte sie mit seinen Begleitern weiter und kam zum Wadi, um zu sehen, wie die Sachen stehen. Er hat uns beobachtet und eingesehen, daß er uns die Sklavinnen nicht wieder abnehmen kann. Nun ist er zurück, um auf neue Streiche zu sinnen.«

»Die wir ihm wohl vereiteln können! Mag sein Kamel noch so schnell sein, er hat Leute bei sich, welche nicht so schnell reiten können wie er. Es müssen sogar mehrere von ihnen zwillings reiten, da unsere Flüchtlinge zu Fuße waren. Darum kommt er nur langsam fort, und ich mache mich anheischig, ihn einzuholen.«

»Ich traue es dir zu, aber es ist nicht notwendig. Du mußt die Sklavinnen in ihre Heimat bringen.«

»So eile du ihm nach!«

»Fällt mir nicht ein! Ich muß nach Chartum und werde ihn dort oder wenigstens in der dortigen Gegend fassen.«

»Wenn er sich fassen läßt! Heute hast du die beste Gelegenheit dazu, während er nun gewarnt ist und sich also hüten wird, dir dort in die Hände zu laufen.«

»Denke doch an deinen Türken Murad Nassyr! Dieser will seine Schwester dem Sklavenjäger zum Weibe geben; er geht nach Chartum und wird irgendwo mit Ibn Asl zusammen kommen. Wenn ich ihn nicht aus dem Auge lasse, kann er mir gar nicht entgehen.«

»Diese Rechnung stimmt allerdings. Vorausgesetzt ist dabei freilich, daß Mura Nassyr deine Absicht nicht bemerkt.«

»Glaube nur, daß auch ich pfiffig und vorsichtig sein kann! Reite also getrost nach den Dörfern der Beni Fessarah, wo du den Lohn deiner Thaten ernten wirst. Wenn du dann nach Chartum kommst, wirst du erfahren, daß ich keinen Fehler begangen habe.«

»Wo treffe ich dich da?«

»Auf meinem Schiffe, und wenn es nicht dort liegt, so wirst du von dem Reïs el Mina erfahren, wo ich mich befinde.«

»Soll ich mich bei keinem höheren Beamten erkundigen?«

»Nein, denn ich werde bei keinem vorsprechen. Da ich ungewöhnliche Vollmachten besitze, bin ich diesen Leuten unangenehm. Ich pflege mich auf mich selbst zu verlassen, ganz so wie du. Ich weiß von dir, daß du dich auch nur gezwungenermaßen an einen Vertreter deines Landes wendest.«

Da hatte er freilich sehr recht. Zu dem, was man selbst thun kann, soll man keine Unterstützung fordern. Es war also beschlossene Sache, daß ich die Töchter der Fessarah heimbringen sollte und ich bekam zwanzig Asaker als Begleiter.

Wie freuten sich die Frauen und Mädchen, als ich den Befehl zum Packen gab. Ben Nil blieb natürlich bei mir; ihn hätte ich nicht missen mögen. Selim aber konnte ich nicht brauchen; er sollte mit dem Reïs Effendina reiten. Als ich ihn, allerdings zum Scherze, aufforderte, sein Kamel zu satteln, antwortete er:

»Effendi, laß mich mit nach Chartum gehen, wo ich auf dich warten werde! Die Beni Fessarah, zu denen du gehst, sind nicht wert, den tapfersten der Helden bei sich zu sehen. Mein Schutz wird dir zwar sehr fehlen, aber ich werde zu dem Propheten beten, daß er über dich wacht und dich mir glücklich wiederbringt. Dann wird deine Freude, mich zu sehen, unbeschreiblich sein.« – –