Die beiden „Snuffles“

Ungefähr zwei Stunden vor der Zeit, in welcher Hobble-Frank und Bob mit Bloody-fox zusammentrafen, kamen zwei andere Männer aus der Richtung von Koleman City geritten. Doch konnten sie diesen Ort wohl kaum berührt haben, denn sie hatten ganz das Aussehen von Männern, welche längere Zeit bewohnten Gegenden fern geblieben sind.

Die beiden Maultiere, welche diese Leute ritten, zeigten zwar Spuren von Ermüdung, schienen sich aber in guten Händen zu befinden und waren ziemlich wohlgenährt. Einen ganz entgegengesetzten Eindruck machten die Reiter; lange, außerordentlich schmächtige Gestalten, von denen man hätte annehmen mögen, daß sie wochenlang Gäste des Hungers gewesen seien. Daß dem aber nicht so sei, zeigte ihre gesunde Hautfarbe und kräftige Haltung, welche sie im Sattel behaupteten. Der Westen hat eine starke, austrocknende Luft, welche kein überflüssiges Fleisch auf den Knochen duldet, dafür jedoch die Sehnen stählt und den Gliedern jene ausdauernde Kraft und Widerstandsfähigkeit verleiht, ohne welche der Mensch dort bald zu Grunde gehen müßte.

Überraschend war die außerordentliche Ähnlichkeit, welche zwischen ihnen herrschte. Wer sie erblickte, mußte sie sofort für Brüder, vielleicht gar für ein Zwillingspaar halten. Diese Ähnlichkeit war so bedeutend, daß man sie, zumal beide ganz gleich gekleidet und bewaffnet waren, nur mit Hilfe einer Schmarre unterscheiden konnte, welche dem einen von ihnen quer über die linke Wange lief.

Sie trugen bequeme, dunkelgraue, wollene Überhemden und ebensolche Hosen, starke Schnürschuhe, breitrandige Biberhüte und hatten ihre schweren, breiten Lagerdecken wie Mäntel hinten von den Schultern herabhängen. Ihre ledernen Gürtel waren mit Klapperschlangenhaut überzogen und trugen die gewöhnlichen Kleinwaffen und sonstigen Requisiten des Prärienmannes. Flinten hatten sie auch, aber direkt aus dem Laden des Gewehrhändlers kamen dieselben jedenfalls nicht; ihr Aussehen war vielmehr ein solches, daß sie den Namen „Schießprügel“ mit vollem Rechte verdienten. Wer jedoch weiß, was ein tüchtiger Westmann mit so einem alten Fire-lock zu leisten vermag, dem kann es niemals einfallen, über eine solche Waffe die Nase zu rümpfen. Der Westmann hebt seine Büchse, aber er kokettiert nicht mit derselben. Je unscheinbarer sie während des langen Gebrauches wurde, desto größer ist die Pietät, welche er ihr widmet.

Leider war diesen beiden Reitern keine allzu große männliche Schönheit zuzusprechen, was seinen Grund in dem Umstande hatte, daß der hervorragendste Teil ihrer Gesichter auf eine ganz ungewöhnliche Weise entwickelt war. Sie hatten Nasen und eben was für welche! Man konnte getrost darauf schwören, daß zwei solche Geruchsorgane im ganzen Lande nicht wieder zu finden seien. Nicht die Größe allein, sondern auch die Form war außerordentlich, ebenso die Farbe. Um sich diese Nasen vorstellen zu können, müßte man sie gesehen haben. Denkt man sich den in Gestalt einer Weintraube verholzten Saftausfluß einer Birke, in allen möglichen Farben schimmernd, welche sich jemals auf einer Malerpalette befanden, so kann man sich einen ungefähren Begriff von diesen Nasen machen. Und dabei waren auch sie einander geradezu zum Erstaunen ähnlich. Es gab kein gleicheres Brüderpaar als diese beiden Männer, welche wohl bereits manchen Sturm erlebt hatten, da sie wenigstens in der Mitte der Fünfziger standen.

Nun darf man aber nicht denken, daß der Eindruck ihrer Gesichter ein abstoßender gewesen sei, o nein! Sie waren sorgfältig glatt rasiert, so daß kein Bart den wohlwollenden Ausdruck derselben verbarg. In den Mundwinkeln schien ein heiteres, sorgloses Lächeln sich für immer eingenistet zu haben, und die hellen, scharfen Augen blickten so gut und freundlich in die Welt, daß nur ein schlechter Menschenkenner behaupten konnte, man habe sich vor ihnen in acht zu nehmen.

Die Gegend, in welcher sie sich befanden, war ziemlich steril zu nennen. Der Boden trug nur knorriges Knieholz, zuweilen mit Yuccas und Kakteen vermischt. Einen Wasserlauf schien es in der Nähe nicht zu geben. Die forschenden Blicke der Reiter deuteten an, daß diese letzteren hier nicht bekannt seien. Zuweilen richtete sich einer von ihnen in den Bügeln empor, um einen weiteren Ausblick zu gewinnen, und setzte sich dann mit einer Miene in den Sattel zurück, welche besagte, daß es vergeblich gewesen sei.

„Verteufelt triste Gegend!“ sagte derjenige, welcher die Schmarre auf der Wange hatte. „Wer weiß, ob wir heute noch einen Schluck frischen Wassers finden. Meinst du nicht auch, Tim?“

„Hm!“ brummte der andere. „Wir nähern uns eben dem Gebiete der Llano estakata. Da ist es nicht anders zu verlangen. Oder meinst du, Jim, daß es in der Wüste Quellen von Eierpunsch oder Buttermilch geben soll?“

„Schweig, Bruderherz! Mach mir den Mund nicht wässerig! Eierpunsch ist das höchste der Gefühle. Wer ihn nicht hat, ist schließlich auch mit Buttermilch zufrieden. Hier aber gibt es selbst diese nicht, und ich befürchte, daß wir wohl gar gezwungen sein werden, mit Kaktussaft fürlieb zu nehmen.“

„Das wohl nicht. Noch befinden wir uns nicht in den Plains. Helmers Home, welches wir erst morgen erreichen, soll an einem Wasser liegen. Also haben wir das fruchtbare Land noch nicht hinter uns. Ich hoffe, die Old Silver Mine, weiche für heute unser Ziel ist, liegt inmitten oder wenigstens in der Nähe einer Baum- oder Strauchinsel, wie man sie zuweilen selbst in wüsten Gegenden findet. Und du weißt, meine Hoffnungen täuschen mich nur selten, denn sie schlängeln sich gewöhnlich um die Wirklichkeit herum.“

„Magst du nicht lieber davon schweigen? Unsere Hoffnungen haben uns bisher zu nichts geführt.“

„Das darfst du nicht sagen, Jim. Wir haben kein Schlaraffenleben führen können, das ist wahr; aber wir tragen ein hübsches Sümmchen in der Tasche, und wenn wir jenseits der Llano und der Guadeloupe Glück haben, so sind wir gemachte Leute.“

„Ja, wenn! Ein Millionär zu sein, das ist das höchste der Gefühle. Zunächst aber haben wir nicht einmal was zu essen. Wir waren nur darauf bedacht, schnell vorwärts zu kommen, und haben uns also nicht Zeit genommen, uns nach irgend einem Braten umzusehen. Ich will gar nicht einen Turkey verlangen, aber wenigstens einer nicht gar zu alten Prairiehenne möchte ich doch zu gern begegnen. Vielleicht erlaubte sie mir, ihr mit meiner Büchse good day zu sagen.“

„Du hast zu leckerhafte Gedanken! Ich wäre schon sehr zufrieden, wenn ein gefälliger Mulehase auf den Einfall käme, sich von außen um uns herumzuschlängeln. Dann würden wir –- have care! Da ist einer! Molly, stehe nur dieses einzige Mal still!“

Diese Aufforderung, welche er mit einem Rucke der Zügel unterstützte, war an sein Maultier gerichtet. Es stand bewegungslos, als ob es seine Worte genau verstanden habe. Gerade vor den beiden war ein Mulehase zwischen einigen einsamen Grasbüscheln aufgesprungen. Tim hatte sein Gewehr schnell an der Wange und drückte ab. Der Hase überschlug sich und blieb liegen. Die Kugel war ihm durch den Kopf gedrungen – ein Meisterschuß aus so einem Gewehre.

Der texanische Hase hat die Größe seines deutschen Verwandten; er findet sich in ziemlicher Menge und besitzt ein wohlschmeckendes Fleisch. Er hat sehr lange Ohren, welche denen eines Maultieres (Mule) ähnlich sind, und wird deshalb Mulehase genannt.

Tim ritt zur Stelle, an welcher der Hase lag, holte sich denselben und sagte, indem er dann weiter ritt:

„Der Braten ist da, und ich denke, daß sich wohl auch ein Wässerlein finden lassen werde. Du siehst, daß meine Ahnungen doch nicht ganz vergeblich sind. Zwei Kerls von unserer Art finden immer, was sie brauchen.“

„Ob aber auch Diamanten? Das müssen wir abwarten.“

„Auch Diamanten, sage ich dir!“ antwortete Tim in sehr bestimmtem Tone. „Natürlich setze ich da voraus, daß es da drüben wirklich welche gebe. Ist die Sache Schwindel, so geht es uns eben wie allen anderen, die auch nichts finden können. Ich wenigstens werde mir den Kopf nicht abreißen, wenn ich erfahren sollte, daß wir uns vergeblich von außen um das Glück herumgeschlängelt haben. Horch! War das nicht ein Schuß?“

„Ja, es war einer. Polly hat ihn auch gehört.“

Er meinte sein Maultier, welches jetzt die Luft durch die Nüstern sog und höchst energisch mit den langen Ohren wedelte. Es kommt sehr häufig vor, daß der Prairiejäger seinem Tiere einen Namen gibt. Diese beiden Maultiere wurden, wie aus den Worten ihrer Herren hervorging, Molly und Polly genannt, zwei Namen, welche so ähnlich lauteten wie diejenigen ihrer Herren, Jim und Tim.

Die Brüder richteten sich auf und blickten nach der Richtung, aus welcher sie den Schuß vernommen hatten. Er war weiter zu hören gewesen, als ihr Auge reichen konnte, da sie sich in einer muldenartigen Bodensenkung befanden; aber Tim deutete aufwärts in die Luft, wo ein großer Raubvogel schwerfällig seine Spirale zog.

„Ein Hühnergeier,“ sagte er. „Oder nicht, Jim?“

„Nein! Es ist ein Königsgeier, wie an der bunten Färbung zu ersehen ist. Er hat ein fahlgelbes Gefieder und hat bei einem Aase gesessen, denn er ist so vollgefressen, daß er nur mit Mühe zu fliegen vermag. Man hat ihn durch den Schuß von seinem Fraße aufgestört, und wir müssen sehen, was für Menschenkinder das gewesen sind. Es verlohnt sich hier gar sehr, zu wissen, wen man vor sich hat. In der Nähe der Llano soll es nicht ganz geheuer sein. Wer das außer acht läßt, der kann leicht von so einem Geier gefressen werden, was ich keineswegs das höchste der Gefühle nennen möchte. Also vorwärts, Tim!“

Sie gaben ihren Tieren die Sporen. Nun ist es aber bekannt, daß Maultiere sehr störrische Geschöpfe sind. So eine Kreatur ist gewöhnlich gerade dann, wenn die größte Eile geboten ist, nicht von der Stelle zu bringen. Und um das wieder quitt zu machen, pflegt es gerade an dem Augenblicke in rasenden Galopp zu fallen, wenn der Reiter die zwingendste Veranlassung hat, halten zu bleiben. Molly machte leider keine rühmliche Ausnahme. Kaum hatte Tim ihr die Sporen fühlen lassen, so stemmte sie die vier Beine ein und stand fest wie ein Sägebock. Er drückte fester an, was aber nur die Wirkung hatte, daß sie den Kopf zwischen die Vorderbeine nahm und hinten in die Höhe ging, um den Reiter nach vorn abzuwerfen. Tim jedoch kannte seine langjährige Freundin so genau, daß er sich nicht aus dem Sattel bringen ließ.

„Was fällt dir ein, old Joker!“ lachte er. „Ich werde dir gleich die Mücken austreiben.“

Er langte nach hinten, ergriff den Schwanz des Tieres und zog denselben mit einem scharfen Rucke nach vorn. Sofort flog Molly mit allen vieren zugleich in die Luft und schoß dann vorwärts, daß Jim auf seiner Polly kaum zu folgen vermochte. Dieses empfindliche Ziehen am Schwanze war das Geheimmittel, durch dessen energische Anwendung der Eigensinn der sonst ganz liebenswürdigen Molly sofort gebrochen werden konnte. Wer dieses Mittel nicht kannte, der war trotz Sporen und Peitsche gezwungen, sich ihren Launen zu fügen. Es macht sich eben jedes Tierchen gern sein Plaisierchen; nur gut, daß es auch Mittel gibt, welche zuweilen nicht nur bei einem bestimmten Individuum, sondern bei der ganzen Gattung wirksam sind. So gibt es z.B. Angehörige der berühmten Familie Equus asinus (Esel), welche störenderweise ganz darauf erpicht sind, gerade bei nachtschlafender Zeit ihren zweivokaligen Singsang hören zu lassen. Man binde so einem Tiere etwas Schweres an den Schwanz, einen Stein oder sonst ein Gewicht, so wird es sofort Schwanz und Ohren hängen und keinen Laut mehr hören lassen.

Als die beiden Reiter die Bodensenkung hinter sich hatten, erblickten sie zu ihrem Erstaunen eine eigentümlich zerklüftete Höhe, welche in einer Entfernung von ungefähr sechs englischen Meilen vor ihnen aufstieg, und die sie hier in der Nähe der Plains nicht erwartet hatten. Zugleich sahen sie eine Gruppe von Reitern bei einem am Boden liegenden Gegenstande halten, und zwar so nahe, daß sie kaum einer Minute bedurften, um zu ihnen zu gelangen. Sie zügelten sofort ihre Tiere. Es galt zunächst, zu erfahren, ob diese Reiter, deren sie sechs zählten, sich vielleicht feindselig verhalten würden.

Sie wurden bemerkt. Der Kreis, den die Sechs bildeten, öffnete sich, doch war keine bedrohliche Bewegung zu sehen.

„Was meinst du?“ fragte Jim. „Wollen wir hin?“

„Ich denke es. Gesehen haben sie uns doch und wenn es ja Bushrunners sind, so kommt es auf alle Fälle zu einem Kampfe mit ihnen. Es ist also besser, wir schlängeln uns von außen her zu ihnen herum; aber vorsichtig, so daß es ihnen nicht gelingt, uns zu umzingeln. Wir wollen uns schußfertig halten.“

„Nun, Bushrunners sind sie wohl kaum. Sie haben vielmehr das Aussehen von Gentlemen, welche zu ihrem Vergnügen einen Ausflug unternehmen. Ihre Anzüge haben ganz gewiß vor kaum einer Woche noch im Tailorshop gehangen. Von Waffen tragen sie ein ganzes Arsenal bei sich; aber das glänzt und flimmert gar zu sehr, als daß es bereits sehr in Gebrauch gewesen sein könnte. Und die Pferde sehen mir so frisch und nach geschrotenem Maisfutter aus, daß ich annehmen möchte, wir haben ganz unschädliche Pleasing-troopers vor uns. Es ist zwar nicht das höchste der Gefühle, mit solchen Gelbschnäbeln zusammenzutreffen, aber ich ziehe es doch einem Begegnen mit Leuten vor, welche ihre Taschen nur zu dem Zwecke haben, anderer Menschen Eigentum hinein zu stecken. Machen wir uns also an sie hinan!“

Es wäre ihnen auch wohl kaum eine andere Wahl geblieben, denn die Sechs setzten jetzt ihre Pferde in Bewegung und kamen ihnen entgegen.

„Kommt näher, kommt nähert“ rief man ihnen zu. „Ihr werdet etwas zu sehen bekommen.“

„Was denn?“ fragte Jim.

„Kommt nur! Macht schnell!“

jetzt hatten sie einander erreicht. Waren bisher die Gesichter der Sechs höchst ernst und bedenklich gewesen, so nahmen sie jetzt plötzlich einen ganz anderen Ausdruck an. Die zwölf Augen richteten sich groß und erstaunt auf das Brüderpaar; dann begann es um die Lippen zu zucken, und endlich brach ein schallendes, sechsstimmiges Gelächter aus.

All devils!“ rief einer aus. „Wen haben wir da? Two snub-noses!

Two snub-noses!“ stimmten die übrigen Fünf sofort ein.

Two snouted baboons!

Actually, actually! Wonderful, wonderfully beautifull Two snouted baboons!“ lachten und schrieen sie alle durcheinander.

„Ich bitte, Mesch’schurs, laßt euch genau betrachten!“ sagte der Wortführer. „So etwas haben wir noch niemals gesehen. Erlaubt, daß ich diese Nasen einmal angreife! Ich muß mich überzeugen, ob sie natürlich sind oder vielleicht noch von letzter Fastnacht stammen.“

Die Brüder hatten bis jetzt noch keine Miene verzogen; als aber der Mann wirklich seine Hand ausstreckte, um Jims Nase zu berühren, drängte dieser sein Maultier um einige Schritte zurück und sagte:

„Wollt Ihr mir nicht vorher einmal Euern Namen nennen, Sir?“

„Warum nicht! Ich nenne mich Gibson.“

„Danke! Also, Master Gibson, ich thue einem jeden gern den Gefallen, den er von mir verlangt. Ich will auch Euch zu Willen sein, muß Euch aber vorher sagen, daß meine Büchse augenblicklich losgeht, sobald jemand meine Nase berührt. Wenn Ihr sie trotzdem angreifen wollt, so habe ich nichts dagegen. Ich bitte aber Eure ehrenwerten Kameraden, mir dann die Folgen nicht entgelten zu lassen.“

Das klang so ernst, daß trotz der beiden sonderbaren Nasen das Gelächter sofort verstummte. Gibson machte aber doch noch einen Versuch zu scherzen, indem er lachend sagte:

„Aber, Master, wollt und könnt Ihr es denn übel nehmen, wenn wir über solche Rhinozeroshörner lachen müssen?“

„Was das betrifft, so bin ich der festen Überzeugung, daß ein wirkliches Nashorn viel zu wenig kultiviert ist, um sich dadurch, daß Ihr sein Horn anlacht, beleidigt zu fühlen. Aber Ihr müßt Euch hüten, irgend eine Verwechselung zu begehen. Ihr scheint sowohl in der Anthropologie wie auch in der Zoologie so grün und unwissend zu sein, daß es Euch leicht vorkommen kann, einen Säugling für ein ausgewachsenes Flußpferd zu halten. Und wo ich eine solche Unerfahrenheit bemerke, welche ein anderer vielleicht viel richtiger mit dem Ausdrucke Dummheit oder Albernheit bezeichnen würde, da erachte ich es für meine Pflicht, eine Warnung auszusprechen. Es kann kein Geschöpf anders sein, als wie der Herrgott es erschaffen hat und wenn er mich mit einer großen Nase und Euch mit einem kleinen, unzureichenden Hirn begabte, so müssen wir diese Mängel demütig hinnehmen, da wir es leider nicht anders machen können.“

„Donnerwetter!“ fuhr Gibson beleidigt auf. „Ist es etwa Eure Absicht, Euch an uns zu reiben?“

„Ganz und gar nicht! Reibt Euch nur selbst ab, wenn Ihr schmutzig seid, und nehmt gehörig Seife und Wasser dazu! Ich bin nicht das Dienstmädchen, welches Euch zu säubern hat.“

Da griff Gibson nach seinem Revolver und drohte:

„Mäßigt Euch, Sir! Meine Kugeln stecken nicht so fest, wie Ihr anzunehmen scheint.“

„Pah!“ lachte Jim. „Macht Euch nicht lächerlich. Eure Drohung klingt nach Kinderei.“

„Schweigt! Wollt Ihr etwa, daß wir Euch Mores lehren? Ihr seht, daß wir unser Sechs gegen euch beide sind.“

„Eben darum! Sechs von eurer Sorte können uns doch nicht etwa aus der Fassung bringen! Hängt noch eine Null an die Sechs und dann wollen wir beide es uns überlegen, ob es sich verlohnt, einen Finger an dem Drücker krumm zu machen.“

„Ihr scheint Euer Maul sehr gut in Übung zu halten!“

„Die Gewehre ebenso. Das merkt Euch wohl!“

„So! Habt doch einmal die Güte, uns eure Namen zu nennen, damit wir wissen, mit welch berühmten Helden wir es zu thun haben!“

„Wir heißen Hofmann und sind Brüder.“

„Daß ihr Brüder seid, beweisen eure Nasen. Auf euern Namen könnt ihr euch nicht das mindeste einbilden, denn so wie ihr kann nur ein Deutscher heißen, und ihr habt vielleicht bereits erfahren, daß Leute eurer Abstammung hier zu Lande gar nichts gelten.“

„Das ist eine Ansicht, die ich Euch nicht rauben will. Wem es Spaß macht, den Drehwurm im Kopfe zu haben, der mag ihn behalten; ich bin kein Irrenarzt. Komm, Tim!“

Er setzte sein Maultier in Bewegung, und sein Bruder folgte ihm. Beide verschmähten es, noch einen weiteren Blick auf die Männer zu werfen und ritten nach der Stelle, an welcher die letzteren vorher gehalten hatten.

Dort erwartete sie ein entsetzlicher Anblick. Die Erde war mit Fuß- und Hufspuren bedeckt, als ob hier ein Kampf stattgefunden habe. Ein totes Pferd lag da, ohne Zaum- und Sattelzeug. Der Leib desselben war weit aufgerissen, und Fetzen des Eingeweides lagen zerstreut umher – eine häßliche Arbeit des Geiers, den Jim und Tim vorhin gesehen hatten.

Aber das war es nicht, wovor diese beiden erschraken, sondern in der Nähe des Kadavers lag ein menschlicher Leichnam, ein Weißer, welchem die Kopfhaut fehlte und dessen Gesicht durch kreuz und quer geführte Messerschnitte vollständig unkenntlich gemacht worden war. Sein wollener und sehr abgebrauchter Anzug ließ vermuten, daß er ein Westmann gewesen sei. Eine Kugel, welche ihm genau in das Herz gedrungen war, hatte ihm den Tod gebracht.

„Heiliger Gott! Was muß da geschehen sein?“ rief Jim, indem er vom Pferde sprang und zu der Leiche trat.

Auch Tim stieg ab und kniete bei dem Toten nieder.

„Er ist schon seit Stunden tot,“ sagte er, als er die Hand und die Brust des Getöteten befühlt hatte. „Er ist kalt und das Blut rinnt nicht mehr.“

„Durchsuche ihm die Taschen! Vielleicht findet sich etwas, irgend ein Gegenstand, welcher erraten läßt, wer er war.“

Tim folgte der Aufforderung, gerade als die sechs Reiter, welche ihnen langsam gefolgt waren, bei ihnen anlangten.

„Halt!“ rief Gibson. „Wir werden uns das Visitieren der Taschen streng verbitten. Ich kann die Beraubung der Leiche nicht dulden!“

Er sowohl wie seine Gefährten stiegen ab und traten herbei. Er ergriff Tim beim Arme und zog ihn empor, was dieser sich unerwarteterweise ganz ruhig gefallen ließ. Die Brüder wechselten einen Blick des Einverständnisses und dann fragte Jim:

„Wie kommt Ihr denn auf den höchst geistreichen Gedanken, daß wir eine Beraubung des Toten beabsichtigen?“

„Nun, Ihr greift ja in die Taschen!“

„Könnte das nicht auch einen anderen Zweck haben?“

„Bei euch jedenfalls nicht. Euch sieht man ja gleich auf den ersten Blick an, wessen Geistes Kinder ihr seid.“

„Da entwickelt Ihr freilich einen ungeheuren Scharfsinn, Master Gibson. Eine solche imponierende Menschenkenntnis zu besitzen, muß das höchste der Gefühle sein!“

„Vermault Euch nicht auch noch, sonst machen wir kurzen Prozeß mit euch! Wir haben euch in flagranti ertappt. Euer Bruder hatte die Hände in den Taschen des Ermordeten. Das genügt vollständig. Ihr treibt euch hier in der Nähe herum. Das ist verdächtig. Wer sind die Mörder? Nehmt euch in acht, sonst kann es euch vielleicht gar an den Kragen gehen!“

Jim griff zornig nach seinem Messer; dieses Mal war Tim der Bedächtigere. Er warf ihm einen besänftigenden Blick zu und sagte:

„Alle Wetter, seid Ihr ein gestrenger Master. Ihr thut doch ganz so, als ob wir in Euch den höchsten Beamten der Staaten zu verehren hätten!“

„Ich bin Lawyer,“ antwortete Gibson stolz und kurz.

„Ah, Jurist! Also gehört Ihr zu den hochgelehrten Leuten, weiche die Aufgabe haben, sich von außen her um die Paragraphen herum zu schlängeln? Here is my respect, Sir!

Er zog in ironischer Unterwürfigkeit den Hut.

„Master Hofmann, treibt keinen Unsinn!“ donnerte Gibson ihn an. „Ich bin in Wirklichkeit Advokat, oder wenn Euch das geläufiger sein sollte, obgleich Ihr ein Deutscher seid, attorney at law, und weiß sehr gut, mir Respekt zu verschaffen. Diese ehrenwerten Herren haben mich zum Anführer unserer Expedition gewählt, und also hat das zu gelten, was ich für gut befinde!“

„Schön, schön!“ nickte Tim eifrig. „Wir haben ja gar nichts dagegen. Da Ihr Lawyer seid, so wird es Euch außerordentlich leicht werden, diesen Kriminalfall in der richtigen Weise zu behandeln.“

„Das versteht sich ganz von selbst und ich muß darauf bestehen, daß ihr euch nicht entfernt, bevor ich alles genau untersucht und sodann meine Anordnungen getroffen habe. Der Fall ist himmelschreiend und kann euch in höchst unangenehme Verwickelungen bringen.“

„O, das macht uns keine Sorge, denn wir sind überzeugt, daß es Eurem Scharfsinne gelingen werde, diese Verwickelungen wieder auseinander zu wickeln.“

Gibson zog es vor, diese neue Malice unbeantwortet zu lassen, dafür aber seinen Begleitern den Befehl zu erteilen:

„Nehmt die beiden Maultiere fest, damit es diesen Verdächtigen nicht etwa einfällt, davonzureiten!“

Die Brüder ließen es auch ruhig geschehen, daß dieses Gebot ausgeführt wurde. Es gab ihnen offenbar Spaß, zu beobachten, was diese im fernen Westen unbekannten Menschen unternehmen würden.

Das Auffinden einer skalpierten Leiche war an sich natürlich keineswegs geeignet, die Brüder heiter zu stimmen. Der Prairiejäger ist in Beziehung auf dergleichen Vorkommnisse ziemlich abgehärtet; aber der Anblick, welchen der seiner Kopfhaut beraubte und im Gesicht geschändete Tote bot, wirkte grauenerregend. Dazu kam die Befürchtung, die sie in Betracht ihrer persönlichen Sicherheit hegen mußten. Es stand bei ihnen fest, daß der Mann von einem Indianer getötet und skalpiert worden sei, und da nicht anzunehmen war, daß eine einzelne Rothaut sich so weit nach Osten wagen werde, so stand zu vermuten, daß ein ganzer Trupp Indsmen sich in der Nähe befinde. Es galt also, vorsichtig zu sein, falls die späteren Beobachtungen nicht etwas anderes ergaben. Aus Gibson und seiner Gesellschaft aber machten die beiden sich so wenig wie möglich, also gar nichts.

Der Advokat untersuchte nun höchst eigenhändig die Taschen des Toten. Sie waren leer, ebenso der Gürtel.

„Er ist bereits ausgeraubt worden,“ sagte er. „Es liegt also ein Raubmord vor und es ist unsere Pflicht, den Mörder zu entdecken. Die Spuren beweisen, daß nicht ein einzelner Mann die That begangen hat. Es sind ihrer mehrere gewesen, und wenn ich bedenke, daß das böse Gewissen den Verbrecher nach dem Orte seiner Unthat zurückzutreiben pflegt, so vermute ich, daß wir gar nicht weit zu gehen haben, um die Mörder zu finden. Gebrüder Hofmann, ihr seid meine Gefangenen und werdet uns zur nächsten Ansiedelung begleiten; das ist Helmers Home. Dort werden wir den Fall mit aller Strenge untersuchen.“

Er war in einer Haltung, welche imponieren sollte, vor die beiden hingetreten.

„Gebt also eure Waffen ab!“ fügte er gebieterisch hinzu.

„Sehr gern,“ antwortete Jim. „Hier hast du mein Gewehr. Greif zu.“

Er legte auf ihn an. Die Hähne knackten. Gibson sprang erschrocken zur Seite und rief:

„Schuft! Willst du dich widersetzen?“

„O nein,“ lachte Jim. „Von einer Widersetzung kann gar keine Rede sein. Ich will dich nur bitten, mir das Gewehr möglichst behutsam aus der Hand zu nehmen; es könnte sonst losgehen und dann wäre es mit deiner berühmten Advokatur zu Ende. Also greif fein säuberlich zu!“

„Auch noch Hohn? Mensch, ich lasse dich fesseln, daß du dich krümmen sollst vor Schmerzen!“

„Soll mir sehr angenehm sein, denn so ein richtiges Zusammenschnüren ist das höchste der Gefühle. Und damit die anderen Herren die Hände für diese Arbeit frei bekommen, wollen wir sie von unseren Maultieren erlösen. Polly, her zu mir!“

„Molly, komm!“ rief auch Tim.

Die Tiere hatten sich bisher ruhig an den Zügeln halten lassen, sobald sie aber die befehlenden Stimmen ihrer Herren hörten, rissen sie sich los und kamen schnaubend herbei.

„Festhalten, festhalten!“ rief Gibson; aber es war bereits zu spät.

„Bemüht euch nicht weiter!“ lachte Jim. „Ihr könntet die Bestien nicht halten; sie würden euch vielmehr unter die Hufe treten. Es ist gar nicht so leicht, zwei richtige Westmänner festzunehmen.“

„Wenn ihr nicht gehorcht, lasse ich auf euch schießen I“

„Oho! Das werdet ihr bleiben lassen! Wie wenig wir euch fürchten, mögt ihr daraus ersehen, daß ich mein Gewehr aus dem Anschlage nehme. Doch sage ich euch, daß jeder, welcher sich uns auf mehr als drei Schritte nähert, sofort die Kugel in den Kopf bekommt. Leute eures Kalibers gelten hier gar nichts. Man lacht sie höchstens aus. Was sind hier am Rande der Llano zehn Advokaten gegen einen einzigen tüchtigen Prairieläufer! Hier wird nicht in Worten, sondern mit Pulver und Blei gesprochen und in dieser Beziehung seid ihr ja doch nur Kinder gegen uns. Gegen unsere Guns kommt ihr mit euren Kolibriflinten nicht auf; das mögt ihr glauben. Wir brauchen keinen Lawyer aus dem Osten. Wir haben die Paragraphen der Prairie studiert und verstehen es auch genügsam, ihnen Geltung zu verschaffen. Wir sind ehrliche Leute und ihr habt euch in uns getäuscht; aber wir werden es euch nicht entgelten lassen, denn euer polizeilicher Scharfsinn hat uns großen Spaß gemacht. Ihr habt hier vor dem Toten gestanden wie ein Häuflein Primer boys vor einer ägyptischen Pyramide, und Eure Weisheit anzuhören, das war für uns das höchste der Gefühle. Einen solchen Fall aufzuklären, das lernt man auf keinem Kollege und auch auf keiner Universität. Merkt euch das. Die dazu nötigen Kenntnisse eignet man sich nur auf der hohen Schule der Prairie an und da ist ein jeder von euch wohl nur ein Cockney zu nennen. Jetzt werden wir beide die Sache nach unserer Weise in die Hand nehmen und da sollt ihr erfahren, welch ein anderes Resultat wir erlangen. Leider wißt ihr nicht, was in einem solchen Falle eine unbeschädigte Fährte zu bedeuten hat. Ihr habt eure Pferde hier nach Belieben trampeln lassen. Nun ist es freilich beinahe unmöglich, die eigentliche Spur zu lesen. Wir wollen aber versuchen, es fertig zu bringen. Suchen wir einen Kreis ab, Tim, du nach rechts und ich nach links. Drüben treffen wir dann zusammen.“

Diese Art, zu sprechen, verfehlte den beabsichtigten Eindruck nicht. Niemand entgegnete ein Wort, und selbst Gibson schwieg. Freilich machten sie höchst finstere Gesichter; aber als die Brüder sich jetzt nach verschiedenen Seiten entfernten, wagte es keiner, sie zu hindern oder sich ihrer Tiere wieder zu bemächtigen.

jeder der beiden schritt, den Boden sorgfältig untersuchend, einen weiten Halbkreis ab, dessen Mittelpunkt die Leiche war. Als sie zusammentrafen, teilten sie sich ihre Ergebnisse mit und kehrten dann zurück. Nun untersuchten sie auch das Pferd, den Toten und den zerstampften Boden. Die Sorgsamkeit, mit welcher sie sogar einzelne Steinchen betrachteten, wollte den anderen fast lächerlich erscheinen. Zuletzt sprachen sie wieder eine Weile leise miteinander, bis sie zu einer festen Ansicht gekommen zu sein schienen. Dann wendete Tim sich an den Advokaten:

„Master Gibson, Ihr wolltet uns arretieren, weil wir uns hier befinden, und weil ich in die Taschen dieses Toten griff. Mit ganz denselben Rechten könnten wir Euch festnehmen, da Ihr Euch ja auch von außen um diesen Platz herumgeschlängelt und dann dieselben Taschen untersucht habt. Wir wissen aber, daß Ihr unschuldig seid, und Ihr habt also nichts zu befürchten.“

„O, das wissen wir auch überdies. Was sollte uns von euch geschehen!“

„Alles, was uns beliebte. Ihr habt ja gar keine Ahnung von der Art und Weise eines Westmannes. Wenn es uns beiden beliebt, so bringen wir euch alle sechs trotz eurer Waffen gebunden nach Helmers Home. Ihr hättet die Wahl nur zwischen Gehorsam oder Tod. Gut für euch, daß es anders steht! Als wir ankamen, sahen wir euch bei der Leiche. Wir hatten also Veranlassung, Verdacht gegen euch zu hegen, während euer gegen uns gezeigtes Mißtrauen ein ganz unsinniges war. Schon daß der Mann skalpiert worden ist, mußte euch auf die Vermutung bringen, daß er durch die Kugel eines Indianers fiel. Wir dachten das sofort und haben es bestätigt gefunden. Übrigens ist ihm wohl sein Recht geschehen. Erst bemitleideten wir ihn, doch ohne Grund, wie sich jetzt herausgestellt hat. Er ist ein schlimmer Kerl gewesen, das Mitglied einer Bande von Bushrunners, welche hier ihr Wesen zu treiben scheinen. Nehmt euch vor ihnen in acht!“

Seine Worte wurden mit dem größten Staunen entgegengenommen.

„Wie?“ fragte Gibson. „Das alles wollt Ihr aus den Spuren ersehen haben?“

„Das und noch viel mehr.“

„Das ist ganz unmöglich!“

„So sagt Ihr, weil Ihr ein Neuling seid. Man kann eine Fährte so gewiß lesen wie die Zeilen und Seiten eines Buches. Freilich gehört unbedingt dazu, daß man sich eine Reihe von Jahren von außen um den wilden Westen herumgeschlängelt hat. Das ist nicht bei Euch, aber bei uns der Fall. Der Mann ist nicht auf dem Platze, wo er sich jetzt befindet, erschossen worden. Habt Ihr bemerkt, daß die Kugel ihm den ganzen Körper durchbohrt hat und zum Rücken hinausgedrungen ist?“

„Ja.“

„So kommt einmal mit zur Seite!“

Die anderen folgten ihm, bis er nach einigen Schritten stehen blieb und auf den Boden deutete, welcher aus hartem, nacktem Gestein bestand. Da lag eine große Lache geronnenen Blutes.

„Was seht Ihr hier?“ fragte er.

„Das ist Blut,“ antwortete Gibson.

„Bemerkt Ihr weiter nichts?“

„Nein.“

„So habt Ihr freilich keine Kriminalistenaugen, obgleich Ihr es wagtet, uns arretieren zu wollen. Seht Euch einmal diesen kleinen Gegenstand an! Für was haltet Ihr ihn?“

Er nahm den betreffenden Gegenstand aus der Lache. Derselbe war klein, fast wie eine Münze breit gedrückt und zeigte trotz des an ihm klebenden Blutes einen matten, metallischen Glanz. Alle betrachteten ihn, und Gibson sagte:

„Das ist eine breitgedrückte Bleikugel.“

„Ja, und zwar diejenige, welche diesem Manne den Tod gebracht hat. Sie ist ihm genau durch das Herz gedrungen; also ist er augenblicklich tot und bewegungslos gewesen. Er kann sich unmöglich noch dorthin, wo er liegt, geschleppt haben, sondern ist von anderen oder wenigstens einem anderen dorthin geschafft worden. Gebt Ihr das zu?“

„Wie Ihr es erklärt, erscheint es freilich wenn als nicht gewiß so doch wahrscheinlich.“

„Nun seht Euch einmal das trockene Hartgrasplätzchen hier neben dieser felsigen und blutigen Stelle an! Was seht Ihr da?“

„Das Gras ist niedergedrückt worden.“

„Wovon oder von wem?“

„Ja, wer soll das wissen!“

„Wir wissen es. Hier hat ein Mensch gelegen, und da nicht die mindeste Spur von Blut zu entdecken ist, so muß man annehmen, daß er unverwundet war. Geschlafen hat er nicht da, denn ein jeder, auch der ärmste Westmann hat eine Decke bei sich, welche er unbedingt unterlegt, wenn er am Boden ausruhen will. Auch ist in Anbetracht der Zeit, welche seit dem Morde vergangen ist, diese Spur so undeutlich, daß mit Sicherheit anzunehmen ist, er habe nur kurze Zeit hier gelegen. Hart daneben seht Ihr einen Strich im weichen Sandboden. Er ist oben breit und verengert sich nach unten. Womit ist dieser Strich gemacht worden?“

„Vielleicht mit dem Stiefelabsatze.“

„O nein! Ich werde Euch gleich beweisen, daß der Mann, welcher hier lag, keine Stiefel, sondern Moccassins trug. Dieser Strich würde eine ganz andere Gestalt oder Form haben, wenn er von einem Stiefel herrührte. Er würde muldenförmig sein. Man kann getrost tausend Eide darauf schwören, daß er mit der Ecke des Gewehrkolbens gemacht worden ist, und da er nicht gleichmäßig ist, sondern tief beginnt und am anderen Ende in einem flachen, seitlich gebogenen Haken ausläuft, so ist es gewiß, daß er nicht langsam, in ruhiger Bewegung, sondern äußerst hastig gemacht wurde. Endlich seht Euch einmal den Eindruck hier am unteren Ende der Spur an! Welchem Umstande verdankt sie ihre Entstehung?“

Erst nachdem Gibson die betreffende sandige Stelle genau betrachtet hatte, antwortete er:

„Es scheint fast, als ob jemand hier sich auf dem Absatze umgedreht habe.“

„Dieses Mal habt Ihr Recht. Der Eindruck ist aber auch so deutlich, daß man gar nichts anderes raten kann. Wenn Ihr die Stelle genau prüft, werdet Ihr sagen müssen, daß hier von einem Stiefelabsatze nicht die Rede sein könne, sondern von einem Schuhwerke mit stumpfer Ferse, also einem Moccassin. Ihr seht den Eindruck nur eines Fußes, nicht aber den des anderen, obgleich der Boden sehr weich ist. Was folgt daraus?“

„Das weiß ich freilich nicht.“

„Die Hastigkeit, welche ich bereits vorhin erwähnte. Der Betreffende hat sich hier in größter Eile niedergeworfen, so daß der zweite Fuß in der Luft schwebte und also gar keinen Eindruck im Sande machen konnte. Hätte der Betreffende Zeit gehabt, sich in aller Behaglichkeit hier auszustrecken, so müßte man unbedingt die Spuren beider Füße sehen. Es ist also mit voller Gewißheit anzunehmen, daß für ihn ein Grund vorhanden war, sich plötzlich hinzuwerfen. Und welche Ursache könnte das wohl sein?“

Der Advokat kratzte sich nachdenklich hinter dem Ohre.

„Sir,“ sagte er, „ich muß zugeben, daß es uns unmöglich ist, Euch in Eueren Vermutungen oder Berechnungen so schnell zu folgen.“

„Das beweist eben, daß ihr Greenhorns seid. In solchen Lagen hängt das Leben oft an der Zeit einer einzigen Minute. Da darf man nicht ewig grübeln und sinnen, sondern es kommt darauf an, daß der Blick hell, schnell und sicher ist. Ich werde euch sagen, welcher Grund vorhanden war. Bückt einmal um euch, und sagt mir, ob ihr nicht etwas Auffälliges hier in der Nähe bemerkt!“

Die Sechs schauten sich um, schüttelten aber die Köpfe.

„Nun,“ fuhr Tim fort, „so seht euch diese Yuccapflanze an! An ihr müßt ihr doch jedenfalls etwas bemerken.“

Die erwähnte Pflanze war eine Yucca gloriosa, welche hier im trockenen, sandigen Boden in ihrer Entwickelung zurückgeblieben war. Sie blühte noch und trug eine Rispe weißer, purpurn angehauchter Blumen. Mehrere ihrer steifen, schmalen, lanzettlich geformten. und blaugrün gefärbten Blätter lagen an der Erde. Sie waren nicht von selbst abgefallen, sondern abgerissen worden.

„Es ist jemand hier gewesen und hat sich mit der Yucca zu schaffen gemacht,“ sagte Gibson in klugem Tone.

„So! Und wer ist dann dieser jemand gewesen?“

„Das kann man nicht wissen.“

„Man kann es wissen, ja, man muß es sogar wissen. Ein Mensch hat die Pflanze nicht berührt, aber er hat ihr aus der Ferne eine Kugel zugesandt, welche die Blätter abgefetzt und dann dieses Loch hier durch den Stengel geschlagen hat. Seht ihr es denn nicht?“

Sie bemerkten es erst jetzt. Tim fuhr fort:

„Kein Mensch schießt aus Langeweile eine Pflanze nieder. Die Kugel hat demjenigen gegolten, welcher sich da hinter uns zur Erde warf. Wenn wir uns nun von der Yucca aus eine Linie denken, welche die Stelle berührt, wo der letzterwähnte Mann gestanden hat, und sie in gerader Richtung verlängern, so wissen wir genau, aus welcher Gegend die Kugel gekommen ist. Da sie durch den unteren Teil des Stengels schlug, hat sich die Mündung des Gewehres, aus welcher sie kam, beträchtlich hoch über dem Erdboden befunden, und ihr könnt mir jedenfalls sagen, was daraus zu schließen ist?“

Sie blickten ihn verlegen an, antworteten aber nicht. Darum erklärte er weiter:

„Derjenige, welcher geschossen hat, stand nicht auf der Erde, sondern er saß im Sattel. Das ist für mich so gewiß wie nur irgend etwas. Aus allem, was wir hier gesehen haben, ist also folgendes zu schließen: Ein mit einem Gewehre bewaffneter Indianer hat dort, wo wir die Spur betrachteten, auf der Erde gestanden. Ein Reiter, welcher ungefähr aus Nordosten kam, schoß vom Pferde aus auf ihn, worauf der Rote, ohne von der Kugel getroffen zu sein, sich augenblicklich platt auf den Boden niederwarf, und zwar so, daß er das Gesicht nach oben kehrte. Warum aber that er das? Warum legt ein Unverwundeter sich nieder, wenn auf ihn geschossen wurde? Da gibt es nur eine einzige Erklärung, nämlich er will den Schützen heranlocken; er will ihn glauben machen, daß er tot sei. Der Reiter kam auch wirklich herbei ––“

„Woraus seht Ihr das?“ fragte Gibson erstaunt.

„Das will ich Euch zeigen. Kommt nur wieder zurück nach dem Platze, an welchem sich der Tote befindet! Ich kann mir den ganzen Verlauf des Ereignisses so klar und deutlich vorstellen, als ob ich Augenzeuge desselben gewesen sei. Wer ein scharfes und gut geübtes Denk- und Beobachtungsvermögen besitzt, der schlängelt sich von außen her mit größter Leichtigkeit um so ein geheimnisvolles Ereignis herum und weiß dann sehr bald, woran er ist. Mit Eurer Jurisprudenz aber würdet Ihr da nicht weit kommen.“

Er führte ihn an der Leiche vorüber, nach einer Stelle, an welcher sich dürftig belaubtes Knieholz befand, zwischen denen es kleine, freie Sandflecke gab. Hier gab es einen größeren Eindruck im Sande, und er fragte, auf welche Weise derselbe wohl entstanden sei.

„Es scheint auch hier jemand gelegen zu haben,“ antwortete Gibson.

„Mit dieser Vermutung habt Ihr recht; aber wer ist es gewesen?“

„Etwa der Tote, bevor er starb?“

„Nein, denn dieser wurde so gut in das Herz getroffen, daß er sich gar nicht mehr bewegen konnte. Es war ihm unmöglich, sich hierher zu schleppen. Übrigens müßte sich eine Blutlache hier befinden, wenn er es gewesen wäre.“

„So war es der Indianer, welcher sich bereits da drüben einmal niederwarf?“

„Auch dieser nicht. Es gab für ihn ja gar keinen Grund, sein schlaues Manöver zu wiederholen. Auch haben wir erfahren, daß er vollständig unverletzt war, während derjenige, welcher hier gelegen hat, schwer verwundet gewesen ist. Wir haben es also jedenfalls mit einer dritten Person zu thun.“

„Aber,“ sagte Gibson im höchsten Erstaunen, „dieser Sand ist für euch wirklich ein aufgeschlagenes Buch. Ich könnte nicht eine Zeile desselben lesen!“

Auch auf den Gesichtern seiner Gefährten stand die größte Verwunderung zu lesen. Jim hatte die Erklärung bisher seinem Bruder überlassen. Jetzt ergriff er das Wort:

„Darüber braucht man Mund und Augen gar nicht aufzureißen, Mesch’schurs. Was euch so unglaublich erscheint, das macht uns jeder gute Westmann nach. Wer es nicht sehr bald fertig bringt, eine Fährte oder Spur zu lesen, der mag sich in Gottes Namen schleunigst wieder von dannen machen, denn er könnte hier im Westen gar nicht existieren. Alle berühmten Jäger haben ihre Erfolge neben ihrer Kühnheit, List und Ausdauer auch dem Umstande zu verdanken, daß jeder Fußstapfe, den sie sehen, für sie ein deutlich geschriebener Brief ist, welchen der Betreffende ihnen mit oder ohne Absicht zurückgelassen hat. Wer aber kein Verständnis für solche Briefe hat, der wird sehr bald eine Kugel oder einen guten Messerstich erhalten und an irgend einer Stelle verfaulen, an welcher es nicht gut möglich ist, ihm ein Denkmal zu errichten. Mein Bruder hat gesagt, daß sich hier keine Blutlache befinde, und er hat recht gehabt. Eine ganze, große Lache gibt es freilich nicht, aber ein wenig Blut ist doch zu sehen. Diese kleinen, dunklen Stellen im Sande rühren von Blutstropfen her. Derjenige, welcher hier lag, war also verwundet und zwar schwer, denn man ersieht aus der Spur, daß er sich vor Schmerz am Boden krümmte. Schaut euch nur das nebenan stehende Knieholz genau an und den Sand, welcher sich unter den niedrig kriechenden Zweigen desselben befindet! Der arme Teufel hat vor Schmerz die Äste losgerissen und die Finger in die Erde gekrallt. Könnt ihr mir vielleicht sagen, an welcher Stelle seines Körpers er verwundet war?“

„Um dies sagen zu können, müßte man geradezu allwissend sein.“

„O nein! Eine Wunde im Kopfe oder im Oberkörper läßt mehr Blut laufen, als hier vorhanden ist. Die Verletzung wurde ihm am Unterleibe zugefügt, woraus sich auch die Qualen, welche er litt, erklären lassen. Und nun seht weiter, wie nebenan das Holz zerstampft ist, und wie die Zweige auseinander gerissen sind bis dort hinüber, wo der unverwundete Indianer lag! Und betrachtet einmal diesen unscheinbaren Gegenstand, welcher hier am Boden liegt und von euch noch gar nicht beachtet wurde! Könnt ihr mir vielleicht sagen, was es ist?“

Er nahm ein Stückchen Leder vom Boden auf. Es war früher hell gegerbt gewesen, von der Zeit aber dunkel gefärbt worden und wurde durch Einschnitte in lange, sehr schmale Streifen geteilt. Die sechs betrachteten es genau, schüttelten aber die Köpfe.

„Das ist,“ erklärte Jim, „das losgerissene Stückchen einer ausgefransten Hosennaht, indianische Arbeit. Derjenige, weicher hier lag, war also auch ein Indianer. Er trug Leggins, deren Leder mit dem Gehirn eines Hirsches gegerbt worden war. Er hat vor Schmerz die Finger in die Leggins gekrallt und dieses kleine Fransenstück losgerissen. Ein Schuß in den Unterleib ist keineswegs das höchste der Gefühle. Wenn euch eine Kugel im Eingeweide sitzt, so werdet ihr euch wie Würmer krümmen. Sollte mich wundern, wenn dieser Indsman sich nicht bereits in den ewigen Jagdgründen befände. Er kann die Fortsetzung des Rittes unmöglich lange ausgehalten haben, zumal er zu zweien auf einem Pferde sitzen mußte!“

„Er ist fortgeritten?“ fragte Gibson. „Und zwei auf nur einem Pferde?“

„Jawohl, Master, ganz gewiß ist es so. Kommt nun einmal ein Stück von hier fort, in der Richtung, aus welcher diese Leute gekommen sind!“

Er verließ den Platz und schritt nach Nordost zu. Die anderen folgten ihm, neugierig, auf was er sie noch aufmerksam machen werde. Er schritt bis zur Kreislinie fort, welche er vorhin beschrieben hatte. Dort blieb er stehen und sagte:

„Mesch’schurs, ihr erhaltet gegenwärtig so zu sagen Unterricht im Spurenlesen. Wenn ihr Gelegenheit findet, das bald auch anderwärts geboten zu erhalten, so wird man euch nicht mehr lange „grün“ nennen können, vorausgesetzt natürlich, daß ihr Anlagen habt, Westmänner zu werden. Wollte ich nur euern Vorteil berücksichtigen, so könnte ich euch eine sehr lange Rede halten, um euch die hiesigen Spuren ausführlich zu erklären. Aber dazu habe ich keine Zeit. Ich muß mich sputen, denn wir haben eine sehr gefährliche Räuber- oder Mörderbande vor uns, und zugleich gilt es, einen oder doch vielleicht zwei Indianer zu retten, welche von dieser Bande verfolgt werden. Ich will mich also so kurz wie möglich fassen. Hier, wo wir stehen, sind die beiden Indianer vorübergekommen, von denen wir sprachen, der verwundete und der unverwundete. Der erstere hat die Wunde nicht erst dort am Platze erhalten, wo er lag, sondern er hat sie bereits hier gehabt. Ich schließe das daraus, daß die beiden ihre Pferde Kopf an Kopf gehalten haben, wie ich aus der Fährte ersehe. Sie sind eng nebeneinander geritten, und der Unverwundete hat das Pferd des anderen am Zügel gehabt. Dieser letztere brauchte also seine Hände, um sie auf seine Wunde zu legen oder um sich im Sattel zu halten, da er abgemattet war.“

Einige Schritte zurückgehend und dann auf den Boden deutend, fuhr er fort:

„Daß wir es wirklich mit Indianern zu thun hatten, zeigen die Hufeindrücke, aus denen zu beweisen ist, daß die beiden Pferde barfuß waren. Hier könnt ihr sehen, daß das eine Pferd, welches den Verwundeten trug, einen weiten Satz machte. Hier an dieser Stelle erhielt es seitwärts von hinten her einen Schuß, der ihm durch die vordere Weiche in die Brust und zwar so in das Leben drang, daß es nur noch eine kleine Strecke weiter konnte und dort, wo es noch jetzt liegt, niederstürzte. Dabei wurde der verwundete Indianer aus dem Sattel geworfen und seitwärts in das Knieholz geschleudert, wo wir die Stelle, an welcher er lag, untersucht haben.“

jetzt ging er nach rechts hinüber und deutete abermals nieder, indem er weiter erklärte:

„Hier befindet sich die Spur eines einzelnen Reiters, desjenigen, welcher auf das Pferd und dann auch auf den unverwundeten Indsman geschossen hat. Sein Pferd trug Hufeisen. Er war ein Weißer. Auf das Pferd schoß er, bevor er hier ankam, wie ich euch beweisen könnte, wenn ich Zeit dazu hätte. Aber ganz genau von der Stelle aus, an welcher wir uns jetzt befinden, schoß er auf den unverletzten Indsman ––“

„Das könnt Ihr doch nicht mit solcher Bestimmtheit sagen!“ fiel Gibson ein.

„O, ich kann es sogar beschwören! Blickt doch einmal vorwärts, so werdet ihr sehen, daß unser jetziger Standpunkt mit dem Orte, an welchem der Indianer sich niederwarf und mit der Yuccapflanze, in welche die Kugel drang, sich in einer ganz geraden Linie befindet. Es ist da gar kein Zweifel möglich. Und weiter! Nur acht oder zehn Schritte von hier seht ihr eine weitere Fährte vorüberkommen. Da sind fünf Weiße geritten, um dann am Platze anzuhalten, dessen Boden so zerstampft ist. Jetzt bitte ich euch, mir zurück zu folgen. Wir werden dann gleich fertig sein.“

Er führte sie nicht nur nach dem Platze zurück, sondern noch ein Stück über denselben hinaus und machte sie dort auf drei Spuren aufmerksam, deren eine seitwärts führte. Von dieser letzteren sagte er:

„Sie stammt von einem einzelnen Pferde, welches einem Weißen gehörte. Die Hufe haben sich tief eingewühlt; das Tier hat sich im Galoppe befunden. Ein Pferd aber, welches zwanzig Schritte von dem Punkte entfernt, an welchem es stand, bereits galoppiert, ist sicherlich ausgebrochen. Es wurde scheu und lief davon. Wollten wir seiner Spur folgen, so würden wir es ganz gewiß finden mit leerem Sattel und an irgend einer Pflanze knuspernd. Hier, links davon seht ihr die zweite Fährte. Sie ist ruhig ausgetreten und zwar von einem unbeschlagenen Pferde. Da sie trotz des langsamen Schrittes tiefer ausgetreten ist als die zurückliegende Spur der Indianerpferde, so hat dieses Tier unbedingt eine schwerere Last getragen als vorher. Der unverletzte Indianer hat im Sattel gesessen und seinen verwundeten Gefährten vor sich hegen gehabt. Uni nun sehr ihr genau neben dieser letzteren Fährte die Spuren der fünf Weißen. Sie folgten derselben, ritten aber nicht auf ihr, um sie nicht zu verwischen. So, jetzt bin ich fertig. Ich hätte viel ausführlicher sein und euch noch auf anderes aufmerksam machen können, aber, wie gesagt, ich habe keine Zeit dazu. Nun faßt einmal alles zusammen, was ihr gehört habt, und sagt mir, in welcher Weise sich das Ereignis hier zugetragen hat!“

„O, das werden wir am besten Euch überlassen, Master,“ antwortete Gibson, jetzt freilich in einem sehr bescheidenen Tone.

„Nun,“ meinte Jim, „ich bin ja deutlich genug gewesen, so daß ihr nun wohl wissen könntet, woran ihr seid. Ich hoffe aber, ihr werdet mir zugeben, daß es das höchste der Gefühle ist, eine Fährte richtig lesen zu können. Unsere Nachforschung hat folgendes ergeben: Sechs Weiße sind im Nordosten von hier mit zwei Indsmen zusammengetroffen und haben Streit mit ihnen angefangen, wobei der eine der Indianer einen Schuß in den Leib erhielt. Die Roten flohen, und die Weißen nahmen die Verfolgung sofort auf. Die Pferde der Indsmen aber waren denen der Weißen überlegen und erhielten einen sehr bedeutenden Vorsprung. Seht das Pferd an, welches dort liegt. Es ist von feinstem mexikanischen Schlage und stammt wohl gar von echt andalusischen Ureltern. Das Totem, das heißt das Zeichen seines Besitzers, ist ihm auf der linken Seite des Halses in die Haut geschnitten. Der verwundete Indianer ist kein gewöhnlicher Krieger gewesen, denn nur Häuptlinge und angesehene Männer des Kriegsrates dürfen sich eines Totem bedienen. Auch seht ihr, daß dem Tiere die feindliche Kugel in die Vorderweiche gedrungen ist. Nur ein einziges Tier der Weißen ist schnell genug gewesen, den beiden Indianerpferden auf den Hechsen zu bleiben. Dieser Weiße hat die Verfolgung wütend fortgesetzt. Er durfte es wagen, seinen Kameraden so weit vorauszueilen, da die Roten nichts gegen ihn unternehmen konnten, weil der Gesunde von ihnen den Verwundeten zu stützen und zu halten hatte. Die beiden armen Teufel konnten ihr Heil fast nur in der Flucht finden. Freilich, hätte ich mich an der Stelle des Unverwundeten befunden, so wäre ich aus dem Sattel gesprungen und hätte stehenden Fußes den Weißen erwartet, um ihn vom Pferde zu schießen. Daß er das nicht gethan hat, muß einen Grund gehabt haben, den ich nicht kenne, oder es läßt vermuten, daß dieser Indsman noch ziemlich jung und unerfahren war. Die Sorge um den anderen hat ihn verwirrt. Aber listig und verwegen ist er gewesen, wie sich gleich herausstellen wird. Der Weiße hatte ein geladenes Doppelgewehr Er kam den beiden Verfolgten so nahe, daß er dem Pferde des einen dort an der Stelle, an welcher wir standen, eine Kugel in die Weiche schickte. Es that einen Sprung, schoß noch eine Strecke fort und überschlug sich dann, seinen Reiter in das Knieholz schleudernd, wo er liegen blieb. Sofort hielt der andere Rote sein Pferd auch an und sprang ab, um den Gefährten zu schützen. Der Weiße sandte ihm eine Kugel zu; aber da sein Pferd sich noch im vollen Laufe befand, hatte er unsicheres Zielen, und seine Kugel traf die Yuccapflanze anstatt des Indianers. Dieser letztere hätte nun sein Gewehr auf den Feind richten können; aber er war aufgeregt; er zitterte vor Grimm, Sorge und Anstrengung. Es galt sein Leben, welches an der Sicherheit des Schusses hing. Darum eben schoß er nicht, sondern er that, als ob er getroffen sei und warf sich nieder, das Gewehr aber fest in der Hand behaltend. Dabei strich er mit dem Kolben den Sand auf, wie wir gesehen haben. Nun wartete er auf den Weißen, um demselben aus allernächster Nähe die Kugel in das Herz zu jagen. Dieser Weiße sprang aus dem Sattel und eilte zunächst zu dem verwundet am Boden liegenden Indianer, welcher sich natürlich tot stellte. Von da trat er zu dem anderen Indsman. Dieser sprang blitzschnell auf, schleuderte ihn zu Boden und schoß ihm in das Herz. Er hat ihm dabei die Mündung des Gewehrs so nahe an die Brust gehalten, daß die Wolle des Kleidungsstückes versengt wurde und die Kugel hinten wieder aus dem Leibe drang und sich auf dem Steine platt drückte. Durch diesen Schuß wurde das Pferd des Weißen scheu gemacht; es ging durch und brach da nach rechts hinüber aus, wie wir an der zurückgelassenen Spur gesehen haben. Der Rote aber schleppte die Leiche seines erlegten Feindes hin zu seinem verwundeten Gefährten, um demselben den Anblick der Rache zu gewähren. Dort skalpierte er sie. Dabei bemerkte er das Nahen der übrigen fünf Gegner. Er durfte nicht länger hier verweilen; darum hob er schnell den Verwundeten auf das noch unverletzte Pferd, stieg auch mit auf und ritt von dannen. Als die fünf herbeikamen und ihren toten Gefährten liegen sahen, stiegen sie ab, um zu sehen, wie es mit ihm stehe. Sie besprachen sich. Sie sind Räuber, und er war ihr Genosse. Vielleicht gibt es hier in der Nähe, wahrscheinlich auf Helmers Home, Leute, die ihn kennen. Wurde er gefunden und erkannt, so war dadurch ihre Anwesenheit verraten, welche sie natürlich geheim halten müssen. Darum kamen sie auf den Gedanken, durch Messerschnitte sein Gesicht unkenntlich zu machen. Ihr habt gesehen, daß sie das in wahrhaft schändlicher Weise ausgeführt haben, Mesch’schurs. Sie hielten sich dann nicht länger auf; sie mußten die Verfolgung der beiden Indianer, welche bereits wieder einen guten Vorsprung hatten, fortsetzen. Vorher aber nahmen sie alles, was der Tote bei sich trug, an sich. Auch die Pferdeleiche sattelten und zäumten sie ab, da ein Lederzeug, welches einem bedeutenden roten Krieger gehörte, eine sehr wertvolle Beute ist. Sie verließen diesen Ort und folgten der Fährte der Roten, sich immer neben derselben haltend, wie wir gesehen haben. Es steht zu erwarten, daß sie trotz der Langsamkeit ihrer Pferde die Indsmen doch erreichen werden, da deren Tier eine doppelte Last zu tragen hat. –Als Ihr dann hier ankamt, Master Gibson, war bereits ein Geier bei dem Kadaver des Pferdes. Ihr habt ihn durch einen Schuß vertrieben, den wir hörten und der uns herbeilockte. So! Das ist das Ereignis, wie ich es mir zusammensetze. Ich glaube nicht, daß meine Vermutungen bedeutend von der Wirklichkeit abweichen, und es wird für mich das höchste der Gefühle sein, Euch sagen zu hören, daß ich das Richtige getroffen habe.“

„Nun, wenn Euch das so großes Vergnügen macht, so wollen wir Euch dasselbe nicht verderben,“ meinte Gibson. „Es scheint mir allerdings, daß die Sache sich so zugetragen hat, wie Ihr sie Euch vorstellt. Ich vermute, daß Ihr ein gutes Auge und einen ebenso guten Kopf habt.“

„Was meinen Kopf betrifft, so muß ich eben mit ihm zufrieden sein, weil ich ihn nicht mit einem besseren vertauschen kann. Hoffentlich habt Ihr nun eingesehen, daß es ein purer Unsinn von Euch war, uns arretieren zu wollen. Jetzt möchte ich Euch fragen, was Ihr in dieser Angelegenheit nun weiter zu thun gedenkt.“

„Gar nichts. Sie geht uns nichts mehr an. Es handelt sich ja nur um Indianer.“

„Nur um Indianer?“ fragte Jim. „Nur? Sind die Indsmen etwa keine Menschen?“

„Daß sie Menschen sind, bestreite ich ihnen nicht; aber sie stehen so tief unter uns, daß es eine Beleidigung wäre, uns mit ihnen verglichen zu sehen.“

Jim machte eine etwas geringschätzige Handbewegung. Tims große Nase wackelte auf und nieder; sie bewegte sich nach rechts und links; sie gebärdete sich wie ein ganz selbständiges Wesen, welches in Zorn geraten ist. Er rieb sie leise mit dem Zeigefinger, als ob er sie beruhigen wolle, und sagte dabei in einem zur Freundlichkeit gezwungenen Tone:

„Wenn das so ist, Master, dann kommen wir freilich nicht in die Lage, euch zu beleidigen, denn es kann uns gar nicht einfallen, einen Vergleich zwischen euch und ihnen zu ziehen. Diese beiden Roten haben sich geradezu wie Helden benommen, wenigstens der eine von ihnen, den wir für den jüngeren halten. Es ist gar nicht möglich, so unerfahrene Leute, wie ihr seid, mit ihnen zu vergleichen. Sie stehen hoch, sehr hoch über euch. Haltet euch um Gottes willen nicht für bessere Menschen als sie! Die Weißen sind in das Land gekommen, um die eigentlichen Besitzer desselben, die Indianer, aus demselben zu verdrängen. Es sind Ströme von Blut und Brandy vergossen worden, unter denen der Nationenmord bewerkstelligt wurde. Gewalt, List, Betrug, Wortbrüchigkeit haben unausgesetzt daran gearbeitet, die Scharen, welche die Prairien bevölkerten, zu dezimieren. Man jagt sie von Ort zu Ort, von Station zu Station, von Territorium zu Territorium. Kaum hat man ihnen ein neues Gebiet angewiesen, auf welchem sie in Ruhe und Frieden leben dürfen sollen, findet man irgend einen Grund, sie wieder auf- und fortzujagen. Man verkauft ihnen Schwerspat als Mehl, Kohlenstaub als Pulver, Kinderflinten als Bärenbüchsen. Wollen sie sich das nicht gefallen lassen, so nennt man sie Empörer und schießt sie in Masse nieder. Diese Armen haben nur die Wahl, entweder sich bis zur Stupidität bedrücken zu lassen oder bis zum letzten Lebenshauche gegen die vernichtende Habsucht der Eroberer zu kämpfen. Ergeben sie sich in ihr Schicksal, so nennt ihr sie stumpfsinnig und indolent. Wehren sie sich ihrer Haut, so heißt ihr sie Räuber und Mörder, welche man ohne Gnade und Barmherzigkeit ausrotten müsse. Es geht hier gerade wie unter den wilden Tieren zu: eins frißt das andere auf, und das stärkste sagt: Ich habe recht! Ich aber sage euch, Mesch’schurs, daß ich unter diesen Verachteten und Verfolgten Männer kennen gelernt habe, von denen einer zehnmal mehr wert war, als ihr alle sechs und noch hundert Dutzend eurer Art dazu. Ihr selbst habt die Roten zu dem gemacht, was sie jetzt sind; ihr habt alles das, was ihr an ihnen tadelt, auf dem Gewissen. Redet mir also ja nicht gegen sie, sonst kann mich der Grimm übermannen, und ihr habt es dann mit mir zu thun!“

Er hatte sich in einen heiligen Zorn hineingeredet und legte bei seinen letzten Worten die Büchse auf Gibson an, als ob er ihn erschießen wolle. Dieser sprang schnell zur Seite und rief erschrocken:

„Halt, Sir! Wollt Ihr mich etwa ermorden?“

„Nein, jetzt noch nicht. Aber wenn Ihr noch einmal sagt, daß die Indsmen verachtet werden müssen, so kann es leicht geschehen, daß meine alte Flinte losgeht, ohne mich vorher um Erlaubnis zu fragen. Wenn Ihr Euch mit solchen übermütigen Redensarten von außen um mich herumschlängelt, so könnt Ihr auf alles rechnen, nur auf meine Freundschaft nicht!“

„Was das betrifft, so haben wir Euch auch noch gar nicht um dieselbe gebeten,“ antwortete Gibson trotzig. „Wir brauchen Euch nicht, denn wir sind freie, selbständige Männer, welche sehr gut wissen, was zu ihrem Besten dient.“

„Das scheint mir aber gar nicht so! Ihr sagt z. B., daß Ihr nicht nötig habt, Euch um das, was hier geschehen ist, weiter zu bekümmern. Wenn Ihr so denkt, so könnt Ihr sehr bald gezwungen werden, in einen Grashalm zu beißen, an dem Ihr sterben müßt.“

„Oho! Meint Ihr, daß wir uns vor anderen Leuten fürchten sollen?“

„Ja, das meine ich. Ihr seid für den Westen noch viel zu grün.“

„Hört, solche Beleidigungen müssen wir uns auf das strengste verbitten! Wir sind von New Orleans bis hierher gekommen, und ich denke, daß wir auch noch weiter kommen werden.“

„Von New Orleans bis hierher?“ lachte Jim. „Soll das etwa eine bedeutende Leistung sein? Das thut jeder zwölfjährige Knabe. Ich sage Euch, daß die Gefahr erst hier beginnt. Wir befinden uns an der Grenze, wo allerlei Volk sein Wesen treibt, welches sich aus fremdem Eigentum zwar sehr viel, aus dem Leben anderer aber desto weniger macht. Und jenseits der Llano beginnt das Gebiet der Komantschen und Apatschen, welche um so mehr zu fürchten sind, als sie untereinander in Unfrieden leben und gerade jetzt die Kriegsbeile ausgegraben haben. Wer sich leichtsinnig zwischen solche Mühlsteine wagt, der wird leicht zermahlen. Hier an dieser Stelle sind weiße Räuber und rote Krieger zusammengetroffen. Das kann uns ganz und gar nicht gleichgültig sein. Sehen wir auch von den Weißen ab, so müssen wir uns doch fragen, was die Indianer hier gewollt haben. Wenn zwei Redmen sich so allein ins Land hereinwagen, so steht in zehn Fällen neunmal zu erwarten, daß sie Kundschafter seien, welche die Aufgabe haben, für einen Kriegszug das Terrain zu rekognoszieren. Mir kommt die Sache gar nicht so geheuer vor wie Euch. Ich kenne weder den Zweck noch das Ziel Eures Rittes; wir aber wollen über die Llano hinüber, und da gilt es nun, die Augen aufzumachen, sonst kann es einem passieren, daß man sich des Abends lebendig niederlegt und dann früh nach dem Erwachen als traurige Leiche nach Hause laufen muß.“

„Was unseren Weg betrifft, so wollen auch wir über die Llano.“

„So? Und wohin darin?“

„Nach Arizona.“

„Ihr waret jedenfalls noch nie drüben?“

„Nein.“

„Hört, nehmt es mir nicht übel, aber das ist eine Unvorsichtigkeit von euch, welche gradezu ihresgleichen sucht! Ihr haltet die Llano wohl für eine hübsche, allerliebste Gegend, über welche man sich nur so hinüberschlängeln kann?“

„O nein, so dumm sind wir freilich nicht. Wir kennen ihre Gefahren ganz genau.“

„Woher denn?“

„Wir haben davon gehört und auch darüber gelesen.“

„So, so! Hm, hm! Gehört und gelesen! Das ist grad‘ so, wie wenn einer gehört und gelesen hat, daß Arsenik giftig sei, und dann glaubt, ohne Schaden ein ganzes Pfund davon verschlingen zu können. Seid ihr denn nicht wenigstens auf den klugen Gedanken gekommen, euch einen Führer zu nehmen, weicher mit den Plains und ihren Gefahren vertraut ist?“

Jim meinte es sehr gut mit den Fremden; dennoch rief Gibson zornig:

„Ich bitte Euch sehr, uns nicht in dieser Weise schulmeistern zu wollen! Wir sind Männer, verstanden! Übrigens haben wir einen Führer.“

„Ach so! Wo denn?“

„Er ist uns vorausgeritten.“

„Das ist freilich eine ganz eigenartige Weise, jemanden zu führen. Wo wartet dieser Mann denn auf euch?“

„In Helmers Home.“

„So! Wenn das der Fall ist, so mag es ja sein. Helmers Home werdet ihr sehr leicht finden. Und wenn es euch recht ist, so könnt ihr euch uns anschließen, denn auch wir wollen dort hin. Dürfen wir vielleicht erfahren, wer dieser euer Führer ist?“

„Er ist ein sehr berühmter Westmann, wie uns versichert wurde, und hat die Llano bereits mehrere Male durchkreuzt. Seinen eigentlichen Namen hat er uns nicht gesagt; er wird gewöhnlich nur der Juggle-Fred genannt.“

Good lack, der Juggle-Fred!“ rief Jim. „Ist das wahr, Sir?“

„Gewiß! Kennt Ihr ihn?“

„Persönlich nicht, aber gehört haben wir sehr oft und sehr viel von ihm.“

„Was ist er für ein Mann?“

„Ein höchst tüchtiger Kerl, dessen Führung ihr euch ruhig anvertrauen könnt. Ich freue mich darauf, ihn endlich einmal von Angesicht zu Angesicht sehen zu können. jedenfalls reiten wir dann zusammen, denn auch wir beide wollen hinüber nach Arizona.“

„Auch ihr? Weshalb?“

„In einer Privatangelegenheit,“ antwortete Jim zurückhaltend.

„Bezieht sich diese Angelegenheit etwa auf die Diamanten, welche jetzt dort gefunden werden?“

„Vielleicht.“

„So passen wir nicht zusammen.“

„Wieso?“

„Weil wir in derselben Angelegenheit hinüber wollen. Ihr seid also unsere Konkurrenten.“

„Folglich wollt ihr nichts von uns wissen?“

„So ist es!“

Er sagte dies in einem sehr bestimmten Tone und betrachtete die Brüder dabei mit einem beinahe feindseligen Blicke. Jim lachte laut auf und rief:

„Das ist lustig! Ihr seid eifersüchtig auf uns? Das ist wieder ein sehr klarer Beweis, daß ihr grün im Westen seid. Meint ihr denn, die Diamanten liegen in Arizona nur so auf der Erde herum, daß man nichts zu thun hat als sich zu bücken, um sie aufzuheben? Schon die Goldsucher müssen sich zusammenthun, wenn sie gute Erfolge erzielen wollen, und die Diamond-Boys haben es noch viel nötiger, sich zusammenzuschließen. Ein einzelner geht zu Grunde.“

„Wir sind bereits sechs und haben genug Geld bei uns, um nicht zu Grunde zu gehen.“

„Hört, sagt das keinem anderen! Wir sind ehrliche Leute, von denen ihr nichts zu fürchten habt. Andere aber würden wohl dafür sorgen, daß ihr euer vieles Geld nicht weit zu schleppen braucht. Wenn ihr aber meint, es sei das höchste der Gefühle, mit leeren Taschen umkehren zu müssen, so erzählt es in Gottes Namen weiter; ich habe nichts dagegen. Daß ihr nichts von unserer Begleitung wissen wollt, ist uns sehr gleichgültig. Wir wollen es euch anheimstellen, uns wenigstens bis nach Helmers Home Gesellschaft zu leisten. Ihr könnt diesen Ort heute nicht erreichen und müßt also im Freien übernachten. Da ist es gut, Leute bei sich zu haben, welche im wilden Westen zu Hause sind.“

„Wann brecht ihr hier auf?“

„Sofort natürlich.“

„Ich will meine Kameraden fragen.“

„Das ist eigentlich eine Beleidigung für uns, gleichviel, ob ihr es aus Mißtrauen oder aus geschäftlicher Eifersucht thut. Doch mögt ihr immerhin eine heimliche Konferenz halten; wir werden euch nicht stören. Macht, was ihr wollt.“

Er ging langsam zu seinem Maultiere und stieg auf. Tim that dasselbe; dann ritten sie in ruhigem Schritte fort, den Spuren nach, welche nach Westen führten.

Die anderen blieben eine kurze Weile zurück, um zu beraten, dann folgten sie den beiden nach. Als sie diese erreicht hatten, drehte Jim sich nach ihnen um und fragte:

„Nun, was habt ihr beschlossen?“

„Wir reiten bis Helmers Home mit euch, aber auch nur bis dorthin.“

„Sehr gütig von euch. Mit so herablassenden Leuten zu reiten, ist das höchste der Gefühle.“

Er wendete sich wieder ab, und von jetzt an thaten die Brüder ganz so, als ob sie gar niemand hinter sich hätten.

Sie ließen ihre Pferde schneller ausgreifen und hingen dabei nach echter Westmannsart im Sattel, vornüber gebeugt, scheinbar schläfrig und laß, als ob sie gar nicht reiten könnten. Die sechs anderen Reiter hingegen befleißigten sich einer so regelrechten Haltung, als ob sie Schulpferde einzureiten hätten.

„Seht nur die beiden Kerls!“ sagte Gibson zu seinen Begleitern. „Sie können nicht reiten; das sieht man doch deutlich genug. Und da wollen sie Westmänner sein? Ich mag es nicht glauben.“

„Ich auch nicht,“ stimmte ein anderer bei. „Wer so im Sattel sitzt wie sie, der darf mir nicht weismachen, daß er den Westen kennt. Die Geschichte von dem Spurenlesen, welche sie uns vormachten, war jedenfalls nur Schwindel. Seht nur ihre Gesichter an! Diese Nasen! Ich habe noch nie so abstoßende Physiognomien gesehen. Und da soll man diesen Kerls Vertrauen schenken?“

„Davon ist keine Rede! Und nun gar sie mit uns nach Arizona nehmen! Daß wir dumm wären! Der Kerl fuhr förmlich auf, als ich von unserem Gelde sprach. Er stellte sich so unendlich ehrlich, jedenfalls nur, weil wir sechs sind und sie zwei. Wollen uns beim Schlafen in acht nehmen, damit sie nicht etwa früh mit unserem Gelde fortreiten, und wir als Leichen liegen bleiben. Ihr ganzes Auftreten läßt ja vermuten, daß sie vor nichts zurückschrecken.“

„Vielleicht ist’s doch besser, wir reiten auch nicht einmal bis Helmers Home mit ihnen. Warum wollen wir uns in eine Gefahr begeben, wenn wir das gar nicht nötig haben?“

„Ganz richtig! Wenn es zu dunkeln beginnt, bleiben wir zurück. Des Nachts wachen wir dann abwechselnd, um nicht überfallen zu werden. Das wird das allerbeste sein. Es war geradezu eine Frechheit von ihnen, uns grün zu nennen. Wir sind es unserer Ehre schuldig, ihnen zu zeigen, daß wir nichts mit ihnen zu thun haben wollen.“

Indessen traten die bereits erwähnten Höhen immer näher. Der Boden wurde steinigt, und Jim und Tim beugten sich immer tiefer, weil die Fährte nun nicht mehr leicht zu erkennen war. Da plötzlich hielt der erstere sein Pferd an, deutete mit der Hand vorwärts und sagte:

„Schau einmal dort, alter Tim! Was für Geschöpfe mögen die wohl sein, welche da beisammenstehen?“

Tim beschattete seine Augen mit der Hand, obgleich die Sonne ihn nicht blenden konnte, denn sie war hinter dem westlichen Horizonte verschwunden. Nachdem er den betreffenden Punkt eine Zeit lang scharf fixiert hatte, antwortete er:

„Das sind zwei sehr bekannte Arten von Kreaturen, nämlich fünf Pferde und ein Mensch, welche ersteren wohl mehr wert sind als der letztere.“

„Ja, ja, fünf Pferde. Dazu gehören natürlich auch fünf Reiter, und da nur einer zu sehen ist, möchte ich gerne wissen, wo die anderen vier stecken.“

„Ich rechne, daß sie wohl nicht weit entfernt sein werden. Wenn wir noch ein Stück weiter reiten, können wir sie vielleicht sehen. Jetzt ist die Entfernung noch zu groß, einen einzelnen Menschen genau und deutlich zu erkennen.“

„Ja, machen wir also noch ein Stückchen vorwärts!“ Und indem er sein Pferd wieder in Bewegung setzte, fügte er hinzu: „Daß es gerade fünf Pferde sind, gibt uns zu denken. Meinst du nicht auch?“

„Natürlich! haben mich meine Augen nicht getäuscht, so sind es jene Fünf, welche die Indianer verfolgen. Wir haben also wohl die Weißen vor uns, von denen einer erschossen wurde. Und jetzt ist es mir auch ganz so, als ob ich da draußen und da drüben so etwas Menschliches am Boden umherkrabbeln sähe. Betrachte einmal die sich bewegenden Punkte dort!“

Was er Punkte nannte, waren vier Männer, welche, in gleichmäßigen Distanzen voneinander entfernt, eine gerade Linie bildeten und sich langsam nach derselben Richtung fortbewegten.

„Das sind die anderen Vier, welche zu den Pferden gehören,“ meinte Jim. „Sie befinden sich auf felsigem Boden und suchen die Spur der Indianer, welche ihnen ausgegangen ist. Nach dem Vorsprunge zu urteilen, welchen sie vor uns hatten, müssen sie schon längere Zeit damit beschäftigt sein. Das ist ein sicheres Zeichen, daß sie keine allzu guten Fährtenleser sind. Jetzt haben sie uns gesehen. Siehst du, daß sie nach ihren Pferden rennen? Es sollte mich freuen, wenn die Indianer ihnen entkämen. Was ich dazu beitragen kann, wird gern geschehen.“

„Und wie verhalten wir uns gegen sie?“

„Hm! Schurken sind sie; das ist sicher und gewiß; wir müssen ihnen um unserer eigenen Sicherheit willen ein wenig auf die Finger sehen; doch scheint es mir nicht geraten zu sein, uns gar zu eifrig um ihre Angelegenheit zu kümmern. Es ist besser, wir lassen es ihnen gar nicht merken, was wir von ihnen denken. Solange sie sich uns nicht feindlich zeigen, können auch wir friedfertige Gesichter machen. Vorwärts also! Sie erwarten uns.“

Auch die sechs Diamond-Boays hatten jetzt die Pferdegruppe gesehen und hielten sich infolgedessen nun wieder nahe zu den beiden Brüdern. Sie fühlten sich also doch in Gesellschaft derselben sicherer als allein.

Die fünf fremden Männer standen bei ihren Pferden und hielten die Gewehre schußfertig in den Händen. Einer von ihnen rief den Nahenden, als dieselben auf vielleicht sechzig Schritte herbeigekommen waren, in gebieterischem Tone zu:

„Halt, sonst schießen wir!“

Jim und Tim ritten trotzdem weiter; die sechs anderen aber hielten gehorsam an.

„Halt, sage ich!“ wiederholte der Mann. „Noch einen Schritt, so bekommt ihr unsere Kugeln!“

„Unsinn!“ lachte Jim. „Ihr werdet euch doch nicht vor zwei friedfertigen Menschen fürchten. Behaltet eure Kugeln! Wir haben auch welche in unseren Läufen.“

Die Fünf schossen nicht, vielleicht weil sie wirklich keine Besorgnis hatten und mit ihrer Drohung nur bramarbasieren wollten, vielleicht aber auch weil die ruhige, sichere Haltung der beiden Brüder einen imponierenden Eindruck auf sie machte. Sie ließen die beiden herankommen, legten aber ihre Gewehre nicht ab.

Derjenige von ihnen, welcher den Befehl ausgesprochen hatte, war eine breitschulterige, untersetzte Gestalt. Ein dichter, schwarzer Vollbart bedeckte den unteren Teil seines Gesichtes, so daß die Lippen nicht gesehen werden konnten; doch war seiner Aussprache anzuhören, daß er eine Hasenscharte haben müsse.

Als die Snuffles nun vor ihm anhielten, sagte er in zornigem Tone:

„Wißt ihr nicht, was hier im Westen Regel und Sitte ist? Wer angerufen wird, hat stehen zu bleiben, verstanden! Ihr verdankt es nur unserer Nachsicht, daß ihr noch lebt.“

„Schneide nicht so auf, Mann!“ antwortete Jim. „Wem habt denn ihr es zu verdanken, daß ihr noch lebt? Auch wir haben Gewehre. Die Sitte des Westens kennen wir sehr genau; sie lautet: Schieße jeden, der das Gewehr auf dich anlegt, sofort nieder! Ihr habt eure Schießhölzer gegen uns erhoben, und wir haben euch nur deshalb nicht nach der Regel geantwortet, weil wir gleich gesehen haben, daß ihr nicht die Leute seid, denen man einen guten, sicheren Schuß zutrauen kann. Eure Kugeln wären ganz gewiß meilenweit an uns vorüber geflogen.“

Thunder-storm! Da irrt ihr euch gewaltig. Wir schießen auf hundert Schritte einer Fliege den Kopf vom Rumpfe; das laßt euch gesagt sein! In welcher Absicht treibt ihr euch denn eigentlich in dieser Gegend herum?“

„Das könnt ihr euch doch denken! Wir wollen die nächste Sonnenfinsternis sehen, welche hier am besten zu beobachten sein soll.“

Der Bärtige wußte nicht, wie er diese in sehr ernstem Tone vorgebrachte Antwort aufzunehmen habe. Er machte ein sehr zweifelhaftes Gesicht und fragte:

„Wann soll sie denn sein?“

„Heute abend zwölf Uhr fünf Minuten elf Sekunden. Ich sage euch, so eine Sonnenfinsternis um Mitternacht ist das höchste der Gefühle!“

„Mann, wollt ihr uns foppen?“ brauste der andere auf. „Wir werden euch die Lust dazu sehr schnell vertreiben. Wir stehen nicht hier, um uns von euch an den Nasen ziehen zu lassen. Die eurigen sind geeigneter dazu als die unserigen. Nehmt euch in acht, daß wir euch nicht daran fassen!“

„O,“ lachte Jim, „das mögt ihr immerhin thun. Wir haben nichts dagegen. Nur muß ich euch da warnen: Unsere Nasen sind nämlich geladen, wie ihr ihnen leicht ansehen werdet. Sie gehen bei der geringsten Berührung los und sind in dieser Beziehung weit und breit gefürchtet. Oder solltet Ihr noch nichts von den beiden Snuffles gehört haben, Sir?“

„Snuffles? Die beiden Snuffles seid ihr?“ rief er aus. „Alle Teufel! ja, wir haben viel von euch gehört. Jim und Tim, Tim und Jim, das sollen ein paar so verteufelt drollige Burschen sein, daß ich mich immer gesehnt habe, ihnen einmal zu begegnen. Es freut mich ungemein, diesen Wunsch jetzt in Erfüllung gehen zu sehen. Eure Nasen sollen die allerschönsten Affensprünge machen können. Hoffentlich macht ihr uns den Spaß, uns hier eine Komikervorstellung zu geben. Ihr werdet an uns ein aufmerksames und dankbares Publikum finden. Wir bezahlen gut, fünf Cents pro Mann und einen Cent pro Pferd.“

„Das läßt sich hören! So eine Einnahme konnten wir hier in diesem Zirkus kaum erwarten. Wir produzieren uns aber stets nur bei Sonnenfinsternis. Ihr werdet also wohl bis zwölf Uhr nachts zu warten haben. Wollt ihr euch aber nicht bis dahin gedulden, so schlagt euch selbst einige Purzelbäume. Das dazu gehörige Talent besitzt ihr sicher, denn euer Aussehen läßt vermuten, daß ihr erst ganz kürzlich aus einem Affenhause entsprungen seid.“

„Mann, wagt nicht zu viel! Einen Spaß machen wir uns zwar gern, uns selbst aber geben wir nicht dazu her!“

„So, dann gehört ihr also zu den feineren Pavians. Das sieht man euch aber leider nicht an, und ihr werdet mich also wohl entschuldigen. Darf man vielleicht erfahren, welche Namen ihr von euern geehrten Eltern erhalten habt?“

Diese Worte wurden mit so herzgewinnender Freundlichkeit gesprochen, daß der Bärtige darauf verzichtete, noch gröber als bisher zu werden. Er antwortete:

„Ich heiße Stewart. Die Namen meiner Genossen mögen ungenannt bleiben. Ihr würdet sie Euch doch nicht merken können, da Euer Kopf in einer sehr traurigen Verfassung zu sein scheint. Wo kommt ihr denn eigentlich her?“

„Aus der Gegend, welche hinter uns liegt.“

„Und wo wollt ihr hin?“

„Nach der Gegend, welche vor uns liegt.“

„So! Das ist sehr geistreich geantwortet. Ich habe mich also in Beziehung auf Euer armes Gehirn nicht geirrt. Wie es scheint, wollt ihr nach Helmers Home reiten?“

„Ja, da es nicht zu uns kommt, müssen wir zu ihm. Wollt ihr mit?“

„Danke sehr! Es wäre sehr unvorsichtig von uns, mit euch zu reiten, da Dummheit ansteckend sein soll.“

„Nur dann steckt sie an, wenn die Anlage dazu bereits vorhanden ist, was ich bei euch ganz und gar nicht bezweifle. Wir sahen von weitem, daß ihr euch den Erdboden so genau betrachtetet. Was habt ihr denn gesucht? Sind hier vielleicht Hundertdollarsnoten zu finden?“

„Das nicht. Wir suchten Esels und haben nun in euch zwei ganz riesige gefunden. Denn nur ein Esel kann in der Weise fragen wie ihr. Habt ihr denn die Fährte nicht gesehen, welche immer gerade vor euren Nasen hergelaufen ist?“

„Was geht uns diese Fährte an! Wir haben nichts mit ihr zu schaffen. Sie stammt jedenfalls von Leuten, welche nach Helmers Home geritten sind. Wir werden diesen Ort auch ohne die Spuren finden.“

„Seid ihr an der Leiche vorüber gekommen, welche dort hinten liegt?“

„Ja.“

„Was denkt ihr über diesen Fall?“

„Daß sie tot ist. Und was tot ist, das beißt uns nicht. Wenn andere sich die Hälse brechen, so mögen sie es immerhin thun; uns stört das nicht.“

Stewart warf einen langen, forschenden Blick auf Jim und Tim. Er schien der Gleichgültigkeit, welche der erstere in Beziehung auf die Leiche zeigte, doch nicht recht zu trauen. Die Snuffles waren als sehr tüchtige Westmänner bekannt; sollten sie wirklich an dem Toten vorüber geritten sein, ohne denselben genau untersucht zu haben und ohne dann Mißtrauen und Verdacht zu hegen? Als er in ihren offenen, ehrlichen Gesichtern auch nicht die leiseste Spur einer üblen Meinung bemerkte, sagte er:

„Auch wir haben den Mann und sein Pferd liegen sehen. Es wäre schade um den Sattel und das Zaumzeug des Pferdes gewesen, es hegen und verfaulen zu lassen. Darum haben wir beides mitgenommen. Ihr werdet das wohl nicht für einen Diebstahl erklären?“

„Fällt uns gar nicht ein! Wären wir vor euch gekommen, so hätten wir ganz dasselbe gethan.“

„Ganz recht. Wir folgten dann der Pferdespur, obgleich sie nicht nach unserer Richtung führte. Hier haben wir sie verloren und uns bisher vergeblich bemüht, sie wieder zu finden.“

„Das wundert mich. Ein Westmann muß doch eine verlorengegangene Fährte wieder finden können!“

„Das ist freilich wahr. Wäre der Felsboden von geringerem Umfange, so könnte man ihn umreiten und müßte die Spur da finden, wo sie wieder weiche Erde berührt; aber der Stein erstreckt sich von hier aus stundenweit nach Süd, West und Nord. Die Untersuchung würde mehrere Stunden erfordern, und dazu gibt es jetzt nicht mehr die Zeit, da die Nacht bald hereinbrechen wird. Wir haben uns also entschlossen, die Nachforschung aufzugeben und werden unseren früheren Weg einschlagen.“

„Wohin führt euch derselbe?“

„Wir wollen hinunter nach Fort Chadburne.“

„Das liegt am Rande der Llano. Wollt ihr dann vielleicht hinüber?“

„Ja. Wir möchten nach El Paso und dann weiter ins Arizona.“

„Um Diamanten zu holen?“

„O nein. Von diesem Fieber lassen wir uns nicht ergreifen. Wir sind ehrliche und bescheidene Farmer und haben Verwandte drüben, welche bemüht gewesen sind, uns gutes Land zu besorgen. Das werden wir bebauen; die Edelsteine mögen andere suchen. Eine Farm bringt langsamer aber desto sicherer Früchte.“

„Jedem nach seinem Belieben! Da ihr nur Farmer seid, so wundert es mich nicht, daß ihr die Fährte nicht wiederfindet. Ein tüchtiger Scout würde wohl nicht lange vergeblich nach ihr suchen.“

„Nun, ihr seid ja als Scouts bekannt. Sucht doch einmal! Ich bin neugierig, zu sehen, ob ihr sie finden werdet.“

& Er sagte das in höhnischem Tone; aber Jim antwortete ruhig:

„Das können wir leicht thun, obgleich wir uns für die Sache sonst gar nicht interessieren. Ihr sollt nur den Beweis bekommen, daß wir finden, was wir suchen.“

Er stieg ab, und Tim that dasselbe.

Beide begannen, den Platz in einem weiten Kreise zu umschreiten. Ein leiser Pfiff rief die Maultiere hinter ihnen her, welche ihren Herren wie Hunde folgten. Die Brüder trauten der Gesellschaft zu wenig, als daß sie ihre Tiere hatten zurücklassen mögen.

Die Diamond-Boys waren nach den ersten gewechselten Worten auch herangekommen und hatten der Unterredung schweigend zugehört. jetzt, nachdem die Snuffles sich entfernt hatten, fragte Stewart:

„Ihr seid mit diesen zwei Nasenmenschen gekommen, scheint aber nicht zu ihnen zu gehören. Wollt ihr uns darüber eine Aufklärung geben?“

„Gern,“ antwortete Gibson. „Wir trafen mit ihnen an der Leiche zusammen, doch hat ihr Betragen uns keineswegs veranlaßt, Freundschaft mit ihnen zu schließen.“

„Daran habt ihr recht gethan. Die Snuffles stehen keineswegs in gutem Rufe. Natürlich hüte ich mich, ihnen das ins Gesicht zu sagen. Man hat uns vor ihnen gewarnt. Sie sollen die Zubringer machen für die Raubgesellschaften, welche die Reisenden in der Llano überfallen. Erst kürzlich sind wieder vier Familien getötet und ausgeraubt worden, und zwar ganz hier in der Nähe. Daß die Snuffles sich hier herumtreiben, läßt sehr vermuten, daß sie an dieser Unthat beteiligt waren und nun nach neuen Opfern suchen. Uns aber sollen sie nicht bekommen!“

„Dachte es mir! Ich habe ihnen gleich vom ersten Augenblicke an nicht getraut. Sie wollten uns verlocken, mit ihnen zu reiten.“

„Wohin?“

„Nach Helmers Home und dann durch die Llano bis nach Arizona.“

„Das laßt ja bleiben, Sir! Ihr würdet nicht hinüber kommen. Geht ihr nach Arizona, um nach Diamanten zu suchen?“

„Kaufen wollen wir welche, suchen aber nicht.“

Stewart warf seinen Gefährten einen schnellen, bezeichnenden Blick zu und bemerkte dann in möglichst gleichgültigem Tone:

„Da werdet ihr keine großen Geschäfte machen, Sir. Ein Diamantenkäufer muß Geld haben, und zwar sehr viel Geld.“

„Das haben wir natürlich.“

„Aber die Verbindung zwischen Arizona und Frisco‘ ist sehr unzuverlässig. Ich nehme natürlich an, daß ihr euer Geld von Frisco aus geschickt bekommt. Da könnt ihr es sehr leicht gerade dann nicht haben, wenn ihr es am notwendigsten braucht. Auch wir haben bedeutende Summen für das angekaufte Land zu bezahlen; aber anstatt es uns von Frisco aus anweisen zu lassen, haben wir es lieber gleich bar mitgenommen. Das ist viel sicherer.“

„Nun, ihr seid nicht die einzigen, welche so klug gewesen sind. Auch wir tragen unser Geld bei uns.“

„Das ist sehr gescheit. Man muß es aber sehr gut verbergen, denn man weiß nicht, was geschehen kann. Wir haben es in unsere Kleider genäht; da soll es einmal ein Llano-Mann finden! Ich traue, wie bereits gesagt, diesen Snuffles nicht. Sie wissen, wohin wir wollen und werden sich beeilen, es ihren sauberen Kumpanen mitzuteilen, um uns auflauern zu lassen. Wir werden aber so klug sein, nun nicht nach Fort Chadburne zu reiten, sondern eine ganz andere Richtung einschlagen. Ich rate euch, dasselbe zu thun und euch einem tüchtigen und umsichtigen Führer anzuvertrauen.“

„Das haben wir bereits gethan. Er wartet in Helmers Home auf uns.“

„Wer ist er?“

„Er wird Juggle-Fred genannt.“

„Juggle-Fred?“ rief Stewart in gut gespieltem Schreck. „Seid Ihr des Teufels, Sir?“

„Wieso des Teufels?“

„Weil dieser Mensch ein anerkannter Gauner ist. Sein Name muß es Euch ja schon sagen! Er treibt allerlei betrügerische Künste und ist als falscher Spieler weit und breit bekannt. Ich schwöre sogar darauf, daß er ein Verbündeter der beiden Snuffles ist.“

„Diese behaupten aber, ihn noch gar nicht gesehen zu haben!“

„Und das glaubt Ihr ihnen? Sir, nehmt es mir nicht übel, aber das ist kein Zeichen großer Klugheit von Euch! Natürlich verleugnen sie ihn; aber er befindet sich in Helmers Home, und sie wollen auch dorthin. Es ist doch klar, daß sie sich dort treffen wollen! Dann reitet ihr mit ihnen fort, und in der Llano estakata werdet ihr dann kalt gemacht. Ihr geht uns gar nichts an, aber ich will meine Pflicht thun und euch warnen.“

Er sagte das in so treuherziger und besorgter Weise, daß Gibson sich täuschen ließ. Der letztere schüttelte verlegen den Kopf und sagte:

„Das ist uns freilich unangenehm. Wir sind Euch dankbar für die Warnung und wollen auch glauben, daß dieselbe berechtigt sei; aber nun stehen wir ohne Führer da. Wo nehmen wir jetzt einen anderen und zuverlässigen her!“

„Das ist freilich schlimm. Ich begreife überhaupt nicht, daß ihr euch habt nach Helmers Home weisen lassen. Welcher Mensch legt seine Farm so nahe an die gefährliche Llano! Daß er es gethan hat, muß euch doch auf den Gedanken bringen, daß dieser Helmers mit den Bravos in Verbindung steht, welche die Llano unsicher machen! Er hat einen Laden. Er nimmt ihnen ihren Raub ab, und sie tauschen dafür bei ihm alles ein, was sie brauchen. Das ist doch selbstverständlich. Mich brächte kein Mensch nach diesem Hause, welches so gemütvoll und verlockend Helmers Home genannt worden ist. Hinter dieser hübschen Maske verbergen sich die Gesichter einer ganzen Mörderbande.“

„Zounds, Sir, von dieser Seite haben wir uns die Sache freilich nicht betrachtet. Es bleibt uns nichts übrig, als umzukehren und einen anderen Führer zu suchen, denn von diesem Juggle-Fred wollen wir nun freilich nichts mehr wissen. Aber sagt, habt denn ihr einen Führer?“

„Wir brauchen keinen, weil zwei meiner Gefährten da sehr gut Bescheid in der Llano wissen. Auf sie können wir uns verlassen.“

Well! Könnten wir dann da nicht vielleicht mit euch reiten?“

„Das ginge wohl, aber ich mache euch darauf aufmerksam, daß das wieder eine Unvorsichtigkeit von euch ist. Ihr kennt uns nicht.“

„O, man sieht es euch doch sofort an, daß ihr es ehrlich meint, wenn auch die Snuffles uns weismachen wollten, daß ihr Räuber seiet.“

„Haben sie das?“

„Ja.“

„Aus welchem Grunde denn?“

„Sie haben den Ort, an welchem die Leiche lag, sehr genau untersucht. Sie sagten, ihr hättet die beiden Indsmen verfolgt; einer von ihnen sei ermordet worden; der andere habe dann euern Gefährten erschossen, und dieser letztere sei von euch im Gesicht unkenntlich gemacht worden.“

„Alle Teufel! Das sagten sie?“ fragte Stewart betroffen. „Und uns machten sie weiß, sich gar nicht um die Leiche bekümmert zu haben. Da habt ihr den Beweis, daß diesen Lügnern nicht zu trauen ist! So versteckt und hinterlistig handelt kein ehrlicher Mann. Wir sind ganz zufälligerweise an dem Orte vorüber gekommen. Daß wir Sattel und Zaum an uns genommen haben, kann uns niemand verdenken; das ist das Recht der Prairie. Dann habt ihr gesehen, daß wir hier die Fährte untersuchten. Das thut man doch nur der Vorsicht halber. Würden wir es also thun, wenn wir die Mörder wären?“

„Nein, gewiß nicht. Ihr braucht euch gar keine Mühe zu geben, euch zu verteidigen. Wir sehen, daß ihr ehrliche Leute seid, und schenken euch unser vollstes Vertrauen. Sagt also, ob ihr uns erlauben wollt, mit euch zu reiten!“

„Hm!“ brummte Stewart nachdenklich und die Achsel zuckend. „Ich will aufrichtig sein. Wir kennen euch ebensowenig wie ihr uns. Es ist nie geraten, hier im Westen so schnell und ohne vorherige Prüfung Bekanntschaft zu schließen. Es freut uns ja, daß ihr uns Vertrauen schenkt, aber besser ist es doch, wir bleiben für uns, und ihr bleibt für euch. Daraus mögt ihr abermals erkennen, daß wir keine Räuber sind, wie die Snuffies uns genannt haben. Wären wir wirklich solche Spitzbuben, so würden wir euch sehr willkommen heißen und euch mitnehmen, um zu euerm Gelde zu gelangen. Freilich ist mir eure Verlegenheit nicht gleichgültig. Ihr könnt sehr leicht abermals einem Schurken in die Hände fallen, und so will ich euch einen guten Rat erteilen. Wir trafen nämlich auf eine zahlreiche Gesellschaft Auswanderer, welche durch die Llano estakata wollen, um sich drüben anzukaufen. Es sind meist Deutsche aus Böhmen und Hessen. Sie sind bereits gestern von uns fort und wollten heut abend gar nicht weit von hier lagern, weil dann morgen früh an diesem Lagerplatze ihr Führer zu ihnen stoßen will. Es ist das der berühmteste und zuverlässigste Kenner der Llano, ein bescheidener und auch sehr frommer Mann, namens Tobias Preisegott Burton. Schließt euch dieser Karawane an, so seid ihr sicher aufgehoben. Dieselbe besteht aus so vielen wohl bewaffneten Leuten, daß niemand es wagen wird, sie zu überfallen.“

„Meint Ihr? Hm! Sehr gut! Aber wie finden wir diese Leute?“

„Sehr leicht. Wenn ihr von hier aus gerad nach Süden reitet und eure Pferde ein wenig anstrengt, so seht ihr nach ungefähr einer halben Stunde einen einzelnen Bergkegel vor euch liegen, von welchem ein Wässerchen niederläuft, um unten in der kleinen, ostwärts von ihm gelegenen Ebene im Sande zu versiechen. An diesem Wasser lagert die Karawane. Selbst wenn es unterdessen finster wird, könnt ihr sie nicht verfehlen, da ihr aus bedeutender Ferne ihre Lagerfeuer sehen müßt. Wenn ihr diesem Rate folgt so weiß ich euch in guten Händen.“

„Ich danke Euch, Sir! Ihr befreit uns aus einer bedeutenden Verlegenheit. Wir werden natürlich sofort aufbrechen, um uns diesen Deutschen anzuschließen. Der Deutsche pflegt zwar albern, aber auch ehrlich zu sein. Wir reiten auf der Stelle.“

„Was soll ich den Snuffies sagen, wenn sie mich fragen, wohin ihr seid?“

„Sagt, was Ihr wollt und was Euch grad‘ in den Sinn kommt!“

„Gut! Aber ich will euch darauf aufmerksam machen, daß ihr sie über die Richtung, welche ihr einschlagt, täuschen müßt. Thut ihr das nicht, so folgen sie euch nach, und ihr fallt ihnen doch noch in die Hände. Reitet also zum Scheine eine Strecke wieder zurück, bis sie euch nicht mehr sehen können; dann biegt ihr nach Süden um. Wenn sie mich fragen, warum ihr umgekehrt seid, so werde ich schon eine Antwort finden, welche sie zufriedenstellt.“

So war die Sache abgemacht. Die beiden Parteien nahmen so freundlich Abschied von einander, als ob sie alte, langjährige Bekannte seien. Die Diamond-Boys ritten auf ihrer eigenen Fährte zurück, ohne den beiden Snuffles noch ein Wort oder einen Blick zu gönnen. Als sie weit genug fort waren, um die Worte Stewarts nicht mehr hören zu können, wendete sich dieser höhnisch lachend zu seinen Gefährten:

„Die habe ich sehr gut instruiert; sie werden uns sicher in die Hände laufen. Diamanten kaufen! Dazu gehören wenigstens fünfzigtausend Dollars. Ein ganz hübsches Sümmchen, wenn wir es in unsere Taschen stecken! Und was sagt ihr zu diesen Snuffles?“

„Halunken!“ antwortete einer.

„Ja. Was sie für scheinheilige Gesichter machten! Sie thaten ganz so, als ob sie nicht bis drei zählen könnten, und haben doch alles, alles erraten. Das heißt, tüchtige Kerle sind sie! Sie haben die ganze Geschichte auf das Deutlichste aus den Spuren gelesen. Sie wissen sogar, daß es zwei Indianer waren und daß wir unsern Kamerad unkenntlich gemacht haben. Ihr Scharfsinn ist uns sehr gefährlich. Wir müssen sie auf die Seite schaffen.“

„Aber wie, wann und wo? Es bleibt uns ja gar keine Zeit dazu. Wir müssen fort, um die Stangen umzustecken und die Karawane irre zu führen.“

„Hm, ja, viel Zeit haben wir nicht. Wenn wir uns die Beiden jetzt entkommen lassen, ist die schönste Gelegenheit vorüber. In Helmers Home treffen sie den Juggle-Fred und vielleicht gar auch zufälligerweise diesen immer und ewig unerreichbaren Bloody-fox, welcher unser größter und ärgster Gegner ist. Diese vier zusammen sind ganz wohl imstande, uns den Braten, auf den wir rechnen, noch im letzten Augenblicke aus der Pfanne zu nehmen.“

„Schießen wir sie ganz einfach nieder!“

„Das Beste wäre es freilich; aber – –“

Er brummte nachdenklich und unbestimmt vor sich hin.

„Was, aber?“ fragte der Andere. „Meiner Ansicht nach können wir gar nichts Klügeres thun. Wir sind fünf Personen und sie nur zwei. Sie können sich ja überhaupt gar nicht wehren. Sie fallen von unseren Kugeln, ohne nur Zeit zu finden, ihre Gewehre auf uns anzulegen.“

„Meinst du? Da schau doch einmal hin zu ihnen, und sei so gut, auf sie zu schießen! Ich bin neugierig, wie du das anfangen willst.“

Er deutete auf die Brüder, welche noch immer sehr eifrig nach der Fährte zu suchen schienen, ohne sich um die ihnen so gefährliche Gruppe der Anderen zu kümmern. Auch dem Fortreiten der Diamond-Boys hatten sie scheinbar nicht die geringste Aufmerksamkeit zugewendet.

„Verteufelt!“ fluchte der Mann. „Du hast recht. Ich beobachte es erst jetzt, wie schlau die Halunken es anfangen, um nicht von uns getroffen zu werden.“

„Ja, sie halten ihre Tiere Schritt um Schritt so genau zwischen sich und uns, daß wir nur die Bestien treffen müßten, wenn wir schössen. Sie sind in genau dieser Weise im Kreise herumgegangen. Und siehst du nicht, daß sie die rechte Hand stets am Gewehrschlosse haben, während sie mit der Linken die Büchsen zum Anschlage bereit halten? Es darf nur einer von uns auf sie zielen, so fällt er augenblicklich von ihren Kugeln. Das sind teufelsschlaue Kerls, Und ihre Maultiere haben ebenso hundert Satans im Leibe. Es ist, als ob die Tiere es wüßten, daß sie die Aufgabe haben, ihre Herren zu decken. Sie halten ganz von selbst gleichen Schritt mit ihnen und lassen uns keinen Augenblick aus ihren boshaften Augen.“

Es war genau so, wie sie sagten; sie konnten nicht zum Schusse kommen. Und als die beiden Snuffles jetzt ihre Kreissuche beendet hatten, hielten sie im langsamen Näherschreiten ihre Gewehre noch immer so, daß sie augenblicklich schießen konnten. Die Maultiere kamen, als ob sie darauf dressiert seien, was wohl auch der Fall war, hinter ihnen dreingelaufen.

„Was sehe ich? Die Boys sind ja fort!“ rief Jim erstaunt, als ob er das Verschwinden derselben erst jetzt bemerke.

„Schon längst,“ antwortete Stewart. „Da hinten sieht man sie noch reiten.“

„Wohin denn?“

„Zurück, wie Ihr seht.“

„Das sehe ich freilich. Aber sie wollten doch mit uns nach Helmers Home! Warum kehren sie denn um?“

„Weil sie dumme Kerls sind. So eine Unvorsichtigkeit sollte man doch nicht für möglich halten. Denkt Euch nur, sie haben ihr Geld verloren.“

„Ah! Sie hatten Geld?“

„Ja freilich! Der Eine hatte die Brieftasche mit den Scheinen in der Satteltasche stecken. Indem wir auf Euch warteten, bemerkte er, daß die Naht der Satteltasche aufgegangen und das Portefeuille herausgefallen war. Das gab natürlich einen heillosen Schreck. Sie sind augenblicklich umgekehrt, ohne vorher noch mit Euch zu reden. Im Fortreiten riefen sie uns noch zu, Euch zu sagen, daß sie morgen Abend oder spätestens übermorgen Mittag in Helmers Home eintreffen würden, um dann sofort mit dem Juggle-Fred nach der Llano aufzubrechen.“

„Schön! Über den eigentlichen Grund ihres Verschwindens will ich mir den Kopf nicht zerbrechen.“

„Meint Ihr etwa, daß sie uns belogen haben?“

„Sie Euch nicht, aber Ihr uns. Ich habe keine Lust, an die verlorene Brieftasche zu glauben. Unsere Nasen sind groß genug, man braucht uns nicht noch welche dazu zu drehen. Ich bin sehr überzeugt, daß sie eine ganz andere Richtung einschlagen, sobald wir sie aus den Augen verloren haben.“

„Master, Ihr werdet wieder beleidigend!“

„O nein. Ich sage Euch nur meine Gedanken, und Gedanken können niemals beleidigen. Übrigens will ich Euch einen guten Rat erteilen, Master Stewart. Wenn Ihr wieder einmal jemandem eine Weisung gebt, von welcher andere nichts wissen sollen, so fechtet nicht so sehr dazu mit den Armen in der Luft herum, denn unter Umständen sind Gestikulationen ebenso leicht zu verstehen wie Worte!“

„Hätte ich wirklich gestikuliert? Ich weiß nichts davon.“

„Sogar sehr. Ihr habt Eure Arme in der Luft herumgeschleudert, daß ich einige Male befürchtete, sie möchten fortfliegen.“

„So schlimm wird es nicht sein. Übrigens konntet Ihr meine Bewegungen immerhin beobachten. Was wir sprachen, durfte jedermann hören. Es war kein Geheimnis dabei. Wir sprachen von der Fährte, welche wir verloren haben.“

„Ach so! Und da meintet Ihr wohl, daß man sie da unten im Süden wiederfinden werde?“

„Da unten im Süden? Wie kommt Ihr zu dieser Ansicht?“

„Eben infolge Eurer Windmühlenarme. Ihr zeigtet mit der Linken nach Süden und machtet dann mit der Rechten eine Bewegung, als ob Ihr die Umrisse eines Berges zeichnen wolltet. Dann schobt Ihr wieder die Linke so geradehin von Euch ab, was natürlich eine Ebene bedeutete. Später dann deutetet Ihr nach Osten zurück und von da nach Süden hinab. Das war alles so deutlich, daß ich Euch die ganze Geschichte erzählen will.“

„So thut es doch!“

„Sehr gern! Die Boys sind nach Osten zurück und wenden sich jetzt, da ich sie nicht mehr sehen kann, dem Mittag zu. Dort steht rechts ein Berg, an welchen zur linken Hand eine Ebene stößt, nach welcher die Boys reiten sollen. Da sie hier unbekannt sind und Ihr sie trotz der nahenden Dunkelheit hinweiset, kann diese Ebene nicht sehr weit von hier entfernt sein. Ich kenne so einen kleinen, sandigen Plan dort unten. Es fließt ein Wasser vom Berge herab und verschwindet dann im Sande. Man kann von hier aus binnen drei Viertelstunden hinkommen, und ich habe große Lust, für diese Nacht dort mein Lager aufzuschlagen.“

Er sah bei diesen Worten scharf in Stewarts Gesicht; dieser konnte sich nicht ganz beherrschen; es war ihm anzusehen, daß er erschrak.

„Thut, was Ihr wollt, Master, aber erzählt uns keine Romane!“ rief er in grobem Tone. „Wo Ihr schlafen werdet, das ist uns sehr gleichgültig. Ihr thut doch gerade, als ob Ihr die Allwissenheit gepachtet hättet! Sagt uns doch lieber zunächst, ob ihr die Spuren gefunden habt!“

„Natürlich haben wir sie.“

„Wo denn?“

„Kommt mit! Ich werde sie Euch zeigen. Es ist noch hell genug, sie zu erkennen.“

„So geht voran!“

„Das werde ich thun. Aber Tim, mein Bruder, geht hinterdrein.“

„Warum?“

„Um darauf zu achten, ob eure Gewehre nicht etwa auf den Gedanken kommen, eigenmächtige Dummheiten zu machen. Nehmt also eure Schießhölzer in acht! Sollte eins derselben Lust haben, loszugehen, so würde Jims Kugel unbedingt und sofort den Besitzer der Flinte treffen.“

„Master, Ihr werdet uns wirklich fast zu verwegen!“

„O nein. Ich meine es ja nur gut mit euch, indem ich euch warne. Also kommt!“

Er schritt voran, gerade in der Richtung des bisher zurückgelegten Rittes; die anderen folgten, und am Ende schritt Tim, das Gewehr schußbereit im Arme und die Augen scharf auf jede Bewegung der Fünf gerichtet.

Nach kurzer Zeit blieb Jim stehen, deutete zur Erde und fragte:

„Master Stewart, was seht Ihr hier?“

Der Genannte bückte sich, um die bezeichnete Stelle zu betrachten, und antwortete –

„Hier hat ein Steinchen auf dem Fels gelegen und ist unter einem Pferdetritte zermahlen worden.“

„Kann ein solches Steinchen unter einem beschlagenen Hufe so zu Mehl zerrieben werden?“

„Nein. Dieses Pferd ist barfuß gewesen.“

„Also ein Indianerpferd. Kommt weiter!“

Die Erscheinung eines zerriebenen Steinchens wiederholte sich in ganz derselben Weise.

„Das ist natürlich die Spur,“ sagte Jim. „Die gerade Linie zwischen den beiden Steinchen zeigt nach West. Dorthin also ist der Indianer geritten.“

„Indianer? Wie könnt Ihr wissen, daß es ein Indianer war?“ fragte Stewart in sehr anzüglichem Tone.

Pshaw!“ antwortete Jim. „Die albernen Diamond-Boys werden euch sicher gesagt haben, daß ich euch vollständig durchschaue. Wir brauchen also nicht länger Komödie zu spielen. Ihr seid Llano-Raben, und wir sind ehrliche Jäger, denen ihr weder etwas weiß machen noch etwas anhaben könnt. Wodurch ihr es so weit gebracht habt, daß die Boys euch ihr Vertrauen schenken, das will ich nicht fragen. Jedenfalls habt ihr sie riesig angelogen. Was ihr weiter mit ihnen vorhabt, das ist uns sehr gleichgültig. Wir werden auch nicht nach Süden reiten, um sie abermals zu warnen. Sich in die Llano locken und dort töten zu lassen, das scheint für sie das höchste der Gefühle zu sein, und es kann uns nicht einfallen, ihnen dieses Vergnügen zu rauben. Wir haben unsere Pflicht gethan und müssen nun für uns selbst sorgen. Hier an dieser Stelle gehen euer Weg und der unserige auseinander. Ihr werdet eher aufbrechen als wir, und zwar sofort! Reitet eurem Indianer nach; aber hütet euch, einen Gewehrlauf auf uns zu richten! Wir verstehen es sehr wohl, mit Männern eures Schlages umzugehen. Wir haben die Mündungen oben. Noch ein Wort von euch oder gar eine verdächtige Bewegung, so schießen wir! Dreht euch ab von uns; hängt die Gewehre an die Sattelknöpfe, und steigt auf! Lebt wohl, und hütet euch, uns wieder vor die Augen zu kommen!“

Er hatte sich neben Tim gestellt, und beide legten ihre Gewehre an.

„Master Jim!“ rief Stewart in höchstem Zorne. „So bringt ihr uns nicht fort! Wir sind – – –“

„Schurken seid ihr!“ unterbrach ihn Tim mit starker Stimme. „Wir haben vier Schüsse, und ihr seid fünf; den letzten schlagen wir mit dem Kolben nieder. Und nun sage auch ich euch: Demjenigen, der nur noch ein einziges, ein allereinziges Wort sagt, jage ich eine Kugel in den Kopf! Schlängelt euch von außen herum also nur schleunigst weiter! Sehen wir euch in einer Minute noch hier, so ist’s um euch geschehen!“

Das war in einem Tone gesprochen, welcher gar keinen Zweifel zuließ, daß es den beiden ernst sei und daß sie schießen würden. Die Fünf sahen ein, daß ein jeder von ihnen bei der kleinsten Bewegung, welche auf die Absicht des Widerstandes schließen lasse, eine Leiche sein werde. Sie gehorchten in ohnmächtigem Grimme dem an sie ergangenen Befehle, indem sie sich umdrehten, die Flinten an die Sattelknöpfe hingen, aufstiegen und dann, ohne ein weiteres Wort gesagt zu haben, davonritten. Einer von ihnen hatte hinter sich das mehrfach erwähnte Zaum- und Sattelzeug aufgeschnallt.

Erst als sie ihre Pferde eine ganze Strecke weit im scharfen Trabe fortgetrieben hatten, ließen sie die Tiere im Schritte gehen und drehten sich um. Sie sahen Jim und Tim noch an derselben Stelle stehen, jedoch mit jetzt abgenommenen Gewehren.

sdeath!“ knirschte Stewart. „So etwas ist mir noch nicht passiert! Müssen fünf Männer, welche sich vor dem Teufel nicht fürchten, vor diesen beiden langnasigen Affen ausreißen! Aber ich setze meinen Kopf zum Pfande, daß diese Hunde wirklich beim nächsten Worte auf uns geschossen hätten! Meint ihr nicht?“

Sie stimmten ihm bei.

„Es war wirklich ganz genau so, als ob sie allwissend seien. Sogar aus meinen Handbewegungen errieten die Halunken das Richtige! Wenn man nur wüßte, was sie nun beginnen werden.“

„Das ist doch sehr leicht zu erraten,“ sagte einer.

„Nun, was?“

„Sie werden den Boys nachreiten, um sie abermals zu warnen.“

„Das bezweifle ich sehr. Ihre Warnung wurde bereits einmal in den Wind geschlagen, und die Snuffles sind nicht die Kerls, welche ihren Rat und ihre Hilfe zweimal anbieten. Dennoch aber müssen wir unsere Vorkehrungen treffen. Wir müssen uns nach Süden wenden. Sobald wir die Feuer der Karawane erblicken, halten wir an und ziehen eine Postenlinie, welche nur unser frommer Preisegott Burton passieren darf, wenn er von Helmers Home kommt. Die Auswanderer dürfen natürlich von unserer Anwesenheit nichts ahnen. Kommen die Snuffles ja ganz wider mein Erwarten, so werden sie einfach erschossen. Den Indianer müssen wir nun freilich entkommen lassen, obgleich ich ihm fürs Leben gern sein Pferd abgenommen hätte. Es war unter Brüdern dreihundert Dollars wert, vielleicht gar noch mehr.“

„Eigentlich war es Unsinn, der beiden Pferde wegen mit den Roten anzubinden. Das eine ist nun erschossen und das andere entkommen. Dafür aber haben wir die Snuffles auf unserer Fährte. Sie werden sich in der Nähe niederlegen und morgen früh, sobald es hell geworden ist, unseren Spuren folgen. Da treffen sie auf die Karawane und machen uns das ganze prächtige Geschäft zu nichte.“

„Nein, das werden sie nicht. Sie sind von den Boys beleidigt worden und werden sich nicht weiter um sie kümmern. Jedenfalls reiten sie nach Helmers Home, wo sie ihr Zusammentreffen mit uns erzählen werden. Was dann dort beschlossen wird, das können wir nicht wissen. Es bleibt uns nichts übrig, als Burton zu veranlassen, gleich schon in der Morgendämmerung aufzubrechen und einen tüchtigen Tagemarsch zurückzulegen, damit die Karawane möglichst schnell und weit von hier fortkommt. Wir aber verschwinden natürlich noch viel eher.“

Sie ritten noch eine Strecke geradeaus nach Westen und wendeten sich dann nach Mittag.

Jim und Tim hatten ihre Gewehre nicht eher abgelegt, als bis die Reiter sich außerhalb Schußweite befanden. Dann wendete sich der erstere an den letzteren, zog den Mund noch viel breiter, als er so schon war, und fragte, vergnügt lachend:

„Nun, mein alter Tim, wie gefiel dir das?“

„Grad so ausgezeichnet wie dir,“ antwortete der Gefragte mit einem eben solchen vergnügten Grinsen.

„Ist das nicht das höchste der Gefühle?“

„Das allerhöchste! Wenn solche Kerls vor zwei wackeren Jägern sich von außen herum davonschlängeln müssen wie die Pudels, die in den Milcheimer gefallen sind, so kann man seine Freude darüber haben. Es sollte uns wirklich an das Leben gehen.“

„Ganz sicher! Man sah es ihren Blicken und Bewegungen gar zu deutlich an. Du glaubst doch nicht, daß die Boys ihr Geld verloren haben?“

„Fällt mir nicht ein. Sie sind fort, da hinab nach Süden; warum und wozu, das geht uns nun nichts mehr an. Wir haben sie gewarnt; weiter gibt es keine Verpflichtung für uns. Sie hielten sich für außerordentlich klug und weise. Dieser Gibson hat sogar Jurisprudenz studiert; da sehe ich nicht ein, warum wir ihnen unseren Beistand förmlich nachschleppen sollen. Rennen sie in ihrem Übermute mit den Köpfen in eine Wand, so mögen sie zusehen, ohne unsere Hilfe vollends hindurch und drüben heraus zu kommen. Ich denke, der arme Indsman ist unseres Beistandes bedürftiger und auch würdiger.“

„Gewiß! Suchen wir ihn also auf?“

„Ja. Wir wissen, nach welcher Richtung er ist, da nach rechts hinüber nach der Gegend der alten Silbermine. Die Faxe mit den beiden Steinchen, welche wir selbst zertreten haben, diente ja nur dazu, diese Halunken irre zu leiten. Ich habe die Blutstropfen deutlich gesehen, und es sollte mich wundem, wenn wir den Indsman nicht in der Mine fänden.“

Sie verließen den Ort, jeder sein Maultier hinter sich. Sie stiegen nicht auf, um den Boden genau betrachten zu können, was jetzt seine Schwierigkeit hatte, da der Abend sich schnell niederzusenken begann.

Als sie eine Strecke gegangen waren, sahen sie einen kleinen Gegenstand an der Erde liegen; es war der rote, sorgfältig geschnittene Kopf einer Friedenspfeife. Jim hob denselben auf, steckte ihn zu sich und sagte in befriedigtem Tone:

„Wir befinden uns auf dem richtigen Wege. Dieser Pfeifenkopf ist vom Rohre losgegangen und unbemerkt herabgefallen. Ob er dem alten, verwundeten oder dem jungen Indianer gehört hat, das werden wir bald erfahren.“

„Jedenfalls dem alten. Ein junger Mensch ist schwerlich schon da oben in Minnesota gewesen, um sich in den heiligen Steinbrüchen den Thon zu seinen Pfeifen zu holen.“

„Er kann diese Pfeife auch erbeutet haben. Eine solche darf er in Gebrauch nehmen, nur eine ererbte nicht.“

„Hat jemals ein Indianer eine Pfeife geerbt? Sie wird doch stets mit dem Besitzer begraben.“

„Es gibt Stämme, bei denen das leider nicht mehr so genau genommen wird. Der beglückende Einfluß der lieben, gutherzigen Bleichgesichter macht sich auch in dieser Beziehung geltend. Übrigens dem Totem nach, welches dem Kopfe eingeschnitten ist, scheint der Besitzer ein Komantsche und zwar ein Häuptling zu sein. Gut, daß wir den Dialekt dieser Nation deutlich verstehen. Wir können die beiden anrufen, sonst müßten wir gewärtig sein, bei unserem Nahen von einigen Kugeln begrüßt zu werden, und das ist keineswegs das höchste der Gefühle.“

Der Felsen begann jetzt anzusteigen. Die Beiden hatten links die Bergeswand und rechts eine weithin reichende Menge von Felsentrümmern, zwischen denen kaum ein Mensch, viel weniger aber ein Pferd fortkommen konnte. Da, wo sie schritten, war die einzige passierbare Stelle, und so konnten sie mit ziemlicher Sicherheit annehmen, daß auch die Indianer hier geritten seien.

Dann standen sie vor einer hohen, finsteren Halde klaren Gesteines. Es war der Schutt, welchen man aus der Mine geschafft und vor derselben aufgeworfen hatte. Wie hoch diese Halde sei, konnte man nicht erkennen, da es indessen dunkel geworden war.

Sie schnallten die Zügel lang und befestigten dieselben um zwei schwere, am Boden liegende Steine. Dann begannen sie langsam an der Halde emporzuklettern. Sie gaben sich dabei keine Mühe, Geräusch zu vermeiden, sondern sie sorgten ganz im Gegenteile dafür, daß das Knirschen des Schuttes unter ihren Füßen gehört werde. Aber nach jedem Schritte blieben sie halten, um zu lauschen. Es galt ja, zu erfahren, ob jemand oben sei, der angerufen werden mußte, bevor er sich seines Gewehres bediente.

Während einer solchen Pause des Lauschens vernahmen sie das Geräusch eines Steinchens, welches von oben herabgerollt kam.

„Horch!“ flüsterte Jim. „Es war also ganz richtig, die Indianer da oben zu vermuten. Sie sind auf ihrer Hut. Der Verwundete wird, wenn er überhaupt noch lebt, im Inneren der Mine liegen; der junge Indsman aber hält auf der Halde Wache. Rede ihn an, Tim!“

Tim folgte dieser Weisung, indem er mit vernehmlicher, aber nicht allzu lauter Stimme nach oben rief:

„Tuquoil, omi gay nina; tau umi tsah!“ – junger Krieger, schieße nicht. Wir sind deine Freunde!)

jetzt warteten sie auf Antwort. Es verging eine Weile, dann hörten sie die Frage:

„Haki bit?“ – (wer kommt?)

Das waren nur drei kurze Silben, aber sie reichten vollständig aus, wissen zu lassen, wer da oben stand, denn die beiden Worte waren dem Idiom entnommen, dessen sich die mit ihren früheren Feinden und jetzigen Verbündeten, den Keiowehs, wild umherschweifenden Komantschen bedienen.

„Gia ati masslok akona“ – (zwei gute, weiße Männer), antwortete Tim.

„Bite uma yepe!“ (kommt herauf!) ertönte es nach einer Pause des Überlegens von oben herab.

Sie stiegen vollends empor. Als sie den oberen Rand der Halde erreichten, sahen sie trotz der Dunkelheit eine menschliche Gestalt, welche aufgerichtet vor ihnen stand und das Gewehr auf sie im Anschlag hielt.

„Naba, o nu neshuano!“ (steht, sonst schieße ich!) gebot der Komantsche.

Die beiden erkannten an der Gestalt, daß sie wirklich, wie sie erwartet hatten, einen jungen Indianer vor sich sahen. Tim beruhigte ihn:

„Mein junger, roter Bruder braucht nicht zu schießen. Wir sind gekommen, ihm zu helfen.“

„Sind meine weißen Brüder allein?“

„Ja.“

„Haben sie die Fährte meines Pferdes verfolgt?“

„Wir sind zufälligerweise an den Ort des Kampfes gekommen und haben aus den Spuren gelesen, was geschehen ist. Wir folgten dann deiner Fährte und derjenigen eurer Feinde, um euch gegen sie zu beschützen. Ihr seid tapfere rote Krieger, sie aber sind feige Räuber, welche beschämt vor uns fliehen mußten, obgleich sie mehr Personen waren als wir.“

„Mein Bruder sagt die Wahrheit?“

„Ich lüge nicht. Zum Zeichen, daß wir als deine Freunde kommen, werden wir jetzt alle unsere Waffen vor dir niederlegen, und du magst dann bestimmen, ob wir sie wieder zu uns nehmen sollen oder nicht.“

Sie legten die Messer und Büchsen ab. Er hielt das Gewehr noch immer auf sie gerichtet und sagte:

„Die Bleichgesichter haben Honig auf den Lippen, aber Galle im Herzen. Sie legen die Waffen fort, um Vertrauen zu erwecken; dann aber kommen ihre drei Gefährten nach, um den Tod heraufzubringen.“

„Du hältst uns für zwei von denen, welche euch verfolgt haben. Wir sind sie nicht; du täuschest dich.“

„So sagt mir, wo diese fünf Männer sich befinden! Da ihr der Fährte gefolgt seid, müßt ihr das wissen.“

„Wir haben sie getroffen, als sie unten auf dem Felsen deine Spur suchten, welche sie verloren hatten. Wir sprachen erst freundlich mit ihnen, um sie zu täuschen. Sie vermochten nicht, die Fährte wieder zu entdecken. Wir aber fanden sofort die Blutstropfen, welche der Wunde deines Begleiters entfallen waren; aber wir sagten es nicht, sondern wir machten eine falsche Spur, auf welcher sie dann nach Westen geritten sind. Wir sagten ihnen, daß wir sie für Räuber und Mörder halten, und richteten unsere Gewehre gerade so auf sie, wie du das deinige jetzt auf uns richtest. Da mußten sie schmachvoll von dannen weichen.“

„Warum habt ihr sie nicht getötet?“

„Weil sie uns nichts gethan hatten. Wir schießen nur dann einen Menschen nieder, wenn wir dazu gezwungen sind, um unser Leben zu verteidigen.“

„Ihr redet die Worte der guten Menschen. Mein Herz gebietet mir, euch Vertrauen zu schenken; aber eine andere Stimme fordert mich auf, vorsichtig zu sein.“

„Folge nicht dieser Stimme, sondern derjenigen deines Herzens! Wir meinen es gut mit dir. Frage dich selbst, warum wir zu dir gekommen sein können! Du hast uns nichts gethan; wir können also nicht die Absicht hegen, dir Böses zu erweisen. Wir wissen, daß du verfolgt wirst; wir haben aus den Spuren ersehen, daß dein Begleiter verwundet ist; darum kamen wir hierher, um dir unsere Hilfe anzubieten. Ist dir dieselbe nicht willkommen, so werden wir sofort wieder gehen, denn wir sind es nicht gewöhnt, unseren Beistand jemanden aufzuzwingen.“

Es verging eine kurze Zeit, ohne daß er antwortete. Er schien nachdenken. Dann sagte er:

„Ich brauche eure Hilfe nicht. Ihr könnt gehen.“

„Gut, so werden wir dich verlassen und wünschen dabei, daß du es nicht bereuen mögest.“

Sie nahmen ihre Waffen wieder auf und begannen, an der Halde abwärts zu steigen. Sie waren noch nicht weit gekommen, so hielt Tim den Schritt an und fragte leise:

„Hast du nichts gehört, alter Jim? Es war mir ganz so, als ob da drüben, rechts von uns, ein Stein hinabgekollert sei.“

„Ich habe nichts vernommen.“

„Aber ich sehr deutlich. Sollte sich dort irgend ein Mensch heimlicherweise von außen her um die Halde herumschlängeln? Wir wollen vorsichtig sein.“

Sie stiegen weiter. Als sie dann unten am Fuße der Aufschüttung ankamen, erhob sich plötzlich eine dunkle Gestalt hart vor ihnen vom Boden.

„Halt, Bursche!“ rief Jim, das Gewehr anlegend. „Keinen Schritt von der Stelle, sonst schieße ich!“

„Warum will das Bleichgesicht schießen, da ich doch in freundlicher Absicht gekommen bin?“ ertönte es ihm entgegen.

Er erkannte die Stimme des jungen Indianers, mit welchem sie soeben gesprochen hatten.

„Du bist es?“ fragte er. „Du bist zu gleicher Zeit mit uns herabgestiegen? Also darum hörte Tim den Stein! Dein Fuß hatte ihn aus seiner Lage gestoßen. Was willst du hier?“

„Ich wollte sehen, ob die Rede der weißen Männer Wahrheit sei. Wäret ihr Feinde gewesen, so hättet ihr mich nicht verlassen. Da ihr meiner Weisung gefolgt seid, ohne etwas gegen mich zu unternehmen, so habt ihr die Probe bestanden. Ihr gehört nicht zu meinen Verfolgern, und ich bitte euch, mit mir wieder empor zu steigen, um Tevua-schohe zu sehen, der mein Vater ist.“

„Tevua-schohe, der Feuerstern, der berühmte Häuptling der Komantschen, ist da?“ fragte Tim erstaunt.

„Ja, er ist da. Er ist tot. Ich bin Shiba-bigk (Eisenherz) , sein jüngster Sohn, und werde sein Blut über seine Mörder bringen. Die Bleichgesichter mögen mir folgen.“

Er klimmte voran, und sie stiegen hinter ihm her, wieder die Halde hinauf.

Oben angekommen schritt er auf die Felswand zu und trat in ein in derselben befindliches Loch, welches die beiden kannten, da sie sich nicht zum erstenmale hier befanden. Es war der Eingang zu der alten, verlassenen Silbermine.

Ein dünner Rauch kam ihnen entgegen. Als sie vielleicht dreißig Schritte weit in den Gang eingedrungen waren, sahen sie ein kleines Feuer brennen. Ein kleines Häuflein mühsam zusammengesuchten Holzes lag daneben. Die Flamme hatte den alleinigen Zweck, den Toten zu bescheinen, welcher in sitzender Stellung aufgerichtet war, so daß er mit dem Rücken an der Wand lehnte.

Eisenherz legte sein Gewehr weg und setzte sich dem Toten gegenüber nieder. Er schob ein Aststück in das Feuer, zog die Kniee hoch empor und legte sein Kinn darauf. In dieser Stellung starrte er die Leiche wortlos an.

Die beiden Westmänner standen ebenso schweigend dabei. Sie kannten die indianische Sitte genau und wußten, daß sie den Schmerz des Sohnes durch Worte beleidigen würden. Die Gesichter beider Indianer waren unbemalt, ein sicheres Zeichen, daß sie nicht in einer feindlichen Absicht unterwegs gewesen seien. Der Tote war ein schöner Mann gewesen, wie ja die Komantschen sich überhaupt durch körperliche Vorzüge vor vielen anderen Indianerstämmen auszeichnen. Selbst noch im Tode glänzte sein Angesicht wie helle Bronze. Seine Augen waren geschlossen und seine Lippen fest zusammengekniffen, denn er hatte einen sehr qualvollen Tod gehabt. Der untere Teil seines indianischen Jagdhemdes war geöffnet, so daß man die Stelle des entblößten Leibes sah, an welcher die feindliche Kugel eingedrungen war. Die Hände lagen zusammengekrampft auf den Oberschenkeln, ein weiterer Beweis der Schmerzen, welchen er in seinen letzten Augenblicken ausgesetzt gewesen war.

Erst nach längerer Zeit ließen auch Jim. und Tim sich auf den Boden nieder, leise, ganz leise, als ob sie befürchteten, den Ermordeten durch ein Geräusch in seiner Ruhe zu stören. Die Nähe eines aus dem Leben Geschiedenen wirkt ja fast stets wie der Anblick eines Heiligtums: Ein Andachtsschauer erfaßt den Sterblichen, sobald er den Hauch der Ewigkeit empfindet.

Da hob Shiba-bigk seinen Kopf, blickte die beiden an und sagte:

„Ihr habt von Feuerstern, dem Häuptling der Komantschen, gehört? So wißt ihr, daß er ein tapferer Krieger war?“

„Ja,“ antwortete Jim. „Wir haben den Häuptling sofort erkannt, als wir ihn hier erblickten. Wir haben ihn droben am Rio Roxo kennen gelernt, wo er uns beistand, als wir von einer Schar Paunihs überfallen wurden.“

„So werdet ihr überzeugt sein, daß er in den ewigen Jagdgründen über viele Krieger gebieten wird. Aber Manitou hat ihn nicht im Kampfe abgerufen. Der Häuptling der Komantschen ist ermordet worden.“

„Von denen natürlich, die euch verfolgten?“

„Ja.“

„Wie ist das geschehen und wie seid ihr denn eigentlich hierher gekommen?“

„Wir waren tief im Lande der Bleichgesichter. Die Krieger der Komantschen haben ihre Kriegsbeile vergraben und lebten in letzter Zeit in Frieden mit den Weißen. Sie brauchten sich nicht zu scheuen, in die Städte des bleichen Mannes zu gehen. Feuerstern jagte mit seinen Leuten am Flusse, welcher Rio Pecos genannt wird. Dort trafen sie auf weiße Männer, welche nach der fernen Stadt wollten, deren Name Austin ist. Da der Weg von dort nach da von anderen roten Männern unsicher gemacht wird, so baten sie den Feuerstern, ihnen einen kundigen Führer mitzugeben. Er beschloß, sie selbst zu begleiten und mich mitzunehmen, damit ich die Städte und Häuser der Weißen sehen möge. Wir kamen glücklich in Austin an und ritten dann allein zurück. Heute, als das letzte Drittel des Tages begann, begegneten uns die Mörder. Sie verlangten unsere Pferde; als wir ihnen dieselben nicht gaben, schoß einer von ihnen den Feuerstern in den Leib. Das Pferd des Häuptlings wurde scheu und rannte davon. Ich mußte ihm folgen, weil er verwundet war, und konnte also nicht mit den Bleichgesichtern kämpfen. Wenn ihr die Fährte gesehen habt, so werdet ihr wissen, was dann noch geschehen ist.“

„Ja. Du hast einen von ihnen getötet und ihm den Skalp genommen.“

„So ist es. Die Kopfhaut hängt hier an meinem Gürtel. Aber ich werde mir auch die Häute der anderen holen. Während der Nacht werde ich den Vater beklagen und den Todesgesang der Häuptlinge anstimmen; am Morgen begrabe ich ihn einstweilen zwischen diesem Gestein, um dann die Krieger der Komantschen zu holen, welche dem Helden ein Grabmal errichten werden, seiner Tapferkeit und Würde angemessen; aber sobald ich den Toten vor den Augen der Sonne verborgen habe, werde ich die Spur der Mörder aufsuchen, und ich sage euch, Shiba-bigk ist noch kein berühmter Krieger; es sind seit seiner Geburt nicht viele Winter vergangen; aber er ist der Sohn eines berühmten Häuptlings, und wehe den Bleichgesichtern, auf deren Fußstapfen er seine Augen richtet! Sie sind verloren!“

Er stand auf, trat zu seinem Vater, legte demselben die Hand auf den Kopf und fuhr fort:

„Die Bleichgesichter schwören; ein Komantsche aber spricht ohne Schwur. Und so merkt euch meine Rede: Wenn der Grabeshügel des Feuersternes errichtet wird, so sollen von der Spitze desselben alle sechs Skalpe seiner Mörder hängen. Eisenherz hat es gesagt, und also wird es geschehen! ––“

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