El Hijo del Inka

Ungefähr zwanzig Kilometer im Norden von der Stelle, an welcher sich das soeben Erzählte ereignete, liegt jenseits des Rio Salado die Laguna Tostado. Der schon erwähnte Monte impenetrabile, d. i. undurchdringliche Wald, schickt seine Ausläufer bis an das Ufer der Lagune. Er dehnt sich längs des Rio Salado in nordwestlicher Richtung aus und ist nur da zu durchqueren, wo durch irgend welche Einflüsse oder Zufälle eine natürliche Öffnung entstanden ist. Diese Öffnungen bilden die Ausfallspforten, durch welche die Indianer des Chaco ihre Raubzüge in das bewohnte Land unternehmen.

Am Nachmittage desselben Tages schritten zwei Personen langsam und wie suchend an dem Rande des Waldes hin. Die eine, welche voranschritt, war ein sehr alter Mann, dessen Gesicht so viele Falten und Fältchen hatte, daß man sie nicht zu zählen vermochte. Er schien nur aus Haut und Knochen zu bestehen, doch waren seine Bewegungen so kräftig und sicher, daß man ihn für viel jünger hätte halten mögen, als er wirklich war. Seine Kleidung bestand aus einer langen Hose von weichgegerbtem Leder und einem kurzen Hemde aus demselben Stoffe. Das letztere wurde über den Hüften von einem schmalen Gürtel zusammengehalten, in welchem ein Messer steckte. Die Füße staken in niedrigen, sandalenartigen Schuhen, denen man es ansah, daß er sie wohl selbst gefertigt hatte. Ein über der Schulter hängender Riemen trug ein großes Pulverhorn, einen ledernen Bleibeutel und eine eiserne Kugelform. Den Kopf trug der Alte unbedeckt oder vielmehr nur bedeckt von dem dichten, langen, wie Silber glänzenden Haare, welches wie eine Mähne hinten bis zum Gürtel herniederhing. Von einem Barte aber war keine Spur zu sehen. Auf dem Rücken trug er eine Art Jagdtasche, welche aus dem Felle eines Silberlöwen gefertigt war, und in der Hand ein starkes, einläufiges Gewehr.

Die andere Person war ganz genau so gekleidet und bewaffnet wie dieser Mann, trug eine ganz gleiche Tasche auf dem Rücken und das Haar auch lang bis auf den Gürtel hinab, war ihm aber in andrer Beziehung um so mehr unähnlich. Dieser andre war nämlich ein Jüngling, welcher kaum achtzehn Jahre zählen mochte, nicht lang, aber stark und untersetzt gebaut und von einer auffallenden Gewandtheit in seinen Bewegungen. Sein Haar besaß die tiefste Schwärze; sein Gesicht war jugendlich frisch und vom Gehen jetzt leicht gerötet. Man mußte ihn ebenso wie den Alten für einen Indianer halten, und doch hätte man aus einigen Anzeichen schließen mögen, daß er kein solcher sei. Seine dunkeln Augen standen nicht schief gegen einander; die Backenknochen traten nicht hervor; die Lippen waren fein, und die kleine Nase hatte keineswegs die aufgeworfene Gestalt, welche den Nasen der Indianer Südamerikas eigen ist; sie besaß vielmehr eine edle Form, sie war schmal und leicht gekrümmt. Sein Gesicht war zwar jetzt von der Sonne verbrannt, hatte aber jedenfalls ursprünglich eine viel hellere als die gewöhnliche Indianerfarbe.

Beide schritten zwischen dem Wasser der Lagune und dem Waldesrande hin, um den letzteren mit scharfen Augen zu mustern. Da erhob der Jüngling die Hand, deutete vor sich hin und sagte im Kaltschakidialekte der Ketschuasprache:

„Schau, Anciano, dort scheint der Baum zu stehen. Ich weiß genau, daß es ein Ombu von dieser Größe war.“

Aus dem Umstande, daß der junge Mann sich dieser Sprache bediente, war mit Sicherheit zu schließen, daß seine Heimat nicht hier in dieser Gegend zu suchen sei. Der Ombu (Phytolacca dioeca) ist ein mächtiger Baum, dessen Blätter mit denjenigen des Maulbeerbaums große Ähnlichkeit haben. Das merkwürdigste an ihm ist sein Stamm, ein dicker Holzkörper vom Umfange einer mächtigen Eiche, der sich nach unten schnell ausdehnt und in gewaltige Wurzeläste teilt, die in Windungen eine Strecke über der Erde fortlaufen und erst dann in den Boden eindringen. Auf diese Wurzeln setzt man sich, wenn man den Schatten benutzen will, welchen die weit ausgebreitete Krone spendet. Aber dieser kolossale Stamm hat ein so lockeres Holz, daß es, wenn man hineinstößt, wie Zunder bricht. Darum ist der Ombu zu nichts zu gebrauchen, denn sein Holz ist nicht einmal zum Verbrennen tauglich. Man pflanzt ihn nur an, um einen Schattenspender zu haben.

„Du kannst recht haben, o Herr,“ antwortete der Alte in derselben Sprache. „Der Ombu, unter welchem wir unsre Sachen vergruben, ehe wir die Gegenden der Spanier besuchten, hatte ganz dieselbe Gestalt wie dieser. Laß uns nachsehen!“

Der Alte nannte den jungen „Herr“, bei Indianern ein ganz und gar unmöglicher Brauch. Diese beiden Personen schienen in einem ganz eigentümlichen Verhältnisse zu einander zu stehen. Sie schritten auf den Ombu zu, blieben unter demselben halten und legten ihre Taschen und Gewehre ab. Dann untersuchte der Alte den Boden. Auf eine Stelle deutend, an welcher das Gras im Wachsen zurückgeblieben war, sagte er:

„Du hast richtig vermutet, Herr. Wir sind an Ort und Stelle. Weil wir damals den Rasen hier aufgruben, hat dem Grase die Ernährung gefehlt. Ich werde suchen. Hoffentlich hat niemand diesen Ort entdeckt.“

Er kniete nieder und zog das Messer, um die Erde aufzugraben. Der Jüngling wollte dasselbe thun; der Alte aber bat:

„Laß es mich allein thun, o Herr! Du bist zum Herrschen geschaffen, nicht aber zu dieser Arbeit eines Untergebenen.“

„Und dennoch helfe ich dir, lieber Anciano. Du weißt ja, ich thue es gern, denn du bist alt, und ich bin jung.“

Aber Anciano schob ihn mit dem Arme sanft zurück und antwortete:

„Alt? Ich bin noch nicht alt. Ich zähle erst ein einziges über hundert Jahre; meine Vorfahren aber sind viel, viel älter geworden.“

Während der Alte emsig grub, fuhr er fort:

„Ja, weit über hundert Jahre! Mein Vater zählte hundertzehn, mein Großvater hundertelf und dessen Vater gar hundertzwanzig. Und dessen Vorgänger war es, der deinen Urahnen aus der Hand der Spanier rettete, als sie den großen Inka Atahualpa ermordeten und seine ganze Familie ausrotten wollten. Haukaropora hieß dieser dein göttlicher Vorfahre, und denselben Namen hast du auch erhalten. Er war der jüngste Sohn von Atahualpa und in der Ferne geboren, so daß Pizarro, der Mörder, nichts von seinem Dasein wußte. Unser großes Reich wurde zerstört, mit dem Schwerte und dem Feuer, durch List, Betrug und Verrat. Man meint, die Inkas seien ausgestorben, aber du lebst, der letzte der Sonnensöhne, und es wird die Zeit kommen, in welcher du die Spanier bestrafen und dein Reich zurückerobern wirst.“

Haukaropora hatte sich in das Gras gestreckt und, den Kopf in die Hand gestützt, den Worten des Alten zugehört. Sein Gesicht hatte einen tief wehmütigen, ja melancholischen Ausdruck angenommen. Er seufzte auf und sagte, als Anciano jetzt schwieg:

„Das hast du mir schon so oft gesagt, aber ich glaube es nicht. Ich glaube dir alles, alles, nur dieses nicht.“

„Wie? Du glaubst nicht, daß du ein Inka, ein Sohn der Sonne bist?“ fragte der Alte erstaunt.

„Das glaube ich, denn du hast es mir bewiesen, und ich selbst fühle in mir etwas ganz Unbeschreibliches, was mir sagt, daß ich nicht so bin wie andre. Aber, daß das Reich meiner Ahnen wieder erstehen könne, das glaube ich nicht.“

Da richtete sich der Alte aus seiner gebückten Haltung auf und antwortete in feierlichem Tone:

„Du sollst und mußt es aber glauben, denn es gibt eine Gerechtigkeit, welche jede Sünde, jede Missethat bestraft und dem Unschuldigen das wiedergibt, was ihm genommen wurde. Du wirst das Reich deiner Väter wieder aufrichten; ich sage es dir, und mein Wort ist immer wie ein Schwur. Kein Mensch ahnt, wer du bist, denn wir haben es geheim gehalten. Nur wenn wir allein sind, bedienen wir uns der Sprache unsrer Ahnen und ich nenne dich Herr. Wenn aber andre bei uns sind, bin ich ein armer Indianer, und du bist mein Enkelsohn. Es wird aber die Stunde schlagen, in welcher dieses Geheimnis gelüftet wird.“

„Aber ohne Erfolg, mein Vater! Ich hatte Lust, die Länder und Städte der Spanier kennen zu lernen, und du hast mich aus meiner Einsamkeit genommen und nach Osten geführt. Ich habe diese Städte, diese Pampas und ihre Bewohner gesehen, und nun wir zurückkehren, weiß ich, daß unsre Hoffnungen sich nie erfüllen werden.“

„Nie? Warum?“

„Weil sie zu mächtig und listig sind und wir keine Mittel besitzen, den Kampf mit ihnen siegreich aufzunehmen und auszuhalten.“

„Mächtig und listig!“ lachte der Alte rauh auf. „Sie bethätigen ihre Macht, indem sie sich unter einander zerfleischen. Und ihre List ist nichts als Heimtücke, welche den eigenen Herrn vernichtet. Steht nicht das Land in immerwährender Empörung? Warte noch eine kleine Weile, dann wird man sich nach dem Erlöser sehnen, und der wirst du sein, o Herr.“

„Woher soll ich Soldaten nehmen, um zu siegen?“

„Alle roten Männer werden mit dir sein!“

„Und woher das Geld, welches ein Heerführer haben muß? Die Völker der Roten sind alle arm.“

„Aber du bist reich, reich wie kein andrer!“

„Ich? Reich?“ fragte der Jüngling in ungläubigem Tone.,

„Ja reich, unendlich reich,“ antwortete der Alte. Und indem er mit der flachen Hand auf seine Silberlöwentasche schlug, fuhr er fort.

„Hier steckt es, das Vermächtnis des Inka, dessen rechtmäßiger und einziger Erbe du bist. Seit dem Tode deines Vaters habe ich es bei mir herumgetragen, und zu seiner Zeit wird es von mir geöffnet werden. Doch schau, o Herr, die Grube ist geöffnet, und unsre Waffen kommen zum Vorschein.“

Er hatte die Erde ausgeworfen und nahm die Gegenstände, welche das Loch enthielt, heraus. Es waren zwei lederne Köcher, mit Pfeilen gefüllt, zwei lange Lanzen und zwei Bogen, von denen der eine ganz aus durchsichtigem Horn bestand und von fremder, eigenartiger Arbeit war. Zuletzt brachte er noch einen Streitkolben heraus, welcher eine schwarze Farbe hatte und aus gefirnißtem Eisen zu sein schien. Jeder erhielt einen Speer, einen Köcher und einen Bogen; der des jungen Inka war derjenige von Horn, welcher eine Länge von beinahe drei Ellen hatte. Dazu bekam er den Streitkolben, den er sich an den Gürtel hing, und zwar an der linken Seite, an der Stelle, an welcher man den Säbel zu tragen pflegt. Die Art und Weise, wie er dabei mit dem Kolben hantierte, ließ vermuten, daß derselbe von bedeutendem Gewichte sei.

Der Alte hatte sich erhoben, nickte dem Jünglinge ernst zu und sagte:

„Dieser Bogen und der Humantschuay sind die einzigen Gegenstände, welche von den Söhnen der Sonne auf dich übergegangen sind. Halte sie lieb und wert, o Herr! Du glaubtest vorhin, du seist arm; darum will ich dir etwas sagen, was ich dir bisher verschwiegen habe. Im Heere der Sonnensöhne trug jeder Obere, auch der Inka, außer den andern Waffen auch einen schweren, zackigen Streitkolben, Humantschuay genannt. Die gewöhnlichen Kämpfer hatten Streitäxte aus Bronze; der Streitkolben der Heerführer war aus Silber, derjenige des Inka aber aus purem, reinem Golde. Dieser Humantschuay, der hier an deiner Seite hängt, war die Waffe eines Inka; er besteht aus gediegenem Golde.“

„Aus Gold?“ fragte der Jüngling erstaunt, indem er den Kolben aufnahm und betrachtete. „Er ist ja schwarz wie Eisen!“

„Weil er einen dünnen Überzug aus Lack besitzt. Eine goldflimmernde Waffe darfst du jetzt nicht sehen lassen. Später aber wird sie in deiner starken Hand deinen Kriegern voranleuchten. Sie ist bei der Flucht deines Ahnen gerettet worden. Wenn du bedenkst, wie schwer sie ist, wirst du er kennen, welchen Wert du in den Händen hast. Und ich bin überzeugt, daß noch ganz andre Reichtümer für dich verborgen liegen.“

„Mag er von Gold sein,“ meinte der Jüngling kopfschüttelnd, „dieser Streitkolben; er wird jetzt keinem Feinde mehr gefährlich. Man hat ganz andre Waffen als damals. Was sind tausend Streitkolben gegen fünfzig Flinten oder eine einzige Kanone! Seit du drüben in Montevideo diese beiden Flinten gekauft hast, weiß ich, wie schwach unsre bisherigen Waffen waren.“

„Das glaube nicht! Der Klang des Pulvers verrät dich deinem Feinde; der Pfeil aber ist verschwiegen. Du tötest mit ihm viele Feinde, bevor man erkennt, wo du dich befindest. Jetzt aber komm, o Herr, damit wir bis zum Abend ein Wasser erreichen, an welchem wir unsern Durst zu stillen vermögen!“

Sie hatten, ehe sie vor Monaten die Wildnis verließen, ihre Waffen außer den Messern hier vergraben und befanden sich nun wieder im Besitze derselben. Da sie es nicht für nötig fanden, das Loch wieder zuzufüllen, ließen sie es offen und nahmen ihre vorhin unterbrochene Wanderung wieder auf. Pferde besaßen sie nicht; sie kehrten zu Fuße in ihre ferne Heimat zurück.

Die Lagune verlassend, marschierten sie am Waldesrande hin. Sie hatten viel zu tragen, was aber auf die Schnelligkeit ihrer Schritte von gar keinem Einflusse war. Der über hundert Jahre alte Greis schritt rüstig wie ein junger, dreißigjähriger Mann neben seinem Begleiter her. Er war von diesem Anciano genannt worden, ein spanisches Wort, welches der Alte, der Hochbetagte, der Greis bedeutet. Es ist übrigens bekannt, daß man bei den Indianern der Cordilleren oft Personen findet, welche über hundert Jahre zählen.

Da, wo die beiden jetzt gingen, entfernte sich der Wald vom Flusse, so daß zwischen beiden ein ziemlich breiter Campo blieb, in dessen niedrigem Grase leicht zu gehen war. Sie suchten sich eine der erwähnten natürlichen Öffnungen im Walde, um eine andre Richtung einzuschlagen. Nach ungefähr einer Stunde gelangten sie an eine solche, welche gerade nordwärts durch den Wald zu führen schien. Sie war schmal, höchstens vierzig Schritte breit. Sie folgten ihr.

Noch aber waren sie nicht weit vorwärts gekommen, als der Inka, welcher doch schärfere Augen als der Alte hatte, diesen plötzlich am Arme faßte und ihn schnell seitwärts unter die Bäume zog.

„Was ist’s? Was gibt’s?“ fragte Anciano. „Hast du etwas gesehen? Vielleicht ein Tier, welches wir schießen können, um frisches Fleisch zu erhalten?“

„Nicht nur ein Tier, sondern viele habe ich gesehen,“ antwortete der Gefragte.

„Wo?“

„Gerade vor uns in der Lichtung.“

„Welcher Art?“

„Pferde, und auch Menschen waren dabei.“

„Pferde und Menschen? Wer könnte das sein? Was wollen die hier? Wie viele waren es?“

„Das kann ich nicht sagen, da ich sie nur einen Augenblick lang sah und dann mich hier verstecken mußte.“

„Das hast du klug gemacht, o Herr. Wir befinden uns hier im Gebiete der Abipones, welche unsre Todfeinde sind; da können wir nicht vorsichtig genug sein. Was thaten sie? Ritten sie vor uns her oder auf uns zu?“

„Sie ritten nicht, sondern sie lagerten.“

„Dann werde ich mich hinschleichen, um sie zu beobachten.“

„Laß mich das thun, lieber Anciano! Es ist zu gefährlich, und du bist so alt.“

„Ich bin nicht zu alt, du aber bist zu jung dazu. Und wie könnte ich dich, Herr, einer solchen Gefahr überantworten!“

„So gehen wir beide!“

„Nein. Einer genügt; aber zwei sind zu viel.“

Sie stritten sich noch eine kurze Zeit, da jeder die Gefahr auf sich nehmen wollte; aber der Alte setzte in aller Liebe seinen Willen durch und entfernte sich, nachdem er dem Jünglinge angedeutet hatte, den Ort auf keinen Fall zu verlassen. Es dauerte wohl eine halbe Stunde, bevor er zurückkehrte; dann kam er geschlichen und meldete:

„Es sind wirklich Abipones. Ich zählte fünfzig Pferde und ebensoviele Leute.“

„Woher mögen diese Menschen die Pferde haben?“

„Gestohlen natürlich.“

„Wie waren sie bewaffnet?“

„Mit Lanzen, Bogen, Pfeilen und Blasrohren.“

„So haben sie Giftpfeile bei sich und man muß sich in acht nehmen. Was thun wir? Können wir vorüber?“

„Nein. Die Öffnung des Waldes ist zu schmal.“

„So schleichen wir unter den Bäumen an ihnen vorbei.“

„Auch das geht nicht. Der Wald ist undurchdringlich. Die Schlingpflanzen bilden eine dichte Masse, durch welche man nicht gelangen kann. Schon jetzt war es mir unmöglich, wenigstens am Saume hin mich soweit anzuschleichen, daß ich die Leute sehen und genau zählen konnte.“

„So kommen wir also gar nicht weiter vorwärts?“

„Nein. Wir müssen zurück und uns eine andre Öffnung des Waldes suchen. Komm, o Herr!“

Sie gingen zurück, bis sie den Campo wieder erreichten, und schritten dann wieder in der vorigen Richtung am Walde hin. Dieser machte nach einiger Zeit einen Bogen nach Norden, den sie dadurch abschnitten, daß sie die dadurch entstehende halbkreisförmige Prairie geradeswegs überschritten. Die erste Hälfte des Nachmittages war vergangen, und die Sonne neigte sich stark dem westlichen Horizonte entgegen.

Indem sie über diese offene Prairie marschierten, erblickten sie plötzlich links von sich, also im Süden und dem Flusse zu, einen einzelnen Reiter, welcher in gestrecktem Galopp näher kam. Und zu gleicher Zeit bemerkten sie vor sich im Grase eine dunkle Linie, eine breite Spur, die nach Nordwest führte, und welcher dieser Reiter zu folgen schien. Sie blieben überlegend stehen.

„Was thun wir?“ fragte der Inka. „Weichen wir ihm aus?“

„Das ist unmöglich,“ meinte der Alte. „Er ist schneller als wir und würde uns einholen. Übrigens brauchen wir uns vor einem einzelnen Mann doch nicht zu fürchten.“

„Auch nicht, wenn er zu den Abipones gehört?“

„Auch dann nicht; denn ehe er sie herbeiholen könnte, wären wir schon weit fort. Übrigens glaube ich zu sehen, daß er ein Weißer ist.“

Der Reiter hatte natürlich auch sie gesehen und kam auf sie zu. Bei ihnen angekommen, hielt er sein Pferd an, grüßte und fragte in spanischer Sprache:

„Darf ich erfahren, Señores, woher Sie kommen?“

„Wir kommen vom Parana her,“ antwortete Anciano höflich in derselben Sprache.

„Und wohin wollen Sie?“

„Durch den Gran Chaco hinauf in die Berge.“

„Wer sind Sie?“

„Wir sind Indianer, die zu keiner Partei gehören und mit den Weißen in Frieden leben.“

„Das freut mich. Ich bin Doktor Parmesan Rui el Iberio de Sargunna y Castelguardianta.“

„Ein sehr langer und wohl auch sehr vornehmer Name, Señor, nicht?“

„Ja. Ich stamme aus Altkastilien, wo meine Ahnen auf Burgen und Schlössern wohnten. Aber da Sie durch den Chaco und nach den Bergen wollen, so fällt mir ein – – gehören Sie etwa zur Gesellschaft des Vaters Jaguar?“

„Des Vaters Jaguar? Ist dieser berühmte Mann denn hier?“

„Allerdings. Ich suche ihn. Ich glaube, die Fährte, die Sie da vor sich sehen, ist die seinige. Also Sie gehören nicht zu ihm?“

„Nein; aber wir würden uns sehr freuen, wenn wir ihn treffen könnten; denn er würde uns gewiß erlauben, uns ihm anzuschließen. Also Sie meinen, daß dies seine Spur ist?“

„Ja. Wir hatten seine Fährte schon einmal, ritten aber nicht auf derselben fort, weil wir bei einem vorweltlichen Tiere halten blieben. Dann als ich die Fährte brauchte, war sie verschwunden. Nachher aber erreichte ich eine Stelle, wo der Vater Jaguar Halt gemacht haben muß, und von da aus ist die Spur wieder zu sehen.“

„So bitten wir, derselben mit Ihnen folgen zu können!“

„Gern, wenn Sie nicht zu langsam gehen. Ich habe nämlich Eile.“

„Wir gehen schnell.

„So kommen Sie!“

Er ritt in ziemlich schnellem Schritte weiter, und sie waren so gute Läufer, daß es ihnen nicht schwer wurde, sich an seiner Seite zu halten. Dabei meinte er, sie noch genauer als bisher betrachtend:

„Sie kennen meinen Namen und meine edle Abstammung, Señores. Darf ich nun auch wissen, wie ich Sie zu nennen habe?“

„Ich heiße Anciano, und der Name meines Enkelsohnes ist Haukaropora. Wem dieser Name zu lang ist, der pflegt gewöhnlich nur Hauka zu sagen.“

„Das werde auch ich thun, denn es findet da eine Amputation der letzten drei Silben statt, und ich liebe solche Operationen. Ich bin nämlich Chirurg. Was sagen Sie zu einer operativen Entfernung der Kniescheibe? Wird der Patient dann noch gehen können?“

„Wohl schwerlich, Señor.“

„Schwerlich? Sehr leicht sogar, Señor Anciano. Man muß es nur richtig zu machen verstehen. Ein Schnitt zur rechten Zeit und in der richtigen Weise. Mir würde er sicher gelingen. Es wäre zwar eigentlich kein Schnitt, sondern eine Arbeit mit der Knochensäge; aber das schadet nichts, denn ich säble bekanntlich alles herunter!“

Der Alte strich sich das lange Haar aus der Stirn und sah den Sprecher mit einer gewissen Befangenheit an, da er nicht wußte, was er von dessen Worten denken und auf dieselben antworten solle. Der Chirurg bemerkte das und fragte:

„Sie glauben es vielleicht nicht? O, ich habe Operationen ausgeführt, bei denen es eine wahre Wonne war, die Knochensäge arbeiten zu hören! Was halten Sie vom Klumpfuße? Ist er durch eine Operation zu heilen?“

„Das kann ich leider nicht sagen, Señor.“

„Nicht Señor, sondern Don! Ein solcher Edelmann, wie ich bin, wird Don genannt. Sagen Sie also einfach Don Parmesan. Wie es scheint, kennen Euer Gnaden den Vater Jaguar?“

„Ja; ich habe ihn nicht nur schon gesehen, sondern auch mit ihm gesprochen.“

„Das ist mir lieb! Ich lerne also in Ihnen einen Bekannten von ihm kennen. Glauben Sie, daß er bereit sein wird, zwei deutsche Señores zu retten?“

„Deutsche? Was ist das?“ „Leute aus Deutschland.“ „Das kenne ich nicht.“

„Da scheint es mit Ihren geographischen Kenntnissen schlecht zu stehen, Señor Anciano. Deutschland ist ein Land, welches jenseits des Meeres liegt, westlich von Spanien, nördlich von Rußland, südlich von England und östlich von Italien. Da haben Sie seine Grenzen. Die Leute dort sind des Teufels darauf, Riesentiere auszugraben. Bei einem solchen Geschäft sind wir von den Abipones erwischt worden.“

„Von den Abipones? Wo war das?“

„Jenseits des Rio Salado, aber diesseits der Laguna Porongos.“

„Auch dort waren Abipones? Seltsam! Wie viele?“ „Vielleicht fünfzig.“ „Grad so viele, wie auch wir gesehen haben.“ „Wo?“ „Da hinter uns im Walde.“

„Das ist kein gutes Zeichen. Sollten diese Kerls etwa einen Einfall planen? Ich wünsche sehr, den Vater Jaguar zu finden, damit der lateinische Deutsche und sein Diener baldigst gerettet werden.“

Er erzählte den beiden in seiner Weise das erlebte Abenteuer. Dabei gelangten sie wieder in den Wald und wurden von der Fährte, welcher sie folgten, am Saume desselben hingeführt, bis er eine kleine Bucht bildete, vor welcher sie überrascht halten blieben, denn auf derselben grasten wohl über zwanzig Pferde, und ebensoviele Männer lagen in den verschiedensten Gruppierungen umher. Sie waren wohlbewaffnet und alle, ohne Ausnahme, ganz und gar in Leder gekleidet. Als sie die Ankömmlinge erblickten, sprangen sie auf, und einer, welcher von riesiger Gestalt war und einen dichten, grauen Bart trug, kam auf sie zu.

„Das ist der Vater Jaguar,“ flüsterte Anciano dem Chirurgen zu.

Der Genannte bildete heute eine ganz andre Figur als in Buenos Ayres. Dort hatte er einen feinen Anzug nach französischem Schnitte getragen und auch schon so einen jeden mit seiner gewaltigen Figur imponiert. Hier aber in dem Lederanzuge und in den langen Stiefeln sah er noch ganz anders aus. Es war, als ob diese Gestalt gar nicht ohne dieses Habit gesehen werden dürfe. Er nahm zunächst keine Notiz von dem Chirurgen, sondern wendete sich an dessen Begleiter und rief sichtlich erfreut, indem er ihnen die Hände entgegenstreckte:

„Anciano und Hauka! Hier unten im Chaco! Was hat denn euch bewogen, von euern Bergen herabzusteigen, und welcher Zufall führt euch grade heut an diesen Ort?“

Sie drückten ihm die Hände, und Anciano antwortete:

„Davon später, Señor. Es gibt Notwendigeres zu besprechen. Sie sollen zwei gefangene Männer retten.“

„Wie? Zwei Gefangene retten? Das klingt ja sehr nach Abenteuer! Wer sind diese Leute?“

„Don Parmesan wird es Ihnen sagen.“

Der Vater Jaguar wendete sich jetzt dem Genannten zu. Seine Augenwinkel zogen sich ein wenig mißmutig zusammen, als er zu ihm sagte:

„Don Parmesan? Diesen Namen habe ich schon gehört, und ich denke, Sie auch schon gesehen zu haben. Werden Sie nicht zuweilen El Carnicero genannt?“

„Allerdings,“ antwortete der Gefragte; „aber ich dulde es nicht, daß man mir diesen Namen gibt. Ich bin der Doktor Parmesan Rui el Iberio de Sargunna y Cast – – – –“

„Schon gut!“ unterbrach ihn der Vater Jaguar. „Sie wollen mir sagen, wer die Männer sind, welche meiner Hilfe bedürfen?“

„Es sind zwei deutsche Señores.“

„Deutsche? Ist’s möglich?“

„Ja. Sie wollten Ihnen nach, um im Chaco alte Tiere auszugraben.ˍ

„Alte Tiere? Meinen Sie etwa vorweltliche?“ fragte der Riese, indem er die Brauen in mißmutiger Erwartung höher zog.

„Ja, vorweltliche; das stimmt. Es war eine Gigantochelonia.“

„Diesen Namen habe ich noch nicht gehört; mein Latein sagt mir aber, daß es sich wahrscheinlich um eine Riesenschildkröte handelt.“

„Richtig, Señor! Bei der Schale der Kröte war es, wo wir erwischt wurden.“

„Wie hießen diese Deutschen?“

„Der Kukuk kann sich solche Namen merken! Einer war Doktor und der andre sein Diener.“

„Doktor Morgenstern?“

„Ja, ja, so klang es.“

„Und Fritze Kiesewetter?“

„Ganz recht, ganz recht! Kiese – – war’s, Kiese –!“

„Welche Menschen! Ich glaube, die sind mir von Buenos Ayres bis hierher nachgelaufen!“

„Das nicht; aber per Dampfer nachgefahren und dann von Santa Fé aus nachgeritten. Dieser Doktor Mor – Mor – oder wie er heißt, ist ein ganz lieber Señor, hat aber seine Schrullen. Er will nur von seinen Tierknochen hören und ist auf nichts andres zu bringen. Mit der Chirurgie zum Beispiel darf man ihm gar nicht kommen, und das ist doch das interessanteste Feld, welches es nur geben kann. Was sagen Sie wohl zu einer Operation des Zungenkrebses in Komplikation mit Nasenpolypen? Das müßte doch ein – –“

„Lassen wir den Krebs und die Polypen!“ fiel ihm der Vater Jaguar in die Rede. „Erzählen Sie mir in Kürze, was geschehen ist!“

Der Chirurg gehorchte dieser Aufforderung. Während er sprach, traten die Gefährten des Vater Jaguar herzu, um ihm zuzuhören. Es waren lauter kräftige Gestalten, denen man es ansah, daß sie schon manches erlebt hatten und wohl vor keiner Anstrengung und keiner Gefahr zurückschreckten. Die drei, welche mit ihm in Buenos Ayres gewesen waren, befanden sich auch dabei. Auch sie machten jetzt einen ganz andern Eindruck als damals, wo sie im Gesellschaftsanzuge steckten. Als Don Parmesan seinen Bericht beendet hatte, trat zunächst tiefe Stille ein. Keiner wollte reden, bevor der Anführer das Wort ergriffen hatte. Dieser sah eine kleine Weile nachdenklich vor sich nieder und fragte dann, sich direkt an einen seiner Gefährten wendend.

„Was meinst du dazu, Geronimo? Hast du dir die Sache schon zurechtgelegt?“

Dieser Geronimo war ein nicht zu hoher, aber sehr breitschulteriger Mann mit dichtem schwarzem Vollbarte und einer bedeutenden Habichtsnase. Er hätte für das Urbild eines Räuberhauptmanns genommen werden können, war aber ein sehr ehrlicher Kerl und der Liebling des Vaterjaguar, dessen Lehren und Unterweisungen er sich am meisten zu nutze gemacht hatte. Er zuckte leicht die Achsel und antwortete:

„Zunächst kommt es wohl darauf an, ob du denkst, daß wir diese unvorsichtigen Leute stecken lassen sollen oder nicht.“

„Sie müssen heraus aus der Falle, in welche sie geraten sind. Sie sind Landsleute von mir. Ich habe diesem Doktor Morgenstern wohl fünfzigmal gesagt, daß ich ihn nicht mitnehmen kann, und konnte unmöglich ahnen, daß er mir dennoch folgen werde. Eine kleine Strafe könnte ihm nichts schaden; aber befreien muß ich ihn, sonst kann ihm seine Ähnlichkeit mit dem Obersten, den ich noch nie gesehen, verhängnisvoll werden.“

„So fragt es sich, ob sich die Abipones noch dort befinden. Wäre dies der Fall, so ritten wir einfach hin.“

„Sie sind wohl nicht mehr dort,“ fiel da der alte Anciano ein. „Die Señores müssen mir verzeihen, wenn ich mir diese Bemerkung erlaube. Ich habe Gründe dazu.“

Er erzählte von den Abipones, welche er gesehen hatte, und beschrieb die Stelle, wo er an sie geschlichen war.

„Befanden sich Weiße bei ihnen?“ fragte der Vater Jaguar. „Nein.“

„Dennoch möchte ich überzeugt sein, daß die beiden Indianertrupps zusammengehören. Es handelt sich sehr wahrscheinlich um ein Pronunciamiento. Die Abipones sollen aufgewiegelt werden. Man hat Verstecke angelegt, um sie genügend bewaffnen zu können. Die Schutzdecke eines solchen Magazins hat der Doktor für das Rückenschild seiner wunderbaren Gigantochelonia gehalten. Selbst wenn man sich überzeugt, daß er nicht der Oberst ist, hat er so viel gesehen und erfahren, daß man sich leicht veranlaßt sehen kann, ihn schweigsam zu machen. Hier zu Lande gilt ein Menschenleben nichts, und das eines Ausländers noch weniger als dasjenige eines Inländers. Und also Antonio Perillo war dabei? Dieser Stierkämpfer und notorische Schurke ist also auch mit in die Revolte verwickelt. Ich habe ein Wort mit ihm zu reden. Der Hauptmann Pellejo ist ein Verräter. Und der dritte? Wer war er? Wie wurde er genannt?“

„Wie er heißt, das weiß ich nicht, denn sein Name blieb verschwiegen,“ antwortete der Chirurg.

„Beschreiben Sie ihn mir.“

„Er war von langer und starker Gestalt, wenn auch nicht so sehr wie Sie, Señor Jaguar.“

„Alt oder jung?“

„Älter als die andern.“

„Welche Rolle schien er zu spielen? Diejenige eines Untergebenen?“

„Nein, ganz und gar nicht. Er schien vielmehr der Vornehmste von allen zu sein. Er sprach so, als ob er es sei, der zu befehlen habe.“

„Was er ist, ein Offizier, ein Estanziero, ein Gaucho, das konnten Sie wohl nicht erraten?“

„Nein. Er sah ganz wie einer aus, der sich stets im Freien bewegt, wie ein Yerbatero, ein Cascarillero oder ein Garnbus – – –“

Er hielt inne und besann sich wie einer, dem etwas Wichtiges einfällt.

„Nun, was ist’s? Warum schweigen Sie? Wollten Sie Gambusino sagen?“

„Ja, ja, Gambusino. Da fällt mir doch noch ein, daß er von dem Kapitän der größte Gambusino genannt wurde.“

„Das ist schon etwas. Also ein Namen wurde aber nicht genannt?“

„Nein. Und wurde er genannt, so habe ich nicht darauf geachtet.“

„Der größte Gambusino!“ fiel da Geronimo ein. „Sollte es etwa gar Benito Pajaro sein, der sich ja den größten Gambusino nennen läßt?“

„Möglich,“ antwortete der Vater Jaguar. „Ich bin diesem Manne sonderbarerweise noch nicht begegnet, habe aber gehört, daß er von langer und starker Gestalt ist. Nun, jedenfalls werden wir erfahren, mit wem wir es zu thun haben, denn ich bin sehr entschlossen, diesen Señores einen Strich durch ihre Rechnung zu machen. Sie wollen sich gegen Mitre empören, einen General, den ich achte und sehr wertschätze. Schon deshalb möchte ich ein Wort mit ihnen reden. Dazu kommt, daß sie sich an meinen Landsleuten vergriffen haben. Ich hoffe, ihr seid mit von der Partie und werdet mich nicht im Stiche lassen!“

„Nein, nein; das versteht sich ganz von selbst!“ rief es im Kreise.

„So will ich euch sagen, wie ich mir die Sache denke. Die beiden Trupps gehören zusammen. Die Indianer, welche die Deutschen gefangen genommen haben, werden den andern Trupp aufsuchen, und zwar höchst wahrscheinlich noch heut. Sie werden alle da lagern, wo dieser unser Señor Anciano die Roten beobachtet hat, und die Gefangenen befinden sich natürlich bei ihnen. Wir reiten jetzt hin und kommen dort an, wenn es Abend geworden ist. Die Waldesöffnung wird trotz der Dunkelheit zu finden sein, und dann werden uns die Lagerfeuer als Führer dienen. Was wir thun werden, um die Gefangenen zu befreien, weiß ich jetzt noch nicht; aber wenn ich mich an sie geschlichen und sie beobachtet habe, wird sich leicht ergeben, in welcher Weise wir zu handeln haben. Also auf, zu den Pferden! Die Sonne berührt schon den Horizont, und in einer Viertelstunde ist es dunkel.“

Die Männer sattelten ihre Pferde. Anciano und Hauka waren zu Fuße gekommen; sie mußten also hinter zwei andern Reitern aufsteigen. Anton, der Neffe des Bankiers, hatte sofort eine Zuneigung zu dem jungen, hübschen Inka gewonnen; er kam zu ihm und sagte in der höflichen spanischen Weise:

„Señor, Sie werden gezwungen sein, zu zweien zu reiten. Darf ich Ihnen einen Sitz bei mir anbieten?“

Über das ernste Gesicht des Inka, auf welchem gewöhnlich der den südlichen Indianern eigentümliche wehmütige Zug zu beobachten war, glitt ein freundliches, dankbares Lächeln, und er antwortete:

„Ich werde Ihnen beschwerlich fallen, Señor, nehme aber Ihr Anerbieten an. Vielleicht ist es mir möglich, Ihnen einen andern Dienst zu erweisen. Ich heiße Hauka; wie darf ich Sie nennen?“

„Mein Name ist Antonio. Sie werden mir nicht lästig fallen; ich freue mich im Gegenteile darauf, mit Ihnen reiten zu dürfen. Sie werden wohl besser zu Pferde sitzen als ich; darum bitte ich Sie, mir den Sattel zu überlassen.“

Er stieg auf, und Hauka sprang hinter ihm flink auf das Pferd. Anciano leistete einem der andern Reiter Gesellschaft. Dann ging der Ritt an dem Rande des Waldes hin, ganz denselben Weg zurück, den die beiden gekommen waren. Die Sonne senkte sich hinter dem Horizonte hinab, und der kurzen Dämmerung folgte der Abend.

Der alte Anciano ritt mit seinem Sattelgefährten neben dem Vater Jaguar voran. Ihnen folgten Anton Engelhardt und der junge Inka mit Geronimo, dem Lieblinge des Vater Jaguar. Man bemühte sich, alles Geräusch zu vermeiden, und da der Boden weich und grasig war, so drang der Hufschlag nicht weit, und es war nur hie oder da das Schnauben eines Pferdes zu vernehmen. So ging es weiter und weiter, bis Anciano halten blieb und den Inka in spanischer Sprache, so daß die andern es verstehen konnten, mit unterdrückter Stimme fragte:

„Ich denke, wir müssen den Einschnitt sofort erreichen. Was meinst du, mein Sohn?“

„Eben wollte ich dich auf dasselbe aufmerksam machen, mein Vater,“ antwortete der Gefragte. „Ich sehe trotz des Dunkels hier links einen hohen Laureliabaum, welcher mir auffiel, als wir aus dem Einschnitte kamen. Er ist nicht weit von dem letzteren entfernt.“

„So werden wir absteigen und die Pferde etwas zurückschaffen müssen. Ihr Schnauben könnte uns verraten, denn wir wissen nicht, ob die zweite Truppe, bei welcher sich die Gefangenen befinden, schon da ist oder erst noch ankommen wird.“

Diese Worte zeigten, daß der alte Indianer ein sehr um- und vorsichtiger Mann war, und da der Vater Jaguar keine Einwendung machte, so ritten die Männer eine kleine Strecke zurück und stiegen dann ab, um ihre Pferde an die den Waldesrand bildenden Bäume und Sträucher zu binden. Während dies geschah, hörte man die zwar leise, aber doch allen vernehmliche Stimme des Indianerknaben:

„Still, Señores! Ich höre etwas.“

Keiner bewegte sich. Der Inka lag auf der Erde, das Ohr fest auf dieselbe gelegt.

„Es kommen Reiter,“ meldete er. „Sorgen Sie dafür, daß unsre Pferde nicht schnauben!“

jeder trat zu seinem Tiere, um demselben die Nüstern mit der Hand zu bedecken. Ja, es kamen Reiter. Zunächst hörte man den im Grase dumpf klingenden Hufschlag ihrer Pferde; sodann vernahm man auch die Stimmen derer von ihnen, welche miteinander sprachen. Sie kamen von rechts, vom Flusse her und ritten dem Walde entgegen.

„Wirst du uns auch richtig führen, Brazo valiente?“ hörte man jemand fragen. „Es ist kein Vergnügen, des Nachts eine schmale Lücke des Waldes zu suchen.“

„Das war Antonio Perillo,“ flüsterte der Vater Jaguar seinem Geronimo zu. „Ich kenne seine Stimme.“

„Ich kenne jeden Pferdeschritt in dieser Gegend,“ antwortete ein zweiter in gebrochenem, aber deutlichem Spanisch. „Wir sind genau in der Richtung. Eine hohe Laurelia steht da, wo der Wald sich trennt. Wir müssen sie sofort sehen.“

jetzt waren die Reiter so nahe, daß sie, obgleich es ziemlich finster war, den Wald erkennen konnten.

„Da ist das Holz,“ rief die zweite Stimme, „und da ist die Laurelia. Sie sehen, daß ich die Richtung gerade wie eine Schnur genommen habe. Einige Schritte nach rechts, und wir werden auf den Einschnitt treffen.“

Sie lenkten nach der angedeuteten Richtung und waren dann nicht mehr zu sehen und zu hören.

„Wie gut, daß wir nicht dort bei der Laurelia halten geblieben sind!“ sagte Geronimo. „Sie hätten uns ertappt. Was thun wir jetzt?“

„Warten!“ antwortete der Vater Jaguar. „Wir können nicht eher handeln, als bis der eine Trupp zu dem andern gestoßen ist und sie sich alle gelagert haben. Kanntest du die zweite Stimme, welche wir hörten?“

„Es war mir freilich so, als ob ich sie schon einmal vernommen hätte, aber ich weiß nicht, wo und von wem.“

„So will ich es dir sagen. Der, welcher Antonio Perillo antwortete und den Weg so genau kannte, war EI Brazo valiente, der tapfere Arm, der Häuptling der Abipones.“

„Caramba! Das ist wahr; jetzt besinne ich mich. Es war der tapfere Arm. Wir haben doch schon einige Male mit ihm gesprochen. Also er ist es, der die Deutschen gefangen genommen hat! Er gibt sie nicht freiwillig heraus.“

„Nein. Früher waren wir mit ihm befreundet; da hätte er sie mir zuliebe losgelassen; jetzt aber wird es ihm nicht einfallen, dies zu thun.“

„So zwingen wir ihn!“

„Zunächst nicht zwingen, keine Gewalt anwenden. Wozu Blut vergießen, wenn uns die List viel leichter, viel sicherer und ohne alle Verluste zum Ziele zu führen vermag.“

„Ah! Also wieder eins deiner Kunststücke?“ lachte Geronimo fröhlich auf.

„Ja. Du thust doch mit?“

„Natürlich! Frage doch nicht erst! Du weißt ja, wie gern ich dabei bin. Du meinst also, daß wir sie herausholen werden?“

„Wir werden wenigstens den Versuch machen. Es kommt ganz auf die Örtlichkeit an und auf die Art und Weise, wie sie lagern.“

„Und wenn es uns gelingt? Was dann?“

„Dann reiten wir ruhig weiter.“

„So! Denkst du nicht an das Pronunciamiento, an die Revolution, welche sie planen?“

„Die geht uns eigentlich nichts an.“

„O doch! Wir sind gute und treue Unterthanen unsres Präsidenten. Wollen wir ruhig zusehen, daß er abgesetzt, vielleicht gar getötet wird?“

„Dazu kann es nicht kommen. Ich weiß zwar nicht, wer an der Spitze dieser Meuterer steht, keinesfalls aber ist es ein Bursche, der es mit Mitre aufzunehmen vermag.“

„Möglich, sogar sehr wahrscheinlich; aber selbst den Fall gesetzt, daß die Empörung niedergedrückt wird, so steht es doch fest, daß sie vielen, vielen Menschen das Leben und das Eigentum kosten wird. Haben wir das dann nicht auf unsrem Gewissen?“

„Hm!“ brummte der Vater Jaguar, welcher ganz der Meinung seines Gefährten war, diesen aber ein wenig warm werden lassen wollte. „Sollen wir, um andre zu retten, uns selbst in Gefahr begeben?“

„Natürlich! Das versteht sich ganz von selbst! Das ist unsre Pflicht und Schuldigkeit! Ich begreife dich nicht. Du fürchtest dich doch sonst vor keinem Menschen, und jetzt sprichst du von Gefahr! Als ob von einer großen, schrecklichen Gefahr die Rede sein könnte, wenn man sich zwischen diese Abipones schleicht, um ihnen in aller Stille zwei Gefangene abzunehmen. Und selbst wenn du recht hättest, verdienen diese Burschen eine Züchtigung dafür, daß sie sich ohne alles Recht an deinen Landsleuten vergriffen haben. Oder nicht?“

„Das gebe ich zu.“

„Also dürfen wir uns nicht so heimlich davonschleichen, sondern wir müssen ihnen eine scharfe Lehre geben.“

„Das kann doch nur dadurch geschehen, daß wir unsre Waffen brauchen?“

„Ja. Wir schießen einige von ihnen nieder.“

„Nein. Das thue ich nicht. Wenn es nicht unbedingt notwendig ist, töte ich keinen Menschen.“

„Das ist wieder eine jener Ansichten und Meinungen, welche du aus dem Norden mitgebracht hast. Es thut dir leid um die dortigen roten Völker, welche so elendiglich umkommen müssen. In Beziehung auf sie magst du recht haben, denn es ist wirklich schade um die tapfern, kühnen Männer, von denen du uns erzählt hast. Aber unsre südlichen Indianer besitzen diese Tugenden nicht; sie sind feig, mutlos und niederträchtig. Sie brechen aus ihren Wäldern hervor, um nächtlicherweise zu stehlen und die Schläfer zu ermorden. Finden sie aber Gegenwehr, oder werden sie gar selbst angegriffen, so rennen sie davon wie geprügelte Hunde. Leute, welche mit vergifteten Pfeilen schießen, kann man weder achten noch bemitleiden. Es juckt mich wirklich in den Händen, ihnen zu zeigen, was es heißt, sich mit dem Vater Jaguar und seinen Männern zu verfeinden.“

„Laß es jucken! Heute wollen wir froh sein, wenn es uns gelingt, die beiden unschuldigen Menschen frei zu machen. Ist das geschehen, so wollen wir sehen, was weiter zu thun sein wird.“

„Wie viele Leute nimmst du mit?“

„Zunächst nur dich. Die andern bleiben hier. Je weniger wir sind, desto schwerer werden wir bemerkt.“

Obgleich diese Unterhaltung so laut geführt worden war, daß alle diese letzte Bestimmung zu hören vermochten, fiel es doch keinem ein, sich gegen dieselbe aufzulehnen. Die Gesellschaft hatte zwar kein eigentliches Oberhaupt, und ein jeder besaß dasselbe Recht wie der andre, aber die Persönlichkeit des deutschen Riesen, der nicht nur körperlich, sondern auch geistig alle überragte, brachte dennoch den Eindruck vor, daß jeder ihn schweigend als den Führer, welchem man Gehorsam schuldete, anerkannte.

Also seine Leute erklärten sich durch ihr Schweigen mit seinen Worten einverstanden; aber ein andrer sprach dagegen, nämlich der alte Anciano. Er sagte:

„Señor, warum wollen Sie allein gehen? Nehmen Sie mich und meinen Enkelsohn mit! Sie kennen uns und wissen, daß wir Ihnen keinen Schaden bereiten werden.“

Der Vater Jaguar schwieg eine Weile überlegend; dann antwortete er:

„Ja, ich kenne Euch. Ihr versteht es, das wilde Lama zu beschleichen und den Kondor fast auf seinem Neste zu fangen. Zwar habe ich noch nicht gesehen, ob Ihr es auch vermögt, Euch einem Menschen unbemerkt zu nähern, aber es ist Nacht, und diese Abipones sind nicht so scharfsinnig wie die Sioux oder Apachen und Komantschen Nordamerikas. Sodann wißt ja gerade ihr beide, wo diese Menschen lagern. Also wollen wir euch mitnehmen. Macht euch fertig!“

„Sollen wir unsre Flinten oder die Lanzen und Pfeile mitnehmen?“

„Nur die Messer. Schießen werden wir nicht, und zur Abwehr werden, falls uns einer anfällt, die Messer genügen.“

Die beiden Indianer legten ihre Waffen und auch die Silberlöwentaschen ab, um sich leichter und freier bewegen zu können.

„Und euer langes Haar?“ meinte der Vater Jaguar. „Wir werden zwischen und unter Sträuchern, Dornen und Schlingpflanzen hinkriechen müssen. Da bleibt ihr hängen.“

„Wir wissen schon, was wir thun müssen, um nicht hängen zu bleiben.“

Er nahm sein langes, graues Haar halb rechts und halb links nach vorn und band es unter dem Kinn in einen Knoten zusammen. Der Inka that mit dem seinigen ebenso, und dann brachen sie auf.

Anciano ging voran. An der Laurelia angekommen, wendete er sich nach links, wo der Einschnitt den Wald teilte. Indem sie leise durch das Dunkel schritten, flüsterte der Inka dem Vater Jaguar zu:

„Señor, Sie denken, daß es Ihnen gelingen wird, diese Männer zu befreien?“

„Ja, wenn nicht jetzt durch List, dann später mit Gewalt.“

„Dann müssen wir uns auch noch etwas andres holen.“

„Was?“

„Pferde.“

„Dachte es, daß du das bringen würdest, du kleiner, listiger Held. Wir brauchen vier Pferde.“

„Ja. Für Ihre beiden Landsleute, für Anciano und für mich.“

„Ich hatte es mir natürlich auch schon vorgenommen, denn wenn wir nicht genug Pferde haben, sind wir in allem, was wir thun, gehindert.“

„So holen Sie mit Geronimo die Menschen, und ich nehme mit Anciano die Tiere!“

„Nicht so schnell! jetzt läßt sich eine solche Einteilung noch nicht treffen. Wir müssen uns nach den Verhältnissen richten, welche wir vorfinden.“

Die beiden Weißen verstanden es, mit vollständig unhörbaren Schritten zu gehen, und was die zwei Indianer betraf, so hätte man, wenn das nicht ein sprachlicher Fehler gewesen wäre, sagen mögen, daß ihre Schritte noch unhörbarer seien.

Als sie eine Weile hintereinander hergegangen waren, tauchte Lichtschein vor ihnen auf. Sie mußten nun noch vorsichtiger als bisher sein und hielten sich so dicht am Rande des Einschnittes, daß sie im Schatten der Bäume unsichtbar blieben.

Es wurde bereits erwähnt, daß dieser Einschnitt eine nur geringe Breite besaß; aber da, woher der Lichtschein kam, buchtete er sich nach rechts aus und bildete eine Art kleiner Waldwiese, welche von sehr dicht stehenden Bäumen und Sträuchern umgeben war. Am Eingange zu dieser Wiese und im Hintergrunde rechts weideten die Pferde. Vorn links lagerten die Menschen an einigen Feuern, denn es war kühl geworden. Der Unterschied zwischen der Tages- und Nachttemperatur beträgt in jenen Gegenden oft bis fünfzehn, ja sogar zuweilen achtzehn Grad nach R6aumur.

Die vier Anschleicher hatten sich auf die Erde gelegt und krochen auf Händen und Füßen näher, jetzt nicht mehr Anciano, sondern der Vater Jaguar voran. Ihre von Sonne, Wind und Wetter dunkel gegerbte Kleidung stach nicht im mindesten von ihrer Umgebung ab; nur das lange, graue Haar des Alten hätte, wenn man in Nordamerika und auf einer Streife gegen die dortigen Indianer oder weißen Jäger gewesen wäre, zum Verräter werden können; aber die Leute, mit denen man es hier zu thun hatte, besaßen nicht so scharfe Augen.

jetzt hatte man die Einbuchtung erreicht. Das nächst grasende Pferd stand kaum sechs Schritte von dem Vater Jaguar entfernt. Es mußte die Fremden sehen oder wenigstens riechen; es wedelte mit dem Schwanze und warf die Ohren hin und her, gab aber kein hörbares Zeichen der Unruhe, des Verdachtes oder gar der Warnung von sich.

„Dumme Geschöpfe!“ flüsterte der Deutsche Geronimo zu. „Ein Komantschenpferd würde so laut schnauben und so auffällig zurückweichen, daß wir sicher entdeckt wären. Dennoch aber müßten diese Kerle es sehen, daß es den Schwanz und die Ohren in einer Weise bewegt, die auf etwas Ungewöhnliches schließen läßt. Wir werden leichtes Spiel haben.“

„Denke es auch,“ antwortete der andre. „Siehst du, wie es steht?“

„Freilich! Die Feuer brennen ja so hell, daß man an jedem einen Ochsen braten könnte.“

Es war allerdings so hell, daß die kleine Lichtung wie am Tage vor den acht scharf ausschauenden Augen lag.

Die Abipones mochten gegen hundert Mann zählen. Sie waren teils mit Blasrohren, Lanzen, Bogen und Pfeilen, teils auch mit Gewehren bewaffnet. Diese letzteren stammten jedenfalls aus dem Versteck, in welchem Doktor Morgenstern seine berühmte Gigantochelonia gesucht hatte. Es gab sechs Feuer. An dem einen lagerten die Weißen und ein Indianer, an den anderen fünf die übrigen Roten. Die ersteren saßen so, daß man die Gesichter des Indianers, Antonio Perillos, des Hauptmanns Pellejo und zweier Soldaten sehen konnte. Die andern zwei Soldaten kehrten den Lauschern die Rücken zu, und der Gambusino saß nicht, sondern er hatte sich niedergelegt und den Hut tief in das Gesicht gezogen, um nicht von dem Scheine der Feuer geblendet zu werden. Diejenigen, welche zu dem schon vorher hier lagernden Trupp gehörten, mochten schon gegessen haben; die Neuangekommenen aber waren noch damit beschäftigt, das mitgebrachte harte Dürrfleisch mühsam mit den Zähnen zu verkleinern. Dabei unterhielten sie sich so laut, daß man jedes Wort hätte verstehen können, wenn nicht zu viele auf einmal gesprochen hätten.

Zufälligerweise war das Feuer, an welchem die Weißen lagerten, dasjenige, welches dem Rande der Lichtung am nächsten lag, und das hatte seinen guten Grund. An diesem Rande nämlich standen zwei halbstarke Bäume nebeneinander, und an diese hatte man Doktor Morgenstern und seinen Diener mit Hilfe zweier Lassos gebunden, so daß sie zwar aufrecht standen, aber weder Arme noch Beine bewegen konnten.

Als der Vater Jaguar diese Situation überblickt hatte, gab er seinen drei Gefährten mit der Hand ein Zeichen, sich noch tiefer ins Gezweig zu drücken, drehte sich zu ihnen um, damit sie ihn leichter verstehen könnten, und sagte –

„Es wird gehen, und zwar viel leichter, als ich dachte. Ich will nicht sagen, daß diese Menschen dümmer sind als dumm, denn sie haben keine Ahnung davon, daß wir hier sind. Sie halten es wohl überhaupt für unmöglich, daß ein menschliches Wesen sich hier in ihrer Nähe befinden könne. Es würden zwei von uns genügen, die Gefangenen zu befreien, dennoch ist es gut, daß Anciano mit Hauka sich uns angeschlossen hat. Habt ihr Feuerzeug?“

„Ja, dasjenige, welches bei uns gebräuchlich ist.“

„Das genügt nicht; es würde zu viel Zeit erfordern.“

Er zog eine kleine Schachtel Zündhölzer aus seiner Tasche und fuhr fort:

„Hier ist etwas Besseres, um Feuer zu machen – – –“

„Feuer?“ unterbrach ihn Geronimo erstaunt. „Soll Feuer angebrannt werden?“

„Ja,“ nickte der Vater Jaguar.

„Wozu? Das begreife ich nicht. Brennen diese sechs Feuer etwa nicht hell genug? Willst du ein siebentes anzünden, damit wir entdeckt werden?“

„Damit die Leute dort erschrecken, das ist meine Absicht. Du hast alles abgelegt, Anciano, zu meiner Freude aber sehe ich, daß du das Pulverhorn noch bei dir hast. Ist es leer?“

„Nein, Señor, sondern es ist bis an die Spitze gefüllt.“

„Das ist gut. Höre, was ich dir sagen werde! Ihr kehrt um und geht, wenn ihr aus dem Bereiche des Feuerscheines gelangt seid, auf die andre Seite des Waldeinschnittes und schleicht euch dann wieder nach der Lichtung hin. Dort angekommen, kriechst du, Anciano, immer am Rande derselben hin. Siehst du das abgestorbene, hohe, vorjährige Gras? Es ist so dürr, daß es wie Papier brennen wird. Bist du weit genug in dasselbe vorgedrungen, so ziehst Du dich wieder zurück und schüttest, aber höchst sorgfältig, damit die Flamme keine Unterbrechung findet und schnell weiterläuft, einen dünnen aber zusammenhängenden Streifen Pulver in dieses Gras. Ist das Pulverhorn leer, so nimmst du ein Zündholz und brennst das Gras an, worauf Du schnell zu Hauka eilst. Dieser hat indessen vier Sättel zusammengetragen, was ihm sehr leicht sein wird, da sie da drüben alle, und zwar ohne Aufsicht, liegen. Wenn du Feuer machst, mußt du deinen Rücken, den Feinden zukehren, damit – – –“

„Weiß schon, Señor,“ unterbrach ihn der Alte. „Ich werde keinen Fehler begehen. Wenn das kleine Flämmchen die Pulverschnur erreicht, werde ich schon so weit fort sein, daß sie mich nicht sehen können und also gar nicht wissen, woher das Feuer kommt, welches plötzlich viele Schritte lang hoch emporlodern wird. Sie werden hinzueilen, um es auszulöschen. Ich begreife Ihren Plan, Señor.“

„Ja. Während du das Pulver schüttest, während Hauka die Sättel holt, wird Geronimo sich um die Pferde bekümmern. Er ist ein schlauer, gewandter, aber auch vorsichtiger Patron, und ich bin überzeugt, daß im geeigneten Augenblicke vier Pferde bereitstehen werden. Indessen schleiche ich mich zu den Bäumen hin. Sobald dein Pulver Feuer fängt und das alte Gras in Brand setzt, wird man, wie du richtig sagst, hinzueilen, um es auszulöschen. Diesen Augenblick der allgemeinen Verwirrung benutze ich, die zwei Gefangenen loszuschneiden. Wir kommen hierhergesprungen; jeder nimmt einen Sattel und ein Pferd und – – –“

„Und zwei nehmen die Pakete, welche da drüben liegen,“ fiel ihm der junge Inka in die Rede.

„Welche Pakete? Wozu?“ fragte der Vater Jaguar.

„Als der Mann, den Ihr den Carnicero nennt, von der Gefangennahme seiner Gefährten erzählte, sagte er auch, daß der gelehrte kleine Mann seine Bücher und andern Sachen in zwei Paketen bei sich habe. Dort liegen nun zwei Pakete, von denen ich vermute, daß sie die seinigen sind, denn es giebt weiter kein Gepäck. Wenn wir ihn befreien, soll er auch sein Eigentum erhalten.“

„Wenn wir Zeit dazu haben, dann meinetwegen ja, obgleich ich es nicht für bequem halte, Bücher und ähnliche Dinge im Gran Chaco herumzuschleppen.“

„Wir finden sicher Zeit, Señor. Ich kann mir vorstellen, welche Aufregung entstehen wird, wenn der Platz zu brennen beginnt.“

„Gut! Es weiß also ein jeder, welche Aufgabe er zu lösen hat. Gehen wir jetzt an das Werk.“

Er drehte sich wieder um und kroch am Rande der Lichtung weiter. Es war das keine leichte Arbeit, da er dem bereits erwähnten Feuer so nahe kam, daß er, um nicht von dem Scheine desselben beleuchtet zu werden, in das Gebüsch eindringen mußte, und dies war so dicht, daß er nur höchst langsam vorwärts kam.

Endlich hatte er sein Ziel erreicht. Er lag hinter den beiden Bäumen, vor denen der Doktor mit seinem Fritze angebunden standen, und konnte hören, was an dem Feuer gesprochen wurde. Was er vernahm, bezog sich auf das heutige Ereignis.

„Es war doch eigentlich ein Fehler, daß wir den Carnicero laufen ließen,“ sagte Kapitän Pellejo. „Er wird später alles erzählen.“

„Was schadet das?“ antwortete Antonio Perillo. „Erstens fragt es sich, ob man ihm glaubt, und wenn dies der Fall sein Sollte, so mache ich mir gar nichts daraus, wenn man mir nachrühmt, daß ich diesen Colonel Glotino unschädlich gemacht habe.“

„Wenn unser Vorhaben gelingt, ja, gelingt es aber nicht, so wird das, was Sie jetzt einen Ruhm nennen, eine Schande für uns werden.“

„Es muß gelingen, denken Sie, daß unser roter Freund hier, der sich den Ehrennamen Brazo Valiente erworben hat, uns mehrere tausend Abiponeskrieger verspricht.“

„Ich habe sie versprochen und werde sie bringen,“ erklärte da der Häuptling, „wenn auch Sie die Bedingungen erfüllen, welche ich Ihnen gestellt habe.“

„Wir erfüllen sie.“

„Sie zeigen mir alle Waffenverstecke, welche Sie angelegt haben, und schenken uns alles, was darinnen liegt?“

„Ja.“

„Und Sie unterstützen mich jetzt gegen unsre Todfeinde, die Cambas, indem Sie Ihre Soldaten von der Grenze holen und an dem Lago mit uns zusammentreffen?“

„Gewiß! Ich habe ja einige meiner Leute schon bis hinauf nach Fort Brancho geschickt, um alle verfügbaren Kräfte zusammen zu rufen.“

„Dann schlagen wir los, die Cambas sind die Freunde des weißen Regenten; sie wissen, daß wir seine Feinde sind, und thun uns immerwährend Schaden. Sind sie gezüchtigt, und haben wir ihnen alles abgenommen, so sind wir reich, alle andern Stämme werden zu uns eilen, und dann habe ich so viele Krieger beisammen, daß der weiße Regent vor mir erbeben wird.“

Das Gespräch stockte für kurze Zeit.

Was der Vater Jaguar da hörte, war für jeden wichtig, für ihn aber, den großen und erfahrenen Kenner aller Verhältnisse des Landes, waren diese Worte von doppelter Wichtigkeit. Gern hätte er noch mehr gehört; aber er hatte keine Zeit, länger zu lauschen, zumal er nicht wußte, wie lange die jetzige Pause dauern werde. Gern hätte er auch das Gesicht des Mannes gesehen, der da lang ausgestreckt am Feuer lag. Allem Vermuten nach war er der berühmte Goldsucher, den man kurzweg nur den Gambusino nannte. Alle Welt kannte ihn, alle Welt hatte ihn gesehen; nur er allein war ihm noch nicht begegnet. Aber er konnte nicht warten, bis dieser Mann sich aufrichtete oder doch wenigstens einmal den Hut vom Gesichte nahm. In jedem Augenblicke konnte drüben auf der anderen Seite Ancianos Feuergarbe aufleuchten, und dann war es leicht möglich, daß die beiden Gefangenen Dummheiten machten, oder wenigstens sich falsch verhielten, wenn sie nicht vorher von dem, was sie zu thun hatten, unterrichtet waren. Darum schob der Vater Jaguar sich jetzt so nahe wie möglich an die beiden Bäume hin, richtete sich an dem Strauche, welcher hinter denselben stand und ihm Deckung gab, empor und sagte in gedämpftem Tone und zwar in deutscher Sprache:

„Herr Doktor, bewegen Sie sich nicht! Es ist ein Retter hinter Ihnen.“

Der Angeredete war nicht geübt, in einer solchen Lage bewegungslos zu bleiben; er zuckte zusammen und wendete den Kopf halb zur Seite. Auch Fritze machte eine kleine Bewegung, doch nicht so weit, wie seine Fesseln ihm wohl zugelassen hätten. Er besaß mehr Selbstbeherrschung als sein Herr.

„Still, keinen Laut! Stehen Sie gerade und starr, und wenden Sie nicht den Kopf!“ fuhr der Vater Jaguar fort. „Sie haben mir nichts zu antworten als ja oder nein. Zucken Sie leise die rechte Achsel, so heißt das ja; zucken Sie die linke, so heißt es nein. Ich bin Karl Hammer, der Vater Jaguar, den Sie beim Bankier Salido in Buenos Ayres kennen gelernt haben. Verstehen Sie, was ich sage?“

Beide zuckten die rechte Achsel.

„Sind Sie so fest angebunden, daß die Riemen Ihnen Schmerzen verursachen?“

Zucken links, also nein.

„So ist Ihr Blutumlauf also nicht gestört, und Sie werden sich leicht und rasch bewegen können, falls ich Sie losschneide?“

Rechts gezuckt bedeutete ja.

„Das ist gut. Ich habe bereits das Messer in der Hand. Ein Gefährte von mir wird drüben am Saume der Lichtung ein Pulverfeuer aufleuchten lassen, welches das hohe, dichte und trocken Gras sofort in hohen Brand versetzt. Die Leute hier werden erschrocken hineilen, um das Feuer auszulöschen, und für einige Augenblicke wird man sich nicht um Sie kümmern. Verstehen Sie mich auch jetzt?“ fragte er, da am Feuer wieder laut gesprochen wurde.

Beide zuckten die rechte Achsel zum Zeichen der Bejahung.

„In der so entstehenden Verwirrung schneide ich Sie los und nehme Sie bei der Hand. Wir springen hier am Rande rechts hin bis dahin, wo Sie jetzt vier Pferde nebeneinander stehen sehen, welche, wie ich zu meiner Genugthuung bemerke, ein andrer Gefährte von mir unbemerkt zusammengelockt hat. Unweit davon sehen Sie vier Sättel liegen, von denen jeder einen nimmt und – –“

Er konnte nicht aussprechen, denn er sah da drüben, wohin er den alten Anciano geschickt hatte, ein kleines, kleines Flämmchen blitzen; dieses Flämmchen fraß sich einige Fuß weiter, bis es das Pulver erreichte; ein lauter Ffffffffft-ähnlicher Laut wurde hörbar, und in demselben Augenblicke stieg eine wohl zehn Ellen lange Feuerwand kerzengerade in die Höhe.

Zunächst gab es einen Augenblick lautlosen Schreckens. Dann sprangen alle Roten und Weißen schreiend auf, der Häuptling war der einzige, der ruhig blieb.

„Schlagt es mit den Ponchos aus!“ rief er laut.

jeder beeilte sich, dieser Weisung augenblicklich nachzukommen, aber der erwartete Erfolg war nicht so leicht zu erreichen, denn hoch über das junge, grüne Gras stand das alte verdorrte; es brannte wie Papier, und wenn man an einer Stelle die Flamme nieder hatte, stieg sie im nächsten Augenblicke wieder empor. Die Pferde wurden unruhig und schnaubten ängstlich; kein Mensch achtete auf sie. Kein Mensch achtete auch auf die Gefangenen.

Sobald der erste Schreckensruf erschollen war, war der Vater Jaguar aufgesprungen, hatte die beiden Gefangenen losgeschnitten und sie, einen rechts und einen links an die Hand nehmend, in eiligstem Laufe mit sich fortgezogen, dahin, wo die vier Pferde standen. Dort tauchte Geronimo hinter den Tieren auf und rief ihnen zu:

„Hab’s Ihnen leicht gemacht, die Pferde zusammengebunden; nehme sie alle mit. Bringen Sie die Sättel nach!“

Er sprang auf eins der Tiere und jagte mit ihnen davon. Der starke Vater Jaguar nahm zwei Sättel mit dem dazu gehörigen Riemenzeug vom Boden auf.

„Meine Bücher, meine Bücher!“ rief der Doktor, das Paket an sich reißend.

„Und die Hacken und Schaufeln!“ fügte Fritze hinzu, indem er das andre Paket sich über die Achsel warf.

„Hacken? Schaufeln?“ fragte der Vater Jaguar. „Weg damit! Warum uns mit ihnen schleppen!“

„Nein,“ antwortete der Doktor; „sie müssen mit. Ich brauche sie!“

Anciano nahm einen Sattel und der junge Inka auch einen. Als dies der Vater Jaguar sah, meinte er:

„Nun gut, so haben wir also vier; mehr sind nicht nötig. Nun fort, scharf hinter mir her!“

Er warf einen Blick auf das Lager zurück. Dort kämpfte man noch tapfer mit dem Feuer, und niemand sah, was indessen auf der andren Seite vorgegangen war. Die Fliehenden eilten fort. Noch waren sie nicht allzu weit gekommen, da klang ihnen eine mächtige Baßstimme vom Lager aus nach:

„Tormenta! Wo sind die Gefangenen? Sie sind fort!“

Beim Klange dieser Stimme blieb der Vater Jaguar wie gebannt stehen und lauschte. Die andern hielten infolge dessen auch im Laufe inne.

„Sie sind entflohen!“ ertönte dieselbe Stimme nach einigen Sekunden. „Man hat sie befreit, man hat sie losgeschnitten; ich sehe es hier an den Lassos.“

„Welch eine Stimme!“ sagte der Vater Jaguar. „Die muß ich kennen; das ist ja – –“

Was er weiter sagen wollte, blieb unausgesprochen, denn vom Lager her erklang es wieder.

„Das Feuer ist ausgelöscht. Auf, zu den Waffen! Da links hinaus können sie nicht sein; da brannte ja die Flamme. In den Wald hinein konnten sie auch nicht, denn er ist zu dicht; also sind sie nach rechts fort. Ihnen nach! Zwanzig bleiben bei den Pferden. Die andern kommen mit!“

Zurückblickend, gewahrte man ein wirres Durcheinander von Personen, in welchem die einzelne nicht zu unterscheiden war.

„Fort, fort!“ mahnte Geronimo. „Warum bleibst du stehen, Carlos?“

Der Sprecher hatte unterwegs halten bleiben müssen, weil eins der zusammengekoppelten Pferde ihm nicht gehorchen wollte.

„Diese Stimme, diese Stimme!“ antwortete der Vater Jaguar. „Ihr Klang geht mir durch das – –“

„Ach was, Stimme! Laß sie doch schreien wie sie will! Wir müssen fort, sonst holen sie uns ein.“

„Aber ich muß ihn sehen, muß –“

Der sonst so bedachtsame Mann wollte die beiden Sättel weglegen, aber Geronimo herrschte ihn, wohl zum erstenmal, seit er ihn kannte, in strengem Tone an:

„Was fällt dir ein! Bist du toll! Willst du dein Leben wagen, so thue es; aber das unsrige bringe nicht in Gefahr. Auf mich kannst du nicht rechnen!“

Er trieb seine Pferde von neuem an, und jetzt gehorchte das widerspenstige; er galoppierte weiter.

„Er hat recht!“ meinte der Vater Jaguar in einem Tone, wie einer, der aus einem tiefen Sinnen erwacht. „Ich täusche mich wohl; aber ich werde diese Sache nicht ununtersucht lassen. Eilen wir weiter!“

Er schoß jetzt förmlich in so langen Schritten davon, daß die andern die größte Mühe hatten, ihn nicht aus den Augen zu verlieren, zumal ihnen jetzt, nachdem sie die Feuer gesehen, die Dunkelheit viel tiefer als vorher vorkam. Der kleine Gelehrte hatte den schwersten Pack, die Bücher, erwischt. Er keuchte unter ihrer Last atemlos dahin, bis er die Bürde niederwarf und ausrief:

„Fritze, ich kann nicht mehr. Es wird mir zu schwer. Wollen tauschen; gib mir die Werkzeuge!“

„Jut,“ antwortete dieser. „Hier haben Sie die Schlüssel zu die Vorwelt, und ik nehme mich die jedruckte Jelehrsamkeit. Aber sputen Sie Ihnen, denn da hinten kommen sie schon anjepfiffen.“

Sie eilten weiter, so schnell sie mit ihren Lasten vermochten, aber doch nicht schnell genug, denn als sie den Ausgang des Waldeinschnittes erreichten, waren die vordersten der Verfolger schon nahe hinter ihnen. Ein Schuß krachte und noch einer, glücklicherweise aber ohne zu treffen.

Die beiden hatten noch gesehen, daß Anciano und der Inka sich rechts gewendet hatten; sie folgten also dieser Richtung auch. Aber ganz nahe hinter ihnen kam einer gesprungen, der sie in tiefem Baßtone anrief:

„Halten bleiben, ihr Halunken, sonst schieße auch ich!“

„Der Gambusino!“ schrie der Doktor auf. „Ich bin verloren!“

„Nein, noch nicht!“ antwortete Fritze. „Laufen Sie fort; ik werde Ihnen retten, indem ik ihm ein Hindernis in die hohle Gasse werfe, durch welche er kommen muß.“

Bei diesen Worten blieb er stehen, ließ seinen Herrn vorüber und warf, als die hohe, breite Gestalt des Gambusino aus dem Dunkel tauchte, diesem das Bücherpaket entgegen und rannte dann weiter. Der Gambusino strauchelte über den Pack und stürzte hin; er raffte sich zwar rasch wieder auf und wollte weiter; da aber hörte er eine gebieterische Stimme vor sich:

„Halt! hier steht der Vater Jaguar mit seinen Leuten. Wer ohne meinen Willen naht, bekommt die Kugel.“

Das veranlaßte ihn, den Schritt anzuhalten. Wollte man ihn mit dem Namen des berühmten Mannes täuschen? Er duckte sich nieder und kroch mehrere Schritte vorwärts. Da sah er allerdings eine ganze Schar von Männern vor sich halten. Wenn man an einem Gegenstande empor nach dem Himmel sieht, so kann man diesen Gegenstand, obgleich er ganz im Finstern steht, selbst in dunkler Nacht erkennen. Auf diese Weise sah der Gambusino, daß diese Männer ganz in Leder gekleidet waren und breitrandige Hüte aufhatten, was in den Pampas und den angrenzenden Gegenden eine Seltenheit ist. Daran erkannte er, wen er vor sich hatte.

„Alle Wetter, ich irre mich nicht,“ sagte er sich. „Man will mich keineswegs täuschen. Es ist wirklich dieser verwünschte Vaterjaguar, den ich lieber in der Hölle als hier wissen möchte. Wenn ich weiter gehe, läßt er Feuer geben; das ist gewiß. Ich muß zurück; aber er soll mir den Streich, den er mir heut spielte, entgelten. Es ist der erste, soll aber auch der letzte sein.“

Er kroch wieder retour, erhob sich dann vom Boden und kehrte um die Waldecke zurück, als eben die vordersten seiner Leute, denen er in seinem Verfolgungseifer vorangerannt war, ihm nachkamen.

„Zurück!“ gebot er ihnen. „Es ist nichts zu machen.“

„Nichts?“ fragte Pellejo, der sich bei ihnen befand. „Warum?“

„Sie sind fort und für uns verloren, wenigstens für heut.“

„Wieso?“

„Wißt Ihr, welcher Halunke sie losgeschnitten hat?“

„Nun?“

„Der Vater Jaguar.“

„Unmöglich! Das muß ein Irrtum sein.“

„Nein. Ich habe seine Leute gesehen und auch seine Stimme gehört. Kommt rasch zurück! Wir müssen uns beraten, dabei aber alle Vorkehrungen treffen, daß wir nicht überrascht werden, denn dieser Mensch ist im stande, uns heut noch zu überfallen.“

„Schwerlich!“

„Sie glauben es nicht? Warum nicht?“

„Er hat nur die Gefangenen befreien wollen. Hätte er es auf einen Überfall abgesehen, so würde er ihn ja vorhin ausgeführt haben.“

„Mag sein; aber ich traue ihm nicht. Ich kenne ihn nicht so, wie Sie ihn kennen, sondern etwas näher und genauer. Und er – na, er kennt mich auch ein wenig – – von früher her. Ich weiß sogar, daß er meine Stimme kennt. Wenn er mich an dieser erkannt hat, so ist es gewiß und zehnfach, hundertfach gewiß, daß er sich an meine Fersen heftet.“

„Haben Sie eine Rechnung miteinander?“

„Ja, und keine gewöhnliche. Kommen Sie also! Ich weiß, daß wir keine Zeit zu verlieren haben.“

Sie und die Soldaten und Indianer, welche bei ihnen stehen geblieben waren, gingen schleunigst nach dem Lager zurück, wo der Gambusino den Befehl gab, schnell zu satteln und dann die Feuer auszulöschen, da man aufbrechen müsse.

„Fort sollen wir?“ fragte Antonio Perillo. „Ist das notwendig?“

„Ja, wir müssen fort, mindestens so weit, daß dieser Vater Jaguar uns wenigstens während der Nacht nicht finden kann.“

„Er wird es nicht wagen, sich an uns zu machen!“

„Pah! Ich sage Ihnen, daß er es zwar nicht wagen, aber doch thun wird, denn für ihn ist so etwas kein Wagnis.“

Da nahm der Häuptling, ihm beipflichtend, das Wort:

„Wenn der Jaguar es ist, der die Gefangenen befreit hat, so müssen wir fort. Ich kenne ihn. Und nur dieser Jaguar konnte es fertig bringen, diese beiden weißen Männer fortzuholen. Ich durchschaue es. Er hat noch mehr Leute bei sich gehabt und von ihnen das Feuer mit Pulver anbrennen lassen. Während wir es auslöschten und nicht auf die Gefangenen achteten, hat er sie weggenommen.‘ Er weiß, daß ich ihm den Tod geschworen habe. Wir müssen fort, da wir uns hier nicht verteidigen können. An einem besseren Ort werden wir anhalten, um uns zu beraten.“

Hierauf ließ sich nun nichts mehr sagen. Man sattelte die Pferde und bemerkte nun erst, daß vier derselben samt dem Lederzeuge und den beiden Paketen des Gefangenen fehlten. Glücklicherweise gab es einige Reservepferde, so daß man nicht doppelt zu reiten brauchte. Als die Feuer ausgelöscht worden waren, setzte sich der Zug in Bewegung, indem nach Indianerart ein Reiter immer hinter dem andern ritt.

Der Weg führte immer tiefer in den Einschnitt hinein, welcher nach und nach immer breiter wurde. Hätte derselbe eine Sackgasse gebildet, so wäre es um diese Schar geschehen gewesen, da sie dem Vater Jaguar hätte in die Hände fallen müssen. Aber der Häuptling „Tapfrer Arm“ kannte die Gegend zu genau, als daß er sich hätte irren können. Nach Verlauf von zwei Stunden wich der Wald zu beiden Seiten zurück, und man kam auf einen weiten, offenen Kamp, in welchen man eine Viertelstunde hineinritt, um dann zu einer kurzen Beratung anzuhalten. Die Reiter stiegen von den Pferden und bildeten einen Kreis, in welchem die Weißen mit dem Häuptlinge Platz nahmen.

„Selbst wenn der Jaguar uns bis an das Ende des Waldes gefolgt wäre,“ sagte der letztere, „hier würde er uns nicht finden. Es ist dunkel, und er kann nicht sehen, nach welcher Richtung wir uns gewendet haben. Die Señores mögen beraten, was geschehen soll.“

„Eine Beratung nach Eurer langen und langsamen Weise werden wir nicht halten,“ antwortete ihm der Gambusino. „Wir werden kurz sein und dann gleich wieder aufbrechen, um einen möglichst weiten Weg zwischen ihn und uns zu legen.“

„So denken Sie wirklich, daß dieser gefährliche Mann uns folgen wird?“

„Auf jeden Fall, wenn er mich nämlich an der Stimme erkannt hat.“

„Er hat Sie erkannt.“

„Woher willst du das wissen?“

„Er braucht Sie gar nicht an der Stimme erkannt zu haben, denn er hat Sie gesehen.“

„Nein.“

„Er hat Sie gesehen! Denken Sie, daß der Jaguar für sich das Leichteste wählt und seine Leute das Schwere und Gefährliche ausführen läßt?“

„Nein. Wie ich ihn kenne, ist es umgekehrt. Er wird gerade das Allerschwierigste auf sich nehmen.“

„Und was war heute das Schwerste?“

„Das Losschneiden der Gefangenen, weil er sich da trotz der hellen Feuer in unsre Nähe wagen mußte.“

„So war also er es, der dies vollbracht hat. Er ist nahe bei uns gewesen, hat uns alle gesehen und auch gehört, was wir gesprochen haben.“

„Demonio! Das ist allerdings wahrscheinlich. Er hat uns gesehen, denn jedenfalls befand er sich hinter den beiden Bäumen. Das heißt, er hat Euch erblickt, nicht aber mich, wenigstens nicht genau, denn wie ich mich besinne, hatte ich mein Gesicht mit meinem breiten Hute bedeckt.“

„Kennt er nicht Ihre Gestalt, Señor?“

„Ja; aber solche Gestalten gibt es viele, und ich bin viel anders gekleidet als damals, wo wir uns sahen. Um mich wirklich zu erkennen, mußte er mein Gesicht sehen oder meine Stimme hören.“

„Und meinen Sie, daß dieses letztere geschehen ist?“

„Ja, denn ich habe leider nur allzu laut geschrieen. Hätte ich gewußt, daß dieser Mensch sich in der Nähe befand, so hätte ich freilich geschwiegen. Ich bin überzeugt, daß er mir folgen wird.“

„Und wenn er nicht Ihnen folgt, so folgt er mir.“

„Warum habt Ihr Euch mit ihm verfeindet?“

„Wir waren bei den Cambas eingefallen, als er sich bei ihnen befand. Er kam zu uns, um Frieden anzubieten; aber wir wollten die Beute, welche wir gemacht hatten, nicht herausgeben. Ja, wir wollten noch mehr Beute machen, und so kam es, daß wir ihn fortschickten. Er ging im Zorne und einer von uns blies ihm einen Giftpfeil nach, der aber in seinem Rocke stecken blieb, denn seine Lederkleidung ist so stark, daß kein Pfeil hindurchdringt. Dann töteten wir zwei Häuptlinge der Cambas und viele ihrer Untergebenen. Wir töteten alle Alten, alle Männer, Kinder und Knaben und nahmen nur die Frauen und Töchter mit uns. Da stellte er sich an die Spitze der andern Cambasstämme und fiel über uns her.“

„Wer siegte?“

„Er, denn er ist unüberwindlich, wenn er einmal zur Waffe greift. Sein Zorn hat vielen, sehr vielen von uns das Leben gekostet, und die Cambas haben nicht nur das wiederbekommen, was wir ihnen abgenommen hatten, sondern noch mehr dazu. So sind wir Todfeinde geworden. Darum sollt ihr uns Flinten und Pulver geben, damit wir uns rächen können, denn die Krieger der Abipones sind voller Begierde, die Cambas zu züchtigen. Wenn ihr das thut, werdet ihr treue Verbündete an uns gewinnen.“

„Ihr werdet bekommen, was wir euch versprochen haben. Wir befinden uns ja auf dem Wege nach unsern heimlichen Magazinen. Wenn es so steht zwischen euch und ihm, bin ich allerdings überzeugt, daß er schnell hinter uns her sein wird.“

„Und wäre dies nicht der Fall, so würde er mich verfolgen,“ fiel Antonio Perillo ein. „Ihr wißt ja, was in Buenos Ayres geschehen ist. Er hat nicht nur mich, sondern auch die andern Espadas blamiert. Wenn ich ihn in die Hand bekomme, so hat er auf keine Nachsicht zu rechnen, zumal es bekannt ist, daß er ein Anhänger von Mitre ist.“

Da meinte Kapitän Pellejo.

„Ich habe von diesem Manne schon viel gehört, aber nie etwas mit ihm zu thun gehabt. Mir läuft er nicht nach. Soviel ich aber von Ihnen, Señores, vernehme, bin ich freilich überzeugt, daß er Lust haben wird, auf unsrer Spur zu bleiben. Ich denke aber, daß dies nichts Leichtes sein wird.“

„Warum?“ fragte der Gambusino.

„Spuren vergehen.“

„So! Hm! Sie scheinen keinen großen Begriff von der Kunst des Fährtenlesens zu haben. Ich will Ihnen sagen, und zwar im vollsten Ernste, daß dieser Vater Jaguar eines Tages eine Fährte verloren hatte und sie nicht wiederzufinden vermochte. Da blickte er in die Wolken und wußte sofort, woran er war.“

„So waren diejenigen, welche er suchte, wohl in die Wolken geritten?“ lachte der Hauptmann.

„Pah! Sie verstehen das nicht,“ antwortete der Gambusino in verächtlichem Tone. „Wissen Sie nicht, daß der Gang der Wolken die Windrichtung andeutet?“

„Das weiß ich wohl.“

„So denken Sie sich das übrige dazu! Ich habe weder Zeit noch Lust, Ihnen alte Abenteuer zu erzählen, denn ich bin der Überzeugung, daß wir bald sehr neue erleben werden. Ich wollte Ihnen nur sagen, Señor, daß ein Mann wie der Vater Jaguar jede Fährte findet, welche er sucht, und sie dann gewiß nicht wieder verliert, außer er hat es mit einem ebenso erfahrenen Gegner, zum Beispiele mit mir, zu thun. Ich bin im stande das zu thun, was keiner von Ihnen vermag, nämlich diesen Mann irre zu führen oder ihm wenigstens ein Schnippchen zu schlagen.“

„Wir werden durch die Sandwüste, durch Wälder, über Sümpfe und Flüsse reiten. Uns da überall zu folgen, ohne uns doch einmal zu verlieren, dazu gehört doch mehr, als ein Mensch vermag.“

„Dazu gehört nichts weiter als Schlauheit und Erfahrung; und diese beide besitzt der Jaguar in hohem Grade. Aber wir brauchen uns ja darüber, ob er unsere Spuren finden wird, gar nicht zu streiten. Er braucht uns gar nicht nachzuspüren, denn er weiß genau, wohin wir wollen.“

„Unmöglich! Wer sollte es ihm gesagt haben? Unter den Leitern unsres Planes gibt es keinen Verräter, und die tiefer Gestellten wissen nichts.“

„Haben Sie vorhin nicht gehört, daß er uns jedenfalls belauscht hat?“

„Ja. Aber was hat er gehört?“

„Ich habe darüber nachgedacht, und es ist mir eingefallen, worüber die Señores kurz vor dem Ausbruche des Feuers gesprochen haben. Ich selbst aber habe geschwiegen und mich an diesem verräterischen Gespräche nicht beteiligt.“

„Nun, worüber sprachen wir? Ich entsinne mich nicht, ein Wort gesprochen zu haben, welches an uns zum Verräter hätte werden können.“

„O doch! Sie sprachen von unsern Waffenverstecken.“

„Aber nicht davon, wo dieselben liegen!“

„Sodann sprachen Sie davon, daß Sie Boten an die Grenzorte gesandt hätten, um Ihre Soldaten nach dem Lago zu beordern.“

„Habe ich den Namen dieses Lago genannt?“

„Nein.“

„Nun, es gibt sehr viele Lagos; er mag sich denjenigen, den ich meinte, heraussuchen!“

„Er sucht nicht nach ihm, sondern er kennt ihn in diesem Augenblicke vielleicht schon sehr genau.“

„Wieso?“

„Sie vergessen ganz, daß unsre Gefangenen jetzt bei ihm sind. Wir waren ihrer leider so sicher, daß wir in ihrer Gegenwart mehr als genug von Dingen gesprochen haben, welche nicht für fremde Ohren, am allerwenigsten aber für das Ohr eines solchen Feindes sind.“

„Kennen sie den Namen des Lago?“

„Sehr genau, Sie selbst haben ihnen damit gedroht, daß sie in dem Wasser dieses Sees ersäuft werden sollen.“

„Teufel! Das ist freilich unangenehm! Aber wer konnte wissen, daß sie uns schon nach kurzer Zeit wieder entkommen würden! Nun wird er wohl schleunigst nach diesem Lago de los Carandayes reiten.“

„Das würde er allerdings, wenn ich nicht wäre. Ich werde ihn irre führen. Wir sind von Süden her über den Fluß gekommen, um nach dem Norden oder Nordwest zu gehen. Wir werden aber wieder umkehren, um über den Fluß zurückzugehen.“

„Welcher Einfall, welcher Umweg!“

„Kein Umweg. Wenn wir jetzt gleich aufbrechen und uns einen andern Einschnitt suchen, durch welchen wir den Wald wieder hinter uns legen können, so sind wir am Morgen am Flusse, reiten hindurch und eine Strecke in das Land hinein. Das wird ein Parforceritt bis heute abend. Da ruhen wir nur zwei oder drei Stunden aus und kehren auf einem andern Wege wieder nach hier zurück.“

„Wieder ein Tagesritt, also zwei Tage Verlust!“

„Was bedeutet dieser Verlust, wenn wir dadurch den Vater Jaguar von uns abschütteln!“

„Wird uns das gelingen?“

„Unbedingt. Ich garantiere.“

„Und ich möchte es bezweifeln.“

„Weil Sie es nicht verstehen. Der Jaguar wird erst am Morgen seine Verfolgung aufnehmen; da sind wir aber schon am Flusse, den er, da er langsam reiten muß, weil er seine ganze Aufmerksamkeit auf die Fährte zu richten hat, erst am Abende erreicht. Am zweiten Abende würde er an die Stelle kommen, an welcher wir wieder umkehren wollen; aber er wird sie gar nicht finden, da die Spur inzwischen verweht oder sonst unkenntlich geworden ist.“

„Glauben Sie?“

„Ja. Der Vater Jaguar wird dann überzeugt sein, daß wir über den Fluß zurück sind, und zwar aus Angst vor ihm, und vor Stolz darüber wird er sich so aufblähen, daß ihm der Verstand zerplatzt und er alles glaubt, was wir ihm weisgemacht haben.“

„Das wäre allerdings höchst vorteilhaft für uns. Ich wollte es sehr gern gut heißen, wenn ich wüßte, daß es auch gelingen wird.“

„Es gelingt.“

„So könnten wir doch nach Fort Tio gehen, um uns frisch zu verproviantieren!“

„Ja, das können wir. Ich bin einverstanden.“

Antonio Perillo hatte nichts dagegen einzuwenden, und der Häuptling erklärte:

„Der Plan des Gambusino ist sehr scharfsinnig erdacht.

Wir werden den Jaguar irre leiten und seinen Tatzen entgehen. Wie viele Männer hat er denn eigentlich bei sich?“

„Genau kann ich das nicht sagen. Soviel ich in der Dunkelheit zu erkennen vermochte, werden es zwischen zwanzig und dreißig sein.“

„Das ist genug für ihn. Wir zählen zwar zehnmal zehn Krieger, aber seine Männer sind waffengeübter als die meinigen. Da ist es auf alle Fälle besser, wir kommen erst dann mit ihm zusammen, wenn noch andre Horden der Abipones zu uns gestoßen sind. Lassen Sie uns also aufbrechen, damit wir ihn baldigst irre leiten. Ich weiß weiter oben einen andern Durchbruch im Walde, der uns nach dem Flusse führen wird.“

Man saß wieder auf und ritt von dannen, in einem spitzen Winkel mit der zuletzt eingehaltenen Richtung dem Walde entgegen. Den armen Pferden dieser Menschen stand eine ungeheure Anstrengung bevor.

Der Mann, von welchem bei ihnen die Rede gewesen war, der Vater Jaguar, machte sich in diesem Augenblicke keineswegs so viele Sorgen um sie, wie sie geglaubt hatten, denn er – – schlief so gemütlich und ruhig, als ob er sich in einem Bette zu Buenos Ayres oder Montevideo befunden hätte.

Als der Gambusino sich zurückgezogen hatte, schritt der Vater Jaguar auf den Einschnitt zu und horchte. Er hörte ihn von weitem mit den andern sprechen, konnte aber die Worte nicht verstehen. Dann bemerkte sein scharfes Ohr, daß sie sich entfernten. Hierauf rief er drei zuverlässige Leute herbei und schickte sie hundert Schritte in den Einschnitt hinein, wo sie sich postieren sollten, einer am rechten, einer am linken Waldesrande und der dritte in der Mitte des Weges. Sie sollten scharf aufpassen und bei der geringsten gegen sie gerichteten Bewegung der Feinde ihre Gewehre abschießen.

Er glaubte, damit alles gethan zu haben, was die Klugheit und Vorsicht für geboten hielt. Es fiel ihm gar nicht ein, die Feinde anzugreifen, wenigstens heute, und noch viel weniger dachte er daran, allen seinen Leuten den Schlaf zu rauben, den sie so notwendig brauchten, um für den morgenden, vielleicht anstrengenden Tag frisch und gestärkt zu erwachen.

Darauf kehrte er zu der Stelle zurück, an welcher sie sich befanden, und setzte sich in ihre Mitte, um nun erst Doktor Morgenstern und seinen Fritze vorzunehmen. Er that das in spanischer Sprache, damit seine Gefährten das Gesprochene verstehen könnten.

„Señor, ich weiß nicht, was ich von Ihnen denken soll,“ sagte er. „Ich bin gern höflich, besonders gegen einen Herrn von Ihrer Bildung und Ihren Kenntnissen, dennoch aber kann ich Ihnen nicht verhehlen, daß Sie weit besser gethan hätten, in Buenos Ayres zu bleiben.“

„Was sollte ich dort, Señor?“ fragte der kleine Rote.

„Alles, was Sie wollten und konnten.“

„Nein. Ich konnte nicht alles, was ich wollte. Ich wollte ein Glyptodon, ein Megatherium oder ein Mastodon haben. Sind solche Tiere in Buenos Ayres auszugraben?“

„Vielleicht, wenn man genau nachforscht.“

„Aber die Regierung würde das Nachgraben mitten in der Hauptstadt nicht erlauben.“

„So konnten Sie in die Pampas gehen.“

„Das habe ich auch gethan.“

„Nein. Oder meinen Sie, daß wir uns hier auf einer Pampa befinden?“

„Ja, auf einer Pampa zwischen Fluß und Wald, Fluvius und Silva, wie der Lateiner sagt.“

„Aber wie kommt es, daß Sie dieselbe Richtung genommen haben, welche auch ich einschlug?“

„Ich wollte Sie treffen.“

„Aber ich hatte Ihnen gesagt, daß ich Sie nicht gebrauchen kann!“

„Señor, es ist jeder Mensch zu gebrauchen!“

„Ja, aber im Gran Chaco nicht. Sie bringen nicht nur mich in Verlegenheit, sondern sind auch selbst in eine große Gefahr geraten.“

„Meinen Sie? Die Señores, welche uns gefangen nahmen, befanden sich in einem Irrtum, den sie jedenfalls sehr bald eingesehen hätten.“

„Glauben Sie das ja nicht! Ihr Leben schwebte in Gefahr.“

„Mein Leben, lateinisch Vita genannt? Das glaube ich kaum.“

„Weil Sie ein lieber, guter, harmloser Silberkarpfen sind, welcher keine Ahnung davon hat, was für Hechte es im Teiche gibt. Sie passen überall mehr und besser hin als in den Gran Chaco.“

„Und ich bin vom Gegenteile überzeugt, da Sie selbst mir angedeutet haben, daß hier die Reste vorweltlicher Tiere zu finden sind.“

„Ich bin auch jetzt noch überzeugt, daß dies der Fall ist; aber wenn Sie diese längst zu ihren Vätern versammelten Kreaturen in den Pulverkammern unsrer Parteiführer suchen, so können Sie sehr leicht einmal ein wenig in die Luft gesprengt werden. Wie Sie gefangen genommen worden sind, das habe ich von dem braven Don Parmesan gehört, dem Sie Ihre Rettung zu verdanken haben. Ich bitte Sie, mir zu erzählen, was sich dann weiter ereignet hat.“

„Ereignet? Gar nicht viel, Señor Hammer. Man schüttete das Loch, in welchem meine Gigantochelonia gesteckt hatte, wieder zu, nachdem man den Inhalt herausgenommen hatte, um ihn zu verteilen. Dann band man uns auf die Pferde und ritt mit uns davon. Ich gab herzliche gute Worte, man möge doch das Rückenschild der Gigantochelonia mitnehmen, was mir aber rundweg abgeschlagen wurde. Ich glaube sogar, wenn ich mich recht besinne, auf einigen Gesichtern eine Art von Veränderung bemerkt zu haben, welche den Menschenkenner beinahe zu der leisen Überzeugung bringen könnte, daß es sich dabei um den Anflug einer Spur jenes Muskelspiels gehandelt habe, welches einzutreten pflegt, wenn der Mensch eine heimliche Veranlassung findet, seinen Zügen die heitere Erlaubnis eines sanften, kindlichen Lächelns zu erteilen.“

„Das verstehe ich kaum. Wollen Sie damit sagen, daß Sie ausgelacht worden sind?“

„Ausgelacht?“ fuhr der Kleine erstaunt auf. „Ich deutete ein leises Lächeln an, und Sie sprechen da gleich von einer vollendeten Auslachung, lateinisch Irrisio genannt? Señor, das könnte mich kränken, wenn ich nicht bei Ihnen so gute paläontologische Kenntnisse entdeckt hätte, daß ich überzeugt bin, Sie halten es für effektiv unmöglich, daß der Entdecker einer Gigantochelonia ausgelacht werden kann.“

„Sie glauben also noch immer, daß es sich um eine Schildkröte gehandelt hat?“

„Ich bin überzeugt davon, und zwar war es eine von wirklich riesigen Dimensionen. Was aber das fernere Erlebnis betrifft, so ritten wir durch den Wald, und mittels einer seichten Furt über den Fluß wieder in den Wald, wo wir bei andern Indianern anhielten. Ich und mein Fritze erhielten jeder ein Stück Fleisch, welches wir essen durften. Dann band man uns an die Bäume, bis Sie kamen und uns heimholten. Das ist alles, was ich erzählen kann, eine höchst einfache und prosaische Geschichte.“

„Das nennen Sie einfach und prosaisch?“ lachte der Vater Jaguar nun wider Willen auf.

„Natürlich! Es war keine Spur von Poesie dabei. Ich wollte dem Gespräche wiederholt eine anheimelndere Wendung geben und begann von dem Diluvium, von dem Höhlenbären, vom Mammut und andern sympathischen Themata zu sprechen, fand aber kein Ohr dafür.“

„Das glaube ich!“

„Es fiel sogar, wenn ich mich nicht geirrt habe, einmal eine Bemerkung, welche, wenn auch in entfernter Weise, darauf schließen ließ, daß es hier zu Lande eine Redeweise gibt, welche den Anflug einer Ähnlichkeit mit einem deutschen Worte hat, bei welchem das Verbum halten statt in Beziehung zu dem Hauptworte Os in Verbindung mit dem Substantive Rictus gebracht wird.“

„Das heißt, man hat Sie gebeten, nicht nur den Mund, sondern sogar das Maul zu halten?“

„Nun, gebeten eigentlich nicht. Es wurde das vielmehr in einer Weise gesagt, welche auf etwas mehr Schärfe und Energie schließen ließ. Doch will ich gerne dem Betreffenden zu Ehren konstatieren, daß er vielleicht nicht ganz im Stande ist, zwischen Os und Rictus so genau zu unterscheiden, wie es in Hinsicht auf die zarteren Umgangsformen wohl als wünschenswert hätte erscheinen mögen.“

„Ich weiß genug, Señor, brechen wir davon ab! Lieb wäre es mir, wenn nun auch Sie genug wüßten.“

„Wovon?“

„Von dem, was ich so gern wissen möchte. Was haben diese Leute miteinander gesprochen?“

„Nichts von Bedeutung.“

„Gar nichts?“

„Ja, gar nichts, was nur einigermaßen Veranlassung hätte geben können, daß man hingehorcht hätte. Ich habe darum auch nicht darauf geachtet. Sie sprachen von Revolution, von Kavallerie und Kanonen, von Ausfällen und Überfällen der Indianer, lauter Sachen, die unsereinen doch nicht im mindesten interessieren können. Es ist nicht das kleinste, auch nicht das allerkleinste, auch nicht das allerkleinste geologische oder geognostische Wort gefallen.“

„Revolution, Artillerie, Kavallerie, Aus- und Überfälle? Und das nennen Sie bedeutungslos? Señor, das alles ist von ungeheurer Wichtigkeit gewesen!“

„Für Sie vielleicht, nicht aber für mich. Ich habe mir kein Wort gemerkt. Übrigens steckte mir noch das Rückenschild meiner Gigantochelonia im Kopfe.“

„Dann gratuliere ich Ihnen zu diesem Kopfe, den Sie getrost Gigantocaputus nennen können.“

„Danke verbindlichst, Señor. Wenn Sie etwas Eingehenderes über die Gespräche dieser Leute hören wollen, so will ich Sie an meinen Fritze adressieren. Er ist Laie und hat also für diese Kleinigkeiten mehr Aufmerksamkeit gehabt, als ich ihnen zu widmen vermochte.“

Fritze hatte bis jetzt kein Wort gesagt, jetzt aber meldete er sich schnell, und zwar in deutscher Sprache:

„Dat ist wahr, Herr Hammer; ik habe ausjezeichnet aufjepaßt und kann Sie mit allens dienen, wat Sie wissen wollen. Aber thun Sie mich den Jefallen, sich mit meine Muttersprache zu bedienen. Wenn ik gezwungen bin, mit einem Deutschen spanisch zu diskurrieren, so fällt mich allemal die Butter vom Brode, und es jiebt mich einen Messerstich ins treue deutsche Herz.“

„Wenn Sie es wünschen, ganz gern,“ lächelte der Vater Jaguar. „Wir können den Andern dann ja spanisch sagen, was wir deutsch gesprochen haben.“

„Natürlich! Und ik werde mich erlauben, Ihnen dabei oft und manchmal behülflich zu sein. Also, wat wollen Sie wissen, und wobei soll ik anfangen zu bejinnen?“

„Vor allen Dingen möchte ich wissen, ob Sie erfahren haben, was diese wenigen Weißen bei den Indianern wollen.“

„Damit kann ik erjebenst aufwarten. Es kam mich nämlich der Jedanke, daß die Freundschaft zwischen Rot und Weiß doch ihren juten Jrund haben müsse und daß dieser Jrund mehr wert sein könne, als der janze Deckel von unsre Gigantochelonia. Darum hielt ik die Augen offen und die Ohren noch offener. lk stamme nämlich aus Stralau am Rummelsburjer See, und in diese Jejend pflegt man pfiffig zu sind. Die Kerls glaubten, daß wir ihnen nicht mehr schaden konnten, und redeten, nur um uns zu ärjern, janz offen über ihre jeheimnisse. Sie jehen in den Chaco, um die Abipones jejen die Rejierung aufzuwiejeln und sie zu einem Einfall zu bewejen. Der Häuptling aber, der alte Brazo valiente, ist ein Schlaukopf und hat also seine Bedingungen jestellt. Er will vorher die Cambas überfallen, die Sie, Herr Hammer, jejen ihn kommandiert haben, und dabei sollen ihm die Weißen helfen. Er verlangt Waffen und Soldaten.“

„Ach! Hat man ihm beides zugesagt?“

„Versteht sich! Die Soldaten trommelt der Kapitän Pellejo zusammen. Er täuscht dat Vertrauen seiner Vorgesetzten. Sie haben ihn an die Jrenze jeschickt, um die längs derselben angelegten Jarnisonen zu inspizieren; es fällt ihm aber jar nicht ein, hinzujehen, sondern er hat vertraute Boten hinjeschickt, welche den Befehl überbringen, daß diese Militärs sich nach dem Chaco zu bewejen haben, um an einem bestimmten Tage an einem bestimmten Orte dort zusammenzutreffen. Diese Leute sollen den Abipones jejen die Cambas helfen.“

„Welch ein Plan! Auf diese Weise werden also dem Häuptlinge die Soldaten geliefert. Wie aber wollen sie ihn in den Besitz der versprochenen Waffen setzen?“

„Halten Sie dat für schwer? O, nichts leichter als diese Schwungfeder! Die Sache ist ja schon von langer Hand her vorbereitet. Man hat schon längst zu diesem Zwecke heimliche Magazine anjelegt und mit Waffen und Munition volljestopft. Unsere Schildkrötenhöhle ist so ein Magazin jewesen. Die werden nun jeöffnet. Auf diese Weise werden die Abipones bewaffnet und jejen die Cambas jeführt. Haben sie sich an diesen jerächt, so werden sie dann, mehrere tausend Mann stark, über die Jrenze kommen und dat Pronunciamiento jemütvoll unterstützen.“

„Dieser Plan entstammt doch nicht etwa Ihrer Phantasie?“

„Nein. Meine Phantasie ist nie so planvoll jewesen. Meine Mitteilungen sind auf dem Boden der Wirklichkeit jewachsen.“

„So muß ich freilich sagen, daß dieser Plan entsetzlich ist. Tausende von Roten hereinzubringen, um Mord und Brand loszulassen, damit einige wenige aus dem Blute ihrer Mitbürger Reichtümer und Ämter fischen! Wer steht an der Spitze dieses grausigen Unternehmens?“

„Dat ist mich unbewußt. lk habe weder die Spitze jesehen noch denjenigen, der an ihr steht. Aber der Oberste von die jetzige und hiesige Jesellschaft, dat ist der Jambusino, wie mich der Augenschein bewiesen hat. Er ist der Admiral von dat janze Jeschwader, dem die anderen alle jehorchen müssen.“

„Haben Sie etwas Näheres über ihn gehört, über seinen Namen, seine Heimat, seinen eigentlichen Stand, sein früheres Leben?“

„Dat sind viele Fragen in eine einzije zusammencoquiliert. lk werde sehen, ob es mich jelingt, ihnen auseinander zu addieren. Heißen thut er Benito Pajaro, wat zu deutsch bekanntlich Benedictus Vogel heißt. Seine Heimat ist mich rätselhaft; wo sich sein eijentlicher Stand befindet, weiß ik nicht; vielleicht ist er ein Strich- oder Zugvogel, und daß er auch schon vor heut und jestern, also früher jelebt hat, darauf kann man jetrost zehn Pfund Jift nehmen, wenn nämlich dieses Jift nicht jiftig ist. Dat ist allens, wat meine Allwissenheit zu leisten vermag.“

„Wurde von mir gesprochen?“

„Und ob! Der Vater Jaguar war allemal dat zweite Wort.“

„Gutes natürlich nicht?“

„Nein, man hat es auf Ihnen abjesehen. Jeraten Sie in die Hände dieser Hallunken, so jeht es Ihnen schlecht. Nehmen Sie Ihnen also sehr in Acht!“

Die drastische Ausdrucksweise des Stralauers war nicht etwa eine Folge davon, daß er die Angelegenheit leichtsinnig nahm; o nein, er sprach sehr ernst; er erkannte die vorhandene Gefahr, aber es war nun einmal seine Weise so. Hammer sah eine Weile schweigend vor sich nieder und erkundigte sich dann weiter:

„Konnten Sie vielleicht in Erfahrung bringen, an welchem Orte sich die Soldaten zusammenfinden sollen?“

„Ja. Es war ein See, Lago de los Carandayes, also Palmensee jeheißen.“

„Wo liegt er?“

„Dat wurde nicht jesagt.“

„Auch ich kenne ihn nicht, will mich aber erkundigen.“

Er fragte seine Gefährten, auch den alten Anciano, den jungen Inka und sogar den Chirurgen; aber keiner hatte von diesem See gehört, und noch viel weniger wußte einer die Lage desselben anzugeben.

„Sollte er im Innern des Chaco, vielleicht in der Wüste liegen?“ meinte Hammer nachdenklich.

„Ja, ja, dort wird die traute Heimat seiner Lieben sein,“ antwortete Fritze schnell.

„So hat man also doch davon gesprochen?“

„Nein, aber es fällt mich etwas anderes ein. Als nämlich von die Jewehre und die Magazine die Rede war, wurde davon jesprochen, daß sie alle nach einander in die Wüste hineinjelegt worden sind, und nach dem letzten Magazin kommt man an den Palmensee.“

„Welch eine Unvorsichtigkeit von diesen Leuten, in Ihrer Gegenwart über diese Dinge zu sprechen! Und wie herrlich wäre es, wenn Sie Näheres über diese heimlichen Magazine wüßten!“

„Nur jetrost weiter! Vielleicht fragen Sie noch wat aus mich heraus. Die Namen von diese Magazine habe ik alle jehört.“

„So? Wie heißen sie?“

„Da muß ik mir erst mal besinnen. Es waren lauter Quellen, vier Stück, und daran hing allemal ein Tier, an der vierten aber ein Zwilling. Welche Thiere dat jewesen sind – – da, ik habs jefunden! Die erste war die Fuente de los pescados, die zweite die Fuente de las sanguijuelas, die dritte die Fuente de los crocodilosund die vierte die Fuente gemela.“

Da sprang der Vater Jaguar freudig überrascht vom Boden auf und rief aus:

„Prächtig, prächtig! Diese Namen kenne ich ja alle, und ich bin an jedem dieser Orte gewesen. Fritze, Ihr gutes Gedächtnis hat uns da einen ganz unbezahlbaren Dienst erwiesen!“

„Wirklich? Nun, wenn Sie’s nicht an mein Jedächtnis zahlen können, so dann doch lieber an mir selbst! Mein Jedächtnis und ik, wir stehen so jut miteinander, daß ik allens, wat ihm zukommt, inkassieren kann. Ik hab’s selbst nicht jewußt, daß ik diese Namen noch im Kopfe hatte. Soll mir freuen, wenn Sie jeschmack an dieselben finden!“

„Sie selbst kennen eine von diesen Quellen. Sie haben da, wo Sie nach der Schildkröte gruben, viel Fische gefangen. Sie waren an der Fuente de los pescados, an der Fischquelle. Die zweite liegt jenseits des Waldes in der Nähe des Lago honda; das Bassin, in welches sie fließt, ist voller Blutegel; daher ihr Name. Die dritte fließt am Ende der undurchdringlichen Waldung in eine Sumpflagune, welche voller Krokodile ist, und die vierte besteht aus zwei Einzelquellen, welche sich bald nach ihrem Austritte vereinigen, daher der Name Zwillingsquelle. Jede dieser Quellen ist von der andern anderthalb Pferdetagereisen entfernt, und sie liegen in einer schnurgeraden Linie. Wenn man diese Linie nach Nordwest verlängert, muß man unbedingt an den Palmensee kommen, den wir nicht kennen und an welchem die Soldaten zusammentreffen sollen. Wie schlau, die Verstecke an diesen Quellen anzulegen! Man kann von einer zur andern durch die Wüste gelangen, ohne daß die Reit- und Transporttiere übermäßig dursten müssen. Fritze, ich danke Ihnen! Nun ist mein Plan fertig. Wir reiten diesen Roten nach den Quellen voraus und nehmen die Nester aus, ehe sie hinkommen. Und dann geht es nach dem Palmensee, um die Soldaten festzunehmen. Dieser Ort scheint sehr gut gewählt zu sein, da dort oben die zahlreichsten und wohlhabendsten Stämme der Cambas wohnen, Der Gambusino würde also mit seinen Abipones und den weißen Soldaten eine Beute machen, wie sie noch nicht vorgekommen sein dürfte. Aber wir werden ihnen das Handwerk legen!“

„Ja, dat werden wir,“ stimmte Fritze fröhlich ein. „Wollen Sie zujeben, Herr Hammer, dat so eine Gigantochelonia auch ihre scharmanten Seiten hat? Ohne dieses Riesentier wären Sie nicht hinter dat Jeheimnis jekrochen. Sie wollten uns nicht mitnehmen; nun aber hoffe ik von Ihrer dankbaren Zärtlichkeit, daß Sie uns zwei Sitzplätze an Ihrem Herzen jönnen und uns da, wat Sie dort oben nennen, eine Stelle in der Mutter Erde zeijen, wo wir eine bessere Schildkröte finden, als diejenige war, deren Incognito in einer für uns so jrausamen Weise jelüftet worden ist!“

„Ja, Sie sollen mit, und wenn Sie nichts im Diluvium entdecken, so soll die Schuld nicht an mir liegen. Ich schaffe Ihnen den größten Riesenfrosch zur Stelle, den es zu Noahs Zeit gegeben hat, und der nur deshalb von Noah nicht gerettet werden konnte, weil die Arche, selbst wenn sie gar kein Tier aufgenommen hätte, für ihn allein zu klein gewesen wäre.“

„Dat läßt sich hören. Meine Hochachtung wächst nun auch so riesenjroß vor Ihnen, wie dieser Frosch jewachsen ist. Bauen Sie sich eine Arche dafür!“

„und ich,“ versprach der begeisterte Morgenstern, „werde nun auf das Sorgfältigste auf alle Gespräche achten, welche sich auf Revolution und Totschlag beziehen, denn ich sehe ein, daß man dadurch zu großen paläontologischen Errungenschaften gelangen kann.“

„Gut, lieber Landsmann! Nun aber rate ich Ihnen an, sich schlafen zu legen, denn Sie sind weidlich maltraitiert worden und bedürfen der Erholung. Morgen früh wird mit Tagesgrauen aufgestanden, und dann erwartet uns wohl ein Ritt, der für Sie anstrengend sein dürfte. Zur guten Nacht aber will ich Ihnen noch das offene Geständnis machen, daß ich mich freue, Ihre Werkzeuge gerettet zu haben. Wir können sie jetzt sehr gut gebrauchen, da wir die Magazine aufzugraben haben.“

Dieses Geständnis machte den Gelehrten so stolz, daß er seinem Diener freudig zuflüsterte:

„Hast du es gehört, Fritze, sie brauchen mich und meine Sachen; hast du es auch wirklich gehört? Ein Zoopaläontologe ist zu aller Zeit und an jedem Orte eine vielgesuchte Persönlichkeit. Du wirst immer mehr einsehen, daß kein Mensch ohne die Wissenschaft, lateinisch Scientia genannt, zu existieren vermag.“

Er schlief so befriedigt ein, wie seit langen Zeiten nicht. Auch die andern gaben sich der tiefsten Ruhe hin, und nur von Stunde zu Stunde wurden drei geweckt, um die schon erwähnten Wächter abzulösen.

Kaum graute der Morgen, so riefen die letzten Posten ihre Gefährten wach, denn man mußte den Umstand mit in Betracht ziehen, daß der Gambusino mit seinen Indianern noch in der Lichtung stecken und diese Stunde zu einem Überfalle für geeignet halten könne. Man nahm sich vorläufig noch nicht Zeit zu einem Imbisse, sondern der Vater Jaguar gab den Befehl, zu Pferde zu steigen und gegen die Lichtung vorzurücken. Er war zwar vollständig überzeugt, daß dieselbe während der Nacht geräumt worden sei, hielt aber doch die Vorsichtsmaßregel für angezeigt, einige Mann zu Fuß als Aufklärer vorausgehen zu lassen.

Diese schritten, immer gute Deckung suchend, dem gestrigen Lagerplatze der Indianer zu. Als sie denselben leer fanden, gaben sie ihren Kameraden ein Zeichen, herbeizukommen. Darauf setzten sich auch diese Eclaireurs zu Pferde, und dann ging es in gestrecktem Galopp in dem Einschnitte weiter fort, bis der Wald ein Ende hatte.

Hier sah man die Spuren der Indianer, welche hinaus in den Camp führten. Sie lieferten den Beweis, daß die Feinde den Wald schon gestern abend verlassen hatten. Ob diese die jetzige Richtung eingehalten hatten oder ob dieselbe nur eine Finte sei, das wußte man jetzt noch nicht; jedenfalls aber war es angezeigt, sich auf einen Ritt durch die dürre Wüste gefaßt zu machen. Man brauchte also Wasser. Glücklicherweise kannte der Vaterjaguar gar nicht weit von hier eine Stelle, wo am Waldesrande ein Wässerchen erschien, um schon einige Schritte davon wieder in den Boden einzudringen. Wer in der Wildnis lebt, der merkt sich solche Orte nur zu gut und vergißt gewiß nie einen derselben. Man trank sich satt, ließ auch die Pferde zur Genüge trinken und machte sich dann mit der Überzeugung auf den Weg, anderthalb Tagesreisen weit keinen Tropfen wieder zu sehen zu bekommen.

Man folgte natürlich den noch sichtbaren Spuren der Abipones und gelangte in kurzer Zeit an die Stelle, wo der Trupp gelagert hatte. Der Vater Jaguar ließ da anhalten, um die Stelle zu untersuchen. Auch Geronimo betrachtete das niedergelagerte Gras sehr genau und gab dann sein Urteil ab:

„Hier haben sie bis zum Anbruche des Tages gelegen. Sie sind also vor noch nicht gar langer Zeit erst fort, aber sonderbarerweise wieder nach dem Walde zurück. Welchen Grund können sie dazu gehabt haben?“

„Es gibt zwei Gründe, welche man sich denken kann,“ antwortete der Vater Jaguar. „Nämlich entweder ist ihre Rückkehr nur eine einfache List, welche den Zweck hat, uns irre zu führen und von ihrer Spur abzubringen, oder sie ist eine taktische Maßregel, welcher die Absicht zu Grunde liegt, die gestrige Schlappe auszuwetzen.“

„Inwiefern eine solche Maßregel?“

„Sie nehmen vielleicht an, daß wir uns noch da befinden, wo wir gestern abend gewesen sind, und wollen uns dadurch, daß sie den Wald an einer andern Stelle durchqueren, in den Rücken kommen, um uns plötzlich zu überfallen.“

„Das ist allerdings leicht denkbar. Sie wollen sich empören, und wenn sie noch wie vorher bei der Dummheit beharren, deinen Landsmann für den Obersten Glotino zu halten, so müssen wir freilich annehmen, daß sie alles thun werden, ihn entweder wieder in ihre Hände zu bekommen, oder auf sonst eine Art und Weise unschädlich zu machen. Es ist darum leicht möglich, daß sie einen Überfall planen. Meinst du, daß sie uns nachreiten werden, wenn sie bemerken, daß wir unsern Lagerplatz schon verlassen haben?“

„Vielleicht thun sie es, vielleicht auch nicht.“

„Sie mögen kommen! Sie sind uns nur dann gefährlich, wenn es ihnen gelingt, uns plötzlich zu überfallen, sonst aber sind wir ihnen überlegen. Es würde mich freuen, wenn sie sich an uns wagen sollten. Unsre Kugeln würden tüchtig unter ihnen aufräumen.“

„Was das betrifft, so bin ich überzeugt, daß sie uns nicht offen angreifen werden. Wir müssen zwar mit der Möglichkeit rechnen, daß sie uns jetzt suchen; ich halte es aber für wahrscheinlicher, daß sie zurückgekehrt sind, um uns von ihrer Fährte abzubringen und uns zu der Ansicht zu verleiten, daß sie es aufgegeben haben, nach dem Palmensee zu gehen.“

„Sollten sie wirklich auf diesen klugen Gedanken geraten sein?“

„Klug, sagst du? Ich nenne es keine Klugheit, mich für so dumm zu halten, daß ich mich von solchen Leuten täuschen lasse. Sie wissen, daß der Doktor und sein Diener alles gehört haben, was gesprochen worden ist; sie können es sich denken, daß diese beiden es uns mitgeteilt haben und daß ich also den Palmensee als das Ziel ihres Rittes kenne. Es erfordert gar keine große List, einzusehen, daß ich den See aufsuchen werde, und wenn sie glauben, daß sie mich durch irgend eine Finte davon abbringen können, so sind sie nicht klug, sondern dumm.“

„Du meinst also, daß wir jetzt weiter reiten und die Richtung, welche sie von hier eingeschlagen haben, gar nicht berücksichtigen?“

„Berücksichtigen muß und werde ich sie, aber nicht in der Weise, wie sie es wahrscheinlich erwarten. Ich muß erfahren, was sie vorhaben, und werde also dieser Fährte so weit nachreiten, bis ich weiß, woran ich bin. Du begleitest mich, die übrigen mögen hier bleiben, um auf uns zu warten.“

Er forderte seine Leute auf, vorsichtig zu sein und acht auf den Weg zu geben, den sie jetzt gekommen waren, da es möglich sei, daß die Gegner die Absicht hegten, ihnen auf demselben zu folgen. Dann ritt er mit Geronimo davon, indem beide in gestrecktem Galopp den Hufstapfen folgten, welche die Pferde der Abipones im Grase zurückgelassen hatten.

Die beiden Reiter erreichten den Wald und die durch denselben führende Blöße, durch welche die Gegner ihnen vorangeritten waren, und jagten über dieselbe hin, bis sie den jenseitigen Ausgang des Waldes erreichten. Da lag der offene Campo wieder vor ihnen, und man sah deutlich, daß die Spuren quer über denselben nach dem Flusse führten. Der Vater Jaguar parierte sein Pferd und sagte:

„Es ist so, wie ich dachte. Hätten sie uns verfolgen wollen, so wären sie hier links eingebogen, um am Rande des Waldes hin die Gegend zu erreichen, in welcher sie uns vermuten mußten. Daß sie das nicht gethan haben, sondern nach dem Flusse gegangen sind, läßt mich mit Sicherheit darauf schließen, daß sie die alberne Absicht hegen, uns irre zu leiten.“

„Auch ich bin jetzt dieser Ansicht, welche freilich kein großes Kompliment für uns ist. Wenn diese Kerls glauben, daß es so leicht ist, uns zu täuschen, so können sie keine große Meinung von uns haben. Uns irre leiten! Wie wäre das möglich, da wir ihre Spur doch stets vor Augen haben würden!“

„Nicht stets. Gerade weil wir dieser Fährte eine immerwährende Aufmerksamkeit widmen müssen, könnten wir nicht so schnell reiten, wie diese Leute jedenfalls geritten sind. Wir müßten am Abende anhalten, da wir in der Nacht die Spur nicht sehen können. Falls sie dann des Abends weiter ritten, würden sie einen solchen Vorsprung vor uns bekommen, daß am nächsten Tage die Fährte wohl schwerlich noch zu erkennen sein würde. Es ist nicht schwer, diese ihre Absicht zu durchschauen. Wir lassen uns freilich nicht täuschen. Wir wissen, daß sie nach dem Palmensee wollen, und wenden uns also stracks dieser Richtung zu. Kehren wir also jetzt um!“

Sie ritten zurück, und als sie bei den Ihrigen anlangten, wurde nach dem Lago de los Carandayes aufgebrochen. Das erste Ziel, die erste Station dorthin war, wie bereits erwähnt, die Fuente de las sanguijuelas, die Blutegelquelle, welche in nordwestlicher Richtung lag und mit anderthalbem Tagesritt erreicht werden konnte.

Der Boden war durchweg eben und zunächst mit dem bekannten Camposgrase bewachsen. Je weiter man sich aber von dem Flusse entfernte, desto spärlicher wurde dieses Grün, und endlich hörte es ganz auf; der Boden wurde sandig und glich später einer Wüste, in welcher keine Spur von organischem Leben vorhanden zu sein schien. Der Sand besaß angenehmerweise eine so geringe Tiefe, daß er die Schnelligkeit des Rittes nicht beeinträchtigte.

Der Vater Jaguar hatte zunächst die Besorgnis, daß Doktor Morgenstern, der kein guter Reiter sein konnte, Veranlassung zu Verzögerungen geben werde, doch erwies diese Befürchtung sich nicht als stichhaltig. Der kleine rote Gelehrte nahm sich zusammen; er saß zwar keineswegs schön zu Pferde, hielt sich aber doch ganz leidlich und begann erst gegen Abend über Müdigkeit zu klagen. Als dann zum Nachtlager mitten in der Wüste angehalten wurde, zeigte es sich, wie wacker er sich gehalten und alle Widerwärtigkeiten still und standhaft ertragen hatte. Er war nämlich so steif, daß man ihn aus dem Sattel heben mußte; er wurde, da er nicht stehen konnte, in den Sand gelegt.

Der Vater Jaguar freute sich über diesen Heroismus des kleinen Mannes und sagte in freundlichem Tone zu ihm:

„Warum haben Sie mir nicht gesagt, daß Sie sich so angegriffen fühlen? Wir hätten doch etwas langsamer reiten können.“

„Danke, Herr Hammer!“ antwortete der Kleine. „Ich habe eingesehen, daß es sich je schneller desto glatter reitet, und da ich mir einmal vorgenommen habe, Ihnen nicht beschwerlich zu fallen, so sollen Sie keine Klage von mir hören. Übrigens haben Sie versprochen, mir zu einem Riesentiere zu verhelfen, und je eher wir dahin kommen, wo es zu finden ist, um so besser ist es. Meine Beine sind zwar steif und haben alles Gefühl verloren, aber ich denke, daß schnell eine Besserung, lateinisch Emendatio genannt, eintreten wird.“

Diese Hoffnung ging bald in Erfüllung, so daß Morgenstern die Dienste, welche der Chirurg ihm anbot, zurückweisen konnte.

Leider gab es für die Pferde keine Weide; sie mußten sogar auf das Wasser verzichten. Die Reiter verzehrten jeder ein Stück Dürrfleisch und legten sich dann schlafen, da mit dem ersten Morgengrauen aufgebrochen werden sollte. Um diese Zeit ging es weiter, gerade wie gestern immer über Sand, bis gegen Mittag am Horizonte ein dunkler Streifen auftauchte. Der Vater Jaguar verkündete, indem er auf denselben deutete:

„Dort ist die Blutegelquelle. Der Name hat zwar keinen guten Klang, doch darf man nicht nach demselben auf die Beschaffenheit des Ortes schließen. Es gibt reines Trinkwasser mehr als genug, auch grüne Bäume und Sträucher, und wie ihr seht, reiten wir schon über Gras, welches bei jedem weiteren Schritte dichter steht und saftiger wird.“

Er hatte recht. Der Gran Chaco war früher als eine sterile, unfruchtbare Gegend verrufen, und es gibt allerdings bedeutende Strecken, welche der Sandwüste Afrikas gleichen; aber wo Wasser vorhanden ist, entwickelt sich eine reiche, ja üppige Vegetation. Die Flüsse treten im November aus und setzen große Flächen unter Wasser, bei ihrem Rücktritt so viel Feuchtigkeit hinterlassend, daß sich der Pflanzenwuchs entwickeln und bis weit in die trockene Jahreszeit ‚ hinein erhalten kann. An den Ufern dieser Flüsse giebt es Wälder, welche den Urwäldern Brasiliens gleichen, und selbst in der Wüste findet man zahlreiche stehende Gewässer, welche so viele Pflanzen ernähren, daß dadurch auch die Tierwelt angezogen wird.

Ein solches Gewässer war auch die Fuente de las sanguijuelas. Es gab da mitten in der Sandwüste eine Lehmoase, deren Durchmesser mehrere tausend Schritte betrug. Inmitten dieser Oase lag ein kleiner Süßwassersee, welcher durch eine ziemlich reich fließende Quelle gespeist wurde. Da diese am Rande der Oase entsprang, hatte sie bis zum See eine Strecke zurückzulegen, auf der sie einen Graben bildete, welcher sehr wenig Gefälle hatte. Dieser Graben war halb angefüllt von verwesenden Pflanzenresten, welche einen moorartigen Boden bildeten, in dem zahllose Blutegel ihre Entwickelung gefunden hatten. Daher war diese Quelle die Blutegelquelle genannt worden. Übrigens hielten sich diese Tiere nur in dem Graben und nicht in der Quelle selbst auf, infolgedessen das Wasser derselben sich trinken ließ. Auch in dem See, welcher nicht sehr tief war, gab es keine Egel, desto mehr aber Fische, welche den in dieser Gegend schweifenden Roten oder Weißen ein willkommenes Mahl bieten konnten.

Um den See und an den beiden Ufern des Grabens hin zogen sich breite Ränder von Bäumen und Sträuchern, meist Channjars und Algaroten, in deren Laub eine muntere Vogelwelt ihr Wesen trieb. Und so weit der Einfluß der durchsickernden und verdunstenden Feuchtigkeit reichte, hatte sich auch außerhalb der Oase im Sande ein Graswuchs entwickelt, welcher zwar je weiter entfernt, um so spärlicher wurde, aber in der Nähe der Bäume ein saftiges Grün bildete, welches den Pferden der Truppe mehr als reichlich Nahrung bot.

Hier hielten die Reiter an. Sie tranken sich zunächst selbst erst satt und führten dann auch ihre Pferde zu der Quelle, um ihnen die seit gestern früh entbehrte Labung zu bieten. „Don Parmesan“ hatte ebenso wie die andern dürsten müssen, aber noch entzückter als über das ersehnte Wasser war er über die Blutegel, welche er in dem Graben sah.

„Welch ein Fund!“ rief er aus, indem er sich an Doktor Morgenstern wendete. „Hier könnte man tausend fieberkranken Menschen in einer halben Stunde tausend Liter Blut abzapfen. Freuen Sie sich nicht auch über diese prächtigen, allerliebsten Geschöpfe?“

„Wenn es lauter Mammuths oder Mastodons wären, würde ich mich freuen,“ antwortete der Gefragte; „aber ein Blutegel, lateinisch Hirudo genannt, kann mich nicht in Wonne versetzen.“

„Weil Sie mehr vor als nach der Sündflut leben, Señor. Denken Sie sich irgend einen entzündeten Zustand. Welches Glück, wenn man da Blutegel bei der Hand hat. Jede Geschwulst wird dadurch gehoben, daß man einige Dutzend dieser nützlichen Geschöpfe an dieselbe legt. Ich setze den Fall, Ihre Zunge oder Ihr Zahnfleisch wäre geschwollen, so würde ich Ihnen mit Vergnügen zwanzig oder dreißig Blutegel in den Mund stecken.“

„Danke sehr, Señor – – –“

„Don, Don Parmesan, nicht Señor!“ unterbrach ihn der andre in strafendem Tone.

„Schön! Verzeihen Sie, Don Parmesan! Ich danke für das Vergnügen, einen Egel in den Mund zu nehmen! Und nun gar zwanzig! Nein, niemals!“

„Nicht? Nun, so wünsche ich von ganzem Herzen, Ihre Zunge läge Ihnen so dick wie ein Ochsenfrosch im Munde! Dann würden Sie mit Vergnügen die Egel nehmen.“

„Ich muß bemerken, daß dies kein sehr humaner Wunsch ist, Don Parmesan. Einem Freunde wünscht man keinen Ochsenfrosch in den Mund. Übrigens ist es noch gar nicht erwiesen, ob dies auch die wirklichen medizinischen Blutegel sind.“

„Sie sind es. Ich werde es Ihnen gleich beweisen.“

Er brach einen Zweig ab und schlug mit demselben auf das Wasser, um einige der gleich herbeischwimmenden Blutegel mit seinem Hute herauszufischen. Als er einen derselben in die Hand nahm, formte sich derselbe sofort in Kugelgestalt.

„Sehen Sie, daß er echt ist!“ rief er aus. „Sobald sich der Egel zu einer Kugel zusammenballt, ist er brauchbar. Ich werde Ihnen das noch weiter beweisen. Bitte, stecken Sie einmal die Zunge heraus! Ich will Ihnen diese Egel an dieselbe setzen, und Sie werden sehen, daß sie sofort anbeißen.“

„Warum gerade die Zunge, Don Parmesan?“

„Weil sie der blutreichste Teil Ihres Körpers ist, den Sie augenblicklich zur Verfügung haben.“

„So ersuche ich Sie ergebenst, dieses Experiment an Ihrer eigenen Zunge, lateinisch Lingua genannt, vorzunehmen. Sie befinden sich doch ebenso wie ich in dem Besitze eines solchen Gliedes.“

Er wich vor dem Chirurgen zurück. Dieser bemerkte kopfschüttelnd dazu:

„Ich kann nicht begreifen, wie ein Naturforscher, ein Zoolog, eine solche Scheu vor diesen reinlichen Tierchen haben kann. Ich werde diese schöne Gelegenheit benutzen, mir einen Vorrat derselben zu fangen und aufzubewahren. Ich habe glücklicherweise gesehen, daß einer von unsern Leuten einige leere Weinflaschen bei sich hat. Er wollte sie hier mit Wasser füllen; aber ich hoffe, daß er sie mir um des guten Zweckes willen ablassen wird.“

Er sprach mit dem betreffenden Manne, welcher ihm seine Bitte gewährte. Dann zog er seine Stiefel aus, setzte sich an den Rand des Grabens und stellte die nackten Füße in das Wasser. Sie bedeckten sich sehr schnell mit Blutegeln, welche er ablas und in die Flaschen that.

Während er sich auf diese Weise beschäftigte, schritt der Vater Jaguar die ganze Oase ab, um das Terrain derselben sehr sorgfältig zu untersuchen. Andere halfen ihm dabei. Da, wo der Strauch- in den Graswuchs überging, fiel ihm eine Stelle auf, welche nur spärlich mit Grün überwachsen war. Als er mit dem Fuße auf dieselbe stampfte, klang sie hohl.

„Ich wette, hier ist das Versteck, welches ich suche!“ sagte er.

„lk bin derselbigen Meinung,“ antwortete Fritze, welcher daneben stand, in deutscher Sprache.

„Warum?“

„Weil diese Stelle jrad so aussieht wie diejenige, an welcher wir oft und manchmal die Gigantochelonia ausjraben wollten. Dat Jras war dort auch so dünn.“

„So graben wir nach. Holen Sie die Werkzeuge, Kiesewetter!“

Fritze brachte dieselben herbei und wollte sich sogleich bereitwillig an die Arbeit machen; aber Hammer wehrte ab, indem er sagte:

„Halt! Nicht in dieser Weise! Wir wollen uns erstens nicht zu viel Arbeit machen und müssen zweitens dieselbe so vornehmen, daß diejenigen, welche hinter uns kommen, nicht mit Sicherheit sagen können, daß wir das Nest ausgeleert haben. So, wie Sie es an der Fischquelle gemacht haben, dürfen wir es also nicht machen. Sie haben dort doch wohl die ganze Decke rund umgraben?“

„Allerdings.“

„Und dabei die Erde tief aufgewühlt?“

„Natürlich! Wir haben jedacht, wir hätten ein Riesentier herauszupuddeln. Da mußte dat Loch so jroß wie möglich sind.“

„Dies werden wir nicht thun. Nicht wahr, es gab in dem Lehmboden eine sandige Stelle?“

„Ja. Dat war der verschüttete Eingang zu dat Jeheimnis.“

„So brauchen wir doch nur den Eingang zu öffnen, um hinabzukommen. Und dies werden wir so vorsichtig thun, daß später niemand bemerken wird, daß man das Versteck geöffnet hat.“

„Aber dann, wenn sie die Jeschichte herausnehmen wollen, werden ihnen die Augen aufjehen!“

„Um so geheimnisvoller wird ihnen die Sache vorkommen, da äußerlich kein Anzeichen vorhanden gewesen ist, daß man das Nest geöffnet hat. Gehen wir ans Werk!“

Vater Jaguar bückte sich, um den Boden zu untersuchen, und fand bald die sandige Stelle, welche noch weniger Gras trug als die Umgebung derselben. Sie wurde sehr sorgfältig, zunächst mit dem Spaten umstochen und ausgehoben. Dann grub man in die Tiefe. Der Vater Jaguar ließ eine Anzahl Ponchos ausbreiten, auf welche das Erdreich geworfen wurde, damit nichts davon im Grase liegen bleibe und dann zum Verräter werden könne.

Als man einige Fuß tief gekommen war, brach der Boden des Loches ein, und der Sand fiel, ganz wie dort an der Fischquelle, nach innen. Das Loch wurde so erweitert, daß Hammer hinabsteigen konnte. Als er unten anlangte, befand er sich in einer kleinen Höhle, welche ganz genau derselben glich, bei deren Öffnen Don Parmesan, Doktor Morgenstern und Fritze so unangenehm überrascht worden waren. Jetzt galt es, den Boden derselben aufzuheben. Als dies geschehen war, erfuhr man, was dieses Versteck enthielt. Da gab es kleine Pulverfässer, welche, um die Erdfeuchtigkeit abzuhalten, in Leder eingenäht waren, Gewehre, Messer und eine Anzahl andrer eiserner Waffen und Werkzeuge.

Diese Gegenstände wurden an das Tageslicht gebracht. Man zählte hundert Gewehre und doppelt so viele Messer. Auch Speer- und Pfeilspitzen waren vorhanden.

„Das alles ist für die Abipones bestimmt, wird aber den Cambas, unsern Freunden, zu gute kommen,“ meinte der Vaterjaguar erfreut. „Schütten wir das Loch wieder zu!“

Die Erde wurde von den Ponchos so in die Öffnung geschüttet, daß kein Krümchen daneben fiel, und festgestampft. Dann legte man den ausgestochenen Rasen darauf und begoß ihn mit Wasser, damit die beschädigten Halme nicht absterben möchten. Als dies geschehen war, konnte man überzeugt sein, daß kein später auf diese Stelle fallendes Auge erraten könne, daß hier schon nachgegraben wurde. Während diese Arbeit beendet worden war, hatten einige andre im See gefischt und reiche Beute gemacht. Der Vater Jaguar hatte seine Expedition mit allem versehen, was zu einem solchen Ritte und zu einem Aufenthalte in der Wildnis nötig war; es waren also auch Angeln und Netze vorhanden, welche sich jetzt vollständig bewährten. Die Pampas sind bei weitem nicht so wildreich wie die Prairien Nordamerikas, aber überall liegen Lagunen und kleine Seen zerstreut, welche, falls sie nicht Salzseen sind, meistens Fische enthalten. Darum wird sich der Kenner stets mit allem versehen, was zum Fange der Fische nötig ist.

Zur Zubereitung derselben wurden Feuer angebrannt, aber nicht auf der Oase, sondern draußen vor derselben auf dem nackten Sande. Dort konnten die Spuren derselben leicht verwischt werden, während sie im Grase verkohlte Stellen zurückgelassen hätten. Dann begann ein Backen und Braten, daß der appetitliche Duft die ganze Oase erfüllte. Man mußte für Vorrat sorgen, denn man durfte nicht hoffen, morgen auf ein jagdbares Tier zu treffen, und an der Krokodilsquelle, bis zu welcher man wieder anderthalb Tage zu reiten hatte, war auch kein Fang zu erwarten.

Die Pferde thaten sich während des ganzen Nachmittags am Grase gütlich, und ihre Herren aßen sich mehr als satt. Dennoch zeigte es sich, da der Fischzug so reich ausgefallen war, daß man einen Vorrat von wohl fünf Mahlzeiten besaß. Die Zubereitung der Fische war eine höchst einfache. Sie wurden einzeln mit trockenem Schilfe umwickelt und dieses angezündet; war dieses verbrannt, so war der Fisch so schön durchbraten, daß das Fleisch sich leicht von den Gräten löste. Man möchte dabei an den berühmten deutschen Studentenhering denken, dessen Rezept ebenso einfach lautet: Man wickele einen Hering, wie er aus dem Fasse kommt, in Papier und stecke ihn in das Ofenfeuer. Sobald das Papier verbrannt ist, schnell heraus damit; probatum est – – est, est, est! Natürlich aber muß man ihn hernach ausnehmen.

So wurde es Abend, und man saß noch einige Zeit an den Feuern beisammen, um sich zu unterhalten. Die Deutschen hatten sich zusammen gefunden, um sich ihrer Muttersprache bedienen zu können, was ihnen die Argentinier gar nicht übel nahmen. Unter diesen letzteren zeichnete sich ein junger, lebhafter Mensch durch seine Sprachfertigkeit und die Witze aus, welche er unaufhörlich zum Besten gab. So oft er den Mund öffnete, brachte er etwas vor, worüber die andern lachen mußten. Er war der Witzbold der Gesellschaft und wurde darum nicht bei seinem eigentlichen Namen gerufen, sondern El Picaro, der Schalk, genannt.

Später legte man sich zur Ruhe. Obgleich man nicht zu befürchten brauchte, überrascht zu werden, wurden einige Wachen ausgestellt. Hammer unterließ niemals, dies zu thun. Die Pferde brauchten nicht beaufsichtigt oder gar angebunden zu werden, da man sicher sein konnte, daß sie nicht über die Oase hinaus und auf den dürren Sand gehen würden, welcher ihnen kein Futter bot. –

Am Morgen waren sie ausgeruht und von der guten Weide so gekräftigt, daß man für den Weiterritt das Beste von ihnen erwarten konnte. Es wurde zunächst ein kurzes Mahl gehalten. Den Fleischvorrat wickelte man sorgfältig in Decken. Die Beute, welche dem Verstecke entnommen worden war, ließ Hammer so verteilen, daß kein Pferd zu viel zu tragen hatte. Nachdem darauf alle Spuren auf das Sorgfältigste vertilgt worden waren, brach man auf.

Der heutige Ritt ging in derselben Richtung wie der vorherige nach Nordwesten. Es gab wieder Sandwüste, und zwar den ganzen Tag. Einige Male kam man an kleinen Lagunen vorüber, welche Salzwasser enthielten. An den Ufern standen einige kümmerliche Salzpflanzen. Man hielt sich also bei ihnen gar nicht auf. Zur Mittagszeit wurde eine Stunde gerastet und am Abende mitten in der Wüste Lager gemacht, natürlich ohne Feuer, da kein Material zu einem solchen vorhanden war. Gegen Morgen, als es noch dunkel war, brach man schon wieder auf.

Interessant war es, den Chirurgen zu beobachten, welche Aufmerksamkeit er seinen Blutegeln widmete. Daß er sie überhaupt mitgenommen hatte, dafür gab es keinen bestimmten Grund. Es waren eben offizinelle Tiere, und da er sich für einen berühmten Arzt hielt, wollte er seinen Gefährten mit ihnen imponieren. Er durfte die Flaschen, in denen sie sich befanden, nicht luftdicht verschließen, da sie sonst erstickt wären. Darum hatte er die Ecken seines Kopftuches abgerissen und diese Fetzen um die Flaschenhälse gebunden. Er war ferner der Ansicht, daß seine Schützlinge vor jeder größeren Erschütterung zu bewahren seien, und hatte infolgedessen die Flaschen in seinen Gürtel gesteckt, aus welchem sie wegen ihrer glatten Oberfläche immer unten herausrutschen wollten. Darum war er unausgesetzt damit beschäftigt, sie immer und immer wieder in die Höhe zu schieben; er hatte die Hände nie zu etwas andrem frei, und da sein Pferd nicht das beste war und er es an der Zügelführung mangeln lassen mußte, wurde er tüchtig zusammengerüttelt und war, als man die Krokodilquelle erreichte, so ermüdet, daß er sogleich aus dem Sattel sprang, die Flaschen in das Gras stellte und sich daneben niederlegte.

Diese Quelle trug ihren Namen mit vollem Rechte. Mitten in der Sandwüste lag eine große Lagune, deren Wasser außerordentlich trüb und schlammig war. Sie wurde von einem breiten Schilfrande umsäumt, welcher seinerseits wieder von Tamarinden, Breas und baumartigen Kakteen umgeben war. Dieser Gürtel wurde an verschiedenen Stellen durch grasige Lichtungen unterbrochen, welche den Pferden willkommenes Futter boten. Auf einer dieser Lichtungen drang die Quelle aus dem Boden, um ihr Wasser in nicht allzugroßer Entfernung in die Lagune zu senden, wo es sofort seine Helligkeit verlor und trüber wurde.

Dieser letztere Umstand hatte seinen Grund darin, daß das Wasser der Lagune nie still stand, sondern unausgesetzt bewegt wurde, und zwar von Krokodilen, welche Jagd auf ihres- oder andersgleichen hielten und dabei den Schlamm fortwährend aufwühlten. Es war geradezu erstaunlich, zu sehen, in welcher Menge diese häßlichen Tiere hier vorhanden waren. Als Doktor Morgenstern sie erblickte, rief er erschrocken aus:

„Ist so etwas möglich! Das ist ja entsetzlich! Da sieht man ja dreißig, vierzig, sechzig auf einmal, welche übereinander wegstürzen! Was sagst du dazu, Fritze?“

„Wat ik sage? Jar nichts. Da bleibt mich jradezu der Mund offenstehen, und ik werde ihm wohl erst dann wieder zumachen, wenn mich eins hineinjefahren ist. Die sollte man im Rummelsburger See haben! Wat für ein Stralauer Fischzug müßte dat werden! Ik möchte nur wissen, wovon sie ihren Appetit befriedigen.“

„Wenn Sie aufpassen, werden Sie es baldigst sehen,“ bemerkte der Vater Jaguar. „Wir haben uns dem Rio Salado wieder genähert und befinden uns in einer Gegend, welche von seiner jährlichen Überschwemmung erreicht wird. Das ist die beste Zeit für diese Bestien, welche dann vollauf Fraß finden. Ist die Überschwemmung vorüber, so tritt Fastenzeit für sie ein. Zunächst fressen sie Fische und andres Getier, welches aus dem Flusse in die Lagune gelangt ist. Hat das aufgehört, so treibt sie der Hunger, sich untereinander zu bekriegen. Die großen fressen die kleinen.“

„Und wenn keine kleinen mehr vorhanden sind, wat thun dann die jroßen?“

„Dann wissen sie sich nicht anders zu helfen, als daß

Da,“ unterbrach er sich, „werden Sie es gleich sehen. Passen Sie auf!“

Gar nicht weit von ihnen waren in der Nähe des Ufers zwei mächtige Krokodile in Kampf geraten. Sie warfen sich gegen- und aufeinander, daß Schlamm und Wasser hoch aufspritzten. Nach kurzem Ringen hatten sie sich gegenseitig an den scharf bewehrten Kinnladen gepackt und so ineinander verbissen, daß sie nicht auseinander zu können schienen. Da schoß ein drittes heran und riß dem einen ein Bein aus dem Leibe, worauf es mit seinem Raube im Wasser verschwand. Das verletzte Untier ließ einen ganz eigenartigen, nicht zu beschreibenden Schmerzenston hören, welcher eigentlich kein Schrei genannt werden konnte, worauf sogleich mehrere andre herbeigeschossen kamen, aber nicht etwa, um‘ ihm zu helfen, sondern um sich seiner zu bemächtigen. Es wurde förmlich in Stücke zerrissen, wobei ihm seine Rückenschilder nicht den mindesten Schutz gewährten.

„Da sehen Sie, wovon sie leben,“ sagte Hammer. „Hat eins von ihnen, und wenn es das größte und stärkste wäre, einmal eine Verwundung erhalten, so ist es verloren; es wird von den andern aufgefressen. Und dabei sind diese Tiere von einer Feigheit, welche ihresgleichen sucht. Ich will es Ihnen beweisen.“

Er nahm sein Gewehr vom Rücken und drückte ab. Als der Schuß ertönte, verschwanden sämtliche Krokodile wie mit einem Schlage; die Wasser kräuselten noch einige Augenblicke und standen dann so ruhig, als ob in ihnen niemals irgend ein Leben geherrscht habe. Von den Ufern aber erhoben sich schreiend einige Stelzvögel, welche trotz der Krokodile im Schlamm nach Beute gesucht hatten, und aus den Zweigen der Bäume flog kreischend eine Schar von Papageien auf.

Fritze riß sein Gewehr an die Wange und wollte auf die letzteren schießen, Hammer aber schob es ihm weg und fragte:

„Was wollen Sie? Etwa Ihr Pulver unnütz verschwenden?“

„Unnütz? Fällt mir jar nicht ein! lk wollte mich bloß zu unserm Fisch einen Jeflügelbraten schießen.“

„Lassen Sie das! Wenn Sie keine Krokodilzähne haben, rate ich Ihnen nicht dazu. Der Papagei wird ungeheuer alt, und selbst in jungen Jahren ist sein Fleisch so zähe, daß es nicht genossen werden kann.“

„Etwa wie der schöne Vogel Strauß, von dem wir uns auch so ’nen Braten leisten wollten, wie ik Sie erzählt habe?“

„Ja. Wir müssen uns mit unsern Fischen begnügen. Später, wenn wir wieder in Wälder und zu den mir befreundeten Cambas kommen, werden wir besser leben.“

Die Pferde wurden abgesattelt, getränkt und auf die Weide gelassen. Die Reiter nahmen ihr Mittagsmahl ein und dann wiederholte sich genau das, was sich an der Blutegelquelle zugetragen hatte: Das Waffenversteck wurde gesucht, gefunden, ausgeleert und wieder zugemacht. Während dieser Arbeit war es Abend geworden, und man brannte einige Feuer an. EI Picaro, der Schalk, machte wieder seine Witze, und die Deutschen saßen erzählend bei einander.

Der alte Anciano hatte sich diesen letzteren mit dem jungen Inka zugesellt, obgleich beide kein Wort deutsch verstanden. Der Alte hielt es der Abstammung seines Pfleglings wegen für angemessen, bei den vornehmeren Señores zu sitzen. Der Chirurg schien von ganz demselben Stolze beseelt zu sein, denn er gesellte sich auch zu ihnen, obgleich er nur dann, wenn sie spanisch redeten, ein Wort zur Unterhaltung beitragen konnte.

Später wurden die Wachen ausgestellt, und man legte sich zur Ruhe. Die ersteren hatten, da es kühl geworden war, die Aufgabe, die Feuer von Zeit zu Zeit zu schüren.

Ehe Don Parmesan sich zur Ruhe in seinen Poncho hüllte, sah er noch einmal nach seinen Blutegeln, denen er seit Mittag zweimal frisches Wasser gegeben hatte. Er stellte die Flaschen sorgsam zwischen sich und Fritze, welcher neben ihm lag, und wendete sich dann auf die Seite, um einzuschlafen.

Die Nacht verging ohne Störung, ohne daß etwas Ungewöhnliches geschah, außer man wollte das, was einer der Wachtposten gegen Morgen that, ungewöhnlich nennen. Dieser Posten war El Picaro, der Schalk. Eben hatte er wieder einmal die Feuer geschürt, da ging er nicht, wie vorher, wieder fort, sondern er schlich sich auf den Fußspitzen nach der Stelle hin, an welcher der Chirurg so tief schlief, daß man seinen Atemzügen den Ausdruck schnarchen hätte geben mögen. Er betrachtete jede einzelne Person genau, lauschte eine Weile und griff, als niemand sich regte, nach den Blutegelflaschen; es waren ihrer drei. Er öffnete sie, indem er den Baumwollenverschluß losband, und versuchte sodann, die Decke, in welche Don Parmesan sich gewickelt hatte, unten auseinanderzuschlagen. Es gelang. Der Chirurg trug, wie schon früher erwähnt, lange Stiefel, deren Schäfte er heute nicht ganz emporgezogen hatte; sie reichten ihm nur bis an die Kniee und bildeten dort trichterähnliche Öffnungen, in welche El Picaro den Inhalt zweier Flaschen schüttete; dann schlug er die Decke wieder zusammen. Mit der dritten Flasche kroch er zu Fritze Kiesewetter hin. Auch dieser hatte sich in seinen Poncho gewickelt, den El Picaro an einer Stelle auseinanderzog, um dort die Flasche zu entleeren.

Hierauf band er die drei Flaschen wieder zu, genau so, wie sie vorher verschlossen gewesen waren, und stellte sie an ihren Platz zurück. Dann kroch er leise davon, schlangengleich, wie ein Indianer. Erst als er aus dem Kreise, welchen der Schein der Feuer bildete, gekommen war, erhob er sich und ging nun weiter bis dorthin, wo er den andern Wachtposten wußte.

„Nun, ist’s gelungen?“ fragte dieser.

„Ja, vollständig,“ kicherte der lustige Bursche.

„Prächtig!“ lachte auch der andere. „Was wird er sagen, wenn er merkt, daß er die Sanguijuelas auf dem Leibe anstatt in den Flaschen hat!“

„Es giebt einen Hauptspaß, zumal ich die Flaschen wieder zugebunden habe. Dann kann er es sich nicht erklären, wie sie herausgekommen sind.“

„Hat er sie alle?“

„Alle nicht, obgleich ich die Flaschen leer gemacht habe. Es war keine leichte Arbeit, diese klebrigen Dinger, nachdem ich das Wasser abgegossen hatte, herauszuschütten. Ein andrer hat auch welche.“

„Ein andrer? Wer?“

„Federico mit dem unaussprechlichen deutschen Namen, der Diener des Gelehrten.“

„Dieser? Das hättest du nicht thun sollen. Er ist ein guter, ein braver Bursche.“

„Nicht nur ein guter und braver, sondern auch ein lustiger Bursche. Ich beabsichtigte es eigentlich nicht; aber als ich ihn so schön nebenan liegen sah, da zuckte es mir so lange in den Fingern, bis er auch sein Teil erhielt. Wenn er später erfährt, wer es gewesen ist, wird er es mir nicht übel nehmen.“

„Wie lange währt es, bis die Würmer angekrochen sind?“

„Wer kann das sagen! Ich bin kein Arzt und habe noch keinen Blutegel beobachtet. Vielleicht eine Stunde. Dann ist es Tag, und es wird so hell, daß wir die Bescherung sehen können.“

„Aber wir sollen doch noch vor Tage wecken!“

„Das thun wir eben nicht. Ich will mich lieber vom Jaguar ein wenig schelten lassen als auf so ein Vergnügen verzichten.“

Die beiden flüsterten und lachten noch eine Weile über diesen Gegenstand und gingen dann auseinander. Sie hatten die letzte Wache übernommen und waren also diejenigen, welche zu wecken hatten. Die Zeit verging, und der Tag begann zu grauen. Sie weckten noch nicht, sondern begaben sich in die Nähe der Schläfer, um, hinter zwei Bäumen versteckt, die beider Opfer ihres Scherzes zu beobachten. Es wurde so hell) daß sie dieselben genau sehen konnten.

Es handelte sich ihrer Ansicht nach nur um einen Spaß, und keiner von ihnen war, was man mit dem Worte schadenfroh bezeichnet. Dennoch mußten sie über das, was sie sahen, lachen, natürlich nicht laut, sondern in sich hinein. Die Blutegel hatten den Weg durch die Kleider gefunden und sich festgesaugt. Die von ihnen Überfallenen fühlten zwar den Angriff, der gegen verschiedene ihrer Körperteile gerichtet war, waren aber vom Schlafe noch so fest umfangen, daß sie nicht erwachten. Sie drehten sich von rechts nach links, von links nach rechts; sie griffen mit den Händen nach ihren ‚Armen und Beinen; sie kratzten sich an allen Ecken und Enden und murmelten dabei leise Worte, welche man nicht verstehen konnte. Ihre Unruhe wuchs von Minute zu Minute, so daß El Picaro nun zu seinem Kameraden sagte:

„Wir dürfen nicht länger warten und müssen wecken, sonst erwachen sie von selbst.“

Sie riefen die Schläfer wach, und diese sprangen auf. Als der Vater Jaguar sah, daß es schon heller Tag war, wollte er ihnen Vorwürfe machen, wurde aber von einem lauten Ausrufe des kleinen Gelehrten unterbrochen, welcher, seinen Diener erstaunt anblickend, diesen fragte:

„Fritze, was hast du da im Gesicht? Ich denke, wir befinden uns an der Quelle der Krokodile und nicht an derjenigen der Blutegel!“

„Freilich ist dat richtig,“ antwortete der Gefragte. „Sie werden doch wissen, wo wir heut alljejenwärtig sind! Wir haben dat Vergnüjen, uns bei die Krokodils zu befinden.“

„Aber es ist doch kein Krokodil, sondern ein Blutegel, welcher dir da an der Wange, lateinisch Gena, hängt. Und über der Nase hast du dir einen zweiten zerdrückt!“

„Fällt mich nicht im Traume ein! lk quetsche mich weder einen Blutejel, noch ein Krokodil auf die Nase fest.“

„Und doch hast du es gethan. Greif nur an die rechte Wange! Da hängt einer, und was für einer! Er hat sich vollständig dick gesaugt.“

Fritze wollte dieser Aufforderung folgen und erhob die Hand. Da fiel sein Blick auf dieselbe; er ließ sie wieder sinken, starrte sie erstaunt an und rief sodann aus:

„Wat ist denn dat? Da hängt ein fremdes Jeschöpf, welches jar nicht zu mich jehört, an meine Hand! Ist dat ein Polyp oder eine jebackene Rettichsbirne?“

Er betrachtete den Egel, welcher allerdings in Birnenform von seiner Handoberfläche herniederhing. Er schüttelte die Hand, aber das Tier hing fest.

„Ein Blutegel ist’s,“ erklärte Morgenstern. „Und der im Gesicht ist noch viel größer und dicker.“

Fritze fuhr sich in das Gesicht, fühlte das Tier, faßte es fest, riß es los und warf es von sich. Natürlich begann die Stelle sofort zu bluten.

„Blutejel sind’s, wahrhaftig, Blutejel! Fui Spinne!“ schrie er auf. „Die habe ik an der letzten Quelle aufjelesen.“

Die Argentinier lachten alle, obgleich sie seine Worte nicht verstanden. Er hatte am Halse noch einen Egel und einen andern hinter dem Ohre sitzen. Seitwärts hinter ihm stand Don Parmesan. Diesem hingen zwei Egel am Kinn. Er fühlte sie nicht. Er sah, um was es sich handelte, trat rasch vor und sagte zu Fritze, natürlich in spanischer Sprache:

„Sie haben Sanguijuelas im Gesicht, am Halse und am Ohre, Señor. Ich werde sie Ihnen abnehmen. Ich verstehe das. Halten Sie still; ich thue Ihnen nicht weh. Sie wissen, daß für mich nichts zu schwer ist. Ich nehme alles herunter.“

Er griff nach dem Egel am Halse des anderen; dieser aber gab ihm lachend zurück:

„Operieren Sie erst sich selbst, Don Parmesan! Sie haben ja auch zwei Stück am Kinn hängen.“

„Ich?“ fragte der Chirurg erstaunt. Er griff nach der bezeichneten Stelle und fühlte die Anhängsel. Da fuhr er erfreut fort: „Das ist gut! Die sind mir angelaufen, als ich mit den Füßen im Wasser saß. Ich habe sie hierher getragen, ohne es zu wissen. Ich werde sie abnehmen, ohne ihnen wehe zu thun und sie dann zu den andern in die Flasche stecken. Warten Sie, Señor! Dann befreie ich Sie auch von den Ihrigen.“

Er machte einen leisen Versuch, seine Blutsauger zu entfernen, und da sie voll und satt waren, gelang es ihm sehr leicht. Dann bückte er sich nach seinen Flaschen nieder, hob die eine empor, machte ein verblüfftes Gesicht, nahm die andre und auch die dritte auf und rief dann bestürzt aus:

„Leer! Alle drei sind leer! Wo sind meine Sanguijuelas hin?“

Ein allgemeines lautes Gelächter antwortete ihm. El Picaro hatte seinen Gefährten ein heimliches Zeichen gegeben; sie verstanden ihn und wußten sogleich, woran sie waren. Darum antwortete Geronimo dem erstaunten Chirurgen:

„Wohin sie sind? Das müssen Sie doch fühlen, Don Parmesan. Ich glaube, Sie tragen sie alle an Ihrem Leibe. Und unser lieber Señor Federico mag auch einmal nachsehen, ob diejenigen, welche wir bis jetzt an ihm sehen, die einzigen sind, die sich für ihn interessieren.“

Er trat zu dem Genannten, nahm ihm den Gürtel ab, zog die Brustschlitze des Hemdes auseinander und fuhr dann lachend fort:

„Dachte es mir! Eine ganze Kolonie von Blutegeln, einer immer neben dem andern! Señor, die lieben Tiere müssen eine ungemeine Zuneigung für Sie haben!“

„Danke für die Zuneigung!“ antwortete Fritze zornig, indem er nach seiner Brust griff, um die Egel abzureißen. Da aber fiel Don Parmesan ihm in die Arme, hielt dieselben fest und schrie entsetzt:

„Halt, halt, Señor! Meine Flaschen sind leer; das sind also meine Sanguijuelas, an denen Sie sich nicht vergreifen dürfen! Sie sind mir entschlüpft, und ich muß sie mir wieder einfangen, einzeln und behutsam, damit ich keinen verletze.“

„Ach, was geht es mich an, wem diese Raubtiere gehören!“ antwortete Kiesewetter erbost. „Ich lasse mich nicht von ihnen anfallen und auffressen. Herunter mit ihnen!“

Er wollte diesen Vorsatz ausführen, doch der Chirurg hielt ihm die Arme noch immer fest und bat in flehendem Tone:

„Nein, nein, Señor! Ich ersuche Sie inständigst, mir den Gefallen zu thun. Ich lese sie Ihnen ab, und wenn alle an Ihnen hängen sollten!“

„Alle? Das fehlte noch! Ich habe genug an diesen da, und wenn –“

Er hielt inne und machte ein Gesicht, als ob er auf etwas lausche; dann schlug er sich mit den Händen kräftig gegen die Oberarme, die Schenkel und andre Körperteile und wetterte, im höchsten Grade ergrimmt:

„Ja, ich habe sie alle, alle! ich fühle es jetzt ganz deutlich!“

„Ich auch, ich auch!“ rief Don Parmesan, von dem sich Fritze losgerissen hatte. Er fuhr sich mit der Hand unter das Gewand, um sich von der Anwesenheit der Blutegel, die er nun auch fühlte, zu überzeugen.

„Ich habe sie am ganzen Leibe sitzen!“ fuhr Fritze fort.

„Ich auch, ich auch!“

„An den Armen, an den Beinen!“

„Ich ebenso!“

„Auf dem Rücken, auf dem Leibe!“

„Ich auch, ich auch!“

„Diese Bestien, diese Vampyrs! Ich zerschlage sie, ich zerquetsche sie alle, alle!“

Wieder schlug er sich wie wütend gegen alle seine Körperteile, um die an denselben sitzenden Blutegel auf diese Weise los zu werden.

Da fiel ihm Don Parmesan abermals in die Arme und schrie:

„Halten Sie ein! halten Sie ein! Sie ermorden die Egel ja; Sie zerquetschen sie; Sie schlagen sie tot. Halten Sie still! Ich nehme sie Ihnen so säuberlich ab, daß Sie Ihre Freude daran haben werden!“

„Still halten? Fällt mir gar nicht ein,“ antwortete Fritze, sich gegen den Chirurgen wehrend. „Sterben müssen sie, elendiglich umkommen!“

„Nein, nein, und abermals nein! Haben Sie Erbarmen! Ich nehme sie alle ab. Sie wissen ja, ich säbele alles herunter! Und wenn einer oder einige nicht wollen, so lassen wir sie hängen, bis sie satt sind; dann fallen sie freiwillig und ganz von selber ab.“

„Bis sie satt sind? So lange soll ich warten? Soll ich mich verbluten, Sie Ungeheuer? Soll ich Ihrer Würmer wegen mein Leben auf das Spiel setzen? Fort mit Ihnen! Packen Sie sich! Lassen Sie los, sonst!“

„Señor, Euer Gnaden, vergessen Sie nicht, daß jede Wissenschaft ihre Opfer fordert. Haben Sie die Güte und –“

„Fort, sage ich! Opfer fordert! Sie sind toll, wahnsinnig! Ihrer Egelwissenschaft zulieb opfere ich mich noch lange nicht!“

Es gelang ihm endlich, sich loszureißen. Don Parmesan faßte ihn aber wieder. Sie zerrten hin und her; sie stolperten über die Flaschen und fielen zu Boden. Der eine wollte sich von dem andern befreien, und dieser wollte nicht loslassen; so kam es, daß sie sich überkugelten, sich hin- und herwälzten, sich einmal halb aufrichteten und doch wieder niederzerrten. Dabei schimpfte Fritze in allen Tonarten auf den Chirurgen, und dieser bat ebenso in allen Tonarten um Mitleid für die Wissenschaft und die Blutegel. Der Kampf war kein gefährlicher; er war geradezu komisch zu nennen. Die Argentinier lachten, was sie nur lachen konnten; Doktor Morgenstern hatte wohl Lust, seinem Diener beizustehen, da er aber bemerkte, daß es sich nur um ein lächerliches Zerren und Ringen handelte, sah er davon ab. Der alte Anciano und der Inka standen zwar mit ernsten Gesichtern dabei, doch sah man es ihren lachenden Augen an, daß sie nur mit Anstrengung ihre indianische Würde zu bewahren vermochten. Und was endlich den Vater Jaguar betraf, so warf er zwar diesem schlimmen EI Picaro einen strafenden Blick zu, auch wußte er, daß ein einziges Wort von ihm genüge, dem Ringen ein Ende zu machen, aber er sprach dieses Wort doch nicht aus, weil es gar zu komisch war, daß der „Don“, um seine Blutegel zu retten, einen Kampf herbeigeführt hatte, durch welchen dieselben gerade vernichtet werden mußten. Sie wurden ja alle zerquetscht und zerdrückt. Endlich aber, als die beiden gerade im Begriff standen, in das Wasser der Quelle zu kollern, griff Hammer doch zu, zog sie mit starken Armen von der Erde empor, riß sie auseinander und sagte in gebietendem Tone:

„Jetzt mag es zu Ende sein, Señores, Sie thun sich sonst wirklich noch Schaden und laufen Gefahr, aus dem Scherze Ernst zu machen.“

„Scherz?“ fragte Fritze. „Den habe ich ja gar nicht machen wollen! Es ist mein völliger Ernst gewesen, gleich von Anfang an!“

„Beherrschen Sie sich! Die Sache ist doch eher spaß- als ernsthaft zu nennen.“

„Spaßhaft? Soll ich es einen Spaß nennen, daß dieser Señor, der Alles heruntersäbelt, fünfhundert Blutegel mit sich schleppt, um sie mir bei nachtschlafender Zeit auf den Leib zu setzen?“

„Fünfhundert?“ rief Don Parmesan. „Neunzig sind es gewesen, nicht mehr als neunzig. Es waren grade nur dreißig in jeder Flasche!“

„Ist das etwa nicht genug? Neunzig, sage neunzig Blutegel sitzen mir auf der Haut. Sie nagen an meinem Leben; sie entleeren meine Adern; sie trinken den kostbaren Saft meines deutschen Blutes! Rechne ich auf jeden ein halbes Pfund, so habe ich in dieser Nacht fünfundvierzig Pfund Blut verloren!“

„Der Mensch hat ja nicht mehr als zehn Pfund Blut, lateinisch Sanguis genannt,“ fiel Morgenstern belehrend ein.

„Ja, zehn Pfund lateinisches Sanguis!“ fuhr Fritze zornig auf. „Ich aber stamme vom Rummelsburger See, und dort hat das Blut ein ganz andres Gewicht. Wer gibt mir das Quantum, welches ich verloren habe, wieder?“

„Ich, ich!“ antwortete der Chirurg sofort und in höchst zuversichtlichem Tone. „Ich gebe Ihnen alles zurück, ja nicht nur alles, sondern noch weit mehr, als Sie verloren haben.“

„So? Wie wollen Sie das machen?“

„Nichts ist leichter als das. Es ist mehr Blut, als wir dazu brauchen, vorhanden. Wir schießen einige Krokodile tot, und da können Sie so viel trinken, wie Sie wollen.“

Der Mann hatte dies im vollsten Ernste gesprochen, dennoch brachen alle in lautes Gelächter aus, nur Fritze nicht. Dieser schrie ihn vielmehr zornig an:

„Was war das, was Sie mir zumuten? Krokodilsblut soll ich trinken? Soll ich Euer Gnaden mit diesen meinen Fäusten beweisen, daß dies kein Trank für eine deutsche Kehle ist?“

Er wollte den andern wieder packen; der Vater Jaguar aber hielt ihn zurück, indem er freundlich mahnte:

„Bitte, nicht neue Thätlichkeiten. Kommen Sie beide mit mir dort hinter das Gesträuch! Dort wollen wir einmal nachsehen, welchen Schaden die Tiere angerichtet haben.“

„Gut, sehen wir nach!“ willigte Fritze ein. „Sie werden da erkennen, daß ich nicht nur angezapft, sondern geradezu verzapft worden bin, wie ein Bierfaß, welches nicht mehr läuft.“

„Ja, sehen wir nach!“ stimmte auch der Chirurg bei. „Aber sehen wir nicht nach, welchen Schaden meine Blutegel bei ihm verursacht haben, sondern welchen er unter ihnen angerichtet hat!“

Die drei entfernten sich und verschwanden hinter den Büschen. Bald waren laute Ausrufe zu hören; dann kam Fritze plötzlich mit entblößtem Oberleibe aus dem Gesträuch herbeigerannt und rief erbost:

„Señores, sehen Sie mich an! Bin ich noch ein Mensch? Oder bin ich eine Haut, welche ein Blutegelhändler als Musterkarte vorzeigen kann?“

Man hätte diese letztere Frage wohl bejahen mögen, denn so weit man seine „Haut“ zu sehen vermochte, war dieselbe von noch blutenden Saugwunden und zerquetschten Egeln bedeckt. Und der Chirurg kam ihm mit ebenso entblößtem Oberkörper nachgesprungen und schrie:

„Sie sind alle hin, alle, alle! Es ist kein einziger am Leben geblieben. Sehen Sie mich und diesen Mörder an, Señores! Ich hätte sie ihm und mir mit der größten Kunstfertigkeit abgenommen. Er brauchte ihnen nur zu erlauben, sich vollzusaugen. Er aber hat sie erschlagen und sich mit mir so lange im Grase gewälzt, bis auch der allerletzte zerdrückt und zerquetscht worden ist. Wer ersetzt mir nun meine Egel?“

„Und wer mir mein Blut?“ fragte Fritze.

„Niemand; dann sind Sie quitt miteinander,“ antwortete Hammer, der ihnen langsam nachgegangen kam.

„Das nennen Sie quitt?“ entgegnete Kiesewetter. „Ist nicht ein Tropfen meines Blutes tausendmal mehr wert als zehntausend solche Würmer? Und wer reinigt mich? Wer wäscht mich ab? Wer macht mich aus dieser Musterkarte wieder zu einem Menschen?“

„Don Parmesan.“

„Das will ich gelten lassen; das ist das erste gescheite Wort, welches in dieser Angelegenheit gesprochen worden ist!“

„Und wer aber säubert mich?“ fragte der Chirurg dagegen.

„Ich,“ antwortete EI Picaro freiwillig. „Ich thue es aus Mitleid um die lieben Tiere, die so mitten in ihrem schönsten Lebensgenusse haben sterben müssen.“

„Hüte dich, daß ich dich nicht auch mitten aus deinem jetzigen Genusse reiße!“ warnte ihn der Vater Jaguar. „Es scheint, daß auch du in vollster Wonne schwelgst.“

jetzt erklärten sich auch noch andre bereit, bei der Prozedur behilflich zu sein. Die beiden „An- und Abgezapften“ wurden an das Wasser gestellt und gehörig eingeweicht und abgerieben. Was sie dabei fühlten, behielten sie für sich, doch wurde es durch ihre schmerzlich bewegten Mienen genugsam verraten. Als es zu Ende war, meinte Fritze, nun endlich einmal lachend:

„Danke, Señores! Die lebhaften Empfindungen, welche Sie mir soeben bereiteten, haben mich überzeugt, daß ich wenigstens noch nicht ganz tot bin und noch Hoffnung haben darf, mich meines Daseins auch fernerhin zu erfreuen. Wer in dieser Weise zu fühlen vermag, der stirbt noch lange nicht. Don Parmesan, reichen Sie mir Ihre Hand! Wir haben miteinander gelitten und wollen uns versöhnen. Ein andres Mal aber lassen Sie Ihre Egels nur dann gegen mich los, wenn ich an einer Geschwulst oder Entzündung laboriere. Hätten Sie Ihre Flaschen besser zugebunden, so wären wir verschont geblieben.“

„Ich konnte sie nicht besser zubinden, als es geschehen ist,“ antwortete der Angeklagte, indem er ihm die Hand schüttelte. „Wie es gekommen ist, daß die Tiere heraus – –“

Er hielt inne. Er hatte bei diesen Worten den Blick zufällig auf die Flaschen gerichtet. Vorhin hatte er in der Eile nur bemerkt, daß sie keine Egel mehr enthielten; jetzt aber sah er, daß der Verschluß noch da war. Er hob sie auf, betrachtete sie und fuhr dann in erstauntem Tone fort:

„Was ist denn das? Sie sind ja genau noch so fest verschlossen, wie ich sie zugebunden habe! Oder sind etwa Löcher darin? Das Wasser ist ja auch heraus!“

Er nahm sie von allen Seiten in Augenschein und schüttelte den Kopf, als er nicht das kleinste Löchlein zu bemerken vermochte.

„Wundern Sie sich nicht, Señor,“ sagte EI Picaro. „Die Sache ist sehr einfach.“

„Einfach? Wie denn?“

„Das finden Sie nicht? Der erste Egel, welcher heraus ist, hat die Flasche aufgemacht, und der letzte hat sie, wie ganz in der Ordnung war, wieder zugebunden.“

Alle lachten. Der Chirurg sah den Sprecher nachdenklich an; dann blitzte es wie ein Erkennen über sein Gesicht, und er fragte:

„Sind vielleicht Sie dieser letzte Egel gewesen, Señor? Ihnen ist es wohl zuzutrauen, daß Sie eine Flasche gut zuzubinden verstehen! Hoffentlich erfahre ich bald mehr über diese Angelegenheit, und dann werden Sie mir Genugthuung geben müssen!“

„Sehr gern, Don Parmesan, aber nur jetzt noch nicht, denn, wie ich sehe, sattelt der Jaguar schon sein Pferd. Er will aufbrechen, und so haben wir leider zu nichts anderm Zeit.“

Es war, wie er sagte. Hammer rüstete sich zum Antritte der Weiterreise, und die andern mußten dasselbe thun. Dieser Ritt verlief genau so wie der vorhergehende. Man übernachtete des Abends in einsamer, sandiger Gegend und kam am nächsten Mittag an der Fuente gemela an.

Dieser Ort hatte, wie bereits erwähnt, seinen Namen daher, daß dort zwei Quellen nahe beieinander entsprangen, um dann bald ihr Wasser zu vereinigen; es war eine „Zwillingsquelle“, welche nach dem Zusammenfließen einen kleinen Bach bildete, der seinen Lauf nach einem See von wunderbar klarem, reinem Spiegel nahm. Dieser See war von beinahe kreisrunder Gestalt und konnte einen Durchmesser von wohl tausend Schritten haben.

Man merkte hier, daß man in nordwestlicher Richtung geritten war und sich also dem Äquator um einige Grade genähert hatte, denn die Umgebung des Sees zeigte schon eine mehr tropische Vegetation. Die Ufer waren von Tacuarasrohren umsäumt, welche eine Höhe von bis zu zehn Meter besaßen. Daran schloß sich eine Laurelenwaldung, in welcher einzelne Cribobäume eine angenehme Unterbrechung bewirkten. Sogar Caranday-Palmen waren schon zu sehen, und weiter zurück, wo der Boden weniger Feuchtigkeit besaß, konnte man die phantastischen Gestalten baumhoher Aloes erblicken. Dazwischen stand das Gras so hoch und dicht, daß es den Pferden bis an die Leiber reichte. Verschiedene Vögel, besonders Kolibris, bevölkerten die Zweige; im Grase gewahrte man die Fährten vierfüßiger Tiere, und an den See brauchte man nur zu treten, um zu sehen, daß sein Wasser reich an Fischen war.

„Hier brauchen wir nicht nur Fische zu essen,“ meinte Geronimo, indem er auf die Fährte eines Hirsches deutete. „Vielleicht gelingt es uns, einen bessern Braten zu schießen.“

„Diese Fährte sagt uns, daß die Wüste zu Ende ist,“ antwortete der Vater Jaguar, „denn der hiesige Hirsch geht nie weit über Wüstenland. Aber sie mahnt uns auch zur Vorsicht.

Wo es solches Wild gibt, da kann man auch leicht größeren Raubtieren begegnen, die wir aber“ – fügte er lächelnd hinzu – „keineswegs fürchten. Seit Buenos Ayres habe ich keinen Jaguar gesehen, und der dort in der Arena war ein feiger Bursche.“

Man entsattelte die Pferde und gab sie zum Weiden frei. Dann wurden zwei Abteilungen gebildet, deren größere dem Fischfange obliegen sollte, während die kleinere mit Hammer ging, um nach dem Waffendepot zu suchen, welches hier wahrscheinlich auch vorhanden war. Gerade die große Üppigkeit der Vegetation erleichterte die Nachforschung. Auf dem Verstecke war sie jedenfalls nicht vorhanden, und so kam es, daß dasselbe sehr bald gefunden wurde, obgleich die Oase, welche der See mit seiner grünen Umgebung in der Wüste bildete, weit größer war, als diejenigen, in denen man bisher gelagert hatte. Die heimliche Niederlage wurde in der bereits beschriebenen Weise geöffnet, ihrer Vorräte beraubt und dann wieder zugemacht.

Nun hatte man drei solche Arsenale entleert, und die Waffen und Munitionsvorräte, welche man infolgedessen jetzt besaß, konnten nur auf die unbequemste Weise noch weiter mitgeführt werden. Es mußte den Pferden schwer fallen, das alles nebst den Reitern zu tragen. Wenigstens war an einen Ritt von derselben Schnelligkeit wie bisher nicht mehr zu denken.

Der heutige Fischzug war auch ein ergiebiger, doch wurden nur die größten und besten Fische den Netzen entnommen; die andern gab man in den See zurück, da man von nun an auch auf andres Fleisch rechnen konnte. In dieser Beziehung von den andern befragt, erklärte der Vater Jaguar:

„Es fliegen hier zahlreiche Kolibris, welche gewöhnt sind, von Blüte zu Blüte zu gaukeln. Sie unternehmen zwar im Herbste und Frühlinge weitere Reisen, fliegen da aber nur durch Gegenden, in denen sie Nahrung finden. Außer diesen Vögeln gibt es hier Vierfüßler, welche selten oder nie in die Wüste gehen und sich meist in dichten Waldungen aufhalten. Aus diesem Grunde steht zu erwarten, daß wir das öde Sandland hinter uns haben. Wenn auch nicht sofort Waldland folgt, so dürfen wir wenigstens auf grasigen und wohl gar blühenden Campo rechnen. Señor Morgenstern und Kiesewetter haben von unsern Feinden gehört, daß man über die Fisch-, Blutegel-, Krokodils- und Zwillingsquelle muß, um nach dem Palmensee zu gelangen. Wir haben diesen See also jetzt vor uns, und da aus den vorhin angeführten Gründen uns Waldland nahe liegt, so ist daraus zweierlei zu schließen, nämlich erstens, daß wir nicht anderthalbe Tagereise mehr brauchen, um den Palmensee zu erreichen, und zweitens, daß derselbe sich nicht im offenen Lande, sondern im Walde befindet.“

„Dann heißt es, doppelt Achtung geben und vorsichtiger sein als bisher,“ antwortete Geronimo.

„Warum das?“ fragte EI Picaro. „Meinst du etwa, daß wir wieder Blutegel finden werden?“

„Laß den Scherz! Wir haben Veranlassung ernst zu sein. Du hast doch gehört, daß Kapitän Pellejo die Soldaten nach dem Palmensee beordert hat. Vielleicht befinden sie sich schon dort, wenn wir kommen. Entdecken wir sie aber nicht zur rechten Zeit, so können wir von ihnen ganz unversehens überfallen werden.“

„Wären sie schon dort, so hätten wir das allerdings zu befürchten,“ fiel der Vater Jaguar ein; „ich bin aber überzeugt, daß sie noch nicht angekommen sind.“

„Aus welchem Grunde?“

„Weil sie zu weit haben.“

„Das glaube ich nicht. Wenigstens haben sie nicht weiter als wir. Seit dem Zusammentreffen an der Fischquelle sind nun fünf Tage vergangen. Diese Zeit reicht sehr gut aus, um von Matara, Cachipampa oder gar Miravilla nach der Gegend zu kommen, in welcher unsrer Vermutung nach der Palmensee zu suchen ist.“

„Ganz richtig! Aber du mußt bedenken, daß dies nicht die einzigen Orte sind, von woher wir Soldaten zu erwarten haben. In Cruz grande und ganz besonders in Candelaria stehen auch welche, und diese haben einen längeren Weg zurückzulegen als derjenige ist, den wir glücklicherweise bereits hinter uns haben.“

„So kommen diese vielleicht später; die andern aber, die ich vorhin nannte, sind schon da.“

„Nein, eine solche Disposition trifft kein Offizier. Es wird dem Kapitän nicht einfallen, in einer so einsamen Gegend, welche noch dazu in der Nähe der feindlichen Grenze liegt, die einen auf die andern warten zu lassen. Er hat jedenfalls die Ausmarschbefehle so gegeben, daß die einzelnen Trupps, welche übrigens nur aus wenigen Mann bestehen können, zu gleicher Zeit am Versammlungsorte eintreffen. Aus den fernliegenden Garnisonen rückt man eher, aus den näherliegenden aber später.“

„Hm! Du triffst immer das Richtige und hast jedenfalls auch diesmal recht. Also brauchen wir noch keine Sorge zu haben.“

„O doch! Wir haben bisher nur von den Soldaten gesprochen. Die fürchte ich am wenigsten. Unter einer Garnison verstehe ich etwas ganz andres, als was man am Rio Salado darunter versteht. Du hast da Orte, deren Besatzung nicht zehn, ja oft nur fünf Köpfe zählt. Wir haben wohl kaum dreißig Mann zu erwarten, und mit diesen werden wir auf alle Fälle leicht fertig. Ich denke aber auch an die Indianer. Wer gibt uns die Gewißheit, daß diese nicht schon am Palmensee versammelt sind? Ich bin überzeugt, daß sie die Weißen erwarten, um von ihnen die versprochenen Gewehre zu bekommen. Vielleicht gehen sie ihnen sogar entgegen, um ihnen die Last, welche Pulver und Blei, Messer, Beile und Flinten bilden, noch eher abzunehmen.“

„Carlos, das ist wahr! Wir müssen gewärtig sein, heute und hier schon ihren Besuch zu empfangen.“

„Wir müssen wenigstens mit dieser Möglichkeit rechnen. Daher habe ich unser Lager hier am nördlichen Ufer des Wassers aufgeschlagen, während das südliche, wie ich weiß, dazu viel geeigneter wäre. Auch dürfen wir heute abend keine Feuer anzünden; sie könnten uns verraten. Die Fische müssen schon jetzt am Tage gebacken werden, und zwar bei kleinen Feuern, welche keinen dichten Rauch erzeugen.“

„Und doch dürfte alle diese Vorsicht vergeblich sein, denn ich meine, daß die Roten dennoch gerade hierher kommen würden.“

„Warum?“

„Sehr einfach darum, weil die Quellen sich auf dieser Seite befinden. Dem Trinkwasser geht doch jeder nach.“

„Sehr wahr; aber ich habe vergessen, zu sagen, daß drüben am andern Ufer sich eine noch viel größere Quelle befindet. Der Ort hat seinen Namen zwar von dieser Zwillingsquelle, die jenseitige aber wird öfters aufgesucht, weil sie viel bequemer liegt und sich an ihren Ufern ein Grasplatz erstreckt, an welchem bedeutend mehr Menschen lagern können als hier.“

„Zugegeben! Aber, Carlos, wir müssen alles überlegen. Hier auf unsrer Seite befindet sich der Ort, an welchem die Waffen versteckt waren; also werden die Roten unbedingt hierher kommen.“

„Nein. Die Weißen werden sich gehütet haben, ihnen vorher mitzuteilen, wo die Magazine zu suchen sind. Höchstens weiß der Häuptling davon. Und gerade damit das Versteck auch nicht durch Zufall entdeckt werde, steht zu erwarten, daß die Indianer gegebenenfalls von ihren jetzigen Verbündeten an das andre Ufer beordert worden sind.“

„Da kann ich dir nicht unrecht geben. Doch was war das jetzt? Habt ihr es gehört?“

Man hatte ein kurzes, scharfes, dreifaches Klingen gehört, und in demselben Momente war alle Anwesenden ein ganz eigentümliches Gefühl angekommen, einem leichten Schüttelfroste ähnlich, der nicht länger als eine Sekunde anhielt.

„Die Aria,“ antwortete der Vater Jaguar, indem er nach seinem Nacken griff und dabei versuchte, ob er den Hals drehen und den Kopf frei bewegen könne.

„Die Aria,“ stimmten die andern bei. Auch sie machten dieselben Bewegungen mit der Hand nach dem Nacken, mit dem Halse und dem Kopfe.

Was ist die Aria? Niemand vermag es genau zu sagen. Sie tritt meist folgendermaßen auf: Man sitzt bei einem Glase Wein oder bei einer Tasse Thee; die Flasche oder Kanne steht dabei. Da überkommt die Anwesenden jener kurze, gar nicht unangenehme Schüttelfrost; zugleich erklingen Flasche und Glas, Kanne und Tasse. Sieht man nach, so sind sie zerbrochen, ohne daß jemand sie angerührt hat. Tiere, welche vorher geschwitzt haben, werden für längere Zeit an den Gliedern steif, und auch Menschen können für mehrere Tage ein steifes Genick davontragen. Das ist die Aria, eine elektrische Erscheinung, wie manche Forscher und Reisende sagen. Wen sie trifft, der pflegt sich sofort zu überzeugen, ob er den Nacken noch zu bewegen vermag.

Woher aber war hier der scharfe, kurze Klang gekommen? Man forschte danach. Don Parmesan hatte die Flaschen, in denen die Blutegel gesteckt hatten, nicht wieder abgegeben, sondern sie in seiner Satteltasche mit sich geführt. Der Sattel lag neben ihm, und als er die Tasche öffnete und nach den Flaschen griff, zeigte es sich, daß sie mitten entzwei gebrochen waren. Das war glücklicherweise der einzige Schaden, den die Aria angerichtet hatte, denn kein Nacken war steif geworden.

Doktor Morgenstern hatte von dieser Erscheinung noch nichts gehört und erkundigte sich darum bei dem Vater Jaguar nach ihr. Dieser antwortete achselzuckend:

„Ich kann Ihnen leider mit keiner Erklärung dienen. Die Sache ist mir selbst auch unbegreiflich. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, daß die Aria in dieser Jahreszeit oft plötzlichen und starken Regen mit sich bringt.“

Er blickte bei diesen Worten gegen den Himmel, welcher vollständig hell und wolkenlos war und nicht im mindesten so aussah, als ob er heute noch Nässe senden wolle. Kein Lüftchen regte sich und die Oberfläche des Sees lag so ruhig und unbewegt wie festes Krystall vor den Augen da.

jetzt nun wurden alle Vorbereitungen getroffen, welche nötig waren, wenn der Abend und die Nacht ohne Feuer zugebracht werden sollte. Man aß sich tüchtig satt und streckte sich dann im Grase aus, um zu ruhen. Andre saßen in Gruppen beisammen, um sich zu unterhalten, wobei EI Picaro wie gewöhnlich die Hauptrolle spielte.

Abseits von allen andern saß Anton Engelhardt mit dem jungen Inka. Beide kannten sich nur seit wenigen Tagen, hatten einander aber doch schon herzlich lieb gewonnen. Der äußere Grund lag wohl in dem Umstande, daß Anton dem Inka so freundlich entgegengekommen war und ihm sein Pferd angeboten hatte; die innere, eigentliche Ursache aber bestand jedenfalls in der Verschiedenheit ihrer seelischen Eigenschaften, welche einander ergänzten.

Anton war warmblütig, leicht erregt, rasch und aufrichtig; auf seinem Gesichte lag immerwährend der Ausdruck herzlicher Zufriedenheit. Das Wesen des Peruaners aber war still, ernst, bedächtig, zurückhaltend, und die Schwermut, welche sich seinen jugendlich schönen Zügen aufgeprägt hatte, wich keinen Augenblick aus denselben. So waren sie also vollständig verschieden veranlagt, und die Verschiedenheit zieht bekanntlich an.

Sie waren seit dem ersten Abende stets nebeneinander geritten und hatten sich auch an den Lagerplätzen zusammengehalten. Da war natürlich viel gesprochen worden; aber die Kosten der Unterhaltung hatte zumeist Anton getragen. Er hatte von allem, was er besaß, kannte und wußte, erzählt und nach und nach sein ganzes Herz ausgeschüttet. Von Haukaropora aber hatte er noch nichts erfahren. Dieser hörte schweigend zu, ließ nur hier oder da eine kurze Frage, eine einsilbige Antwort hören; aber wer ihn beobachtete, der sah, daß aus seinem dunkeln, tiefgründigen Auge nicht selten ein freundlicher, ja warmer Blick zu seinem jungen deutschen Gefährten hinüberflog.

Wovon sie jetzt wieder miteinander sprachen, das war eigentlich das immer wiederkehrende Hauptthema aller ihrer Gespräche gewesen, nämlich der Vater Jaguar. Anton erblickte in diesem Manne einen Helden ohnegleichen und wünschte sehnlichst, ihm einst ähnlich werden zu können. Auch Hauka sprach mit der größten Hochachtung, ja Verehrung von ihm, konnte aber leider die Neugierde Antons, welcher gern etwas aus dem früheren Leben des riesenhaften Mannes erfahren hätte, nicht befriedigen.

„Aber du hast ihn ja viel eher gekannt,“ sagte der deutsche Knabe, „und mußt also von ihm erzählen können!“

Sie nannten sich nämlich seit der Krokodilsquelle Du.

„Ich kann nichts sagen,“ antwortete der Inka. „Wenn er kam, hat er mit dem Vater gesprochen und nicht mit mir. Und wenn die Alten und Erfahrenen sprechen, so müssen die jungen, Unerfahrenen von fern stehen. So ist es bei uns Gebot.“

„Bei euch? Zu welchem Volke oder Stamme gehörst du denn eigentlich?“

„Zu keinem.“

„Aber du mußt doch einer Nation angehören!“

„Mein Stamm ist untergegangen. Wir leben mit einigen armen Familien hoch oben in den Bergen, wo der Kondor schreit.“

„Da wächst kein Baum, kein Strauch. Wie könnt ihr leben?“

„Wir trinken Wasser und essen das Fleisch der wilden Tiere, welche wir mit Lebensgefahr erlegen.“

„So seid ihr Helden, mit denen ich wohl tauschen möchte. Erzähle mir von eurem Leben, euren Thaten!“

„Von dem Leben und den Thaten der Meinigen?“ Er legte die Hand an die Stirn und blickte düster vor sich nieder. Dann antwortete er weiter: „Vielleicht, doch nein, ganz gewiß erzähle ich dir einmal davon; aber nicht heute, nicht jetzt. Du kommst ja mit in unsre Berge. Dann wirst du nicht nur hören, sondern auch sehen.“

Er stand auf und entfernte sich, um unter den Bäumen zu verschwinden. Die Fragen Antons hatten ihn an seiner wunden Stelle getroffen. Er kehrte erst zurück, als es zu dunkeln begann, und streckte sich, als man sich zur Ruhe legte, wie gewöhnlich neben Anton nieder. Dieser hatte lange darüber nachgedacht, womit er den Freund betrübt haben könne, und schlief darüber ein. Wie lange er geschlafen hatte, wußte er nicht, als er von einer Hand, die ihn leise schüttelte, aufgeweckt wurde. Der Inka war es; er flüsterte ihm in das Ohr:

„Still! Sprich nicht laut! Du hast gewünscht, ein Held wie der Vater Jaguar zu sein. Ich möchte dir Gelegenheit zu einer That geben. Willst du mir folgen?“

„Wohin?“

„Davon nachher. Laß deine Waffen hier und nimm nur das Messer und die Bolas mit! Schleich tief im Grase hinter mir, damit die Wächter uns nicht sehen!“

Anton sah, daß Hauka auf allen Vieren von der Lagerstätte fortkroch, und folgte ihm in derselben Weise. In den letzten Nächten hatten die Sterne geschienen; heute aber war der Himmel dunkel. Da der Neumond kurz vorüber war, herrschte hier unten eine fast vollständige Finsternis. Man konnte kaum zehn Schritte weit sehen, und selbst der See, welcher am Tage so rein und hell geglänzt hatte, lag jetzt wie ein düsteres Geheimnis zu ihrer linken Hand. Sie schlichen langsam und unhörbar am Schilfrande hin, bis Hauka sich aufrichtete und, mit noch immer leiser Stimme, sagte:

„Jetzt sind wir über die Wachen hinaus und können richtig gehen. Ich weiß, du hast Mut und wirst dich freuen, daß ich dich geweckt habe. Schau einmal scharf über den See. Siehst du etwas?“

„Nein,“ antwortete Anton, welcher seine Augen vergeblich anstrengte.

„Oder riechst du etwas?“

„Auch nicht.“

„Anciano und ich, wir leben mit dem Kondor in den Kordilleren; darum haben wir die Sinne des Adlers erhalten. Da drüben jenseits des Wassers lagern Leute.“

„Wie kannst du das wissen?“

„Ich rieche den Rauch und sehe den Schein des Feuers. Ein Weißer sieht und riecht das nicht. Eigentlich sollte ich es den Erfahrenen melden, aber weil du wünschest, eine That zu thun, so habe ich sie nicht geweckt und es auch unterlassen, den Wächtern Meldung zu machen.“

„Und was willst du jetzt thun?“ fragte der junge deutsche Peruaner.

.“Zunächst will ich hinüber, um zu sehen, wer diese Leute sind und was sie hierhergeführt hat. Dann wird es sich zeigen, ob ich still zurückkehre oder mich von den Umständen zu irgend einer Handlung bewegen lasse.“

„Meinst du, daß dir dieses letztere erlaubt wäre? Wie leicht könntest du etwas thun, was der Vater Jaguar dann nicht billigen würde.“

Da legte ihm der Inka die Hand auf die Achsel und sagte in nachdrücklichem Tone:

„Ich bin hier im Lande geboren und kenne es genau. Du brauchst keine Sorge zu haben, daß ich etwas Unrechtes thun werde. Gehst du mit, oder willst du hier bleiben? In diesem letzteren Falle bleibe auch ich und melde dem Vater Jaguar, was ich beobachtet habe. Ich will ja nur hinüber, um dir Gelegenheit zu geben, zu beweisen, daß du ein mutiger Jüngling bist.“

„Natürlich gehe ich mit, ganz natürlich! Ich fragte nur so, weil ich glaubte, zu jung zu sein, um so selbständig handeln zu können.“

So komm und gib mir deine Hand, damit ich dich führe, denn ich glaube, daß meine Augen in der Dunkelheit schärfer als die deinigen sind.“

Er nahm ihn bei der Hand und schritt mit ihm langsam weiter. Das war nicht leicht, denn es ging zwischen Büschen und unter Bäumen hin. Dann hörte der Wald plötzlich auf, und das Ufer lag baumlos vor ihnen. Haukaropora blieb nachdenklich stehen, überlegte eine kleine Weile und sagte dann:

„Das ist eine Lücke in dem Gürtel, welcher sich als Waldstreifen um das Wasser legt. Dieser Gürtel ist schmal. Gehen wir innerhalb desselben vorwärts, so befinden wir uns stets in der Finsternis, welche unter den Bäumen herrscht, was uns sehr aufhalten muß. Darum denke ich, es ist besser, wenn wir uns weiter rechts halten, um an dem Rande dieses Gürtels hinzugehen. Da können wir viel schneller laufen und haben den freien Himmel über uns, welcher zwar auch dunkel ist, aber doch nicht so finster wie die Wipfel der Bäume.“

„Aber werden wir da den Ort finden, wo die Leute sind, welche wir suchen?“ warf Anton Engelhardt bedenklich ein.

„Ganz gewiß!“

„Ich denke, wir kommen da viel zu weit nach rechts?“

„Nicht zu sehr, da der Wald ja nicht breit ist. Übrigens ist es sicher, daß diese Leute an der Quelle lagern werden, von welcher der Vater Jaguar sprach. Wenn wir dieselbe erreichen, brauchen wir nur ihrem Wasser zu folgen, um an das Ziel zu gelangen.“

„Sie wird sich vielleicht unter den Bäumen befinden!“

„Möglich; aber die Menschen, deren Feuer ich bemerkt habe, lagern jedenfalls nicht unter Bäumen, da das zu unbequem sein würde, sondern auf einer freien Stelle. Verlaß dich auf mich. Wir verirren uns nicht.“

Sie setzten ihren Weg fort, schneller als bisher. Ihr Lager hatte sich in der Mitte des nördlichen Seeufers befunden; sie bogen bald um den obern, westlichen Teil des Sees. Dann hörte die Lichtung auf und der Wald begann wieder. Er bildete hier einen dunkeln Streifen, welcher einige hundert Schritte breit sein mochte. Sie ließen ihn linker Hand liegen und eilten an seinem äußern Rande nun in östlicher Richtung hin, denn sie befanden sich nun am südlichen Ufer. Sie waren da noch gar nicht weit gekommen, so blieb der junge Inka mit vorwärts gebeugtem Oberkörper stehen. Er hatte die Haltung eines angestrengt Lauschenden eingenommen. Es hatte sich ein ziemlich scharfer Wind erhoben, welcher ihnen gerade entgegenwehte.

„Hörst du etwas?“ fragte Anton.

„Ja,“

„Was?“

„Ich glaube, es ist eine Glocke gewesen.“

„Eine Glocke? Es gibt doch hier keine Stadt mit Kirchenglocken.“

„Diese Art meinte ich nicht. Komm noch eine kurze Strecke weiter, so wirst du es auch hören.“

Sie schritten wieder vorwärts, diesmal aber langsamer als vorher. Bald war ein vom Winde herübergewehter metallener Ton zu hören.

„Horch!“ sagte Anton. „Jetzt habe ich es gehört. Es klang beinahe wie die Glocke einer Madrina.“

Madrina ist ein dem spanischen Amerika eigentümlicher Ausdruck. Man versteht unter demselben die Stute, welche bei Herden oder auf Reisen die andern Tiere führt. Sie trägt eine Glocke am Halse, deren Ton die übrigen stets folgen.

„Ja, es kann nichts andres sein, als eine Madrina,“ stimmte der junge Inka bei.

„Sollten sich Arrieros hier im Gran Chaco befinden?“

„Nein, gewiß nicht. Durch diese Gegend ziehen keine Handelskarawanen. Es werden Indianer sein.“

„Von welchem Stamme?“

„Ich weiß es nicht, denke aber, es zu erfahren.“

„Dann sind diese Menschen sehr unvorsichtig. Die einzelnen Völker leben, wie wir gehört haben, jetzt in Feindschaft miteinander. Da hängt man doch den Tieren keine Glocken um, welche zu Verrätern werden müssen!“

„Die Leute, welche sich hier befinden, werden sich so sicher fühlen, daß sie nicht glauben, solche Vorsicht anwenden zu müssen. Auch müssen sie ihre Tiere weiden lassen und dürfen sie also nicht anbinden. Hätten sie keine Madrina dabei, so würden die Pferde nach allen Richtungen auseinander laufen.“

„Wieso? Die unsrigen bleiben doch auch beisammen.“

„Das ist etwas ganz andres. Der Indianer ist kein Pferdezüchter; er raubt und stiehlt die Tiere aus allen Gegenden zusammen. Sie kennen sich also nicht, und da sie nicht in Herden gehalten werden, so haben sie keine Anhänglichkeit zu einander. Treffen dann auf einem Kriegszuge viele Reiter zusammen, so müssen sie ihren Pferden eine Madrina geben, denn jedes Roß gehorcht der Glocke unbedingt. Das ist von großem Vorteil für uns, denn der Ton, welchen wir gehört haben, wird uns als Wegweiser dienen.“

Es war so, wie er sagte, denn je weiter sie kamen, desto deutlicher war der Ton der Halsschelle zu hören. Bald mußten sie ihre Schritte noch mehr hemmen, da der Klang nun aus großer Nähe kam. Zugleich waren links die Stämme des Waldes zu sehen, da hinter demselben mehrere Feuer brannten, in deren Schein sich die Bäume deutlich hervorhoben.

„Sieh, wie leicht wir das Lager gefunden haben,“ flüsterte Haukaropora Anton zu.

„Vor uns liegt der sich um den Wald ziehende Grasstreifen; auf ihm weiden die Pferde. Links von uns sticht er in den Wald hinein und bildet da eine offene Stelle, auf welcher sich die Quelle befindet. Wir haben also die Pferde gerade vor uns und die Reiter links hinter den Bäumen.“

„So müssen wir in dieser letzteren Richtung weiter?“

„Ja, aber nicht sogleich. Wir haben alle Ursache, vorsichtig zu sein, und so will ich erst sehen, ob sich Wächter bei den Pferden befinden. Warte hier, bis ich zurückkehre!“

Er schlich sich davon, und Anton stand allein, wohl über eine Viertelstunde lang, dennoch wurde ihm um den Inka nicht bange, denn er fühlte ein solches Vertrauen zu dessen Tüchtigkeit, daß es ihm gar nicht beikam, Angst um ihn zu haben. Nach dieser Zeit tauchte der Inka wieder aus dem Dunkel auf und meldete mit leiser Stimme:

„Es war kein einziger Wächter da. Die Pferde waren alle so zutraulich, daß sie sich von mir streicheln ließen. Sie gingen frei im Grase, und nur der Madrina sind die Vorderbeine leicht gefesselt, damit sie keine weiten Schritte machen kann.“

„Wie viele Pferde waren es?“

„Ich konnte sie natürlich nicht zählen, ich merkte aber, daß es nicht wenige sind. Ich fand sie alle mit den Köpfen nach der Madrina gerichtet und habe mich sehr darüber gefreut.“

„Warum?“

„Weil dies ein Zeichen ist, daß sie ihr unbedingt folgen werden.“

„Und darüber freust du dich?“

„Ja, denn wenn es etwa feindliche Indianer, also Abipones sind, so möchte ich ihnen ihre Pferde nehmen.“

„Ist das dein Ernst? So viele Tiere können wir zwei unmöglich fortbringen!“

„Warum nicht? Wenn wir die Madrina mit uns führen, laufen die andern alle hinterdrein.“

„Aber die Indianer würden am Klange der Glocke hören, daß die Stute sich entfernt!“

„Wenn man schläft, hört man das nicht, und du gibst doch wohl zu, daß diese Leute schlafen werden?“

„Ja; aber Wachen haben sie jedenfalls ausgestellt.“

„Allerdings; aber da sie, wie ich vermute, sich hier so sicher fühlen, werden die Wächter nicht zahlreich sein. Wir werden das gleich zu erfahren suchen. Komm, und halte dich stets hinter mir! Wir dürfen nicht mehr gehen, sondern müssen kriechen, damit wir nicht bemerkt werden.“

Sie legten sich auf die Erde nieder und bewegten sich nun mit äußerster Vorsicht von ihrer bisherigen Richtung ab nach links hinüber, um unter die erwähnten Bäume zu gelangen. Als sie dieselben erreicht hatten, befanden sie sich zugleich ganz nahe dem Rande der offenen Waldlücke, in welcher der Inka das Lager vermutet hatte. Diese Lücke war nicht breit, und die Feuer leuchteten von einem Ende derselben bis zum andern. Man sah also genau, was dort vorging. Die beiden Jünglinge lagen hinter zwei nahe beieinander stehenden Bäumen und beobachteten mit scharfen Augen, was da vor ihnen vorging.

Es war eine sehr zahlreiche Schar von Indianern, welche ihr Nachtlager aufgeschlagen hatte. Da, wo die Lichtung sich gegen das freie Land öffnete, drang die Quelle aus dem Boden, um ihr Wasser links nach dem See zu schicken. Zu beiden Seiten dieses Wasserlaufes brannten acht Feuer, um welche sich wohl gegen achtzig Rote bewegten, denn sie waren soeben beschäftigt, sich die bequemsten Stellen zum Schlafen zu suchen. Zwischen zwei Feuern, welche diesseits des Wassers brannten, lagen sechs Gestalten, welche gefesselt zu sein schienen. Fünf von ihnen waren wie Indianer gekleidet; den Sechsten konnte man seinem Anzuge nach für einen Weißen halten. Da sie mit den Köpfen nach den zwei heimlichen Beobachtern zu lagen, war es diesen unmöglich, die Gesichter zu sehen.

Diese Schar war indianisch bewaffnet. Sie hatte an den in der Erde steckenden langen Lanzen ihre Köcher und Bogen aufgehängt. Daran lehnten die Blasrohre, deren kleine Geschosse, wenn sie vergiftet sind, so schnell tödlich wirken. Drüben stand unter einem Baume der einzige, welcher ein Gewehr besaß; er hatte es neben sich auf seinem Poncho liegen und schien der Häuptling zu sein, denn er erteilte soeben verschiedene Weisungen, denen sofort nachgekommen wurde. Er bediente sich dabei einer Sprache, welche einen singenden Tonfall hatte. Anton verstand kein Wort davon und fragte darum seinen Gefährten leise:

„Das ist nicht Ketschua und auch nichts andres, was ich verstehe. Welche Sprache redet der Mann?“

„Es ist Abiponisch; ich verstehe es ziemlich. Er ist der Anführer dieser Leute, er sagt ihnen, wie sie lagern sollen, und hat soeben befohlen, daß die Nacht in drei Wachen geteilt wird. Jede dieser Wachen betrifft nur zwei Personen, von denen die eine den Pferden und die andre den Gefangenen ihre Aufmerksamkeit zu schenken hat.“

„Also doch Gefangene! Wer mögen sie sein?“

„Warte nur! Wahrscheinlich erfahren wir es noch. Ich kenne den Häuptling nicht, habe ihn noch nie gesehen, aber seiner Sprache nach gehört er mit seinen Leuten den Abipones, also unsern Feinden an.“

„Daraus können wir schließen, daß die Gefangenen Freunde von uns sind.“

„Ja, denn wer gegen sie ist, der muß für uns sein.“

„Wenn wir sie befreien könnten! Denkst du, daß dies möglich ist?“

Der Inka wartete eine kleine Weile, ließ den Blick nachdenklich, aber scharf über die Scene gleiten und antwortete dann:

„Ich halte es für möglich und bin bereit, den Versuch zu machen. Was sagst du dazu?“

„Einverstanden!“ Er hätte fast vor Freude laut gesprochen und fügte nun desto leiser hinzu: „Aber wie wollen wir das anfangen, da wir nur zu Zweien sind? Wir haben nicht einmal unsre Gewehre mit.“

„Die würden uns schaden anstatt uns zu nützen. Du hast gehört, wie oft der Vater Jaguar gesagt hat, daß in den meisten Fällen die Klugheit der Gewalt vorzuziehen ist. Nach diesem Rate werden wir handeln.“

„Ja, handeln werden wir; ich bin bereit dazu. Aber in welcher Weise, das weiß ich noch immer nicht.“

„Warte nur! Erst müssen diese Abipones eingeschlafen sein; eher läßt sich nichts thun. Wir werden dann erfahren, ob die Wächter vorsichtig sind und ob man die Feuer verlöschen läßt oder nicht.“

jetzt kam der Häuptling über den Quell herüber, um persönlich nach den Gefangenen zu sehen. Er warf ihnen drohende und verächtliche Worte zu und stieß sie dabei mit den Füßen. Sie wollten diesen Mißhandlungen ausweichen und veränderten dabei ihre bisherige Lage. Dabei konnte man das Gesicht des einen deutlich erkennen. Er war wirklich kein Indianer, sondern ein Weißer. Dann bäumte sich ein Zweiter halb empor, um einem nach ihm gerichteten Fußtritte zu entgehen. Er wendete während dieser Bewegung sein Gesicht nur für einen Augenblick zur Seite, doch war das für das scharfe Auge des Inka genug; er hatte ihn erkannt und flüsterte Anton zu:

„Das war der Häuptling der Kambas, welchen die Weißen El Craneo duro, den harten Schädel, nennen. Hast du einmal von ihm gehört?“

„Nein.“

„Man hat ihm diesen Namen gegeben, weil er einmal acht oder zehn Kolbenhiebe auf den Kopf erhielt und doch nicht an denselben starb. Als die Feinde, welche ihn für tot hielten, sich entfernt hatten, stand er auf, rieb sich den Kopf ein wenig und ging ihnen dann heimlich nach, um sich zu rächen. Sie waren Abipones und sind von seiner Hand getötet worden.“

„So ist er ein Bekannter von dir?“

„Sogar ein Freund. Wir waren bei ihm, und er hat uns oft besucht. Welch ein Glück, daß ich da drüben in unserm Lager das Feuer sah und den Rauch gerochen habe! Ich werde das Leben wagen, um ihn zu befreien.“

„Ich das meinige auch!“ raunte ihm Anton begeistert zu. „Sage nur, wie wir es anzufangen haben. Ich werde alles thun, was du für richtig hältst.“

„Für jetzt hast du nichts zu thun, als still zu sein und dich so hinter deinem Baume zu halten, daß kein Lichtschein auf deinen Körper fällt.“

Die Abipones legten sich in Kreisen so um die Feuer, daß sie denselben ihre Füße zukehrten. Sie hüllten sich in ihre Ponchos, von denen viele zwei Stück besaßen. Der Häuptling war über den Quell zurückgekehrt und legte sich da drüben in derselben Weise nieder. Es hatten sich alle gelagert, die beiden Wächter ausgenommen, von denen der eine hinaus zu den Pferden ging, während der andre langsam auf- und abzuschreiten begann. Er hatte sich gegen den scharf wehenden Wind in seine zwei Decken gehüllt. Die eine trug er wie einen Weiberrock um die Hüften, und in die andre hatte er den Kopf in der Weise gehüllt, daß sie vorn nur die Augen frei ließ und ihm hinten lang über den Rücken herunterhing.

Die Umstände, welche von den beiden mutigen und unternehmenden Jünglingen in besondere Betracht gezogen werden mußten, waren folgende: Sie lagen natürlich nicht ganz unter den vordersten Bäumen. Um auf den Lagerplatz zu kommen, mußten sie zehn bis fünfzehn Schritte gehen. Von den äußersten Bäumen bis zu der Stelle, an welcher die Gefangenen lagen, war es ebensoweit. Der Wächter schritt an den Bäumen, also fast genau zwischen diesen beiden Punkten, hin und her, trat im Verlauf der ersten halben Stunde einige Male zu den Gefesselten, um nachzusehen, ob dieselben eingeschlafen seien. Das Lager war durch den Wald nicht vollständig vor dem Winde geschützt; er blies zuweilen so heftig in die Feuer, daß die Funken aufstoben und auf die Decken der Schläfer fielen. Um dieselben vor dem Versengtwerden oder gar Anbrennen zu bewahren, ging der Posten von Feuer zu Feuer und schob die brennenden Äste und Zweige so zusammen, daß die Flammen bedeutend kleiner und niedriger brannten. Er legte kein neues Material dazu, so daß vorauszusehen war, daß die Feuer bald erlöschen würden. Nur einem von den beiden, zwischen denen die Gefangenen lagen, gab er neue Nahrung, um sein Wächteramt treu ausführen zu können.

Es war fast eine Stunde vergangen, seit die Roten sich niedergelegt hatten. Da wurde Anton das Schweigen doch zu schwer, und er flüsterte seinem Gefährten, welcher während dieser langen Zeit nicht die geringste Bewegung gemacht hatte, zu.

„Ich glaube, sie schlafen jetzt fest, und wir dürfen nicht länger warten. Bedenke, welche Sorgen man drüben bei uns haben wird, wenn man unsre Abwesenheit bemerkt!“

„Man wird nur im ersten Augenblicke bange um uns sein,“ antwortete der Inka; „dann aber wird mein Anciano die andern beruhigen. Er kennt mich und weiß, was er in diesem Falle zu denken hat. Dennoch bin ich mit deinen Worten einverstanden, wir müssen handeln.“

„Hast du dir überlegt, was wir thun werden?“

„Das bedarf keiner Überlegung, sondern es ist ganz selbstverständlich. Ich locke den Wächter hierher.“

„Wie ist das möglich?“

„Es ist möglich.“

„Womit, wodurch?“

„Das wirst du gleich hören. Paß genau auf, ob einer der Schläfer sich bewegt, wenn ich mich vernehmen lasse! Wenn das, was ich vorhabe, vollständig gelingen soll, darf keiner von ihnen munter sein.“

Er legte seine beiden Hände an den Mund und ließ ein leises, müdes Krächzen hören, wie man es wohl von einem Papagei vernimmt, welcher im Schlafe gestört worden ist.

Keiner der Indianer regte sich; aber der Posten blieb stehen, um zu horchen, woher der Ruf kam.

„Sieh, er lauscht,“ flüsterte der Inka. „Wahrscheinlich kommt er her. Hast du etwas gesehen, daß ein Schläfer wach wurde?“

„Nein.“

„Ich auch nicht. Kriech rasch noch um zwei Bäume zurück, und lege dich platt auf die Erde, sonst sieht er dich, wenn er kommt!“

Anton gehorchte dieser Aufforderung, und der Inka ließ das Krächzen zum zweitenmal hören. Der Posten trat näher; beim drittenmal kam er unter die Bäume, und als es sich dann wiederholte, bog er sich zusammen und kam leise und höchst vorsichtig herbeigeschlichen, die Augen mit Spannung auf den Punkt gerichtet, von welchem aus die Töne erschollen waren. Dieser unbefangene Mensch glaubte also wirklich, es mit einem Papagei zu thun zu haben.

Der Inka nahm seinen schweren Streitkolben von der linken Seite und krächzte noch einmal, und als der Posten fast den Stamm erreicht hatte, hinter welchem er sich befand, sprang er blitzschnell hervor und schlug auf ihn ein – ein einziger Hieb, und der Indianer brach zusammen, um sich nicht mehr zu bewegen.

„Mein Gott, du hast ihn erschlagen!“ flüsterte Anton, indem er rasch herbeikam.

„Wahrscheinlich ist er tot; dennoch ist es möglich, daß er noch lebt. Bleib hier bei ihm. Wenn er erwacht, ehe ich zurückkehre, stößest du ihm dein Messer in das Herz. Du hast doch den Mut, dies zu thun?“

„Im Kampfe, ja; aber einem Wehrlosen – – – !“

„Wir befinden uns im Kampfe, und wenn er erwacht, ist er nicht wehrlos. Seine Stimme ist dann eine Waffe, wie es für uns gar keine gefährlichere geben kann. Ich verlange unbedingt, daß du mir gehorchest!“

Der sonst so schweigsame Inka war während ihres abenteuerlichen Ganges ungewöhnlich mitteilsam gewesen, jedenfalls um seinen jungen Gefährten zu belehren. Jetzt zeigte er sich von einer noch andern Seite. Er trat als Herr und Gebieter auf, und obgleich er nur leise sprach, geschah dies doch in einer Weise, welche keine Widerrede duldete.

jetzt nahm er eilends die beiden Ponchos, welche der Posten getragen hatte, und hüllte sich genau in derselben Weise hinein. Dann schritt er langsam und würdevoll unter den Bäumen hinaus und ging dort ebenso wie vorher der Wächter auf und ab. Wer es nicht wußte, was geschehen war, mußte ihn unbedingt für diesen halten.

Anton blieb mit gezogenem Messer bei dem gefallenen Indianer sitzen und beobachtete bald diesen und bald seinen jungen mutigen Freund, dessen jetziges Gebaren er freilich nicht sofort begreifen konnte.

Als Haukaropora eine Zeit lang den Posten nachgeahmt hatte, ging er mit leisen Schritten von einem Feuer zum andern, nicht um sie zu schüren, sondern um die Schläfer zu beobachten. Es war keiner von ihnen wach; dann begab er sich zu den Gefangenen und setzte sich bei ihnen nieder. Sie waren noch wach, denn die Lage, in der sie sich befanden, scheuchte den Schlaf von ihren Augen.

Sie hielten ihn natürlich für den Indianer, welcher sie bewachen sollte, denn er hatte den Poncho so um den Kopf und das Gesicht geschlagen, daß nur seine Augen zu sehen waren. Er kannte auch die roten Begleiter des Häuptlings, den Weißen aber, welcher ein noch ziemlich junger Mann war, hatte er noch nie gesehen. Aus Rücksicht auf diesen letzteren mußte er spanisch sprechen. Dies that er, indem er nach einer Weile den Poncho so weit lüftete, daß man sein Gesicht nicht sehen, aber seine Stimme hören konnte, und sagte in halblautem Tone:

„El Craneo duro ist betrübt; bald aber wird er fröhlich sein. Wenn er mir jetzt antwortet, mag er leise sprechen!“

Der Häuptling hatte halb von ihm abgewendet gelegen; jetzt wendete er ihm das Gesicht voll zu und antwortete, wie ihm geboten war, mit leiser Stimme:

„Was sprichst du zu mir? Willst du mich verhöhnen, indem du freundlich zu uns thust?“

„Es ist nicht Hohn, sondern Aufrichtigkeit. Ihr seid Männer und werdet euch also beherrschen können. Laßt keinen Ton hören, der mich und euch verraten könnte! Ich bin da, um euch zu retten.“

„Du, der Abipone?“

„Ich bin kein Abipone, sondern ich heiße Haukaropora und bin der Sohn deines Freundes Anciano.“

„Du wärst Haukaro – – –“

Der Name blieb ihm vor Verwunderung auf der Zunge hängen.

„Ja, ich bin es,“ fuhr der Jüngling fort. „Überzeuge dich!“

Er öffnete jetzt den Poncho so, daß sein Gesicht vollständig zu sehen war. Der Weiße beobachtete die Scene, ohne sich zu regen, die Cambas erkannten den Inka, der sein Gesicht schnell wieder verdeckte. Sie hätten gern vor Freude aufgejubelt, blieben aber still; doch sagte ein nicht zu beherrschendes Zucken und Bewegen ihrer gefesselten Körper deutlich genug, wie freudig sie überrascht waren.

„Habt ihr mich erkannt?“ fragte er sie.

„Ja, ja,“ stieß der Häuptling hervor, „du bist der Sohn unsres Freundes und selbst unser Freund. Es geschehen große Wunder. Wie kommst du unter die Abipones? Ich habe dich bis jetzt noch gar nicht bemerkt.“

„Ich gehöre nicht zu ihnen und war nicht bei ihnen; ich bin erst seit kurzer Zeit hier im Walde, um diese unsre Feinde zu beobachten. Ich lagerte mit mehr als zwanzig weißen Männern drüben jenseits des Sees und bemerkte eure Feuer. Da schlich ich mich, ohne daß jemand es bemerkte, mit einem jungen Freunde herüber, um zu erfahren, von wem diese Feuer angezündet seien. Ich sah die Abipones, und ich erkannte dich. Da nahm ich mir vor, euch zu befreien.“

„Das ist kühn, außerordentlich kühn! Wo ist denn unser Wächter?“

„Er liegt erschlagen dort unter den Bäumen. Ich habe mich in seine Decken gehüllt, um für ihn gehalten zu werden.“

„Welche Klugheit, welche List! Hast du dein Messer mit?“

„Ja.“

„So schneide uns los; schnell, schnell!“

„Wer zu viel eilt, kommt zu spät an. Ehe ich euch befreie, müßt ihr wissen, was ihr zu thun habt. Ihr habt Zeit. Und wenn jetzt in diesem Augenblicke alle Abipones erwachten, es würde ihnen doch nicht gelingen, einen von euch zurückzuhalten.“

„Du sprichst nur von weißen Männern. Ist Anciano auch dabei?“

„Ja, du weißt, daß ich mich nie von ihm trenne.“

„Und wer sind die Weißen?“

„Der Vater Jaguar führt sie an.“

„Der Vater Jaguar? O, wenn der hier in der Nähe ist, so befinden wir uns nicht mehr in Gefahr.“

„Auch wenn er sich nicht hier befände, wärt ihr jetzt außer Gefahr. Ich zerschneide jetzt eure Banden; aber bleibet trotzdem genau so liegen, wie ihr jetzt liegt!“

Er zog sein Messer hervor und befreite sie in der Weise von ihren Fesseln, daß ein in diesem Augenblick erwachender Abipone doch nicht bemerkt hätte, was vorgenommen wurde. Dabei sprach er weiter:

„Die Feuer verlöschen, und nur dieses eine brennt noch. Wir sehen unsre Feinde nicht mehr genau; sie aber können uns beobachten. Darum müssen wir vorsichtig sein. Ich stehe jetzt auf und gehe wieder an den Bäumen hin und her; auch werde ich nach den Schläfern sehen. Finde ich, daß keiner von ihnen wach ist, so werde ich leise husten, und ihr kommt, einer hinter dem andern, nach der Stelle gekrochen, an welcher ich mich befinde. Unter den Bäumen dort wartet mein junger Freund Antonio. Sind wir bei diesem angelangt, so gehen wir, um die Pferde alle zu holen.“

„Ist nicht ein Wächter dort?“ fragte der Häuptling.

„Ja, einer.“

„Den fürchten wir nicht. Ich habe zwar keine Waffe, aber ich erwürge ihn.“

„Du wirst ihn mir überlassen. Hörst du? Ich will euch ganz befreien; ihr sollt nichts dazu thun. Waffen werdet ihr auch haben. Es gibt hier Lanzen, Bogen, Pfeile und Blasrohre genug.“

Da nahm der Weiße zum erstenmal das Wort:

„Was nützen mir Bogen und Pfeile! Ich möchte mein Gewehr, mein gutes Gewehr haben.“

„Wo ist es?“

„Der Häuptling dort hat es bei sich liegen. Er hat es mir abgenommen. Ich hole es mir.“

„Ich kenne dich nicht und weiß nicht, ob du vorsichtig genug sein kannst. Ich werde es selbst holen.“

Da meinte EI Craneo duro:

„Du darfst diesen Señor nicht Du nennen‘ denn er ist Offizier. Auch ist er im Leben der Wildnis erfahren, und ich versichere dich, daß er sehr wohl im stande ist, sich sein Gewehr selbst zu holen.“

„Und die Patronen dazu,“ ergänzte der Weiße, indem er mit den Zähnen knirschte. „Dieser Hund hat mir auch die Uhr und den Kompaß abgenommen. Er soll keinen Nutzen davon haben!“

„Thun Sie, was Ihnen beliebt,“ meinte der Inka; „nur wecken Sie niemand auf!“

„Wird mir nicht einfallen! Ich habe es nur mit einem zu thun, und der wird länger schlafen, als er, da er sich niederlegte, für möglich gehalten hat. Er hat es gewagt, einen Offizier mit Füßen zu treten!“

Der Inka steckte sein Messer wieder zu sich, stand auf und patrouillierte wieder hin und her. Nach einiger Zeit ging er von Feuer zu Feuer und überzeugte sich, daß alle schliefen. Auch zum Häuptling begab er sich. Dieser schnarchte. Er hatte das Gewehr nicht neben sich liegen, sondern zu sich in die Decke gewickelt.

Darauf schritt der Inka wieder nach der andern Seite, stellte sich an dem Rande der Lichtung auf und klatschte leise in die Hand. Infolge dieses Zeichens kamen sie herbeigekrochen, erst der „Harte Schädel“, dann seine vier Cambas und endlich der Offizier. Der Inka deutete auf die in der Erde steckenden Spieße und sagte zu dem Weißen, als die Cambas sich beeilten, zu den Waffen zu gelangen:

„Ihr Gewehr ist leider nicht zu erlangen. Der Häuptling hat dasselbe zu sich in die Ponchos gewickelt.“

„Unsinn! Ich werde es mir nehmen, ohne ihn darum zu bitten.“

Er eilte davon, ehe es möglich war, ihn zurückzuhalten. Ja, dieser Mann mußte, wie der Häuptling gesagt hatte, sich in der Wildnis bewegt haben! Er glitt unhörbar und doch blitzschnell über den Platz hinüber. Man sah, wie er sich auf den Häuptling warf und daß er eine Minute lang auf ihm liegen blieb. Kein Laut war zu hören. Dann erhob er sich wieder und steckte etwas ein. Hierauf kam er ebenso gewandt herüber, sein Gewehr in der Linken und ein bluttriefendes Messer in der Rechten.

„Ich habe alles wieder, was er mir abgenommen hat!“ sagte er grimmig. „Die Büchse, das Messer, die Uhr, die Munition, alles, alles; dieser Mann tritt keinem Offizier wieder mit den Füßen gegen den Leib. Aber nun weiter! Wo geht es jetzt hin?“

Der Inka schritt ihnen voran, unter die Bäume hinein bis zu Anton, welcher alles mit angesehen hatte. Der niedergeschmetterte Abipone hatte sich noch nicht geregt. Man ließ ihn natürlich liegen. Von hier aus wendete man sich den Weg zurück, den Hauka und Anton gekommen waren, bis man die Glocke der Madrina hörte. Da blieb der Inka stehen und sagte:

„Wartet hier, bis ich den andern Wächter unschädlich gemacht habe!“

„Nicht du! Das ist meine Sache,“ entgegnete der „Harte Schädel“.

„Nein, sondern die meinige!“ fiel der Offizier ein. „Diese Hunde wollten mich morgen im See ersäufen. Nun können sie die Leiche ihres Häuptlings hineinwerfen, und den Posten da bei den Pferden will ich ihnen auch noch liefern.“

Hauka wollte das nicht gelten lassen; aber der grimmige Mensch war bei dem letzten Worte auch schon fort. Die andern warteten und lauschten in die Nacht hinein. Es war nichts zu hören, aber nach höchstens zwei Minuten tauchte er wieder vor ihnen auf und berichtete:

„Es ist gut; der Bursche hat kein Wort dazu gesagt. Nun wollen wir uns Pferde nehmen, für jeden eins.“

„Nein,“ antwortete der Inka. „Wir nehmen alle.“

„Alle? Wie ist das zu machen?“

„Es ist doch eine Madrina dabei, welcher sie folgen werden.“

„Qué pensamiento! Das ist wahr! Dieser Knabe ist kein dummer Kerl; das können wir machen. Also jenseits des Sees lagert der Vater Jaguar? Werdet ihr ihn finden?“

„Ja,“ antwortete der Inka.

„So steigst du auf die Madrina, um voranzureiten, und wir andern treiben die ganze Herde hinterdrein.“

Er hatte etwas Rauhes, Befehlendes, was leicht verletzen konnte, in seiner Ausdrucksweise und seinem Tone. Hauka nahm dies schweigend hin, suchte die Madrina auf, löste ihr den Riemen von den Vorderbeinen, stieg auf und ritt langsam voran. Als die andren Pferde bemerkten, daß ihre Führerin sich in Bewegung setzte, folgten sie ihr sofort. Der Offizier und die fünf Cambas sprangen auf die letzten Tiere, um die Tropa (Herde) zu treiben; Anton aber, welcher selbstverständlich auch ein Pferd bestiegen hatte, hielt sich vorn zu dem Inka. Der Offizier wollte ihm nicht gefallen. In dieser Ordnung ging es um den halben See, und zwar nicht ganz auf demselben Wege zurück, welchen die beiden Jünglinge vorwärts eingeschlagen hatten. Diese waren erst mühsam durch den dichten Wald gegangen; er war bei dieser Finsternis für die Pferde unwegsam, darum wurde er umritten, da man auf diese Weise das Lager auch erreichen konnte.

Dort war nicht alles so still geblieben, wie Hauka und Anton es verlassen hatten. Der Vater Jaguar ließ die Posten alle Stunden ablösen und besaß die Angewohnheit, falls er einmal erwachte, einmal nachzusehen, ob alles in Ordnung sei. So auch heute. Das Zerspringen der Flaschen hatte ihn auf eine jähe Veränderung des Wetters aufmerksam gemacht, und als er sich schlafen legte, war der Himmel schon bewölkt. Die Sorge weckte ihn. Er sah, daß der Himmel ganz schwarz geworden war, und fühlte, daß sich ein eigentümlich scharfer und dabei doch hohler Wind erhoben hatte. Das deutete nach seiner Erfahrung auf einen Orkan, untermischt mit jenen Regenschauern des Gran Chaco, welche so schwer herabfallen, daß sie einen Menschen zu Boden schlagen können.

Was war da zu thun? Hier unter den Bäumen, welche den Blitz anziehen und im Sturme brechen konnten, zu bleiben, war nicht geraten. Aber das Unwetter draußen im offenen Campo oder der ebenso offenen Wüste abzuwarten, das hatte Bedenklichkeiten, welche wenigstens ebenso groß waren. Er rief also die Schläfer wach, um mit ihnen zu beraten, und ließ ein großes Feuer anzünden, damit man sich dabei sehen könne. Da stellte sich denn heraus, daß Anton und der Inka fehlten.

Man rief nach ihnen; aber sie kamen nicht und antworteten nicht. Anton war dem Vater Jaguar anvertraut worden; darum verstand es sich ganz von selbst, daß dieser über das unbegreifliche Verschwinden seines Schützlings in ungewöhnliche Besorgnis geriet. Man stellte allerlei Vermutungen auf, von denen keine sich als stichhaltig erwies, bis der Vater Jaguar auf den sehr natürlichen Gedanken kam, mit Hilfe eines Feuerbrandes nach den Spuren der Vermißten zu suchen. Man wußte ja die Stelle, an welcher sie gelegen hatten.

Ein harziger Ast diente als Fackel. Bei ihrem Scheine entdeckte man, daß die beiden Knaben sich heimlich in den Wald geschlichen hatten. Die Fackel verlöschte, und der Vater Jaguar, Geronimo und Anciano, welche diese Untersuchung vorgenommen hatten, standen im Dunkeln. Sie riefen wiederholt in den Wald hinein, doch ohne eine Antwort zu bekommen.

„Welch eine Unvorsichtigkeit!“ meinte der Vater Jaguar fast zornig. „Ich habe bei unsrer Ankunft gesagt, daß es hier Jaguars geben kann. Wie nun, wenn sie einem solchen in die Klauen fallen! Sie haben ihre Gewehre zurückgelassen, können also gar nicht schießen.“

„Unvorsichtigkeit?“ meinte Anciano. „Hauka ist nicht unvorsichtig. Er weiß stets, was er thut und warum er es thut. Und daß er seine Waffen nicht mitgenommen, beweist nur, daß er sie für überflüssig oder hinderlich gehalten hat.“

„Überflüssig sind sie in einer solchen Nacht niemals,“ bemerkte Geronimo.

„Aber hinderlich,“ fiel Anciano ein. „Hinderlich sind sie beim Gehen durch den Wald, bei einem heimlichen Schleichen an den Feind, bei – –“

„Beim Schleichen an den Feind?“ unterbrach ihn der Vater Jaguar. „Das ist’s, das ist’s! Die verwegenen Knaben wollen ein Abenteuer haben, welches ihnen das Leben kosten kann. Wir müssen sofort aufbrechen, um das zu verhindern.“

„Das Leben kosten? Wieso? Vermuten Sie denn, wo sie sind?“

„Ich vermute es nicht nur, sondern ich weiß es sogar. Schaut einmal da rechts über den See hinüber! Da gibt es eine Art Dämmerschein. Da brennt ein Feuer. Das haben die Knaben gesehen, und in ihrer jugendlichen Unbedachtsamkeit sind sie hinüber, um einmal so zu thun, als ob sie Männer seien.“

„Ja, dort gibt’s ein Feuer,“ stimmte Anciano bei. „Es ist wirklich möglich, daß sie hinüber sind. Aber wenn dies der Fall ist, so brauchen wir uns nicht zu sorgen. Mein Hauka ist außerordentlich vorsichtig. Ich kann ihm vollständig vertrauen.“

„Das weiß ich freilich auch. Er ist erfahrener und vorsichtiger als mancher erwachsene Mann; heute aber hat er Anton mit, für dessen Wohlergehen ich zu haften habe, und – –“

Er hielt inne. Sie hatten während dieses Gedankenaustausches den Lagerplatz wieder erreicht, und soeben ließ sich unweit von demselben ein heftiges Pferdegetrappel vernehmen. Dann sah man zwei Gestalten, welche, aus dem Finstern tretend, sich dem Feuer mit raschen Schritten näherten. Es waren die beiden Vermißten.

„Sie suchen uns? Da sind wir,“ rief Anton mit lachendem Gesichte dem Vater Jaguar entgegen, während der Inka still an die Seite seines Anciano trat, als ob es ihm gar nicht einfalle, sich für die Hauptperson des letzten Ereignisses zu halten.

„Ja, da seid ihr! Gott sei Dank, das sehe ich! Aber wo seid ihr denn gewesen?“

„Drüben bei den Abipones.“

„Bei den Abi – – – ? Es sind also welche da drüben?“

„Ja.“

„Und da habt ihr es gewagt, ohne meine Erlaubnis – – –“

„Sechs Gefangene zu befreien und eine ganze Herde von Pferden zu kapern,“ fiel eine Stimme ein.

Der Vater Jaguar drehte sich um und erblickte den Sprecher, welcher jetzt auch hinzugetreten war. Er trat einen Schritt zurück und rief aus, indem er die Stirn leicht in Falten zog:

„Sie, Lieutenant Verano? Wie kommen Sie an die Zwillingsquelle?“

„Wie ich überall hinkam, wo ich gewesen bin, zu Fuße oder im Sattel, Señor.“

„Sie wissen, daß ich auf meine Frage eine andre Antwort erwartete. Ich will also jetzt lieber eine zweite Frage thun: wohin werden Sie von hieraus gehen?“

„Wieder hinüber zu den Abipones, um sie zu züchtigen. Natürlich begleiten Sie mich mit Ihren Leuten. Es darf keiner von diesen Hunden am Leben bleiben!“

„Sie finden meine Begleitung so sehr natürlich? Ich nicht.“

„Es ist ja selbstverständlich, daß Sie mir beistehen müssen.“

„Selbstverständlich? Müssen? Ich sage Ihnen, daß ich niemals muß. Aber wen haben wir denn noch da?“

Sein Gesicht heiterte sich auf. Er sah den „Harten Schädel“ kommen, welcher schnell auf ihn zutrat, ihm die Hand reichte und in ehrfurchtsvollem Tone, aber schlechtem Spanisch antwortete:

„Ich bin es, Señor. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie sehr ich mich freue, Sie zu sehen. Sie wissen das, ohne daß ich es Ihnen sage. Nun Sie hier sind, brauchen wir uns nicht zu fürchten.“

„Vor wem?“

„Vor den Abipones, welche sich vorbereiten, von allen Seiten auf uns einzudringen.“

„Ich habe etwas Ähnliches gehört und denke, daß es nicht so schlimm werden wird, wie es den Anschein hat. Du warst heute mit Lieutenant Verano zusammen?“

„Ja, Señor, ich und noch vier von meinen Leuten, welche sich jetzt draußen am Walde bei den Pferden befinden, die wir mitgebracht haben. Wir sechs fielen heute früh den Abipones in die Hände, welche uns nach der Zwillingsquelle schleppten, um uns morgen im See zu ersäufen. Haukaropora und der andre Knabe haben uns errettet.“

„Diese beiden? Wie ist – –“

Er hielt mitten in der Frage inne, denn er sah, daß der dunkle Himmel im Süden eine Stelle zeigte, welche eine ganz eigenartige schwefelgelbe Farbe angenommen hatte. Dann fuhr er hastig fort:

„Wie viele Abipones befinden sich da drüben?“

„Sieben- oder achtmal zehn,“ antwortete der Häuptling. „Und gerade so viel Pferde haben wir mitgebracht, denn wir nahmen ihnen alle weg, sie liefen der Madrina nach.“

„Das ist ein Abenteuer, welches ich mir sofort ausführlich erzählen lassen möchte; aber wir haben nicht die Zeit dazu. Häuptling, siehst du im Süden den gelben Strich, und weißt du, was er bedeutet?“

Der Gefragte antwortete:

„Ich habe ihn schon längst gesehen, Señor. Es naht ein Hurrican, welcher die Wälder zerbricht und das Feuer in großen Ballen vom Himmel wirft. Auch die Pferde fühlen es; sie werden unruhig und wollen nicht stehen.“

„Ja, wir befinden uns in Gefahr. Bleiben wir, so können wir von den Bäumen zerschmettert werden; gehen wir fort, so rollt uns der Orkan wie Sandkörner über den Campo. Ich kenne die Gegend nicht. In zwei Stunden wird der Sturm losbrechen. Wir müssen uns also schnell entscheiden.“

„Ich kenne die Gegend, Señor. Wir werden reiten, und wenn wir uns beeilen, werden wir uns noch vor dem Ausbruche des Hurricans in Sicherheit befinden.“

„Wo soll unser Zufluchtsort sein?“

„Im Asiento de la mortandad

„Welch ein schlimmer Name. Ich habe ihn noch nie gehört, weil ich in dieser Gegend noch nicht über die Zwillingsquelle hinausgekommen bin. Doch darüber später. Du glaubst also, daß wir diese Ansiedelung noch vor Ausbruch des Sturmes erreichen?“

„Ja.“

„Und kennst den Weg?“

„Ich war mehr als hundertmal dort, und auch meine Leute kennen ihn.“

„Ob ihr ihn aber in dieser Dunkelheit finden werdet?“

„Wir verfehlen die Richtung nicht, Señor. Sie wissen ja auch, daß es nicht mehr lange so finster bleiben wird, wie es jetzt ist. Der Himmel wird voll Feuer werden.“

„Das ist wahr. Rüsten wir also zum schleunigen Aufbruche. Nehmt besonders die Gewehre in acht, daß sie nicht leiden!“

Nach diesen Worten ließ er sich von dem „Harten Schädel“ hinaus zu den erbeuteten Pferden führen, welche von den vier Cambas kaum zusammengehalten werden konnten, da sie die Annäherung des Unwetters spürten.

So viele Pferde bekommen zu haben, war eigentlich ein Vorteil, welcher später sehr günstig in die Wagschale fallen konnte; in diesem Augenblicke aber hätte der Vater Jaguar lieber auf denselben verzichtet. Sie waren zwar aufgezäumt, aber nicht gesattelt; man konnte sie also nicht mit den Gegenständen beladen, die man mit sich schleppen mußte. Darum entschied er kurz:

„Wir nehmen sie mit, geben uns aber keine Mühe mit ihnen. Laufen sie gutwillig, kann es uns lieb sein; wo aber nicht, so mögen sie thun, was sie wollen.“

Sechs von ihnen wurden von den Cambas und dem Lieutenant Verano bestiegen, und diese Männer erklärten sich bereit, jeder noch zwei an den Zügeln nebenher zu führen. Als der letztere die Gewehre bemerkte, welche die Leute des Vaters Jaguar aufgeladen hatten, fragte er, woher dieselben seien.

„Wir haben sie ausgegraben,“ antwortete Geronimo.

„Wo?“

„Unterwegs, an verschiedenen Orten.“

„Tiempo tonitroso! So sind es die, welche ich suche! Ich konfisziere sie!“

„Aus welchem Grunde?“

„Sie gehören uns. Sie sind aus dem Zeughause gestohlen worden.“

„Wirklich? Das klingt wie ein Kindermärchen. Erzählen Sie es dem Vater Jaguar; der wird Ihnen die Antwort geben, welche ich doch lieber unausgesprochen lassen will.“

„Glauben Sie meinen Worten etwa nicht, Señor?“

„Ich glaube alles, was ich sehe. Bringen Sie mir das Zeughaus und die Spitzbuben hierher, so werde ich sehen, was ich zu denken habe. Übrigens haben wir jetzt auf andres zu achten. Horchen Sie da hinüber!“

Er deutete mit der Hand in der Richtung über den See. Dort war jetzt ein durchdringendes Geheul zu hören. Die Abipones hatten ihren Toten und den Verlust ihrer Pferde entdeckt. Der Vater Jaguar konnte nicht auf sie achten, denn die Gefahr drängte. Er ließ das Feuer auslöschen, und dann wurde der nächtliche Ritt mit den fünf Cambas an der Spitze begonnen.

Es zeigte sich im Verlaufe desselben, daß sie des Weges vollständig kundig waren. Sie hielten genau nach Norden zu, wo der Vater Jaguar eine weite, ununterbrochene Wüste zu finden gedacht hätte. Man ritt nicht Galopp, sondern in vollstem Laufe, und brauchte sich um die ledigen Pferde der Abipones gar nicht mehr zu bekümmern, denn sie kamen freiwillig mit. Ihr Instinkt sagte ihnen, daß das Wetter aus Süden drohe und die Rettung also im Norden zu suchen sei.

Als man nach einer halben Stunde, um die Pferde nicht zu sehr anzugreifen, eine etwas langsamere Gangart einhielt, war der gelbe Streifen am südlichen Himmel schon bedeutend breiter geworden; sein unterer, breiter Teil begann rot zu flammen. Die Folge davon war, daß die Dunkelheit der Nacht weniger tief war als ‚ vorher. Nach Verlauf von abermals einer halben Stunde hatte der gelbe Streifen mit seiner Basis die ganze Breite des südlichen Horizontes eingenommen und bildete mit seiner bis an den Zenith reichenden Spitze ein Dreieck, in dessen Mittelpunkte sich ein dunkler Fleck zeigte. Dieses Dreieck war so hell, daß unten eine Art von Dämmerung entstand, bei welcher man mehrere hundert Schritte weit ziemlich deutlich sehen konnte.

„Das ist das Loch, aus welchem der Sturm kommen wird,“ sagte der Vater Jaguar, indem er auf den dunklen Fleck deutete, zu Doktor Morgenstern, der mit Fritze ihm zur Seite ritt.

„Wird er gefährlich werden?“ antwortete der Genannte.

„Ob für uns, das kann ich nicht wissen; aber Schaden anrichten wird er sicherlich. So ein Orkan türmt die Wogen bergeshoch auf, reißt große Lücken in die dichtesten Wälder und wirft die festesten Häuser ein.“

„Und da wollen wir uns vor ihm in eine Ansiedelung, also in Häuser, flüchten? Daß sich Gott erbarm! Er wird sie uns über dem Kopf zusammenstürzen, und wir werden unter den Trümmern unsern unvermeidlichen Untergang, lateinisch Exitium genannt, finden.“

„Eigentlich sollte man das freilich denken; aber ich verlasse mich auf den Häuptling, welcher nicht nur die Gewalt des Orkanes, sondern auch die Verhältnisse unsres Zufluchtsortes kennt.“

„Wat können uns die Verhältnisse nützen, wenn sie vom Sturm umjeworfen werden,“ meinte Fritze. „Ik habe schon manchen Pampero mit erlebt; aber so ein Hurrican soll noch wat janz andres sind. Ik jebe in diesem Augenblick vor mein Leben keinen roten Pfifferling. Sehen Sie Ihnen doch mal dat Himmelsjewölbe an! Ist dat noch Himmel zu nennen? Nein, wie die reine Hölle sieht es aus. Allen Respekt vor ein schönes Firmament; aber wenn es sich mit Kupferrot und Schwefeljelb überzieht, so kann’s mich bange werden. lk habe auch kein Vertrauen zu die Ansiedelung. Ansiedelung von die Niedermetzelung! Wat haben wir dort zu erwarten? Wat Besseres wohl nicht!“

Es war gar kein Wunder, daß selbst Fritze ein Grauen verspürte, der komische Kauz, welcher sich sonst nicht so leicht aus der Fassung bringen ließ. Der Himmel sah jetzt wirklich höllisch aus. Das Dreieck wuchs immer weiter nach Norden und wurde an seiner Grundfläche breiter und breiter. Dieselbe nahm, als man anderthalb Stunden geritten war, schon die Hälfte des Horizontes ein.

Bei dem jetzt herrschenden Dämmerscheine war zu sehen, daß der Ritt über eine mit kurzem Grase bewachsene Fläche ging, welche sich hier und da zu niedrigen Hügeln erhob. Diese wurden nach und nach häufiger und höher. Meist waren sie von sanft abgerundeter Gestalt, doch kam man auch an einigen vorüber, welche schroffe Felsenbildung zeigten.

„Das beruhigt mich,“ sagte der Vater Jaguar. „Den besten Schutz können wir an der Nordseite eines festen Felsens finden. Und da ein jeder, der sich hier niederläßt, mit den Verhältnissen des Landes, also auch mit den verheerenden Stürmen zu rechnen hat, so steht zu erwarten, daß die Ansiedelung, welcher wir entgegeneilen, an einer so geschützten Stelle angelegt worden ist.“

Es sollte sich bald zeigen, daß er ganz richtig vermutet hatte. Man gelangte zwischen Hügeln hindurch in ein breites Thal, welches auf der südlichen Seite von einer hohen Felsenmauer und auf der nördlichen von sanften, bewaldeten Höhen eingefaßt wurde. Auf der Sohle desselben wuchs niedriges Gebüsch und reiches Gras, und in der Nähe der Felsen standen sechs einzelne Gebäude, welche die frühere Niederlassung gebildet hatten.

Solche Ansiedelungen hat es im Gran Chaco früher viele gegeben. Man stößt noch heutigen Tages auf die Trümmer derselben. Die Weißen kamen in das Land der Roten, setzten sich in demselben fest und benahmen sich als rechtmäßige Eigentümer, ohne an die Zahlung eines Kaufpreises oder an sonst eine Entschädigung zu denken. Sie suchten sich natürlich die besten, schönsten und fruchtbarsten Stellen aus und schossen jeden Roten, der es wagen wollte, ihnen ihr angemaßtes Recht streitig zu machen, einfach nieder. Da aber der Nachschub ausblieb, so waren solche einzelnen Ansiedler doch zu schwach, sich längere Zeit oder gar für immer gegen die zahlreicheren Indianer zu halten, und so zogen sie sich entweder noch rechtzeitig zurück oder wurden, wenn sie hartnäckig auf der geraubten Scholle sitzen blieben, ausgerottet. Das angebaute Land verwilderte wieder. Der Wind wehte die Pflanzensamen in die Gebäude; die Keime entwickelten sich zu Sträuchern und Bäumen, welche die Mauern und Dächer sprengten. Schlinggewächse krallten sich an den Ziegeln und Balken fest und überzogen sie mit einer dicken, feuchten Blätterdecke, unter welcher sie vermoderten und nach und nach in Staub zerfielen.

In dieser Weise ruinenhaft lag die „Ansiedelung der Niedermetzelung“ nun freilich nicht da. Sie war von neuerem Datum und außergewöhnlich gut erhalten. Die Wände der Gebäude bestanden nicht aus dem hier gewöhnlichen Materiale, sondern aus festen Holzstämmen, welche tief in die Erde gerammt worden waren. Die Dächer waren aus dicken Schilflagen zusammengesetzt, welche von Bastseilen von bedeutender Stärke getragen wurden. Diese Seile hatten ebenso wie das Schilf der Witterung widerstanden. Infolge ihrer Elastizität gaben sie jedem Windstoße nach, so daß selbst der wildeste Orkan, welchem kein Dach widerstanden hätte, ihnen nichts anzuhaben vermocht hatte. Die Plankenwände hatten dieselbe Widerstandsfähigkeit gezeigt. Sie waren zwar auch reich mit Schlinggewächsen und andern Pflanzen überwuchert, von ihnen aber nicht zerstört, ja kaum angegriffen worden, vielmehr hatten diese eine lebendige, dicke Schutzmauer gebildet, durch welche kein Wind und Regen zu dringen vermochte. Fenster gab es nicht, und die Eingänge waren nicht mit Thüren versehen. Vor und zwischen diesen Gebäuden standen Sträucher, aus denen sich uralte Bäume erhoben. Diese hatten manchen Sturm erlebt, wie die am Boden liegenden starken Äste bewiesen, welche abgerissen worden und dann verdorrt waren.

Als die Reiter um die Felsenecke bogen und die sechs Gebäude liegen sahen, rief der Häuptling der Cambas, ihr Führer, aus:

„Wir sind an Ort und Stelle, Señores. Laßt die Pferde laufen, und dann schnell unter die Dächer; der Hurrican kann uns dort nichts anhaben!“

„Nein, nicht so!“ widersprach der Vater Jaguar. „Wer sich vor Schaden bewahren will, der höre auf mich! Haltet hier beim ersten Hause an! Ich kehre gleich zurück.“

Er galoppierte an den Gebäuden hin und dann wieder her, um mit dem Auge ihre Länge und Tiefe zu messen und daraus zu berechnen, wie viele Personen oder Pferde ein jedes aufnehmen könne. Dann fuhr er fort:

„Die Pferde dürfen wir nicht freilassen: sie würden im Orkan davonlaufen. Sie müssen mit in die Häuser. Diese aber müssen erst gereinigt werden.“

„Wovon denn?“ fragte Lieutenant Verano.

„Das können Sie sich nicht denken? Sie sollen es sogleich sehen.“

Er beorderte hinter jedes Gebäude einige seiner Leute und gab ihnen den Auftrag, dort zu schreien, zu lärmen und mehrere Schüsse abzugeben. Als dieser Befehl ausgeführt wurde, sah man, was der Vater Jaguar mit dieser Reinigung gemeint hatte. Der Dämmerschein war hell genug, um allerlei Getier erkennen zu lassen, welches durch das Lärmen und Schießen aufgeschreckt worden war und nun aus den Thüröffnungen hervorgeschossen kam; sogar ein Puma war dabei.

„Nun sind höchstens noch Schlangen darin, vor denen wir uns zu hüten haben,“ bemerkte der umsichtige Anführer. „Treibt zunächst die Pferde in die vier nächsten Gebäude! In den zwei andern finden dann wir Unterkunft. Nachher das dürre Holz gesammelt, damit wir Feuer machen können; aber schnell, denn das Unwetter scheint losbrechen zu wollen!“

Starke Windstöße begannen durch das Thal zu pfeifen; sie brachten große, schwere, jetzt noch vereinzelte Wassertropfen mit sich. Die Männer waren fieberhaft thätig; in kaum zehn Minuten waren die Befehle Hammers ausgeführt. Die Pferde, welche sogar noch abgesattelt worden waren, standen in den Räumen, und diejenigen Männer, welche bei ihnen waren, um sie zu beaufsichtigen, brannten Feuer im Innern in der Nähe der Thüren an. Feuer brannten auch in den zwei Gebäuden, welche zur Aufnahme der übrigen Personen bestimmt waren. Dort hinein war auch alles Gepäck geschafft worden, welches die Schar bei sich geführt hatte. Aber es war die höchste Zeit gewesen, daß man damit zu stande gekommen war, denn jetzt brach das Wetter, als ob es nur darauf gewartet hätte, mit einer Gewalt los, welche aller Beschreibung spottete.

Der vorher gelbhelle Himmel hatte sich mit einem Schlage schwarz gefärbt; ein Ächzen, Stöhnen, Dröhnen und Heulen wie von tausend Teufeln ging durch das Thal; der Orkan war da; die Gebäude zitterten unter seiner Gewalt; sie schienen sich zu biegen, wurden aber durch ihre Elastizität gehalten, und dann that es plötzlich einen Krach, als ob ein Berg eingestürzt sei. Das war der Regen, welcher mit einem Male, und zwar nicht in Tropfen, sondern in geschlossener Masse wie ein See herniederstürzte.

Dieser Regen ergoß sich mit dem Getöse eines großen Wasserfalles, wurde aber dennoch von der Stärke der Donnerschläge übertönt. Blitze zuckten durch die tiefdunkle Nacht oder vielmehr durch den Regensee, und auch das Wort Blitze ist nicht der richtige Ausdruck, denn es waren Feuerflammen, welche aus der Erde aufzuckten, und Feuerklumpen, welche aus den Wolken niederfielen. So ging es Schlag auf Schlag, Krach auf Krach, Feuerball auf Feuerball, eine ganze Stunde lang und auch noch eine zweite. Es war ganz unmöglich, sich zu unterhalten, denn niemand konnte sein eigenes Wort verstehen. Die Männer saßen still am Boden, welcher aus festgestampfter Erde bestand, und konnten sich nur durch Pantomimen die nötigen Mitteilungen machen.

Noch schlimmer aber waren diejenigen daran, welche sich bei den Pferden befanden. Die Tiere hatten natürlich nicht angebunden werden können; soweit die vorhandenen Riemen, Stricke und Schnuren zureichten, hatte man ihnen die Beine gefesselt; aber dies war nicht bei allen geschehen, und so gab es außer dem Schnauben und Wiehern ein Stampfen, Schütteln und Umsichschlagen, welches ganz wohl lebensgefährlich genannt werden konnte.

Jetzt gab es noch einen entsetzlichen Donnerschlag, den stärksten von allen, aber auch den letzten; Himmel und Erde schienen nicht nur in Flammen zu stehen, sondern ein einziges Feuermeer zu bilden; dann trat eine Stille ein, welche so plötzlich kam, daß sie geradezu unheimlich wirkte. Keiner wagte ein Wort zu sagen; die meisten glaubten, daß der Aufruhr der Elemente nur einen Augenblick ausgesetzt habe, um sofort wieder zu beginnen; dem war aber nicht so. Der Vater Jaguar stand von dem Platze auf, an welchem er gesessen hatte, ging an dem Feuer vorüber nach der Thür, sah hinaus, wo die Wasser wie ein einziger, thalbreiter Fluß vorüberrauschten, und meldete dann:

„Es ist vorüber. Der Himmel steht voller Sterne. Gott sei Dank!“

„Ja, Gott sei Lob und Dank!“ seufzte Doktor Morgenstern erleichtert auf, indem er sich mit beiden Händen über das todesbleiche Gesicht wischte. „So etwas habe ich doch noch nicht erlebt. Ich habe eine Angst ausgestanden, welche gar nicht zu beschreiben ist. Da war doch jeder Donnerschlag ein Gebrüll, lateinisch Rugitus oder auch Mugitus geheißen, und jeder Blitz eine Feuersbrunst, Incendium, welche alles zu verzehren drohte!“

„Ja, dat ist wahr,“ stimmte Fritze bei. „Mir wundert es nur, daß wir nicht erschlagen worden sind, da wir bei dat Wetterleuchten und die vielen Blitze auch noch sechs Feuer jebrannt haben!“

„Allerdings! Die Wissenschaft hat bewiesen, daß der Blitz vom Feuer angezogen wird. Es ist ein wahres Wunder, daß es hier nicht eingeschlagen hat.“

„Das war nicht wohl zu befürchten, da der Wald da droben ein sehr guter Blitzableiter war,“ bemerkte der Vater Jaguar. „Nun aber will ich sogleich einmal nach den Pferden sehen, ob sie sich beschädigt haben.“

Er ging hinaus und hatte bis an die Knie im Wasser zu waten, wo es vorher ganz trocken gewesen war. Die Tiere ließen zwar noch Zeichen von Unruhe sehen, standen aber still an ihren Plätzen. Nennenswerte Beschädigungen waren nicht zu bemerken. Einen so guten Ausgang hatte man kaum erhoffen dürfen.

Als er von dieser Besichtigung zurückkehrte, stand Lieutenant Verano gerade im Begriff, sein Abenteuer zu erzählen. Als dieser Hammer kommen sah, wendete er sich ihm mit den Worten zu:

„Sie kommen gerade recht, Señor, um zu hören, welche Ansprüche ich an die Gewehre habe, welche Sie sich angeeignet haben.“

„Angeeignet? Daß ich nicht wüßte! Ich habe sie in einstweilige Verwahrung genommen,“ antwortete der Deutsche in sehr zurückhaltender Weise.

„Mit welchem Rechte, wenn ich fragen darf?“

„Sie sagen ganz richtig: wenn ich fragen darf. Welches Recht haben Sie, mich zu fragen?“

„Ich bin der Beauftragte des Generals Mitre.“

„Das würde ich gelten lassen, falls Sie es beweisen könnten.“

„Welche Beweise verlangen Sie?“

„Eine schriftliche Vollmacht.“

„Welche Zumutung! Meinen Sie, daß man solche Schriftstücke mit sich im Gran Chaco herumschleppt?“

„Das ist allerdings notwendig, wenn man als Bevollmächtigter anerkannt werden will.“

„Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, Señor. Das wird doch hoffentlich genügen,“ fuhr Verano zornig auf. „Oder etwa nicht, dann – – –“

Er machte mit der Hand eine drohende Bewegung nach dem Messer.

„Lassen Sie das Ding stecken! Wer mir die Klinge zeigt, bekommt meine Faust zu fühlen. Ich erkläre Ihnen ganz gern, daß mir Ihr Ehrenwort genügt, denn Sie sind zwar ein höchst gewaltthätiger Mann, aber daß Sie sich einer ehrenrührigen Handlung schuldig gemacht hätten, das habe ich noch nicht gehört.“

„So sind wir also einig?“

„Ja und auch nein. Verstehen Sie mich nur richtig. Zu glauben, daß Sie der Bevollmächtigte des Generals sind, dazu genügt mir Ihr Ehrenwort allerdings. Welche Vollmacht aber haben Sie erhalten?“

„Nach den abhanden gekommenen Gewehren zu forschen.“

„Sind sie gestohlen worden?“

„Ja.“

„Nun, und wenn Sie den Dieb entdecken?“

„So habe ich Bericht zu erstatten.“

„Und dann?“

„Dann – –? Nun, dann wird der General das weitere verfügen.“

„Schön! jetzt sind wir freilich einig. Sie haben nach gestohlenen Gewehren zu forschen, im Entdeckungsfalle Bericht zu erstatten, und dann das weitere abzuwarten. Ich habe Gewehre gefunden; ob diese aber diejenigen sind, welche – –“

„Bitte, Señor!“, unterbrach ihn der Lieutenant, „sie sind es. Während Sie jetzt fort waren, habe ich mir eine Anzahl derselben angesehen. Es sind dieselben, welche heimlich aus dem Zeughause fortgeschafft worden sind. Der General hat selbst den Verlust entdeckt und sofort, ohne daß jemand davon erfuhr, die eingehendsten Nachforschungen anstellen lassen. Was sich ergab, mußte überraschen. Höchst wahrscheinlich hat der Zeugmeister sich bestechen lassen. Er gab mehrere hundert Gewehre nebst reichlicher Munition in die Hände von Leuten, welche einen Aufruhr planen. Wer an ihrer Spitze steht, war noch nicht zu erfahren; gewiß aber ist, daß der Stierfechter Antonio Perillo dabei die Hand im Spiele hat. Dieser Mann ist kurz nach dem Diebstahle, also vor einigen Monaten, mit Arbeitern und Werkzeugen und Waffen nebst Schießbedarf über den Rio Salado gegangen und später nur mit den Arbeitern und Werkzeugen zurückgekehrt. Er hat die Waffen nicht verkauft oder verteilt, sondern vergraben. Wozu hätte er sonst Spaten und Schaufeln mitgenommen? Man wollte und mußte erfahren, wo dies geschehen ist.

Und da ich den Chaco kenne und zugleich Offizier bin, wurde mir der Auftrag, auch über den Salado zu gehen, um nachzuforschen. Die Abipones sind gegenwärtig regierungsfeindlich gesinnt; an sie durfte ich mich also nicht wenden; ich suchte also die Cambas auf und traf den Häuptling mit vier Kriegern, von denen der eine zur angegebenen Zeit weiße Männer an der Zwillingsquelle gesehen hatte. EI Craneo duro war sofort bereit, mit mir nach diesem Orte zu reiten. Unterwegs trafen wir auf eine Schar von über achtzig Abipones, welche, wie mir der Häuptling sagte, vom Palmensee zu kommen schienen. Sie behandelten uns feindlich; ich wehrte mich und schoß einige von ihnen tot, wurde aber mit meinen Begleitern überwältigt, entwaffnet, ausgeraubt und nach der Quelle geschafft, wo wir heute früh ertränkt werden sollten. Diese beiden Knaben hier haben uns gerettet. Ich hörte, wo Sie die Waffen gefunden haben, und da dieselben unbedingt die gesuchten sind, bin ich überzeugt, daß Sie mir dieselben ausliefern werden.“

„Nein, Señor, das werde ich nun doch nicht thun. Berichten Sie an den General; was dieser dann bestimmt, das wird geschehen. Zunächst könnten Sie weder die Gewehre noch die Munition verwerten; ich aber brauche sie höchst notwendig.“

„Wozu?“

„Um die Cambas zu bewaffnen und mit ihrer Hilfe die Feinde des Generals zu schlagen. Ich weiß nämlich mehr als Sie wissen, und werde es Ihnen mitteilen.“

Er erzählte ihm das bisher Erlebte. Als er das gethan hatte, war der zwar rohe und gewaltthätige, aber höchst patriotische Offizier mit Freuden bereit, auf seine Forderung zu verzichten. Er bat, sich der Schar anschließen zu dürfen, was ihm auch gewährt wurde, doch unter der Bedingung, daß er sich dem Vater Jaguar unterzuordnen habe.

Als dies erledigt war, wollte Hammer die Heldenthat der beiden Jünglinge kennen lernen. Haukaropora weigerte sich in seiner Bescheidenheit, zu erzählen, folglich mußte Anton Engelhardt den Bericht erstatten. Er that dies in der Weise, daß die Klugheit, die Umsicht und die Tapferkeit des Inka vollständig zur Geltung kamen. Er wurde nicht nur belobt, sondern sogar bewundert, doch bat ihn der Vater Jaguar, ein andres Mal erst ihn um Rat zu fragen. Der Offizier aber bekam einen Verweis dafür, daß er zwei Menschen ohne Not getötet hatte. Während man die Heldenthat der beiden jungen Freunde noch besprach, zog der alte Anciano seinen Zögling auf die Seite, umarmte ihn und sagte, unbedachtsamerweise in spanischer Sprache:

„Du bist ein Held und hast gezeigt, was du bist, el Hijo del Inka!“

Hammer stand nahe dabei, hörte diese Worte und sagte im stillen zu sich:

„Ah! Also hat meine Ahnung mich nicht getäuscht. Das Dunkel wird schon heller. Er ist ein Nachkomme der alten Herrscher von Peru – – el Hijo del Inka, der Sohn des Inka!“

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