Die Gigantochelonia

Es war ungefähr vierzehn Tage später, als ein aus Rozario kommender Dampfer an der Landestelle von Santa Fe anlegte. Die Gehbretter wurden ausgeworfen, und die Passagiere beeilten sich, an das Land zu kommen. Am Ufer gingen mehrere Offiziere auf und ab, denen bei der Leblosigkeit der innern Stadt die Landung der Fremden ein willkommenes Schauspiel bot.

Die letzten beiden an das Land Gehenden waren zwei kleine Gestalten, als Gauchos ganz in Rot gekleidet und zwar so ähnlich, daß man sie in Beziehung auf ihre Anzüge sehr leicht hätte verwechseln können. Sie trugen beide auch genau dieselben Waffen, nämlich jeder ein Gewehr, zwei Revolver, deren Griffe aus dem Gürtel blickten, und ein Messer. Als die Offiziere diese zwei Männer erblickten, schienen sie sehr überrascht zu sein. Einer von ihnen, ein Kapitän, sagte zu den andern:

„Was ist das? Da kommt Coronel (Oberst) Glotino, und zwar verkleidet! Will er unerkannt bleiben, oder machen wir ihm die Honneurs?“

„Warten wir ab, ob er uns beachtet,“ meinte ein Oberlieutenant.

Die beiden Roten kamen langsam näher und zwar gerade auf die Offiziere zu. Diese schlugen also die Füße sporenklirrend zusammen und erhoben die Hände zum Salut.

Buenos mañanas – guten Morgen!“ dankte der kleine Gelehrte, denn dieser war es, indem er Zeig- und Mittelfinger seiner rechten Hand an die Hutkrempe legte. Sein Begleiter, Fritz Kiesewetter aus Stralau, that dasselbe. „Schönes Wetter heute, Señores. Nicht?“

„Allerdings, mein Oberst,“ antwortete der Hauptmann. „Euer Gnaden haben eine gute Fahrt gehabt. Werden der Herr Oberst heute hier bleiben?“

„Vielleicht.“

„Befehlen Euer Gnaden die Dienstwohnung?“

„Ich befehle nichts.“

„Ich verstehe,“ nickte der Hauptmann verständnisinnig. „Aber die Wohnung steht trotzdem zur augenblicklichen Verfügung.“

„Schön! Ich nehme sie gern an.“

„Erlauben der Herr Oberst, Sie zu begleiten?“

„Ich erlaube es gern, bin aber nicht Oberst.“

„Zu Befehl! Wir begreifen! Diplomatische Sendung oder vielleicht auch gar private militärische Inspektion. Welchen Charakter dürfen wir Euer Gnaden erteilen?“

„Sie meinen, welchen Namen? Ich bin Zoolog und heiße Doktor Morgenstern aus Jüterbogk.“

„Ganz recht! Je fremder und unaussprechlicher die Namen, desto tiefer und undurchdringlicher ist das Inkognito. Und dieser Señor neben Euer Gnaden?“

„Ist Fritz Kiesewetter, mein Diener, aus Stralau am Rummelsburger See.“

„Das ist noch unaussprechlicher, also noch undurchdringlicher. Gestatten Euer Gnaden, nach dem Cuartel!“

Die Gruppe setzte sich in Schritt, voran der Gelehrte, zu seiner Linken, respektvoll einen Schritt zurück, der Hauptmann, hinter ihnen Fritz Kiesewetter mit den andern Offizieren zu beiden Seiten.

Das Cuartel von Santa Fé war ein noch aus der alten spanischen Zeit stammendes, mehrstöckiges Gebäude mit Turm. Die Fenster und selbst die Balkone waren mit starken Eisengittern versehen. Vor der Fassade dieses Gebäudes standen einige Kanonen; Soldaten standen oder saßen vor den Thüren, und zahlreiche Arrestanten schauten durch die vergitterten Fenster.

„Sapperlot!“ meinte der Gelehrte in deutscher Sprache zu seinem Diener. „Das ist ja ein Gefängnis. Hält man uns etwa für Räuber und Diebe, was der Lateiner einen Expilator und Vulturius nennt?“

„Det jloobe ick nicht,“ antwortete Fritz. „Nach sonne freundliche und höfliche Empfänglichkeit werden sie uns doch nich insperren! Ick bin vielmehr von diejenigte Ansicht, dat man mit uns die nobelsten Absichten kultiviert. Jehen wir also man rin! Raus werden wir schon wiederkommen, und wenn’s jeschmissen anstatt jejangen ist.“

Die anwesenden Soldaten salutierten nach Vorschrift, und die Herren traten ein. Die beiden Deutschen wurden über einen Innenhof und eine Treppe nach einigen ganz komfortabel eingerichteten Zimmern geführt, an deren Eingang sich die Offiziere verabschiedeten. Dabei bemerkte der Hauptmann:

„Ein Imbiß wird unverzüglich besorgt und ebenso eine Ordonnanz kommandiert werden. Bin heute Kommandant, da der Herr Major nach Parana mußte. Haben der Herr Oberst – Pardon, wollte sagen der Herr Zoolog einen Befehl?“

„Keinen Befehl, sondern eine Bitte. Lassen Sie doch schnell nachfragen, ob ein Yerbatero, der zugleich Sendador ist und schlechthin Vater Jaguar genannt wird, vorgestern oder gestern hier in Santa F& ankam. Ich muß wissen, wo er logiert.“

„Kam er mit dem Schiff, Euer Gnaden?“

„Ja, aus Buenos Ayres.“

„Dann hoffe ich binnen einer halben Stunde rapportieren zu können.“

Er trat ab, und kurze Zeit später meldete sich ein Unteroffizier zum persönlichen Dienst und servierte zugleich Fleisch, Brot, Früchte und Bordeauxwein, welcher am La Plata viel getrunken wird.

„Dat muß man sagen,“ meinte Fritz, „dat Militär hat doch immer Lebensart. Ick ärgere mir noch heut, daß ick nicht assentiert worden bin. Bei meine moralische Veranlagung hätte ick mir jewiß bald weit in die Höhe afanziert und könnte heut auch mit dem Schleppsäbel und Portepee rasseln. Jreifen wir zu, Herr Doktor; ick werde injießen.“

Er füllte die Gläser. Die beiden aßen und tranken, gemütlich nebeneinander sitzend, woraus der Unteroffizier natürlich schloß, daß Fritze Kiesewetter nicht ein Diener, sondern auch ein höherer Offizier sei. Fritze genoß das Gebotene mit heiterem Mute, dem Doktor aber kam die Sache doch nicht ganz geheuer vor; er meinte in bedenklichem Tone:

„Man nannte mich Coronel, also Oberst. Ich bin ein Jünger der friedlichen Wissenschaft und kein argentinischer Partisan. Wie also komme ich zu diesem militärischen Grade?“

„Jedenfalls wie der Pudel zur sauren Jurke, indem er sie für eine Wurst jehalten hat. Machen Sie sich nur keine Jedanken! Mir können sie meinetwejen Jeneral nennen, ick bleibe, wat ick bin und esse mit Vergnüjen, was uns die Ordonnanz aufjetafelt hat.“

„Aber, Fritze, scheint es nicht, daß ich mit einem Offizier verwechselt werde?“

„Dat ist die Möglichkeit, aber noch kein Fehler, solange Sie sich nicht selbst mit sich verwechseln.“

„Aber dieser Irrtum, lateinisch Error genannt, kann uns sehr leicht in Verlegenheit bringen.“

„Zunächst hat er uns zu dieses Jabelfrühstück jebracht, wat ick keinen Irrtum nennen möchte. Man hat sich im Jegenteile in mich jar nicht jeirrt, sondern ick jreife zu, so lange wat zu haben ist.“

„Aber die Folgen! Fritze, Fritze, du scheinst ein wenig von der Eigenschaft zu besitzen, welche der Lateiner mit dem Worte Levitas bezeichnet.“

„Wie wird dieses Wort ins Deutsche überjesetzt?“

„Leichtsinn.“

„Dat kann nicht stimmen, Herr Doktor. Haben die Römer jehungert, wenn sie wat zu essen bekamen?“

„Ich glaube nicht.“

„So kann mir auch kein Römer Levitas nennen, wenn ick mir dahin setze, wo ick jespeist werden soll.“

Da erschien der Hauptmann und meldete in strammer Haltung:

„Der Vater Jaguar ist gestern nachmittag hier angekommen und heute früh mit dreiundzwanzig Erwachsenen und einem Knaben nach der Laguna Porongos aufgebrochen.“

„Zu Pferde?“

„Ja. Zwanzig seiner Begleiter haben einige Tage lang hier auf ihn gewartet.“

„Ich muß ihm nach. Können Sie uns Pferde verschaffen?“

„Ganz zu Befehl! Wie viele, Euer Gnaden?“

„Zwei als Reserve, also vier Stück.“

„Auf Requisition oder vom Regimente?“

„Vom Regimente nicht, da ich nicht soldatenmäßig zu reiten verstehe.“

„Also auf Requisition,“ meinte der Offizier mit einem feinen Lächeln, da der angebliche Oberst sagte, daß er nicht reiten könne. „Wann befehlen Euer Gnaden, daß die Pferde gesattelt bereitstehen?“

„In einer Stunde.“

Der Hauptmann entfernte sich salutierend. Als kurz darauf die Ordonnanz erschien, um Zigaretten zu bringen und die Speisereste abzuräumen, fragte Morgenstern:

„Könnte ich nicht meine Sachen bekommen, mein Lieber? Da das Schiff erst am Nachmittag von hier abgeht und ich nicht wußte, wo ich bleiben würde, haben wir unser Gepäck einstweilen an Bord gelassen. Es ist ein Bündel, lateinisch Sarcina genannt, in welchem sich Werkzeuge befinden, und ein Paket, mit Leder umwickelt, Fascis geheißen, welches Bücher enthält.“

„Wird sofort geholt, Señor Coronel!“ Mit diesen Worten eilte der Unteroffizier hinaus.

Nach einer Viertelstunde kehrte der Hauptmann zurück und meldete, daß die Pferde bereit ständen.

„Was kosten sie?“ fragte Morgenstern.

„Natürlich nichts, Euer Gnaden,“ lächelte der Offizier.

„Aber ich will sie ja bezahlen!“

„Ein Zoolog braucht nicht zu zahlen.“

„Warum nicht?“

„Es ist die Sitte dieses Landes, Señor.“

„Sonderbar! Dieses Land wurde doch von den Spaniern zivilisiert, welche ihre Sprache und Sitten von den Römern bekamen; ich habe aber nirgends gelesen, daß bei diesen letzteren die Gelehrten resp. Zoologen die Pferde gratis erhielten. Ich werde später eifrig darüber nachschlagen, da es sich dabei um ein kulturhistorisches Moment von bedeutendem Werte handelt. Es scheint, Argentinien ist das einzige Land, welches diesen schönen Gebrauch beibehalten hat. Es ist auch in andrer Beziehung höchst konservativ. Bewahrt es uns doch in seinen Pampas die Zeugen und Beweise eines längst untergegangenen Lebens auf! Ich will nicht vom Mastodon und Megatherium sprechen, aber fragen muß ich Sie doch, Señor, ob auch Sie schon so glücklich gewesen sind, hier einen tertiären Menschen zu sehen?“

„Tertiär?“ antwortete der Hauptmann verlegen. „Wollen Euer Gnaden befehlen, was für eine Person ich mir unter einem tertiären Menschen vorstellen soll?“

„Ich befehle nicht, sondern ich bitte bloß. Man hat schon in den älteren Pliocänschichten Feuerspuren und Steinwerkzeuge gefunden. Später entdeckte man da gar drei menschliche Skelette. Es hat also in den Pampas schon zur mittleren Tertiärzeit Menschen gegeben, welche sonderbarerweise ein durchbohrtes Brustbein und dreizehn Rückenwirbel anstatt zwölf besaßen. Möglich, daß wir nach Jahrtausenden deren nur noch elf oder zehn oder auch noch weniger besitzen, was mich gar nicht wundern würde.“

„Woraus zu schließen ist,“ fiel Fritze sehr ernst in spanischer Sprache ein, „daß der noch spätere Mensch gar keine Knochen haben wird.“

„Möglich,“ nickte der Doktor. „Die Umbildung der Lebewesen nimmt ihren ununterbrochenen Gang; wenn wir uns die kommenden Formen auch nicht vorzustellen vermögen. Nehmen wir, um von einem interessanten Beispiel zu sprechen, den Zahn eines Höhlenbären an. Haben Sie schon einen solchen gesehen, Señor Kapitän?“

„Nein,“ schüttelte der Gefragte, der jetzt allerdings nicht wußte, was er von dem „Oberst“ halten solle.

„Dieser Zahn, nämlich der Backzahn, ist in der Weise – – –“

Er wurde unterbrochen. Es traten mehrere Soldaten herein, welche das Gepäck brachten und auf den Boden niederlegten, um sich dann zu entfernen. Das eine Bündel enthielt, wie man sah, zwei Hacken, zwei Spaten und zwei Schaufeln; das andre war aufgeplatzt, so daß ihm einige Bücher entfielen. Der Hauptmann bückte sich dienstbereit, um sie aufzuheben und auf den Tisch zu legen. Dabei fiel, da sich eins derselben öffnete, sein Blick auf den Titel desselben. Da stand gedruckt „Nuestros predecesores de los Pampas“ – die Vorwelt in den Pampas. Und drüben auf der Innenseite des Einbandes war der Name Dr. Morgenstern, Jüterbogk zu lesen. Schnell öffnete der Offizier das zweite, dritte und vierte Buch; sie waren alle mit demselben Namen gezeichnet. Da fragte er in hastiger Weise:

„Wie nannten Sie sich vorhin, Señor – – Zoolog?“ „Doktor Morgenstern aus Jüterbogk.“ „Ist das etwa Ihr wirklicher Name?“ „Allerdings.“ „Können Sie das beweisen?“ „Sehr leicht.“ „Womit?“ „Mit meinem Paß.“ „Her damit!“

Das klang befehlend, zornig. Der Gelehrte zog seine Brieftasche mit dem Passe hervor und gab den letzteren dem Offizier. Kaum hatte dieser einen Blick hineingeworfen, so rief er aus:

Que yerro y que desvergüenza! Mas aun que semejanza! Sois bribones, sois embusteros – welcher Irrtum und welche Frechheit! Aber auch welche Ähnlichkeit! Ihr seid Schurken, seid Betrüger!“

„Schurken? Und Betrüger? Wir?“ fragte Morgenstern. „Señor, wollen Sie gefälligst uns sagen, wie Sie zu einem Urteile gelangen, welches völlig unbegründet ist, inaniter würde der Lateiner sagen.“

„Lassen Sie mich mit Ihrem Lateiner in Ruhe! Was werfen Sie überhaupt mit dem Latein um sich, da Sie, wie ich aus Ihrem Passe ersehe, ein Deutscher sind! Wie können Sie uns belügen und sich für den Obersten Glotino, den Schwager unsres Generals Mitre ausgeben?“

„Habe ich das?“ fuhr Morgenstern nun seinerseits scharf auf. „Wie können Sie es wagen, mich, einen deutschen Unterthan, einen Lügner zu nennen? Haben Sie mich für irgend wen gehalten, so ist das Ihre, aber nicht meine Sache!“

„Schweigen Sie! Wissen Sie, daß ich Sie sofort einsperren kann?“

„Das können Sie; aber sich dann rechtfertigen, das können Sie nicht. Und ein Deutscher läßt sich nicht einsperren, ohne den Betreffenden dann zur Verantwortung ziehen zu lassen!“

„Es sind Ihnen Honneurs erwiesen worden; ich habe Ihnen zu essen und zu trinken gegeben, und meine Soldaten haben sich mit den Gauchos herumgestritten, um Ihnen Pferde zu verschaffen. Und nun stellt es sich heraus, daß Sie ein Gringo (verächtliche Bezeichnung für Ausländer), ein deutscher Bücherwurm sind!“

Morgenstern trat kräftiger auf, als von ihm zu erwarten gewesen war. Fritze hatte bis jetzt geschwiegen, nun aber antwortete auch er, und zwar nicht in höflichem Tone:

„Mäßigen Sie sich, Señor, sonst können Sie in Erfahrung bringen, daß ein deutscher Gelehrter, den Sie Gringo und Bücherwurm schimpfen, kein so unbedeutender Mensch ist, wie Sie zu denken scheinen. Es läuft vielleicht mancher hier herum, mit dem zu tauschen uns gar nicht einfallen würde.“

„Meinen Sie etwa mich?“ fragte der Hauptmann scharf.

„Wen ich meine, brauche ich nicht zu sagen. Wollen Sie meine Worte auf irgendwen beziehen, so habe ich gar nichts dagegen. Ich wundere mich über die Vorwürfe, welche Sie uns machen. Sie haben uns eingeladen, weil Sie uns verkannten; uns aber ist es nicht eingefallen, Sie zu täuschen. Was wir genossen haben, werden wir bezahlen. In Beziehung auf die uns erwiesenen Honneurs sind wir quitt, denn wir haben auch gegrüßt. Und was die Pferde betrifft, so können Sie dieselben ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückstellen, denn wir kaufen uns andre. Was kostet das Essen, und was kostet der Wein, dem man es anschmeckt, daß er kein echter Bordeaux ist, sondern aus einer hiesigen Fabrik stammt?“

Er zog den Beutel, um zu bezahlen. Da aber fuhr der Kapitän zornig auf:

„Was? Ich soll von einem Bedienten Geld annehmen? Bist du toll, Kerl!“

Da trat Fritze einen Schritt auf ihn zu und drohte:

„Kerl? Ich ein Kerl? Ich heiße Friedrich Kiesewetter und bin ein Preuße. Verstanden? Und wer mich du nennt, der macht mit mir Bruderschaft und wird von mir auch geduzt.“

„Welch ein frecher Patron! Mensch, ich stecke dich unter meine Soldaten und werde dafür sorgen, daß dein Rücken für ein ganzes Jahr die schönste blaue Farbe annimmt!“

„Versuche es! Ich bin ein Unterthan des Königs von Preußen, dessen Arm gar wohl so weit reicht, dich zu fassen und zu bestrafen, wenn du es wagst, dich an mir zu vergreifen!“

Diese Worte entflammten den Zorn des Offiziers auf das höchste. Er sagte sich zwar, daß er nicht wagen dürfe, seine Drohung auszuführen, wollte aber das Verhalten des Preußen nicht unbestraft lassen; darum eilte er zur Thür, hinter welcher die Ordonnanz stehen mußte, öffnete sie und rief hinaus:

„Herein! Werft mir schnell diesen Menschen hinaus, bis vor das Thor, und greift so fest wie möglich zu! je mehr blaue Flecke er bekommt, desto besser ist es.“

Es standen auch noch diejenigen Soldaten draußen, welche die Pakete gebracht hatten. Sie waren durch die lauten Stimmen, welche sie gehört hatten, zurückgehalten worden und kamen schnell herein, um den Befehl auszuführen. Es war ein Gaudium für sie, einen Fremden hinauszuwerfen, und es kam bei ihnen gar nicht in Betracht, daß sie ihn noch vor wenigen Minuten für einen Offizier gehalten hatten.

Fritze griff nach seinem Gewehre, um sich zu verteidigen, war aber klug genug, diese Absicht wieder aufzugeben. Er warf es am Riemen über den Rücken und sagte:

„Rührt mich nicht an; ich gehe selbst! Kommen Sie, Señor Doktor!“

Indem er diese Worte sprach, hob er das Bündel mit den Werkzeugen auf, hob es auf die Achsel und schritt der Thür zu. Man hätte dem kleinen Kerlchen gar nicht zugetraut, daß es ihm gelingen werde, das schwere Paket mit solcher Leichtigkeit zu bewältigen. Seine drohende Haltung imponierte den Soldaten; sie wichen vor ihm zurück und ließen ihn zur Thür hinaus. Da aber herrschte sie der Kapitän an:

„Nennt ihr das Hinauswerfen, ihr Halunken? Sofort ihm nach, sonst setzt es Arrest!“

Sie gehorchten diesem Befehle; der Hauptmann aber wendete sich an den Gelehrten:

„Sie sehen, Señor, wie weit man kommt, wenn man einem Offizier nicht diejenige Höflichkeit erweist, welche er unbedingt zu fordern hat. Was werden Sie thun, wenn ich Sie einsperren lasse?“

„Mich mit Hilfe des Vertreters meines Monarchen an Ihren Präsidenten wenden,“ antwortete Morgenstern ruhig. „Dann würden Sie ebenso eingesperrt, um zu erfahren, wie weit man kommt, wenn man einem deutschen Unterthan diejenige Rücksicht versagt, welche er unbedingt zu fordern hat.“

„Ich finde, daß Sie sehr hochtrabend sprechen.“

„Ich spreche stets so, wie die Umstände es erfordern.“

„Dann sollten Sie weniger zuversichtlich sein. Die Lage, in welcher Sie sich gegenwärtig befinden, ist keineswegs eine ehrenvolle.“

„Die Ihrige noch weniger. Wer einen Señor, den er einsperren will, vorher Oberst genannt und Euer Gnaden tituliert hat, muß befürchten, schwer blamiert zu werden. Ich hoffe, wir sind miteinander fertig. Die Bücher, welche hier liegen, werde ich durch einen Boten holen lassen. Leben Sie wohl, Señor.“

Er wendete sich nach der Thür und ging, ohne daß der Kapitän Miene machte, ihn zurückzuhalten, hinaus. Als er die Treppe hinabstieg, hörte er auf dem Hofe einen Lärm, und als er diesen erreichte, sah er ein dichtes Knäuel von Soldaten, in welchem Fritze steckte. Sie hatten die Fäuste erhoben und wollten ihn schlagen, wagten dies aber nicht, da er den Revolver gezogen hatte und drohte, auf jeden zu schießen, der es wagen würde, sich an ihm zu vergreifen. So räsonnierten sie nur und schoben hinter ihm her, auf welche Weise sie ihn im Trab bis vor das Thor brachten, wo er stolperte und mit seinem Bündel niederfiel. Da packten sie ihn, rissen ihm den Revolver aus der Hand und gaben ihm ihre Fäuste zu fühlen. Er wehrte sich mit Händen und Füßen gegen sie und schlug und stieß wacker um sich, bis Morgenstern kam und einige von ihnen mit dem Kolben seines Gewehres zurückstieß.

„Zurück, ihr Halunken!“ gebot er. „Habt ihr vergessen, daß ich Offizier bin! Euer Kapitän ist verrückt geworden, daß er es wagt, euch auf den Begleiter eines Coronel zu hetzen. Lauft schnell zum Medico militar (Militärarzt)! Ich befehle ihm, den Kapitän sofort zu untersuchen und in Behandlung zu nehmen.“

Diese List wirkte sofort. Sie zogen sich verblüfft zurück, und einige von ihnen liefen wirklich fort, um nach dem Arzte zu suchen. Fritze sprang auf, teilte schnell noch einige kräftige Rippenstöße aus, nahm dann sein Bündel wieder auf die Achsel und folgte dem Doktor, welcher sich mit ziemlich raschen Schritten entfernte. Er ging wieder nach der Stadt zurück und that dies so eilig, um möglichst schnell aus der Nähe der Soldaten zu kommen. Als Fritze ihn eingeholt hatte, schimpfte er:

„Sonne Rotte Korah ist mich auch noch nicht vorjekommen! Dat will Soldat sind? Schönes Heldentum! Dreißig gejen einen einzigen, der noch dazu den Pack tragen muß! Sie wollten mir verhauen!“

„Haben sie dir wehe gethan?“ fragte sein Herr besorgt.

„Dat weiß ick nicht. Ick muß es erst untersuchen. Fühlen thu ick jetzt noch nichts. Hoffentlich kommt dat Zartjefühl nicht noch hinterher. Es ist also doch so jekommen, wie ick sagte: Jehen wir herein, heraus kommen wir allemal wieder; ist es nicht jegangen, so ist es jeschmissen. Und herausjeschmissen haben sie mir, dat kann ick Ihnen schwarz auf weiß bestätigen.“

„Gott sei Dank, daß es nicht noch schlimmer geworden ist! Es war wirklich leichtsinnig von uns, in eine solche Gefahr, lateinisch Dimicatio, sich zu begeben. Was thun wir nun? Was schlägst du vor?“

„Wir jehen in ein Hotel.“

„Gibt es hier Hotels?“

„Höchst wahrscheinlich; aber sie werden auch danach sind, so was Sie antediluvianisch zu nennen pflegen. Vielleicht jraben wir eins aus.“

Sie gingen suchend durch einige Straßen und kamen an ein Haus, über dessen Thür auf einem Schild zu lesen war: „Posada por pasageros, Gasthaus für Fremde.“ Diese Posada sah freilich gar nicht einladend aus. Das Gebäude bestand aus gestampfter Erde und hatte nur ein Erdgeschoß mit einer breiten, niedrigen Thür und zwei Öffnungen, in denen keine Fenster waren. Nebenan gab es einen von einer Mauer umgebenen Hof, in welchem man Pferde stampfen und wiehern hörte.

„Da hinein?“ fragte der Doktor, indem er ein bedenkliches Gesicht zog.

„Ja,“ antwortete Fritze.

„Es sieht aber genau wie eine Spelunke aus!“

„Det schadet nichts, wenn wir nur nicht wieder herausjeworfen werden, hier ist alles Spelunke. Also man wieder rin ins Vergnüjen!“

Als sie eingetreten waren, sahen sie, daß das Innere dieses Gasthauses aus nur einem Zimmer bestand. Tische und Stühle gab es nicht, dafür aber mehrere Hängematten und niedrige Schemel. Auf einem derselben saß der Wirt, ein hagerer, schmutziger Mensch, welcher sich erhob und unter tiefen Verneigungen nach den Wünschen der Señores fragte. Fritze warf sein Bündel auf den Boden, der aus gestampftem Lehm bestand, und antwortete an Stelle seines Herrn:

„Können Sie uns vier Pferde, zwei Reit- und zwei Packsättel verschaffen?“

„Mieten?“

„Nein, kaufen.“

„Wohin wollen Sie?“

„Nach dem Gran Chaco, nach Tucuman, vielleicht noch weiter.“

„Ich habe sehr feine Pferde zum Verkauf. Bemühen sich Euer Gnaden mit in den Hof!“

Er öffnete eine Seitenthür, welche in den Hof führte. Die beiden folgten ihm hinaus. In einer der Hängematten hatte ein Mann gelegen, den sie gar nicht beachteten. Als dieser von dem Pferdehandel hörte, sprang er aus der Matte und folgte ihnen. Draußen standen zwölf abgetriebene und halb verhungerte Gäule, deren Aussehen ein so verkümmertes war, daß selbst der Doktor, obgleich er nichts von Pferden verstand, kopfschüttelnd meinte:

„Das sollen Pferde sein? Ich würde so ein Tier viel eher für das halten, was der Lateiner Caper oder Hircus nennt.“

„Was ist das, Señor?“ fragte der Wirt.

„Ein Ziegenbock.“

„So sind wir fertig. Meine Pferde sind keine Ziegenböcke.“

Er wendete sich stolz ab, um in die Stube zurückzukehren. Da stand der Gast, welcher in der Hängematte gelegen hatte. Dieser betrachtete die beiden Kleinen mit neugierigen Augen, während sie ihn mit derselben Neugierde ansahen. Er war ebenso rot gekleidet wie sie und trug aber lange Stiefel, deren Schäfte seine Oberschenkel bedeckten. Sein Gesicht war so bärtig, daß man von demselben nur die Nase und die Augen sah. Sein Haar hing unter dem Hute, welcher auf dem schon beschriebenen Kopftuche saß, lang bis auf den Rücken herab. Dennoch machte er den Eindruck eines Menschen, vor dem man sich nicht zu hüten brauchte. Er verbeugte sich und sagte:

„Señores, ich höre, daß Euer Gnaden nach dem Gran Chaco wollen, und kann Ihnen vielleicht mit meinem Rate dienen. Wo kommen Sie her?“

„Von Buenos Ayres.“

„Wohnen Sie dort?“

„Nein. Ich bin fremd im Lande.“

„Ein Fremder? Wo haben Sie Ihre Heimat?“

„In Deutschland.“

„Also ein Deutscher! Und was sind Sie? Nehmen Sie mir meine Fragen nicht übel! Ich habe eine gute Absicht dabei.“

„Ich bin ein Privatgelehrter, ein Zoolog, und will nach dem Gran Chaco, um dort vorweltliche Tiere auszugraben.“

„Ah! Vielleicht ein Mastodon?“

„Hoffentlich!“

„Oder ein Megatherium?“

„Sie kennen die Namen dieser Tiere?“

„Natürlich! Ich bin ein Kollege von Ihnen.“

„Was? Auch ein Gelehrter?“ fragte Morgenstern verwundert, denn dieser Mann sah wie ein echter Gaucho, nicht aber wie ein Gelehrter aus.

„Allerdings bin ich einer,“ antwortete er stolz, indem er sich in die Brust schlug.

„Wohl auch Zoolog?“

„Auch, denn ich habe alles studiert. Eigentlich aber bin ich Ciruiano (Chirurg), wenn Euer Gnaden gestatten.“

„Also ein Arzt!“

„Ja. Ich erlaube mir, mich Euer Gnaden vorzustellen. Man kennt mich überall, und Sie werden nur deshalb, weil Sie fremd sind, meinen berühmten Namen noch nicht gehört haben. Ich bin nämlich Doktor Parmesan Rui el Iberio de Sargunna y Castelguardiante.“

„Danke! Ich heiße Doktor Morgenstern, und der Name meines Dieners ist Kiesewetter.“

„Zwei schöne Namen, doch darf ich wohl behaupten, daß der meinige wohlklingender ist und sich auch viel leichter aussprechen läßt. Ich bin einer altkastilianischen Adelsfamilie entsprossen. Was sagen Sie zu einer Amputation des ganzen Beines, und zwar in der Weise, daß man erst die Weichteile abschneidet und dann den Kopf des Oberschenkelknochens sehr einfach aus dem Pfannengelenk des Beckens nimmt?“

„Oberschenkelknochen, Os femoris genannt? Und Becken, Pelvis geheißen? Ich verstehe Sie nicht, Señor. Warum soll denn dem unglücklichen Manne das Bein amputiert werden? Ist er verwundet? Hat er schon den Brand darin?“

„Keineswegs. Das Bein ist kerngesund.“

„Aber weshalb soll es ihm da abgeschnitten werden?“

„Weshalb? Cielo! Welche Frage! Der Mann ist ja ganz munter und wohl; es fehlt ihm nichts, gar nichts. Ich denke überhaupt gar nicht an einen bestimmten Menschen, sondern ich setze nur den Fall, verstehen Sie wohl, den Fall, daß ich ein Bein abzunehmen hätte. Würden Sie mir die nötige Geschicklichkeit zutrauen?“

„Ganz gern, ganz gern, Señor. Aber dennoch bin ich herzensfroh, daß Sie nur den Fall setzen. Ich glaubte schon, ich sollte Ihnen helfen und das Bein des Unglücklichen halten.“

„Das ist gar nicht notwendig, denn ich bedarf keiner Hilfe. Ich verfahre mit solchem Geschick und solcher Schnelligkeit, daß der Patient gar nichts davon empfindet. Erst dann, wenn er geheilt das Lager verläßt, bemerkt er, daß er nur noch ein Bein hat. Und das thue ich nicht nur beim Beine, sondern bei allen Gliedern. Ich sage Ihnen, Señor, ich säble alles, alles herunter!“

Er machte dabei so energische Armbewegungen, daß der Doktor erschrocken ausrief:

„Mein Himmel! Ich bin gesund, vollständig gesund!. Mir brauchen Sie nichts zu amputieren!“

„Leider, leider! Es ist wirklich jammerschade, daß Sie nicht verwundet sind oder einen hübschen Knochenfraß haben. Sie würden sich königlich über die Kunst freuen, mit welcher ich Ihren Körper von dem betreffenden Gliede befreie. Ich habe meine Werkzeuge stets bei mir. Was meinen Sie wohl zum Beispiel vom Heraussägen des Ellenbogengelenkes? Haben Sie diese wunderbare Operation schon einmal gesehen?“

„Nein. Und ich versichere Sie, daß sich meine beiden Ellbogen in vollster Ordnung befinden.“

„O, was das betrifft, so würde es gar nichts schaden, wenn sie durch Schüsse zerschmettert worden oder durch eine komplizierte und veraltete Verrenkung unbrauchbar geworden wären. Ich sägte sie Ihnen zu Ihrem eigenen Entzücken heraus, und dann könnten Sie sich Ihrer Arme ganz leidlich wieder bedienen.“

„Das will ich nicht bezweifeln, Señor; aber dennoch ist es mir lieber, gar nicht in die Lage zu kommen, sie mir heraussägen lassen zu müssen.“

„So sind Sie zwar ein gelehrter Mann, besitzen aber nicht den Mut, der Wissenschaft ein Opfer zu bringen. Und das ist jammerschade, denn ich säble wirklich alles, alles herunter.“

„Ich bewundere Ihre Geschicklichkeit, Señor, habe aber leider keine Zeit, mich weiter über dieses interessante Thema zu verbreiten. Ich suche Pferde für meine Reise, und da ich hier keine passenden gefunden habe, so muß ich jetzt weiter, um –“

„Machen Sie sich keine Sorge,“ unterbrach ihn der Chirurg. „Ich stelle mich Ihnen zur Verfügung.“

„Sie? Wissen Sie vielleicht, wo vier kräftige und ausdauernde Tiere zu haben sind?“

„Ich weiß es nicht nur, sondern ich stehe selbst auch im Begriff, mir eins zu kaufen.“

„Wo ist das?“

„Auf einer kleinen Estancia, welche eine halbe Stunde von der Stadt entfernt liegt.“

„Wie kommt man da hinaus? Hier geht kein Mensch so weit zu Fuße.“

„Wir borgen uns Pferde von dem Wirte, bei dem wir uns jetzt befinden. Diese kurze Strecke vermögen sie uns zu tragen. Er gibt uns einen Peon mit, welcher sie ihm zurückbringt.“

„So lassen Sie uns aufbrechen, Señor!“

„Bitte, das hat keine solche Eile. Wir können den Handel erst morgen früh machen. Ich habe mich erkundigt und da erfahren, daß der Estanciero verreist ist und erst heute abend wiederkommt.“

„So muß ich mich nach einer andern Stelle umsehen, denn ich habe keine Zeit zu verlieren.“

„Warum? Die vorsündflutlichen Skelette laufen Ihnen doch nicht fort.“

„Nein; aber ich will eine Gesellschaft von Männern einholen, welche nach der Laguna Porongos vorausgeritten sind.“

Der Chirurg horchte auf und erkundigte sich dann:

„Wer ist das? Meinen Sie etwa den Vater Jaguar mit seinen Leuten?“

„Ja, den meine ich. Kennen Sie ihn vielleicht?“

„So genau wie mich selbst. Ich gehöre ja zu ihm. Wir hatten uns hier zu versammeln; ich wurde aber droben in Puerto Antonio unvermutet aufgehalten, so daß ich zu spät kam. Sie sind schon fort. Ich konnte mir freilich hier sofort ein Pferd kaufen, um ihnen nachzureiten; aber in dieser Stadt findet man kein brauchbares Tier. Darum warte ich lieber bis morgen früh, wo ich ein gutes bekomme und nicht Gefahr laufe, es unter mir zusammenbrechen zu sehen.“

Doktor Morgenstern hatte ein gelindes Grauen vor diesem Manne gefühlt, der „alles, alles heruntersäbelte“; jetzt aber freute er sich, ihn getroffen zu haben. Darum fragte er:

„Sie glauben, daß Sie den Vater Jaguar noch einholen werden?“

„Natürlich! Ich kenne die Route, welche er einschlägt, ganz genau.“

„Das freut mich außerordentlich. Würden Sie uns die Erlaubnis, lateinisch Concessio, erteilen, uns Ihnen anzuschließen?“

„Herzlich gern, Señor, da wir beide Jünger der Wissenschaft, also Kollegen sind und ich mich darauf freue, doch vielleicht eine Gelegenheit zu finden, Ihnen zeigen zu können, daß ich mich selbst vor der schwierigsten Amputation nicht fürchte. Hoffentlich stoßen wir mit feindlichen Indianern zusammen; ich nehme natürlich mit Bestimmtheit an, daß dabei einigen von uns mehrere Glieder zerschmettert werden; dann sollen Sie sehen, wie ich meines Amtes walten werde. Das wird nur so fliegen, denn ich säble wirklich alles, alles herunter!“

Er fuhr dabei mit beiden Armen und in einer eigenartigen Weise durch die Luft, um anzudeuten, daß die Knochen und Fleischfetzen „nur so fliegen“ würden. Dieser Mann schien dem blutigen Teile seines Berufes mit außerordentlicher Leidenschaft anzuhängen. Trotzdem fühlte sich Morgenstern jetzt nicht mehr dadurch zurückgestoßen oder gar, wie vorher, eingeschüchtert. Er begann zu ahnen, daß er es hier mit einer zwar krankhaften, doch ganz ungefährlichen Idee zu thun habe. Darum antwortete er lächelnd:

„So bin ich bereit, mit Ihnen bis morgen zu warten. Aber was thun wir bis dahin? Und wo halten wir uns auf?“

„Wir reiten nach der Estancia, wo man uns gastfreundlich aufnehmen wird. Dort essen, trinken, rauchen und schlafen wir. Das ist mehr Beschäftigung, als wir brauchen, um uns zu langweilen. Sie rauchen doch auch, Señor?“

„Nein.“

„Welch ein Wunder! Hier raucht alles, Mann und Weib, Kind und Kegel. Warum Sie nicht?“

„Weil ich eine Nikotinvergiftung befürchte. Hat doch die Wissenschaft nachgewiesen, daß man vom vielen Rauchen den schwarzen Star, Amaurosis genannt, bekommen kann.“

„Da müßte man die Zigaretten nicht rauchen, sondern scheffelweise hinunterschlingen. Und selbst da kämen sie doch nur in den Magen, nicht aber in die Augen. Ich könnte ohne das Rauchen nicht existieren. Es regt die Nerven an, erhöht die Lebenskraft, begeistert den Menschen für alles Gute und Schöne und gibt eine so sichere Hand, daß man selbst die schwerste und komplizierteste Amputation mit Leichtigkeit auszuführen vermag. Haben Sie hier in Santa Fé noch viel zu schaffen, oder können wir bald aufbrechen?“

Morgenstern erzählte ihm in kurzen Worten das hier erlebte Abenteuer und sagte ihm, daß er nur noch seiner Bücher bedürfe, um reisefertig zu sein.

„Die werde ich Ihnen sofort holen, Señor,“ meinte „Doktor“ Parmesan.

„Sie? Damit darf ich Sie doch unmöglich belästigen, Señor.“

„Warum nicht? Zahlen Sie mir zwei Papierthaler, so thue ich es gern. Übrigens bin ich den Soldaten und Offizieren bekannt. Man wird keinem andern Ihre Bücher so gewiß übergeben wie mir.“

Also dieser Mann mit dem langen und wohlklingenden altkastilianischen Namen, der sich „Doktor“ nannte, war bereit, für zwei Papierthaler, also für zweiunddreißig deutsche Pfennige, Gepäckträgerdienste zu leisten! Als er von Morgenstern diesen Betrag erhalten hatte, ging er fort und brachte schon nach kurzer Zeit die Bücher getragen. Dann entfernte er sich abermals, um Papier und Tabak zu Zigaretten einzukaufen. Er nahm zu diesem Zwecke einen Ledersack mit, den er gefüllt zurückbrachte. Er hatte ganz richtig gesagt, daß hier jeder rauche. Man wird in der Pampa selten einen Menschen sehen, der nicht eine selbstgedrehte Zigarette im Munde hat.

Der Wirt war gern bereit, gegen geringe Bezahlung Pferde und einen Peon herzuleihen. Eins dieser Tiere bekam Morgensterns Pakete zu tragen; dann stiegen die Männer auf, um nach der Estancia zu reiten. Als sie langsam durch die erste Gasse kamen, standen einige Kinder da beisammen; sie sahen den Chirurgen und rannten augenblicklich in das nächste Haus, indem sie schrieen:

El carnicero, el carnicero! Huid, huid, de la contrario os amputa – der Fleischhacker, der Fleischhacker! Flieht, flieht, sonst amputiert er euch!“

Er schien also nicht nur überhaupt, sondern den Kindern sogar als abschreckender Popanz bekannt zu sein. Das ärgerte ihn aber keineswegs, sondern er sagte in stolzem Tone:

„Hören Sie es, Señor? O, man kennt mich und meine Fertigkeiten sehr genau. Mein Ruhm ist über sämtliche La Plata-Staaten verbreitet!“

Der Ritt ging an dem Cuartel vorüber, in welchem Morgenstern vorhin die so kurze Rolle eines Obersten gespielt hatte, dann an dem Kirchhofe und mehreren kleinen Ranchos, bis man endlich das Stadtgebiet hinter sich hatte. Zur Linken sahen die Reiter den seeartig ausgedehnten Rio Salado fließen, und vor ihnen lag ein ausgedehntes, hügelig unebenes Heideland. Auf demselben stand, rechts nach dem See hinüber, welchen der Rio Saladillo hier bildet, die Hacienda, von welcher der „Fleischhacker“ gesprochen hatte. Sie war nicht sehr groß, dennoch gab es da nicht unbeträchtliche Herden. Man sah wohl an die tausend Schafe weiden; auf der andern Seite grasten, von einigen Gauchos bewacht, mehrere hundert Stück Rinder, und in den Corrals gab es Pferde genug, eine ganze Schwadron Kavallerie beritten zu machen.

Wer über die Pampa oder den Campo, das Feld, reitet, bekommt dreierlei Ansiedelungen zu sehen. Die erste Art derselben sind die Ranchos (sprich Rantschos), kleine Hütten, welche meist aus gestampfter Erde hergestellt sind und Stroh- oder Schilfdächer haben. Oft stehen sie nicht zu ebener Erde, sondern sind mehrere Fuß tief in den ausgegrabenen Boden eingelassen. Von Möbeln nach unsrem Sinne ist keine Rede. Eine Hängematte gilt als Luxusartikel. Das Mahl wird auf einem Feuerherde bereitet, welcher auch aus Lehm hergestellt ist, denn Steine gibt es in den Pampas nicht. Ein Schornstein ist nicht vorhanden; der Rauch zieht durch die Öffnungen ab, welche als Thür und Fenster bezeichnet werden, doch ist die Thür nicht verschließbar, und in den Fensteröffnungen gibt es weder Glas noch Rahmen. Höchstens vertritt ein Stück geöltes Papier die Stelle der Scheiben.

In diesen Ranchos wohnen die armen Leute, welche auf den Haciendas und Estancien bedienstet sind – die Gauchos.

Dieses letztere Wort ist der Indianersprache entlehnt; die beiden Buchstaben a u bilden keinen Diphthong, sondern werden getrennt ausgesprochen; man muß also Ga-utscho sagen. Der Ga-utschos gehören meist der Klasse der Mestizen an; sie betrachten sich zwar als Weiße und sind auf diese Bezeichnung ungemein Stolz, stammen aber von Indianerinnen und den früher eingewanderten Spaniern ab. Es gibt verschiedene Ansichten über dieselben; der eine lobt und der andre tadelt sie. Das Richtige ist, daß man sie nach den verschiedenen Gegenden, in denen sie leben, auch verschieden beurteilt.

Die Ga-utschos besitzen alle den Stolz des Spaniers und, infolge ihres eigenartigen Lebens, eine ungemeine Freiheitsliebe. Jeder hält sich für einen Caballero und ist sehr höflich gegen andre, um selbst höflich behandelt zu werden. Der ärmste Teufel, ja selbst der Bettler wird „Euer Gnaden“ genannt. Derjenige Fremde, welcher glaubt, er dürfe auf einen Gaucho von oben herabblicken, weil er reicher oder gebildeter als dieser ist, wird bald so zurechtgewiesen werden, daß ihm der Hochmut vergeht. Herablassung beantwortet der Gaucho mit der ausgesuchtesten Grobheit oder, falls dies nichts fruchtet, gar mit dem Messer. Behandelt man ihn aber höflich, läßt man ihn als einen menschlich vollständig Gleichberechtigten gelten, so wird man bald einen treuen und aufopfernden Freund an ihm haben. Zu rühmen ist vor allen Dingen seine Ehrlichkeit. So wie er seine Hütte nie verschließt, so wird er selbst auch niemals stehlen. Findet er etwas, so gibt er es, falls die Möglichkeit vorhanden ist, dem Verlustträger ganz gewiß zurück. Ein Gaucho zum Beispiel, welcher so arm war, daß er nicht einmal einen Schemel besaß und das Gerippe eines Pferdekopfes als Stuhl benutzte, fand auf offener Pampa eine Uhr, welche einem ausländischen Reisenden aus der Tasche geglitten war. Er jagte einen Tag lang Von einem Nachbar zum andern, um zu erfahren, wem die Uhr wohl gehören könne, und als er von dem Fremden hörte und nun vermuten mußte, daß dieser sie verloren habe, ritt er ihm zwei Tage lang nach, um sie ihm zu bringen. Als ihm der Reisende eine Geldbelohnung geben wollte, warf er sie ihm verächtlich vor die Füße und kehrte, ohne ein Wort zu sagen, um.

Von Jugend auf an das Pferd gewöhnt, sind die Gauchos ebenso kühne wie unermüdliche Reiter. Sie gleichen darin den Westmännern und Indianern Nordamerikas. Eine Strecke von hundert Schritten zu gehen, fällt dem Gaucho gar nicht ein. Sobald er seinen Rancho verläßt, sitzt er zu Pferde. Zweijährige Kinder sprengen auf halbwilden Pferden jubelnd in die Pampa hinein. Auch die Frauen reiten, und zwar nach Männerart, nicht die Beine auf einer Seite des Pferdes. Oftmals sieht man Mann und Weib zusammen auf einem Pferde sitzen, die Frau dann stets verkehrt auf dem Hinterteile des Pferdes, ohne allen Halt, ihren Rücken an denjenigen des Mannes lehnend. Und doch fällt sie selbst im schnellsten Galopp nicht herab.

Eine Untugend, und zwar eine große, besitzt der Gaucho. Er ist nämlich vollständig gefühllos gegen sein Pferd. Er schnallt den Sattel auf den wunden, eiternden Rücken seines Tieres und gräbt demselben mit den großen, scharfen Sporen tiefe Löcher in die Weichen, ohne daran zu denken, welche Schmerzen er dem armen Geschöpf bereitet. Darum fürchten die Pferde ihren Herrn und gebärden sich wie toll, wenn er sie zusammentreibt, um sich für den Ritt eins mit dem Lasso aus der Herde zu fangen. Bricht es unter ihm zusammen, so läßt er es, noch lebend, für die Geier liegen und holt sich ein andres. Bei den ungezählten Herden, die es im Lande gibt, ist ein Pferd so billig, daß man sich zum Tode eines solchen Tieres vollständig gleichgültig verhält. Daher die zahllosen Pferdegerippe, denen man allüberall begegnet. Man kann, ohne zu übertreiben, sagen, daß die weiten, endlosen Pampas mit Pferdeknochen geradezu gedüngt sind.

Das eigenartige Leben, welches der Gaucho führt, der vollständige Mangel aller Schulen und sonstigen Bildungsmittel und der fortwährende Umgang mit halbwilden Tieren, das sind die Ursachen davon, daß der Gaucho zarteren Regungen vollständig unzugänglich ist. Dazu kommen die traurigen politischen Zustände des Landes. Ein Geschichtsschreiber hat gesagt, daß in den La Plata-Staaten es kein Jahr ohne wenigstens eine kleine Empörung gebe, und es ist wahr, daß seit Menschengedenken dort eine Revolution der andern folgte. Das verroht den Menschen. Der Gaucho, dem ruhigen Leben abgeneigt und durch seinen Beruf abgehärtet, ist jederzeit bereit, sich einem Pronunciamiento – das ist der Ausdruck für Revolte – anzuschließen. Je öfters dies geschieht, desto tiefer drückt die Unbotmäßigkeit sich seinem Wesen ein, und die Folge davon ist, daß die Bewohner derjenigen Distrikte, welche sich öfters gegen die öffentliche Gewalt auflehnen, in Beziehung auf gute Eigenschaften weit hinter den andern zurückstehen. Daher die Verschiedenheit, mit welcher die Bewohner der Pampas beurteilt werden.

Die zweite Art der Niederlassung wird Hacienda genannt. Ein Haciendero betreibt Feld- und Viehwirtschaft zugleich, wird also selten große Herden besitzen. Die dritte Art wird Estancia genannt. Der Estanciero gibt sich nicht mit Ackerbau ab; er züchtet nur Vieh, um dasselbe in die Schlachthäuser zu liefern. Es gibt Estancieros, welche mehrere hunderttausend Stück besitzen.

Diese Tiere befinden sich sowohl im Sommer als auch im Winter stets im Freien. Obgleich sie von reitenden Gauchos beaufsichtigt werden, kommt es häufig vor, daß sie über die Grenze laufen und unter die Herden des nächsten, ja des zweiten und dritten Nachbars gelangen. Um dadurch verursachten Verlusten vorzubeugen, brennt jeder Besitzer seinen Tieren einen Stempel ein, welcher bei der Behörde für ihn registriert worden ist. So kennt jeder sein Eigentum und liefert von Zeit zu Zeit den zugelaufenen Bestand den rechtmäßigen Eigentümern zurück. Beim Verkaufe eines Pferdes oder Rindes wird das Zeichen dadurch ungültig gemacht, daß man es nochmals, und zwar verkehrt, auf das vorherige einbrennt, eine schmerzhafte Manipulation, welcher sich die Tiere natürlich mit aller Anstrengung widersetzen.

Eine solche Zeichnung der noch nicht mit einem Stempel versehenen jungen Rinder war eben im Gange, als die Reiter die Estancia erreichten. Eine Anzahl berittener Gauchos war beschäftigt, die Tiere draußen auf dem Campo zusammen und dann in den dazu bestimmten Corral zu treiben. Unter Corral ist hier ein freier Platz zu verstehen, welcher von hohen, stachelichten Kaktushecken umgeben ist.

Die Rinder wissen ganz genau, daß stets etwas Ungewöhnliches bevorsteht, wenn man sie nach dem Corral bringen will, und weigern sich infolgedessen, ihren Hirten zu gehorchen. So auch hier. Sie versuchten, auszubrechen, stets aber waren die kühnen Reiter da, sie mit hochgeschwungenem Lasso oder kreisender Bola daran zu hindern.

Die Bola ist ein Wurfgeschoß, welches aus drei Blei- oder Eisenkugeln besteht. Jede dieser Kugeln hängt an einem starken, unzerreißbaren Riemen; die Enden dieser Riemen sind zusammengebunden. Der Gaucho nimmt eine der Kugeln in die Hand, schwingt die beiden andern einigemal zielend um den Kopf und schleudert dann die Bola nach dem Tiere, welches er fangen will. Er verfährt dabei mit einer solchen Geschicklichkeit, daß die Bola sich um die Hinterbeine des Pferdes oder Rindes schlingt, und dieses zum Falle bringt.

Die Tiere kennen diese Schleuderkugeln sehr genau und fürchten sie ebensosehr, wie sie den Lasso scheuen. So oft sie ausbrechen wollten, trieb die Angst vor diesen Waffen sie wieder zurück. So kamen sie, zu beiden Seiten und hinter sich die schreienden Gauchos, mit donnerndem Gestampfe herangebraust. Am offenen Corral angekommen, stutzten sie; als aber ein alter, erfahrener Bulle, welcher wohl wußte, daß er für sich nichts zu befürchten hatte, hineinrannte, folgten die andern hinter ihm drein, und die Umzäunung wurde sofort geschlossen.

Da sahen die Gauchos die vier Reiter halten. Sie kamen herbeigeritten. Der vorderste rief, als er den Chirurg erblickte, fröhlich lachend:

Cielo, beim Himmel, das ist el Carnicero, der Fleischhauer! Willkommen, Señor! Wollen Sie bei uns vielleicht etwas heruntersäbeln? Wir sind alle gesund und munter. Lassen Sie also Ihre Instrumente stecken!“

Dieser Empfang schien den Doktor Parmesan zu verdrießen, denn er antwortete:

„Lassen Sie solche Scherze, wenn Sie mit einem Caballero sprechen! Wie können Sie mich Carnicero nennen! Ich verbitte mir das! Meine Ahnen wohnten auf altkastilianischen Burgen und Schlössern und haben siegreich gegen die Mauren gekämpft, als von Ihren Vorfahren noch keine Rede war. Für Sie bin ich Don Parmesan Rui el Iberio de Sargunna y Castelguardiante. Das merken Sie sich, Euer Gnaden!“

„Schön, Don Parmesan, ich merke es mir. Übrigens wollte ich Sie keineswegs beleidigen. Sie wissen ja, welche Wertschätzung wir Ihnen widmen, und werden es mir also verzeihen, wenn ich in der Freude über Ihre Ankunft den rechten Ausdruck verfehlte!“

„Das lasse ich mir eher gefallen. Die Reue findet bei mir stets ein versöhnliches Herz. Ich verzeihe Ihnen, zumal ich allerdings weiß, daß Sie meine chirurgische Geschicklichkeit anerkannt haben. Ich mache Sie bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam, daß man bei einer Trepanation der Hirnschale jetzt nicht mehr mit dem zirkelförmigen Trepanum, sondern mit dem Meißel arbeitet. Und was die Heilung des Krebses betrifft, so darf man nicht zu lange bei Umschlägen von Cicuta, rotem Fingerhut und Belladonna verweilen, sondern soll sobald wie möglich zur Exstirpation schreiten. Heraus mit dem Krebs! Man muß das Messer nehmen und schnell – –“

„Bitte, davon später!“ unterbrach ihn der Gaucho. „Sie wissen, Don Parmesan, daß wir uns sehr gern von Ihnen belehren lassen, denn es gibt keinen, der ein solches Messer führt wie Sie; aber Sie haben da Señores bei sich, gegen welche wir unhöflich sein würden, wollten wir vom Krebse weiter sprechen oder ihnen gar Löcher in den Schädel meißeln. Darf ich Euer Gnaden um ihre Namen bitten?“

„Die Señores sind neue Bekannte von mir, welche nach dem Gran Chaco wollen, gelehrte, hochstudierte Leute, infolgedessen ihre Namen so schwer auszusprechen sind, daß es mir unmöglich ist, sie Ihnen zu sagen.“

„Ich heiße Morgenstern und mein Begleiter Kiesewetter,“ erklärte der Privatgelehrte. „Wir sind gekommen, um einige Pferde zu kaufen. Hoffentlich sind welche übrig, was der Lateiner supersum oder nach Umständen auch reliquus nennt.“

„Nun, Reliquien sind unsre Pferde nicht; aber der Estanciero wird Ihnen doch gern einige verkaufen. Leider kommt er erst heute abend heim. Sie werden bis dahin unsre Gäste sein und können, wenn Sie sich unterhalten wollen, an der Zeichnung unsrer Rinder teilnehmen.“

„Außerordentlich gern! Ich habe so etwas noch nicht gesehen.“

„So kommen Sie! Ich werde Sie dem Majordomus vorstellen.“

Er ritt ihnen voran nach dem Wohngebäude und rief den Majordomus heraus, welcher die Herren willkommen hieß und in das Zimmer führte. Der Peon aus Santa Fe wurde abgelohnt und kehrte mit den Pferden nach der Stadt zurück.

Der Besitzer der Estancia war gewiß ein wohlhabender Mann, dennoch konnte die Einrichtung seiner Wohnung nicht einmal mit derjenigen eines einfachen deutschen Arbeiters verglichen werden. Die vier Lehmwände waren nackt und leer. Es gab einen alten Tisch, zwei noch ältere Stühle und mehrere niedrige Schemel. Eine Guitarre hing in der Ecke. Das war alles. Der Majordomus lud zum Sitzen ein und begab sich nach der Küche, um den üblichen Mate zu holen, welcher jedem Gaste sofort vorgesetzt wird.

Mate ist Paraguay-Thee; er wird aus den Blättern und Stengeln von Ilex paraguyensis gewonnen und hat die Form eines groben Pulvers. Man thut eine Prise desselben in einen kleinen, ausgehöhlten Flaschenkürbis und gießt kochendes Wasser darauf. Der Thee wird nicht getrunken, sondern mittels einer dünnen, metallenen Röhre, Bombilla genannt, die man in den Mund nimmt, aus dem Kürbis gesogen. Da die Bombilla sehr heiß wird, verbrennen sich Ausländer, welche diese Art des Trinkens nicht gewöhnt sind, gewöhnlich Lippen und Zunge, bis sie gelernt haben, vorsichtig zu sein.

Solchen Mate bekamen die drei Gäste. Der Chirurg sog das Getränk mit Vorsicht in den Mund, Fritze war lange genug im Lande gewesen, um zu wissen, daß er sich in acht zu nehmen habe; der Doktor aber brachte dem Mate sofort den Tribut, welchen in der Regel jeder Ausländer ihm bringt. Die Bombilla war heiß, und er sog zu kräftig, infolgedessen er zu viel des wohl achtzig Grad nach Reaumur haltenden Thees in den Mund bekam. Er verbrannte sich, und da er es für unanständig hielt, den Mate auszuspucken, schluckte er ihn hinab –Natürlich verbrannte er sich auch den Schlund und rief, indem er sein Gesicht schmerzlich verzog:

„O weh, meine Lippen, mein Gaumen, mein Schlund, lateinisch Labia, Palatum und Gluttus genannt! Das ist ja der reine Teufelstrank, ganz geeignet, die Verdammten in der Hölle innerlich zu martern! Ich danke ganz ergebenst für dieses Ilex-Wasser!“

„Dat habe ick bei die ersten Versuche ooch Jesagt,“ meinte Fritze. „Bei zu kräftige Anziehungskraft verfeuerwerkert man sich die Jeschmacksorgane, doch dauert’s nicht lange, bis man sich injerichtet und den richtigen Manometerdruck anjewöhnt hat. Trinken Sie man weiter, Herr Doktor!“

„Fällt mir gar nicht ein! Ich glaube, mein Schlund ist eine einzige Brandblase!“

Er war durch kein Zureden zu bewegen, noch einen Zug zu thun. Die beiden andern aber hatten ihre Calabazas (Flaschenkürbisse) bald ausgeleert, und dann wurden sie von dem Majordomus aufgefordert, sich mit nach dem Corral zu begeben, um dem hochinteressanten Zeichnen der Rinder beizuwohnen. Don Parmesan legte seinen roten Poncho, sein Kopftuch und die Chiripa ab, welche beide von derselben Farbe waren. Von Morgenstern nach dem Grunde befragt, antwortete er:

„Wissen Euer Gnaden noch nicht, daß die rote Farbe diese halbwilden Rinder reizt? Wer rot gekleidet ist, soll sich hüten, einem Toro nahe zu kommen.“

„Meinen Sie? Meines Wissens ist es nur vom Puter wissenschaftlich festgestellt, daß er gegen diese schöne Farbe idiosynkrasiert. Aber daß auch das Rind, Bos auf lateinisch, denselben Widerwillen besitzt, ist wohl hie und da geäußert, aber noch von keinem Zoologen mit unumstößlichen Beispielen belegt worden. Da ich nun Zoolog bin und hier eine so vortreffliche Gelegenheit finde, mir hier den Stoff zu einer gelehrten Abhandlung über dieses Thema zu sammeln, so würde es eine Sünde gegen die Wissenschaft sein, wenn ich meine roten Kleidungsstücke ablegen wollte.“

„Aber Sie begeben sich in Gefahr, Señor!“

„Der echte Jünger der Wissenschaft darf, wenn es gilt, ein Problem zu lösen, nicht fragen, ob eine Gefahr damit verbunden ist. Ich bleibe also angekleidet, wie ich bin.“

„Ick ooch,“ stimmte Fritze bei. „Da ich der Diener eines Zoologen bin, darf mir selbst der größte Ochse nichts andres als nur ein Gegenstand dieser edlen Wissenschaft sein.“

Der Majordomus hatte jedenfalls seine eigenen Gedanken, hielt es aber nicht für nötig, auch seinerseits eine Warnung auszusprechen, die doch auch ohne Erfolg gewesen wäre. Man ging hinaus. Der Haupteingang des Corrals war zu, doch gab es neben demselben eine kleine, schmale Öffnung, durch welche ein Mensch schlüpfen konnte; diese benutzten die drei Gäste, um in den Corral zu kommen. Der Majordomus blieb außerhalb desselben.

Der Rodeo, wie man das Zusammentreiben einer Herde in die Corrals nennt, war im vollsten Gange. Die Masse der Rinder hielt eingeschüchtert im hintern Teile des umzäunten Platzes; das Jungvieh aber, welches gezeichnet werden sollte, jagte, von den Gauchos verfolgt, auf dem freien Raume umher. Jedes Rind, welchem die Marke aufgebrannt werden sollte, mußte eingefangen und so gefesselt werden, daß es keinen Widerstand zu leisten vermochte. Dazu gehörten, wie es hier auf dieser Estancia gehandhabt wurde, fünf Gauchos. Andre waren beschäftigt, ein Feuer zu unterhalten, in welchem die Stempel glühend gemacht wurden.

Der ganze Vorgang ging folgendermaßen vor sich: Das betreffende Rind wurde zunächst von den übrigen geschieden. Während es dann über den Platz rannte, jagte ihm ein Gaucho nach, um ihm den Lasso über den Kopf zu werfen. Die Schlinge zog sich stets mit unfehlbarer Sicherheit um den Hals zusammen, benahm dem Tiere den Atem und riß es nieder. Sofort waren die vier andern Gauchos bei der Hand, um ihre Schlingen um die Beine zu werfen. Die Pferde, auf denen diese fünf Reiter saßen, und an deren Sattelknöpfe die Enden der Lassos befestigt waren, kannten das, was sie zu thun hatten, sehr genau; sie zogen, jedes in der betreffenden Richtung, die Lassos straff an, wodurch die Beine des Rindes scharf ausgestreckt wurden, und in diesem Augenblicke sprang ein sechster Gaucho mit dem glühenden Stempel herbei, um ihn dem Tiere auf den linken Oberschenkel zu drücken. War dies geschehen, so ließ man es frei; es sprang auf, rannte, vor Schmerz und Aufregung brüllend, einige Male hin und her und kehrte dann zur Herde zurück, um sich in derselben zu verstecken.

Diese Prozedur lief nicht immer glatt ab. Zuweilen saß ein Lasso nicht an der gewünschten Stelle fest; das Tier konnte sich also bewegen und sich wehren. Dann war Hilfe oder doppelte Anstrengung notwendig, und das ging nicht ohne Rufen und Schreien, ohne Scenen ab, bei denen es einem Europäer hätte angst und bange werden mögen. Das gequälte Rind sträubte sich brüllend; die andern stimmten ein und stoben schnaubend auseinander, um auf dem Platze umherzujagen, bis sie von den Gauchos mit hochgeschwungenen Lassos und Bolas wieder zusammengetrieben wurden. Da kam es vor, daß ein widerspenstiger Ochse sich zur Wehr setzte und der angegriffene Reiter sich nur durch Aufbietung aller seiner Geschicklichkeit zu retten vermochte.

„Dat ist allerdings hochinteressant,“ sagte Fritze nach einer solchen Scene zu seinem Herrn. „Ick habe doch auch schon zu Pferde jesessen, aber sonne Jelenkigkeit, wie hier erforderlich ist, kann ick nicht aufweisen. Ick bin überzogen, daß dat erste beste Rind mir über den Haufen rennen würde, Ihnen nicht auch, Herr Doktor?“

„Mit mathematischer Gewißheit kann ich diese Frage nicht beantworten,“ meinte bedachtsam der Doktor. „Ich habe noch keine Erfahrungen darüber, und man soll, wie die Wissenschaft lehrt, nur das behaupten, was man beweisen kann. Übrigens liegt mir an dem Beweise, daß ich umgerannt würde, bedeutend weniger als an demjenigen, daß der Wiederkäuer, welchen wir mit dem Worte Rind bezeichnen, wirklich einen so großen Widerwillen gegen die rote Farbe hat, wie vorhin behauptet wurde. Ich hoffe, du wirst mir behilflich sein, einen darauf bezüglichen Versuch anzustellen.“

„Sehr jerne, wenn es nämlich ohne zerbrochene Gliedmaßen jeschehen kann.“

„Ohne allen Zweifel!“

„So? Denken Sie doch an den Büffel beim Stierjefecht!“

„Das war ein Bison americanus, während wir es hier mit einfachen argentinischen Rindern zu thun haben. Ich beabsichtige eine Probe zu machen, und zwar eine Doppelprobe. Wir sind beide rot gekleidet; ich nähere mich einem Ochsen, und du bemühst dich, an eine Kuh zu kommen. Auf diese Weise erfahren wir nicht nur, ob das Rind im allgemeinen die betreffende Abneigung besitzt, sondern es wird zugleich auch die besondere und sehr wichtige Frage beantwortet, bei welchem Genus diese Aversion bedeutender ist, ob beim Genus masculinum oder bei dem Genus femininum.“

„Jut, aber wenn ick nun jrad an den bösern Genus jerate!“

„Das steht nicht zu erwarten, da ich den Ochsen auf mich nehmen werde und jede Eigenschaft, also voraussichtlich auch dieser Widerwille, beim männlichen Geschlechte schärfer ausgeprägt ist, als beim weiblichen, welches ja bekanntermaßen stets die schwächere Hälfte bildet. Also, bist du bereit?“

„Ja, ick will mir Ihnen zu Jefallen für diese zoologische Frage interessieren.“

„Es ist nicht eigentlich eine allgemein zoologische, sondern eine besonders zoopsychologische.“

„Dat ist eins und dasselbe. Ob ick zoologisch oder zoopsychologisch niederjerannt werde, bleibt sich gleich. Beides ist gleich unanjenehm, soll aber für Ihnen jewagt werden.“

„So nimm du die Kuh, welche eben jetzt gebrannt wird.“

Er zeigte auf das Tier, welches eben jetzt gefesselt an der Erde lag, um die Marke zu erhalten. Die beiden Deutschen hatten bisher an der Umzäunung und hinter den Gauchos gestanden, welche das Feuer unterhalten mußten, und dies war wohl der Grund, weshalb den Tieren die rote Farbe ihrer Kleidung noch nicht aufgefallen war. Fritze folgte der Aufforderung seines Herrn und ging schnell nach der Stelle, wo die Kuh soeben von ihren Fesseln befreit wurde. Als die Gauchos dies sahen, riefen sie ihm von mehreren Seiten zu:

Arredro, arredro! Que demencia, que locura – zurück, zurück! Welch ein Wahnsinn, welch eine Verrücktheit!“

Er ließ sich nicht aufhalten und ging weiter. Eben löste sich der letzte Lasso und zwar vom Halse der Kuh. Sie sprang auf und wendete sich zur Flucht. Da fiel ihr Auge auf den unvorsichtigen Deutschen. Durch die rote Farbe seines Anzuges gereizt, senkte sie den Kopf zum Angriffe; aber die Behandlung, welche sie vor wenigen Augenblicken erfahren hatte, übte doch noch eine einschüchternde Wirkung; das Tier stand einige Augenblicke mit gesenkten Hörnern, warf dann den Kopf empor und rannte davon.

„Welch ein Glück!“ ertönte es von den Lippen der Gauchos. „Eilen Sie zurück, eilen Sie, Señor! Bleiben Sie dort am Zaune! Wissen Sie denn nicht, daß die rote Farbe diesen Tieren zuwider ist?“

„Ich wußte es nicht genau und wollte deshalb versuchen, ob es wahr ist,“ antwortete er, indem er langsam zurückkehrte.

„Versuchen Sie es nicht noch einmal; es könnte Ihnen nicht wieder so glücken, wie das jetzt der Fall war!“

Aus ihren Worten sprach nicht nur die Besorgnis um ihn, sondern auch der Unwille darüber, daß er es ohne ihre Erlaubnis gewagt hatte, sich der Kuh zu nähern, um sie zu reizen. Er wäre von ihnen wohl weiter zurechtgewiesen worden, wenn sie Zeit gehabt hätten, sich länger mit ihm zu beschäftigen. Er aber trat siegesfroh zu Morgenstern und sagte:

„Nun, sind Sie mit mich zufrieden? Die Probe ist, denke ich, jenügend ausjefallen.“

„Allerdings,“ nickte der Doktor. „Die Kuh wollte auf Sie losgehen, besann sich aber eines andern. Es ist daraus mit Sicherheit zu schließen, daß ihr die rote Farbe unangenehm war, doch nicht in einem Grade, der sie zum wirklichen Angriffe, lateinisch Aggressio geheißen, veranlaßt hätte. Wir haben es also bei diesem Genus femininum mit einer Abneigung geringen Grades zu thun, und ich werde mir nun ein Masculinum suchen, um einen vergleichenden Beweis erbringen zu können.“

Während dieser kurzen Unterhaltung waren einige Gauchos in die Herde eingedrungen, um wieder ein Stück zwischen ihre Lassos zu nehmen. Die Färse, auf welche sie es abgesehen hatten, hielt ganz in der Nähe des alten Bullen, welcher als erster in den Corral gegangen war. Er hatte sich bisher ruhig verhalten; als aber jetzt die Riemen so nahe bei ihm geschwungen wurden, glaubte er, es sei auf ihn abgesehen, brach mit Gewalt aus dem Rebaño (Herde) und galoppierte brüllend über den freien Platz gerade auf das Feuer zu. Die dort befindlichen Gauchos warfen die Arme in die Luft und schrieen ihm entgegen, um ihn dadurch zur Umkehr zu bewegen. Er blieb auch wirklich kurz vor ihnen halten und glotzte sie mit stieren Augen an. Einer riß einen Brand aus dem Feuer und warf ihm denselben an den Kopf; da drehte sich der Stier um, jedenfalls um zurückzukehren, hielt aber schon bei halber Wendung inne und ließ ein zorniges Brummen hören.

Die Ursache dazu hatte ihm Morgenstern gegeben, welcher ihm entgegengetreten war und jetzt kaum vier Schritte entfernt vor ihm stand.

Lugar, lugar – auf die Seite, auf die Seite!“ schrieen die Gauchos.

Der Bulle drang nämlich mit einem ganz plötzlichen Sprunge auf den kleinen Gelehrten ein, und es war für diesen ein Glück, daß er den Warnungsrufen augenblicklich Folge leistete und eine schnelle Wendung nach rechts machte, denn nur dadurch entging er den Hörnern des Tieres, welches an seiner linken Seite vorüberschoß, sich aber rasch umwendete, um ihn wieder anzunehmen.

Lugar, lugar!“ riefen die Gauchos von neuem. Dabei sprengten die Reiter heran, um die Aufmerksamkeit des Angreifers von dem Deutschen ab, und auf sich zu lenken.

Morgenstern wich abermals glücklich aus, doch ging die ihn bedrohende Hornspitze nicht weiter als drei Zoll an ihm vorüber. Erst jetzt blitzte in ihm die Einsicht auf, daß er sich in eine große Gefahr begeben habe, und die Sorge um sein Leben gab ihm einen ebenso plötzlichen wie eigenartigen Gedanken ein. Er konnte sich nur retten, wenn es ihm gelang, den gefährlichen Hörnern auszuweichen; der Ochse hatte die Hörner vorn, und so war also nur hinter ihm Sicherheit zu finden. Dieser Gedanke wurde von dem kleinen Männchen ebenso schnell ausgeführt, wie er gekommen war: Morgenstern sprang hinter dem Ochsen drein. Dieser wendete sich wieder um und sah seinen Gegner nicht mehr stehen, wo er gestanden hatte, bemerkte ihn aber hinter sich. Sich abermals umdrehend, suchte er ihn zu erreichen; aber der Gelehrte war behend und machte die Schwenkung mit, um hinter dem Feinde zu bleiben. Dies wiederholte sich mehrere Male, und zwar so schnell, daß die Gauchos ihre Bolas und Lassos nicht anwenden konnten, ohne den Deutschen zu gefährden. Aber diese Schnelligkeit verschlimmerte seine Lage; er fühlte, daß er derselben nicht gewachsen sei und bald ermüden werde. Gab es denn gar keine Rettung, keinen Halt? Gewiß gab es einen Halt, ganz nahe da vor ihm! Er griff mit beiden Händen zu und hielt sich an dem Schwanz des Ochsen fest. Solange er da hängen blieb, konnten ihn die Hörner nicht erreichen.

Als der Stier sich da ergriffen fühlte, wo ihn noch niemals eine solche Realinjurie getroffen hatte, blieb er zunächst einige Sekunden lang in sprachlosem Erstaunen stehen; dann sprang er mit beiden Hinterbeinen zur Seite, um das Anhängsel abzuschleudern, was ihm aber nicht gelang, da Morgenstern auf Tod und Leben festhielt. Hierdurch an allen seinen Einsichten, Kenntnissen und Erfahrungen erst recht irre geworden, hielt der verblüffte Bulle es für das klügste, die Partie vollständig aufzugeben, selbst wenn der Schwanz dabei verloren gehen sollte. Er ließ ein klägliches Brüllen hören und rannte spornstreichs seiner Herde zu.

Hatten die Gauchos erst gebrüllt, was die Lungen nur hergaben, um das Tier von dem Gelehrten abzuhalten, so lachten sie jetzt ebensosehr über den Anblick, der sich ihnen bot. Der Stier schien vor Entsetzen ganz außer sich zu sein; er machte die tollsten, bockbeinigsten Sprünge, bald nach rechts und bald nach links den Hinterkörper werfend. Man hörte seinem Gebrüll die Angst, welche er empfand, ganz deutlich an. In dieser Weise hatte noch kein Gaucho einen Ochsen brüllen hören. Morgenstern hielt fest. Er konnte nicht so schnell laufen wie sein Vordermann, verlor infolgedessen die Erde unter den Füßen und wurde fortgeschleift, bis seine Kräfte nachließen und er den Schwanz losließ, was einen Purzelbaum zur Folge hatte, wie er ihn so ungeheuer wohl noch nie im Leben geschlagen hatte.

Da erreichte das Gelächter der Gauchos eine Stärke, daß man hätte meinen mögen, es sei eine ganze Armee in Lachkrampf gefallen, wodurch die Angst des Bullen derart vergrößert wurde, daß er wie ein Pfeil zwischen seinesgleichen hinein- und hindurchfuhr, bis er die hinterste Ecke erreichte, wo er schnaubend stehen blieb und da jedenfalls das stille Gelübde that, niemals wieder mit einem Zoologen aus Jüterbogk anzubinden.

Morgenstern war ganz ohne alle Verletzung davongekommen. Er erhob sich vom Boden, befühlte einige seiner Gliedmaßen und kehrte dann langsam dahin zurück, wo er vorhin gestanden hatte. Die Gauchos kamen, noch immer lachend, herbei, um ihm zu gratulieren. Derjenige aber von ihnen, der die Reisenden bei ihrer Ankunft angeredet und nach dem Wohnhause geführt hatte – er mochte wohl der Oberpeon sein – sagte sehr ernst:

„Sie sind im höchsten Grade unvorsichtig gewesen, Señores, und scheinen selbst jetzt noch nicht zu wissen, daß Sie Ihr Leben auf das Spiel gesetzt haben. Wie kommen Sie, und zwar beide, denn eigentlich dazu, sich in dieser Weise an die Rinder zu wagen?“

„Infolge eines zoopsychologischen Problems,“ antwortete Morgenstern.

„Diese Worte verstehe ich nicht.“

„Ich wollte erfahren, ob die rote Farbe wirklich im stande ist, diese Familie der Wiederkäuer so in Zorn zu bringen.“

„Ah! Und deshalb wagten Sie Ihr Leben? Das konnten Sie billiger haben. Hätten Sie uns gefragt, so wären wir gern bereit gewesen, Ihnen alle Auskunft zu erteilen.“

„Sind Sie Zoolog?“

„Nein; ich bin Gaucho.“

„So hätte Ihre Aussage mir nicht genügen können. Hier gelten nur anerkannte Autoritäten.“

„Señor, wenn ich auch nicht zu den Autoritäten zähle, so bin ich doch jedenfalls ein Caballero!“ meinte der Mann beleidigt. „Glauben Sie, daß ich Sie belügen würde?“

„Nein. Sie würden mir sagen, was Sie für wahr halten; aber das kann doch kein Grund sein, Ihre Ansicht als eine wissenschaftliche Wahrheit einzuführen. Eine solche Wahrheit kann nur von Fachmännern festgestellt werden.“

„Ich bin kein Gelehrter und will nicht annehmen, daß Sie mich beleidigen wollen, denn Sie sind unser Gast. Sie sind jedenfalls Fachmann, und es freut mich, daß Sie nun auf Grund eigener Erfahrung eine Wahrheit, die wir längst kannten, feststellen können. Aber Ihre Unvorsichtigkeit hat auch uns in Gefahr gebracht. Das sehen Sie wohl ein?“

„Wieso Sie in Gefahr?“

„So wissen Sie wohl gar nicht, was eine Estampeda ist?“

„Nein.“

„Eine Estampeda ist eine durchbrechende, durchgehende, aufgeregte, fliehende Pferde- oder Rinderherde. Infolge Ihrer Unvorsichtigkeit konnten wir alle sehr leicht unter die Hufe gestampft werden. Hoffentlich geben Sie mir wenigstens in dieser Beziehung recht und haben die Güte, dafür zu sorgen, daß weder Sie selbst noch wir durch Ihre roten Anzüge wieder in Verlegenheit gebracht werden.“

Er wendete sich ab, und die andern Gauchos folgten diesem Beispiele. Sie fühlten sich beleidigt, daß ihr Anführer nicht als „Autorität“ anerkannt worden war. Die beiden Deutschen verstanden den ihnen gegebenen Wink und entfernten sich durch die Lücke aus dem Corral. Draußen vor der Umzäunung meinte Fritze:

„Dat jing jrad wie im Cuartel von Santa Fe. Nicht?“

„Wieso?“

„Wir sind herausjeworfen worden, hier moralisch und dort auf unmoralische Weise. Ick muß sagen, daß unser Ritt sehr jut anfängt. Wir haben noch nicht mal Pferde und sind gleich am ersten Tage zweimal ex jeliefert worden. Wenn dat in diese Weise fortjeht, so werden wir aus dem Gran Chaco jeworfen, aus Peru jestoßen, aus Amerika jeschmissen und sitzen dann im jroßen Ozean, wat man dat Stille Weltmeer nennt, und warten dort, bis wir durch eine neue Sündflut als vorjeschichtliche Walfische herausjebuddelt werden. Man hat unsre Ambition beschädigt; wir aber besitzen wenigstens den Trost, daß die wissenschaftliche Wahrheit festjestellt worden ist: Der Puter ärjert sich nicht alleine über die rote Farbe.“

„Ja,“ nickte der Doktor. „Ich werde der Akademie der Wissenschaften eine Abhandlung über diesen Gegenstand einsenden. Es ist nun heutigestags unwiderleglich bewiesen, daß die Rinder einen Widerwillen gegen die rote Farbe haben.“

„Und zwar beide Jeschlechter.“

„Allerdings, aber doch in verschiedenem Grade. Das Masculinum war empfindlicher als das Femininum. Du wurdest nicht angegriffen, während der Stier mich in eine beinahe unkomfortable Lage brachte.“

„Aber woher denn diese Aversion gejen diese Farbe, welche jrade meine Lieblingsfarbe ist?“

„Das läßt sich jetzt nicht sagen. Die Thatsache ist festgestellt; den Gründen muß man noch nachspüren. Ob es vielleicht darin liegt, daß die roten Farbenstrahlen im Sonnenspektrum durch das Prisma am schwächsten gebrochen werden? Die roten Strahlen schwingen in einer Sekunde nur fünfhundert Billionen mal.“

„Sollte dat dem Bullen aufjefallen sind?“

„Von dieser Zahl hat er höchst wahrscheinlich keine Vorstellung. Aber wenn z. B. das Violett in der Sekunde achthundert Billionen Schwingungen macht, so ergibt das einen Unterschied von dreihundert Billionen, welcher so groß ist, daß er selbst auch dem Auge eines Wiederkäuers wohl aufzufallen vermag. Doch bedarf das jedenfalls noch der Aufklärung. Ich habe meinen nächsten Zweck erreicht und dabei zugleich eine Entdeckung gemacht, über welche jeder Menageriebesitzer in Entzücken geraten wird, wenn ich sie veröffentliche.“

„So? Welche denn?“

„Wie selbst das wildeste Tier sofort zu bändigen ist. Man hängt sich einfach an den Schwanz desselben. Die Situation ist zwar nicht übermäßig bequem, doch wird das einen Tierbändiger nicht hindern, meinem Beispiele zu folgen; ich bin überzeugt, daß es jeder wenigstens einmal versuchen wird.“

„Hm! Dat ist nun sonne Sache! Ick möchte mir zum Beispiel nicht an den Schwanz eines Löwen oder einer Riesenschlange hängen.“

„Es kommt auf den Versuch an, und ich bin der Wissenschaft zuliebe jederzeit bereit, ihn zu machen. Das Sprichwort sagt so wahr: Probieren geht über studieren.“

„Wat mir betrifft, so möchte ick diese Anjelejenheit doch weit lieber in einem Buch studieren, als mit so ’nem indischen Königstiger.“

Sie waren während dieses gelehrten Gespräches langsam weitergegangen und hatten nicht bemerkt, daß der Chirurg ihnen gefolgt war. Jetzt holte er sie ein und sagte:

„Señores, die Gauchos sind sehr erzürnt auf Sie. Ich warnte, doch Sie achteten meiner Worte nicht und kamen in Gefahr. Leider aber ließ der Bulle sich ins Bockshorn jagen.“

„Leider?“ fragte Morgenstern verwundert.

„Ja, leider! Denn wenn er nicht so erschrocken wäre, hätte ich Gelegenheit gehabt, Ihnen meine Kunst zu zeigen.“

„Wieso?“

„Er hätte Sie entweder aufgespießt oder Ihnen einige Knochen zerbrochen. Wie glücklich hätte es mich gemacht, Euer Gnaden beweisen zu können, daß ich ein Meister in der Behandlung jeder Art von Wunden und Knochenbrüchen bin. Ich ziehe den längsten Splitter heraus, ohne daß die Blutung sich vergrößert. Ich bin in jedem Augenblicke zur subtilsten Operation bereit. Was sagen Sie zum Beispiel zur Exstirpation der Nasenknochen?“

„Der Nasenknochen?“ fragte Fritze, indem er unwillkürlich und schnell an seine Nase griff. „Hoffentlich haben Sie es nicht auf mein Gesicht abgesehen. Exstirpieren Sie wen und was und wo und wann Sie wollen, aber mich lassen Sie in Ruhe! Sie sind ja ein ganz gefährlicher Mensch! Uns, die wir Ihre Freunde sind oder wenigstens werden sollen, wünschen Sie zerstoßene Leiber und zerbrochene Knochen! Ist so etwas erhört? Das ist eine Unhöflichkeit, welche Ihnen nicht zur Ehre gereicht, Señor.“

„Was das betrifft, Señor Federico (Friedrich), so haben Sie mir keine Vorwürfe zu machen, denn auch Sie sind unhöflich gewesen, nämlich gegen die Gauchos. Man sagt keinem Caballero, daß er nicht Fachmann sei. Das hat die Caballeros so beleidigt, daß Sie von ihnen kein Entgegenkommen zu erwarten haben. Sie werden das bemerken; doch sprechen wir nicht weiter über diesen Gegenstand; gehen wir lieber nach dem Corral der Pferde, um zu sehen, welche Art von Tieren wir da zu kaufen bekommen werden.“

Der Corral war leer. Um die Pferde zu sehen, mußten sie hinaus auf den Camp gehen, wo dieselben weideten. Die Estancia gehörte, wie bereits gesagt, nicht zu den größeren, und dennoch war es erstaunlich, welch eine Menge des Weideviehes es hier gab.

Das Hauptprodukt der La Plata-Staaten ist das Vieh; die Estancieros züchten Pferde, Rinder und Schafe. Das europäische Pferd wurde 1536 durch Mendoza, das Schaf 1550 aus Peru und das Rind 1553 von Brasilien her eingeführt. Nur selten reitet man eine Stunde lang durch das Land, ohne ganze Majados (Herden) dieser Tiere zu erblicken. Man rechnet, daß eine Quadratlegua 20000 Schafe oder 300 Stück Hornvieh, welch letzteres sich in guten Jahren um bis 800 Stück vermehrt, zu ernähren vermöge.

Den Schafen wird, der Wolle wegen, das bessere Weideland überlassen; ihnen widmet man einige Sorgfalt. Um die Pferde und Rinder kümmert man sich weniger. Sie stehen unter der Aufsicht von Gauchos und Hunden, und der Besitzer nimmt nur dann Notiz von ihnen, wenn sie entweder gezeichnet oder verkauft werden sollen. Für eine Stute zahlt man höchstens 16, für ein gutes Reitpferd nicht mehr als 6o Mark. Ein Stück Hornvieh, welches nach dem Saladero verkauft wird, kostet meist weniger als 50 Mark. Saladeros sind große Schlachthäuser, in denen die Rinder in Massen getötet werden. Das Wort leitet sich von dem spanischen salar, einsalzen, ab. In diesen Etablissements werden die Häute eingesalzen und ungeheuere Talgmengen gewonnen. Einer der berühmtesten Saladeros ist derjenige zu Fray Bentos, wo Liebigscher Fleischextrakt gewonnen wird. Man schlachtet da täglich bis 900 Stück Rinder und zerkleinert die Muskeln mit Maschinen, von denen jede in der Stunde das Fleisch von 200 Ochsen zerschneidet. Das gesamte Fleisch eines Ochsen liefert nur drei Kilogramm Extrakt.

Als die drei Männer sich überzeugt hatten, daß es hier bessere Pferde gab als im Gasthofe zu Santa Fé, kehrten sie nach der Estancia zurück. Dort war man indessen mit dem Zeichnen der Rinder fertig geworden; der Corral wurde geöffnet und die Tiere stürmten, froh, der Gefangenschaft entronnen zu sein, in das Freie. Zwei hatte man zurückgehalten, um sie zu schlachten. Die Reisenden näherten sich, um zuzusehen, in welcher Weise dies geschah.

Der Anblick, welcher sich ihnen bot, war ein höchst widerwärtiger. Die Kühe ahnten, was ihnen bevorstand und brüllten vor Angst. Sie wurden, um ihr Blut zu erhitzen, weil nach der Meinung der Gauchos das Fleisch dann besser schmeckt, eine Zeitlang im Corral umhergehetzt und dann ganz in der oben beschriebenen Weise, als ob sie gezeichnet werden sollten, mit Hilfe der Lassos niedergerissen. Nachdem ihnen einfach die Gurgel durchschnitten worden war, warfen sich die rohen Menschen auf die noch lebenden und vor Schmerz sich bäumenden und mit den Beinen um sich arbeitenden Tiere und schnitten ihnen ganze, lange Stücke rauchenden und zuckenden Fleisches mitsamt der Haut aus den Leibern. Das Todesröcheln, welches sich aus den offenen Gurgeln drängte, war, verbunden mit den gierigen Zurufen der Gauchos, für ein zivilisiertes Ohr nicht anzuhören. Morgenstern ging mit Fritz davon. Der Chirurg aber blieb und zog sein Messer, um sich auch eine Portion zu nehmen. Das unmenschliche Schauspiel war ihm etwas Gewohntes.

Der Gaucho spießt dieses Fleisch an Hölzer oder gleich an sein Messer und hält es über das Feuer, um die angebratene Seite in den Mund zu stecken, den Bissen unter der Nase abzuschneiden und es dann weiter zu braten. Asado nennt er dieses noch im Blute geröstete Fleisch. Sitzt aber gar noch die Haut (cuero) daran, so bildet der Braten seine allergrößte Delikatesse und wird Asado con cuero, Asado mit der Haut genannt.

Bald brannten die Feuer, an denen die Gauchos und andern Bediensteten saßen, um ihr Lieblingsgericht zu verzehren. Um die beiden Deutschen kümmerten sie sich nicht, ganz so, wie der Chirurg gesagt hatte. Dieser aber leistete ihnen bei ihrem Mahle und bei ihrer Unterhaltung Gesellschaft, obgleich sie ihn nicht etwa mit großer Hochachtung behandelten. Seine Versessenheit auf die Chirurgie hinderte ihn, zu bemerken, daß sie mehr ironisch, als ernsthaft mit ihm verkehrten.

Doktor Morgenstern wäre ganz verlassen gewesen, wenn der Majordomus es nicht für seine Pflicht gehalten hätte, sich seiner anzunehmen. Er widmete ihm einige freie Viertelstunden und sorgte dafür, daß es nicht an Speise und Trank gebrach.

So verging der Tag, und der Abend kam, mit ihm der Estanziero, der sich sofort bereit erklärte, fünf Pferde zu dem landläufigen Preise zu verkaufen. Er war erfreut, Europäer bei sich zu finden, von denen wenigstens der eine so kurze Zeit im Lande weilte, daß er über die jüngsten Ereignisse von drüben zu berichten vermochte. Die Gauchos saßen draußen bei ihren Feuern, aßen immer noch oder wenigstens schon wieder, denn so ein Mensch vermag ungeheuere Mengen Fleisch zu verzehren, und füllten die Pausen mit kräftigen Scherzen, leidenschaftlichen Erzählungen und patriotischen Liedern, welche sie mit ihren Guitarren begleiteten. Es gibt selten einen Gaucho, der nicht eine Guitarre besitzt.

Der Estanziero hatte bei seiner Ankunft von ihnen erfahren, was im Corral geschehen war, und schon da den Kopf dazu geschüttelt, daß ein Mensch es wagen könne, mit einem Bullen anzubinden, um sich zu überzeugen, ob derselbe zur roten Farbe gleichgültig sei oder nicht. Nun erkannte er im Laufe der Unterhaltung mehr und mehr, daß Morgenstern ein Original und zugleich ein seelenguter Mensch sei, der nur an sein besonderes Fach denke, von dem gewöhnlichen Leben und dessen Anforderungen wenig oder gar nichts verstehe und überall eher hinpasse, als in die Pampas oder gar in den Gran Chaco, wo der Reisende während des Tages und der Nacht von vielfältigen Gefahren umgeben ist. Darum sagte er endlich, nachdem alle seine teilnehmenden Fragen beantwortet worden waren:

„Aber, liebster Señor, meinen Sie denn wirklich, daß Sie Ihre Zwecke erreichen, ohne in der Wildnis umzukommen? Sie haben keine Ahnung dessen, was Sie im Gran Chaco und in den Cordilleras erwartet.“

„Was das betrifft, so weiß ich sehr wohl, woran ich bin,“ antwortete der Gelehrte. „Ich habe ja das Buch Excursion au Rio Salado et dans le Chaco, par Amédée Jacques gelesen.“

„Ich kenne dieses Buch nicht und brauche es nicht zu kennen, denn ich weiß, daß das Lesen eines Buches einen Menschen, selbst den gelehrtesten, noch lange nicht befähigt, die Entbehrungen und Gefahren zu bestehen, welche Ihrer warten. Oder meinen Sie, daß Sie sich auf diesen sogenannten Don Parmesan verlassen können?“

„Warum nicht? Er ist doch ein gelehrter Mann.“

„Ein Narr ist er, weiter nichts!“

„Aber doch ein bedeutender Chirurg?“

„Fällt ihm nicht ein. Die Chirurgie ist sein fixer Gedanke. Dieser Señor hat noch keinem Menschen ein Haar oder einen Fingernagel gekürzt, obgleich er einen Sack voll chirurgischer Instrumente im Lande herumschleppt.“

„Also nur eine fixe Idee? Sollte man so etwas denken!“

„Warum nicht. Es gibt viele Menschen, welche an einer solchen Monomanie laborieren, ohne, wie es scheint, eine Ahnung davon zu haben, daß sie krank sind. Ich habe da zum Beispiel einen kennen gelernt, der sich mit der fixen Idee herumträgt, nach Knochen von Tieren zu suchen, welche vor Tausenden von Jahren gelebt haben. Hätte Noah geglaubt, daß diese Kreaturen etwas wert seien, so hätte er sie ganz gewiß mit in seine Arche aufgenommen.“

„Señor, das ist keine fixe Idee, sondern der Mann ist jedenfalls ein sehr kluger Kopf, ein Zoopaläontolog, gerade wie ich!“ rief Morgenstern begeistert. „Lebt der Mann hier?“

„Jetzt, ja.“

„Wo denn, wo? Karin ich ihn vielleicht kennen lernen?“

„Kennen lernen? Das ist gar nicht nötig. Sie kennen ihn längst, denn Sie sind es selbst.“

„Ich? Ah! Oh!“ dehnte der Gelehrte, indem er den Mund weit offen ließ. „Mich meinen Sie, mich? So leide ich nach Ihrer Ansicht also an einer fixen, an einer krankhaften Idee?“

„Allerdings. Nehmen Sie es mir nicht übel, Señor; aber es ist so, es ist wirklich so. Was können Ihnen die vorweltlichen Eidechsen nützen?“

„Was sie mir nützen können? Oh, eine einzige solche Eidechse, lateinisch Lacerta genannt, kann mich zum berühmten Manne machen.“

„Das verstehe ich nicht, will es aber glauben. Doch was hilft Ihnen eine Berühmtheit, welche Sie gar nicht erreichen können, weil Sie unterwegs umkommen werden?“

„Umkommen? Halten Sie denn das für so gewiß und sicher, indubitatus, wie der Lateiner sagen würde?“

„Ja, denn Sie sorgen sich um diese vorweltlichen Geschöpfe, aber nicht um Ihr Wohlergehen. Wie ich vernehme, sind Sie zu einer solchen Reise, wie die ist, welche Sie jetzt beabsichtigen, ja gar nicht ausgerüstet.“

„O doch! Ich besitze Waffen, Bücher, Hacken und Schaufeln. Und die Pferde, welche mir nötig sind, werden Sie mir verkaufen. Außerdem ist Señor Parmesan bei mir, der den Chaco kennt.“

„Ich sage Ihnen, daß er ihn nicht kennt, daß er höchstens einmal bis an die Grenze desselben gekommen ist.“

„Aber er gehört doch zur Gesellschaft des Vaters Jaguar!“

„Das glaube ich nicht. Der Vater Jaguar braucht keine Narren.“

„Welchen Grund hätte er denn, es zu behaupten, wenn es nicht wahr wäre?“

„Das will ich Ihnen sagen, Señor. Der Mensch schwärmt bei Tage und träumt des Nachts nur von seiner Chirurgie; aus welchem Grunde, das weiß ich nicht; vielleicht sagt er es Ihnen einmal. Er rennt von einem Orte zum andern, um Knochenbrüche und andre Verletzungen zu finden. Sie haben ihm gesagt, daß Sie nach dem Gran Chaco wollen; da ist er denn sofort überzeugt gewesen, daß es Brüche, Stiche, Kugeln und Wunden geben wird, und hat sich Ihnen zur Begleitung angeboten. Der rettet Sie nicht, wenn Sie in Gefahr kommen.“

Der Estanziero meinte es aufrichtig gut. Morgenstern blickte still und nachdenklich vor sich nieder. Da sagte Fritze, der bei ihnen saß:

„Señor, machen Sie uns nicht bange! Wir sind Preußen, und ein Preuße kommt überall durch. Ich bin schon oben in Tucuman gewesen und denke, daß wir auch jetzt ganz gut hinaufkommen werden. Unsre Ideen sind nicht fix und krankhaft, sondern sehr gesund; darauf können Sie sich verlassen!“

Er sprach in dieser Weise, um die Besorgnis seines Herrn zu zerstreuen, nicht um den Estanziero zu beleidigen. Dieser aber mochte die zuversichtlichen Worte doch nicht recht am Platze finden, verzichtete darauf, guten Rat zu erteilen, und antwortete,

„Ganz wie Sie denken! Sie tragen nicht meine, sondern Ihre Haut zu Markte; es thut mir also nicht weh, wenn sie Ihnen abgezogen wird. Ich wünsche Ihnen aber alles Gute.“

Er stand auf und fragte, ob er ihnen ihre Lagerplätze anweisen dürfe. Man geht in jenen Gegenden gewöhnlich sehr früh schlafen, um zeitig aufzustehen. Die beiden Gäste wurden auf weiche Fellunterlagen gebettet und schliefen bei den Klängen der draußen noch ertönenden Lieder ein.

Als sie erwachten, ging eben die Sonne auf. Die Gauchos waren alle schon munter, obgleich sie sich viel später zur Ruhe niedergelegt hatten. Der Chirurg hatte in einem ihrer kleinen Ranchos geschlafen. Auch der Estanziero war aufgestanden. Über dem Herde brodelte in einem Kessel der Puchero, ein Gemisch von Kochfleisch, Maiskolben, Mandioca, Speck, Kohl und Rüben. Dazu gab es Mate zu trinken, von dem der Doktor aber, um sich nicht wieder zu verbrennen, nichts genoß.

Nach dem Essen ging man nach dem Kamp zu den Pferden. Der Estanziero war trotz der von Fritze erhaltenen Zurechtweisung so uneigennützig, vier seiner besten Pferde selbst auszusuchen und sie Morgenstern zum Gesamtpreise von zweihundert Mark nach deutschem Gelde zu überlassen. Gegen den Chirurgen war er nicht so zuvorkommend; er schien ihm nicht hold zu sein. Dieser mußte selbst wählen und auch mehr bezahlen, obgleich seine Wahl keine für ihn günstige zu nennen war. Für das, was genossen worden war, eine Bezahlung anzubieten, wäre eine Beleidigung gewesen. Don Parmesan kaufte sich von einem Gaucho einen alten Sattel. Den beiden Deutschen ließ der Wirt zwei Pack- und zwei Reitsättel ab. Die letzteren waren von derjenigen Art, welche man Recado nennt und aus mehreren zusammenhängenden Teilen bestehen, die man des Nachts auseinanderschlagen und zur Herstellung des Lagers benutzen kann.

Als dies alles geschehen war, brachen die drei Reisenden auf.

La enhora buena de la vuelta – Glück auf der Reise!“ rief ihnen der Estanziero nach. „Nehmen Sie sich vor den Indianern des Gran Chaco in acht, welche mit vergifteten Pfeilen schießen. Die sind weit gefährlicher als Flintenkugeln!“

Diese sehr gut gemeinte Warnung war nicht unbegründet. Die Indianer Südamerikas bedienen sich noch heut kleiner, spitzer Pfeile, welche sie aus langen Blaserohren schießen. Das dazu nötige Gift bereiten sie aus dem Safte des Strychnosbaumes und einer Lianenart, welche sie Maracuri nennen. Zu diesem Safte kommen noch Pfeffer, Zwiebeln, Kockelskörner und andre, uns unbekannte Pflanzenstoffe. Er wird dick eingekocht und behält seine verderbliche Wirkung jahrelang, obgleich er frisch am schnellsten wirkt. Die kleinste Verwundung mit einem dadurch vergifteten Pfeile führt den unabänderlichen und sichern Tod von Mensch und Tier herbei, doch ist das Curare nur dann schädlich, wenn es direkt in das Blut kommt, gerade wie das Schlangengift. Die Indianer erlegen damit alle jagdbaren Tiere und verzehren dieselben, ohne Schaden davon zu haben. Der eigentlich wirksame Stoff dieses Giftes ist das Curarin, ein in der Rinde der genannten Pflanzen enthaltenes Alkaloid, welches dadurch tötet, daß es die Brustmuskeln lähmt und den Blutumlauf ins Stocken bringt. Wie stark es ist, wird dadurch bewiesen, daß ein Jaguar, von einem solchen winzigen Pfeile so leicht in die Haut getroffen, daß er es gar nicht fühlt, schon nach zwei Minuten tot zusammenbricht.

Der Weg führte, wie gestern, zunächst gerade nach Norden, zwischen dem Rio Salado und dem Rio Saladillo hin, hinter denen dichte Waldungen lagen. Nach nicht ganz einer Stunde führte eine hölzerne Brücke über den erstgenannten Fluß und dann erreichten die Reiter die meist von Deutschen bewohnte Kolonie Esperanza. Da sie den Vater Jaguar einholen wollten und also keine Zeit zu verlieren hatten, hielten sie hier gar nicht an, sondern jagten auf der Straße nach Cordova weiter.

Jagten! Ja, ein Jagen war es allerdings zu nennen, denn der Chirurg ritt in der hier zu Lande gebräuchlichen Schnelligkeit voran, und die beiden andern mußten folgen. In Argentinien legt man im Postwagen in der Stunde durchschnittlich zwanzig Kilometer zurück; ein Reiter aber macht wenigstens fünf Kilometer mehr. Wie lange das Pferd aushält, wird nicht gefragt. Dem Chirurgen fiel es auch nicht ein, sich diese Frage vorzulegen. Er bedachte nicht, daß er einer Gegend entgegenritt, in welcher es keine Estanzien gab, wo man Gelegenheit hat, ein abgetriebenes Pferd gegen Nachzahlung mit einem frischen zu vertauschen. Seine Sporen wühlten förmlich im Fleische seines armen Tieres, und wenn die Deutschen ihn baten, doch weniger grausam zu sein, lachte er gefühllos auf und trieb es nur noch ärger. Er war übrigens ein guter und, wie es schien, auch ausdauernder Reiter.

Fritze Kiesewetter saß auch nicht übel zu Pferde. Er hatte hier im Lande Gelegenheit gehabt, sich an den Sattel zu gewöhnen. Leider aber war dies bei dem kleinen Zoologen nicht der Fall. Zwar hatte er keine Angst vor dem Sattel verraten, jetzt aber zog er ein Gesicht, als ob sein Gaul mit ihm durch alle Wolken fliege. Er gab sich alle Mühe, im Gleichgewicht zu bleiben, und das gelang ihm auch recht leidlich, doch zeigten seine fest zusammengekniffenen Lippen, daß es ihm nicht allzu wohl dabei sei. Hätte er auf einem englischen Sattel gesessen, wäre es ihm wohl viel schwerer geworden, sich zu halten. Übrigens hatte sein Pferd einen weichen, gleichmäßigen Gang, und da man meist in Carriere ritt, wurde derselbe auf das Beste zur Geltung gebracht. Dennoch war der gelehrte Paläontolog nach einem Stundenritte hinter Esperanza schon so ermüdet, daß er sein Pferd anhielt und den beiden andern zurief:

„Halt! Mein Pferd kann nicht weiter. Die Beine thun ihm weh! Es muß Ruhe haben, was der Lateiner Tranquillitas nennt.“

„Schön!“ meinte Fritze, indem er halten blieb. „Ik bin’s sehr zufrieden, wenn wir eine Viertelstunde Ferien machen. Wenn wir in sonne Weise weiterjagen, kommen wir bis gegen Abend drüben in China an, und so weit wollen wir doch jar nicht.“

Der Chirurg aber wollte von einem Aufenthalte nichts wissen. Er gab als Grund an:

„Wir müssen heut noch bis Fort Tio kommen, und das sind wohl noch hundert Kilometer. Nur in diesem Falle können wir die Laguna Porongos bis morgen abend erreichen. Ich reite weiter!“

„In Gottes Namen!“ antwortete Morgenstern, indem er abstieg und sich ins weiche Camposgras setzte. „Wenn Sie Ihr Pferd zu Tode hetzen wollen, so thun Sie es. Wo nehmen Sie dann ein andres her? Ein Pferd ist auch ein Geschöpf Gottes. Sehen Sie nur, wie Sie es in diesen zwei Stunden zugerichtet haben! Es blutet an beiden Seiten. Sie sind von einer fürchterlichen Grausamkeit, lateinisch Atravitas oder Crudelitas, auch Duritas oder Immanitas, sogar Saevitia genannt.“

„Was ich mit meinem Pferde thue, das ist meine Sache, denn ich bin es, der es bezahlt hat, Señor.“

„Was das betrifft, so werden wir Ihnen nicht widersprechen,“ meinte Fritze, „obgleich wir behaupten könnten, daß der Umstand, daß Sie es bezahlten, Ihnen noch nicht das Recht gibt, es zu martern. Wir quälen unsre Pferde nicht, sondern gönnen ihnen und uns die nötige Ruhe. Wir können Sie, wenn Sie partout weiter wollen, nicht halten.“

Er setzte sich neben seinen Herrn nieder. Der Chirurg brummte einige unwillige Bemerkungen in den Bart, hielt es aber doch für besser, sich zu fügen anstatt weiter zu reiten. Schon nach einer halben Stunde aber drängte er wieder zum Aufbruche, und die beiden andern thaten nach seinem Willen, nachdem sie vorher den ihrigen durchgesetzt gehabt hatten.

Der weite Campo, durch den sie ritten, war vollständig eben und nur mit Gras bewachsen. Nirgends zeigte sich ein Strauch oder gar ein Baum; Wälder und Buschwerk findet man nur da, wo es Wasser gibt. Als sie eine Weile geritten waren, vernahmen sie einen wüsten Lärm hinter sich. Sich nach demselben umdrehend, gewahrten sie, daß die Diligence, welcher die Post- und Passagierverbindung zwischen Santa Fé und Cordova oblag, ihnen folgte.

Eine solche Diligencereise ist etwas ganz andres als eine Fahrt mit einer ehrbaren deutschen Postkutsche. Der Unterschied zwischen beiden ist dem Kontraste zwischen einem linden Mailüftchen und einem rasenden Pamperosturm zu vergleichen.

Man spricht oder sprach zwar auch in den La Platastaaten von Straßen; aber bei diesem Worte darf man nicht etwa an chaussierte Wege, welche von Baumreihen eingesäumt werden, denken. Landstraßen oder gut und regelmäßig unterhaltene Wege gibt es dort nicht, da das Material zum Bau derselben vollständig mangelt. Holz ist selten, und Stein findet man gar nirgends. Ein jeder reitet oder fährt in der Richtung, welche ihn zum Ziele bringt, ganz gleich, ob dabei einen oder einige Kilometer weit nach rechts oder nach links abgewichen wird.

Das, was man Straße nennt, besteht aus einer mehr oder weniger breiten Reihe von Spuren und Geleisen, welche in beliebiger Art und Weise über die Pampas führen. Bald hat man einem Bodeneinschnitte zu folgen, bald einen Sumpftümpel zu umgehen oder einen jener kleinen aber steiluferigen Flüsse zu durchqueren, welche hie oder da vorkommen, um ohne alle Verbindung mit einem größeren Strome oder Flusse in der Pampa nach und nach zu verlaufen.

Genau so mangelhaft wie diese Straßen sind auch die Stationen, an denen die Pferde gewechselt werden, meist armselige Ranchos, in welchen der Reisende nicht eine Spur von jenen Bequemlichkeiten findet, auf welche bei uns jeder Passagier Anspruch machen zu müssen glaubt.

Und die Postwagen erst! Diese Fahrzeuge scheinen aus einer Zeit zu stammen, in welcher der Mensch mit dem Höhlenbären auf du und du verkehrte. Sie sind so roh gearbeitet und von so unbehilflicher Form, daß ihr Anblick einem zivilisierten Reisenden, der gezwungen ist, sich ihrer zu bedienen, Grauen einflößt. Das Innere derselben faßt gewöhnlich acht Menschen, während nach unsern Begriffen nur vier Platz hätten. Und dazu müssen diese acht all ihr Reisegepäck bei sich haben. Draußen, hinter dem Kutscher oder Mayoral, gibt es noch zwei Plätze. Das Verdeck wird mit Poststücken und andern Dingen so hoch beladen, daß man glaubt, die Diligence könne unmöglich im Gleichgewichte bleiben und müsse schon bei den ersten Schritten der Pferde umstürzen. Und doch kommt es vor, daß überzählige Reisende noch da oben auf diesem Turmbaue Platz nehmen.

Zu dieser Kutsche gehören acht Pferde. Vier sind vor den Wagen nebeneinander gespannt, vor ihnen zwei und vor diesen eins, auf welchem der Vorreiter sitzt. Auf dem achten „Rößli“ sitzt ein Peon, welcher nebenher reitet und die Aufgabe hat, die Pferde anzutreiben und etwa herab- oder herausfallende Gegenstände aufzulesen.

Die Geschirre sind im höchsten Grade primitiv. Jedes Zugpferd bekommt einen Ledergurt um den Leib geschnallt, an welchem ein Lasso befestigt ist, mit dem es an dem Wagen hängt.

Der Mayoral hat einen spitzen Stock, mit dem er die hintern Pferde anstachelt und eine lange Peitsche, mit welcher er die vordern Tiere erreichen kann. Auch der Vorreiter und der Peon sind im Besitze von je einer Peitsche, so daß also an Mitteln, den Pferden „gütlich“ zuzureden, kein Mangel ist. Oft sitzt auf einem der beiden Mittelpferde noch ein Gaucho, welcher natürlich auch mit einer Peitsche versehen ist.

Diese vier Bediensteten der Diligence haben, mit unsern Postillonen verglichen, das Aussehen von Räubern, denen man sein Eigentum und Leben für keinen Augenblick anvertrauen möchte, sind aber brave und ehrliche Leute, die ihr Fach verstehen und ihren Verpflichtungen in einer Weise nachkommen, daß einem Hören und Sehen vergehen möchte.

Nehmen wir an, die Kutsche ist beladen und die Passagiere sind eingestiegen. Sie haben sich nach Möglichkeit zurechtgesetzt und sind überzeugt, daß die Fahrt nun beginnen werde. Sie beginnt auch, denn der Mayoral stößt ein tigerartiges Gebrüll aus und stößt den hintern Pferden die Spitze seines Stockes in die offenen Wunden, welche von früher zurückgeblieben sind, und handhabt zu gleicher Zeit die Peitsche, als ob er die vordern Pferde erschlagen wolle. Der Mittelreiter, der Vorreiter und der Peon brüllen ebenso und hauen mit ihren Peitschen auf die Tiere ein. Diese springen an; der schwerfällige Wagen thut einen Ruck nach vorn, neigt sich nach rechts, nach links und wird dann von den gepeitschten Pferden vorwärts gerissen. Die Passagiere stoßen bei dem gewaltigen Rucke die Köpfe zusammen und verlieren ihre Hüte; ihr Gepäck rollt ihnen auf den Schoß oder zwischen die Beine; sie strecken die Arme aus, um sich gegenseitig aneinander festzuhalten; der eine erfaßt den andern beim Barte und dieser ihn an der Uhrkette.

„Was wollen Sie mit meinem Barte, Señor?“ fragt dieser.

„Und was haben Sie mit meiner Kette?“ fragt jener.

„Es geschah ohne Absicht. Entschuldigen Euer Gnaden!“

„Bitte ebenso um Verzeihung, Señor. Ich hatte wirklich keine Absicht auf Ihren Bart.“

Die Diligence fliegt aus der Station hinaus. Da thut es hinten einen Krach.

„Anhalten, anhalten!“ schreit der Peon. „Bei San Jago, Mayoral, wir müssen halten!“

Dieser zügelt die Pferde und brüllt:

„Was geht mich dein San Jago an! Ich habe zu fahren, nicht aber zu beten. Was störst du mich?“

„Es ist eine Kiste heruntergefallen. Da hinten liegt sie.“

„So hole sie und wirf sie wieder hinauf!“

„Sie scheint zerbrochen zu sein.“

„Kann ich dafür? Warum nimmt man kein stärkeres Holz zu diesen Kisten. Was ist denn drin?“

„Werde nachsehen.“

Er steigt ab und bringt die Kiste herbei. Der Deckel ist losgesprungen. Auf demselben ist die Adresse eines Professors an der Universität von Cordova zu lesen. Die Kiste enthält Flaschen, von denen einige zerbrochen sind. Eine rote Flüssigkeit tropft heraus und duftet angenehm in die Nase des Peons.

„Bei meiner Seligkeit, es ist Rotwein!“ ruft er aus. „Vier Flaschen sind zerbrochen, glücklicherweise nur oben an den Hälsen.“

„Nimm sie heraus! jedem von uns eine. Man wird dieses Labsal doch nicht zur Erde laufen lassen.“

Die leeren Flaschen werden ausgetrunken, worauf man die Kiste mit einem Riemen zuschnürt und oben auf dem Verdeck anbindet. Dann geht die Fahrt weiter, wobei die Passagiere wieder aneinander geraten.

„Entschuldigen Euer Gnaden! Das ist mein Bein!“ sagt einer derselben, der an seinem Beine gezerrt wird.

„O Verzeihung, Señor! Ich hielt es für das meinige, welches ich zwischen diesen Paketen hervorziehen wollte. Wo haben Sie Ihren Hut?“

„Auf Ihrem Kopfe. Euer Gnaden haben ihn soeben aufgesetzt. Der Ihrige ist aus dem Fenster gefallen.“

„Himmel! Zum Fenster hinaus? So ist er verloren. Woher bekomme ich einen andern! Schreckliche Geschichte, so eine Fahrt mit der Diligence!“

Glücklicherweise ist der Hut nicht verloren. Der Peon hat ihn fliegen sehen, ist umgekehrt, hat ihn, ohne abzusteigen, aufgehoben und bringt ihn jetzt zurück. Indem er ihn zum offenen Fenster hereinwirft, ruft er:

„Hüte festhalten oder anbinden, Señores! Wir haben fast dreißig Kilometer in der Stunde zurückzulegen und können auf Ihre Hüte keine Rücksicht nehmen.“

Dann reitet er wieder vor, um die Zugpferde mit Gebrüll und Peitschenhieben anzutreiben. Gelangt man zufälligerweise an einen ausgetrockneten Bach oder kleinen Fluß, so geht es in Carriere hüben hinab, hindurch und drüben wieder hinauf. Der Peon aber springt vom Pferde, um im Bette des Flusses nach Rollkieseln, den einzigen Steinen, welche es in den Pampas gibt, zu suchen. Er füllt seine Taschen damit und sprengt der Diligence nach, um, wenn die Hiebe nicht genug fruchten, die Pferde dadurch anzutreiben, daß er sie mit Kieseln bombardiert.

Dieser Peon ist ein Meister im Reiten, wird aber von dem Vorreiter womöglich noch übertroffen. Dem letzteren liegt es ob, die Richtung anzugeben. Er hat das Gelände zu überschauen, um mit sicherem Blicke die zu vermeidenden Stellen zu entdecken. Dazu gehört, da man stets in Carriere fährt, eine große Übung. Oft muß er, um eine gefährliche Stelle zu umgehen, eine ganz plötzliche Wendung machen. Dann schreit er wie verrückt; der Mayoral brüllt und haut und sticht auf die Pferde ein, und der Mittelreiter und der nebenher jagende Peon heulen ebenso laut. Die Passagiere, denen himmelangst wird, lassen ihre Stimmen auch hören. Das Gefährt wird in die betreffende Richtung gerissen, um dann gleich wieder auf die andre Seite gezerrt zu werden, was sich besonders dadurch so gefährlich ausnimmt, daß der Vorreiter jede Abweichung von der geraden Linie übertreiben muß.

Will er, daß der Wagen in einem Winkel von zehn Grad abweiche, so reitet er selbst in einem Winkel von dreißig Grad nach der betreffenden Seite. Kommt dann eine ebenso große und ebenso rasche Biegung nach der andern Seite vor, so hat er sein Pferd auf einer Strecke von nur wenigen Metern in einem Winkel von sechzig Graden hin und her gerissen, wobei dem angstvoll zuschauenden Passagiere sich die Haare auf dem Kopfe sträuben möchten.

Man legt, wie bereits erwähnt, auf diese Weise wohl fünfundzwanzig Kilometer in der Stunde zurück, doch nur mit frischen Pferden, welche durch das unsinnige Jagen bald so ermatten, daß dieses Resultat nach und nach ein geringeres wird.

Nähert man sich einer Station, auf welcher Pferdewechsel stattfindet, so jagt der Peon voraus, um die Leute dort zu benachrichtigen. Die Diligencegesellschaften haben nämlich mit denjenigen Estancieros, Hacienderos und Rancheros, deren Besitzungen in der Nähe des Weges liegen, Kontrakte abgeschlossen. Sobald der Peon kommt, werden die Pferde in den Corral getrieben, um da gefangen zu werden. Man hält sie fest und legt ihnen den Gurt an. Die Tiere wissen, welche Anstrengungen und Mißhandlungen ihnen bevorstehen, und wehren sich aus Leibeskräften. Das führt dann wieder zu Scenen, von denen der gebildete Mann sich mit Unwillen abwendet. Die gebrauchten Pferde werden frei gelassen und rennen, vor Freude wiehernd, davon; die frischen werden, indem sie sich bäumen und schnaubend um sich schlagen, an den Wagen gehängt, und dann geht die tolle Fahrt von neuem an.

In den Jahreszeiten des fetten Graswuchses sind die Pferde besser genährt und vermögen solche Anstrengungen leidlich auszuhalten. Ist aber die Weide mangelhaft, oder liegen die Pampas gar dürr, so sind die armen Tiere ausgehungert und vermögen den schweren Wagen kaum zu schleppen. Sollen sie dann noch in rasender Carriere laufen, so können sie es nicht aushalten und brechen schließlich mitten im Rennen zusammen. Das thut aber nichts. Man hat Reservepferde mitgenommen. Man schnallt dem Gurt einem derselben um und läßt das gestürzte Pferd einfach liegen. Es lebt noch, ist aber so abgehetzt und ermattet, daß es nicht aufstehen kann. Seine Flanken schlagen; seine Extremitäten zucken krampfhaft; seine Augen sind mit Blut unterlaufen, und die Zunge hängt ihm weit aus dem geöffneten Maule. Die Geier, welche in Menge auf den Pampas vorhanden sind, und denen niemand etwas thut, weil sie die Gesundheitspolizei bilden, nähern sich und reißen dem armen Tiere das Fleisch fetzenweise vom Leibe. Nach wenigen Stunden ist von dem Pferde nur das vollständig fleischlose Gerippe noch vorhanden. Daher kommt es, daß man fast bei jedem Schritte gebleichten Knochen begegnet. Das Leben eines Pferdes hat eben für den Gaucho keinen Wert. Und wollte man ihn auf die moralische Seite dieser Behandlung eines Geschöpfes Gottes aufmerksam machen, so würde er erstaunt auflachen, weil er nicht das mindeste Verständnis dafür besitzt.

Eine solche Diligence kam jetzt hinter den drei Reitern her. Sie fuhr schneller, als diese ritten und hatte sie also sehr bald eingeholt. Im Vorüberjagen rief der Peon fragend:

„Wohin, Señores?“

„Nach Fort Tio, Euer Gnaden,“ antwortete der Chirurg.

„Wir kommen dort vorüber. Soll ich für Euer Gnaden Quartier bestellen?“

„Ja, ich bitte Sie darum, Señor!“

Die wilde Jagd ging weiter und war sehr bald am Horizonte verschwunden.

„Ist so etwas erhört?“ meinte Fritze kopfschüttelnd. „Bei uns zu Hause würde diesen Leuten sehr bald dat Handwerk jelegt werden. Und da soll man sie noch mit Euer Gnaden titulieren! Wat sagen Sie zu sonne Tierquälerei, Herr Doktor?“

„Gar nichts, als daß man diese Menschen einmal so behandeln sollte, wie sie ihre Pferde behandeln. Dann würden sie vielleicht zur Einsicht kommen, was der Lateiner Intelligentia oder auch Perspicientia nennt.“

Morgenstern hatte die Ruhepause nur wegen sich selbst, nicht aber seines Pferdes wegen gehalten. Dieses war noch gar nicht ermüdet gewesen, und so ging es jetzt im fröhlichen Galopp weiter. Er freilich machte kein sehr fröhliches Gesicht dazu, denn das Reiten strengte ihn an. Er gab sich alle Mühe, dies nicht merken zu lassen, doch mußte am Nachmittage noch ein längerer Halt gemacht werden, und so war es beinahe Abend geworden, als sie das Fort vor sich liegen sahen. Es war ihnen leicht gewesen, den Weg zu demselben zu finden. Das Geleise der Diligence war ein zuverlässiger Führer gewesen.

Unter einem Fort an der argentinischen Indianergrenze darf man sich nicht das denken, was man hier bei uns unter einem Fort versteht. Fort Tio bestand aus einer von dichten, stachelichten Kaktushecken eingefriedigten Fläche, welche von einem Graben umgeben war. Auf dieser Fläche standen einige Ranchos, in denen jetzt wohl zwanzig Soldaten lagen, deren Kommandeur ein Lieutenant war. Der Eingang stand weit offen. Als die drei Männer hineinritten, kam ihnen dieser Lieutenant entgegen.

„Willkommen!“ rief er ihnen zu. „Wir freuen uns, Señores, Sie bei uns zu – – –“

Er hielt inne. Sein Auge war auf den Chirurgen gefallen. Da lachte er fröhlich auf und fuhr fort:

El Carnicero! Ah, sehen wir uns einmal wieder? Welche Operationen haben Sie ausgeführt, seit wir uns in Rosario zum letztenmal sahen?“

Dies war in einem einigermaßen spöttischen Tone gesprochen. „Don“ Parmesan fühlte sich beleidigt und antwortete spitz:

„Ich liebe es, daß sich für meine Operationen nur diejenigen Leute interessieren, welche ich operiert habe oder operieren soll. Soll ich Ihnen oder einem Ihrer Untergebenen ein Bein oder einen Arm abnehmen?“

„Nein, Señor, wir sind glücklicherweise alle sehr gesund und wohl.“

„So lassen Sie uns nicht von solchen Sachen sprechen, obgleich ich Sie wohl fragen könnte, was Sie zum Beispiel zu einer Entfernung der untern Kinnlade sagen. Würde der Patient auch ohne dieselbe leben können?“

„Das vermag ich nicht zu sagen. Ich weiß nur, daß ich ohne die meinige nicht leben möchte. Was für Señores darf ich neben Ihnen begrüßen?“

„Zwei deutsche Gelehrte, von denen der eine der Diener des andern ist. Ihre Namen mögen sie selbst sagen; meine Zunge ist nicht im stande, sie auszusprechen. Ich will lieber einem Elefanten alle beide Zähne ziehen, als mich an diesen beiden Namen vergreifen, welche mit Mor – Mor – und –Kies – Kies – anfangen und sodann mit Silben enden, welche mir höchst unbegreiflich sind.“

Morgenstern nannte seinen und Fritzens Namen und wurde mit diesem nach dem Rancho geführt, welchen der Lieutenant bewohnte. Der letztere hatte schon einige Male nach ihnen ausgeschaut, da der Peon sein Versprechen wirklich gehalten und sie angemeldet hatte.

Die Soldaten besaßen Pferde und Rinder, welche sie am Tage im Freien weiden ließen und abends in das Innere des Forts trieben. Die Rinder gehörten mit zur Verproviantierung des Ortes. Fleisch gab es also genug. Es wurde den Gästen so viel vorgelegt, daß diese es gar nicht zu bewältigen vermochten.

Im Laufe der Unterhaltung bemerkte der Offizier gar bald, wes Geistes Kinder er vor sich hatte. Ein Mensch, der in die Pampas oder gar in den Gran Chaco ritt, um Knochen auszugraben, mußte seiner Ansicht nach wenn nicht ganz, so doch wenigstens halb wahnsinnig sein. Er sah ein, daß gegen diese Idee nichts zu machen sei; aber in Beziehung auf die Ausführung derselben wollte er denn doch einige Bemerkungen machen, welche er für notwendig hielt. Er sah, in welch unvollkommener Weise diese drei Männer ihre Vorbereitungen zu einer so beschwerlichen und gefährlichen Reise getroffen hatten, und fragte deshalb in wirklich neugierigem Tone Morgenstern:

„Sie verweilen jedenfalls einige Zeit hier, um Gefährten oder Diener zu erwarten, welche noch zu Ihnen stoßen werden, Señor?“

„Nein. Ich habe nur einen Gefährten; das ist Señor Parmesan, und auch nur einen Diener; das ist Fritze Kiesewetter, den Sie hier vor sich sehen.“

Parmesan hielt sich nämlich nicht beim Lieutenant, sondern bei dessen Soldaten auf.

„Wie?“ meinte der Offizier verwundert. „So kommt niemand, der Ihnen diejenigen Gegenstände nachbringt, die Ihnen im Gran Chaco unentbehrlich sind?“

„Niemand. Was ich brauche, das habe ich bereits.“

„Sie irren, Señor. Wovon wollen Sie dann leben? Haben Sie Mehl?“

„Nein.“

„Dürrfleisch, Fett und Speck?“

„Nein.“

„Kaffee und Thee? Kakao und Tabak?“

„Nein.“

„Pulver, Zündhölzer und alle diejenigen Kleinigkeiten, welche ein gebildeter Mann nicht entbehren kann? Kleider, Schuhzeug, Scheren und andres Handwerkszeug?“

„Meine Kleider habe ich an. Pulver habe ich einen ganzen Lederbeutel voll.“

„Das ist nicht genug. Und das andre alles fehlt Ihnen auch. Was wollen Sie trinken und essen? Haben Sie Geschirr zum Kochen?“

„Das brauche ich nicht, da ich nicht kochen werde. Trinken werde ich Wasser, und essen werde ich Fleisch.“

„Aber das finden Sie nicht überall.“

„O doch. Wasser gibt’s an allen Orten, und Fleisch werde ich mir schießen.“

„Sind Sie ein guter Schütze?“

„Fritze schießt ausgezeichnet.“

„So will ich Ihnen sagen, daß es Wasser nicht überall gibt. Jenseits des Rio Salado kommen Sie in Montes impenetrabiles sin agua, in die undurchdringlichen und wasserlosen Waldungen. Da können Sie wochenlang dürsten, ohne einen Schluck Wasser zu finden. Und Fleisch? Wenn Sie kein guter Jäger sind, müssen Sie verhungern.“

„Schwerlich! Ich habe gelesen, daß Hunderte von Trappern und Fallenstellern in Nordamerika von dem Fleische wilder Tiere leben. Hunger, was der Lateiner Fames nennt, werden wir nicht leiden.“

„Südamerika ist nicht Nordamerika. Dann die Indianer!“

„Die werden mir nichts thun, weil ich ihnen nichts thue.“

„Sie irren. Wir müssen ihnen zu bestimmten Zeiten einen Tribut – wir nennen es freilich Geschenk – an Pferden, Rindern und Schafen geben, damit sie unsre Herden nicht lichten und uns unsre Tiere nicht stehlen. Dennoch kommen sie häufig über die Grenze, und treiben uns das Vieh zu Hunderten von Stücken weg. Dabei nehmen sie auch Menschen gefangen und schaffen sie nach dem Chaco, um sie nur gegen Geld freizugeben. Sie kommen dann ganz offen in unsre Städte und zu unsern Behörden, um das Lösegeld zu fordern.“

„So gebt es ihnen nicht, sondern bestraft sie!“

„Das geht nicht, Señor. Würden wir einen solchen Boten von ihnen züchtigen, so wären die weißen Gefangenen, um welche es sich handelt, verloren. Wie nun, wenn Sie auch von ihnen festgenommen werden?“

„Mich bekommen sie nicht. Ich bin außerordentlich schlau und vorsichtig, was der Lateiner astutus und catus oder prudens nennt.“

„Mag sein. Ich will das nicht untersuchen. Aber Ihre Kleidung! Wie lange wird sie bleiben, wie sie ist? In der Wildnis geht sie bald in Stücke.“

„Ich nehme sie in acht.“

„Und die Stiefel. Sie haben ja Gauchostiefel ohne Sohlen an. Meinen Sie, daß Ihre Füße über die Dornen und Stacheln des Gran Chaco auch kommen werden?“

„Ich reite ja!“

„Ihr Pferd kann krepieren!“

„So haben wir Reservepferde. O, ich habe an alles gedacht. Übrigens sind wir nicht ganz allein auf uns angewiesen. Wir werden Freunde finden.“

„Wer ist das?“

„Die Truppe des Vaters Jaguar.“

„Ah! Kennen Sie diesen?“

„Ja. Wir haben uns in Buenos Ayres getroffen. Er ist uns vorangeritten, und wir werden ihn einholen.“

„Wenn das der Fall ist, so werden Sie sich allerdings in sehr guten Händen befinden. Er war hier; er wollte nach der Laguna Porongos, um dort zwei Tage zu bleiben.“

„Dann treffen wir ihn gewiß, denn wenn wir morgen zeitig aufbrechen, kommen wir gegen Abend bei der Laguna an.“

„Weiß er denn, daß Sie vorweltliche Tiere ausgraben wollen?“

„Ja. Er hat mir versichert, daß im Chaco welche zu finden sind.“

„Und hat Sie aufgefordert, dorthin ihm nachzukommen?“ fragte der Offizier ungläubig.

„Das nicht. Ich bat ihn, mich mitzunehmen; er aber verweigerte es mir.“

„Das konnte ich mir denken. Er hat andres zu thun, als mit Ihnen nach alten Knochen zu suchen. Und so sind Sie ihm also heimlich gefolgt, ohne daß er es weiß?“

„Ja, heimlich, was der Lateiner clanculum oder clandestinus, auch furtinus und latito nennt.“

„Ich befürchte, Sie sind des Lateinischen sicherer, als einer freundlichen Aufnahme von seiten dieses berühmten Mannes. Kehren Sie um! Graben Sie auf der Pampa nach alten Resten! Das ist nicht so gefährlich, wie eine Reise durch den Chaco, wo hinter jedem Baume ein Jaguar oder Indianer lauern kann!“

„Daß ich mich vor den Indianern nicht fürchte, habe ich Ihnen bereits gesagt, und sollte mir ein Jaguar begegnen, so würde ich mich nur darüber freuen.“

„Freuen? Warum? Eine solche Begegnung kommt nicht jedermann erfreulich vor.“

„Aber mir als Zoopsychologen würde es außerordentlich lieb sein, einmal einem solchen Tiere zu begegnen. Ich möchte nämlich gern ein schönes Experiment mit demselben probieren. Ich habe ein sehr probates Mittel entdeckt, jedes wilde Tier, also auch jeden Jaguar, sofort in die Flucht zu schlagen.“

„Ein solches Mittel gibt es nicht.“

„O doch, Señor.“

„Dann möchte ich es kennen lernen!“

„Nun, es ist zwar noch Geheimnis, aber da Sie uns so freundlich aufgenommen haben, will ich es Ihnen mitteilen. Werden Sie von einem wilden Tiere angefallen, so hängen Sie sich an den Schwanz desselben, bei den Lateinern Cauda genannt. Selbst die blutdürstigste Bestie wird auf der Stelle die Flucht ergreifen.“

Der Lieutenant öffnete den Mund, brachte aber keine Silbe hervor, sondern sah dem Sprecher wortlos in das Gesicht.

„Sie staunen?“ fragte dieser lächelnd. „Nicht wahr, das hatten Sie nicht erwartet?“

„Nein, wahrhaftig nicht!“ antwortete der Offizier, indem er in ein lautes Gelächter ausbrach.

„Lachen Sie nicht, es ist wahr.“

„Einen Jaguar beim Schwanz fassen! Welch ein Gedanke!“

„Ein sehr pfiffiger, ein sehr schlauer Gedanke! Und doch so einfach, daß man bei demselben an das Ei des Kolumbus erinnert wird. Wenn ich ein Tier hinten habe, kann es mich doch nicht vorn beißen.“

„Aber der Jaguar wird sich blitzschnell herumdrehen und Sie zerfleischen!“

„Fällt ihm ganz und gar nicht ein. Er wird vor Angst brüllen und schleunigst ausreißen. Ich weiß es sehr genau.“

„Das ist ein geradezu wahnsinniger Gedanke! Unterlassen Sie es um Gottes willen, diesen Versuch zu machen! Er würde Ihnen das Leben kosten.“

„Nein, nein! Ich bin meiner Sache sicher und weiß, daß so eine Bestie viel ungefährlicher ist, als mancher Mensch, zum Beispiel dieser Hauptmann in Santa Fé, welcher uns einsperren oder unters Militär stecken lassen wollte.“

Der Lieutenant horchte auf und fragte:

„Ein Kapitän in Santa Fé? Wann war das?“

„Gestern.“

„Zu dieser Zeit gibt es dort nur einen Kapitän, nämlich den Kapitän Pellejo. Der hat Sie einsperren lassen wollen?“

„Allerdings.“

„Weshalb?“

„Eines Mißverständnisses wegen, an welchem wir nicht die mindeste Schuld gehabt haben. Soll ich es Ihnen vielleicht erzählen?“

„Ich bitte Sie sehr darum!“ antwortete der Gefragte, indem sein Gesicht den Ausdruck großer Spannung annahm.

Der unvorsichtige Gelehrte, welcher das unangenehme Abenteuer gar nicht hätte erwähnen sollen, erzählte dasselbe. Im Laufe seines Berichtes nahm das Gesicht des Offiziers einen immer ernsteren Ausdruck an, und als derselbe zu Ende war, sagte er in einem viel weniger freundlichen Tone als bisher:

„Das thut mir leid, Señor. Kapitän Pellejo ist mein nächster Vorgesetzter, und ich muß Ihnen sagen, daß er sich heut in Fort Uchales befindet und morgen hierher kommen wird. Glücklicherweise werden Sie uns bei seinem Eintreffen schon verlassen haben. Er hat, wie ich genau weiß, heute mit dem Frühesten eine Reise angetreten, um die Befestigungen, welche längs der Indianergrenze liegen, zu inspizieren. Hüten Sie sich, ihm zu begegnen!“

„Haben Sie keine Sorge um mich! Ich fürchte ihn nicht.“

„Ob Sie Veranlassung haben, ihn zu scheuen oder nicht, muß mir gleichgültig sein. Ich bin ihm als sein Untergebener für alles, was ich thue, verantwortlich, und wenn er erfährt, daß ich Sie hier aufgenommen habe, wird mich sein Zorn treffen. Es fällt mir natürlich nicht ein, Ihnen das Obdach zu verweigern, aber in einem und demselben Raume darf ich nicht mit Ihnen wohnen. Sie sollten hier bei mir schlafen; nun aber bin ich gezwungen, Ihnen einen andern Rancho anzuweisen.“

Er stand auf und ging hinaus. Nach kurzer Zeit kam an seiner Stelle der Chirurg und meldete, daß er den Señores ihre Schlafplätze anzuweisen habe.

„Kommt der Lieutenant denn nicht wieder?“ fragte Morgenstern.

„Nicht eher wohl, als bis Sie sich entfernt haben, Señor. Er war plötzlich ganz anders geworden und schien zornig auf Sie zu sein. Haben Sie sich mit ihm gezankt?“

„Nein; aber meine Erzählung, Commemoratio oder Oratio genannt, schien ihm nicht zu gefallen. Legen wir uns schlafen, um morgen mit dem Frühesten aufzubrechen!“

Der Chirurg führte sie nach einem andern Rancho, welchen der Bewohner verlassen hatte, um ihnen Platz zu machen. Kein Mensch bekümmerte sich um sie. Ein Talglicht, in einen kleinen Kürbis gesteckt, erleuchtete die aus aufeinander gelegten Rasenstücken gebildete Hütte. Dürres Gras war das Lager, doch schliefen die drei während der ganzen Nacht so gut, als ob sie auf Daunen lägen. Beim Morgengrauen waren sie schon wach. Die Soldaten schliefen noch. Sie fingen ihre Pferde ein, sattelten sie, öffneten den während der Nacht verschlossen gewesenen Eingang und ritten davon, ohne die Besatzung des Forts zu wecken, um von ihr Abschied zu nehmen.

Fritze kannte die Richtung genau, in welcher die Laguna Porongos von Fort Tio liegt, und der Chirurg war auch schon dort gewesen. Darum stand nicht zu befürchten, daß man sich verirren werde.

Das Reiten kam dem kleinen Gelehrten heute viel leichter vor als gestern. Er hielt es aus bis Mittag; dann aber mußte man ausruhen, nicht nur der Menschen, sondern auch der Pferde wegen, welche man grasen ließ. Wasser gab es nicht; aber das Gras war so frisch und grün, daß die Pferde nicht zu trinken brauchten.

Nun hatten die Herren Hunger bekommen, und es stellte sich heraus, daß die Warnungen des Lieutenants gestern Abend doch nicht aus der Luft gegriffen waren. Man hatte während des ganzen Vormittages außer einigen Geiern kein Tier, am allerwenigsten aber ein jagd- und eßbares gesehen. Glücklicherweise besaß der Chirurg ein großes Stück Fleisch, welches er gestern klugerweise von einem der Soldaten eingehandelt hatte. Er war so rücksichtsvoll, dasselbe in drei gleich große Teile zu zerschneiden und zwei davon seinen Reisegenossen abzulassen, allerdings nur gegen bare Bezahlung, ein Umstand, welcher ihnen sagte, was für einen Kameraden sie an ihm haben würden.

Man brannte von vertrocknetem Grase ein Feuerchen an, um das Fleisch zu braten. Es reichte gerade aus, um die Männer zu sättigen. Nachdem man dann wieder aufgebrochen war, hielt man die Augen ungemein offen, um aufzupassen, ob sich nicht ein Wild sehen lasse. Fritze und der Chirurg hielten ihre Gewehre schußbereit. Die Sorge um die Nahrung hatte begonnen, und man wollte sich heute doch nicht hungrig schlafen legen.

Der Nachmittag verging, und es wollte Abend werden, ohne daß man eine Jagdbeute erlangt hatte. Der Hunger stellte sich wieder ein. Da rief plötzlich der Chirurg erfreut aus:

„Ich hab’s, ich hab’s gesehen! Wir werden zu essen bekommen.“

„Was denn? Was haben Sie gesehen?“ fragte der Gelehrte.

„Ein Vizcacha, ein Pampaskaninchen. Wir graben es aus.“

„Wo?“

„Da drüben links. Es kam aus seinem Bau, verschwand aber sogleich wieder, als es uns erblickte.“

Das Vizcacha ist größer als unser wildes Kaninchen und demselben zwar ähnlich, weshalb es eben Pampaskaninchen genannt wird, gehört aber nicht zu den Hasen, sondern zu den Wollmäusen. Man ißt es nur in dem Falle, daß man hungert und nichts andres hat. Der Bau dieses Tieres ist ein flach gewölbter, in der Mitte geöffneter Hügel, welcher sich stets nur in lehmiger Gegend befindet. Es wohnen meist mehrere Familien bei einander, weshalb der Bau außer dem Haupteingange noch mehrere Schlupflöcher hat.

So war es auch hier. Es gab vier Löcher, welche sorgfältig verstopft wurden. Während die Pferde sich im Grase gütlich thaten, gruben Morgenstern und der Chirurg den Hügel auf, und Fritze stand mit angelegtem Gewehre bereit, sofort zu schießen, falls eins der Vizcachas sich durch ein verschlossenes Loch die Flucht erzwingen wolle. Das war grundfalsch. Ein erfahrener Jäger hätte es ganz anders angefangen. Dennoch aber hatte es Erfolg. Kaum waren fünf Minuten vergangen und die Spaten waren einige Fuß tief in den Boden eingedrungen, so schoß Fritz nicht nur ein-, sondern zweimal hintereinander und stieß dann einen Freudenruf aus. Die beiden andern blickten von ihrer Arbeit auf und sahen, daß er zwei Vizcachas erschossen hatte. Das war genug. Die Spaten wurden den Packpferden wieder aufgeladen, die Kaninchen, welche sehr groß und fett waren, dazu, und dann ritt man weiter.

Bald wurde das Gras saftiger und der Boden weicher als bisher. Im Norden zeigten sich einzelne Bäume, ein sicheres Zeichen, daß man sich an der Laguna Porongos befand. Dieser Name bedeutet soviel wie See oder Sumpf der wilden Zitronenbäume, und solche Bäume waren es, welche man jetzt vor sich hatte. Die Sonne stieg eben hinter dem Horizonte hinab, als die drei Reiter das Wasser der Laguna vor sich glänzen sahen.

Sie waren zuletzt einer Fährte von so zahlreichen Reitern gefolgt, daß sie annehmen mußten, die Spur der Truppe des Vaters Jaguar vor sich zu haben. Gern wären sie weiter geritten; aber es wurde schnell dunkel, und so hielten sie es für geraten, anzuhalten und Lager zu machen.

Sie stiegen also ab und entsattelten ihre Pferde. Sie banden ihnen mit den Lassos die Vorderbeine in der Weise zusammen, daß die Tiere zwar weiden aber nur kleine Schritte machen konnten, um sich nicht weit zu entfernen. Die Pampaspferde leben in Herden und bleiben stets beisammen; daher stand nicht zu befürchten, daß man sie früh nach verschiedenen Richtungen zu suchen habe.

Dann wurde dürres Holz zum Feuer gesammelt. Die wilden Zitronenbäume lieferten genug davon. Als die Flamme lustig flackerte, wurden die beiden Vizcachas abgezogen und ausgeschlachtet. Sie gaben genug Fleisch für heute abend und für morgen früh. Wasser war freilich nicht vorhanden, da das salzhaltige der Laguna nicht zu genießen war.

Nach dem Essen wickelten die drei sich in ihre Ponchos und legten sich am Feuer zum Schlafen nieder. Man hatte heute wieder über hundert Kilometer zurückgelegt, und war also so ermüdet, daß keiner trotz der scharfen Luft, welche während der Nacht wehte, erwachte.

Am Morgen fand es sich, daß die Pferde ganz in der Nähe geblieben waren. Der Rest des Fleisches wurde gebraten und verzehrt; dann brach man wieder auf.

Die Reiter befanden sich auf der östlichen Seite der Laguna, in welche von Osten her der Rio Dulce fließt. Dieser Name wurde dem Flusse gegeben, weil er ein wohlschmeckendes, süßes Wasser führt. Nachdem er aber durch die Salzwüste geflossen ist, hat er so viel Salz angenommen, daß sein Wasser im untern Teile seines Laufes ungenießbar geworden ist.

Die gestrige Spur führte an der Lagune hin und dann ein Stück von derselben ab. Dort hatte man Halt und jedenfalls auch Lager gemacht, denn der Boden war zerstampft; es gab mehrere ausgekohlte Feuerstätten und das Gras war in einem weiten Umkreise von den weidenden Pferden niedergetreten. Aber wann man hier ausgeruht hatte, das zu erraten oder gar zu bestimmen, dazu waren die drei nicht erfahren genug. Wald- oder Prairieläufer war keiner von ihnen.

Von dieser Stelle aus führte die Fährte in nordöstlicher Richtung weiter. Der Chirurg blieb halten und sagte in bedenklichem Tone:

„Señores, meinen Sie wirklich, daß diese Spuren von den Leuten des Vaters Jaguar herrühren?“

„Ja,“ antwortete Fritze Kiesewetter. „Er hat vierundzwanzig Mann bei sich, und ungefähr so viele sind es gewesen, welche hier geritten sind.“

„Das ist wahr; aber der Vater Jaguar will nach dem Gran Chaco, welcher von hier aus im Norden und Nordwesten liegt, und diese Spur zeigt nach Nordosten.“

„So wird er wohl einen triftigen Grund gehabt haben, von der geraden Richtung abzuweichen. So etwas kann oft und manchmal vorkommen.“

„Hm! Euer Gnaden schlagen also vor, daß wir dieser Fährte folgen?“

„Ja. Ich denke nicht, daß ich mich irre. Der Vater Jaguar ist sicherlich nach dieser Laguna geritten. Wir haben die einzige Spur vor uns, welche es hier gibt, folglich ist sie die seinige. O, ich verstehe mich darauf, denn ich habe früher einmal eine Indianergeschichte gelesen, in welcher sehr viel von Stapfen, Spuren und Fährten die Rede war.“

Sie ritten also auch nach Nordost. Der Weg führte über einen ebenen Kamp, auf welchem nichts als Himmel und Gras zu sehen war. Die Spuren waren ganz deutlich zu sehen. Gegen Mittag fanden sie eine klare Quelle, an welcher der Trupp, den sie für denjenigen des Vaters Jaguar hielten, gelagert hatte. Sie stiegen auch ab, um endlich einmal sich satt zu trinken und dann auch ihre Pferde Wasser nehmen und ruhen zu lassen. Nach einer guten Stunde wurde wieder aufgebrochen.

Doktor Morgenstern hatte einen kleinen, aber guten Kompaß an seiner Uhrkette hängen. Diesen zu Rate ziehend, sah er, daß die Fährte eine immer mehr örtliche Richtung nahm. Sie lief nicht mehr nach Nordost, sondern schon nach Ostnordost. Das fiel dem Chirurgen noch mehr auf. Er schüttelte den Kopf und sagte:

„Wenn wir in dieser Weise weiterreiten, kommen wir im ganzen Leben nicht nach dem Chaco. Wenn ich mich nicht irre, so reiten wir auf diejenige Gegend des Rio Salado los, in welcher Paso de las Cañas oder gar Paso Quebracho liegt. Sollten wir den Vater Jaguar wirklich vor uns haben? Ich habe große Lust, umzukehren oder mich nach links zu wenden.“

„Und ich reite dorthin, wo die Spur hinzeigt,“ antwortete Morgenstern. „Wo Spuren sind, da findet man Menschen; und wo Menschen sind, da gibt es etwas zu essen.“

Dieses Argument machte einen guten Eindruck auf Don Parmesan, denn er meinte, indem er zustimmend mit dem Kopfe nickte:

„Das ist freilich wahr. Wir werden heute vielleicht hungern müssen, denn es hat sich noch kein einziges Tier sehen lassen, diese Geier ausgenommen, die überall sind und leider nicht verzehrt werden können. Reiten wir also der Fährte nach!“

Wieder ging es weiter. Der Hunger stellte sich ein, denn das Reiten und die Luft erzeugen Appetit. Es war um die Mitte des Nachmittages, da zeigte der Chirurg mit der Hand geradeaus und sagte in leisem Tone, als ob er befürchte, gehört zu werden:

Un avestruz, un avestruz, – ein Strauß, ein Strauß!“

Die beiden andern blickten in die angegebene Richtung und sahen wirklich einen Strauß, welcher, allerdings eine bedeutende Strecke entfernt, den Boden eifrig mit dem Schnabel bearbeitete und die Reiter nicht bemerkte, da er ihnen den Rücken zukehrte.

„Das gibt Fleisch, das gibt Fleisch!“ fuhr Don Parmesan fort. „Wir werden unsern Hunger stillen.“

„Aber erst dann, wenn wir den Vogel haben,“ meinte Fritze. „Ich habe gehört, daß der Strauß sehr schwer zu jagen ist.“

„Da hat man Euer Gnaden allerdings recht berichtet. Er wird uns entgehen.“

Da legte der Doktor den Finger auf die Nase und sagte in gewichtigem Tone:

„Señores, ich hab’s, ich hab’s! Die Wissenschaft ist’s, welche dem Menschen in jeder Verlegenheit zu Hilfe kommt. Ich bin ein Jünger der Wissenschaft, speciell der Zoologie, zu welcher ja auch der Strauß gehört, und werde Ihnen ein Mittel sagen, wie wir ihn fangen können.“

„Nun? Sagen Sie es schnell!“ forderte Parmesan ihn begierig auf.

„Die Wissenschaft lehrt, daß der Strauß den Kopf in die Erde steckt.“

„Davon habe ich auch gehört.“

„Auch? Nun, so kennen Sie mein Mittel.“

„Wieso?“

„Veranlassen Sie ihn, den Kopf in die Erde zu stecken, so sieht er uns nicht, und wir können über ihn kommen wie David über die Philister.“

„Señor, wollen Sie sich über mich lustig machen?“

„Fällt mir nicht ein! Ich spreche im vollen Ernste.“

„So reiten Sie doch hin, und bitten Sie ihn, den Kopf zu verstecken!“

„Das würde voraussichtlicherweise den entgegengesetzten Erfolg haben.“

„Das denke ich auch. Wie soll man ihn veranlassen, den Kopf zu verbergen?“

„Das ist Ihre Sache, Señor. Ich habe Ihnen mein Mittel gesagt. Wenn Sie kein Mittel kennen, es auszuführen, so ist das nicht meine Sache, obgleich ich es tief beklage, da wir nun doch noch Hunger leiden werden.“

Er hatte wirklich im vollsten Ernste gesprochen. Parmesan wollte eine noch derbere Antwort geben, aber Fritze kam ihm zuvor:

„Streiten Sie sich nicht, Señores! Ich glaube, einen guten Gedanken zu haben. Glauben Sie, Señor Parmesan, daß – –“

„Don Parmesan, bitte!“ unterbrach ihn der andre stolz.

„Gut! Also, Don Parmesan, glauben Sie, daß der Strauß vor einem Pferde flieht?“

„Nein. Es kommt im Gegenteile vor, daß man grasende Strauße mitten unter weidenden Pferde- oder Rinderherden findet.“

„Gut! Ich steige ab und lege mich mit meiner Flinte hier in das Gras. Sie reiten von hier aus in einem weiten Bogen nach rechts und links, über den Strauß hinaus und versuchen, ihn mir zuzutreiben. Ist das Glück uns günstig, so ist es möglich, daß ich den Vogel vielleicht doch erlege.“

Dieser Vorschlag fand Anklang und wurde sofort ausgeführt. Morgenstern ritt rechts- und Parmesan linksab, in einem Bogen in den Campo hinaus, um dann den Vogel zu veranlassen, seine Flucht auf Fritze zuzunehmen.

Der amerikanische Strauß oder Nandu wird mit der Bola, welche man ihm um die Beine wirft, gefangen. Zu schießen ist er nicht leicht, weil der Jäger, um schießen zu können, sein Pferd anhalten muß und der schnelle Vogel, bis das Pferd ruhig steht, gewöhnlich schon außer Schußweite gekommen ist. Wenn der Vorschlag des pfiffigen Preußen zum Ziele führte, war es jedenfalls nur dem Zufalle zuzuschreiben.

Um keine Zeit zu verlieren und dem Vogel den Weg möglichst bald abzuschneiden, trieben die beiden Reiter ihre Tiere zur größten Eile an. Der Nandu schien für nichts außer seiner Beschäftigung Augen zu haben. Er hackte mit dem Schnabel und scharrte mit den kräftigen, dreizehigen Füßen den Boden und drehte sich dabei jetzt immerwährend um seine eigene Achse, ohne auf die beiden Reiter draußen oder das hier ruhig weidende ledige Pferd achtzugeben.

„Ick jlaube jar, er will Eier lejen und baut sich sein Nest dazu!“ brummte der im Grase liegende Fritze vergnügt vor sich hin. „Wenn ick dat jewiß jewußt hätte, so hätte ick ihm Zeit jelassen, um sonne Dutzender viere Eier von sich zu jeben. Wat für eine Omelette wäre dat jewesen!“

Jetzt waren die Reiter hinter dem Nandu angelangt und wendeten ihm ihre Pferde zu. Er war so beschäftigt, daß er sie erst bemerkte, als sie höchstens noch zweihundert Ellen von ihm entfernt waren. Da machte er einen weiten Satz und rannte fort, gerade vor ihnen her und auf die Stelle zu, an welcher Fritze lag. Nun sah er das Pferd, stutzte, setzte aber dann seine Flucht in der einmal eingeschlagenen Richtung fort. Das Pferd schien ihm nicht gefährlich zu sein.

Fritze fühlte, daß ihm das Herz vor Freude höher schlug. Er stemmte den linken Ellbogen fest auf die Erde, um einen guten Halt für sein Gewehr zu haben, legte an und zielte. Als der Vogel noch ungefähr sechzig Sprünge entfernt war, drückte er ab. Der Schuß krachte; der Nandu that einen Sprung kerzengerade in die Höhe, taumelte dann einige Male hin und her und fiel darauf nieder.

Fritze sprang jubelnd auf, nahm sein Pferd beim Zügel und führte es zu der Stelle hin, an welcher er mit den beiden andern zu gleicher Zeit anlangte.

„Es ist gelungen, vortrefflich gelungen!“ rief Don Parmesan, indem er vom Pferde sprang und zu dem Vogel trat, um sich bei demselben niederzubücken.

Aber der Nandu war noch nicht ganz tot. Er nahm seine letzte Kraft zusammen und versetzte dem Chirurgen einen so kräftigen Schnabelhieb, daß er ihm den Poncho zerriß und ein Stück Fleisch aus dem Oberarme hackte.

„O Himmel, o Hölle!“ schrie der Verwundete, indem er auf und weit zurück sprang. „Dieser Teufel lebt ja noch! Er hat mir eine Wunde beigefügt, an welcher ich höchst wahrscheinlich sterben werde!“

„Sie sind selbst schuld, Señor,“ antwortete Fritze. „Man nähert sich einem so kräftigen Tiere nicht eher, als bis man genau weiß, daß es tot ist.“

Er hielt dem Nandu den zweiten, noch nicht abgeschossenen Lauf nahe an den Kopf und jagte ihm die Ladung in denselben. Dann wendete er sich zu dem Chirurgen, um zu sehen, ob dieser leicht oder schwer verwundet sei. Der Biß war nicht gefährlich. Der Muskel blutete zwar heftig, doch fehlte nicht mehr als ein walnußgroßes Stückchen Fleisch, welches der Vogel noch im Schnabel hatte. Fritze nahm es heraus, hielt es dem „Don“ hin und sagte:

„Hier haben Sie, was Ihnen fehlt, Señor. Euer Gnaden sind ein so berühmter und geschickter Chirurg, daß es Ihnen nicht schwer werden kann, dieses Stück Rindfleisch wieder anwachsen zu lassen.“

„Rindfleisch?“ fuhr der Angeredete auf, emsig beschäftigt, die Blutung zu stillen. „Ich hoffe, daß Sie dieses Wort zurücknehmen, sonst müßte ich mich mit Euer Gnaden auf Leben und Tod schießen.“

„Gut, ich nehme es zurück und bitte um Entschuldigung. Wird das Stück wieder anwachsen?“

„Es wäre mir eine Leichtigkeit, es einzusetzen, so daß es haften bleibt; aber dazu bedarf ich meiner beiden Hände, und ich habe nur die eine. Wollen Sie mir helfen?“

„Gern.“

„So drücken Sie das Stückchen Fleisch fest in die Wunde, aber so, wie es vorher im Muskel gelegen hat, und schlingen Sie mir dann meine Schärpe so fest wie möglich um den Arm!“

Morgenstern half auch mit, und so war die kleine Wunde sehr bald verbunden. Nun hatte man Zeit, den Vogel zu betrachten. Es war eine Henne, wohl anderthalb Meter lang und gegen sechzig Pfund schwer. Sie wurde auf das eine Packpferd geladen, und dann stiegen die glücklichen Jäger wieder auf, um den unterbrochenen Ritt fortzusetzen. Als sie an der Stelle, wo der Nandu zuerst gesehen worden war, vorüberkamen, sahen sie, daß er wirklich im Begriff gestanden hatte, den Boden rund und schüsselförmig auszuhöhlen, jedenfalls um Eier zu legen, gar nicht weit entfernt von einer so sichtbaren Menschenfährte, kein gutes Zeugnis für die Intelligenz der straußartigen Vögel!

Nach einem kurzen Ritte wurden die drei Reiter von der Spur wieder mehr nordöstlich, und bald darauf gerade nördlich geführt.

„Nun, sind Euer Gnaden jetzt zufrieden?“ fragte Fritze den Chirurgen. „Wir befinden uns nun in der Richtung, welche gerade nach dem Chaco führt.“

„Hier ist’s schlimmer als vorher,“ antwortete der Gefragte mißmutig, da sein Arm ihn schmerzte. „Auf diese Weise kommen wir nach dem Monte de los palos Negros, und von dieser Waldung habe ich gehört, daß sie fast undurchdringlich ist. Hätten wir uns vorher mehr links gehalten, so würden wir bis zum Rio Salado und noch darüber hinaus stets freies, offenes Land haben.“

„Sind Sie denn wirklich schon über denselben hinausgekommen?“

„Zweifeln Sie etwa daran?“

Diese Frage sollte unwillig und zurechtweisend klingen, hatte aber einen so unsichern Ton, daß man meinen sollte, er hätte lieber mit einem aufrichtigen Nein geantwortet.

Bald darauf gab es einen Anblick, welcher ganz geeignet war, die drei hungrigen Reiter zu elektrisieren. Sie sahen vor sich, doch rechts von der eingeschlagenen Richtung, ein Rudel der kleinen Pampashirsche sich äsen. Ohne daß einer den andern dazu aufgefordert hätte, nahmen sie ihre Pferde nach rechts herüber und jagten auf das Wild zu, ohne sich zu sagen, daß es ganz unmöglich sei, eins der windesschnellen Tiere zum Schusse zu bekommen.

Der Hirsch sah die Gefahr und eilte mit seinem Gefolge fort, nicht allzu rasch, da er wohl wußte, daß ein Pferd ihn nicht erreichen könne. Eine Zeitlang ließ er die gleiche Entfernung zwischen sich und den Verfolgern liegen; aber als diese ihre Pferde zur schnellsten Carriere antrieben, griff auch er weiter aus, und seine Familie folgte ihm mit graziöser Leichtigkeit, die Jäger immer weiter und weiter hinter sich zurücklassend.

Dennoch setzten diese die Verfolgung fort, bis ein dunkler Streifen Waldes am Horizont auftauchte, dem der Hirsch zujagte. Bald darauf verschwand das Rudel zwischen den Bäumen. Die Reiter hielten in einiger Entfernung von dem Walde an. Am Rande desselben glänzte ein Wasser.

„Der Braten ist uns entgangen,“ seufzte Don Parmesan. „Ein Hirschrücken ist etwas Besseres als ein Stück zähes Straußenfleisch. Haben die Señores schon einmal welches gegessen?“

„Ich nicht,“ antwortete der Doktor. „Wie schmeckt es?“

„Wie Stiefelsohle. Man kann es nicht beißen und muß es ganz verschlingen. Nur der Hunger treibt es hinein.“

„Bringt man es denn nicht weich, indem man es in Butter, lateinisch Butyrum, schmort?“

„Das habe ich noch nicht versucht, Señor. Jedenfalls wäre es um die Butter schade. Aber haben wir denn etwa welche?“

„Nein. Wir müssen den Vogel also in seinem eigenen Fette braten.“

„Fett? Straußenfett? Meinen Sie wirklich, daß ein Strauß auch nur eine Spur von Fett hat?“

„Ja, das meine ich. Die Wissenschaft beweist, daß in jedem tierischen Körper Fett, Adeps genannt, vorhanden ist. Da nun der Strauß einen solchen Körper besitzt, so bezweifle ich es nicht, daß wir bei einiger Aufmerksamkeit wenigstens eine bemerkbare Spur dessen finden, was ich soeben mit Adeps bezeichnet habe.“

„Und wenn Sie den schweren Vogel in dieser „Spur“ von Fett braten, wird er dennoch trocken bleiben wie die Rückenlehne eines Strohsessels. Lassen wir das! Wir haben andres zu bedenken. Was thun wir jetzt? Wir sind von unsrer Fährte abgekommen. Suchen wir sie wieder auf?“

„Dazu ist’s zu spät,“ antwortete Fritze. „Es wird gleich Abend sein. Hier haben wir Gras für die Pferde und dort am Waldesrande Wasser für Mensch und Tier. Es wird wohl geraten sein, hier zu bleiben und die Fährte morgen früh wieder aufzusuchen.“

Der gute, kleine Mann bedachte nicht, daß das niedergetretene Gras sich während der Nacht aufrichten und die Spur dann am Morgen nicht mehr zu sehen sein werde.

Sie ritten vollends bis zum Walde hin, wo sie von den Pferden stiegen und diese von dem Sattel- und Zaumzeuge befreiten. Der Wald war sehr dicht. Er bestand hier an dieser Stelle aus Quebrachos, hohem Kaktus, Mistol, Chañars, Vinals und andern Leguminosen. Zwischen den ersten Bäumen drang ein Quell aus dem Boden und floß vielleicht zehn Ellen weit in eine Vertiefung, wo er einen kleinen, hellen Weiher bildete. An diesem lagerten sich die Reisenden. Holz zu einem Feuer war genug vorhanden. Bald loderte es hoch auf und nun machten sich die drei an die Zubereitung des heutigen Bratens. Es wäre unmöglich gewesen, den Strauß zu rupfen wie einen kleinern Vogel. Man zog ihm das Fell mitsamt den Federn ab wie einem behaarten Tiere. Dann wurde er aufgebrochen. Der Magen enthielt Pflanzenüberreste, Sand, Steine, einen hörnenen Messergriff und einen eisernen Reitsporen mit thalergroßem Rade. Der Strauß verschlingt eben alles, was ihm in die Augen sticht. Das Fleisch sah gar nicht übel aus und ließ sich auch ganz leidlich schneiden. Bei der weitern Zerlegung stellte es sich heraus, daß der Vogel allerdings nötig gehabt hatte, ein Nest zu formen; es waren Eier vorhanden, eins immer kleiner als das andre, von der Größe einer Erbse bis zu derjenigen einer Männerfaust. Die größeren wurden in heiße Asche gelegt, um zu rösten und schmeckten dann gar nicht übel. Dann versuchte man, das Brustfleisch, als das zarteste, wie Asado vom Rind zu behandeln. Als Fritze das erste Stück in den Mund nahm und es zwischen den Zähnen probiert hatte, spuckte er es wieder heraus und sagte zu seinem Herrn:

„Pfui! Dat ist wirklich die reine Stiebelsohle, ohne Kraft und Jeschmack und nicht zu kauen. Versuchen Sie’s doch mal!“

Dem Gelehrten ging es nicht anders. Das Fleisch war so zähe, daß man es trotz allen Hungers nicht genießen konnte.

„Klopfen wir es!“ meinte Fritze.

Er legte ein Stück auf den Boden und bearbeitete es mit dem Gewehrkolben, um es mürbe zu machen. Es fühlte sich jetzt weicher an, wurde aber im Feuer härter als das vorige Stück.

„Dat ist auch sonne falsche Berechnung in die Natur!“ räsonnierte er. „Rebhühner und Krammetsvögel, welche so delikat sind, wachsen klein, und diejenigen Vögel, welche die jewünschte Jröße besitzen, sind nicht zu jenießen. Mir dauert mein Pulver, welches ick verschossen habe. Hätte ick die harte Natur dieses Straußes jekannt, so hätte ick mich seinen Tod nicht auf mein Jewissen jeladen. Wat essen wir nun?“

Die Antwort folgte ganz unvermutet und auf der Stelle. Es raschelte hinter dem Sprecher. Er drehte sich um und sah ein langes, eidechsenartiges Tier am Stamme des nächsten Baumes.

„Still!“ flüsterte er. „Rührt euch nicht. Wenn es glückt, gibt es doch noch einen Braten.“

Er hatte sein Gewehr wieder geladen. Es enthielt einen Schrot- und einen Kugelschuß. Er nahm es, hinter sich greifend, in die Hand und zog es langsam nach vorn und an sich. Das Feuer war für das Tier eine ungewöhnliche Erscheinung. Es saß am Stamme des Baumes, langgestreckt wie eine Schlange, sich mit den Füßen festhaltend, und starrte mit hellen Augen in die Flamme. Da riß Fritz sein Gewehr mit einem plötzlichen Rucke in den Anschlag empor, zielte kurz und drückte ab. Der Schuß krachte; das Tier war weg.

„Was war’s? Was gab’s?“ fragte Morgenstern, welcher ebenso wie der Chirurg mit dem Rücken gegen den Baum gesessen hatte.

„Einen Iguan,“ antwortete Fritz.

„Iguan?“ rief Don Parmesan, indem er aufsprang. „Einen Iguan! Das ist ja die größte Delikatesse, welche es auf Erden gibt! Haben Sie ihn getroffen, Señor? Ich hoffe, ja?“

„Weiß es nicht. Wollen sehen.“

Er stand auf, um nach dem Baume zu gehen.

„Nehmen Sie sich in acht!“ warnte der Chirurg. „Die Iguans sind fürchterlich bissig. Wenn er noch nicht tot ist, dürfen Sie ihn ja nicht anfassen.“

Als Fritz zum Baume kam, ließ er einen Ruf der Freude hören. Das Tier war doch getroffen worden. Es lag unten auf dem Boden und bewegte sich nicht. Dennoch war der Deutsche so vorsichtig, es nicht eher anzugreifen, als bis er ihm einige kräftige Kolbenhiebe auf den Kopf gegeben hatte. Don Parmesan kam dann auch herbei, um den Iguan nach dem Feuer bringen zu helfen.

Der Iguan, auch Leguan genannt, ist eine große südamerikanische Baumeidechse mit einem breiten Kopfe, an den Rändern gezähnelten Zähnen, großem Stachelkamme auf dem Rücken und einem sehr langen Schwanze. Die Beine sind ungemein kräftig und haben sehr lange Zehen; unter der Kehle hängt ein häutiger Sack. Die Iguana schwimmen ausgezeichnet und klettern ungemein behend auf Bäumen und nähren sich von Vogeleiern, Insekten, jungen Baumsprossen und saftigen Blättern und Blüten. Sie sind bei Gegenwehr mutig und außerordentlich bissig. Der gemeine Leguan wird anderthalb Meter lang, wovon allerdings ein Meter allein auf den Schwanz zu rechnen ist. Man stellt ihm sehr eifrig nach, da er ein besonders wohlschmeckendes, zartes und leicht verdauliches Fleisch besitzt.

Das Tier hat ein höchst häßliches Aussehen, darum rief Morgenstern, als er es erblickte, aus:

„Ja, das ist ein Iguan; ich sehe es. Aber wollen Sie dieses Viehzeug wirklich essen?“

„Natürlich!“ antwortete Don Parmesan. „Es gibt nichts Feineres als Iguanfleisch, gleich in der Haut, in den Schuppen gebraten. Wissen Sie das noch nicht?“

„Welch eine Frage? Sie an mich, einen Zoologen zu richten! Die Wissenschaft lehrt, daß der Iguan Fleisch besitzt, und die Erfahrung fügt hinzu, daß es gegessen wird. Mir aber kommen Sie ja nicht mit einem solchen Braten! Ich will doch lieber mit den Chinesen geschmorte Regenwürmer, Trepang und Holothurien verzehren als meine Zähne an einer solchen Echse versuchen.“

„Euer Gnaden lassen es sicher nicht liegen. Ich werde mir sofort ein Stück abschneiden.“

Er zog das Messer, um zu thun, was er gesagt hatte. Da aber hielt ihm Fritze die Hand abwehrend entgegen und sagte:

„Halt, Señor! Wer hat den Iguan geschossen?“

„Sie natürlich.“

„Ich; das ist sehr richtig, und also ist er mein Eigentum. Wer ein Stück haben will, muß es mir abkaufen.“

„Abkaufen? Wie kommen Euer Gnaden zu dieser lächerlichen Ansicht?“

„Ganz so, wie Euer Gnaden auf den Gedanken kamen, sich Ihr Rindfleisch von uns bezahlen zu lassen.“

„Aber das hatte ich doch auch bezahlen müssen!“

„Ob bezahlt oder geschossen, das ist gleich. Sie kamen durch das Bezahlen zu Ihrem Eigentum und ich durch das Schießen zu dem meinigen. Sie ließen sich Ihr Eigentum bezahlen; warum soll ich das meinige verschenken, zumal mein Iguan weit delikater ist als Ihr Rindfleisch. Bei mir kostet das Pfund Iguan heute Abend fünfzig Papierthaler.“

„Aber Señor, Sie scherzen!“

„Es ist mein Ernst. Wer unter Kameraden verkauft, darf nicht erwarten, daß man freigebiger ist als er.“

Er schnitt sich ein tüchtiges Stück herab, spießte es an einen zugespitzten Zweig und hielt es an das Feuer. Sofort war ein äußerst feiner und zarter Bratenduft zu bemerken.

„Hm! Nicht übel!“ meinte Morgenstern. „Wenn diese Echse so schmeckt, wie sie riecht, so könnte man wirklich beinahe und einigermaßen Appetit bekommen.“

Fritz antwortete nicht und briet weiter. Er hatte schon Iguan gegessen und wußte, was geschehen würde. Als sein Stück gar war, erfüllte es den ganzen Umkreis des Weihers mit seinem Dufte. Nun schnitt er es in Stücke und begann zu essen. Das schlaue, schadenfrohe Kerlchen machte dabei ein äußerst wonnevolles Gesicht. Da konnte sich Don Parmesan nicht länger halten. Er fragte –

„Señor, wollen Euer Gnaden wirklich kein Stück verschenken?“

„Nein.“

„Auch kein kleines Stückchen?“

„Nein.“

„Ganz dünn und nur so groß wie das Innere meiner Hand?“

„Nein.“

„Was kostet ein Stück, an welchem man sich satt essen kann?“

„Sie sind ein starker Esser, also hundert Papierthaler.“

Que ca-restia! Und was fordern Sie für ein Stück, aus welchem man etwa zehn Bissen schneiden kann?“

„Sie machen sehr große Bissen. Zehn Bissen werden ein Pfund sein, also fünfzig Papierthaler.“

Cuanto costa eso – wie teuer ist das! Bedenken Sie doch, daß ich ein armer Verwundeter bin!“

„Auch das bedenke ich. Ein Verwundeter soll Diät halten und einige Tage gar nicht essen.“

„Das ist vollständig unmöglich, wenn man gebratenen Iguan riecht. Señor, denken Euer Gnaden an das Vorbild so vieler frommer und erleuchteter Männer! Ich will Ihnen Ihr Geld zurückgeben.“

Er zog den Beutel aus der Tasche.

„Lassen Sie!“ wehrte Fritze ab. „Ich nehme nichts zurück. Sie werden jetzt aber einsehen, wie falsch es ist, sich von Kameraden, mit denen man Sorgen, Entbehrungen, Gefahren und vielleicht gar den Tod zu teilen hat, ein Stückchen Fleisch bezahlen zu lassen. Zu dieser Einsicht wollte ich Sie oft und manchmal bringen. Es versteht sich ganz von selbst, daß ich es nicht machen werde wie Sie. Was einer von uns hat, gehört auch den andern. Der Iguan ist unser gemeinschaftliches Eigentum. Schneiden Sie sich also so viel herab, wie Sie essen wollen!“

Das ließ Don Parmesan sich nicht zweimal sagen. Er rückte schnell herbei, steckte den Beutel wieder ein und nahm Fleisch von der Stelle, von welcher er wußte, daß es da am besten sei. Auch Fritz nahm sich noch ein Stück. Der Gelehrte sah ihnen noch eine kleine Weile zu, dann fragte er:

„Fritz, schmeckt es denn wirklich gar so ausgezeichnet?“

„Hochfein, sage ick Ihnen!“

„So möchte ich es wirklich einmal kosten. Es ist nur, daß man sagen kann, man habe einmal Iguan gegessen.“

„Dat müssen Sie allerdings sagen können. Wat soll man in Jüterbogk von Sie denken, wenn Sie in Südamerika jewesen sind und von keiner Eidechse jekostet haben! Soll ick Sie einen kleinen Happen zurecht machen?“

„Ja, thue es!“

Fritz spießte einen Bissen an, ließ ihn braten und reichte ihm denselben dann hin. Morgenstern kostete erst zaghaft, kaute dann bedächtig und die Augenbrauen emporziehend, schluckte ihn hinab, rückte heran, zog das Messer, schnitt sich ein derbes Stück ab und sagte:

„Wer hätte das gedacht! So eine Eidechse verdient es eigentlich, in eine viel höhere Tierklasse versetzt zu werden. Es gibt weder einen Fisch noch einen Vogel oder ein Säugetier, dessen Fleisch von einer solchen Zartheit ist. Ich werde das in meinem spätern Werke ganz besonders hervorheben und mit fetter Schrift drucken lassen, daß die Iguana ganz außerordentlich wohlschmeckend, lateinisch sapidus, sind.“

So schmausten die drei noch eine ganze Weile. Sie hatten heute beides gekostet, das härteste und das weichste und zarteste Fleisch, Strauß und Iguan, und als sie endlich aufhörten, war noch der ganze Strauß, vom Iguan aber nur der Schwanz übrig, den sie sich für morgen früh aufheben wollten. Dann fesselten sie die Pferde so wie gestern und hüllten sich in ihre Decken, um zu schlafen.

Als Fritz früh erwachte, schlief Morgenstern noch; der „Don“ aber hatte schon ein Feuer angezündet und machte sich mit dem Iguanschwanze zu schaffen.

„Halt!“ meinte der kleine Deutsche. „Lassen Sie mich teilen, Señor! Wir haben gleiche Rechte.“

Durch diese Worte wurde der Privatgelehrte aufgeweckt, und er zögerte nicht, seinen Anteil von dem Eidechsenschwanze sofort in das Feuer zu halten. Nun sahen sie, daß es in dem Weiher auch Fische gab, Fische, und zwar wie viele und wie große! Aber wie dieselben fangen? Man hatte weder Netze noch Angelzeug.

„Ick weiß, wat wir machen,“ sagte Fritz. „Wir jagen sie mit unsern Ponchos aus dem Wasser. Wollen Sie mich helfen, Herr Doktor?“

Der Gefragte erklärte sich sofort bereit dazu. Sie stiegen in das Wasser und nahmen einen Poncho in die Hand. Der eine hielt denselben an dem einen, und der andre an dem andern Ende. Der Weiher war nicht tief. Sie tauchten die Decke bis auf den Boden nieder und trieben, indem sie vorwärts schritten, die Fische nach dem Ufer zu. Es gelang ihnen gleich beim ersten Male, einige an das Land zu schnellen. Als sie dieses Experiment wiederholt hatten, besaßen sie so viel Fleisch, daß sie für zwei Tage auszureichen vermochten.

Während sie dann beschäftigt waren, die Fische erst auszunehmen und in grüne Blätter zu wickeln, fiel das Auge Morgensterns auf eine gar nicht weit von dem Weiher entfernte Stelle des Grases, wo dieses äußerst klein und spärlich wuchs; auch hatte es eine gelbe anstatt eine gr ‚ üne Farbe. Zog schon dieser Umstand das Auge auf sich, so war es noch viel auffälliger, daß diese Stelle genau zirkelrund war, und daß es an der Peripherie dieses Kreises einen Punkt gab, wo Sand lag und gar nichts wuchs, kein einziger Halm. Auch diese kleine, sandige Stelle in dem Lehmboden mußte auffallen.

Morgenstern stand von seinem Platz auf und näherte sich diesem eigentümlichen Kreise, um denselben genauer in Augenschein zu nehmen. Da sah er zunächst, daß derselbe konvex wie eine umgestürzte Schale war.

„Konvex und zirkelrund,“ sagte er sich. „Das ist höchst sonderbar. Warum gedeiht das Gras hier nicht? Der Boden besteht ebenso aus Lehm, wie derjenige der Umgebung. Sollten Steine oder ein andrer steriler Grund darunter liegen, so daß die Wurzeln des Grases nicht tief einzudringen vermögen und also nicht genug Nahrung erlangen können?“

Um das zu untersuchen, zog er sein Messer und stach dasselbe in die Erde. Die Klinge drang höchstens fünf Zoll tief ein und traf dann auf einen harten Gegenstand. Er probierte an andern Stellen und zwar mit genau demselben Erfolge. Der eigentümliche Kreis hatte eine sehr harte Unterlage, auf welcher eine überall fünf Zoll hohe Lehmschicht lag, welche dem Grase nicht genug Nahrung gewährte, so daß dieses nur spärlich stand, nicht hoch wurde und eine krankhafte, gelbe Farbe besaß. Diese Regelmäßigkeiten mußten eine Ursache und zwar eine ganz eigenartige und ungewöhnliche Ursache haben.

Und woher der schmale Sandfleck an der einen Stelle des Kreisumfanges? Es gab, so weit das Auge reichte, keinen Sand. Er bückte sich wieder nieder und begann, mit dem Messer in den Sand zu bohren und denselben aufzuwerfen. Die beiden andern hatten ihm verwundert über sein sonderbares Gebaren zugeschaut. Jetzt kam Fritze herbei und fragte:

„Wat jibt es hier, Herr Doktor? Wat haben Sie mit dat Messer? Wollen Sie unsre jute Mutter Erde totstechen?“

Wenn er mit dem Doktor allein und nicht auch mit dem Chirurgen redete, bediente er sich stets der deutschen Sprache.

„Mach keine dummen Witze!“ antwortete Morgenstern. „Es handelt sich hier um eine ernste und vielleicht hochwichtige Angelegenheit. Hast du vielleicht einmal von sogenannten Hexenringen gehört?“

„Sehr oft. Dat sind kreisrunde Stellen auf Wiesen, auf denen in der Walpurgisnacht die Hexen hippelschottisch jetanzt haben.“

„Unsinn! Diese Kreise verdanken ihre Entstehung verschiedenen Arten von Hutpilzen, deren Mycelium sich zentrifugal vermehrt. Vertilgt man diese Pilze, so hören auch die Ringe auf.“

„Ick verstehe! Hier haben Sie auch so ’nen Hexenring jefunden.“

„Ja; aber er ist ganz eigentümlicher Art. Während die bekannten Hexenringe von einem üppig grünenden Kreise umschlossen werden, ist dies hier nicht der Fall. Auch wächst hier Gras, während dort das Innere der Ringe vollständig kahl liegt. Das fällt mir auf. Und nun woher dieser Sand? Es ist sonst nirgends welcher zu sehen.“

„Den haben die Hexen herjetragen.“

„Rede keinen Blödsinn! An Hexen glaubst du doch ja selber nicht.“

„Nein. Seit man ihnen verbrannt hat, jibt es keine mehr. Aber diese Stelle kommt mich auch sehr sonderbar vor. Sollte hier ein Schatz verjraben liejen? Dat wäre mich lieber, als wenn wir ein urweltliches Riesenjeschöpf herausbuddelten.“

„Vorweltliches Riesengeschöpf!“ rief Morgenstern aus, indem er den Sprecher mit freudiger Überraschung anblickte. „Fritze, vielleicht hast du das Richtige getroffen!“

„Mit dem Jeschöpf oder mit dem Schatz?“

„Mit beiden, denn wenn ich hier ein Mastodon oder so etwas finde, so ist das ein Schatz für mich, und du würdest auch nicht leer ausgehen.“

„Dat läßt sich hören, sagte der Taube, als er eine Ohrfeige bekam. Aber im Ernste jesprochen, hier mitten in der Urwildnis so ’ne Stelle, dat muß doch einen Jrund haben. Und, nur man Jeduld, ick denke, wir finden diesen Jrund, wenn wir nur erst mal da den Sand fortschaffen.“

„Ganz dasselbe dachte auch ich. Hole die Spaten, die Hacken und die Schaufeln! Wir müssen schleunigst nachgraben.“

Fritze folgte dieser Aufforderung. Als die beiden den Sand aufzugraben begannen, kam Don Parmesan herbei und drang zum Aufbruche, da man heute doch den Vater Jaguar einholen müsse. Morgenstern gab ihm eine Erklärung der Gründe, welche ihn veranlaßten, noch hier zu bleiben, doch wollte der Chirurg nichts davon hören. Er machte aber sofort ein andres, viel freundlicheres Gesicht, als der Doktor ihm sagte:

„Wenn wir ein Megatherium hier finden oder ein ähnliches Riesentier und Sie helfen mit, so schenke ich Ihnen tausend Papierthaler.“

Da fragte er rasch:

„Sind Sie denn so reich, Señor?“

„Ich bin wohlhabend und kann es geben.“

„So helfe ich mit, und wenn es eine ganze Woche dauert!“

Er ergriff sofort einen Spaten und begann mitzuarbeiten, denn tausend Papierthaler, so viel wie hundertsechzig deutsche Reichsmark, waren für ihn eine sehr wünschenswerte Summe.

Während er mit Fritze in der sandigen Stelle in den Boden eindrang, nahm Morgenstern eine Schaufel, um einen Punkt der harten Unterlage von der darauf liegenden dünnen Lehmschicht und dem in derselben wachsenden Grase zu befreien. Er kratzte diese Schicht ab und schob sie zur Seite; da kam eine undurchdringliche, glatte und schildpattähnliche Masse zum Vorschein, welche, als er darauf schlug, einen dumpfen, hohlen Ton erzeugte. Da that er vor Freude einen Luftsprung trotz des geschicktesten Harlekins und rief jauchzend aus:

„Heureka, heureka! Ich hab’s, ich hab’s gefunden! Diese glasharte und panzerartige Masse! Ich hab’s, ich hab’s!“

„Wat haben Sie denn?“ fragte Fritze, indem er von seiner Arbeit aufsah.

„Das Tier, das Riesentier. Es ist ein Glyptodon, ganz gewiß ein Glyptodon!“

„Wer soll dat Wort verstehen! Wie würde man es in Stralau oder Jüterbogk titulieren?“

„Riesenarmadill, oder noch deutscher, Riesenpanzertier!“

„Also ein Tier mit riesige Armatur! Wird es sich jegen unsre Annäherung wehren?“

„Was fällt dir ein! Es ist ja tot; es ist ein vorsündflutliches Geschöpf!“

„Also in der Sündflut umjekommen und schmählich ertrunken? Da kann mich dat arme Beest wirklich leid thun. Ist es jroß?“

„Wie ein Tapir oder Nashorn, anderthalb Meter lang.“

„Also nicht auf den Arm oder in die hohle Hand zu nehmen. Na, dat schadet nichts; wir holen ihm dennoch heraus!“

„Natürlich muß es heraus! Aber nehmt euch in acht, daß ihr es nicht beschädigt! jede, auch die kleinste Beschädigung, lateinisch Laesio genannt, vermindert den Wert dieses kostbaren Fundes!“

„Jut! Werden ihm so sanft wie möglich zu Leibe jehen, wat mich aber von wejen seine Riesenarmatur jar nicht als so notwendig erscheint.“

Er grub mit dem Chirurgen weiter. Auch der Doktor arbeitete mit dem größten Eifer, mit der Schaufel die obere Lehmkruste von dem Panzer des vorweltlichen Tieres abzukratzen. Seine Augen strahlten; seine Wangen glühten, und seine Hände zitterten; er befand sich wie im Fieber. Dabei hielt er seinen beiden Gefährten einen Vortrag über die Urzeiten und die Wesen, welche in denselben existierten. Fritze und Don Parmesan warfen den Sand nach rechts und links heraus und drangen immer tiefer ein. Da gab der Sand plötzlich nach; Fritze stieß einen Schrei aus und verschwand in der Erde. Sein Gefährte sprang schnell aus dem Loche, sonst wäre er ihm nachgestürzt.

„Um des Himmels willen, was ist geschehen!“ rief Morgenstern. „Hoffentlich kein Unglück, lateinisch Infortunium geheißen!“

„Er ist verschwunden, vollständig verschwunden,“ antwortete Parmesan. „Die Erde wich unter ihm, und da war er fort.“

Der Doktor trat vorsichtig an das Loch und rief hinab:

„Fritze, lieber Fritze, lebst du noch?“

„Ja, ick lebe und bin verjnügt in meine Seele,“ erklang es von unten herauf.

„Wie ist das gekommen, und wohin bist du geraten?“

Ick habe mit die Balance dat neunzehnte Jahrhundert verloren und bin herunter ins Diluvium jerutscht.“

„Bist du verletzt?“

„Nein. Dat Panzervieh verhält sich sehr jebildet. Es ist janz still und hat mir nicht beschädigt.“

„So komm schnell herauf! Es könnten gefährliche Gase vorhanden sein.“

„Im Jejenteil! Es ist hier vor der Sündflutszeit janz mollig. Kommen Sie herunter! Ick habe jrad noch zwei schöne Sitzplätze zu vermieten, zwei Plätze in der Urwelt. Immer rrrrunter, meine Herren!“

Dieses lustige Gebaren des kleinen Dieners verscheuchte alle Besorgnisse des Doktors. Es konnte da unten doch wohl keine Gefahr vorhanden sein. Und da seine Wißbegierde so groß war, daß er sie kaum beherrschen konnte, folgte er der Aufforderung Fritzes und stieg vorsichtig in das Loch. Dieses führte zunächst gegen vier Fuß senkrecht hinab und ging dann in einem stumpfen Winkel schief nach innen weiter. Der Diener war also nicht senkrecht hinuntergestürzt, sondern in geneigter Richtung vorwärts gerutscht. Jetzt rief er von innen heraus:

„Da sind Sie ja! Ick sehe Ihre Beine. Sie befinden sich jrad vor dem Bauch des Riesentieres. Setzen Sie sich nieder, so ziehe ich Ihnen an die Füße herein zu mich.“

„Ist’s etwa gefährlich?“ erkundigte sich der vorsichtige Gelehrte.

„Keineswegs. Die Passage ist so bequem wie möglich. Warten Sie, ick werde Ihnen unterstützen.“

In diesem Augenblicke fühlte Morgenstern sich bei den Füßen ergriffen und fortgezogen; er kam in ein sanftes Gleiten und saß dann zu seinem Erstaunen neben Fritzen in einer kleinen niedrigen Höhle, welche infolge des Loches, durch welches er soeben gekommen war, so viel Helligkeit besaß, daß man sich darin umsehen konnte. Sie war länglichrund, ungefähr zwei Ellen hoch und so groß, daß drei Personen bequem nebeneinander sitzen konnten. Die Decke war gewölbt, nicht sehr, sondern ungefähr wie das Innere eines Tellers, und von dunkelmelierter, matt glänzender Farbe. Der Boden der Höhle war eben und von dem hereingebrochenen Sande teilweise bedeckt. An den unbedeckten Stellen sah man, daß er aus hartem Lehm bestand.

Als Fritze seinen Herrn neben sich hatte, lachte er auf und sagte in fröhlichem Tone:

„Da sitzen Sie neben mich, jrade wie Frau Lanziette, jeborene Huhn! So kann man aus die Ober- in die Unterwelt und aus die Jejenwart in die Verjangenheit jeraten. Wat sagen Sie zu diese schöne Mammuthöhle?“

„Von einem Mammut ist hier keine Rede. Wir befinden uns höchst wahrscheinlich im Leibe eines Glyptodon, also desjenigen Tieres, welches ich vorhin Riesenarmadill nannte.“

„Haben diese Tiere Leiber aus Lehm jehabt?“

„Natürlich nein. Du kannst dir doch denken, daß der Leib mitsamt den Knochen nach und nach verwest ist und daß nur der unzerstörbare Panzer übrig geblieben ist. Im Innern desselben sitzen wir jetzt.“

„Also mitten in der Armatur?“

„Ja. Man hat diesen Panzer auch wohl, aber irrtümlicherweise, für die Bedeckung des Megatherium gehalten, weil auch Knochen dieses letzteren Tieres in der Nähe solcher Fundorte angetroffen wurden. Das Glyptodon ist aber für den Kenner unmöglich mit dem Megatherium zu verwechseln, lateinisch permuto, obgleich es ebenso wie dieses einen runden, abgestutzten Kopf und am Jochbeine einen absteigenden Fortsatz hatte. Der Panzer, welcher das Tier vom Halse bis zum Schwanze umschloß und nur am Bauche offen war, bildete keine Ringe, sondern bestand aus einzelnen, sechseckigen Knochenstücken, welche eine einzige starke und zusammenhängende Decke bildeten. Der Schwanz steckte in einer besondern Panzerröhre, die wir jedenfalls auch finden werden. Wir müssen den Panzer zunächst freilegen; wenn sich dann ergibt, welches der hintere und welches der vordere Teil desselben ist, läßt sich leicht sagen, wo die Schwanzröhre liegt.“

Er betastete und beklopfte die Decke der Höhle und fand seine Vermutung, daß dieselbe der Panzer eines fossilen Riesentieres sei, vollkommen bestätigt. Fritze aber schüttelte den Kopf und sagte:

„Wenn dat janze Tier im Panzer jesteckt hat, so daß nur der Bauch unbedeckt war, so muß derselbe doch eine unten offene Höhlung bilden; die Seiten sind auch bepanzert jewesen, hier haben wir nur oben Panzer und an den beiden Seiten Lehm.“

„Der ist durch den Druck eingedrungen. Wenn wir ihn entfernen, werden die Seiten des Panzers zum Vorschein kommen. Ich werde dir den Chirurgen herabschicken. Ihr beide schafft diesen Lehm hinaus, während ich von oben graben werde, um das Glyptodon von außen bloßzulegen. So arbeiten wir uns in die Hände und werden jedenfalls noch vor der Abenddämmerung, lateinisch Crepusculum genannt, fertig sein.“

Er stieg aus der Höhle empor und schickte Don Parmesan mit Hacke und Schaufel hinab. Während die beiden nun unten fleißig arbeiteten, drang er selbst oben mit der Hacke in die Erde ein, um die Erde rund um den Panzer aufzugraben und denselben bloßzulegen.

Er strengte sich so an, daß ihm der Schweiß über das Gesicht lief. Er war ganz begeistert für seine Arbeit. Er dachte an den Ruhm, den es ihm bringen würde, wenn es ihm gelänge, ein fossiles Riesenarmadill in seiner heimatlichen Wohnung aufzustellen. Denn daß es sich hier um ein Glyptodon handelte, davon war er vollständig überzeugt, bis er gegen Mittag die Entdeckung machte, daß der Panzer nicht eine Röhre, sondern eine Schale bilde, welche wie eine plattgewölbte Decke auf der unter ihr befindlichen Höhle lag; sie wurde von den Lehmwänden der letzteren getragen. Fritze und Don Parmesan drangen mit ihren Werkzeugen durch diese Wände, und da der Gelehrte ihnen von außen mit seiner Hacke entgegenkam, dauerte es gar nicht lange, so war die eine Seite der Panzerdecke, welche einer umgestürzten Schale glich, freigelegt, und Fritze kam mit dem Chirurgen herausgekrochen.

„Sehen Sie, daß Sie sich jeirrt haben,“ sagte der erstere zu Morgenstern. „Es ist kein Jürteltier, denn die Seiten dieses Jeschöpfes sind oft und manchmal unbepanzert jewesen; es hat nur oben auf dem Rücken einen Schild jehabt.“

Der Gelehrte war einigermaßen enttäuscht. Er blickte nachdenklich vor sich nieder. Dann aber erhellte sich sein Gesicht plötzlich wieder; er stieß einen Jubelruf aus und antwortete dann:

„Fritze, du machst mir das Herz wieder leicht. Schon glaubte ich, daß unsre Arbeit eine vergebliche gewesen sei. Deine Worte aber überzeugen mich vom Gegenteile. Du hast das Richtige getroffen. Es hat oben auf dem Rücken einen Schild gehabt, Schild, Schild, ein runder Schild, lateinisch Clypeus genannt. Kannst du mir ein Tier, ein berühmtes Tier nennen, dessen Namen mit Schild- beginnt?“

„Ja.“

„Nun?“

„Ein Schildbürjer.“

„Unsinn! Ich meine natürlich die Schildkröte, lateinisch Testudo geheißen. Dieses Tier ist kein Armadill, sondern eine Schildkröte, und zwar eine Riesenschildkröte von ganz außerordentlichen Dimensionen gewesen. Hast du einmal von einer fossilen Riesenschildkröte gehört oder gar eine solche gesehen?“

„Nein.“

„Ich auch nicht. Hier nun finde ich ein solches Tier. Welch ein Glück, welch eine Wonne! Welch ein Ruhm wartet meiner, wenn die Kunde durch die gelehrten Kreise aller Länder geht, daß ich eine fossile Riesenschildkröte ausgegraben habe!“

„Wenn es wirklich eine ist!“

„Jedenfalls. Ich werde es gleich untersuchen.“

Er holte in seinem Hute Wasser herbei und wusch mit Hilfe eines Graswisches eine Stelle des Panzers rein.

„Siehst du,“ rief er dann aus, „daß ich recht habe. Diese Masse ist nichts andres als Horn, starkes, dickes Horn. Diese konvexe Platte ist nicht der Panzer eines Gürteltieres, sondern das Rückenschild einer Riesenschildkröte, lateinisch Chelonia Midas genannt.“

„Soll mir aufrichtig freuen, wenn nicht etwa wieder ein Irrtum vorliegt, so daß dat einstige Jürteltier und jetzige Schildkröte nachher der Abwechslung wejen für einen vorweltlichen Laubfrosch jehalten wird.“

„Laubfrosch, Hyla genannt! Du bist nicht bei Sinnen! Ich bin bereit, es mit einem Eide zu belegen, daß wir es mit den Überresten einer Riesenschildkröte zu thun haben.“

„Aber haben die Schildkröten nicht zwei Schilde?“

„Ja, einen Rücken- und einen Bauchschild.“

„Dieses Tier hat aber doch nur eins jehabt!“

„Wer behauptet das?“

„Sollte sie dat andre verloren oder in der Lotterie verspielt haben?“

„Keinen dummen Witz, Fritze! Der Brustschild muß auch da sein. Das Fleisch, welches zwischen beiden gelegen hat, ist verwest. Dadurch entstand die Höhle, welche wir hier vor uns sehen. Der Boden derselben wird jedenfalls von dem Bauchschilde gebildet. Wir werden es sofort finden, wenn wir den Lehm, welcher eingedrungen ist, wegräumen.“

„Dat leuchtet mich eher ein. Und wissen Sie, als wir da drin hockten, habe ich jehört, daß der Boden hohl klang.“

„Hoh!? Wirklich? Siehst du, Fritze, daß ich ganz richtig vermute! Du hast auf dem Bauchschilde gestanden, und das klingt hohl, cavus auf lateinisch. Wir werden ihn ausgraben.“

„Aber nicht jetzt, sondern nach dem Essen. Es ist Mittag jeworden, und wir müssen etwas jenießen. Wir haben ja Fische, welche wir uns backen oder braten können.“

Die beiden andern stimmten ein, der kleine Gelehrte freilich nur ungern. Er war so entzückt über seinen Fund, daß er keinen Hunger fühlte und von dieser Arbeitspause abgesehen hätte. Es fiel ihm auch gar nicht ein, sich an der Zubereitung der Fische zu beteiligen; er scharrte und kratzte vielmehr an der Schildkrötenschale herum, klopfte sie an, um zu hören, was für einen Ton sie hatte, prüfte, ob der Boden unter ihr wirklich hohl klang, was allerdings der Fall war, und kam erst dann zu den beiden andern, als die Fische zum Essen fertig waren. Während sie tüchtig zulangten, nahm er sich nur ein kleines Stück, sprang, als er dieses gegessen hatte, wieder auf und sagte –

„Ich kann nicht essen; es läßt mir keine Ruhe, bis ich auch den Bauchschild gefunden habe. Der Magen, Ventriculus oder Stomachus geheißen, ist mir wie zugeschnürt. Ich kann nicht schlingen.“

„Dat ist nicht jesund,“ bemerkte Fritze. „Der Mensch muß essen können. Wenn ick mir über was freue, esse ick doppelt. Wenn Ihr Magen so zujeschnürt bleibt, werden Sie durch diese Schildkröte Ihr schönes, junges Leben verlieren. Man darf nicht so aufjeregt sein.“

„Ist’s denn ein Wunder? Ein solcher Fund ist gradezu großartig und steht ganz einzig da. Man freut sich, daß man sich kaum zu lassen weiß, und hat doch schwere Sorge, lateinisch Cura genannt, dabei.“

„Dat bejreife ick nicht. Mir hat noch keine Kröte Sorje jemacht. Um wat sorjen Sie sich denn?“

„Um Verschiedenes. Vor allen Dingen um den Namen, den ich ihr geben muß.“

„Den hat sie ja schon. Sie wird ja Schildkröte jenannt. Oder ist dat nicht ihr rechtmäßiger Name?“

„Es ist der deutsche Name. Ich muß ihr aber doch auch einen wissenschaftlichen, einen lateinischen Namen geben!“

„Und dat macht Ihnen Sorje? Wie ist dat möglich? Sie verstehen ja Lateinisch.“

„Allerdings; aber es ist doch schwierig, den passenden Ausdruck zu finden.“

„So werde ick Ihnen helfen. Dieser wissenschaftliche Name soll sofort jefunden werden. Wie heißt Schildkröte auf lateinisch?“

Testudo. Aber es gibt Arten, welche wissenschaftlich mit Cistudo, Emys, Chelydra, Trionychida, Sphargis und Chelonia bezeichnet werden. Chelonia Midas zum Beispiel ist die Riesenschildkröte.“

„So haben Sie ja den jesuchten Namen. Eine Riesenschildkröte ist’s ja, die wir jefunden haben.“

„Richtig! Aber ich darf sie doch nicht so nennen, da mit Chelonia Midas die jetzt noch lebenden gemeint sind; unsre aber ist eine vorsündflutliche und viel, viel größer als die heute noch existierenden.“

„Dat ist wahr. Sie ist ein wahrer Goliath, ein richtiger Gigant, und – –“

„Halt, halt!“ unterbrach ihn der Gelehrte. „Ich hab’s, ich hab’s! Du hast es eben gesagt. Du bist ein ganz tüchtiger Kerl, Fritze, Gigant! Das gibt eine ganz ausgezeichnete Zusammensetzung. Denke an Gigantomachie, an Gigantologie oder an Gigantosteologie! Gigant und Chelonia, das läßt sich ganz ausgezeichnet verbinden und gibt einen Namen, der gar nicht vortrefflicher gewählt werden könnte. Ich werde dieses riesige Tier Gigantochelonia nennen. Ja, Gigantochelonia, welch ein prachtvoller Name! Vielleicht fügt man später, um mich als den Entdecker zu feiern, noch meinen Namen bei, was ich der gebotenen Bescheidenheit wegen heute nicht thun will. Ja, ja, der Name ist fertig. Diese fossile Riesenschildkröte wird Gigantochelonia genannt. Ich werde diesen Namen sofort notieren und dazu den wichtigen Tag, an welchem ich diesen unvergleichlichen Fund gemacht habe.“

Er zog sein Notizbuch hervor und trug den Namen ein. Fritze aber meinte kopfschüttelnd:

„Diese jelehrten Herren sind doch sonderbare Individuummers! Objleich der schönste deutsche Name vorhanden ist, muß doch ein lateinischer jesucht werden. Dieses Tier ist jedenfalls zu Noahs Zeit ins Diluvium jeraten; darum würde ick sie einfach Riesen-Noah-Kröte nennen. Dat würde für jedermann sofort verständlich sein. Schade nur, daß dat Fleisch nicht mehr vorhanden ist! Wieviel Turtlesuppen könnte man da machen!“

„Ja, bedenkt man, wie weit die beiden Schilder voneinander liegen, so kann man sich einen Begriff davon machen, wie stark und dick das Tier gewesen ist. Es muß eine wahre Unmasse von Fleisch, lateinisch Caro genannt, gehabt haben. Aber ihr seid nun endlich fertig mit essen. Beeilt euch nun! Wir müssen den Bauchschild ausgraben. Ihr hackt also den Boden auf, während ich fortfahren werde, die obere Schale los zu machen.“

Fritze stieg mit Don Parmesan wieder in die Höhle, um der Anweisung seines Herrn nachzukommen, während dieser oben die begonnene Arbeit fortsetzte. Er war mit einem solchen Eifer bei derselben, daß er für nichts andres Auge hatte und also auch nicht bemerkte, daß er der Gegenstand einer Beobachtung war, welche für ihn und seine Genossen leicht schlimme Folgen haben konnte.

Im Osten von der Stelle, an welcher die drei mit so großem Fleiße beschäftigt waren, erschien nämlich ein Trupp von vielleicht fünfzig Reitern, deren Ziel allem Anscheine nach das Wasser war, in dessen Nähe sich der Fundort der berühmten Gigantochelonia befand. Und zugleich erschienen im Süden fünf andre Reiter, welche aber noch so entfernt waren, daß man sie nur als kleine, bewegliche Punkte zu erkennen vermochte.

Der erstere Trupp befand sich in größerer Nähe. Er bestand aus Indianern, bei denen sich zwei Weiße befanden. Die Roten waren mit Pfeil und Bogen, langen Lanzen und Blasrohren bewaffnet; ein einziger von ihnen, welcher ihr Anführer zu sein schien, hatte eine Flinte. Die beiden Weißen waren wie Gauchos gekleidet und in rot und blau gestreifte Ponchos gehüllt. Als Waffen führten sie Messer, Revolver und Doppelflinten bei sich. Der eine von ihnen war Antonio Perillo, der Stierkämpfer aus Buenos Ayres, der andre aber der ältere Mann, welcher mit Perillo am Abende nach dem Stierkampfe an der Quinta des Bankiers den Vater Jaguar beobachtet hatte.

Sie kamen im Trabe längs des Waldrandes dahergeritten. Nahe genug herangekommen, erblickten sie den kleinen Gelehrten, welcher, ihnen den Rücken zukehrend, ganz in seine Arbeit vertieft war. Die beiden Weißen ritten mit dem Häuptlinge an der Spitze. Der ältere von ihnen hob die Hand, um das Zeichen zum Halten zu geben, parierte sein Pferd und sagte, sich an den Häuptling wendend:

„Was ist das! Wir sind nicht allein! Dort am Wasser ist ein Mann! Siehst du ihn? Er hackt die Erde auf.“

Der Rote blickte in die angedeutete Richtung und antwortete in zwar gebrochenem aber doch geläufigem Spanisch:

Holá, ein Weißer bei unsrer Quelle, bei unserm Escondite (Versteck)! Er hat es entdeckt und gräbt es auf. Vaya! Auf, und hin zu ihm!“

Er wollte sein Pferd antreiben; der Weiße aber ergriff seinen Arm und sagte:

„Halt, nicht so eilig! Laß uns ihn vorher beobachten. Er kann uns nicht entgehen. Er ist ja allein, ein einzelner.“

„Ob er allein ist oder ob sich viele bei ihm befinden, das ist mir gleich. Ihr nennt mich el Brazo valiente (der „tapfere Arm“); ich bin der Kriegshäuptling der Abipones und fürchte mich vor keinem Feinde.“

„Ich weiß es. Meine Worte enthielten keine Zweifel über deine Tapferkeit. Wer mag dieser Mensch sein, welcher Werkzeuge zum Graben bei sich führt, und durch welchen Verrat hat er Euer Almacen de polvora (Pulvermagazin) entdeckt? Er ist übrigens nicht allein hier; er hat Gesellschaft bei sich, denn ich zähle fünf Pferde, welche dort am Wasser weiden.“

„Quedo – still!“ rief da Antonio Perillo. „Er ist von kleiner Gestalt und ganz rot gekleidet. Sollte es möglich sein? Wenn mich meine Augen nicht trügen, so machen wir einen höchst wichtigen Fang. Es ist der Oberst, der sich in Buenos Ayres für einen deutschen Gelehrten ausgab!“

Demonio! Ist’s wahr?“ fragte der ältere von Perillos Begleitern.

„Ich möchte es beschwören. Jetzt haben wir den Beweis, daß ich mich nicht irrte, daß es sich nicht um eine Ähnlichkeit, sondern um die vollste Identität handelt. Wie käme ein harmloser deutscher Bücherwurm an die geheime Pulverkammer, welche wir für unsre roten Verbündeten anlegten, damit sie im Augenblicke des Losschlagens die nötige Munition besitzen? Es ist der Oberst Glotino, dieser Schurke, der sich über alle unsere Wege schleicht. In Buenos Ayres traf ihn unsre Kugel nicht; hier aber soll sie ihn nicht fehlen!“

Er zog den Revolver drohend aus dem Gürtel.

„Still!“ beruhigte ihn sein älterer Gefährte. „Keine Übereilung! Wir dürfen ihn nicht töten; er muß uns sagen, was er in dieser Gegend will und wie er zur Kenntnis unsres Versteckes gelangt ist. Schießen wir ihn nieder, so sind wir ihn los, ja; aber behalten wir ihn lebend in unsern Händen, so haben wir in ihm einen Geisel, welcher uns vom größten Vorteile werden kann. Und wer kommt da drüben? Sind das nicht Reiter?“

Er deutete nach Süden, wo die fünf Punkte indessen größer und deutlicher geworden waren. Die Blicke der andern richteten sich dorthin. Antonio Perillo antwortete:

„Das kann kein andrer als der Hauptmann Pellejo sein, mit dem wir hier zusammentreffen wollen. Unsre List ist also gelungen. Er hat den Auftrag erhalten, die Grenze zu inspizieren, er, unser Kumpan! Man bestellt den Bock zum Gärtner. Wir bekommen dadurch die Grenze und alle Niederlassungen am Flusse in die Hand. Dadurch sind unsern roten Verbündeten, wenn der Augenblick des Handelns kommt, sämtliche Einfallspforten geöffnet. Er ist’s gewiß, ganz gewiß. Ich denke, wir überlassen es nicht ihm, den Kerl dort zu fangen, sondern thun das selbst, noch ehe er herangekommen ist. Seht, der Halunke steigt hinab ins Magazin! Das ist der beste Augenblick. Wir umzingeln die Stelle. Vorwärts! Einige setzen sich augenblicklich in den Besitz der Pferde; dann gibt es kein Entrinnen für den Schurken.“

Der Trupp setzte sich in rasche Bewegung gegen das Pulvermagazin, welches Doktor Morgenstern für den Einbettungsort eines vorweltlichen Tieres gehalten.

Fritze hatte mit dem Chirurgen den Lehm, welcher den Boden der Höhle bildete, aufgegraben. Jeder Hieb oder Stoß, den die beiden thaten, war von einem dumpfen Tone begleitet, ein Beweis, daß es unter diesem Boden einen zweiten hohlen Raum gab. Als sie ungefähr einen Fuß tief gekommen waren, stießen sie zu ihrem Erstaunen auf starke Hölzer, aus abgeschnittenen Ästen gebildet, welche nebeneinander gelegt waren und die Träger des Lehmbodens bildeten. Sie zogen mehrere derselben heraus, und so entstand eine große Öffnung, durch welche sie hinabblicken konnten. Sie sahen da unter sich eine weit größere Höhle als die obere gewesen war. Da standen oder lagen viele kleine, sorgfältig in geharztes Leder gehüllte Fässer und längliche, ebenso gegen die Feuchtigkeit geschützte Pakete. Fritze kniete nieder, um eins der letzteren herauszulangen; es war schwer, so daß der Chirurg ihm helfen mußte. Als sie es oben hatten, zerschnitt Fritze die Riemen, mit denen es zusammengebunden war; es enthielt – Gewehre, sehr wohlerhaltene Gewehre.

„Welche Überraschung!“ rief er aus. „Das sind ja Flinten! So steht zu erwarten, daß die Fässer Pulver und Blei enthalten!“ Und in deutscher Sprache fortfahrend, rief er dem draußen hastig arbeitenden Privatgelehrten zu:

„Herr Doktor, kommen Sie doch mal herein! Wir haben etwas sehr Kurioses jefunden.“

„Etwas Kurioses?“ fragte der Angerufene. „Der Bauchschild einer Gigantochelonia ist etwas sehr Wichtiges, sehr Interessantes, aber doch nichts Kurioses. Habt Ihr ihn?“

„Den Schild leider nicht, sondern eine janz andre Art von Armatur. Haben Sie doch die Jewogenheit, verehrter Herr Doktor, uns mit Ihren jütigen Besuche zu bejlücken!“

Morgenstern legte die Hacke weg und folgte der Aufforderung. Das war der Augenblick, in welchem Antonio Perillo sagte: „Seht, der Halunke steigt hinab ins Magazin!“

„Schauen Sie her!“ meinte Fritze. „Es hat vor der Sündflut auch schon Pulver und Flinten jegeben. Diese Entdeckung jeht doch wohl noch über Ihre Gijantochelonia. Haben Sie schon mal mit einem Herrn jesprochen, der Flinten im Diluvium jefunden hat?“

Der kleine Gelehrte machte ein ganz unbeschreibliches Gesicht. Sein Mund stand offen; seine Augen öffneten sich, so weit es möglich war, und seine Brauen stiegen hoch empor.

„Flinten? Flinten?“ stotterte er. „Ja wahrhaftig, Flinten!

Das ist freilich ein Fall, welcher mir noch nicht vorgekommen ist, der sich aber jedenfalls erklären lassen muß. Es ist gewiß, daß es weder im Silurium oder gar vorher, noch in der nächstfolgenden Zeit Schießgewehre gegeben hat. Wenn diese Waffen sich hier unter dem Rückenschilde meiner Gigantochelonia vorfinden, so sind sie von menschlichen Individuen, welche höchst wahrscheinlich der geschichtlichen Zeit angehören, hergebracht worden. Diese Menschen haben keine zoopaläontologischen Kenntnisse gehabt, sonst hätten sie erkennen müssen, daß sie ihre nachsündflutlichen Waffen an einen vorsündflutlichen Ort brachten, dessen Bedeutung für die Verhältnisse urweltlicher –“

Er kam nicht weiter. Nahendes, starkes Pferdegetrappel brachte ihn aus der Urwelt in die Gegenwart zurück. Laute Stimmen ertönten, und als er den Kopf aus dem Loche steckte, um zu sehen, was draußen vorgehe, sah er, daß mehrere Indianer die Pferde ergriffen und andre die Waffen, welche er und seine beiden Begleiter abgelegt hatten, an sich nahmen. Zwei Weiße hielten ihm ihre Revolver entgegen, und einer von ihnen rief ihm in gebieterischem Tone zu:

„Kommen Sie mit Ihren Genossen heraus, Señor! Wir haben ein Wörtchen mit Ihnen zu reden. Aber versuchen Sie nicht etwa, sich zu wehren; das würde Ihren augenblicklichen Tod nach sich ziehen.“

„Antonio Perillo!“ rief der Gelehrte aus, der den Sprechenden erkannte.

„Ja, ich bin es. Gehorchen Sie, und kommen Sie schnell, sonst zwingen Sie uns, Gewalt anzuwenden.“

„Der Gewalt bedarf es nicht. Ich habe ein gutes Gewissen und kann mich vor jedem Menschen sehen lassen.“

Er kam herausgestiegen und seine beiden Gefährten folgten ihm. Als Perillo den Chirurgen erblickte, rief er erstaunt aus:

„Der Camicero! Señor, was thun Sie denn hier in dieser Gesellschaft?“

„Ich führe die Herren nach dem Gran Chaco,“ antwortete der Gefragte.

„Zu welchem Zwecke?“

„Um Tiere auszugraben.“

„Tiere? Ausgraben? Was denn für welche?“

„Vorsündflutliche Urtiere.“

„Das lassen Sie sich weiß machen? Señor Parmesan, ich habe Sie bisher als einen Menschen gekannt, der zwar seine Schrullen hat, sonst aber ungefährlich ist und ganz besonders sich niemals mit Politik befaßt. Heut aber lerne ich anders von Ihnen denken!“

„Politik? Was geht mich diese an! Ich bin Chirurg und habe vollständig genug an meiner Wissenschaft. Sie wissen ja, es ist mir keine Operation und kein Schnitt zu schwierig; ich säble alles herunter.“

„Diesmal aber scheinen Sie unter Säbel nicht Ihr Operiermesser, sondern einen wirklichen Degen zu verstehen. Sie wissen doch, daß Ihre Begleiter politisch höchst verdächtige, ja sogar gefährliche Menschen sind?“

„Gefährliche Menschen? Davon habe ich keine Ahnung;‘ das ist nicht wahr. Diese Señores sind gelehrte Leute aus Deutschland; sie wollen Riesentiere ausgraben; mit der Politik aber haben sie nichts zu thun.“

„Wenn das wirklich Ihre Überzeugung ist, so sind Sie von ihnen getäuscht worden. Wir aber wissen besser, woran wir mit ihnen sind. Sie haben eine Rolle übernommen, welche ihnen leicht das Leben kosten kann. Glücklicherweise für uns ist sie jetzt ausgespielt, da wir diese so ehrenwerten Señores hier bei dem Diebstahle ertappt haben.“

„Diebstahl?“ fuhr da Fritze auf. „Wir sind keine Diebe, wohl aber können wir Sie eines Verbrechens zeihen, welches noch schlimmer als Diebstahl ist.“

„So?“ lachte Perillo höhnisch auf. „Welches Verbrechen meinen Sie denn?“

„Den Mord. Sie haben in Buenos Ayres meinen Herrn zu erschießen versucht!“

„So? Es dürfte Ihnen schwer werden, dies zu beweisen; wohl aber werden wir Ihnen den Beweis führen, daß Sie sich in Dinge eingelassen haben, durch welche Ihr Kopf in die größte Gefahr gebracht wird. Ich erkläre Ihnen beiden, daß Sie unsre Gefangenen sind.“

„Dazu haben Sie kein Recht. Oder gehören Sie etwa oft und manchmal zur Polizei?“

„Das geht Sie nichts an! Übrigens gehört Ihre Angelegenheit nicht vor das Zivil- sondern vor das Kriegsgericht. Man wird Sie standrechtlich erschießen. Hier kommt der Offizier, welcher Sie ins Verhör nehmen wird.“

Er deutete auf die fünf Reiter, welche jetzt von Süden her am Platze angekommen waren, vier Kavalleristen, angeführt von dem Hauptmann, welcher Morgenstern und Fritze in Santa Fe erst bewirtet und dann fortgewiesen hatte. Dieser sprang vom Pferde, nickte den Indianern zu, reichte dem Stierkämpfer wie einem alten Freunde die Hand und gab sie dann auch dem Begleiter dieses letzteren, indem er sich sehr höflich verbeugte und in beinahe ehrerbietigem Tone sagte:

„Viel Ehre für mich, Señor Benito, den berühmtesten Gambusino (Goldsucher) des Landes wiederzusehen! Sie bemerken, daß ich Wort gehalten und mich zur rechten Zeit eingestellt habe. Aber welche Menschen finde ich bei Ihnen? Da ist ja der famose Deutsche, den ich wegen seiner großen Ähnlichkeit für den Obersten Glotino hielt und dann –“

„Hielt? Nur hielt?“ unterbrach ihn der Angeredete, welcher bis jetzt noch nicht gesprochen hatte. „Lassen Sie sich durch die Verkleidung nicht irre machen! Er ist es wirklich. Wo haben Sie ihn gesehen?“

Kapitän Pellejo erzählte kurz die Begegnung in Santa FÉ, worauf der als Gambusino bezeichnete achselzuckend meinte: „Da haben Sie ja den Beweis, daß wir es mit dem richtigen Glotino zu thun haben. In Buenos Ayres logierte er bei dem Bankier Salido, welcher als Anhänger des Generales Mitre bekannt ist; in Santa Fe geht er nach dem Cuartel, um die Besatzung desselben zu kontrollieren, und dann reitet er direkt hierher, um unser Magazin auszunehmen. Er wird uns zu sagen haben, wer ihm die Lage desselben verraten hat.“

„Mir hat niemand etwas verraten,“ bemerkte da der kleine, rote Gelehrte. „Ich heiße Morgenstern und bin aus Deutschland. Wir wollen nach dem Gran Chaco, um vorweltliche Tiere auszugraben, und hier, wo wir Lager machten, entdeckte ich zufällig, lateinisch fortuito, die obere Schale einer vorsündflutlichen Riesenschildkröte, welcher ich den Namen Gigantochelonia gegeben habe.“

„Die Schale einer Schildkröte? Wo ist sie denn?“

„Hier doch,“ antwortete der Kleine, indem er auf den vermeintlichen Panzer zeigte. „Sie werden doch zugeben, daß wir es hier mit dem Rückenschilde einer Riesenschildkröte zu thun haben!“

„Herr, halten Sie uns nicht für verrückt!“ fuhr der Gambusino auf. „Sie wissen sehr genau, in welcher Weise man derartige heimliche Magazine anlegt und daß man die Waffen und das Pulver dadurch vor der Feuchtigkeit schützt, daß man dem Verstecke eine mit Harz durchdrängte Lehmdecke gibt. Halten Sie uns etwa für so dumm, zu glauben, daß Sie eine solche Decke für den Panzer einer Schildkröte angesehen haben?“

„Aber, Señor, das ist ja wirklich der Fall! Die Annahme, daß dies eine durchharzte Lehmdecke sei, beruht auf einem gewaltigen Irrtume. Ich bin Kenner und gebe Ihnen die Versicherung, daß wir es mit den Überresten einer ganz einzig dastehenden zoopaläontologischen Existenz zu thun haben. Darauf können Sie sich verlassen, lateinisch durch fidus ausgedrückt.“

„Verstellen Sie sich doch nicht auf eine so lächerliche Weise! Wir werden Ihnen ein Latein vorsagen, welches Sie wohl schwerlich nachsprechen können. – Señor Capitan, bemächtigen Sie sich dieser beiden sogenannten Deutschen! Der Carnicero ist ungefährlich; ihn wollen wir laufen lassen, da er, wenn wir ihn bei uns behielten, uns nur hinderlich sein würde. Er mag sein Pferd und seine Waffen nehmen und reiten, wohin es ihm beliebt.“

Nichts konnte dem Chirurgen lieber sein als diese Entscheidung. Er sattelte schnell sein Pferd, nahm seine Flinte und stieg auf, um davonzureiten. Aber wohin? Als er der Truppe aus den Augen war, hielt er an, um zu überlegen.

„Eine tolle Geschichte!“ brummte er in den Bart. „Dieser deutsche Knochensucher soll der Oberst Glotino sein. Fällt ihm gar nicht ein! Er hat das Waffenversteck wirklich für das Lager eines uralten Tieres gehalten. Diese Kerls, welche uns überraschten, wollen sich mit den Indianern verbinden, um sich gegen die Regierung zu empören. Sie sind Halunken. Sie sprachen davon, den Deutschen töten zu wollen. Er ist ein guter Mensch, und ich möchte ihn retten. Aber wie?“

Er dachte nach, fuhr dann plötzlich aus seinem Sinnen auf und meinte zu sich selbst:

„Ich hab’s! Ich brauche ja nur dem Vater Jaguar nachzueilen und ihm zu erzählen, was geschehen ist. Seine Spur wird nicht mehr zu sehen sein, aber ich weiß ja die Richtung, die er eingeschlagen hat. Also schnell vorwärts!“

Er jagte mit seinem Pferde von dannen.

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