XI.

Erste Einrichtung im Innern von French-den. – Entladung des Flosses. – Besuch am Grabe des Schiffbrüchigen. – Gordon und Doniphan. – Der Kochofen. – Haar- und Federwild. – Der Nandu. – Service’s Pläne. – Annäherung der schlechten Jahreszeit.

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Die Ausschiffung ging unter dem Jubel der Kleinen vor sich, für die jede Abwechslung in ihrem gewöhnlichen Leben ein neues Spiel war. Dole sprang wie ein junges Böckchen auf dem Ufer umher, Iverson und Jenkins liefen nach dem Strande des Sees, Costar aber nahm Moko zur Seite und sagte zu diesem:

»Du hast uns ein gutes Mittagessen versprochen, Moko.

– Ei, daraus wird nichts werden, Herr Costar, antwortete der Negerknabe.

– Und warum nicht?

– Weil ich gar keine Zeit mehr hätte, ein Mittagsmahl herzustellen.

– Wie, wir sollen gar nicht essen?

– Zu Mittag nicht, wohl aber zu Abend; und ich denke, die jungen Trappen werden sich zu einem Abendbrod nicht minder gut eignen.«

Und seine weißen Zähne zeigend, lachte Moko hell auf.

Nachdem es ihm einen freundlichen Rippenstoß ertheilt, schloß das Kind sich seinen Kameraden wieder an. Briant hatte ihnen übrigens ans Herz gelegt, sich nicht zu entfernen, damit man sie stets im Auge behalten könnte.

»Nun, Du gehst nicht auch zu ihnen? fragte er seinen Bruder.

– Nein, ich bleibe lieber hier! antwortete Jacques.

– Du würdest aber weit bester thun, Dir etwas Bewegung zu machen, fuhr Briant fort. Ich bin mit Dir nicht zufrieden, Jacques! … Du hast etwas, was Du verheimlichst … Oder solltest Du etwa krank sein?

– Nein, Bruder, mir fehlt nichts!«

Immer dieselbe Antwort, welche Briant nicht genügen konnte, der nun einmal entschlossen war, Licht in die Sache zu bringen, selbst wenn er es deshalb auf eine Scene mit dem jungen Trotzkopf ankommen lassen mußte.

Es war indeß keine Stunde zu verlieren, wenn man schon diese Nacht in French-den zubringen wollte.

Zunächst sollten Diejenigen, welche die Höhle noch nicht kannten, in dieselbe eingeführt werden. Sobald das Floß an dem Ufer inmitten eines Wirbels und außerhalb der Strömung fest gelegt war, bat Briant seine Kameraden, ihn zu begleiten. Der Schiffsjunge trug eine Signallaterne, deren Flamme durch die Wirkung einer linsenförmigen Scheibe ein sehr lebhaftes Licht verbreitete.

Man begann nun zuerst den Eingang frei zu legen. So wie Briant und Doniphan die Zweige vor derselben verflochten hatten, wurden sie auch wieder aufgefunden, es hatte also kein menschliches Wesen und auch kein Thier nach French-den einzudringen versucht.

Nach Beseitigung der Zweige glitten Alle durch die schmale Oeffnung. Beim Scheine der Signallaterne erleuchtete sich die Höhle weit besser, als das durch brennende Harzzweige oder durch die groben Kerzen des Schiffbrüchigen möglich gewesen war.

»Ei, hier wird’s aber eng hergehen! ließ Baxter sich vernehmen, als er die Tiefe der Höhle ausgemessen hatte.

– Bah, rief Garnett, wenn wir die Lagerstätten über einander Herrichten, wie in einer Cabine …

– Wozu? fiel Wilcox ein. Es wird genügen, sie nebeneinander auf dem Erdboden auszubreiten.

– So, damit uns kein Platz zum Hin- und Hergehen bleibt, bemerkte Webb.

– Nun, dann wird einfach nicht hin- und hergegangen, damit ist’s abgemacht, meinte Briant. Weißt Du einen besseren Rath, Webb?

– Nein, aber …

– Aber, setzte Service den Satz fort, die Hauptsache ist, ein hinlängliches Obdach zu haben! Ich denke, Webb hat sich’s auch nicht eingebildet, hier eine vollständige Familienwohnung, mit Salon, Speisezimmer, Schlafzimmer, Vorsaal, Rauch- und Badezimmer vorzufinden.

– Nein, sagte Croß; nur einen Ort brauchen wir, wo die Küche eingerichtet werden kann.

– Die bring‘ ich draußen an, erklärte Moko.

– Das wäre bei schlechter Witterung sehr unbequem, bemerkte Briant. Ich meine übrigens, schon morgen können wir den Kochofen vom »Sloughi« eben hier aufstellen …

– Den Kochofen … in der Höhle, wo wir essen und schlafen? versetzte Doniphan in einem Tone, der seinen Widerwillen erkennen ließ.

– Nun, so wirst Du einmal lauter Wohlgerüche einathmen, Lord Doniphan, rief Service, der dazu auflachte.

– Wenn mir das paßt, Du Küchengehilfe! erwiderte der hochmüthige Knabe die Augenbrauen runzelnd.

– Laßt es gut sein, beeilte sich Gordon zu sagen. Ob die Sache angenehm ist oder nicht, werden wir uns für den Anfang doch dazu entschließen müssen. Während er uns übrigens einestheils zum Kochen dient, erwärmt der Ofen gleichzeitig das Innere der Höhle. Uns mehr Gelaß zu schaffen, indem wir andere Räume aus dem Gestein ausbrechen, für diese Arbeit haben wir den ganzen Winter, wenn sie überhaupt auszuführen ist. Jetzt laßt uns French-den nehmen, wie es ist, und richten wir uns so gut wie möglich darin ein!«

Nach dem Essen wurden die Matratzen herbeigeschafft und die Lagerstätten in regelmäßigen Reihen auf dem Sande aufgeschlagen. Obwohl sie ziemlich dicht neben einander zu liegen kamen, mußten die Kinder bei ihrer Gewöhnung an die engen Schiffscabinen sich darauf doch ganz behaglich finden.

Diese Einrichtung nahm den Rest des Tages in Anspruch. Dann wurde noch die große Tafel der Yacht in der Mitte der Höhle aufgestellt, und Garnett, dem die Kleinen die nöthigen Geräthe von Bord zutrugen, übernahm das Decken derselben.

Moko, den Service nach Kräften unterstützte, hatte auch das Seinige gethan. Ein zwischen zwei großen Steinen angebrachter Herd am Fuße des Steilufers wurde mit trockenem Holze beschickt, das Webb und Wilcox unter den Bäumen am Ufer suchten. Gegen sechs Uhr kochte der große Topf mit dem Fleischbisquit, das nur wenige Minuten aufgesotten zu werden braucht, und verbreitete einen angenehmen Geruch. Daneben brieten an einen Draht gereiht, nachdem sie sauber gerupft waren, noch ein Dutzend Tinamus an einer lodernden Flamme über der Bratpfanne, in welcher Costar Luft hatte, noch ein Stück Zwieback zu rösten. Und während Dole und Iverson gewissenhaft ihres Amtes als Bratspießdreher walteten, folgte Phann ihren Bewegungen mit sehr deutlich sprechendem Interesse.

Vor sieben Uhr fanden sich Alle in dem einzigen »Zimmer« von French-den – dem Wohn-, Schlaf- und Vorrathsraum – zusammen. Die Schemel, Feldstühle und Korbsessel vom »Sloughi« waren gleichzeitig mit den Bänken aus dem Volkslogis hierhergeschafft worden. Die jugendlichen Tischgenossen verzehrten nun, von Moko bedient und sich selbst bedienend, eine recht gehaltvolle Mahlzeit. Die warme Suppe, ein Stück Cornbeef, die gebratenen Tinamus, das Fleischbisquit in Brodteig, frisches Wasser mit dem zehnten Theile Brandy, ein Stück Chester-Käse und einige Gläser Sherry entschädigten sie für die mageren Mahlzeiten der letzten Tage. Trotz des Ernstes der Lage gaben sich die Kleinen doch ganz der ihrem Alter so natürlichen Heiterkeit hin, und Briant hütete sich wohl, sie in ihrer Freude zu beschränken oder ihr Lachen zu unterdrücken.

Der Tag war recht anstrengend gewesen. Nach Stillung des Hungers sehnte man sich also nach nichts Anderem, als nach Ruhe. Vorher aber schlug Gordon, getrieben durch ein religiöses Pflichtgefühl, seinen Genossen vor, dem Grabe François Boudoin’s, dessen Wohnung sie jetzt einnahmen, einen Besuch abzustatten.

Schon lag das Abenddunkel auf dem See und das Wasser erglänzte nicht einmal mehr in den letzten Strahlen des Tageslichtes. Nachdem sie die Ecke der Uferhöhe umschritten, blieben die Knaben vor einer leichten Bodenerhebung stehen, aus der sich ein hölzernes Kreuz erhob, und dann sandten die Kleinen, auf den Knieen liegend, und die Großen gebeugt neben dem Grabe stehend, ein Gebet zu Gott für die Seele des armen Schiffbrüchigen.

Um neun Uhr waren die Schlafstätten besetzt, und kaum in ihre Decken gehüllt, fielen Alle auch schon in sanften Schlummer. Nur Wilcox und Doniphan, welchen es heute oblag, wach zu bleiben, unterhielten ein großes Feuer am Eingang der Höhle, welches, während es das Innere derselben erwärmte, auch dazu diente, gefährliche Besucher zurückzuschrecken.

Am nächsten Tage, am 9. Mai, und während der drei folgenden Tage waren alle Hände mit der Entladung des Flosses beschäftigt. Schon sammelten sich mit dem Westwinde mehr Dünste an, welche eine Periode häufigen Regens und Schneetreibens verkündeten. Die Temperatur überstieg jetzt kaum noch 0 Grad, und die oberen Luftschichten mußten schon recht kalt sein. Es galt jetzt also, alles, was leicht verdorben werden konnte, wie Munition, feste und flüssige Nahrungsmittel, in French-den unter Schutz zu bringen.

Während dieser wenigen Tage zogen, angesichts der dringlichen Arbeit, auch die Jäger nicht weit hinaus, doch da es an Wasserwild weder auf dem See noch über dem Sumpfe mangelte, erhielt Moko immer was er bedurfte. Bekassinen und Enten, langgeschwänzte und Kriechenten, gaben Doniphan Gelegenheit, manch glücklichen Schuß zu thun.

Nichtsdestoweniger sah Gordon, daß die Jagd, selbst wenn sie erfolgreich war, etwas zu viel Pulver und Blei kostete. Er hielt gar sehr viel darauf, den Schießbedarf, dessen Vorrath er in seinem Notizbuch genau verzeichnet hatte, möglichst zu schonen, und so rieth er Doniphan, mit Rücksicht darauf ja nicht unnöthig zu schießen.

»Es steht unser aller Interesse dabei auf dem Spiele, sagte er.

– Einverstanden, sagte Doniphan, wir müssen aber ebenso vorsichtig mit unseren Vorräthen umgehen. Wir würden es bereuen, derselben beraubt zu sein, wenn sich je ein Mittel böte, die Insel zu verlassen …

– Die Insel verlassen? … entgegnete Gordon, Sind wir denn im Stande, ein Fahrzeug zu bauen, welches das Meer halten könnte?

– Und warum nicht, Gordon, wenn sich ein Festland in der Nähe befände? … Auf jeden Fall hab‘ ich nicht Lust, hier wie der Landsmann Briant’s zu sterben.

– Zugegeben, antwortete Gordon; doch ehe wir an ein Fortkommen denken können, machen wir uns mit dem Gedanken vertraut, vielleicht gezwungen zu sein, hier lange Jahre zu leben …

– Ja, daran erkenne ich meinen Gordon! rief Doniphan. Ich bin überzeugt, er wäre entzückt, hier eine Colonie zu begründen.

– Gewiß, wenn uns nichts anderes übrig bleibt.

– Ach, Gordon, ich glaube nicht, daß Du zu viele Anhänger einer solchen Marotte finden würdest, nicht einmal Deinen Freund Briant.

– Darüber zu reden, werden wir noch Zeit genug haben, erwiderte Gordon. Und was Briant betrifft, so laß‘ mich Dir sagen, Doniphan, daß Du gegen ihn unrecht handelst. Er ist ein guter Kamerad, der uns schon Beweise seiner Opferwilligkeit gegeben hat …

– Ei natürlich, Gordon! versetzte Doniphan in jenem verächtlichen Tone, den er sich nicht abgewöhnen konnte. Briant hat alle vortrefflichen Eigenschaften … Er ist eine Art Held …

– Nein, Doniphan, er hat Fehler wie wir Alle. Dein Auftreten ihm gegenüber kann aber nur zu einer Veruneinigung führen, welche unsere Lage gewiß verschlimmern müßte. Briant wird von Allen hochgeschätzt …

– Ja, ja, von Allen!

– Oder wenigstens von der größten Zahl seiner Kameraden. Ich begreife nicht, warum Du, nebst Wilcox, Croß und Webb, Dich nicht mit ihm verständigen kannst. Ich sage Dir das nur beiläufig, Doniphan, und hoffe, Du wirst es Dir überlegen …

– Es ist schon Alles überlegt, Gordon!«

Gordon sah wohl ein, daß der stolze Knabe wenig geneigt sein mochte, seinem Rathe zu folgen, und das betrübte ihn, da er dadurch in Zukunft manche Mißhelligkeiten entstehen sah.

Wie erwähnt, hatte die Entladung des Flosses drei Tage in Anspruch genommen, jetzt blieb nur noch übrig, die Grundlage und die Plattform wieder auseinander zu nehmen, um deren Planken und Balken im Innern von French-den zu verwenden.

Leider hatte nicht das ganze Material in der Höhle Platz finden können, und wenn es nicht gelang, diese zu vergrößern, würde man sich genöthigt sehen, eine Art Schuppen zu erbauen, unter dem die Ballen, geschützt gegen die schlechte Witterung, liegen konnten.

Inzwischen wurden alle Gegenstände, auf Gordon’s Rath, in dem Winkel der Uferhöhe untergebracht und hier mit getheerten Leinenstücken, welche sonst zum Schutze der Oberlichtfenster und der Treppenkappen gedient hatten, überdeckt.

Im Laufe des 13. gingen Baxter, Briant und Moko an die Herrichtung des Kochofens, der auf Walzen bis zum Innern von French-den gezogen werden mußte. Hier stellte man ihn an die rechte Wand nahe dem Eingang, um sich einen möglichst guten Zug desselben zu sichern. Was das Rohr anging, welches die Verbrennungsproducte nach außen abführen sollte, so machte ihnen dessen Anbringung kein besonderes Kopfzerbrechen. Da der Kalkstein ziemlich weich war, gelang es Baxter, ein Loch durch denselben zu schlagen, in welches das Rohr eingepaßt wurde, so daß der Rauch nun nach Außen abziehen konnte. Am Nachmittage, als der Schiffsjunge den Ofen in Brand gesetzt, hatte er die Befriedigung zu sehen, daß derselbe ganz nach Wunsch fungirte. Selbst für die schlechteste Jahreszeit war die Zubereitung der Speisen gesichert.

Während der folgenden Wochen konnten Doniphan, Webb, Wilcox und Croß, denen sich noch Garnett und Service anschlossen, ihrer Jagdlust völlig Genüge thun. Eines Tages zogen sie so in den Birken- und Buchenwald, eine halbe Meile von French-den aus und an der Seite des Sees, hinein. An manchen Stellen entdeckten sie deutliche Spuren menschlicher Arbeit. Es waren da im Erdboden ausgehobene und mit Gezweig bedeckte Gruben, tief genug, um Thieren, welche hineinfielen, das Wiederentweichen zu verhindern. Der Zustand der Gruben ließ jedoch erkennen, daß diese schon viele Jahre alt waren, und eine derselben enthielt noch die Ueberbleibsel eines Thieres, dessen Art jetzt freilich nur noch schwer zu erkennen gewesen wäre.

»Jedenfalls sind das die Knochen von einem ziemlich großen Thiere, bemerkte Wilcox, der sich schnellstens in die Grube hinabgelassen hatte und einige von der Zeit gebleichte Knochen herausbrachte.

– Und das war ein vierfüßiges Thier, was man noch an den Beinknochen erkennt, fügte Webb hinzu.

– Wenigstens, wenn es hier nicht gar fünffüßige Thiere gibt, antwortete Service, und dann hat das hier nur ein Schaf oder ein ganz gewaltiges Kalb sein können.

– Du mußt doch immer scherzen, Service, sagte Croß.

– Nun, das Lachen ist doch nicht verboten, meinte Garnett.

– Gewiß erscheint mir nur, fuhr Doniphan fort, daß dieses Thier ein sehr kräftiges gewesen sein muß. Seht nur die Dicke des Kopfes und die mit Hakenzähnen ausgestattete Kinnlade. Service mag immer mit seinen Gaukler-Kälbern und seinen Jahrmarkts-Schafen scherzen, wenn dieser Vierfüßler hier aber wieder auflebte, würde ihm das Lachen, glaub‘ ich, schnell vergehen.

– Gut abgeführt! rief Croß, der immer geneigt war, die Erwiderungen seines Vetters ausgezeichnet zu finden.

– Du meinst also, fragte Webb Doniphan, daß wir hier ein gefährliches Raubthier vor uns hätten?

– Ja, ganz sicherlich!

– Einen Löwen … einen Tiger etwa? … fragte Croß, dem es hier gar nicht mehr geheuer vorkam.

– Wenn auch keinen Tiger oder Löwen, so doch mindestens einen Jaguar oder Cuguar!

– Da werden wir uns also in Acht nehmen müssen! … sagte Webb.

– Und dürfen nicht sorglos weit herumstreifen, setzte Croß hinzu.

– Hörst du wohl, Phann, sagte Service, sich nach dem Hunde umwendend, hier giebt es sehr große Bestien.«

Phann antwortete durch ein freudiges Gebell, das keine besondere Unruhe verrieth.

Die jungen Jäger schickten sich nun an, nach French-den zurückzukehren.

»Halt, da kommt mir ein Gedanke! sagte Wilcox. Wenn wir die Fallgruben mit frischen Zweigen bedeckten? … Vielleicht könnten wir da noch einmal irgend ein Thier fangen.

– Wie Du willst, Wilcox, antwortete Doniphan, obwohl ich mehr dafür eingenommen bin, ein Stück Wild in Freiheit abzuschießen, als es im Grunde einer Grube zu ermorden.«

Es war der Sportsman, der aus ihm sprach; im Grunde erwies sich Wilcox mit seiner natürlichen Neigung zur Aufstellung von Fallen jedoch praktischer als Doniphan.

Er beeilte sich nun, den eigenen Vorschlag auszuführen. Seine Kameraden halfen von den benachbarten Bäumen Zweige abzuschlagen, welche dann kreuzweise über die Oeffnung der Gruben und so gelegt wurden, daß deren Blätter dieselben vollständig bedeckten. Gewiß eine sehr kunstlose Falle, welche von den Trappern der Pampas aber sehr häufig mit Erfolg angewendet wird.

Um die Stelle wieder zu finden, wo diese Grube sich befand, knickte Wilcox verschiedene Zweige der Bäume am Waldessaume an, und hierauf begaben sich Alle wieder nach French-den.

Die Jagden lieferten übrigens immer reiche Beute, da es hier einen wahren Ueberfluß an Federwild gab. Ohne die Trappen und Tinamus zu zählen, flatterten hier in großer Anzahl Hausschwalben umher, deren weißgetüpfeltes Gefieder an das der Perlhühner erinnerte; ferner Holztauben in großen Schaaren und antarktische Gänse, welche recht gut eßbar sind, wenn sie durch geeignete Zubereitung ihren thranigen Geschmack verloren haben. Das Haarwild dagegen war vertreten durch »Tucutucos«, eine Art Nagethiere, welche im Fricassée das Kaninchen recht wohl ersetzen können; durch »Maras«, das sind grauröthliche Hasen mit einem schwarzen Halbmond auf dem Schwanze und ebenso eßbar wie die Agutis, ferner durch Pichis, eine Art der Gürtelthiere, oder Säugethiere mit Schuppenpanzer, deren Fleisch ganz vortrefflich schmeckt; durch »Pecaris«, das sind kleine Wildschweine, und endlich durch »Guaculis«, welche den Hirschen gleichen und ebenso flüchtig sind wie diese.

Doniphan gelang es wohl, einzelne dieser Thiere zu erlegen; da er sich aber nur schwer an dieselben heranschleichen konnte, stand der Aufwand an Pulver und Blei doch nicht in rechtem Verhältnisse zu den erzielten Erfolgen. Das ärgerte nicht nur den jungen Jäger selbst, sondern brachte ihm auch noch verschiedene Vorwürfe von Gordon ein – Vorwürfe, welche auch seinen Begleitern nicht erspart blieben.

Bei einem dieser Ausflüge sammelte man auch einen reichlichen Vorrath zweier, von Briant gelegentlich seines ersten Besuches am Binnensee entdeckter Pflanzen, nämlich von wildem Sellerie, der auf dem feuchten Boden üppig emporwucherte, und von Kresse, deren junge Triebe, wenn sie eben die Erde durchbrechen, ein vorzügliches Heilmittel des Scorbut abgeben. Aus Gesundheitsrücksichten erschienen diese Vegetabilien bei jeder Mahlzeit.

Da die Kälte die Oberfläche des Sees und des Rio noch mit keiner Eiskruste überzogen hatte, gelang es auch, mittels Angelhaken Forellen und eine Art Hechte zu fangen, welche sehr gut eßbar sind, wenn man sich nur wegen ihrer vielen Gräten gehörig in Acht nimmt. Eines Tages endlich kam Iverson triumphirend heim und brachte einen ansehnlichen Lachs, mit dem er lange Zeit, auf die Gefahr hin, seine Schnur zerreißen zu sehen, gekämpft hatte. Konnte man sich zu der Zeit, wo diese Fische nach der Mündung des Rio zurückkehrten, einen größeren Vorrath derselben zulegen, so mußte damit für den Winter eine köstliche Reserve gewonnen sein.

Inzwischen wurde die von Wilcox wieder hergerichtete Grube wiederholt besucht, doch hatte sich kein Thier in derselben fangen lassen, trotz eines großen, darin niedergelegten Stückes Fleisch, welches die Aufmerksamkeit eines Raubthieres hätte erregen können.

Am 17. Mai ereignete sich indeß ein unerwarteter Zwischenfall.

Briant und die Uebrigen hatten sich an diesem Tage nach dem Walde in der Umgebung des Steilufers begeben, in der Absicht, in der Nähe von French-den noch eine andere natürliche Höhle zu suchen, welche als Magazin für das noch übrige Material dienen könnte.

Bei Annäherung an die Grube vernahm man aus derselben ein heiseres Geschrei.

An Briant, der nach dieser Seite zuschritt, schloß sich sofort auch Doniphan an, welcher Jenem nicht den Vortritt lassen wollte. Die Andern folgten, die Gewehre schußfertig, einige Schritte hinterher, während Phann mit aufgerichteten Ohren und erhobenem Schwanze dahintrottete.

Sie befanden sich nur noch zwanzig Schritte von der Grube, als das Geschrei sich verdoppelte. In der Mitte der Zweigdecke zeigte sich ein großes Loch, das nur durch das Hindurchstürzen eines Thieres entstanden sein konnte.

Welcher Art dieses Thier war, hätte Niemand sagen können; jedenfalls empfahl es sich aber, zu einer Verteidigung bereit zu sein.

»Vorwärts, Phann, vorwärts!« rief Doniphan.

Der Hund sprang bellend, aber ohne besondere Unruhe zu zeigen, voraus.

Briant und Doniphan liefen nach der Grube, und sobald sie sich über dieselbe gebeugt, riefen sie:

»Hierher! Kommt nur heran!

– Es ist kein Jaguar? … fragte Webb.

– Und auch kein Cuguar? … setzte Croß hinzu.

– Nein, belehrte sie Doniphan. Es ist nur ein Thier mit zwei Pfoten, ein – Strauß!«

In der That war es ein Strauß, und sie hatten alle Ursache, sich über das Vorkommen dieser Thiere im Walde hier zu beglückwünschen, denn das Fleisch derselben ist vortrefflich, vorzüglich an dem die Brust bedeckenden Fettpolster.

Wenn es auch nicht zweifelhaft sein konnte, daß sie einen Strauß vor sich hatten, so zeigten dessen geringere Größe, die kleineren Federn, welche den ganzen Körper mit einem weißlich-grauen Vließ bedeckten, daß derselbe zu der in den Pampas von Südamerika so häufig vorkommenden Sippe der »Nandus« gehörte. Obwohl diese sich mit dem afrikanischen Strauß nicht messen können, bilden sie doch eine Zierde der Fauna jedes Landes.

»Den müssen wir lebend bekommen! rief Wilcox.

– Ei, das wünscht‘ ich auch! jubelte Service.

– Es dürfte aber nicht so leicht sein, meinte Croß.

– So versuchen wir es wenigstens,« erklärte Briant.

Das kräftige Thier hatte offenbar nicht entkommen können, weil seine Flügel ihm nicht erlaubten, sich bis zur Erdoberfläche zu erheben, und seine Füße an den lothrechten Wänden keinen Stützpunkt fanden. Wilcox mußte sich also nach dem Grunde der Grube selbst auf die Gefahr hin hinabgleiten lassen, einige Schnabelhiebe wegzubekommen, die ihn ernstlich verletzen konnten. Da es ihm jedoch bald gelang, dem Thiere seine Wollenjacke über den Kopf zu werfen, so wurde dieses hierdurch völlig unbeweglich gemacht. Nun war es auch leicht, dessen Füße mit zwei oder drei aneinander geknüpften Taschentüchern zu fesseln, und so gelang es Allen durch Vereinigung ihrer Kräfte, die Einen von unten, die Anderen von oben her nachhelfend, ihn aus der Grube zu ziehen.

»Endlich haben wir ihn, rief Webb erfreut.

– Was fangen wir aber mit dem Burschen an? fragte Croß.

– Das ist sehr einfach, antwortete Service, der an nichts verzweifelte. Wir führen ihn nach French-den, füttern ihn gut und benutzen ihn als Reitthier. Ich werde das schon nach dem Vorgange meines Freundes, des schweizerischen Robinson, fertig bringen.«

Ob es möglich sein sollte, den Strauß in dieser Weise zu benutzen, erschien trotz des von Service dafür angezogenen Beispiels mindestens zweifelhaft. Da es jedoch keine Schwierigkeit machte, ihn nach French-den mitzunehmen, so wurde das ausgeführt.

Als Gordon den Nandu ankommen sah, erschrak er wohl ein wenig über die Aussicht, noch einen Magen mehr sättigen zu sollen, nahm ihn aber, in Berücksichtigung, daß dazu Gras oder Laub genügen würde, doch gut auf. Für die Kleinen war es eine Freude, sich dem Thiere zu nähern – natürlich nicht allzusehr – nachdem dasselbe an einen langen Strick gebunden war, und als sie hörten, daß Service dasselbe zum Reiten abrichten wolle, nahmen sie ihm schon das Versprechen ab, hinter ihm aufsitzen zu dürfen.

»Ja, wenn Ihr hübsch artig seid, Ihr Kleinen! antwortete Service, den die Kinder schon als Helden anstaunten.

– Gewiß, gewiß! rief Costar.

– Wie? Auch Du, Costar, erwiderte Service, auch Du wolltest es wagen, dieses Thier zu besteigen?

– Hinter Dir … und wenn ich mich an Dir festhalten kann, ja!

– Du denkst wohl gar nicht mehr an die ausgestandene Angst, als Du auf dem Rücken der Schildkröte rittest?

– Das war ein ganz anderes Ding, antwortete Costar. Das Thier hier geht wenigstens nicht unters Wasser.

– Nein, aber möglicherweise in die Luft! sagte Dole.

Das machte die Kinder freilich etwas nachdenklich.

Seit sie French-den endgiltig bewohnten, hatten Gordon und seine Kameraden eine regelmäßige tägliche Lebensordnung eingeführt. Nach vorläufig vollendeter Einrichtung schlug Gordon nämlich vor, die Beschäftigung eines Jeden nach gewissem Plane zu bestimmen und vorzüglich die Kleinen sich nicht selbst zu überlassen. Letztere verlangten übrigens selbst danach, nach Maßgabe ihrer Kräfte an der allgemeinen Thätigkeit teilzunehmen; doch warum sollte man mit ihnen nicht auch den in der Pension Chairman begonnenen Unterricht fortsetzen?

»Wir haben ja Bücher, die uns die weitere Betreibung unserer Studien ermöglichen, sagte Gordon, und es scheint mir nicht mehr als billig, das was wir gelernt haben oder etwa noch lernen werden, auch unseren jüngeren Kameraden zu lehren.

– Ganz recht, antwortete Briant, und wenn es uns je vorbehalten bliebe, diese Insel zu verlassen, wenn wir unsere Familien wiedersehen sollten, so wollen wir darauf achten, unsere Zeit nicht zu vergeuden.«

Es wurde also eine Art Programm entworfen, nach dessen allgemeiner Billigung auch streng auf seine Durchführung gesehen werden sollte.

Mit Eintritt des Winters mußten ja viele unfreundliche Tage kommen, während welcher weder Große noch Kleine den Fuß ins Freie setzen konnten, und es galt doch, diese nicht nutzlos vorübergehen zu lassen. Was die Insassen von French-den vorläufig am meisten belästigte, war die Beschränktheit des einzigen Raumes, indem sie sich zusammendrängen mußten. Das veranlaßte sie denn, ohne Säumen auf Mittel und Wege zu sinnen, der Höhle eine hinreichende Ausdehnung zu geben.