Fünftes Capitel.

Erste Abbauversuche.

Am frühen Morgen des folgenden Tages begaben sich die beiden Compagnons an die Arbeit. Ihr Claim lag nahe dem Rande der Kopje und mußte, wenn Cyprien Méré’s Theorie sich bestätigte, zu den reicheren gehören. Leider war dieser Claim schon stark abgebaut und reichte bis zur Tiefe von einigen fünfzig Metern in die Erde hinab.

In gewisser Hinsicht durfte das aber wieder als ein Vorzug gelten, weil in Folge seiner, alle Nachbar-Claims übertreffenden Tieflage, nach bestehendem Landesgesetz, alle Erdmassen und folglich die etwa darin befindlichen Diamanten, welche von der Umgebung her hineinfielen, den Inhabern desselben gehörten.

Die Arbeit selbst war höchst einfach. Die beiden Theilhaber lösten zuerst mit Spitzhaue und Hacke einen Theil Erdreich regelrecht los. Darauf begab sich der Eine nach der Mündung der Grube und zog an dem langen Drahtkabel die ihm von unten zugesendeten Ledereimer in die Höhe.

Das Erdreich wurde von hier aus mittelst Karrens nach der Hütte Thomas Steel’s geschafft. Nachdem es hier mit groben Holzscheiten zerkleinert und von werthlosen Kieselsteinen befreit war, gelangte dasselbe in ein Sieb mit Maschen von fünfzehn Millimeter Weite, um davon die kleineren Steine zu trennen, welche nun aufmerksam durchgesehen wurden, um die auf den ersten Blick werthlosen bei Seite zu werfen. Endlich gelangte die Erde in ein feinmaschiges Sieb, durch welches nur der Staub daraus entfernt wurde, und war nun in dem erwünschten Zustande, um einer ganz sorgfältigen Prüfung unterworfen zu werden.

Nachdem dieselbe auf einen Tisch ausgeschüttet worden war, an dem die beiden Steinsucher Platz nahmen, ließen sie jene mittelst eines Art Schabers aus Weißblech mit größter Aufmerksamkeit eine Handvoll nach der andern Revue passiren und warfen sie schließlich unter den Tisch, von wo aus sie später hinausgeschafft und an beliebiger Stelle aufgehäuft wurde.

Alle diese Maßnahmen liefen darauf hinaus, in derselben, wenn sie einen solchen enthielt, einen Diamanten zu finden, wär‘ er auch nicht größer als eine halbe Linse gewesen. Wie glücklich schätzten sich dann die Geschäftstheilhaber, wenn ein Tag nicht ohne Entdeckung eines solchen verlief! Sie wendeten sich ihrer Aufgabe mit wahrem Feuereifer zu und untersuchten das Erdreich ihres Claims mit peinlichster Genauigkeit; Alles in Allem gestalteten sich jedoch während der ersten Tage die Ergebnisse ihrer Mühen fast ganz negativ.

Vorzüglich schien Cyprien das Glück nicht günstig. Wenn sich ein kleiner Diamant fand, so war es fast stets Thomas Steel, der ihn entdeckte. Der erste, den er das Glück hatte herauszufinden, wog, selbst die anhaftende Gangart mitgerechnet, kaum ein Sechstel Karat.

Der Karat ist ein Gewicht von vier Gran und entspricht nahezu einem Fünftel Gramm. 5. Ein Diamant erster Güte, der vollständig rein, durchsichtig und farblos ist, und 1 Karat wiegt, werthet in geschnittenem Zustande etwa 200 Mark oder 100 fl. österr. W. Wenn die weniger wiegenden Steine einen verhältnißmäßig nur sehr geringen Preis bedingen, so steigt dieser dafür sehr schnell bei den größeren und schwereren. Im Allgemeinen rechnet man den Handelswerth eines Steines vom reinsten Wasser gleich dem Quadrate seines in Karaten ausgedrückten Gewichts, multiplicirt mit obigem Karatpreise. Schätzt man demnach den Werth eines Karats fehlerlosen Diamants auf zweihundert Reichsmark, so würde ein Stein von derselben Güte und zehn Karat Gewicht hundertmal so viel oder 20.000 Reichsmark (10.000 fl. Oesterr. Währ.) kosten.

Krystalle von zehn Karat, ja selbst solche von nur einem Karat, sind aber verhältnißmäßig selten und nur deshalb bedingen sie einen so hohen Kaufpreis. Hierbei ist noch zu bemerken, daß die Diamanten aus dem Griqualand meist einen gelblichen Schein haben; ein Umstand, der ihren Handelswerth nicht unbeträchtlich herabmindert.

Die Auffindung eines Steinchens von einem Sechstel Karat nach sieben- oder achttägiger Arbeit bildete gewiß eine sehr dürftige Entschädigung für die darauf verwendete Mühe und Arbeit. Bei einem solchen Lohne wäre es einträglicher gewesen, das Feld zu bearbeiten, Heerden zu hüten, oder auf den Landstraßen Steine zu klopfen. Dieser Gedanke kam auch Cyprien wiederholt in den Sinn. Indeß erhielt die Hoffnung, einmal einen schönen Diamanten zu finden, der mit einem Schlage die Arbeit mehrerer Wochen, selbst mehrerer Monate aufwiegen könnte, ihn ebenso aufrecht, wie andere, und selbst die wenigst vertrauensseligen Steingräber. Thomas Steel machte sich, wenigstens dem äußeren Anscheine nach, über so etwas gar keine Gedanken und arbeitete mit der einmal angenommenen Geschwindigkeit mehr maschinenmäßig weiter.

Die beiden Geschäftsgenossen frühstückten meist zusammen, wobei sie sich mit Sandwichbrötchen und Bier begnügten, was an einem Büffet unter freiem Himmel verkauft wurde, zu Mittag aßen sie dagegen an einer der gemeinsamen Tafeln, an welche sich die Insassen des ganzen Lagers vertheilten. Am Abend, wenn sie sich trennten, um jeder seines Weges zu gehen, begab sich Thomas Steel gewöhnlich nach einer Billardstube, während Cyprien für eine oder zwei Stunden die Farm aufsuchte.

Hier hatte der junge Ingenieur öfter das Mißvergnügen, seinen Rivalen, James Hilton, zu treffen, einen großen Burschen mit röthlichem Haar, sehr weißem Teint, dessen Gesicht mit den kleinen Fleckchen übersäet war, die man Epheliden (d. h. Sommersprossen) nennt. Daß dieser Wettbewerber offenbar große Fortschritte in der Gunst John Watkins‘ machte, indem er noch tapferer Gin trank und noch mehr Hamburger Knaster rauchte als jener, lag ihm deutlich genug auf der Hand.

Alice schien freilich die bäuerischen Artigkeiten und die sehr platten Reden des jungen Hilton nur mit großem Widerwillen entgegenzunehmen. Seine Gegenwart wurde Cyprien darum jedoch nicht minder unerträglich. Wenn’s ihm dann zuweilen zu arg wurde und er fürchten mußte, sich nicht genügend beherrschen zu können, sagte er der Gesellschaft schnell Gute Nacht, und lief aus der Farm davon.

»Der Franzose ist nicht bei guter Laune, meinte dann John Watkins, seinem Trinkgenossen mit den Augen zublinzelnd. Es scheint, als ob die Diamanten nicht von allein unter seine Hacke kämen.« James Hilton schlug darüber ein rohes, lärmendes Gelächter auf.

An solchen Abenden verbrachte dann Cyprien gewöhnlich die noch übrige Zeit bei einem alten, grundehrlichen Boer, Namens Jacobus Vandergaart, der ganz in der Nähe des Lagers wohnte.

Eben von seinem Namen rührte die Bezeichnung der Kopje her, deren Grund und Boden er zur ersten Zeit der Concessionen besessen hatte. Man durfte wohl seiner Behauptung glauben, daß er nur durch Verweigerung der Rechtspflege zu Gunsten John Watkins‘ um sein Eigenthum gekommen war. Jetzt so gut wie ruinirt, lebte er in einer alten Lehmhütte und betrieb sein Geschäft als Diamantenschneider wie früher in Amsterdam, seiner Vaterstadt, von Neuem.

Es kam nämlich ziemlich häufig vor, daß die Minengräber, begierig, das wirkliche Gewicht ihrer Steine nach dem Schnitte zu erfahren, ihm dieselben brachten, entweder, um sie nur zu spalten, oder sie auch noch feinerer Bearbeitung zu unterziehen. Solche Arbeiten verlangen aber eine sichere Hand und ein scharfes Auge, und der alte Jacobus Vandergaart, früher ein ausgezeichneter Diamantenschneider und Schleifer, hatte jetzt oft große Mühe, den an ihn gestellten Anforderungen zu entsprechen.

Cyprien, der ihm seinen ersten Diamanten zur Fassung in einen Ring übergeben hatte, empfand bald eine herzliche Zuneigung zu dem Alten. Er saß gern in der bescheidenen Werkstätte, um ein Stündchen zu verplaudern, oder allein um dem Insassen Gesellschaft zu leisten, während dieser an seinem Steinschneidertische thätig blieb. Mit seinem weißen Barte, der kahlen Stirn, auf der ein schwarzes Sammetkäpsel thronte, mit der langen Nase und der großen rundglasigen Brille darauf, bot Jacobus Vandergaart ganz den Anblick eines Alchemisten des fünfzehnten Jahrhunderts mitten unter seinen wunderlichen Werkzeugen und geheimnißvollen Flaschen.

In einer nahe dem Fenster angebrachten Mulde befanden sich die rohen Diamanten, welche Jacobus Vandergaart anvertraut worden waren, und die zuweilen einen sehr beträchtlichen Werth darstellten. Wollte er einen solchen spalten, dessen Krystallisation seiner Ansicht nach zu wünschen übrig ließ, so begann er damit, mit Hilfe eines Vergrößerungsglases die Spaltflächen aufzusuchen, welche alle Krystalle in Lamellen mit parallelen Seiten theilen; dann machte er mit der Schneide eines schon gespaltenen Diamanten in gewünschter Richtung einen Ritz, setzte eine feine Stahlklinge in diesen ein und führte einen kurzen Schlag darauf.

Damit war der Diamant an einer Fläche gespalten, und dieses Verfahren wurde nachher bezüglich der anderen wiederholt.

Wollte Jacobus Vandergaart dagegen den Stein schneiden oder, um es deutlicher auszudrücken, nach bestimmter Form schleifen, so zeichnete er zunächst dessen Gestalt auf die umgebende Gangart, und deutete darauf die beabsichtigten Facetten an. Dann brachte er jeden dieser Steine in Berührung mit einem zweiten Diamanten und setzte einen gegen den anderen einer langen Reibung aus. Die beiden Steine schliffen sich dabei gegenseitig ab und nach und nach trat die eigentliche Facette zu Tage.

Auf diese Weise gab Jacobus Vandergaart dem Edelstein eine der jetzt durch langen Gebrauch eingeführten Formen, welche alle unter die folgenden Abtheilungen fallen: Der »Brillant von doppeltem Gut«, der »Brillant von einfachem Gut« und die »Rosette«.

Der doppelte Brillant besteht aus vierundsechzig Facetten, einer Tafel und der Culasse.

Der Brillant von einfachem Gut bildet oben nur die Hälfte des vorigen. Die Rosette hat nur einen flachen Untertheil und einen kuppelartig von Facetten unterbrochenen Obertheil.

Ausnahmsweise hatte Jacobus Vandergaart wohl auch eine »Briolette«, d. h. einen Diamant zu schneiden, der ohne ein eigentliches Ober- und Untertheil mehr die Gestalt einer Birne hat. In Indien versieht man die Brioletten mit einem Loche in der Nähe des dünneren Endes, um eine Schnur hindurch zu ziehen.

»Pendeloques« dagegen, welche der alte Steinschneider weit häufiger unter die Hände bekam, bilden nur Halbbirnen mit Tafel and Culasse, die an der Vorderseite Facetten tragen.

Wenn der Diamant geschnitten ist, muß er, um vollkommen zu sein, noch polirt werden. Das geschieht mittelst einer Art Schleifscheibe aus hartem Stahl von etwa achtundzwanzig Centimeter Durchmesser, welche parallel mit der Tischplatte läuft und sich, getrieben von einem großen Schwungrad mit Handgriff, zwei- bis dreitausendmal in der Minute dreht. Gegen diese eingeölte und mit, von früheren Schliffen herrührendem Diamantstaub überpuderte Scheibe drückte Jacobus Vandergaart eine nach der anderen die Seiten seines Steines, bis dieselben eine hinreichende Politur angenommen hatten. Das Schwungrad wurde bald von einem kleinen Hottentotten in Bewegung gesetzt, den er tageweise miethete, bald von einem Freunde wie Cyprien, der sich nicht nehmen ließ, ihm diesen Dienst gelegentlich aus Gefälligkeit zu erweisen. Während der Arbeit wurde dann munter geplaudert. Oft schob Jambus Vandergaart die Brille auf die Stirn und hielt kurze Zeit inne, um irgend eine Geschichte aus vergangener Zeit zu erzählen.

Von Südafrika, das er seit vierzig Jahren bewohnte, wußte er sehr viel zu berichten. Daß seine Unterhaltung einen eigenen Reiz hatte, lag darin, daß sie die Überlieferungen des Landes wiederspiegelte, welche noch heute frisch im Andenken sind.

Vor Allem wurde der alte Steinschneider niemals müde, seinen patriotischen und persönlichen Kummer zu schildern. Die Engländer waren in seinen Augen die abscheulichsten Diebe, welche die Erde je gesehen. Die Verantwortlichkeit für seine wohl etwas übertriebenen Anschauungen muß auf ihm ruhen bleiben, doch kann man ihm dieselben wohl einigermaßen verzeihen.

»Das ist nicht zu verwundern, wiederholte er gern, daß die Vereinigten Staaten von Nordamerika sich für unabhängig erklärt haben, ebenso wie Indien und Australien bald dasselbe thun dürften. Welches Volk möchte eine solche Tyrannei ertragen? … O, Herr Méré, wenn der Welt alle die Ungerechtigkeiten bekannt wären, welche diese auf ihre Geldsäcke und ihre Macht zur See so stolzen Engländer verübt haben, dann hätte die menschliche Sprache nicht harte Ausdrücke genug, sie ihnen in’s Gesicht zu schleudern.

»Soll ich Ihnen erzählen, was sie mir, mir, der ich mit Ihnen spreche, angethan haben? fuhr Jacobus Vandergaart fort. Hören Sie mich an und dann werden Sie ja urtheilen können, ob man darüber zweierlei Meinung sein kann.«

Da Cyprien ihm versicherte, daß ihm das große Freude machen werde, fuhr das Männchen fort wie folgt: »Ich bin in Amsterdam im Jahre 1806 auf einer Reise, die meine Eltern dahin gemacht hatten, geboren. Später kam ich dahin zurück, um mein Geschäft zu erlernen; meine ganze Kindheit verlief dagegen am Cap, wohin meine Familie schon vor fünfzig Jahren ausgewandert war. Wir waren Holländer und stolz darauf es zu sein, als Großbritannien sich plötzlich der Colonie – provisorisch, wie es hieß – bemächtigte. John Bull läßt aber nicht wieder los, was er einmal gepackt, und 1815 wurden wir durch das auf einem Congreß versammelte Europa feierlich für Unterthanen des Vereinigten Königreichs erklärt.

»Ich frage Sie, was hatte Europa sich in die Angelegenheiten unserer afrikanischen Provinzen einzumischen?

»Ja, für englische Unterthanen, aber wir wollten das nicht sein, Herr Méré! In der Ueberzeugung, daß Afrika groß genug sei, uns ein Vaterland zu geben, das uns, uns allein gehörte, verließen wir die Capcolonie und wanderten nach den noch wilden Ländereien aus, welche jenes Land im Norden begrenzen. Man nannte uns »Boers,« d. h. Bauern oder auch »Voortrekkers,« das heißt etwa Pioniere oder Vorzügler.

»Kaum hatten wir das neue Land gepflügt, kaum uns durch schwere Arbeit eine unabhängige Existenz geschaffen, da kam die britische Regierung und nahm uns als die ihrigen in Anspruch – immer unter dem Vorwande, daß wir englische Unterthanen seien!

»Das gab Anlaß zu unserem großen Auszuge im Jahre 1833. Auf’s Neue verließen wir das Land in Masse. Nachdem wir auf die mit Ochsen bespannten Wagen unsere Hausgeräthe, Werkzeuge und die Getreidevorräthe verladen hatten, drangen wir noch weiter in die Wüstenei ein. »Zu jener Zeit war das Gebiet von Natal fast ganz entvölkert. Ein blutdürstiger Eroberer, Namens Tchaka, ein wirklicher Neger-Attila aus dem Zuluvolke, hatte hier von l812 bis 1828 fast eine Million Menschen hingeschlachtet. Auch sein Nachfolger Dingaan herrschte daselbst noch durch Schrecken. Dieser wilde König war es jedoch, der uns gestattete, in dem Lande Niederlassungen zu gründen, da wo sich heute die Städte Durban und Port-Natal erheben.

»Der schurkische Dingaan hatte dabei jedoch stets den Hintergedanken gehabt, uns zu überfallen, wenn unsere Gemeinde einigermaßen gediehen wäre. Deshalb bewaffnete sich Jeder, um Widerstand zu leisten, und es war nur unter unerhörten Anstrengungen und, ich darf wohl sagen, durch wahre Wunder von Tapferkeit möglich, daß wir in über hundert Gefechten, in denen unsere Frauen und Kinder an unserer Seite kämpften, im Besitz des Landes bleiben konnten, das wir mit unserem Schweiße, mit unserem Blute gedüngt hatten.

»Kaum war jedoch der schwarze Despot überwunden und seine Macht zertrümmert, als der Gouverneur des Caps britische Truppen sandte mit dem Auftrage, das Gebiet von Natal im Namen ihrer Majestät der Königin von England zu besetzen! … Sie sehen, wir waren noch immer englische Unterthanen! Das geschah im Jahre 1842.

»Andere ausgewanderte Landsleute hatten inzwischen den Transvaal erobert und aus dem Oranjeflusse die Macht des Tyrannen Moselekatze gebrochen. Auch sie mußten sich gefallen lassen, durch einfachen Tagesbefehl das neue Vaterland confiscirt zu sehen, das sie mit so viel Leid und Ungemach erworben hatten.

»Ich übergehe alle Einzelheiten. Der Kampf währte zwanzig Jahre lang. Wir zogen immer weiter, und immer streckte Großbritannien seine gierige Hand nach uns aus, wie über ebensoviele Leibeigene, die noch immer der Scholle angehörten, selbst wenn sie diese verlassen hatten.

»Endlich nach unendlicher Mühe und blutigen Kämpfen gelang es, die Anerkennung unserer Unabhängigkeit in dem Oranje-Freistaate durchzusetzen. Eine von der Königin Victoria unterzeichnete und vom 8. April 1854 datirte Proklamation sicherte uns den freien Besitz des Landes und das Recht beliebiger Selbstregierung zu. Wir bildeten uns endgiltig zur Republik um, und Niemand könnte behaupten, daß unser auf peinliche Beobachtung der Gesetze begründeter Staat, in welchem jedes individuelle Vermögen sich nach Gutdünken entwickeln kann und wo allen Classen ein möglichst gründlichen Unterricht zugänglich gemacht ist, nicht vielen anderen Nationen, die sich vielleicht für weit civilisirter halten, als unser kleiner Staat in Südafrika, als Muster dienen könnte.

»Das Griqualand war ein Theil desselben. Hier hatte ich mich niedergelassen und zwar in demselben Häuschen, in dem wir uns augenblicklich befinden, hier wohnte ich mit meinem Weibe und meinen beiden Kindern. Meinen Kraal oder das Gehege errichtete ich an der Stelle der Mine, wo Sie jetzt arbeiten. Zehn Jahre später kam John Watkins in das Land und erbaute hier seine erste Hütte. Damals wußte man noch nicht, daß diese Terrains Diamanten enthielten, und was mich angeht, hatte ich seit mehr als zwanzig Jahren so wenig Gelegenheit gehabt, mein altes Gewerbe zu betreiben, daß ich mich kaum des Vorhandenseins jener kostbaren Steine entsann.

»Plötzlich, gegen 1867, verbreitete sich das Gerücht, daß unser Gebiet Diamanten enthalte. Ein Boer von den Ufern des Haart hatte Diamanten selbst im Kothe von Straußen und sogar in den Lehmmauern seiner Farm aufgefunden. 6

»Treu ihrem Raubsystem und alle Verträge und Rechte mißachtend, erklärte die englische Regierung gleich darauf, daß das Griqualand ihr gehöre.

»Vergeblich erhob unsere Republik Einspruch. Vergeblich erbot sie sich, die Meinungsverschiedenheiten dem Schiedsspruche eines europäischen Fürsten zu unterbreiten … England wies eine solche Entscheidung zurück und besetzte einfach unser Gebiet.

»Nun hätte man wenigstens noch erwarten sollen, daß von unseren ungerechten Herren die Rechte der Privatpersonen geachtet werden würden! Ich, der ich Wittwer geworden war und bei der furchtbaren Epidemie des Jahres 1870 meine Kinder verloren hatte, fühlte nicht mehr den Muth, noch einmal ein neues Vaterland aufzusuchen und mir noch einmal einen Herd zu gründen, den sechsten oder siebenten während meiner langen Lebensbahn. Ich blieb also im Griqualand.

»Fast den Einzigen hier, ließ mich das Diamantenfieber, das alle Welt befiel, ganz unberührt, und nach wie vor baute ich meinen Gemüsegarten, als ob die Fundstätte des Du Toits Pan, einen Büchsenschuß von meinem Hause, gar nicht entdeckt worden wäre.

»Wie groß aber war eines Tages mein Erstaunen, als ich die nach Landessitte aus trockenen Steinen errichtete Mauer meines Kraals während einer Nacht zerstört und dreihundert Meter weiter nach der Ebene zu fortgeschafft sah. An Stelle der meinigen hatte John Watkins mit Hilfe von hundert Kaffern eine andere errichtet, welche sich direct an die seinige anschloß und seinem Grund und Boden das Stück sandige, röthliche Land hinzufügte, welches bis zur Stunde mein unbestrittenes Eigenthum gewesen war.

»Ich beklagte mich gegen diesen Räuber … er lachte nur darüber. Ich drohte ihm, eine gerichtliche Klage anhängig zu machen … Er meinte, ich solle es nur thun!

»Drei Tage später erhielt ich die Erklärung dieses Räthsels. Die mir gehörige Bodenausbuchtung war eine Diamantenmine. Nachdem John Watkins diese Ueberzeugung gewonnen, hatte er sich beeilt, meine Mauer zu rücken. Dann war er nach Kimberley gegangen, um officiell die Mine auf seinen Namen anzumelden.

»Ich erhob Klage … Möchten Sie nie erfahren, Herr Méré, was es in englischem Lande kostet, eine Klage zu führen! Nach und nach verlor ich darüber meine Ochsen, meine Pferde, meine Schafe! Ich verkaufte das ganze Hausgeräth, bis auf die Kleidermotten, um diese menschlichen Blutegel, welche man Solicitors, Attorneys, Sherifs und Gerichtsdiener nennt, zu mästen … Kurz, nach einem Jahre voller Winkelzüge, voller Erwartung, immer getäuschter Hoffnung, voll Angst und innerlicher Empörung wurde schließlich die Frage meines Eigenthumsrechts endgiltig geregelt, ohne daß ich dagegen Einspruch erheben oder die Entscheidung cassiren lassen konnte.

»Ich verlor meinen Proceß und zu Grunde gerichtet war ich obendrein! Ein Urtheil in aller Form erklärte meine Ansprüche als unbegründet, wies meine Klage ab und erklärte, daß es dem Gerichtshofe unmöglich sei, die antheiligen Rechte der Parteien zu erkennen, daß es sich dagegen empfehle, für die Zukunft eine bestimmte Grenze festzustellen. So bestimmte man den 25. Grad östlicher Länge von Greenwich als die Linie, welche beide Besitzungen trennen sollte. Das westlich von diesem Meridian gelegene Terrain sollte John Watkins verbleiben, das östlich desselben befindliche Jacobus Vandergaart angehören. Diese auf den ersten Blick eigentümliche Entscheidung war den Richtern durch den Umstand nahegelegt, daß jener 25. Grad über das Gebiet des Bezirks und quer durch den Grund und Boden verläuft, auf dem sich früher mein Kraal befunden hatte.

»Die Mine lag aber leider mehr nach Westen zu. Sie ging damit natürlich in das Eigenthum John Watkins‘ über.

»Trotzdem, und wie um die Ansicht des Landes durch einen unauslöschlichen Flecken zu verewigen, wird dieselbe im Gegensatz zu dem richterlichen Ausspruche noch heute die Vandergaart-Kopje genannt!

»Nun sagen Sie, Herr Méré, hab‘ ich nicht das volle Recht, zu sagen, daß die Engländer Spitzbuben sind?« fragte der alte Boer, als er seine nur zu wahrheitsgetreue Erzählung beendigte.

  1. Genau, d. h. für die dortige Gegend, 0.2052 Gramm, während er an anderen Orten von 0.197 (Amboina) bis 0.2159 Gramm (Livorno) differirt. Amsterdam selbst rechnet 1 Karat = 0.2057 Gramm.
  2. Dieser Boer hieß Jacobs. Ein gewisser Niekirk, ein holländischer Händler, der hier in Gesellschaft eines Straußjägers, Namens O’Reilly, hindurchkam, erkannte in den Händen der Kinder des Boers als Spielzeug einen Diamanten, den er für wenig Sous kaufte und für 12.500 Francs an Sir Philipp Wordehouse, den Gouverneur der Capcolonie, wieder veräußerte. Der betreffende Stein wurde sofort kunstgerecht bearbeitet und nach Paris geschickt, wo er in der Weltausstellung auf dem Marsfelde im Jahre 1867 eine Stelle fand. Seit dieser Zeit ist dem Boden im Griqualande alljährlich an Diamanten ein Werth von 32 Millionen Mark entnommen worden. Als merkwürdiger Umstand verdient angeführt zu werden, daß das Vorkommen von Diamantlagerstätten in diesem Lande früher einmal bekannt gewesen und später wieder vergessen worden ist. Alte Landkarten aus dem fünfzehnten Jahrhundert tragen an solchen Stellen die Bemerkung: »Here Diomonds« = »Hier giebt es Diamanten.«