Zehntes Kapitel.

Nach dem Schiffbruche.

Beim Sonnenaufgang des folgenden Tages wütete der Sturm noch mit ungeschwächter Kraft. Bis zum fernen Horizonte bildete das Meer einen brodelnden Kessel mit weißem Schaume. Am Ausläufer des Kaps wälzten sich die Wogen fünfzehn bis zwanzig Fuß in die Höhe, und ihre vom Winde abgerissenen Schaumsetzen flatterten gespensterhaft über den Rand der Steilküste hinweg. Die Flut war im Sinken und die am Ausgange der Bucht einander widerstrebenden Mächte des Wassers und des Windes begegneten sich hier mit unerhörter Gewalt. Kein Schiff hätte jetzt hier einsegeln, keines hätte auslaufen können. Dem Aussehen des noch wie früher drohenden Himmels nach schien es, als ob das Unwetter gleich mehrere Tage anhalten würde, was in der Umgebung des Magellanslandes übrigens keine Seltenheit ist.

Es lag also auf der Hand, daß die Goelette ihren Ankerplatz heute auf keinen Fall verlassen konnte, und daß dieser widrige Umstand den Ingrimm Kongres und seiner Bande erregen mußte, ist wohl leicht zu verstehen.

Das war die Lage der Dinge, die Vasquez beim ersten Frührot des nächsten Tages, wo der Sand noch immer umhergewirbelt wurde, auf den ersten Blick übersah.

Vor ihm lag aber folgendes Bild entrollt:

Zweihundert Schritt weit und auf der nördlichen Abdachung des Kaps, also noch außerhalb der Bucht, lag das verunglückte Fahrzeug, ein Dreimaster etwa von fünfhundert Tonnen. Von seinen Masten waren nur noch drei Stümpfe übrig, die kaum noch so hoch wie die Schanzkleidung über das Deck emporragten. Vielleicht hatte der Kapitän sich genötigt gesehen, die Masten zu kappen, um von diesen klar zu kommen, vielleicht waren sie bei der Strandung, als das Schiff auf die Felsblöcke aufschlug, kurz abgebrochen. Auf dem Meere schwammen übrigens keine Trümmer, jedenfalls hatte der heftige Wind diese tief in die Elgorbucht hineingetrieben.

War das der Fall, so mußte Kongre auch wissen, daß wieder ein Schiff an den Klippen des Kaps Sankt-Johann zugrunde gegangen war.

Vasquez hatte dann aber alle Ursache, möglichst vorsichtig zu sein und wagte sich nur hinaus, nachdem er sich überzeugt hatte, daß sich noch keiner von den Raubgesellen am Eingange der Bucht befand.

Nach wenigen Minuten hatte er den Schauplatz des Unfalls erreicht. Da jetzt Niedrigwasser war, konnte er um das gestrandete Schiff herumgehen, und da las er an dessen Stern die Bezeichnung: ‚Century, Mobile‘.

Es war also ein amerikanisches Segelschiff, beheimatet in der Hauptstadt des Staates Alabama, im Süden der Union und am Golf von Mexiko.

Die ‚Century‘ war mit Mann und Maus verunglückt. Nirgends war ein Überlebender zu sehen, und der Schiffsrumpf bildete nur noch eine fast formlose Masse. Beim Aufstoßen war der Rumpf in zwei Stücke zersprengt worden. Die heranrollenden Wogen hatten die Ladung herausgespült und fortgeschwemmt. Auf den jetzt trotz des Sturmes frei aufragenden Klippen lagen da und dort Reste der Verplankung, Rippen, Rahen und Spieren verstreut. Kisten, Ballen und Fässer aller Art sah man längs des Kaps und auf dem Strande umherliegen.

Der Rumpf der ‚Century‘ wurde jetzt nicht vom Wasser umspült, so daß Vasquez hineintreten konnte.

Hier war die Zerstörung eine vollständige. Die Wellen hatten alles zertrümmert, hatten die Deckplanken aufgerissen, die Kabinen des Deckhauses zerschlagen, die Schanzkleidung abgesprengt und das Steuer zerbrochen… dann mochte der Stoß bei der Strandung das Zerstörungswerk vollendet haben.

Und kein lebendes Wesen zu sehen, keiner der Offiziere, kein Mann von der Besatzung.

Vasquez stieß einen lauten Ruf aus, erhielt aber keine Antwort. Er drang bis tief in den Frachtraum ein, fand aber auch hier nicht einmal eine Leiche. Entweder waren die Unglücklichen also vielleicht schon vorher von Sturzseen ins Meer gerissen worden, oder in dem Augenblicke ertrunken, wo die ‚Century‘ auf den Felsblöcken in Trümmer ging.

Vasquez begab sich wieder nach dem Strande und überzeugte sich von neuem, daß weder Kongre noch einer seiner Gefährten auf dem Wege nach der Stelle des Schiffbruchs war. Dann ging er trotz des tobenden Sturmes bis zum Ende des Kaps Sankt-Johann hinaus.

»Vielleicht, sagte er sich, finde ich doch einen von den Leuten der ‚Century‘, der noch schwache Lebenszeichen verrät und den ich noch retten könnte.«

Seine Nachsuchung blieb vergeblich. Ans Ufer zurückgekehrt, besichtigte Vasquez nun die verschiedenen Triften, die die Wellen dahin getragen hatten.

»Es wäre ja denkbar, meinte er, daß ich darunter eine Kiste mit Konserven fände, die meine Ernährung zwei bis drei Wochen sicherte!«

Bald entdeckte er denn auch ein größeres Faß und eine Kiste, die das Wasser bis über den Klippengürtel hereingetragen hatte. Eine Aufschrift deutete auf ihren Inhalt. Die Kiste war mit Schiffszwieback und das Faß mit schmackhaftem Corned-beef gefüllt… das war Fleisch und Brot… wenigstens für zwei Monate.

Vasquez trug zuerst die Kiste in seine Grotte, die höchstens zweihundert Meter weit entfernt lag, und rollte dann das Faß ebendahin.

Sofort nach dem Ausläufer des Kaps zurückgekehrt, ließ er den Blick über die Bucht hin schweifen. Er war überzeugt, daß Kongre von dem Schiffbruche Kenntnis haben mußte. Am Tage vorher hatte er, ehe es ganz dunkel wurde, das auf das Land zu treibende Schiff von der Höhe des Leuchtturmes aus jedenfalls bemerken können. Da die ›Maule‹ den Landeinschnitt jetzt unmöglich verlassen konnte, eilte gewiß die ganze Bande bald nach dem Eingange der Elgorbucht, um sich die erwünschte Beute zu sichern. Wenn hier nun brauchbares, vielleicht auch besonders wertvolles Strandgut angetrieben war, wie hätten die Räuber sich diese Gelegenheit entgehen lassen können?

Als Vasquez um die Ecke der Steilküste herumkam, war er erstaunt über die Heftigkeit des Windes, der sich in der Bucht sozusagen fing.

Für die Goelette wäre es unmöglich gewesen, dagegen aufzukommen, wenn sie aber dennoch die Höhe des Kaps Sankt-Johann erreicht hätte, das offene Meer hätte sie doch niemals gewinnen können.

Da, als der Wind einen Augenblick schwieg, wurde eine schwache Stimme hörbar, der Hilferuf eines Unglücklichen, der vielleicht sein Ende nahen fühlte.

Vasquez ging der Stimme nach, die von der Seite der von ihm zuerst erwählten Höhle neben der von den Räubern als Lagerschuppen benutzten zu kommen schien.

Er hatte kaum fünfzig Schritte gemacht, als er einen am Fuße eines Felsblockes liegenden Mann erblickte, der wie hilfesuchend die Hand bewegte.

Binnen einer Sekunde stand Vasquez neben ihm.

Der Mann, der hier lag, mochte dreißig bis fünfunddreißig Jahre alt und schien von recht kräftiger Konstitution zu sein. In Seemannstracht, die Augen geschlossen, lag er da auf der rechten Seite mit keuchendem Atem und von krampfhaften Zuckungen geschüttelt. Er schien übrigens nicht verletzt zu sein, denn seine Kleidung zeigte keine Spur von Blut.

Der Mann, wahrscheinlich der einzige Überlebende von der ‚Century‘, hatte Vasquez, als dieser zu ihm kam, nicht bemerkt. Als der Turmwärter ihm aber die Hand auf die Brust legte, machte er einen vergeblichen Versuch, sich aufzurichten, denn er sank vor Schwäche auf den Sand zurück. Wenige Sekunden hielt er jedoch die Augen offen und stöhnend kamen die Worte »Zu Hilfe! Zu Hilfe!« von seinen erblaßten Lippen. Vasquez kniete neben ihm, hob den Armen mit Vorsicht halb auf und lehnte ihn an den Felsen.

»Mut, Mut, guter Freund, redete er ihm zu, ich bin ja da, ich werde euch retten!«

Der Unglückliche vermochte nur die Hand ein wenig auszustrecken, dann verlor er wieder das Bewußtsein. Seine außerordentliche Schwäche erforderte sofort die sorgsamste Pflege.

»Gott gebe, daß es dazu noch nicht zu spät ist!« sagte Vasquez für sich.

Jetzt galt es zunächst, von dem Platze wegzukommen. Jeden Augenblick konnte die Räuberrotte mit dem Boote oder der Schaluppe landen oder auch zu Fuß längs des Ufers kommend hier auftauchen.

Vasquez sah ein, daß er den Mann nach seiner Grotte tragen mußte, und er tat das ohne Zögern.

Nach einem gegen hundert Toisen langen Wege verschwand er zwischen den beiden Steinpfeilern, den regungslosen Mann auf dem Rücken, und legte ihn dann auf eine Decke, den Kopf durch ein Bündel Kleidungsstücke gestützt, sorgsam nieder.

Der Schiffbrüchige war noch nicht wieder zu sich gekommen, doch atmete er wenigstens noch schwach. Wenn er auch keine äußern Verletzungen zeigte, so konnte er doch beim Rollen über die Klippen die Arme oder die Beine gebrochen haben. Das fürchtete Vasquez am meisten, da er außer stande gewesen wäre, dagegen genügende Hilfe zu leisten. Er betastete ihn also vorsichtig und machte mit seinen Gliedern einige schwache Bewegungen, und siehe da: der ganze Körper schien unverletzt zu sein.

Vasquez goß ein wenig Wasser in eine Tasse und setzte ihm einige Tropfen Branntwein zu, die sich noch in seiner Feldflasche vorfanden. Das Getränk brachte er dem Schiffbrüchigen zwischen die Lippen. Dann rieb er ihm die Arme und die Brust ab, nachdem er seine durchnäßten Kleider mit andern, in der Höhle der Räuber gefundenen, vertauscht hatte.

Mehr konnte er für ihn vorläufig nicht tun.

Endlich bemerkte er zu seiner größten Freude, daß der Leidende allmählich zum Bewußtsein kam. Diesem gelang es schließlich, sich aufzurichten, und mit einem Blick auf Vasquez, der ihn noch in den Armen hielt, sagte er mit schwacher Stimme:

»Zu trinken!… Etwas zu trinken!«

Vasquez reichte ihm die Tasse mit Wasser und dem Branntweinzusätze.

»Nun, geht es etwas besser? fragte Vasquez.

– Ja… ach ja!« antwortete der Schiffbrüchige.

»Hier?… Ihr?… Wo bin ich?« fuhr er fort, als hätte er seine noch unklaren Erinnerungen an die letzten Ereignisse gesammelt, und schwach drückte er dazu die Hand seines Retters.

Er sprach englisch, eine Sprache, deren Vasquez auch mächtig war, und so erwiderte der Turmwärter:

»Ihr seid in Sicherheit. Ich habe euch nach dem Unfalle der ‚Century‘ auf dem Strande gefunden.

– Der ‚Century‘?… Ach ja, ich erinnere mich…

– Wie heißt ihr denn, guter Freund?

– Davis… John Davis.

– Wart ihr der Kapitän des Dreimasters?

– Nein, der Obersteuermann. Doch die andern… wie steht’s mit den andern?

– Die sind alle umgekommen, antwortete Vasquez, alle! Ihr seid der einzige, der aus dem Schiffbruche mit dem Leben davongekommen ist.

– Sonst also alle?…

– Alle!«

John Davis erschien bei dieser Mitteilung wie vom Blitze getroffen. Er… der einzige Überlebende!… Und wem verdankte er, einem elenden Tode entrissen zu sein? Es wurde ihm klarer: der Unbekannte, der sich da mit liebevoller Sorge über ihn beugte, der hatte ihm das Leben gerettet.

»Dank… Dank euch! flüsterte er, während eine schwere Träne aus seinen Augen perlte.

– Habt ihr Hunger?… Wollt ihr ein wenig essen?… Etwas Zwieback oder Fleisch? fragte ihn Vasquez.

– Nein, nein… trinken, noch etwas zu trinken!«

Das frische Wasser mit zugemischtem Brandy tat John Davis sehr wohl; er war bald imstande, auf alle Fragen zu antworten.

Hier nur kurz wiedergegeben, berichtete er folgendes:

Der zum Hafen von Mobile gehörige Dreimaster ‚Century‘, ein Segelschiff von fünfhundertfünfzig Tonnen, hatte vor zwanzig Tagen die amerikanische Küste verlassen. Seine Besatzung bestand aus dem Kapitän Harry Steward, dem Obersteuermann John Davis und zwölf Leuten, darunter ein Schiffsjunge und ein Koch. Er war, mit Nickel und allerlei Gut beladen, nach Melbourne in Australien bestimmt. Bis zum fünfundfünfzigsten Grade südlicher Breite verlief die Fahrt über den Atlantischen Ozean ganz nach Wunsch. Da erhob sich plötzlich der gewaltige Sturm, der schon gestern das Meer tief aufwühlte. Gleich zu Anfang verlor die von der ersten Bö überraschte ‚Century‘ ihren Besanmast und das ganze hintere Segelwerk. Bald nachher wälzte sich eine ungeheure Sturzwelle über Backbord herein, fegte über das Deck hinweg, zertrümmerte einen Teil der Kajüte darauf und riß zwei Matrosen mit fort, die man unmöglich retten konnte.

Der Kapitän Steward hatte beabsichtigt, hinter der Stateninsel in der Le Mairestraße Schutz zu suchen. Er glaubte die Lage des Schiffes bezüglich der geographischen Breite genau zu kennen, da erst im Laufe desselben Tages ein Besteck gemacht worden war. Dieser Kurs erschien ihm mit Recht als der bessere, um das Kap Horn zu umschiffen und dann nordwestwärts nach der australischen Küste zu steuern.

In der Nacht verdoppelte sich die Gewalt des Sturmes. Alle Segel waren eingebunden, bis auf das dreimal gereffte Fock- und das obere Marssegel, und der Dreimaster trieb vor dem Winde noch immer pfeilschnell dahin.

Jener Zeit dachte der Kapitän, er sei wenigstens noch zwanzig Seemeilen vom Lande entfernt, er hielt es also nicht für gefährlich, so lange in derselben Richtung steuern zu lassen, bis er das Licht des Leuchtturms sehen könnte. Ließ er diesen dann weit im Süden liegen, so lief er keine Gefahr, auf den Klippenkranz des Kaps Sankt-Johann zu laufen, und er mußte ohne Schwierigkeiten in die enge Meeresstraße gelangen können.

Die ‚Century‘ glitt also mit dem Wind im Rücken weiter, da Harry Steward überzeugt war, den Leuchtturm vor Verlauf einer Stunde nicht erblicken zu können, weil dessen Leuchtweite nur zehn Seemeilen betrug.

Dieses Licht kam ihm aber nicht vor Augen. Als er noch in großer Entfernung von der Insel zu sein glaubte, erfolgte plötzlich ein fürchterlicher Stoß. Drei in der Takelage beschäftigte Matrosen verschwanden mit dem Groß- und dem Fockmaste. Gleichzeitig donnerten die Wogen gegen den Schiffsrumpf, der völlig zerbarst, und der Kapitän, der Obersteuermann und die Überlebenden von der Mannschaft wurden in die schäumende Brandung geschleudert, aus der es so gut wie keine Rettung gab.

So war die ‚Century‘ also mit Mann und Maus zugrunde gegangen… nur der Obersteuermann John Davis kam, dank der Hilfe durch Vasquez, mit dem Leben davon.

Auf welcher Küste die ‚Century‘ aber ihren Untergang gefunden hatte, das war für John Davis ein ungelöstes Rätsel.

Er fragte deshalb Vasquez noch einmal:

»Wo sind wir überhaupt?

– Auf der Stateninsel.

– Der Stateninsel! rief John Davis, verblüfft über diese Antwort.

– Ja, auf der Stateninsel, wiederholte Vasquez, nahe beim Eingange zur Elgorbucht.

– Doch der Leuchtturm?

– Der war nicht angezündet.«

John Davis, in dessen Zügen sich die peinlichste Überraschung malte, erwartete von Vasquez eine Erklärung dieses Umstandes… Doch da sprang dieser plötzlich auf und horchte gespannt hinaus. Er hatte ein verdächtiges Geräusch zu vernehmen geglaubt und wollte sich überzeugen, ob die Räuberrotte hier in der Nachbarschaft umherschweifte.

Er schlüpfte also nochmals durch die Felsenpfeiler hinaus und ließ die Blicke über das Ufergelände bis zum Kap Sankt-Johann schweifen.

Alles war leer und verlassen. Der Orkan hatte noch nichts von seiner Stärke verloren. Die Wogen brausten noch wie vorher mit donnerndem Getöse heran, und die drohenden Wolken jagten eilig über den von Dunstmassen bedeckten Himmel hin.

Das Geräusch, das Vasquez gehört hatte, war die Folge einer geringen Verschiebung der ‚Century‘ auf ihrem steinigen Bette. Unter dem Drucke des Windes hatte sich das Hinterteil des Rumpfes ein wenig gedreht und dieses dann, als er ins Innere hineindringen konnte, ein wenig nach dem Strande zu vorwärts gedrängt. Hier rollte es gleich einer ihres Bodens beraubten Tonne hin und her, und wurde endlich an einer Kante der Steilküste völlig zerschellt. An der von tausend Trümmern bedeckten Strandungsstelle lag jetzt nur noch die zweite Hälfte des Dreimasters.

Vasquez kehrte also zurück und streckte sich neben John Davis auf dem Sandboden aus. Der Obersteuermann der ‚Century‘ gewann allmählich seine Kräfte wieder. Er hätte sich schon erheben und, auf den Arm seines Begleiters gestützt, nach dem Strande hinuntergehen können. Dieser hielt ihn jedoch zurück, und nun fragte John Davis nochmals, warum in der vergangnen Nacht das Leuchtfeuer nicht angezündet gewesen wäre.

Vasquez schilderte ihm darauf alle die abscheulichen Vorkommnisse, deren Schauplatz die Elgorbucht seit sieben Wochen gewesen war. Nach der Abfahrt des Avisos ›Santa-Fé‹ war mit dem Leuchtturm, dessen Bedienung ihm, Vasquez, und seinen zwei Kameraden, Felipe und Moriz, anvertraut worden war, etwa zwei Wochen lang alles in Ordnung gewesen. In diesem Zeitraume kamen verschiedene Schiffe in Sicht der Insel, gaben ihre Signale und erhielten auch die vorschriftsmäßige Antwort.

Am 26. Dezember war aber am Abend gegen acht Uhr eine Goelette an der Einfahrt der Bucht erschienen. Vom Wärterzimmer aus, wo Vasquez eben die Wache hatte, hatte er deren Positionslichter deutlich sehen können und das ganze Manöver des Schiffes beobachtet. Seiner Ansicht nach mußte der Kapitän, der das Fahrzeug führte, den Weg, den er zu verfolgen hatte, schon genau kennen, denn er steuerte ohne Zögern über die Fläche der Bucht hin.

Die Goelette erreichte schließlich einen kleinen Landeinschnitt dicht unter der Einfriedigung des Leuchtturmes und ging da vor Anker.

Daraufhin begaben sich Felipe und Moriz, die aus dem Wohnhause gekommen waren, an Bord, um dem Kapitän ihre Dienste anzubieten, hier wurden sie aber, ohne sich überhaupt wehren zu können, meuchlerisch ermordet.

»Die armen, unglücklichen Leute! rief John Davis.

– Ja, meine unglücklichen Gefährten! wiederholte Vasquez, in dem der Gram bei dieser schmerzlichen Erinnerung aufs neue erwachte.

– Und ihr, Vasquez? fragte John Davis weiter.

– Ich, ich hatte oben auf der Turmgalerie die Rufe meiner Kameraden gehört und durchschaute sofort, was geschehen war. Die Goelette war ein Seeräuberschiff. Wir waren hier drei Wärter; zwei davon hatten sie umgebracht und um den dritten machten sie sich offenbar keine besondere Sorge.

– Wie habt ihr den Mordgesellen aber entkommen können? fragte noch John Davis.

– Ich eilte schleunigst die Treppe des Leuchtturmes hinunter, flüchtete zunächst in unsre Wohnung, wo ich einige Kleidungsstücke und Nahrungsmittel zusammenraffte, und entfloh dann, was die Beine hergeben wollten, ehe die Mannschaft der Goelette ans Land gesetzt war.

– Die Elenden!… Die ruchlosen Schurken! rief John Davis wiederholt. Sie sind also die Herren des Leuchtturmes, den sie nicht mehr in Betrieb halten. Sie sind es, die an dem Schiffbruch der ‚Century‘, an dem Tode meines Kapitäns und aller unsrer Leute die Schuld tragen!

– Ja, sie sind die Herren des Turmes, sagte Vasquez, und da es mir gelang, ein Gespräch des Anführers mit einem seiner Gefährten zu belauschen, habe ich kennen gelernt, was die Verbrecher im Schilde führten.«

John Davis erfuhr nun, wie die schon mehrere Jahre auf der Stateninsel hausenden Räuber Schiffe ins Verderben lockten und die Überlebenden von solchen Schiffbrüchen herzlos hinmordeten. Alles Strandgut nur von einigem Werte war dann in einer Höhle aufgespeichert worden in der Erwartung, daß Kongre sich noch einmal eines brauchbaren Schiffes bemächtigen könnte. Dann, als die Bauarbeiten für den Leuchtturm begannen, mußte die Bande die Elgorbucht verlassen und sich nach dem Kap Saint-Barthelemy am andern Ende der Stateninsel zurückziehen, wo niemand etwas von ihrer Anwesenheit ahnte.

Nach Vollendung der Arbeiten kehrten die Burschen zurück; es mußte mehr als ein Monat verstrichen sein, dann aber kam Kongre in Besitz einer vor dem Kap Saint-Barthelemy gestrandeten Goelette, deren Besatzung umgekommen war.

»Wie kommt es aber, daß das Schiff mit der Beute der Raubgesellen noch nicht abgesegelt ist? erkundigte sich John Davis.

– Das liegt daran, daß es durch unumgängliche Reparaturen bis heute hier zurückgehalten worden ist. Ich habe mich aber persönlich überzeugen können, Davis, daß die Ausbesserungen nun beendigt sind und alle Fracht verladen ist. Gerade für heute war die Abfahrt in Aussicht genommen.

– Und wohin?

– Nach irgendwelchen Inseln des Großen Ozeans, wo die Räuber sich in Sicherheit glauben und von wo aus sie ihre Plünderungszüge fortzusetzen gedenken.

– Die Goelette wird jedoch, so lange dieser Sturm anhält, nicht auslaufen können.

– Natürlich nicht, bestätigte Vasquez, und wie das Wetter aussieht, dürfte sich diese Verzögerung auf eine ganze Woche ausdehnen.

– Und so lange sie hier sind, Vasquez, wird der Turm sein Licht nicht wieder ausstrahlen?

– Nein, Davis.

– Und andre Schiffe werden Gefahr laufen, ebenso zu verunglücken, wie die ‚Century‘ verunglückt ist?

– Leider nur zu wahr!

– Man könnte den Seefahrern also kein Zeichen geben, daß sie auf die Küste zu steuern, wenn sie sich in der Dunkelheit der Insel nähern?

– Doch… vielleicht dadurch, daß ein Feuer auf dem Strande vor dem Kap Sankt-Johann angezündet würde. Das habe ich auch schon versucht, um die ‚Century‘ zu warnen. Ich wollte mit aufgelesenen Trümmerstücken und trocknem Tang einen Brand anfachen. Der Wind blies aber leider so heftig, daß es mir nicht gelang.

– Nun, was ihr nicht habt allein ausführen können, das werden wir beide tun, knurrte John Davis. An Holz wird’s ja nicht fehlen. Die Trümmer meines armen Schiffes… und leider auch die von so vielen andern, werden solches in Überfluß liefern. Denn wenn sich die Abfahrt der Goelette noch einigermaßen verzögert und der Leuchtturm der Stateninsel von den vom hohen Meere kommenden Fahrzeugen nicht gesichtet werden kann, wer weiß, ob sich dann hier nicht gar noch weitere Schiffbrüche ereignen?

– Nun, jedenfalls, versicherte Vasquez, werden Kongre und seine Bande ihren Aufenthalt auf der Insel nicht mehr besonders verlängern können, und die Goelette wird, dessen bin ich sicher, auslaufen, sobald die Witterung ihr das irgend gestattet.

– Ja, warum denn? fragte John Davis.

– Weil sie ganz gut wissen, daß eine Ablösungsmannschaft für die Bedienung des Leuchtturmes in nächster Zeit eintreffen wird.

– Eine Ablösung?

– Ja, in den ersten Tagen des März, und wir haben heute den achtzehnten Februar.

– Zu dem Termine soll ein Schiff hierher kommen?

– Gewiß, der Aviso ›Santa-Fé‹ wird von Buenos-Ayres aus eintreffen… am zehnten März, vielleicht noch etwas früher.«

John Davis hatte bei diesen Worten denselben Gedanken, der auch dem Wärter Vasquez aufgestiegen war.

»Ah, rief er fast freudig, das ändert ja die ganze Sachlage! Möge das schlimme Wetter ja bis dahin aushalten, und gebe der Himmel, daß die Schurken noch auf der Insel sind, wenn die ›Santa-Fé‹ ihren Anker auf den Grund der Elgorbucht sinken läßt!«