Sechstes Kapitel.

An der Elgorbucht.

Das Flottmachen des Fahrzeugs war also vollkommen gelungen, damit war aber noch nicht alles getan. Die Goelette lag in diesem Einschnitt am Ufer des Kaps Barthelemy nicht für alle Fälle geschützt. Sie war hier dem Seegange von draußen und den Stürmen aus Nordwesten zu sehr ausgesetzt. Zur Zeit der Hochfluten der Tagundnachtgleichen hätte sie an dieser Stelle keine vierundzwanzig Stunden liegen dürfen.

Kongre wußte das recht wohl. Er beabsichtigte auch, die Einbuchtung schon am nächsten Tage zu verlassen, und zwar mit dem Ebbestrome, mit dessen Hilfe er ein Stück weit in die Le Mairestraße hinein zu gelangen hoffte.

Vorher mußte natürlich das Schiff genauer untersucht werden, um sich über den Zustand seines Rumpfes im Innern Gewißheit zu verschaffen. Obgleich es bekannt war, daß es kein Wasser einnahm, konnten bei der Brandung – wenn auch nicht seine Beplankung – doch seine Inhölzer gelitten haben. Dann mußten aber, vor dem Antreten einer längern Fahrt, die nötigen Reparaturen ausgeführt werden.

Kongre rief sofort seine Leute zusammen, den bis zu den Bauchstücken an Back- und an Steuerbord hinausreichenden Ballast wegzuräumen. Ihn auszuladen war nicht notwendig, und damit wurden Zeit und Mühe gespart… vor allem Zeit, mit der man bei der unsichern Lage, in der die ›Maule‹ sich befand, zu geizen alle Ursache hatte.

Das alte Eisen, woraus der Ballast bestand, wurde zuerst vom Vorder- nach dem Hinterteile des Frachtraumes geschafft, um den vordern Teil der Wegerung untersuchen zu können.

Diese Untersuchung führten Kongre und Carcante mit aller Sorgfalt aus, und wurden dabei von einem Chilenen Namens Vargas unterstützt, der früher als Schiffszimmermann auf den Werften von Valparaiso gearbeitet hatte und sein Geschäft gründlich verstand.

In dem Teile zwischen dem Vordersteven und der Mastspur des Fockmastes wurde keinerlei Beschädigung entdeckt. Bauchstücken, Inhölzer und Fugen waren in bestem Zustande. Da alles mit Kupfer verbolzt war, hatte die Strandung auf der Sandbank ihnen nichts anhaben können.

Als der Ballast wieder nach vorn geschafft war, erwies sich der Rumpf zwischen Fockmast und Großmast ebenso in tadellosem Zustande. Die Deckstützen waren weder verbogen noch verschoben, und auch die Leiter, über die man nach der großen Luke gelangte, stand an ihrem richtigen Platze.

Schließlich wurde noch das letzte Dritteil des Raumes bis zum Hintersteven ebenso eingehend besichtigt.

Hier fand sich eine nicht ganz unwesentliche Havarie. War auch kein Leck vorhanden, so wiesen doch die Inhölzer hier eine etwa anderthalb Meter lange Einbiegung auf. Diese mochte von dem Anprall gegen einen Felsblock herrühren, bevor die Goelette auf die Sandbank getrieben worden war. Obwohl die Fugen dabei nicht besonders auseinander gewichen waren und das geteerte Werg nicht herausgepreßt worden war, mußte diese Havarie doch schon als eine ernstere angesehen werden und ein Seemann sich dadurch etwas beunruhigt fühlen.

Vor dem Auslaufen aufs Meer ließ sich hier eine Ausbesserung des Schadens nicht umgehen, außer wenn es sich bei günstiger Witterung nur um eine ganz kurze Fahrt gehandelt hätte. Wahrscheinlich nahm diese Reparatur übrigens eine ganze Woche in Anspruch, und das nur unter der Voraussetzung, daß genügendes Ersatzmaterial und das zu der Arbeit notwendige Werkzeug zur Hand war.

Als Kongre und seine Genossen wußten, woran sie waren, folgten nicht ganz ungerechtfertigte Verwünschungen den Hurras, die das Flottwerden der ›Maule‹ begrüßt hatten. Sollte das Fahrzeug sich als unbenutzbar erweisen und die Strandräuberrotte vielleicht auch jetzt noch verhindert sein, die Stateninsel zu verlassen?

Kongre suchte die erregten Gemüter zu beruhigen.

»Die Havarie ist in der Tat eine ernste, sagte er. In ihrem jetzigen Zustande könnten wir uns nicht auf die ›Maule‹ verlassen, die bei schwererer See Gefahr liefe, leck zu werden. Bis zu den pazifischen Inseln haben wir aber mehrere hundert Seemeilen zurückzulegen… Das hieße, es wagen, bei der Fahrt einfach unterzugehen. Die Havarie läßt sich jedoch ausbessern, und das werden wir tun.

– Wo denn? fragte einer der Chilenen mit deutlichen Zeichen von Beunruhigung.

– Jedenfalls nicht hier, meinte einer seiner Gefährten.

– Nein, entschied Kongre entschlossenen Tones, nicht hier, aber in der Elgorbucht!«

Die Goelette konnte die Strecke, die sie jetzt von der Elgorbucht trennte, voraussichtlich in achtundvierzig Stunden zurücklegen. Sie brauchte nur, gleichgültig ob im Süden oder Norden, längs der Küste der Insel hinzusegeln. In der Höhle, wo die gesamte Ausbeute der Strandräubereien zurückgelassen worden war, würde der Zimmermann auch das zur Reparatur nötige Holz und die passenden Werkzeuge vorfinden. Müßte man dort vierzehn Tage, selbst drei Wochen verweilen, so würde die ›Maule‹ einfach so lange liegen bleiben. Die bessere Jahreszeit hielt ja noch zwei Monate an, und wenn Kongre und seine Spießgesellen die Insel verließen, so geschah das dann an Bord eines Fahrzeugs, das ihnen jede gewünschte Sicherheit bot.

Kongre hatte übrigens von jeher die Absicht gehabt, vom Kap Barthelemy wegzugehen und noch einige Zeit in der Elgorbucht zu bleiben. Um keinen Preis wollte er die in der Höhle verborgenen Gegenstände verlieren, als der Beginn des Leuchtturmbaues die Bande nötigte, sich nach dem entgegengesetzten Ende der Insel zurückzuziehen. Seine Pläne erfuhren eine Änderung also nur bezüglich der Dauer dieses Aufenthaltes, der sich nun wahrscheinlich über die dafür in Aussicht genommene Zeit ausdehnte.

Die Zuversicht der Leute kehrte also zurück, und es wurden alle Vorbereitungen getroffen, am nächsten Tage mit dem Gezeitenwechsel abzufahren.

Die Anwesenheit der Leuchtturmwärter war nicht dazu angetan, die Rotte von Räubern zu beunruhigen. In kurzen Worten erklärte Kongre seine diesbezüglichen Absichten.

»Schon vor dem Eintreffen dieser Goelette, sagte er zu Carcante, war es, sobald die Wärter allein wären, mein Plan, mich zum Herrn der Elgorbucht zu machen. Daran hat sich auch jetzt nichts geändert, außer daß wir, statt möglichst unbemerkt vom Innern der Insel heranzuschleichen, ganz offen vom Meere aus dahin gehen. Die Goelette legen wir in der Bucht vor Anker, und man wird uns ohne jeden Verdacht aufnehmen, und dann…«

Eine Handbewegung, die Carcante nicht mißverstehen konnte, vollendete den Gedankengang Kongres. Wirklich schienen alle Umstände die Pläne des Elenden zu begünstigen. Wie konnten Vasquez, Moriz und Felipe, wenn nicht ein Wunder geschah, dem ihnen drohenden Schicksal entgehen?

Der Nachmittag wurde den Vorbereitungen zur Abfahrt gewidmet. Kongre ließ den Ballast wieder zweckmäßig verteilen und leitete selbst die Einschiffung des Proviants, der Waffen und der andern, früher nach dem Kap Barthelemy geschafften Gegenstände.

Das Einladen ging schnell von statten. Seit der Flucht von der Elgorbucht – also seit mehr als einem Jahre – hatten sich Kongre und seine Genossen in der Hauptsache von den vorhandenen Vorräten ernährt, und von diesen war jetzt nur eine geringe Menge übrig, die in der Kambüse niedergelegt wurde. Lagerstätten, Kleidungsstücke, Geräte aller Art und die Gold- und Silberschätze schaffte man nach der Küche, dem Mannschaftslogis, nach dem Deckhause oder in den Frachtraum der ›Maule‹, und hierzu sollte noch kommen, was in der Höhle am Eingang der Bucht versteckt worden war.

Alle arbeiteten so fleißig, daß die ganze Ladung schon am Nachmittag gegen vier Uhr an Bord war. Die Goelette hätte jetzt sofort auslaufen können, Kongre fand es aber unratsam, in der Nacht an einer mit Klippen durchsetzten Küste hinzusegeln. Er wußte vorläufig noch nicht einmal, ob er einen Kurs durch die Le Mairestraße einschlagen sollte oder nicht, um nach der Höhe des Kaps Sankt-Johann zu kommen. Das würde von der Windrichtung abhängen, ja, wenn er aus Süden wehte, nein, wenn er aus Norden kam und Neigung zum Auffrischen zeigte. In diesem Falle erschien es ihm mehr angezeigt, den Weg südlich von der Insel zu wählen, wo die ›Maule‹ unter dem Schutze des Landes geblieben wäre. Welcher Weg aber auch eingeschlagen werden mochte, konnte die Fahrt, Kongres Schätzung nach, wenn das Schiff in der Nacht still liegen blieb, nicht länger als etwa dreißig Stunden dauern.

Als der Abend herankam, hatte sich im Zustande der Atmosphäre nichts geändert. Bei Sonnenuntergang zogen keine Dünste auf, und die Berührungslinie des Himmels und des Wassers war so außerordentlich rein, daß sogar noch ein grüner Strahl aufblitzte, als die purpurn glänzende Scheibe am Horizonte versank.

Aller Voraussicht nach verlief die Nacht ganz ruhig und still, und das war auch wirklich der Fall. Die meisten von den Leuten waren an Bord gegangen und hatten sich, die einen im Volkslogis, die andern im Frachtraum, einen Ruheplatz gesucht. Kongre befand sich in der Kabine des Kapitäns Pailha, die rechts lag, und Carcante in der des Obersteuermanns an der linken Seite.

Mehrmals kamen sie jedoch noch aufs Deck herauf, um den Zustand des Himmels und des Meeres zu betrachten und sich zu überzeugen, daß die ›Maule‹ auch bei der Tiefebbe in keiner Weise gefährdet und die Abfahrt am nächsten Tage durch nichts verhindert wäre.

Der Aufgang der Sonne war prachtvoll. In dieser Breite ist es sonst selten, sie über einen so reinen Horizont aufsteigen zu sehen. In der ersten Morgenstunde fuhr Kongre in einem der Schiffsboote hinaus und erklomm durch eine enge Schlucht fast am Kap Saint-Barthelemy das steil abfallende Ufer.

Von dieser Höhe aus konnte er das Meer weithin und auf dreiviertel eines Kreises überblicken. Nur nach Osten zu war die Aussicht durch Bergmassen begrenzt, die zwischen dem Kap Saint-Antoine und dem Kap Kompe aufstiegen.

Das nach Süden hin ruhige Meer war vor dem Eingange zur Meerenge ziemlich aufgeregt, und der frische Wind schien eher noch zunehmen zu wollen.

Übrigens war kein Segel, keine Rauchfahne auf dem Wasser zu sehen, und aller Voraussicht nach würde die ›Maule‹ bei der kurzen Strecke bis zum Kap Sankt-Johann mit keinem andern Schiff zusammentreffen.

Kongres Entscheidung war schnell getroffen. Da er mit Recht eine sehr steife Brise fürchtete und vor allem wünschte. der Goelette nicht zuviel zuzumuten, indem er sie dem hohen Wogengange in der Meerenge aussetzte, der hier vorzüglich beim Gezeitenwechsel auftritt, entschloß er sich, an der Südküste hinzusegeln und der Elgorbucht unter Umschiffung der Kaps Webster. Several und Diegos zuzusteuern. Die Entfernung bis dahin war übrigens auf dem südlichen wie auf dem nördlichen Wege ziemlich die gleiche.

Kongre stieg wieder hinunter, wandte sich dem Ufer zu und begab sich nach der Höhle, wo er sich überzeugte, daß darin nichts vergessen worden war. So würde also auch nichts die frühere Anwesenheit von Menschen auf dem westlichen Teile der Stateninsel verraten können.

Es war jetzt wenig über sieben Uhr. Die schon einsetzende Ebbe unterstützte das Auslaufen aus dem engen Landeinschnitte.

Der Anker wurde also wieder auf dem Kranbalken befestigt, dann hißte man das Fock- und ein Bramsegel, die bei dem herrschenden Nordostwind genügen mußten, die ›Maule‹ bis über den Klippengürtel hinauszutreiben.

Kongre führte das Steuer, während Carcante vorn auf dem Ausguck stand. Zehn Minuten, mehr bedurfte es nicht, die Goelette zwischen dem Gewirr von Felsblöcken hinauszuführen, und sofort fing diese an, ein wenig zu schlingern und zu stampfen.

Auf Anordnung Kongres ließ Carcante noch ein Focksegel und die Brigantine – das Großsegel in der Takelage einer Goelette – und dann noch ein Marssegel setzen. Unter dem Drucke dieser Segel wendete die ›Maule‹ nach Südwesten – wobei sie fast vollen Rückenwind bekam – um die äußerste Spitze des Kaps Saint-Barthelemy zu umschiffen.

Nach einer halben Stunde hatte die ›Maule‹ diesen Felsenvorsprung hinter sich. Sie mußte nun in der Richtung nach Osten anluven und sich dicht am Winde halten. Bei dem Schutze durch die Südküste der Insel, von der sich das Fahrzeug drei Seemeilen weit fernhielt, kam die Goelette aber doch ziemlich gut vorwärts.

Inzwischen konnten Kongre und Carcante sich überzeugen, daß das leichte Schiff sich bei jeder Gangart recht gut hielt. In der schönen Jahreszeit lief man gewiß keine Gefahr, damit auf den Stillen Ozean hinauszusegeln, wenigstens wenn die letzten magellanischen Inseln passiert waren.

Vielleicht hätte Kongre spät am heutigen Abend noch die Elgorbai erreichen können, er zog es aber vor, an einer Stelle in der Nähe des Ufers beizulegen, ehe die Sonne hinter dem Horizonte verschwand. Er ließ deshalb die Segelfläche verkleinern, benützte weder ein Bramsegel des Fockmastes noch ein Topsegel des Großmastes und begnügte sich mit einer Geschwindigkeit von fünf bis sechs Knoten in der Stunde.

Im Laufe des ersten Tages begegnete die ›Maule‹ keinem Schiffe, und es wurde allmählich Nacht, als sie östlich vom Kap Webster beidrehte. Bis hierher war etwa die Hälfte der Fahrt zurückgelegt.

Hier türmten sich gewaltige Felsmassen übereinander, und die Insel zeigte hier auch die höchsten steilen Uferwände. Die Goelette ankerte eine Kabellänge vor diesen in einer von der Spitze des Kaps geschützten Einbuchtung. Ruhiger als hier konnte ein Schiff kaum in einem Hafen, ja nicht einmal in einem geschlossenen Wasserbecken liegen. Sprang der Wind freilich nach Süden um, so wäre die ›Maule‹ ihm an dieser Stelle frei ausgesetzt gewesen, wo das Meer, wenn es von Polarstürmen aufgewühlt wurde, oft ebenso entsetzlich tobt, wie in der Nähe des Kaps Horn. Die Witterung schien sich aber wie vorher zu halten, die Nordostbrise wehte weiter, und alle Umstände schienen die Pläne Kongres und seiner Leute zu begünstigen.

Die Nacht vom 25. zum 26. Dezember war außerordentlich ruhig. Der Wind, der sich am Abend gegen zehn Uhr etwas gelegt hatte, sprang kurz vor Tagesanbruch am Morgen etwa um vier Uhr von neuem auf.

Schon beim ersten Schein der Morgenröte traf Kongre die nötigen Maßregeln zur Abfahrt. Die in der Nacht lose an den Rahen hängenden Segel wurden wieder fester gebunden. Das Gangspill brachte den Anker an seinen Liegeplatz, und die ›Maule‹ setzte sich in Bewegung.

Das Kap Webster springt, von Norden nach Süden, zwischen vier und fünf Seemeilen ins Meer hinaus vor. Die Goelette mußte also erst ein Stück zurückgehen, um nach der Küste zu gelangen, die nach Osten ungefähr in der Länge von zwanzig Seemeilen bis zur Severalspitze verläuft.

Die ›Maule‹ glitt nun unter denselben Verhältnissen hin, wie am Tage vorher, indem sie längs der Küste hinsteuerte, wo das Wasser unter dem Schutze der hohen Uferwände sehr ruhig war.

Die Küste selbst war freilich gefährlicher, als selbst die der Meerenge. Eine Anhäufung von ungeheuern, nicht einmal in ruhigem Gleichgewicht liegenden Felsblöcken, denn eine Menge solcher war noch auf dem Vorlande bis zur äußersten Flutwassergrenze verstreut… ein Labyrinth schwärzlicher Riffe, die nirgends eine Stelle freiließen, wo, von einem Schiffe mit geringem Tonnengehalt gar nicht zu sprechen, auch nur ein einfaches Boot hätte landen können. Keine Einbuchtung, die auf dem Wasserwege erreichbar gewesen wäre, keine Sandbank, auf die man hätte den Fuß setzen können! Das Ganze nichts als ein ungeheurer Wall, den die Stateninsel den furchtbaren Wellenbergen aus dem antarktischen Meere entgegensetzte.

Die Goelette glitt mit mittlerer Beseglung mindestens drei Seemeilen vor der Küste hin. Da Kongre diese nicht kannte, fürchtete er, näher als nötig daran heranzukommen; weil er aber anderseits die ›Maule‹ nicht anstrengen wollte, hielt er sich immer mehr in dem stillen Wasser, das er weiter draußen vom Lande nicht gefunden hätte.

Als er gegen zehn Uhr den Eingang zur Blossombucht erreichte, konnte er stärker bewegtem Wasser doch nicht aus dem Wege gehen. Der Wind, der sich in dem tief ins Land einschneidenden Golfe zu fangen schien, wühlte das Meer zu langen Wogen auf, die die ›Maule‹ von der Seite her trafen. Kongre ließ das Schiff laufen, um die Spitze, die die Ostseite der Bucht abschließt, zu umschiffen, und als das geschehen war, luvte er dicht an den Wind an und steuerte mit Backbordhalsen ein Stück nach der hohen See hinaus.

Kongre hatte selbst das Steuer ergriffen, und die Schoten fest angespannt, hielt er sich so viel wie möglich am Winde. Erst am Nachmittag gegen vier Uhr meinte er weit genug gegen diesen aufgekommen zu sein, sein Ziel erreichen zu können, ohne daß er hätte kreuzen müssen. Er ließ nun die Halsen wechseln und steuerte geradeswegs auf die Elgorbucht zu. Die Severalspitze lag ihm zu dieser Zeit vier Seemeilen im Nordwesten.

Von hier aus war die Küste in ihrer ganzen Ausdehnung bis zum Kap Sankt-Johann zu übersehen.

Gleichzeitig tauchte an der Rückseite der Diegosspitze der Leuchtturm am Ende der Welt auf, den Kongre jetzt zum erstenmal erblickte. Mit dem in der Kabine des Kapitäns Pailha gefundenen Fernrohre konnte er sogar einen der Wärter erkennen, der auf der Turmgalerie stehend das Meer beobachtete.

Da die Sonne noch drei Stunden über dem Horizonte bleiben mußte, erreichte die ›Maule‹ sicherlich ihren Ankerplatz, ehe es Nacht wurde.

Selbstverständlich hatte die Goelette der Aufmerksamkeit der Wärter nicht entgehen können, und ihr Erscheinen im Gewässer der Stateninsel war von dem Wachhabenden sofort gemeldet worden. Als Vasquez und seine Kameraden sie anfänglich nach dem offenen Meere hin wenden sahen, mußten sie annehmen, daß das Fahrzeug auf die Maluinen zusteuerte. Seit es aber, nun mit Steuerbordhalsen, mehr in den Wind beigedreht hatte, konnten sie nicht daran zweifeln, daß es in die Bucht einlaufen wollte.

Kongre war es ziemlich gleichgültig, daß die ›Maule‹ jedenfalls bemerkt worden war und die Wärter erkannt haben mochten, daß sie hier vor Anker gehen wollte. Das konnte ja seine Pläne nicht ändern.

Zu seiner großen Befriedigung verlief der letzte Teil der Fahrt unter besonders günstigen Bedingungen. Der Wind war etwas weiter nach Osten umgeschlagen; so trieb die Goelette nun schneller vor dem Winde hin, ohne hin und her kreuzen zu müssen, um die Diegosspitze zu umschiffen.

Das war ein glücklicher Umstand. Bei der Beschädigung ihres Rumpfes hätte sie Schläge von einer Seite zur andern vielleicht nicht mehr ausgehalten, und wer weiß, ob sie nicht vor der Ankunft in der Bai gar noch leck geworden wäre.

Dazu kam es auch wirklich. Als die ›Maule‹ nur noch zwei Seemeilen von der Bucht entfernt war, kam ein Mann, der sich in den Frachtraum hinunter begeben hatte, mit dem Schreckensrufe herauf, daß durch einen Riß in den Planken Wasser eindringe.

Das war gerade an der Stelle, wo der Rumpf oder die Innenverkleidung durch den vermuteten Stoß an einem Felsblocke eingedrückt worden war. Bisher hatte die Verplankung ja noch dicht gehalten, doch jetzt war sie, zum Glück nur auf die Länge von wenigen Zollen, etwas aufgesprungen, so daß diese Havarie nicht besonders ernst erschien. Nach Beseitigung eines Teils des Ballastes gelang es Vargas ohne große Mühe, das Leck mit einer Handvoll Kalfaterhanf wenigstens notdürftig zu stopfen.

Natürlich war es unumgänglich, die beschädigte Stelle noch sorgsam auszubessern. Bei dem Zustande, in dem die Goelette durch die Strandung am Kap Barthelemy versetzt worden war, hätte man sich, ohne einen fast gewissen Untergang befürchten zu müssen, auf den Großen Ozean nicht hinauswagen dürfen.

Die sechste Stunde war herangekommen, als sich die ›Maule‹ anderthalb Seemeilen vor dem Eingang zur Elgorbai befand. Kongre ließ nun die obern Segel einziehen, die jetzt unnötig waren, und fuhr nur mit dem Mars-, dem großen Klüversegel und der Brigantine weiter. Damit mußte die ›Maule‹, unter der Führung Kongres, der, wie erwähnt, die Elgorbucht genau kannte, bequem einen passenden Ankerplatz in deren Hintergrunde erreichen. Kongre steuerte sie denn auch als sichrer Lotse längs der fahrbaren Straße dahin.

Da blitzte gegen halb sieben Uhr ein glänzendes Strahlenbündel über die Meeresfläche hin. Die Lampe des Leuchtturmes war angezündet worden, und das erste Schiff, dessen Weg sie beleuchten sollte, war eine in die Hände einer Räuberbande geratene chilenische Goelette!

Fast um sieben Uhr war es, die Sonne verschwand schon hinter den steilen Höhen der Stateninsel, als die ›Maule‹ das Kap Sankt-Johann an Steuerbord hinter sich ließ. Jetzt lag die Bucht vor ihr offen. Kongre segelte mit Rückenwind in sie ein.

Als sie an den Höhlen vorüberkamen, konnten Kongre und Carcante sich überzeugen, daß deren Eingänge unter den angehäuften Steinen und dem Gewirr von Ästen und Zweigen, die diese verschlossen, nicht entdeckt zu sein schienen. Nichts hatte also ihre frühere Anwesenheit auf der Insel verraten, und jedenfalls fanden sie die zusammengeraffte Ausbeute ihrer Räubereien in demselben Zustande wieder, in dem sie diese hier zurückgelassen hatten.

»Na, das läßt sich ja gut an, sagte Carcante zu dem auf dem Hinterdeck neben ihm stehenden Kongre.

– Und wird sich sehr bald noch besser gestalten,« antwortete dieser.

Nach höchstens zwanzig Minuten hatte die ›Maule‹ den Landeinschnitt erreicht, wo sie verankert werden sollte.

Da wurde sie von zwei Männern »angesprochen«, die von der Bodenerhebung, worauf der Leuchtturm stand, ans Ufer heruntergekommen waren.

Felipe und Moriz waren es, die ihr Boot bestiegen und an Bord der Goelette gehen wollten.

Vasquez befand sich oben im Turmzimmer eben auf Wache.

Als die Goelette die Mitte der Bucht erreicht hatte, waren das Marssegel und die Brigantine schon gerefft, und sie trug nur noch das große Klüversegel, das Carcante jetzt auch noch einbinden ließ.

In dem Augenblicke, wo der Anker rasselnd zum Grunde hinabsank, sprangen Moriz und Felipe auf das Deck der ›Maule‹.

Auf einen Wink Kongres erhielt der erste sofort einen Axthieb auf den Kopf, so daß er zusammenbrach; gleichzeitig streckten zwei Revolverschüsse Felipe neben seinem Kameraden nieder. In einer Minute waren beide tot.

Durch eins der Fenster des Wachzimmers hatte Vasquez die Schüsse gehört und die Ermordung seiner Kameraden gesehen.

Dasselbe Schicksal stand ihm bevor, wenn man sich seiner Person bemächtigte. Bei den Mordgesellen war gewiß auf keine Gnade zu rechnen. Armer Felipe!… Armer Moriz! Er hatte ja nichts tun können, sie zu retten, und er blieb oben, entsetzt über die schreckliche Bluttat, die in wenigen Sekunden verübt worden war.

Nach Überwindung des ersten Schreckens überlegte er sich die Sachlage. Um jeden Preis mußte er sich den mordlustigen Schurken zu entziehen suchen. Vielleicht wußten sie nicht, daß er sich hier befand, doch war leicht vorauszusehen, daß mehrere von diesen, nachdem das Schiff völlig festgelegt und im übrigen besorgt war, den Gedanken hätten, auf den Turm zu steigen, und das jedenfalls in der Absicht, das Leuchtfeuer zu löschen, um die Bucht, wenigstens bis Tagesanbruch, unzugänglich zu machen.

Ohne Zögern verließ Vasquez das Wachzimmer und eilte die Treppe hinunter nach dem Wohnraum zu ebener Erde.

Er hatte keinen Augenblick zu verlieren. Schon wurde das Geräusch von einem Boote hörbar, das von der Goelette abstieß, um einige Leute von der Mannschaft ans Land zu setzen.

Vasquez ergriff zwei Revolver, die er in seinen Gürtel steckte, raffte einigen Proviant in einen Sack zusammen, den er über die Schultern warf, und verließ dann die Stube. Schnellen Schrittes sprang er den abfallenden Weg vor der Einfriedigung hinunter und verschwand bald in der zunehmenden Dunkelheit.