Elftes Capitel

Signale ohne Antwort.

Acht Tage hindurch nach dem Gefechte bei Thasos durchkreuzte die »Syphanta«, nachdem sie alle Buchten der türkischen Küste von Cavale bis Orphana durchsucht, den Golf von Contessa, segelte darauf vom Cap Deprano bis zum Cap Paliuri, zwischen den Einfahrten nach den Golfen von Monte Santo und Cassandra; endlich im Laufe des 15. April verlor sie nach und nach die Gipfel des Berges Athos aus dem Gesicht, dessen höchste Spitze bis auf nahezu zweitausend Meter über die Meeresfläche hinaufsteigt.

Im ganzen Verlaufe dieser Fahrt wurde kein einziges verdächtiges Schiff beobachtet. Wiederholt bemerkte man wohl türkische Geschwader; die »Syphanta« aber, welche unter korslötischer Flagge segelte, glaubte keine Veranlassung zu haben, sich mit diesen Schiffen in Verbindung zu setzen, welche deren Commandant lieber mit Kanonenschüssen, als durch Abnehmen des Hutes begrüßt hätte.

Unter diesen Umständen erhielt Henry d’Albaret – es war am 26. April – die Nachricht von einem hochwichtigen Ereignisse. Die verbündeten Mächte hatten sich nämlich dahin geeinigt, daß jede Verstärkung, welche den Truppen Ibrahim’s auf dem Seewege zu geführt würde, angehalten werden solle. Rußland ging sogar mit einer offenen Kriegserklärung gegen den Sultan vor. Die Lage Griechenlands verbesserte sich also mehr und mehr, und wenn darin auch noch mehrere Verzögerungen eintraten, so ging das Land doch sicher der Erlangung seiner Unabhängigkeit entgegen.

Am 30. April war die Corvette bis tief in den Hintergrund von Salonichi eingedrungen das heißt, sie hatte den für die Kreuzfahrt in Aussicht genommenen nördlichsten Punkt erreicht. Hier fand sie noch Gelegenheit, auf einige Schebeks, Senalen und Polakren Jagd zu machen, welche ihr nur entkamen, indem sie sich auf den Strand flüchteten. Wenn die Mannschaft derselben auch nicht vollständig vernichtet wurde, so gelang es doch wenigstens, den größten Theil jener Fahrzeuge dienstuntauglich zu machen.

Die »Syphanta« schlug nun wieder einen südlichen Curs ein, um die Südränder des Golfs von Salonichi sorgfältig zu durchsuchen. Jedenfalls war aber ihre Anwesenheit hier überall hin gemeldet worden, denn nirgends ließ sich nur ein einziger Seeräuber sehen, dem sie hätte den verdienten Proceß machen können.

Da ereignete sich ein eigenthümliches, so gut wie unerklärliches Vorkommniß an Bord der Corvette.

Am 10. Mai, gegen sieben Uhr Abends, als Henry d’Albaret in seine Cajüte eintrat, welche das ganze Hintertheil der »Syphanta« einnahm, fand derselbe einen auf seinem Tische liegenden Brief. Er nahm denselben auf, näherte ihn der Hängelampe, welche an der Decke schwankte, und las dessen Adresse.

Die Aufschrift desselben lautete folgendermaßen:

»An den Capitän Henry d’Albaret, Befehlshaber der Corvette »Syphanta«, z. Z. in See«.

Henry d’Albaret glaubte diese Schriftzüge wieder zu erkennen. Sie glichen offenbar vollkommen denjenigen des Schreibens, das er früher einmal in Scio empfangen und in dem er die Aufforderung erhielt, einen an Bord der Corvette frei gewordenen Platz einzunehmen.

Der erwähnte, diesmal auf so eigenthümliche Weise, und ohne daß an eine Vermittelung der Post zu denken war, eingetroffene Brief war von folgendem Inhalt:

 

»Wenn der Commandant Henry d’Albaret seine Fahrtdispositionen so einrichten kann und will, daß er bei seinen Kreuzzügen im Archipel in der ersten Septemberwoche in den Gewässern der Insel Scarpanto eintrifft, so wird er dem Heile Aller und den ihm anvertrauten Interessen die besten Dienste leisten.«

Der Brief zeigte, ebensowenig wie der nach Scio gelangte, eine Datumangabe und eine Unterschrift. Und als Henry d’Albaret beide mit einander verglich, überzeugte er sich noch einmal, daß dieselben von der nämlichen Hand herrührten.

Wie sollte er sich die Sache erklären? Den ersten Brief hatte er auf gewöhnlichem Wege durch die Post erhalten; diesen zweiten konnte nur eine an Bord befindliche Person auf seinen Tisch gelegt haben. Nothwendiger Weise mußte also die betreffende Person das Schreiben schon seit Anfang der Fahrt in Besitz gehabt haben, oder es war während eines der letzten Hafenaufenthalte der »Syphanta« nach dieser gelangt. Der Brief befand sich auch noch nicht an seiner jetzigen Stelle, als der Commandant heute seine Cajüte zum letzten Male verließ, was etwa vor einer Stunde gewesen sein mochte, um sich nach dem Deck zu begeben und seine Befehle für die kommende Nacht zu ertheilen. Unbedingt war derselbe also seit weniger als einer Stunde auf den Tisch in der Cajüte niedergelegt worden.

Henry d’Albaret klingelte.

Ein Bootsmann erschien.

»Wer ist hierher gekommen, seit ich nach dem Verdeck hinaufstieg? fragte Henry d’Albaret.

– Niemand, Herr Commandant, antwortete der Matrose.

– Niemand?… Hätte nicht irgend Jemand hier hineintreten können, ohne daß Du es bemerkt hättest?

– Nein, Herr Commandant, denn ich habe diese Thür inzwischen keinen Augenblick verlassen.

– Es ist gut.«

Der Bootsmann zog sich zurück, nachdem er die Hand an die Mütze gelegt hatte.

»Es erscheint mir wirklich selbst fast unmöglich, sprach Henry d’Albaret für sich, daß ein Mann vom Schiffe hätte ungesehen durch diese Thür eindringen können. Möglicherweise hatte Jemand, gedeckt durch die zunehmende Dunkelheit, doch bis zur äußersten Galerie hinschleichen und durch ein Fenster des Achters hereinschlüpfen können.«

Henry d’Albaret untersuchte also die stückpfortenähnlichen Fensteröffnungen, welche nach dem Spiegel der Corvette zu lagen. Diese aber, wie auch die seines Schlafraumes, erwiesen sich von innen geschlossen. Es war also unbedingt unmöglich, daß eine von außen kommende Person durch eine dieser Oeffnungen hätte gelangen können.

Das ganze Vorkommniß war nicht dazu angethan, in Henry d’Albaret die mindeste Beunruhigung zu erregen, sondern höchstens einige Ueberraschung und vielleicht jenes Gefühl unbefriedigter Neugier, dem man sich einer schwer erklärlichen Thatsache gegenüber ja nicht verschließen kann. Sicher war hierbei nur das Eine, daß der anonyme Brief auf irgend eine Weise an seine Adresse gelangt, und daß derjenige, der ihn empfangen sollte, kein anderer war, als der Befehlshaber der »Syphanta«.

Nach einiger Ueberlegung beschloß Henry d’Albaret, nichts von der ganzen Sache zu erwähnen, auch nicht einmal gegen seinen zweiten Officier. Wozu hätte es auch gedient, mit ihm davon zu sprechen? Der geheimnißvolle Briefschreiber, mochte es nun sein, wer es wollte, wäre dadurch doch gewiß auch nicht an’s Licht gekommen.

Nun drängte sich dem Commandanten die Frage auf, ob er der in dem Briefe enthaltenen Mahnung Folge geben sollte.

»Gewiß! sagte er für sich. Der, von dem der erste, mir auf Scio zugegangene Brief herrührte, hat mich ja nicht betrogen mit der Meldung, daß im Stabe der »Syphanta« ein Platz für mich ledig sei. Warum sollte er mich jetzt, beim zweiten Male, damit irre führen, daß er mir in der ersten Septemberwoche die Insel Scarpanto anzulaufen gebietet? Wenn er das thut, kann es nur im Interesse der mir anvertrauten Mission geschehen sein. Ja, ich werde meinen Fahrplan ändern und zur bestimmten Zeit da sein, wo ich offenbar erwartet werde.«

Henry d’Albaret verschloß sorgfältig den Brief, der ihm diese neuen Instructionen brachte; dann holte er seine Seekarten hervor und begann eine neue Kreuzfahrt auszuarbeiten, um sich während der vier, bis Ende August noch übrigen Monate nutzbringend zu beschäftigen.

Die Insel Scarpanto liegt im Südosten, am anderen Ende des Archipels, d. h. in gerader Linie einige hundert Lieues entfernt. Es konnte der Corvette also nicht an Zeit fehlen, die verschiedenen Küstenpunkte Moreas, an denen sich Seeräuber so leicht verbergen können, zu untersuchen, ebenso wie die ganze Gruppe der Cykladen, die vom Eingange des Golfs von Aegina bis zur Insel Kreta verstreut sind.

Die Verpflichtung, sich zur bestimmten Zeit in Sicht der Insel Scarpanto zu befinden, konnte also die vom Commandanten Henry d’Albaret vorher festgestellte Segelordre nicht besonders beeinflussen. Was er zu thun beschlossen, wollte und konnte er ausführen, ohne einen wichtigeren Punkt aus seinem Programme zu streichen.

So fuhr die »Syphanta« also am 20. Mai weiter, um nach oberflächlicher Besichtigung der kleinen Inseln Pelerissa, Peperi, Sarakino und Skantxura im Norden von Negropontis die Insel Scyros sorgfältiger zu durchsuchen.

Scyros ist eine der bedeutendsten der neun Inseln jener Gruppe, welche das Alterthum als die Heimat der neun Musen zu bezeichnen pflegte. In ihrem sicheren, geräumigen und guten Ankergrund bietenden Hafen St. Georg konnte sich die Besatzung der Corvette leicht mit frischen Nahrungsmitteln, mit Lämmern, Rebhühnern, Weizen und Gerste versorgen und hinreichenden Vorrath an dem vorzüglichen Wein einnehmen, den das Land in großer Menge erzeugt. Diese Insel, welche in den halb mythologischen Ereignissen des trojanischen Krieges, in dem die Namen eines Lykomedes, Achilles und Ulysses besonders hervorragen, eine große Rolle spielte, sollte nun bald unter der Eparchie von Euböa zum neuen Königreiche Griechenland gehören.

Da das Gestade von Scyros so vielfach von Baien und Buchten zerschnitten ist, in welchen Seeräuber ein bequemes Versteck finden können, so ließ Henry d’Albaret dieselben sehr genau durchsuchen. Während die Corvette in der Entfernung weniger Kabellängen gegengebraßt lag, ließen deren Boote keine einzige Stelle ununtersucht.

Auch diese Nachforschungen blieben ohne Ergebniß, die Schlupfwinkel waren leer. Die einzigen Nachrichten, welche der Commandant von den Behörden der Insel erhielt, liefen darauf hinaus, daß vor etwa einem Monate im benachbarten Gewässer mehrere Handelsschiffe von einem unter Seeräuberflagge segelnden Fahrzeuge angegriffen, beraubt und zerstört worden seien, sowie daß man diese freche Schandthat dem berüchtigten Sacratif zuschreibe. Worauf sich diese Annahme gründete, vermochte freilich Niemand zu sagen, eine so große Unsicherheit herrschte allein über die wirkliche Existenz der betreffenden Persönlichkeit.

Nach fünf- bis sechstägigem Aufenthalt verließ die Corvette Scyros wieder. Gegen Ende des Monats näherte sie sich den Küsten der großen Insel Euböa, welche auch Negropontis genannt wird, deren Gestade sie auf eine Strecke von über vierzig Lieues sorgfältig in Augenschein nahm.

Bekanntlich war diese Insel eine der ersten, welche bei Beginn des Krieges 1821 in die Bewegung eintrat; die Türken hielten sich hier jedoch, nachdem sie sich in der Citadelle von Negropontis verschanzt und auch in der von Karystos festen Fuß gefaßt, mit unerschütterlicher Hartnäckigkeit. Als sie dann durch Truppen Jussuf Paschas Verstärkung erhalten hatten, durchstreiften sie die ganze Insel und überließen sich ihren gewohnten Mordbrennereien, bis der griechische Hauptmann Diamantis denselben im September 1823 endlich ein Ziel setzte. Es gelang diesem, die ottomanischen Soldaten unerwartet zu überfallen, wobei er einen großen Theil derselben über die Klinge springen ließ und die Anderen zwang, sich über die Meerenge nach Thessalien zu flüchten.

Am Ende blieb aber doch der Vortheil auf Seite der Türken, welche eine bedeutende Uebermacht hatten. Nach einem vergeblichen Versuche des Obersten Fabvier und des Escadronschefs Regnaud de Saint Jean d’Angély, im Jahre 1826, blieben jene auf die Dauer Herren der Insel.

Sie waren es auch noch zu der Zeit, als die »Syphanta« in Sicht der Küsten von Negropontis vorüberkam. Von seinem Schiffe aus konnte Henry d’Albaret diesen Schauplatz eines der blutigsten Kämpfe übersehen, an dem er selbst rühmlichst Antheil genommen hatte. Jetzt schlug man sich daselbst nicht mehr, und nach Anerkennung des neuen Königreichs bildete die Insel Euböa mit ihren sechstausend Einwohnern eine der Nomarchien Griechenlands.

So gefährlich es auch war, auf diesem Meere Polizei zu üben, da das manchmal unter den türkischen Kanonen selbst geschah, setzte die Corvette dennoch ihre Kreuzfahrt fort und zerstörte wohl noch zwanzig Piratenschiffe, welche sich bis nach der Gruppe der Cykladen heranwagten.

Diese Expedition hatte den größten Theil des Juni in Anspruch genommen. Später segelte die Corvette mehr nach Süden hinab. In den letzten Tagen des Monats befand sie sich auf der Höhe von Andros, der ersten der Cykladen und nahe der südlichen Spitze von Euböa gelegen, eine sehr patriotische Insel, deren Bewohner sich gleichzeitig mit denen von Psara gegen die ottomanische Gewalt erhoben.

Der Commandant d’Albaret hielt es nun für angezeigt, seinen Curs zu ändern, um sich mehr den Küsten des Peloponnes zu nähern, und wandte sich auf kürzestem Wege direct nach Südwesten. Am 2. Juni bekam er die Insel Zea, das alte Ceos oder Cos, in Sicht, das von dem hohen Gipfel des Elias-Berges beherrscht wird.

Einige Tage ankerte die »Syphanta« in dem Hafen von Zea, einem der besten der hiesigen Gegend. Hier fanden Henry d’Albaret und seine Officiere mehrere jener Zeoten wieder, welche in den ersten Jahren des Krieges ihre Waffengefährten gewesen waren. Die Corvette hatte sich denn auch des herzlichsten Empfanges zu erfreuen. Da indeß kaum ein Pirat daran denken konnte, sich in die Buchten dieser Insel zu flüchten, so zögerte die »Syphanta« nicht, ihre Kreuzfahrt wieder aufzunehmen, und umschiffte am 5. Juli das Cap Colonna an der Südostspitze von Attika.

Gegen Ende der Woche ging die Fahrt etwas langsamer vor sich, weil es am Eingang des Golfs von Aegina, der in die griechische Landveste so tief, nämlich bis zum Isthmus von Korinth, einschneidet, an Wind fehlte. Schlaff hingen die Segel der »Syphanta« herab, und diese konnte weder nach der einen noch nach der anderen Seite an Weg gewinnen. Wenn sie in diesen wenig besuchten Meeren einige hundert Ruderboote entschlossen angegriffen hätten, würde sie gewiß Mühe gehabt haben, sich wirksam zu vertheidigen.

Die Besatzung mußte sich auch stets bereit halten, einen etwaigen Angriff zurückzuschlagen, und that gewiß sehr wohl daran.

Es erschienen in der That zuweilen verschiedene Boote, deren Absichten kaum zweifelhaft sein konnten; sie wagten aber doch, Angesichts der Geschütze und der Musketen der Corvette, nicht allzunahe heranzukommen.

Am 10. Juli erhob sich wieder ein mäßiger Wind aus Norden – ein günstiges Ereigniß für die »Syphanta«, welche, nachdem sie fast in Sicht der kleinen Stadt Damala vorübergekommen war, jetzt schnell das Cap Skyli an der äußersten Spitze des Golfs von Nauplia umsegeln konnte.

Am 11. erschien sie vor Hydra und zwei Tage später vor Spezzia. Es bedarf wohl kaum der Erwähnung des Antheils, den die Bewohner dieser beiden Inseln am Unabhängigkeitskriege nahmen. Zu Anfang desselben besaßen die Hydrioten, Spezzioten und ihre Nachbarn, die Isparioten, über dreihundert Handelsfahrzeuge. Nachdem sie dieselben, so gut es anging, zu Kriegsschiffen umgewandelt, sandten sie sie, nicht ohne Erfolg, gegen die ottomanische Flotte hinaus. Hier stand die Wiege jener Familien Condurlotis, Tombasis, Miaulis, Orlandos und anderer Vornehmen, welche erst mit ihrem Vermögen und dann auch mit dem eigenen Blute dem Vaterlande die größten Opfer darbrachten. Von hier aus gingen jene furchtbaren Brander aus, welche bald der Schrecken der Türkei werden sollten. Trotz wiederholter innerer Erhebungen, betrat doch niemals der Fuß der Unterdrücker den Boden dieser Inseln.

Gerade als Henry d’Albaret sie besuchte, begannen sie eben, sich von einem Kampfe zurückzuziehen, der auf beiden Seiten nur noch schwach weiter geführt wurde. Die Stunde war jetzt nicht mehr fern, wo auch sie dem neuen Königreiche angeschlossen und aus dem Kreise von Korinth und Argolis zwei Eparchien gebildet wurden.

Am 20. Juli ankerte die Corvette in Hermopolis auf der Insel Syra, der Heimat des getreuen Eumeos, den Homer so hochpoetisch besungen hat. Zur gegenwärtigen Zeit diente sie noch als Zufluchtsort für alle Diejenigen, welche die Türken vom Festland verjagt hatten.

Syra, dessen katholischer Bischof von jeher unter dem Schutze Frankreichs steht, stellte Henry d’Albaret Alles zur Verfügung, was er nur bedurfte. In keinem Hafen des eigenen Vaterlandes hätte der junge Commandant einen freundlicheren Empfang finden können.

In die Freude, sich über alles Erwarten gut aufgenommen zu sehen, mischte sich nur ein einziger Tropfen Wermuth – nämlich der, nicht drei Tage früher hier eingetroffen zu sein.

Bei Gelegenheit eines Gesprächs mit dem französischen Consul berichtete ihm dieser, daß eine Sacoleve, welche den Namen »Karysta« führte und unter griechischer Flagge segelte, kaum sechzig Stunden vorher den Hafen verlassen habe. Daraus konnte er also abnehmen, daß die »Karysta«, als sie während des Gefechtes der Corvette mit den Seeräubern das Weite sachte, sich mehr nach dem südlichen Theil des Archipels gewendet haben müsse.

»Vielleicht weiß man aber, wohin sie gesegelt ist? fragte Henry d’Albaret mit lebhaftem Interesse.

– Nach dem, was ich darüber gehört, erwiderte der Consul, soll sie einen Curs nach den Inseln im Südosten eingeschlagen haben, wenn sie nicht gar nach einem der Häfen von Kreta gegangen ist.

– Sie sind mit dem Capitän derselben nicht in nähere Berührung gekommen? erkundigte sich Henry d’Albaret.

– In gar keine, Herr Commandant.

– Und wissen auch nicht, ob dieser Capitän sich Nicolas Starkos nannte?

– Das weiß ich nicht.

– Und nichts erweckte hier den Verdacht, daß diese Sacoleve zu der Seeräuber-Flottille gehören möchte, welche diesen Theil des Archipels so unsicher macht?

– Nichts; doch wenn dem so war, antwortete der Consul, ist es erst recht nicht zu verwundern, daß sie sich nach Kreta gewendet hätte, von dem gewisse Häfen von jeher für diese Uebelthäter offen stehen.«

Diese Mittheilungen erregten den Commandanten der »Syphanta« nicht wenig, sowie Alles, was direct oder indirect mit dem Verschwinden Hadjine Elizundo’s in Verbindung stand. Es war gewiß mehr als unangenehm, so kurze Zeit nach der Abfahrt der Sacoleve hier eingetroffen zu sein.

Da diese jedoch nach Süden zu abgesegelt war und die Corvette denselben Curs einschlagen sollte, lag ja wenigstens eine Möglichkeit vor, sie noch wieder zu finden. Deshalb verließ denn auch Henry d’Albaret, der nichts mehr wünschte, als jenem Nicolas Starkos Auge in Auge gegenüber zu stehen, Syra noch am nämlichen Abend, am 21. Juli, da sich eine schwache Brise erhob, welche nach den Anzeichen des Barometers jedenfalls bald auffrischen mußte.

Im Laufe der nächsten vierzehn Tage spürte der Commandant Henry d’Albaret nun ebenso viel der Sacoleve wie den Piraten nach. Seiner Meinung nach verdiente die »Karysta« entschieden jenen gleichgestellt und ebenso behandelt zu werden, und wenn sich ihm Gelegenheit böte, würde er ja sehen, was mit ihr zu thun sei.

Trotz aller Bemühungen gelang es der Corvette zunächst aber nicht, eine Spur der Sacoleve zu entdecken. In Naxos, dessen Häfen alle durchsucht wurden, war die »Karysta« nicht vor Anker gegangen. Inmitten der Eilande und der Klippen, welche genannte Inseln umgeben, war man nicht glücklicher. Außerdem erschienen hier auch gar keine Seeräuber, obgleich sie gerade diese Gegenden sonst mit Vorliebe besuchten. Der Handelsverkehr zwischen den reichen Cykladen ist nämlich ein sehr lebhafter und die Aussicht auf reiche Beute mußte jene ja hierher verlocken.

Dasselbe war in Paras der Fall, das nur ein einfacher Canal von sieben Seemeilen Breite von Naxos trennt. Nicolas Starkos hatte hier weder den Hafen von Parkia, Naussa oder Santa Maria, noch den von Agula oder Dico angelaufen. Allem Anscheine nach mochte die Sacoleve also, wie der Consul von Syra angenommen hatte, nach irgend einem Küstenpunkte von Kreta abgefahren sein.

Am 9. August ankerte die »Syphanta« im Hafen von Milo. Diese bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts sehr reiche, seitdem aber durch vulkanische Ausbrüche verarmte Insel leidet jetzt stark unter den ungesunden Ausdünstungen des Erdbodens, und ihre Bevölkerung nimmt in Folge dessen mehr und mehr ab.

Hier erwiesen sich alle Nachforschungen ebenso vergeblich. Nicht allein die »Karysta« war nicht sichtbar, es bot sich auch keine Gelegenheit, Seeräuber zu verfolgen, welche gewöhnlich in den Gewässern der Cykladen sehr häufig erscheinen. Dieser auffällige Umstand legte die Frage nahe, ob jenen Schurken nicht das Erscheinen der »Syphanta« so frühzeitig gemeldet worden sein möge, daß dieselben hinreichend Zeit fanden, zu entfliehen. Die Corvette hatte den räuberischen Burschen im Norden des Archipels gerade genug Schaden zugefügt, so daß die des Südens es wohl vorziehen mochten, jedes Zusammentreffen mit derselben zu vermeiden.

Aus einem oder dem anderen Grunde war die Gegend hier wenigstens jetzt als ungewöhnlich sicher zu bezeichnen, so daß die Handelsfahrzeuge ohne jede Furcht ihre Straße ziehen konnten. Verschiedene jener großen Küstenfahrer, wie Schebecs, Senalen, Polakren, Tartanen, Feluquen, Caravellen, denen man unterwegs begegnete, wurden angesprochen, aus den Antworten ihrer Patrone oder Capitäne konnte der Commandant Henry d’Albaret aber nichts entnehmen, was ihm hätte weitere Aufklärung bieten können.

Jetzt war schon der 14. August herangekommen, und es blieben also bis zu den ersten Tagen des Septembers nur noch wenig über zwei Wochen übrig, wo die Insel Scarpanto aufgesucht werden sollte. Wenn sie die Cykladengruppe verließ, hatte die »Syphanta«auch nur siebenzig bis achtzig Lieues nach Süden zu fahren. Diesen Meerestheil schließt die langgestreckte Küste von Kreta, und schon zeigten sich über dem Horizonte die höchsten, mit ewigem Schnee bedeckten Berggipfel der Insel.

Nach dieser Richtung beschloß der Commandant Henry d’Albaret also zu steuern Wenn er bis nahe in Sicht von Kreta kam, hatte er dann geraden Wegs nur nach Osten zu segeln, um nach Scarpanto zu gelangen.

Von Milo steuerte die »Syphanta« jedoch noch in südlicher Richtung bis zur Insel Santorin und untersuchte auch die kleinsten Schlupfwinkel ihrer schwärzlichen Felsengestade. Hier ist höchst gefährliches Fahrwasser, weil unter dem Drucke des vulkanischen Feuers jeden Augenblick eine neue Klippe auf steigen kann. Dann lief die Corvette mit dem Berge Ida, dem jetzigen Pfilanti, als Zielpunkt, der Kreta mit mehr als siebentausend Fuß überragt, unter günstiger Westnordwestbrise, welche ihr alle Segel beizusetzen erlaubte, auf diese Insel zu.

Am übernächsten Tage, dem 15. August, zeichneten die Höhenzüge derselben, dieser größten Insel des Archipels, auf klarem Horizonte ihre malerischen Linien vom Cap Spada bis zum Cap Stavros hin ab. Eine scharfe Einbiegung der Küste verbarg noch die Bucht, in deren Hintergrund Candia, die Hauptstadt des Landes, gelegen ist.

»Beabsichtigen Sie, Herr Commandant, fragte der Capitän Todros, in einem der Häfen der Insel vor Anker zu gehen?

– Kreta befindet sich noch immer in den Händen der Türken, antwortete Henry d’Albaret, und ich meine, wir haben daselbst nichts zu thun. Den Mittheilungen nach, welche ich unlängst in Syra erhielt, sind die Soldaten Mustapha’s, nachdem sie sich Retimos bemächtigt, trotz der hochlöblichen Tapferkeit der Sphakioten, Herren des ganzen Landes geworden.

– Ja, es sind kühne Leute, diese Bergbewohner, sagte der Capitän Todros, und haben sich schon seit Beginn des Krieges eine weitreichende Achtung erworben, durch ihren Muth…

– Freilich durch ihren Muth… aber auch durch ihre Habgier, antwortete Henry d’Albaret.

Vor kaum zwei Monaten hatten sie das Schicksal Kretas eigentlich in der Hand. Mustapha war mit seinen Leuten nahe daran, vernichtet zu werden, da warfen dessen Soldaten aber auf seinen Befehl Edelsteine, Schmucksachen, kostbare Waffen und Alles, was sie Werthvolles bei sich hatten, vor dem Feinde weg, und während die Sphakioten sich zerstreuten, um diese Gegenstände aufzulesen, konnten die Türken durch den Engpaß flüchten, in dem sie sonst rettungslos hätten, den Untergang finden müssen.

– Das ist in der That recht betrübend, Herr Commandant, doch Alles in Allem sind die Kretenser keine wirklichen Griechen.«

Es darf sich Niemand wundern, den zweiten Officier der »Syphanta«, der von rein hellenischer Abstammung war, eine solche Sprache führen zu hören.

In seinen Augen waren die Kretenser, trotz der Beweise ihrer Vaterlandsliebe doch keine Griechen, und sie sollten das auch bei der endgiltigen Bildung des neuen Königreiches nicht einmal werden. Ebenso wie Samos blieb Kreta zunächst unter der Oberhoheit der Pforte, wenigstens bis zum Jahre 1832, zu welcher Zeit der Sultan gezwungen wurde, alle seine Rechte auf die Insel an Mehemet Ali abzutreten.

Bei der gegenwärtigen Lage der Dinge hatte der Commandant Henry d’Albaret keinerlei Interesse, mit den verschiedenen Häfen Kretas in Verbindung zu treten. Candia war zum Waffenplatz der Aegypter geworden, und von hier aus hatte der Pascha seine wilden Horden nach Griechenland entsendet. Was dann Canea anging, hätte dessen Einwohnerschaft auf Betrieb der ottomanischen Behörden der korfiotischen Flagge, welche am Topp der »Syphanta« wehte, wohl einen üblen Empfang bereiten können. Endlich sah Henry d’Albaret voraus, daß er auch weder in Gira-Petra, noch in Suda oder Cisamos würde Nachrichten erhalten können, die ihm Gelegenheit gegeben hätten, seine Kreuzfahrt durch einen wichtigen Fang zu krönen.

»Nein, sagte er zu dem Capitän Todros, es scheint mir unnütz, die Nordküste zu untersuchen; wohl könnten wir aber die Insel im Nordwesten umschiffen, dann um das Cap Spada segeln und einen oder zwei Tage vor Grabusa kreuzen.«

Damit geschah entschieden das Richtigere. In den übel berüchtigten Gewässern Grabusas mußte sich der »Syphanta« jedenfalls am ehesten eine Gelegenheit bieten, die ihr seit länger als einem Monat versagt geblieben war, nämlich einige Breitseiten auf die Seeräuber des Archipels abzugeben.

Wenn die Sacoleve außerdem, wie sich ja annehmen ließ, nach Kreta gesegelt war, so lag auch die Vermuthung nahe, daß sie im Hafen von Grabusa vor Anker gegangen sein werde, und das war ein weiterer Grund für den Commandanten Henry d’Albaret, alle Zugänge zu diesem Hafen genau in Augenschein zu nehmen und zu durchsuchen.

Zu jener Zeit durfte Grabusa in der That noch als ein wirkliches Seeräubernest gelten. Vor nahe sieben Monaten hatte es keines geringeren Aufgebots, als dessen einer englisch-französischen Flotte und einer Abtheilung regulären griechischen Militärs bedurft, um diesen Schlupfwinkel der schlimmsten Uebelthäter einmal auszuräumen. Was dabei am auffallendsten erschien, war, daß die Behörden der Insel es damals selbst verweigerten, ein Dutzend jener Piraten auszuliefern, welche der Befehlshaber des englischen Geschwaders beanspruchte. Dieser sah sich deshalb genöthigt, gegen die Citadelle das Feuer zu eröffnen, mehrere Schiffe niederzubrennen und selbst eine Landung vorzunehmen, um Satisfaction zu erhalten.

Die Vermuthung war also eine sehr natürliche, daß die Piraten nach dem Abzug des verbündeten Geschwaders mit Vorliebe wieder nach Grabusa geflüchtet waren, da sie hier so unerwartete Unterstützung gefunden hatten. Henry d’Albaret entschied sich deshalb auch dahin, nach Scarpanto längs der Südküste von Kreta zu segeln, um auf diese Weise bei Grabusa vorbeizukommen. Er gab also seine diesbezüglichen Befehle und der Capitän Todros beeilte sich, diese ausführen zu lassen. Die Witterung gestaltete sich ganz nach Wunsch. Uebrigens bildet unter diesem glücklichen Klima der December den Anfang des Winters und der Januar schon dessen Ende. Welche bevorzugte Insel, dieses Kreta, das Vaterland des Minos und des alten Ingenieurs Dädalus! Hierher sandte Hyppokrates auch seine zahlreiche Kundschaft aus Griechenland, das er durchstreifte, indem er die Kunst, Kranke zu heilen, lehrte.

Mit den Segeln so dicht wie möglich am Winde, lavirte die »Syphanta« in der Weise, um in größter Nähe das Cap Spada zu umschiffen, das sich am Ende der großen, zwischen der Bai von Canea und der von Kisamo vorspringenden Landzunge befindet. Gegen Abend kam das Schiff an derselben vorüber. Während der Nacht – einer jener so lichthellen Nächte des Morgenlandes – umsegelte die Corvette den äußersten Punkt der Insel. Ein Umlegen der Segel mit dem Winde von vorn genügte, dieselbe wieder in die Richtung nach Süden zu drängen, und am Morgen glitt sie unter vermindertem Segelwerk in kurzer Entfernung vor der Einfahrt nach Grabusa hin.

Sechs volle Tage beschäftigte sich der Commandant Henry d’Albaret mit Beobachtung der Westküste zwischen Grabusa und Kisamo. Mehrere Fahrzeuge, Feluquen oder Schebecs, welche friedlichem Handel dienten, verließen den Hafen. Die »Syphanta« sprach einige derselben an, hatte aber keine Ursache, bei ihren Antworten irgend welchen Verdacht zu schöpfen. Auf die an sie gerichteten Fragen wegen der Seeräuber, die in Grabusa etwa Unterkunft gesucht haben könnten, zeigten sie sich dagegen sehr zurückhaltend. Man erkannte leicht, daß sie sich zu compromittiren fürchteten. Henry d’Albaret konnte nicht einmal genau erfahren, ob die Sacoleve »Karysta« sich augenblicklich im Hafen daselbst befand.

Die Corvette erweiterte nun ihr Beobachtungsfeld. Sie untersuchte die Umgegend zwischen Grabusa und dem Cap Erlo. Dann umsegelte sie unter günstiger Brise, welche während des Tages auffrischte und mit einbrechender Nacht abflaute, jenes Cap und begann eine Fahrt in möglichster Nähe vom Ufer des Lybischen Meeres, welches eine weit leichtere Seefahrt bietet und weniger von Vorgebirgen und Landspitzen zerschnitten und durchbrochen ist, als das auf der entgegengesetzten Seite liegende Meer von Kreta. Am nördlichen Horizonte stieg nun die gewaltige Kette der Asprovuna-Berge empor, welche nach Osten zu von dem poetischen Berge Ida überragt wird, dessen ewige Schneefelder selbst der glühenden Sonne des Archipels widerstehen.

Ohne in einen der kleinen Häfen der Küste einzulaufen, machte die Corvette doch mehrmals, etwa je eine halbe Meile von Rumeli, Anipoli und Sphakia Halt; die Wachtposten an Bord konnten jedoch niemals von einem einzigen Seeräuberfahrzeuge in den Gewässern der Insel etwas melden.

Nachdem sie den Linien der großen Bai von Massara gefolgt, umschiffte die »Syphanta« am 27. August das Cap Matala, die südlichste Spitze von Kreta, deren Breite an dieser Stelle nicht mehr als zehn bis elf Lieues beträgt.

Es hatte nicht den Anschein, als sollte diese Untersuchung auch nur das geringste Resultat herbeiführen. Gewöhnlich begegnet man nur sehr wenigen Schiffen in dieser Breite des Lybischen Meeres. Sie halten ihren Curs entweder mehr im Norden oder im Süden des Archipels, indem sie sich den Küsten Aegyptens nähern. Hier traf man weiter nichts, als vereinzelte, nahe den Felsen verankerte Fischerboote, oder von Zeit zu Zeit höchstens einige jener langen Barken, die mit Seeschnecken beladen waren, das heißt mit einer Molluskenart, welche auf allen Inseln dieser Gegend einen sehr umfangreichen Handelsartikel bildet.

Wenn die Corvette nun in dem vom Cap Matala abgeschlossenen Theil des Gestades nichts gefunden hatte, wo die zahlreichen Eilande so viele kleinere Fahrzeuge verbergen können, war auch kaum anzunehmen, daß sie in dem zweiten Theile der südlichen Küste mehr begünstigt sein würde. Henry d’Albaret entschied sich deshalb dafür, direct auf Scarpanto zuzusteuern, wenn er damit dort auch etwas eher eintraf, als der geheimnißvolle Brief bestimmt hatte. Da sollte sein Vorhaben am Abend des 29. August plötzlich eine Aenderung erleiden.

Es war um sechs Uhr. Der Commandant, der Capitän und einige Officiere befanden sich auf dem Hintercastell und lugten nach dem Cap Matala aus. Da ließ sich die Stimme eines Mastwächters, der auf der kleinen Bramstange saß, vernehmen.

»Vor Backbord ein Schiff in Sicht!«

Die Fernrohre wurden sofort nach dem bezeichneten, nur einige Meilen vor der Corvette zu sehenden Punkt gerichtet.

»Wahrhaftig, sagte der Commandant Henry d’Albaret, da ist ein Schiff, welches sehr dicht am Lande hinsegelt…

– Und welches das Fahrwasser sehr genau kennen muß, da es sich so nahe an’s Ufer heranwagt, setzte der Capitän Todros hinzu.

– Hat es eine Flagge gehißt?

– Nein, Herr Commandant, antwortete einer der Officiere.

– Beauftragen Sie die Mastwächter, womöglich klar zu stellen, welcher Nationalität jenes Schiff angehört!«

Sein Befehl wurde ausgeführt. Einige Augenblicke später schallte die Antwort herab, daß keine Flagge und kein Wimpel weder an der Gaffelspitze des Fahrzeugs, noch am Top seiner Masten wahrzunehmen sei.

Dagegen war es augenblicklich eben noch hell genug, um, wenn nicht dessen Nationalität, so doch die Größe und Classe des Schiffes zu erkennen.

Es war eine Brigg, deren Großmast eine sehr auffallende Neigung nach rückwärts zeigte. Außerordentlich lang, von sehr feingeschnittener Gestalt, versehen mit besonders hohen Masten und weit ausragenden Raaen, konnte dieselbe, so viel das bei der ziemlich bedeutenden Entfernung abzuschätzen war, wohl einen Gehalt von sieben- bis achthundert Tonnen haben und mußte unter jedem Winde außerordentlich schnell laufen können. Dagegen war trotz Anwendung der besten Fernrohre weder zu unterscheiden, ob das Fahrzeug als Kriegsschiff ausgerüstet war, ob es Kanonen auf dem Verdeck führte, oder Stückpforten, deren Läden ja geschlossen sein konnten, an den Längsseiten hatte.

Jetzt trennte in der That noch eine Strecke von vier Seemeilen die Brigg von der Corvette; außerdem begann es, da die Sonne allmählich hinter den Höhen von Asprovuna versank, langsam zu dämmern; in der Nähe des Landes war es bereits ziemlich dunkel.

»Ein eigenthümliches Schiff! bemerkte der Capitän Todros.

– Man möchte fast annehmen, es suche zwischen der Insel Platana und dem Lande hindurch zu kommen, ließ sich einer der Officiere vernehmen.

– Ja, wie ein Schiff, welches es bereut, sich gezeigt zu haben, meinte der zweite Officier, und das nun bestrebt ist, sich zu verbergen!«

Henry d’Albaret äußerte dazu kein Wort, offenbar theilte er aber die Ansichten seiner Officiere. Die Manövers der Brigg mußten ihm ja, so weit er sie erkennen konnte, gleichfalls höchst verdächtig erscheinen.

»Capitän Todros, begann er endlich, es ist von Wichtigkeit, während der Nacht die Spur dieses Fahrzeuges nicht aus den Augen zu verlieren. Wir wollen darauf achten, bis Tagesanbruch stets in dessen Kielwasser zu bleiben. Da es aber darauf ankommt, daß wir unbemerkt bleiben, so lassen Sie alle Lichter löschen.«

Der zweite Officier ertheilte die diesbezüglichen Befehle. Man fuhr fort, die Brigg zu beobachten, so weit sie unter dem Schutze des hohen Landes zu erkennen war. Als die Nacht weiter herabsank, verschwand sie vollständig, und kein Licht derselben gestattete ferner ihre Lage zu bestimmen.

Am folgenden Morgen befand sich Henry d’Albaret schon beim ersten Tagesgrauen auf dem Vordertheile der Corvette »Syphanta«, in der Erwartung, daß der auf dem Wasser lagernde Dunst sich zerstreuen sollte.

Gegen sieben Uhr erst verschwand der Nebelschleier und alle Fernrohre richteten sich sofort nach Osten.

Die Brigg befand sich noch immer nahe am Lande, auf der Höhe des Caps Alikaporitha, etwa sechs Seemeilen vor der Corvette. Sie hatte während der Nacht also offenbar an Weg gewonnen und ohne daß sie dabei ihre Segeloberfläche vergrößert hatte, denn sie trug noch immer nur die Ober- und Unterbramsegel und die Gaffelsegel am Besan, während Großsegel, Focksegel und Klüverjäger vor wie nach eingebunden lagen.

»Das erscheint freilich nicht wie die Gangart eines Schiffes, welches zu entfliehen sucht, bemerkte der zweite Officier.

– Thut nichts! erwiderte der Commandant. Unsere Aufgabe bleibt es dennoch, dasselbe näher in Augenschein zu nehmen. Lassen Sie direct auf die Brigg zuhalten, Capitän Todros!«

Sofort wurden auf ein Pfeifensignal des Oberbootsmanns die höchsten Segel gehißt, und die Corvette gewann bedeutend an Fahrgeschwindigkeit.

Der Brigg lag aber jedenfalls daran, die vorherige Distanz beizubehalten, denn sie setzte jetzt als Antwort Fock- und Stagsegel bei, aber nichts weiter. Wenn sie die »Syphanta« nicht näher an sich herankommen lassen wollte, so schien sie doch auch nicht darauf auszugehen, diese allzuweit hinter sich zu lassen. Immer hielt sie sich dabei im Fahrwasser der Küste, indem sie der letzteren so nahe als möglich schnell dahin glitt.

Um zehn Uhr Vormittags hatte die Corvette, welche vielleicht durch besseren Segelwind begünstigt wurde, wenn das unbekannte Fahrzeug sie nicht absichtlich ein wenig näher hatte herankommen lassen, wohl vier Seemeilen Wegs gegenüber dem letzteren gewonnen.

Man konnte dasselbe jetzt bequem näher besichtigen. Es trug gegen zwanzig Karonaden und mußte auch ein Zwischendeck haben, obgleich es nur wenig über die Wasserfläche emporragte.

»Die Flagge zeigen!« befahl Henry d’Albaret.

Die Flagge wurde am Ende der Gaffel aufgezogen und zur Erregung größerer Aufmerksamkeit mit einem Kanonenschusse begleitet.

Das bedeutete, daß die Corvette auch die Nationalität des in Sicht befindlichen Schiffes kennen zu lernen wünsche. Auf dieses Signal erfolgte jedoch keine Antwort. Die Brigg veränderte weder ihre Richtung noch ihre Schnelligkeit, drehte aber bald um einen Viertelstrich bei, um die Bai von Keraton zu umsegeln.

»Besonders höflich ist der Bursche nicht! meinten die Matrosen.

– Aber vielleicht klug und weise, ließ sich ein alter Mastwächter vernehmen. Sein so schräg liegender Hauptmast gibt ihm das Ansehen, als hätte er den Hut schief auf dem Ohre sitzen und wollte denselben dadurch, daß er die Leute grüßt, nicht unnöthig abnützen.«

Aus einer der Jagdstückpforten der Corvette donnerte noch ein Kanonenschuß – vergeblich. Die Brigg ließ keine Flagge aufsteigen und setzte ruhig ihren Weg fort, ohne sich um die Aufforderungen der Corvette, welche für sie gar nicht vorhanden zu sein schien, im geringsten zu kümmern.

Jetzt begann nun zwischen den beiden Fahrzeugen eine wirkliche Hetzjagd. An Bord der »Syphanta« war an und zwischen den Masten, am Bugspriet wie am Klüverbaume alles Segelwerk angebracht worden, welches sie nur gleichzeitig führen konnte. Da setzte aber auch die Brigg mehr Leinwand bei und behielt damit ihren Vorsprung unvermindert fort.

»Die hat entschieden eine Teufelsmaschine im Leibe!« rief der alte Mastwächter.

Allmählich entwickelte sich an Bord der Corvette eine wahrhaft wüthende Stimmung, nicht allein bei der Mannschaft, sondern auch bei den Officieren, und mehr als bei allen Uebrigen bei dem ungeduldigen Todros. Bei Gott! Er hätte gern seinen Prisenantheil darum gegeben, wenn er diese Brigg, mochte sie nun sonst welcher Nationalität angehören, hätte ansegeln können.

Die »Syphanta« war am Vordertheile mit einem besonders langen Geschütz bewaffnet, das eine Vollkugel von dreißig Pfund wohl bis auf eine Entfernung von nahezu zwei Seemeilen schleudern konnte.

Ruhig – wenigstens dem äußeren Anscheine nach – gab der Commandant Henry d’Albaret Befehl, scharf zu feuern.

Der Schuß krachte, die Kugel schlug aber nach wiederholtem Ricochettiren etwa zwanzig Faden vor der Brigg ein.

Als einzige Antwort zog dieselbe einige weitere Segel auf, und hatte bald die, sie von der »Syphanta« trennende Entfernung erweitert.

Es war gewiß für einen so vorzüglichen Segler wie die »Syphanta« höchst demüthigend, sowohl auf die Einholung der Brigg, wie auf die wirksame Beschießung derselben zu verzichten.

Inzwischen brach wiederum die Nacht herein. Die Corvette befand sich jetzt nahezu auf der Höhe des Caps Peristera. Der Wind frischte auf, und das so bedeutend, daß es sich nöthig machte, Reefe einzusetzen, um für die Nacht eine geeignetere Segelfläche herzustellen.

Der Commandant befreundete sich schon mit dem Gedanken, daß er bei anbrechendem Tage nichts mehr von dem Schiffe sehen werde, nicht einmal dessen Mastspitzen, die ihm entweder der östliche Horizont oder ein Vorsprung der Küste verbergen würde.

Er täuschte sich.

Bei Sonnenaufgang war die Brigg noch immer in Sicht, segelte ebenso wie vorher und hatte dieselbe Entfernung beibehalten. Man hätte fast sagen können, sie regulire ihre Geschwindigkeit ganz nach der der Corvette.

»Wenn sie uns im Schlepptau hätte, äußerte Einer auf dem Vorderdecke, so wär‘ es ganz dasselbe!«

Der Mann hatte völlig Recht.

In diesem Augenblicke umschiffte die Brigg, nachdem sie in dem Canal Kuphonisi zwischen der gleichnamigen Insel und dem Lande eingelaufen, die Spitze von Kakiatithi, um nach der Ostseite von Kreta zu gelangen.

Es war dabei nicht vorherzusagen, ob sie hier in einen Hafen flüchten oder in einer Vertiefung des engen Canals werde verschwinden wollen.

Auch das war nicht der Fall. Gegen sieben Uhr Morgens steuerte die Brigg ganz frei nach Südosten und wandte sich damit nach dem offenen Meere.

»Sollte sie gar nach Scarpanto segeln?« fragte sich Henry d’Albaret etwas verwundert.

Und bei einer allmählich so weit auffrischenden Brise, daß ein Theil der Takelage dabei zu brechen drohte, setzte er diese Verfolgung ohne Ende fort, welche ebenso das Interesse seiner Mission, wie die Ehre seines Schiffes ihm aufzugeben nicht gestattete.

Hier in diesem Theile des Archipels, der nach allen Windrosen hin offen lag, inmitten der ausgedehnten Meeresfläche, auf deren Luftbewegungen die Bergkämme keinen weiteren hindernden Einfluß äußerten, schien die »Syphanta« gegenüber der Brigg einigen Vorsprung zu gewinnen.

Gegen ein Uhr Mittags war die Entfernung zwischen den beiden Fahrzeugen bis auf drei Seemeilen vermindert. Auch jetzt wurden einige Vollkugeln abgefeuert, konnten ihr Ziel aber nicht erreichen und brachten in der Bewegung der Brigg keinerlei Aenderung hervor.

Schon schimmerten hinter der kleinen Insel Caso die Höhen von Scarpanto am Horizonte. Die erstere hängt gewissermaßen an der letzteren, ebenso wie Sicilien an Italien hängt.

Der Commandant Henry d’Albaret, seine Officiere und Mannschaften konnten nun endlich hoffen, nähere Bekanntschaft zu machen mit diesem geheimnißvollen Schiffe, welches so unhöflich war, weder auf Signale noch auf Geschosse zu antworten.

Als der Wind aber gegen fünf Uhr Abends wieder abflaute, gewann auch die Brigg den früheren Vorsprung wieder.

»Ah, der Schurke!… Der Teufel ist mit dem Kerl im Bunde!.. Er wird uns doch entwischen!« rief der Capitän Todros.

Alles, was ein erfahrener Seemann irgend nur thun kann, um die Fahrtschnelligkeit zu steigern, geschah nun sofort. So wurden die Segel benetzt, um deren Gewebe dichter zusammen zu ziehen, die Hängematten in den Wind gebracht u. s. w. Das hatte auch einigen Erfolg. Gegen sieben Uhr Abends, kurz nach Sonnenuntergang, trennten höchstens noch zwei Seemeilen die feindlichen Schiffe.

Unter diesen Breiten tritt die Nacht aber sehr schnell ein. Die Dämmerung ist nur von kurzer Dauer. Die Schnelligkeit der Corvette mußte also unbedingt noch gesteigert werden, um die Brigg vor Einbruch völliger Nacht zu erreichen.

In diesem Augenblicke passirte die Letztere zwischen dem Eilande Caso-Poulo und der Insel Casos hindurch. Als sie dann um die Letztere wendete und nach der engen Fahrstraße segelte, welche dieselbe von Scarpanto trennt, konnte man sie überhaupt nicht mehr sehen.

Eine halbe Stunde später gelangte die »Syphanta« nach der nämlichen Stelle und hielt sich immer sehr weit vom Strande, um guten Segelwind zu behalten. Noch war es hell genug, um ein Schiff von solcher Größe auf die Entfernung einiger Seemeilen wenigstens wahrnehmen zu können…

Die Brigg war vollständig verschwunden.