Einundzwanzigstes Capitel.

Das einzige der vier Fenster, welches nach dem Hofe ging und dessen Läden man nicht geschlossen hatte, war dasjenige, welches sich am Ende des Vorraumes befand. Um aber durch die mit einer dicken Eiskruste bedeckten Scheiben sehen zu können, mußte man dieselben vorher mit siedendem Wasser abwaschen. Das wurde auch auf des Lieutenants Befehl mehrere Male des Tages vorgenommen, und wenn man dann die Umgebung des Cap Bathurst in’s Auge faßte, beobachtete man auch gleichzeitig den Zustand des Himmels und den Stand des draußen angebrachten Thermometers.

Am 6. Januar, gegen elf Uhr Morgens, rief da der Soldat Kellet, der gerade mit der Beobachtung betraut war, schnell den Sergeanten und zeigte auf unerkennbare Massen, die sich im Schatten durcheinander bewegten.

Sergeant Long, der sich dem Fenster genähert hatte, sagte einfach: »Das sind Baren!«

Wirklich waren ein halbes Dutzend solcher Thiere in den mit Palissaden umschlossenen Raum eingebrochen und drangen, von dem Gerüche des Rauches angelockt, gegen das Haus vor.

Jasper Hobson gab, sobald er von der Anwesenheit dieser furchtbaren Raubthiere unterrichtet war, den Befehl, das Fenster des Vorzimmers von Innen zu verbarrikadiren. Es bot dieses den einzig gangbaren Zugang, und war nur diese Oeffnung verschlossen, so schien es unmöglich, daß die Bären bis in das Haus dringen könnten. Das Fenster wurde demnach mit dicken Balken, die der Zimmermann Mac Nap nach Möglichkeit einpaßte, so verschlossen, daß eine enge Oeffnung blieb, durch welche man das Benehmen der unbequemen Gäste zu beobachten vermochte.

»Nun, sagte der Meister Zimmermann, sollen die Herren ohne unsere Erlaubniß nicht eintreten. Wir haben also Zeit, Kriegsrath zu halten.

– Nicht wahr, Herr Hobson, meinte Mrs. Paulina Barnett, nun wird unserer Ueberwinterung Nichts gefehlt haben; nach dem Froste die Bären!

– Nein, nicht «nach», antwortete Lieutenant Hobson, sondern, was viel mehr in’s Gewicht fällt, «während» des Frostes, und das eines Frostes, der uns einen Ausfall unmöglich macht. Ich weiß wirklich kaum, wie wir uns von diesen Bestien befreien sollen.

– Ich denke, sie sollen die Geduld verlieren, entgegnete die Reisende, und dann werden sie wieder davon gehen, wie sie gekommen sind.«

Jasper Hobson schüttelte den Kopf, als ob er nicht ganz überzeugt sei.

»Sie kennen diese Thiere nicht, Madame, erwiderte er. Der strenge Winter hat sie hungerig gemacht, und wenn man sie nicht dazu zwingt, werden sie den Platz nicht räumen.

– Sind Sie darüber unruhig, Herr Hobson? fragte Mrs. Paulina Barnett.

– Ja und nein, antwortete Lieutenant Hobson, ich weiß wohl, daß diese Bären nicht bis in das Haus kommen werden, aber ich weiß auch nicht, wie wir hinaus kommen sollen, wenn das einmal nöthig würde!«

Jasper Hobson kehrte wieder zum Fenster zurück. Unterdessen hatte Mrs. Paulina Barnett und die anderen Frauen den Sergeant Long umringt und lauschten dem braven Soldaten, der die »Frage von den Bären« wie ein Mann von Erfahrung abhandelte. Oft hatte Sergeant Long mit diesem Gesindel, dem man häufig selbst in südlicheren Gebieten begegnet, zu thun gehabt, aber immer unter Bedingungen, die es gestatteten, dasselbe mit Aussicht auf Erfolg anzugreifen; hier aber waren die Belagerten blokirt und überdies verhinderte der Frost jeden Ausfall.

Den ganzen Tag lang überwachte man aufmerksam das Hin- und Herlaufen der Bären. Von Zeit zu Zeit kam Einer oder der Andere näher an das Fenster, so daß sein dumpfes, zorniges Brummen zu hören war.

Lieutenant Hobson und der Sergeant hielten Rath und beschlossen, daß man, wenn die Bären den Platz nicht verlassen sollten, einige Schießscharten in den Mauern des Hauses anbringen wollte, um sie mit Flintenschüssen zu vertreiben. Doch kam man auch überein, ein bis zwei Tage zu warten, denn Lieutenant Hobson scheute sich, zwischen der freien Luft und der schon so niedrigen des Zimmers eine directe Verbindung herzustellen.

Das Walroßfett, welches man in die Oefen einführte, war schon zu so festen Stücken gefroren, daß man es mit der Axt zerkleinern mußte.

Der Tag verlief ohne weitere Zufälle. Die Bären kamen und gingen, liefen rund um das Haus, versuchten aber keinen directen Angriff. Man wachte die ganze Nacht, und gegen vier Uhr Morgens konnte man glauben, daß die Angreifer den Hof verlassen hätten, wenigstens zeigten sie sich nirgends. Um sieben Uhr hatte sich Marbre nach dem Boden verfügt, um einige Provisionen zu holen, kam aber sogleich zurück, da die Bären auf dem Dache des Hauses umher marschirten.

Jasper Hobson, der Sergeant, Mac Nap und zwei oder drei andere Soldaten ergriffen ihre Waffen und stürzten auf die Treppe im Vorräume, die mittels einer Fallthüre mit dem Boden in Verbindung stand. In diesem Bodenräume war aber eine derartige Kälte, daß Lieutenant Hobson und seine Genossen schon nach wenig Minuten den Lauf ihrer Flinten nicht mehr mit der Hand anfassen konnten. Die durch ihre Respiration erzeugte feuchte Luft fiel rings um sie als Schnee nieder.

Marbre hatte sich nicht getäuscht, die Bären hatten das Dach des Hauses erstiegen. Man hörte sie laufen und brummen. Manchmal schlugen sie mit den Tatzen durch die Eiskruste und kratzten an den Planken des Daches, dessen Durchbrechen man bei der Kraft dieser Thiere wohl befürchten mußte.

Der Lieutenant und seine Leute, welche die unerträgliche Kälte fast betäubte, stiegen wieder hinab. Jasper Hobson berichtete die Sachlage.

»Augenblicklich«, sagte er, »sind die Bären auf dem Dache. Das ist ein böser Umstand. Dennoch haben wir deshalb noch Nichts für uns zu fürchten. Denn in die Zimmer werden die Thiere nicht eindringen können. Zu fürchten ist jedoch, daß sie in den Dachboden gelangen und die Felle auffressen, welche dort aufgespeichert sind. Diese Waaren gehören aber der Compagnie, und unsere Pflicht ist, sie unversehrt zu erhalten. Ich erwarte also von Euch, meine Freunde, daß Ihr mir helft, dieselben in Sicherheit zu bringen.«

Sofort theilten sich alle Begleiter des Lieutenants in kleine Trupps, die Einen im Saale, die Anderen in der Küche, in dem Vorzimmer, auf der Treppe, und zwei oder drei, die sich ablösten – denn unausgesetzt hätte Niemand diese Arbeit ertragen –, trotzten der Kälte des Bodenraumes, und in weniger als einer Stunde waren die gesammten Pelzwaaren in dem Saale selbst untergebracht.

Während dieser Operation setzten die Bären ihre Versuche fort und suchten die Dachsparren abzuheben. An einigen Stellen sah man, wie sich die Bretter unter ihrer Last bogen. Meister Mac Nap war sehr unruhig darüber. Bei der Construction des Daches hatte er auf eine solche Belastung freilich nicht gerechnet, und er fürchtete, daß es dieselbe nicht aushalten würde. Der Tag verging indessen, ohne daß die Angreifer in den Bodenraum eingedrungen wären. Aber ein nicht minder furchtbarer Feind drang nach und nach in die Räume ein – die Kälte. Die Feuer in den Oefen ließen nach. Der Vorrath an Brennmaterial war fast erschöpft. Noch vor Verlauf von zwölf Stunden mußte das letzte Stückchen Holz verzehrt sein und der Ofen verlöschen.

Das war aber gleich mit dem Tode, dem furchtbarsten, dem Tode durch den Frost. Schon umringten die armen Menschen, dicht an einander gedrückt, den erkaltenden Ofen und fühlten, wie auch ihre eigene Wärme allmälig verschwand. Und doch beklagten sie sich nicht. Selbst die Frauen ertrugen diese Qualen wie Helden. Krampfhaft drückte Mrs. Mac Nap ihr kleines Kind an die kalte Brust. Einige der Soldaten schliefen, oder träumten vielmehr in düsterer Betäubung, die kein Schlaf zu nennen war.

Um drei Uhr Morgens sah Jasper Hobson nach dem im Inneren des großen Saales an der Mauer und zehn Fuß vom Ofen angebrachten Thermometer – dieser zeigte 20° unter Null.

Der Lieutenant preßte seine Hände vor die Stirn und blickte auf seine Begleiter, welche eine gedrängte und schweigende Gruppe bildeten; so verharrte er einige Augenblicke unbeweglich. Der halb niedergeschlagene Dunst seines Athems umgab ihn mit einer weißen Wolke.

Da legte sich eine Hand auf seine Schulter; schnell wendete er sich um. Mrs. Paulina Barnett stand vor ihm.

»Etwas muß nun geschehen, Herr Lieutenant, sagte die energische Frau, ohne uns zu wehren, können wir so nicht sterben!

– Ja, antwortete der Lieutenant, der auch in sich die moralische Energie wieder erwachen fühlte, Etwas muß nun geschehen!«

Der Lieutenant rief den Sergeant Long, Mac Nap und Raë, den Schmied, d.h. die muthigsten Männer seiner Gesellschaft. Begleitet von Mrs. Paulina Barnett begaben sie sich nach dem Fenster, und dort befragten sie durch die mit siedendem Wasser abgewaschenen Scheiben das draußen befindliche Thermometer.

»Vierzig Grad unter Null, rief Hobson. – Meine Freunde, jetzt haben wir nur zwischen zwei Wegen zu wählen: entweder wir setzen unser Leben daran, um neues Brennmaterial zu holen, oder wir verbrennen die Bänke, Bettstellen, Scheidewände, überhaupt Alles, was aus diesem Hause unsere Oefen ernähren kann. Das ist aber ein äußerstes Hilfsmittel, denn die Kälte kann noch länger andauern, und jetzt läßt noch Nichts einen Witterungswechsel voraussehen.

– Wir wagen das Erstere!« antwortete Sergeant Long.

Seine beiden Kameraden waren derselben Meinung.

Kein weiteres Wort wurde gewechselt, und Jedermann machte sich demgemäß an’s Werk.

Um das Leben Derjenigen, welche sich für das Allgemeine aufopferten, möglichst zu schützen, beschloß man folgende Maßregeln zu ergreifen.

Der Schuppen, welcher das Holz enthielt, befand sich etwa fünfzig Fuß hinter dem Hauptgebäude zur Linken. Einer der Männer sollte diesen Schuppen im Laufen zu erreichen suchen. Um seinen Leib sollte ein langer Strick geschlungen werden, an dem noch ein anderer angeschlossen war, dessen Ende von den Händen seiner Genossen gehalten wurde. War er einmal in dem Schuppen angekommen, so sollte er auf einen der in dem Schuppen untergebrachten Schlitten eine Ladung Holz werfen, dann das Ende des einen Strickes an das Vordertheil des Schlittens befestigen, um diesen bis an das Haus heran ziehen zu können, während er das andere Ende an dem Hintertheil anbrachte, um das Gefährt an demselben wieder nach dem Schuppen zurück zu ziehen. Damit wäre eine Verbindung zwischen Haus und Schuppen hergestellt gewesen, mittelst der man ohne große Gefahr genügend Holzvorräthe heranlootsen konnte. Ein Zug an dem einen oder dem anderen Ende des Seiles sollte anzeigen, ob der Schlitten entweder in der Remise beladen, oder in dem Hause entladen wäre.

Der Plan war ganz klug erdacht, doch an zwei Umständen konnte er scheitern. Einmal konnte die von Eis verstopfte Thüre des Schuppens zu schwierig zu öffnen sein, und dann war auch zu befürchten, daß die Bären das Dach verlassen und im Hofe umher streifen könnten.

Sergeant Long, Mac Nap und Raë erboten sich alle drei zu dem Wagstück. Der Sergeant bemerkte aber, daß seine beiden Kameraden verheiratet wären, und bestand darauf, persönlich den Versuch zu machen. Zu dem Lieutenant, der auch das Abenteuer bestehen wollte, sagte Mrs. Barnett:

»Herr Jasper, Sie sind unser Chef, Ihr Leben ist uns nöthig und Sie haben kein Recht, es auf das Spiel zu setzen. Herr Jasper, lassen Sie den Sergeant Long gewähren.«

Jasper Hobson begriff die Pflichten, welche die Sachlage ihm auferlegte, und zur Entscheidung zwischen den Anderen berufen, entschied er für Sergeant Long. Mrs. Paulina Barnett drückte dem braven Long die Hand.

Die anderen Bewohner des Forts schenkten, da sie eingeschlafen oder halb erstarrt waren, dem Versuche, den man eben zu machen im Begriff war, keinerlei Aufmerksamkeit.

Zwei lange Seile wurden zurecht gemacht, das eine wickelte der Sergeant um seinen Körper, über die dicken Pelze, mit welchen er bekleidet war und in denen er einen Werth von mehreren tausend Pfund Sterling auf dem Rücken trug. Das andere befestigte er an den Gürtel, an dem auch ein Seitengewehr und ein Revolver hing. Bevor er sich an sein Wagniß begab, trank er noch ein halbes Maaß Branntwein, was er »einen guten Schluck Brennmaterial zu sich nehmen« nannte.

Jasper Hobson, Long, Raë und Mac Nap verließen hierauf den allgemeinen Saal. Sie gingen durch die Küche, deren Ofen ebenfalls dem Verlöschen nahe war, und gelangten in den Corridor. Von dort aus öffnete Raë die Fallthüre zum Bodenraume und überzeugte sich, daß die Bären noch immer auf dem Dache waren. Jetzt galt es also zu handeln.

Die innere Thüre des Vorraumes wurde geöffnet. Jasper Hobson und seine Genossen fühlten, wie ihnen trotz der dicken Pelze die Kälte bis in’s Mark drang. Dann stießen sie die äußere Thüre, welche direct nach dem Hofe führte, auf – dem Ersticken nahe taumelten sie einige Schritte zurück. Sofort condensirte sich der im Vorzimmer noch befindliche Wasserdunst, und feiner Schnee fiel rings an den Wänden nieder.

Draußen war das Wetter außerordentlich trocken und die Sterne blitzten in ungewöhnlichem Glanze.

Ohne einen Augenblick zu zaudern, begab sich Sergeant Long in die Dunkelheit hinaus und zog im Laufen das eine Ende des Seiles mit, dessen anderes in den Händen seiner Gefährten verblieb. Hierauf wurde die äußere Thüre gegen das Simswerk zurück geschlagen und Jasper Hobson trat einstweilen mit den Uebrigen in den Gang zurück, dessen zweite Thüre sie möglichst hermetisch verschlossen. Dann warteten sie. Kam Long nicht schon in den ersten Minuten zurück, so durften sie annehmen, daß sein Vorhaben geglückt sei, daß er in den Schuppen gelangt und dort die erste Ladung Holz zurecht mache. Zehn Minuten durften hierzu wohl hinreichen, wenn ihm sonst gelungen war, die Thüre des Magazins zu öffnen.

Die Männer zogen sich also abwartend vor der Kälte möglichst zurück, während Raë den Bodenraum und die Bären im Auge behielt. Bei der finsteren Nacht war zu hoffen, daß Letzteren der schnell über den Hof eilende Sergeant entronnen wäre.

Zehn Minuten nach Long’s Weggang traten Jasper Hobson, Mac Nap und Raë wieder in den Vorraum zwischen den beiden Thüren, um das Signal, den Schlitten heranzuziehen, zu erwarten.

Noch fünf Minuten verstrichen; das Seil, dessen Ende sie in der Hand hielten, blieb unbeweglich. Wer malt sich ihre Angst aus! Schon seit einer Viertelstunde war der Sergeant hinaus gegangen, eine Zeit, die mehr als hinreichend war, den Schlitten einmal zu beladen, und noch hatte er kein Zeichen gegeben.

Noch einige Augenblicke wartete Jasper Hobson, da holte er das Ende des Seiles heran und bedeutete seine Leute, mit daran zu ziehen.

War die Holzladung noch immer nicht fertig, so würde der Sergeant schon ihrem Zuge Widerstand zu leisten wissen.

Beim kräftigen Anziehen bewegte sich ein schwerer Gegenstand gleitend über den Boden. In wenig Augenblicken kam derselbe bis zur äußeren Thür… es war der Körper des Sergeanten, den sie am Gürtel herangezogen hatten. Der unglückliche Long hatte den Schuppen gar nicht erreicht, sondern war unterwegs wie vom Blitz getroffen zusammengestürzt. Da er gegen zwanzig Minuten dieser wahrhaft unerträglichen Temperatur ausgesetzt gewesen war, mußte man fürchten, nur seinen Leichnam gerettet zu haben.

Mac Nap und Raë stießen einen Schrei des Entsetzens aus und schleppten den Körper in den Corridor; als aber der Lieutenant eben die äußere Thüre wieder schließen wollte, fühlte er, wie sie mächtig zurückgestoßen wurde. Zugleich ließ sich ein schreckliches Brummen vernehmen.

»Zu Hilfe!« rief Jasper Hobson.

Mac Nap und Raë eilten zu ihm hin; noch eine andere Person kam ihnen zuvor, das war Mrs. Paulina Barnett, welche ihre Kräfte mit denen des Lieutenants vereinigte, um die Thüre zu schließen. Das schreckliche Thier legte sich aber mit der ganzen Wucht seines Körpers dagegen, drückte sie langsam zurück und wäre offenbar in den Gang eingedrungen…

Da ergriff Mrs. Paulina Barnett eine der Pistolen, welche in Jasper Hobson’s Gürtel staken, wartete kaltblütig den Augenblick ab, bis sich der Kopf des Thieres zwischen Thür und Pfoste zeigte, und schoß demselben geschickt in den schon geöffneten Rachen.

Der Bär fiel rückwärts nieder; die Thüre, wurde schnell geschlossen und durch Barrikaden bestens verwahrt.

Sofort wurde jetzt der Körper des Sergeanten nach dem Saale geschafft und dort nahe dem Ofen hingestreckt. Doch schon verloschen die letzten Kohlen! Wie sollte man nun den Bedauernswerthen zum Leben zurückrufen, von dem kein Anzeichen mehr vorhanden zu sein schien?

»Ich, ich werde gehen, rief da der Schmied Raë, ich hole Holz, oder…

– Ja, Raë, ließ sich da eine Stimme neben ihm vernehmen, wir gehen zusammen!«

Die muthige Frau war es, welche also sprach.

»Nein, meine Freunde, nein! fiel da Jasper Hobson ein, Ihr entgingt weder der Kälte, noch den Bären. Jetzt wollen wir Alles verbrennen, was hier brennen kann, und dann helfe uns Gott!«

Sofort machten sich die armen halb Erfrorenen, mit der Axt in der Hand, alle an’s Werk, um Tische und Bänke, Zwischenwände und alles nur Mögliche zu demoliren, zu zerbrechen und in Stücke zu zerschlagen. Bald loderte denn auch in dem Stuben- und dem Küchenofen ein lustiges Feuer, welches durch eine Zugabe von Walroßfett noch lebhafter gemacht wurde. Die Temperatur des Raumes stieg dabei etwa um ein Dutzend Grade.

Jetzt verwendete man auch jede Sorgfalt auf Long, der mit warmem Branntwein gerieben wurde, wodurch der Blutumlauf in ihm sich langsam wieder herstellte. Die weißlichen Frostflecken, welche sein Körper da und dort zeigte, verschwanden allmälig; der unglückliche Long hatte aber grausam gelitten, und so verliefen mehrere Stunden, ehe er wieder Worte finden konnte. Er wurde in ein warmes Bett gelegt, an dem Mrs. Paulina Barnett und Madge bis zum anderen Tage wachten.

Inzwischen suchten Jasper Hobson, Mac Nap und Raë nach einem Mittel, sich aus der immer bedenklicheren Situation zu ziehen. Es lag auf der Hand, daß das neue aus dem Hause selbst gewonnene Brennmaterial höchstens in zwei Tagen zu Ende gehen würde. Was sollte dann, wenn die Kälte im Gleichen fortdauerte, aus Allen werden? Seit achtundvierzig Stunden war zwar Sturmwind, doch keine Witterungsänderung hatte sich damit vollzogen. Mit eisigem Hauche pfiff der Nordwind über das Land. Das Barometer stand immer auf »schön und trocken«, und aus diesem Erdboden, der ja nur ein ungeheures Eisfeld darstellte, konnten keine Wasserdünste aufsteigen. Es war demnach zu befürchten, daß die Kälte unverändert fortdauern werde. Was war aber dann zu thun? Sollte man einen weiteren Versuch wagen, bis zu der Holzkammer zu dringen, was dann, nachdem die Bären einmal aufmerksam gemacht waren, nur um so schwieriger sein mußte. Konnte man den Thieren im freien Felde entgegen treten? Nein, das wäre ein thörichtes Unternehmen gewesen, welches den Untergang Aller im Gefolge gehabt hätte.

Vorläufig war wenigstens die Zimmertemperatur erträglicher geworden. Mrs. Joliffe servirte an demselben Morgen ein Frühstück von warmem Fleisch und Thee. Heißer Grog wurde auch nicht geschont, und auch der brave Sergeant Long konnte seinen Theil davon verzehren. Die wohlthuende Wärme, welche die Oefen ausstrahlten, belebte gleichzeitig den gesunkenen Muth dieser Armen. Sie erwarteten nur Jasper Hobson’s Befehl, die Bären anzugreifen. Der Lieutenant aber, dem die Kräfte zu ungleich erschienen, wollte seine Leute nicht auf’s Spiel setzen. Der Tag schien ohne weitere Zwischenfälle verlaufen zu wollen, als sich gegen drei Uhr Nachmittags in dem Dachwerk des Hauses ein furchtbares Geräusch vernehmen ließ.

»Da sind sie!« riefen zwei oder drei Soldaten, die sich schnellstens mit Aexten und Pistolen bewaffneten.

Offenbar hatten sich die Bären, nach der Beseitigung eines Dachbalkens, den Zugang nach dem Bodenraum erzwungen.

»Niemand verläßt seinen Platz! sprach der Lieutenant mit ruhiger Stimme. – Raë, die Fallthüre!«

Der Schmied verfügte sich in den Gang, erstieg die Treppe und befestigte die Fallthüre so gut als möglich.

Ueber der Decke entstand jetzt ein schreckliches Lärmen, auch drohte diese unter der Last der Bären einzubrechen. Es war ein fortwährendes Tatzenschlagen, Brummen und Kratzen.

Aenderte dieser feindliche Einfall nun die Sachlage? Wurde das Uebel dadurch vergrößert oder nicht? Jasper Hobson berieth hierüber mit einigen Anderen. Die Mehrzahl war der Meinung, daß ihre Lage sich hiermit verbessert habe. Waren die Bären, was fast voraus zu setzen war, alle in dem Bodenraum, so konnte man sie darin vielleicht angreifen, ohne befürchten zu müssen, daß die Kämpfer von der Kälte überwunden oder ihnen die Waffen aus der Hand gerissen würden. Die Gefahr eines Angriffs auf diese Bestien, Mann gegen Mann, war gewiß nicht zu unterschätzen, doch schien es keine physische Unmöglichkeit, einen solchen zu versuchen.

Es blieb jetzt nur noch zu entscheiden, ob man den Angreifern an dem Orte, wo sie sich jetzt befanden, zu Leibe gehen sollte, oder nicht. Dieses Vorhaben war um so gefährlicher, da die Soldaten die enge Fallthüre nur immer einzeln passiren konnten.

Es leuchtet hiernach ein, warum Jasper Hobson mit dem Angriff zögerte. Nach der Meinung des Sergeanten und aller Anderen, deren Muth doch außer allem Zweifel war, empfahl es sich, noch zu warten. Vielleicht brachte ein unvorhergesehener Zufall ihnen noch mehr Aussicht auf Erfolg, da es fast unmöglich war, daß die Bären die Deckbalken, welche doch weit fester waren als die Dachsparren, aus der Lage bringen könnten. Dann war es ihnen auch unmöglich, bis in die Zimmer des Erdgeschosses zu gelangen.

Man wartete also. Der Tag verstrich, doch konnte in der Nacht Niemand vor Aufregung und Lärmen der Bären schlafen.

Am anderen Tage um neun Uhr aber trat ein neues Ereigniß ein, welches Jasper Hobson zum sofortigen Handeln zwang.

Die Essen des Ofens und des Küchenherdes gingen bekanntlich durch die ganze Höhe des Dachbodens hindurch. Diese von Kalkstein gebauten und nur unvollkommen gemauerten Rohre konnten einen bedeutenden Seitendruck offenbar nicht aushalten. Nun begannen die Bären aber, ob durch directen Angriff auf dieselben, oder nur dadurch, daß sie sich der Wärme wegen daran lehnten, das Mauerwerk nach und nach zu zerstören. Man konnte im Inneren die Steinbrocken herunterfallen hören, und bald zog weder der Stuben- noch der Küchenofen mehr.

Dieses schlimmste Unglück hätte sicher weniger energische Leute ganz zur Verzweiflung gebracht. Es sollte noch ärger kommen. Denn gleichzeitig mit dem Nachlassen des Feuers verbreitete sich ein schwarzer, scharfer und ekelerregender Rauch, der von dem verbrannten Holz und Fett herrührte, in dem ganzen Hause. Die Essen waren auch schon unterhalb der Decke entzwei gegangen. In wenig Minuten wurde dieser Rauch so dicht, daß die Lampen verloschen. Jasper Hobson war nun in die Notwendigkeit versetzt, das Haus zu räumen, wenn er nicht in dieser irrespirablen Atmosphäre ersticken wollte. Aus dem Hause gehen, hieß aber so viel, wie vor Frost umkommen. Da schrieen auch die Frauen einige Male ängstlich auf.

»Meine Freunde, rief der Lieutenant, eine Axt ergreifend, – auf die Bären!«

Es gab keinen anderen Ausweg; die Thiere mußten ausgerottet werden. Alle ohne Ausnahme eilten nach dem Corridor; Jasper Hobson an der Spitze drangen sie die Treppe hinauf. Die Fallthüre wurde gehoben. Durch den schwarzen Qualm blitzten die Flintenschüsse. Geschrei und Brummen mischten sich; man schlug sich mitten in der tiefsten Dunkelheit.

Plötzlich aber ließ sich da ein schreckliches Rollen hören, und heftige Stöße erschütterten den Boden. Das Haus neigte sich, als ob es aus seinen Grundpfeilern gerissen wäre. Die Balken der Wand wichen von einander, und die Bären flohen, erschrocken wie die Schafe, eiligst durch die Finsterniß.