Vierunddreißigstes Kapitel.

»Mich dünkt, ich hört‘ ne Stimm‘.«

Shakespeare.

 

Die Wasser waren in ihrer Höhe und das Boot flog der schnellen Fluth hinunter wie ein Vogel. Die Fahrt war glücklich und schnell. In weniger als einem Drittel der Zeit, die zu derselben Reise aber zu Land, nöthig gewesen, ward sie, begünstigt von diesen schnellen Flüssen, zurückgelegt. Aus einem Strom in den andern eingehend, – ganz wie die Adern des menschlichen Leibes mit den größern Lebenscanälen communiciren, traten sie bald in die große Arterie der westlichen Wasser ein, und landeten glücklich an der Thür des Vaters der Inez.

Die Freude des Don Augustin und die Verlegenheit des würdigen Paters Ignatius kann man sich leicht denken. Der Erstere weinte und sagte dem Himmel Dank, der Letztere dankte und weinte nicht. Die milden Provinzleute waren zu glücklich, um Fragen über die Art einer so erfreulichen Wiederbringung zu thun, und durch eine Art allgemeiner Uebereinkunft ward es bald eine angenommene Meinung, Middletons Braut sei von einem Schelm geraubt, und durch menschliche Anstrengung ihren Freunden wiedergegeben worden. Freilich gab es in Hinsicht dieses Glaubens einige Skeptiker, aber dann erfreuten sie sich ihrer Zweifel im Geheim, mit jener Art hoher, heimlicher Lust, die ein Geiziger empfindet, wenn er auf seine wachsenden aber nutzlosen Haufen hinstarrt.

Um dem würdigen Priester einige Beschäftigung zu geben, machte Middleton ihn zum Werkzeug der Vermählung Pauls mit Ellen. Der Erstere gab seine Zustimmung zu der Ceremonie, weil er fand, daß alle seine Freunde großes Gewicht darauf legten, aber bald nachher führte er seine Braut in die Ebenen von Kentucky unter dem Vorwand, mehreren Gliedern von der Familie Hover die gewöhnlichen Besuche zu machen. Während er hier war, nahm er Gelegenheit, die Vermählung gehörig durch einen Friedensrichter von seiner Bekanntschaft bestätigen zu lassen, da er in dessen Geschicklichkeit, die Ehekette fest zu schmieden, größeres Vertrauen setzte, als in die aller Geistlichen innerhalb der Ringmauern Roms. Ellen, die sich bewußt zu sein schien, daß einige außerordentliche Vorkehrungen nöthig sein möchten, um einen so herumschweifenden Geist, wie ihren Gemahl, in den gehörigen Eheschranken zu halten, machte keine Schwierigkeit wegen dieser doppelten Banden, Und so waren beide Theile befriedigt.

Die locale Wichtigkeit, welche Middleton durch seine Verbindung mit der Tochter eines so begüterten Eigenthümers wie Don Augustin und durch seine persönlichen Verdienste erlangt hatte, zogen die Aufmerksamkeit der Regierung auf ihn. Er wurde bald in verschiedenen Stellungen von Verantwortlichkeit und Vertrauen gebraucht, und dies trug dazu bei, seinen Charakter in der öffentlichen Achtung zu heben, und ihm Mittel zu Empfehlungen zu geben. Der Bienenjäger war unter den Ersten, auf die er seine Gunst ausdehnen wollte; es war gar nicht schwer, passende Stellen für Pauls Geschicklichkeit in dem Staate zu finden, der erst drei und zwanzig Jahre in diesen Gegenden bestand. Die Bemühungen Middletons und der Inez für ihren Gemahl wurden warm und scharfsinnig von Ellen unterstützt, und es gelang ihnen, mit der Zeit eine große, wohlthätige Veränderung in seinem Charakter hervorzubringen. Er wurde bald Landbesitzer, dann ein glücklicher Bebauer des Bodens und kurz nachher ein Stadtbeamter, Durch das allmählige Fortschreiten, das man oft in der Republik so sonderbar von einer entsprechenden Zunahme in Wissenschaft und Selbstachtung begleitet sieht, ging er Schritt für Schritt, bis sein Weib den mütterlichen Trost hatte, ihre Kinder weit über die Gefahr hinaus gestellt zu sehen, wieder in den Zustand zurückkehren zu müssen, aus dem ihre Eltern sich hervorgearbeitet hatten. Paul ist wirklich in diesem Augenblick Mitglied der niederen Gerechtigkeitspflege des Staates, wo er so lange gelebt hatte, und er ist selbst bekannt durch seine Reden, die darauf ausgehen, diesen berathenden Körper in eine gute Laune zu versetzen, und welche, da sie auf große praktische Kenntniß gegründet sind, wie sie für den Zustand des Landes passend ist, noch ein Verdienst haben, das vielen spitzfindigeren und feingesponnenen Theorieen abgeht, die man täglich in ähnlichen Versammlungen von den Lippen gewisser Instinctartiger Politiker kommen hört. Aber alle diese herrlichen Früchte waren das Ergebniß vieler Sorgfalt und langer Zeit. Middleton, der mit einem, seiner verschiedenen Erziehung angemesseneren Ansehen einen Sitz in einem weit höheren Collegium der gesetzgebenden Gewalt einnimmt, ist die Quelle, aus der wir die meisten, zur Verfassung unserer Sage nöthigen Nachrichten geschöpft haben. Außer dem, was er von Paul erzählt hat, und was sein eigenes fortwährendes Glück betraf, hat er auch eine kurze Erzählung von dem, was bei einem folgenden Besuch der Steppen vorging, gegeben, mit der, da wir sie für einen passenden Schluß zu dem Vorhergehenden halten, wir unsere gegenwärtige Arbeit schließen wollen.

Im Herbst des Jahrs, das auf jenes folgte, in das die vorhergehenden Begebenheiten fielen, fand der junge Mann, noch in dem Militärdienst des Landes, sich an den Wassern des Missouri an einem Punct, der nicht weit von den Pawnee-Städten entfernt war. Frei von jeder unmittelbaren Anforderung der Pflicht, und eifrigst zu dem Schritt von Paul angetrieben, der in seiner Compagnie stand, entschloß er sich, Pferde zu nehmen, und das Land zu durchschreiten, um den Parteiführer zu besuchen, und sich nach dem Schicksal seines Freundes, des Streifschützen, zu erkundigen. Da sein Gefolge seinem Amt und Rang angemessen war, ging die Reise mit den gewöhnlichen Entbehrungen und Mühseligkeiten vor sich, die mit einem Zug in einer Wüste verbunden sind, aber ohne alle jene Gefahren und Besorgnisse, die seinen früheren Weg durch dieselben Gegenden ausgezeichnet hatten. Als er in der gehörigen Nähe war, schickte er einen indianischen Boten ab, der zu einem befreundeten Stamm gehörte, um seine und seiner Begleitung Ankunft anzusagen, während er seine Reise bedächtig fortsetzte, damit die Nachricht, wie es gewöhnlich war, seiner Ankunft vorausginge. Zum Erstaunen der Wanderer blieb ihre Botschaft unbeantwortet. Eine Stunde ging nach der andern vorüber, eine Meile ward nach der andern zurückgelegt, ohne daß sie weder ein Zeichen einer ehrenvollen Aufnahme, oder auch nur die einfacheren Versicherungen eines freundlichen Willkommens brachten. Endlich stieg die Cavalcade, an deren Spitze Middleton und Paul ritt, von der Hochebene herab, auf der sie lang hingezogen, und langte auf einem üppigen Grunde an, der sie auf gleiche Höhe mit dem Dorf der Wölfe brachte. Die Sonne begann zu sinken, und eine Schichte goldenen Lichts war über die ruhige Ebene hingegossen, und lieh auch ihrer Oberfläche jene glorreichen Tinten und Farben, welche, wie die menschliche Einbildungskraft so gern sich vorspiegelt, den Reiz noch weit imponirender Auftritte ausmachen. Die Grüne des Jahrs blieb noch, und Heerden von Pferden und Maulthieren grasten friedlich in der weiten natürlichen Weide, unter der Obhut wachsamer Pawnee-Knaben. Paul deutete unter ihnen die wohlbekannte Gestalt des Asinus heraus; schlank, fett, und, wie es schien, schwelgend in der Fülle seiner Zufriedenheit, stand er mit zurückgeschlagenen Ohren und geschlossenen Augenliedern da, dem Anschein nach sinnend über die herrliche Beschaffenheit seines gegenwärtigen, gemächlichen Genusses.

Der Weg führte die Gesellschaft nicht weit von einem jener wachsamen Burschen vorbei, denen ein so wichtiger Auftrag wie der, den Hauptreichthum des Stammes zu bewachen übergeben worden war. Er hörte das Trampeln der Pferde, und warf sein Auge seitwärts, aber statt Neugier oder Unruhe zu verrathen, wandte er seinen Blick sogleich wieder nach der vorigen Richtung, nach der Stelle, wo, wie man wußte, das Dorf stand.

»Das Alles ist etwas sonderbar,« murmelte Middleton, halb beleidigt über das, was er nicht nur für eine Unaufmerksamkeit gegen seinen Rang, sondern auch persönlich gegen sich selbst für eine Unhöflichkeit ansah; »jener Junge hat von unserer Ankunft gehört, sonst würde er nicht verfehlen, sie seinem Stamme anzusagen, und doch beehrt er uns kaum mit einem Blick. Seht nach Euren Waffen, Leute, es möchte nöthig werden, diese Wilden unsere Stärke fühlen zu lassen.«

»Darin, Capitain, glaub‘ ich, irrt Ihr Euch,« entgegnete Paul, wenn man überhaupt Ehrlichkeit auf den Steppen findet, so trefft Ihr sie in Eurem alten Freund Hartherz; auch darf ein Indianer nicht nach den Regeln eines Weißen beurtheilt werden. Seht! wir sind nicht ganz vernachlässigt, da kommt endlich ein Haufen uns entgegen, obgleich er sich ein wenig schlecht ausnimmt nach Zahl und Aeußerem.«

Paul hatte in Beidem Recht. Eine Gruppe Reiter sah man endlich um eine kleine Anhöhe herumschwenken und über die Ebene gerade auf sie zukommen. Ihr Marsch war langsam und würdevoll. Als sie nahe kamen, gewahrte man den Führer der Wölfe an ihrer Spitze; das Gefolge bestand aus einem Dutzend jüngerer Krieger des Stammes. Sie waren alle unbewaffnet und trugen auch nichts an sich von jenen Zierrathen und Federn, welche eben so sehr als Zeichen von Achtung gegen den Gast betrachtet werden, den ein Indianer empfängt, als Beweis seines eigenen Rangs und seiner Wichtigkeit.

Die Zusammenkunft war freundlich, wiewohl etwas zurückhaltend auf beiden Seiten. Middleton, nicht wenig eifersüchtig auf seine eigene Ehre, als auf das Ansehen seiner Regierung, argwöhnte einigen ungebührlichen Einfluß von Seiten der Agenten der Canada, und da er entschlossen war, das Ansehen aufrecht zu erhalten, dessen Repräsentant er war, fühlte er sich genöthigt, eine Hoheit anzunehmen, die ihm wirklich gar nicht natürlich war. Es war nicht so leicht, die Beweggründe der Pawnee zu durchschauen. Ruhig, würdevoll und doch gar nicht abstoßend, gaben sie ein Beispiel von Höflichkeit, mit Zurückhaltung verbunden, das mancher Diplomat des gebildetsten Hofs vergebens nachzuahmen sich bestrebt haben würde.

Auf diese Weise setzten beide Theile ihren Weg nach der Stadt fort. Middleton hatte während des übrigen Theils des Ritts Zeit, bei sich all die möglichen Ursachen zu überlegen, die sein Scharfsinn dieser sonderbaren Aufnahme unterlegen konnte. Obgleich er von einem regelmäßigen Dollmetscher begleitet war, machten die Häuptlinge doch ihre gegenseitigen Grüße auf eine Art, die seine Dienste unnöthig machte. Zwanzigmal warf der Capitain seinen Blick auf seinen früheren Freund, und bemühte sich in seinen strengen Zügen zu lesen; aber alle Anstrengung und Vermuthung zeigte sich gleich fruchtlos. Hartherzens Auge war fest, beständig und etwas ängstlich, aber in Hinsicht jeder andern Bewegung undurchdringlich. Er sprach weder selbst, noch schien er seinen Besuch zum Sprechen einladen zu wollen; Middleton mußte daher die ruhigen Manieren seiner Gefährten annehmen und wegen Aufklärung den Ausgang abwarten.

Als sie in die Stadt traten, sah man alle Einwohner sich auf einem freien Platz versammeln, wo sie mit der gewöhnlichen Rücksicht auf Alter und Rang sich ordneten. Das Ganze bildete einen weiten Kreis, in dessen Mitte vielleicht ein Dutzend der vorzüglichsten Häuptlinge waren. Hartherz bewegte, als er sich näherte, die Hand, und da die Masse sich öffnete, ritt er von seinen Gefährten begleitet, durch. Hier stiegen sie ab, und nachdem die Thiere zur Seite geführt worden, fanden die Fremdlinge sich von Tausenden ernster, gefaßter aber bekümmerter Gesichter umgeben.

Middleton sah in wachsender Besorgniß um sich, denn kein Geschrei, kein Sang, kein Ruf bewillkommte ihn unter einem Volk, von dem er noch vor Kurzem sich mit so viel Betrübniß getrennt hatte. Seine Unruhe, um nicht Furcht zu sagen, wurde von seinem ganzen Gefolge getheilt. Entschlossenheit und ernstes Denken fing an, an die Stelle der Angst, in Aller Augen zu treten, während jeder schweigend nach seiner Waffe griff, und sich versicherte, daß sie im Stande sei, ihn sogleich und verzweifelt zu vertheidigen. Aber kein entsprechendes Zeichen von Feindseligkeit zeigte sich von Seiten der Wirthe. Hartherz winkte Middleton und Paul zu folgen und führte sie nach einem Trupp von Gestalten, die den Mittelpunkt des Kreises einnahmen. Hier fanden die Besuchenden den Schlüssel von all den Bewegungen, die ihnen so viel Grund zu Besorgnissen gegeben hatten.

Der Streifschütz saß auf einem rohen Sitz, der mit gesuchter Sorgfalt gemacht worden war, um seine Gestalt in einer aufrechten, ruhigen Lage zu erhalten. Der erste Blick sagte seinen früheren Freunden, daß der Alte endlich gerufen worden, der Natur die letzte Schuld zu bezahlen. Sein Auge war starr und dem Anschein nach eben so leer an Licht als an Ausdruck; seine Züge waren etwas mehr verfallen, und schärfer markirt als vorher. Aber das war auch alle Veränderung, so weit sie das Aeußere betraf. Sein nahendes Ende konnte keiner eigentlichen Krankheit zugeschrieben werden, sondern war eine allmähliche, milde Abnahme seiner Kräfte gewesen. Leben zögerte zwar noch in seinem Bau, aber es war, als wäre es zu Zeiten ganz bereit zu entfliehen, und dann wollte es wiederscheinen, als ob die sinkende Gestalt sich nochmals belebe, als wolle das Leben nicht gerne den Besitz einer Wohnung aufgeben, die nie durch Laster untergraben und durch Krankheit erschüttert worden. Es hatte keiner großen Einbildungskraft bedurft, um sich vorzustellen, der Geist flattere um die ruhigen Lippen des alten Waldmannes, und widerstrebe aus einer Hülle zu wandern, die ihm so lange eine ehrliche und unbescholtene Wohnung abgegeben.

Sein Leib saß so, daß das Licht der sinkenden Sonne voll auf die feierlichen Züge fiel. Sein Haupt war entblößt, die langen, dünnen Locken von Grau flatterten leicht in der Abendluft. Seine Büchse lag auf seinem Knie, und die andern Bedürfnisse der Jagd waren zur Seite, im Bereich seiner Hand. Zwischen seinen Füßen lag die Gestalt eines Hundes, den Kopf auf den Boden gestreckt, als schlummre er, und so vollkommen ruhig und natürlich war seine Lage, daß ein zweiter Blick nöthig war, um Middleton zu sagen, er sehe nur Hektor’s Haut, die durch indianischen Zartsinn und Geschicklichkeit auf eine Weise ausgestopft worden, daß sie das Thier leibhaftig darstellte. Sein eigner Hund spielte in einiger Entfernung mit dem Kind der Tachechana und des Mahtoree. Die Mutter selbst stand zur Seite, und hielt in ihrem Armen einen zweiten Sprößling, der sich keiner geringeren Abkunft rühmen konnte, als die war, worauf ein Sohn von Hartherz Anspruch machte. Le Balafré saß nahe dem, sterbenden Streifschützen, und trug jedes Zeichen an sich, daß die Stunde seines eigenen Abscheidens auch nicht mehr weit entfernt war. Die Uebrigen derer unmittelbar im Centrum, waren bejahrte Männer, die sich augenscheinlich in die Nähe begeben, um die Art zu beobachten, wie ein gerechter und furchtloser Krieger sich zur größten seiner Reisen anschicken möchte.

Der Alte erntete die Früchte eines Lebens, das so ausgezeichnet gewesen durch Mäßigung und Thätigkeit, in einem stillen, ruhigen Tod. Seine Kraft hatte sich bis zuletzt gewissermaßen gehärtet. Der Verfall, wenn einer da war, ging schnell aber frei von Schmerz vor sich. Er hatte, mit dem Stamm im Frühling gejagt, ja selbst durch einen Theil des Sommers, als seine Glieder plötzlich den gewohnten Dienst zu leisten versagten. Eine gleichförmige Schwäche nahm Besitz von allen seinen Kräften, und die Pawnee glaubten, sie würden auf diese unerwartete Art einen Weisen und Rathgeber verlieren, den sie zu lieben und zu achten angefangen hatten. Aber, wie wir schon gesagt, der unsterbliche Inwohner schien ungern seine Hülle zu verlassen. Die Lampe des Lebens flickerte ohne zu verlöschen. Am Morgen des Tags, an dem Middleton ankam, war ein allgemeines Wiederaufleben der Kräfte in dem ganzen Menschen. Seine Zunge hörte man wieder in heilsamen Grundsätzen, und sein Auge erkannte von Zeit zu Zeit die Gestalten seiner Freunde. Es zeigte sich nur als einen kurzen und letzten Verkehr mit der Welt von Seiten eines Mannes, den man schon, was Geistesgemeinschaft betraf, für immer abgeschieden geglaubt hatte.

Als er seine Gäste vor den Sterbenden gestellt, lehnte Hartherz nach einer Pause, die eben so sehr der Kummer als die Schicklichkeit nöthig machte, sich ein wenig vorwärts und fragte:

»Hört mein Vater die Worte seines Sohns?«

»Sprecht!« entgegnete der Streifschütz in einem Ton, der aus der innersten Brust hervorkam, aber ergreifend hörbar ward durch die todtengleiche Stille, die an dem Ort herrschte. »Ich bin im Begriff abzuscheiden aus dem Dorf der Wölfe und werde bald über dem Bereich Eurer Stimme sein.«

»Möge der weise Häuptling keine Sorge haben für seine Reise,« fuhr Hartherz mit einer ernsten Besorgniß fort, die ihn für einen Augenblick vergessen ließ, daß Andere warteten, um seinen angenommenen Vater anzureden; »hundert Wölfe sollen seinen Pfad reinigen von Dornen.«

»Pawnee, ich sterbe, wie ich gelebt, ein Christ,« begann der Streifschütz mit einer Kraft in seiner Stimme, die dieselbe erstaunende Wirkung hatte, wie eine Trompete, wenn ihr Ton plötzlich und frei in der Luft sich erhebt, nachdem er lange von der Ferne gedämpft gehört worden; »wie ich in’s Leben trat, will ich es verlassen. Pferde und Waffen sind nicht vonnöthen, um vor dem großen Geist meines Volkes zu stehen; er kennt meine Farbe und nach meinen Gaben wird er meine Thaten richten.«

»Mein Vater wird meinen jungen Leuten sagen, wie viele Mingo er erschlagen, und welche Thaten der Kraft und Gerechtigkeit er gethan, daß sie lernen mögen, wie ihn nachzuahmen.«

»Eine ruhmredige Zunge ist im Himmel eines Weißen nicht zu hören,« entgegnete feierlich der Alte. »Was ich gethan, Er hat’s gesehen; Seine Augen waren immer offen. Was wohl gethan worden, dessen wird Er gedenken; wo ich gefehlt, da wird Er nicht zu strafen vergessen, obwohl es geschehen wird mit Gnade. Nein, mein Sohn, ein Blaßgesicht wird sein eignes Lob nicht singen und hoffen können, es würde angenehm sein vor Gott.«

Ein wenig verlegen, schritt der junge Häuptling bescheiden zurück und machte den Neuangekommenen Platz, heranzutreten. Middleton nahm eine der abgemagerten Hände des Streifschützen, und bemüht, seine Sprache zu beherrschen, gelang es ihm endlich, von seiner Gegenwart ihn in Kenntniß zu setzen. Der Alte hörte, wie wenn die Gedanken schon über einen ganz verschiedenen Gegenstand brüteten; aber als der Andere ihm endlich hatte verständlich gemacht, daß er zugegen sei, da ging ein Ausdruck freudigen Wiedererkennens über seine verfallenen Züge.

»Ich hoffe, Ihr habt nicht so bald die vergessen, um die Ihr Euch so hoch verdient gemacht,« schloß Middleton; »es betrübte mich, wenn ich denken müßte, ich sei so leicht in Euerm Gedächtniß vorübergegangen.«

»Wenig, was ich je gesehen, ist vergessen;« entgegnete der Streifschütz; »ich bin am Ende vieler mühevollen Tage, aber es ist keiner unter ihnen allen, den ich übersehen möchte. Ich erinnere mich Eurer mit Eurem ganzen Gefolge; ja und auch Eures Großvaters, der vor Euch kam. Ich bin froh, daß Ihr zurückgekommen auf diese Ebenen, denn ich brauchte Jemanden, der Englisch spricht, weil man wenig sich verlassen kann auf die Handelsleute dieser Gegenden. Wollt Ihr, Junge, einem alten, sterbenden Mann eine Gunst erweisen?«

»Sprecht,« sagte Middleton; »es soll geschehen.«

»Es ist eine weite Reise, um solche Kleinigkeiten zu überschicken,« entgegnete der Alte, der mit kleinen Unterbrechungen sprach, je nachdem es Kraft und Athem ihm erlaubte. »Eine weite, beschwerliche Reise ist es; aber Güte und Freundschaft darf nicht so leicht vergessen werden. Es ist eine Colonie unter den Otsego-Hügeln – –«

»Ich kenne den Ort,« fiel Middleton ein, als er bemerkte, daß der Sterbende mit wachsender Beschwerde sprach; »sagt nur, was Ihr von mir verlangt.«

»Nimm denn diese Büchse, den Ranzen und das Horn und, schick‘ sie zu dem Manne, dessen Name auf der Platte eingegraben ist. Ein Kaufmann schnitt die Buchstaben mit seinem Messer ein; denn es ist schon lange, seit ich ihm solch ein Pfand meiner Liebe zu schicken gedachte.« »Es soll geschehen. Könntet Ihr noch Etwas wünschen?«

»Wenig mehr hab‘ ich zu geben. Meine Fallen geb‘ ich meinem indianischen Sohn; denn ehrlich und freundlich hat er Treue gehalten. Möge er vor mich kommen.«

Middleton bedeutete dem Häuptling, was der Streifschütz gesagt, und überließ ihm seine Stelle.

»Pawnee« fuhr der Alte fort und änderte immer seine Sprache nach der Person, zu der er sprach, und nicht selten auch nach den Ideen, die er ausdrückte; »es ist bei meinem Volk Sitte, daß der Vater seinem Sohn den Segen gibt, ehe er für immer die Augen schließt. Diesen Segen geb‘ ich Euch, nehmt ihn; denn die Bitten eines Christen werden nie den Pfad eines gerechten Kriegers nach den gesegneten Gefilden weder länger noch schwieriger machen. Möge der Gott des Weißen auf Eure Thaten mit gnädigem Auge sehen, und Ihr nie eine Handlung begehen, die sein Antlitz von Euch wegwenden würde. Ich weiß nicht, ob wir uns je wieder treffen. Es gibt viele Ueberlieferungen über den Ort der guten Geister. Nicht ich, alt und erfahren, wie ich bin, kann meine Meinung gegen die einer Nation aufstellen. Ihr glaubt an die gesegneten Gefilde, und ich vertraue auf das, was meine Väter gesagt. Wenn Beides wahr ist, wird unser Scheiden auf ewig sein; aber wenn es sich zeigen sollte, daß derselbe Sinn in den verschiedenen Worten liegt, werden wir noch zusammen stehen, Pawnee, vor dem Antlitz Euers Wahcondahs, der dann kein Anderer sein wird, als mein Gott. Viel kann zu Gunsten beider Religionen gesagt werden; denn jede scheint ihrem Volk angepaßt, und ohne Zweifel sollte es so sein. Ich fürchte, ich hab‘ nicht immer die Gaben meiner Farbe benutzt, da ich es etwas peinlich finde, für immer den Gebrauch der Büchse und die Lust der Jagd aufzugeben. Aber dann ist es mein Fehler, Seiner konnte es ja nicht sein. Ei, Hektor,« fuhr er fort, lehnte sich etwas vor und fühlte nach den Ohren des Hundes; »unser Scheiden ist endlich gekommen, Hund, und es wird ein langer Lauf sein. Du bist ein ehrlicher, ein kühner und ein treuer Hund gewesen. Pawnee, Ihr könnt den Hund auf meinem Grab nicht schlachten; denn wo eines Christen Hund fällt, da liegt er für immer; aber Ihr könnt gütig gegen ihn, wenn ich fort bin, für die Liebe sein, die Ihr gegen seinen Herrn hattet.«

»Meines Vaters Worte sind in meinen Ohren,« entgegnete der junge Führer und nickte ernst und ehrerbietig seine Bejahung.

»Hörst du, was der Häuptling versprochen, Hund?« fragte der Streifschütz und that, als wolle er die Aufmerksamkeit der unempfindlichen Hülle aufregen. Als er keinen erwiedernden Blick empfing, noch ein freundliches Winseln hörte, fühlte der Alte nach dessen Mund und bemühte sich, seine Hand zwischen die kalten Lippen zu bringen. Da drang sich ihm die Wahrheit auf, obwohl er noch gar nicht die ganze Täuschung begriff. Zurücksinkend, hing er den Kopf, als fühle er einen harten, unerwarteten Stoß. Diese augenblickliche Vergessenheit benutzten zwei junge Indianer und brachten die Haut mit demselben Zartsinn weg, der sie veranlaßt hatte, den frommen Betrug zu versuchen.

»Der Hund ist todt!« lispelte der Streifschütz nach einer Pause von einigen Minuten. »Der Hund hat seine Zeit, wie der Mensch; und gut hat er seine Tage gebraucht! Capitain,« fuhr er fort und wollte Middleton winken, »ich bin froh, daß Ihr gekommen; denn obgleich gütig und wohlgesinnt nach den Gaben ihrer Farbe, sind diese Indianer doch nicht die Leute, um das Haupt eines Weißen in’s Grab zu legen. Ich habe auch an diesen Hund zu meinen Füßen gedacht; es geht nicht für einen Christen, zu glauben, daß er seinen Hund wieder finden werde; aber es kann wenig schaden, wenn, was von einem so treuen Diener noch übrig ist, nahe zu den Gebeinen seines Herrn gesetzt wird.«

»Gar nicht; es soll geschehen, wie Ihr wünscht.«

»Es freut mich, daß Ihr darüber mit mir einstimmt. Um nun Arbeit zu sparen, legt den Alten zu meinen Füßen, oder auch Seite an Seite. Ein Jäger braucht sich nie zu schämen, in Gesellschaft seines Hundes gesehen zu werden.«

»Ich übernehme die Erfüllung Eures Wunsches.«

Dann machte der Alte eine lange und, wie es schien, sinnende Pause. Zu Zeiten erhob er sein Auge, als wolle er nochmals Middleton anreden; aber ein angebornes Gefühl schien immer seine Worte zu ersticken. Der andre, der sein Zögern beobachtete, fragte auf die ermuthigendste Weise, ob er noch Etwas zu wünschen hätte.

»Ich bin ohne Verwandte in der weiten Welt!« antwortete der Streifschütz; »wenn ich abgeschieden bin, wird mein Geschlecht zu Ende sein. Wir sind nie Häuptlinge gewesen, aber ehrlich und nützlich nach unserer Weise; so, hoffe ich, haben wir uns immer gezeigt. Mein Vater liegt begraben nahe der See, und die Gebeine seines Sohns werden bleichen auf den Steppen.«

»Nennt den Ort, und Eure Hülle soll ruhen an der Seite Euers Vaters,« fiel Middleton ein.

»Nicht so, Capitain. Laßt mich schlafen, wo ich gelebt, jenseits des Lärms der Colonieen. Doch seh‘ ich nicht, warum das Grab eines ehrlichen Mannes versteckt sein sollte, wie eine Rothhaut in ihrem Dickicht. Ich bezahlte einen Mann in den Ansiedelungen, um einen Grabstein zu hauen auf meines Vaters Ruheplatz. Er kostete zwölf Biberhäute, und geschickt und schön war er eingegraben! Damals sagte er allen Vorübergehenden, daß der Leib eines solchen Christen darunter läge, und er sprach von dessen Lebensart, Jahren und Ehrlichkeit. Als wir mit den Franzosen in dem alten Krieg fertig waren, machte ich eine Reise zur Stelle, um zu sehen, daß Alles recht geschehen; und es freut mich zu sagen, der Werkmann hatte sein Wort nicht vergessen.«

»Und solch einen Stein möchtet Ihr auf Euer Grab?«

»Ich! nein, nein; ich habe keinen Sohn außer Hartherz, und wenig versteht ein Indianer von Sitten und Gebräuchen der Weißen. Außerdem bin ich sein Schuldner schon, da ich so wenig gethan, seit ich in seinem Stamme gelebt. Die Büchse wäre vielleicht so viel werth; aber dann weiß ich, es wird dem Jungen Vergnügen machen, das Gewehr in seiner Halle aufzuhängen; denn viel sind der Rehe und Vögel, die er damit hat tödten sehen. Nein, nein, das Gewehr muß dem gesandt werden, dessen Name auf dem Schloß steht.«

»Aber da ist Einer, der gerne seine Liebe Euch durch Erfüllung Eures Wunsches beweisen möchte; er, der Euch nicht nur seine eigne Befreiung aus so vielen Gefahren verdankt, sondern auch eine schwere Schuld der Dankbarkeit von seinen Vorfahren ererbt. Der Stein soll auf Euer Grab kommen.«

Der Alte reckte seine hagere Hand aus und drückte ihm dankbar die seinige.

»Ich dachte, Ihr würdet es thun; aber ich zögerte mit der Bitte,« sagte er, »da Ihr nicht mein Verwandter seid. Setzt keine ruhmredige Worte darauf, sondern nur den Namen, das Alter und die Zeit des Todes und Etwas aus dem heiligen Buch; nichts weiter. Mein Name wird dann nicht ganz auf Erden verloren sein; ich brauch‘ nicht mehr.«

Middleton nickte ihm seine Einwilligung, und dann folgte eine Pause, die nur von unzusammenhängenden Sentenzen des Sterbenden unterbrochen wurde. Er schien jetzt seine Rechnung mit der Welt abgeschlossen zu haben und nur auf den endlichen Befehl, sie zu verlassen, zu warten. Middleton und Hartherz stellten sich an seinen Sitz gegen einander über und bewachten mit trauernder Sorgfalt die Veränderungen seines Gesichts. Zwei Stunden lang ereignete sich nichts Bemerkenswerthes. Der Ausdruck seines verfallenen, von der Zeit zerstörten Antlitzes war ruhig und würdig. Manchmal sprach er und brachte kurze Reden rathend vor, oder that einfache Fragen nach denen, an deren Schicksal er noch freundlichen Antheil nahm. Während dieser ganzen feierlichen, ängstlichen Zeit wahrte jeder Einzelne des Stamms seine Stelle mit der größten Selbstüberwindung. Wenn der Greis sprach, neigte Jeder sein Ohr und schien über die Weisheit seiner Worte nachzudenken.

Als die Lebensflamme immer mehr verlosch, wurde seine Stimme gebrochen, und es gab Augenblicke, wo die Umstehenden zweifelten, ob er noch zu den Lebenden gehörte. Middleton, der jeden Ausdruck seines vom Wetter gepeitschten Gesichts mit dem Antheil eines scharfen Beobachters der Menschennatur bewachte, welcher noch durch die Zärtlichkeit seiner persönlichen Hochschätzung besänftigt wurde, glaubte, er könne das Arbeiten der Seele in den festen Gesichtszügen lesen. Vielleicht war, was der aufgeklärte Soldat für die Täuschung seiner Einbildungskraft nahm, wirklich geschehen, denn wer ist je aus der unbekannten Welt zurückgekehrt, um zu sagen, durch welche Formen und Weisen er eingeführt ward in ihr hohes Gebiet. Ohne erklären zu wollen, was immer ein Geheimniß bleiben muß, erzählen wir einfach was vorging.

Der Streifschütz war fast eine Stunde regungslos geblieben. Seine Augen allein hatten sich bald geöffnet, bald geschlossen. Wenn geöffnet, schien sein Blick auf die Wolken gerichtet, welche um den westlichen Horizont hingen, und die glänzenden Farben zurückstrahlten, und Form und Lieblichkeit der glorreichen Tinten eines amerikanischen Sonnenuntergangs darboten. Die Stunde, die ruhige Schöne der Jahreszeit, die Umgebung, – Alles vereinte sich, die Zuschauer mit hoher Ehrfurcht zu erfüllen. Endlich, während er über die sonderbare Lage nachdachte, worin er sich befand, fühlte Middleton die Hand, die er hielt, seine mit unglaublicher Kraft drücken, und der Alte, gestützt von beiden Seiten durch seine Freunde, stand aufrecht da. Einen Augenblick sah er um sich, als wolle er Alle zum Hören auffordern (es war der Rest menschlicher Gebrechlichkeit) und dann rief er mit einer hohen, militärischen Haltung, und einer Stimme, die überall in der zahlreichen Versammlung gehört werden mochte, das nachdrucksvolle Wort: »Hier.«

Eine so gänzlich unerwartete Bewegung und das Ansehen von Hoheit und Demuth, die so auffallend in des Streifschützen Miene sich mischten, zusammen mit der klaren und ungewöhnlich starken Stimme, machte die Anwesenden für einen Augenblick verwirrt. Als Middleton und Hartherz, von denen jeder unwillkührlich die Hand ausgereckt, um den Greis zu stützen, sich wieder nach ihm umwandten, fanden sie, daß der Gegenstand ihrer Theilnahme für immer über ihr Bedürfniß erhoben worden. Sie legten traurig die Leiche auf ihren Sitz, und Le Balafré erhob sich, dem Stamm das Ende des Auftritts zu verkünden. Die Worte des greisen Indianers schienen der Widerhall aus jener unsichtbaren Welt, zu der sich des ehrlichen Streifschützen Geist so eben hinaufgeschwungen.

»Ein so kräftiger, gerechter, weiser Krieger hat den Pfad eingeschlagen, der ihn führen wird zu den gesegneten Gefilden seines Volks!« sagte er; »als Wahcondah’s Stimme ihm rief, war er fertig zur Antwort. Geht, meine Kinder, gedenkt des gerechten Häuptlings der Blaßgesichter, und reinigt euren Weg von Dornen.«

Das Grab grub man unter einer edeln Eiche; es ward bis auf diese Stunde sorgfältig von den Wolfs-Pawnee bewacht, und wird dem Reisenden und Handelsmann oft als der Ort gezeigt, wo ein gerechter Weißer schläft. Bald lag ein Stein darauf, und einfach war, wie der Greis gewollt, die Inschrift. Middleton hatte nur hinzugesetzt:

»Möge keine rohe Hand je seine Asche betrüben.«