Siebenzehntes Kapitel.

»Tret‘ in’s Gemach, zerstör‘ die Augen dir
Vor einer neuen Gorgo; – frag‘ mich nicht,
Sieh‘, und dann, sprich, du selbst!«

Shakespeare.

 

Der kleine Quell, welcher des Wanderers Familie mit Wasser versah, und die Bäume und Büsche sich aufgezogen hatte, die nahe am Fuß der felsigen Anhöhe wuchsen, hatte seinen Ursprung, nicht weit vom letztern entfernt, in einem geringen Dickicht von Baumwollensträuchen und wilden Reben. Dorthin nun führte der Streifschütz die Fliehenden, als zu einem Ort, der allein in so drängenden Umständen den nöthigen Schutz gewährte. Man wird sich erinnern, daß der Scharfblick des Alten, der durch lange Uebung in ähnlichen Auftritten fast zum Instinct in allen Fällen plötzlicher Gefahr geworden, ihn zuerst veranlaßt hatte, diese Richtung zu nehmen, da sie zwischen ihn und die nahenden Feinde den Hügel setzte. Durch diesen Umstand begünstigt, gelang es ihm, das Gebüsch noch zu rechter Zeit zu erreichen, und Paul Hover hatte eben die athemlose Ellen in das verwachsene Dickicht gebracht, als Ismael auf die schon beschriebene Weise den Gipfel des Felsen erreichte, wo er für einen Augenblick gleichsam seiner Sinne beraubt dastand und auf die Verwirrung blickte, welche unter seinen Habseligkeiten hervorgebracht worden, auf seine eingesperrten, gebundenen Kinder, die die Vorsicht des Bienenjägers unter ein Rindendach, eine Art unregelmäßiger Halle, sicher eingesperrt hatte. Eine weittreibende Büchse würde von der Höhe, auf welcher der Auswanderer jetzt stand, eine Kugel mitten in das Dickicht haben schicken können, wo die Flüchtlinge, die all dies Unheil angerichtet, sich zusammenkauerten.

Der Streifschütz nahm zuerst das Wort, als der Mann, bei dessen Einsicht und Erfahrung sie sich alle Raths erholen mußten; doch erst, nachdem er sein Auge über die Einzelnen sich hatte ergehen lassen, die um ihn standen, sich zu versichern, daß keiner fehle!

»Ah, Natur ist Natur und hat gewirkt!« sagte er, und nickte dem erfreuten Paul mit einem billigenden Lächeln zu. »Ich dachte mir’s, es würde denen schwer werden, die sich so oft begegnet sind im Glück und Unglück, bei Sternenlicht und unter umwölktem Mond, sich für immer zuletzt noch im Unwillen zu trennen. Jetzt ist nicht viel Zeit mit Reden zu verlieren und alles durch Eifer zu gewinnen! Es kann nicht lange dauern und einige von jener Brut werden auf der Erde nach unserer Spur schnüffeln, und sollten sie uns finden, wie dies sicher geschehen wird, und uns treiben, uns auf unsern Muth zu verlassen, so muß der Streit mit der Büchse ausgemacht werden, was der Himmel verhüten möge! Capitain, könnt Ihr uns nach dem Ort führen, wo einige von Euren Soldaten sich befinden? – Die stattlichen Söhne des Wanderers werden einen männlichen Angriff machen, oder ich müßte mich schlecht auf den Krieg verstehen!«

»Der Ort des Zusammentreffens ist viele Meilen von hier an den Ufern des la Plata.«

»Das ist schlimm, sehr schlimm. Müssen wir fechten, so ist’s immer besser unter gleichen Verhältnissen. Aber wie kommt ein Mann, der seinem Ende so nahe ist, zu so bösem, heißem Blut! Hört was ein graues Haupt und einige Erfahrung euch vorzuschlagen hat, und dann, wenn einer unter euch eine klügere Art des Rückzugs andeuten kann, wollen wir seinem Rath folgen und vergessen, daß ich gesprochen. Dieses Dickicht erstreckt sich fast eine Meile weit, gerade in entgegengesetzter Richtung vom Felsen und führt nach Sonnenuntergang, nicht nach den Ansiedelungen.«

»Genug, genug,« rief Middleton, zu ungeduldig, um zu warten, bis der umsichtige und vielleicht geschwätzige Alte seine in’s Einzelne gehende Erklärung geendigt hatte. »Die Zeit ist zu kostbar, laßt uns fliehen!«

Der Steifschütz gab durch eine Geberde seine Einwilligung, wandte sich zurück, führte Asinus über die nachgebende Erde des Gebüsches und kam bald auf festen Boden auf der der Lagerung des Auswanderers entgegengesetzten Seite.

»Wenn der alte Ismael das geringste von diesem verstohlenen Weg durch das Gebüsch bemerkt,« rief Paul und warf, als er die Stelle verließ, einen leichten Blick auf die breiten Fußtapfen, die der Haufen im Dickicht zurückließ, »so braucht er keinen Wegweiser, der ihm sagt, wohin er sich wenden muß. Aber laßt ihn kommen, ich weiß, der Herumstreicher würde gern seine Brut mit etwas ehrlichem Blut versetzen, aber wenn je einer seiner Söhne der Gemahl von – –«

»Hsch, Paul, hsch,« sagte das erröthende und erschreckte Mädchen, das sich auf seinen Arm stützte. »Deine Stimme könnte man hören.«

Der Bienenjäger schwieg, obwohl er nicht aufhörte, gewisse vielbedeutende Blicke hinter sich zu werfen, als sie längs am Rande des Quells hinflohen, die hinlänglich die kriegerische Stimmung seines Gemüths verriethen. Da jeder sich beeilte, brauchte es nur einige Minuten und der Haufen kam an einer Erhöhung der Steppe hervor, stieg, ohne einen Augenblick zu zögern, auf der entgegengesetzten Seite hinab, und war nun mit einem Mal außer aller Gefahr, von Ismael’s Söhnen gesehen zu werden, wenn nur ihre Verfolger nicht zufällig auf ihre Spur kamen. Der Alte machte sich jetzt die Beschaffenheit des Landes zu Nutz, um eine andere Richtung einzuschlagen, in der Absicht, die Verfolgung zu vermeiden, so wie ein Schiff im Nebel und Dunkel seinen Lauf ändert, der Wachsamkeit der Feinde zu entgehen.

Zwei Stunden der größten Eile hatten sie in den Stand gesetzt, die Hälfte des Kreises um den Felsen zurückzulegen, und einen Punct zu erreichen, der gerade der ersten Richtung ihrer Flucht entgegengesetzt war. Den Meisten der Flüchtlinge blieb ihr Weg ganz unbekannt, so wie es auf einem Schiff mitten im Weltmeer bei dem unbelehrten Reisenden der Fall ist; aber der Alte schritt bei jeder Biegung, durch jeden Boden mit einer Bestimmtheit hin, die seinem Gefolge Vertrauen einflößte, da sie zum Vortheil seiner Kenntniß der Oertlichkeiten sprach. Sein Hund stand zu Zeiten, um in seinen Augen zu lesen und ging vor ihm her die ganze Zeit über mit einer Sicherheit, als hätten sie im Voraus und verständlich sich mit einander besprochen, und den Weg festgesetzt, den sie einschlagen wollten. Aber gegen Ende des genannten Zeitraums hielt der Hund wieder plötzlich ein, setzte sich in die Steppe nieder, schnüffelte einen Augenblick und begann ein dumpfes, trauriges Geheul.

»Ja, Bursche, ja, ich kenn‘ den Ort, kenn‘ ihn, und es ist recht, sich wohl an ihn zu erinnern!« sagte der Alte, blieb neben seinem unruhigen Gefährten stehen, bis die, welche folgten, herangekommen waren. »Nun dort ist ein Gehölz vor uns,« fuhr er fort und deutete vorwärts, »wo wir liegen bleiben können, bis schlanke Bäume auf diesen nackten Feldern wachsen, und keiner von des Auswanderers Geschlecht wird es wagen, uns zu belästigen.«

»Die Stelle dort, wo der Todte liegt?« rief Middleton und untersuchte den Ort mit einem Auge, das sich bei der Rückerinnerung empörte.

»Gerade die! Aber ob seine Freunde ihn in den Schooß der Erde gesenkt oder nicht, bleibt noch zu untersuchen. Der Hund kennt den Geruch, aber scheint auch noch ein wenig zweifelhaft. Es ist daher nöthig, daß Ihr hingeht, Freund Bienenjäger, um zu untersuchen, während ich die Hunde halte, daß sie nicht zu laut klagen.«

»Ich!« rief Paul und wickelte seine Hände in seine krausen Locken, wie, wenn man es für räthlich hält zu zögern, ehe man ein gefährliches Abenteuer besteht. »Ei, hört, alter Streifschütz: ich hab‘ in meinem dünnsten Rock mitten unter einem Bienenschwarm gestanden, der seine Königin verloren, ohne zu wanken, und laßt Euch sagen, wer das thun kann, fürchtet sich nicht leicht vor einem lebenden Sohn Ismael’s; aber sich mit Todtenbeinen zu befassen, ei, das ist weder mein Beruf noch meine Neigung; – so, nachdem ich Euch für Eure gütige Wahl gedankt, lehne ich, wie sie sagen, wenn sie einen zum Korporal in der Kentucky-Miliz machen, den Dienst ab.«

Der Alte wandte sich, in seiner Erwartung getäuscht, gegen Middleton, der zu sehr damit beschäftigt war, Inez zu trösten, als daß er seine Verlegenheit hätte bemerken können, aus der dieser jedoch plötzlich von einer Seite her errettet wurde, von der, nach früheren Zeichen, man wenig Grund hatte, eine solche Kraftäußerung zu erwarten.

Doctor Battius hatte sich während des ganzen Rückzugs etwas durch den außerordentlichen Eifer bemerkbar gemacht, mit dem er den gewünschten Erfolg zu erstreben sich bemühte. So ungemein umsichtig war in der That eine Anstrengung, daß sie gänzlich all seine frühern Neigungen sich unterworfen. Der würdige Naturforscher gehörte zu jener Art von Entdeckern, die die schlimmsten Reisegefährten für Jemand sind, der Eile hat. Keinen Stein, keinen Busch, keine Pflanze lassen sie je der Untersuchung ihres wachsamen Auges entgehen, und der Donner mag rollen, Regen niederströmen, er stört nicht die reizende Selbstvergessenheit ihrer Träumereien. Doch das war nicht der Fall mit Linné’s Schüler während des wichtigen Zeitraums, wo der interessante Punct vor dem Tribunal seines Verstandes verhandelt ward, ob des Auswanderers kühne Söhne ihm nicht vielleicht das Recht streitig machen würden, frei die Steppe zu durchziehen. Ein Hund von der beste Race und Zuckt hätte, sein Wild im Auge, nicht eifriger ihm nacheilen können, als der Doctor seine Curvenlinie durchlief. Es war vielleicht ein Glück für seine Tapferkeit, daß die List des Streifschützen ihm unbekannt blieb, der sie um Ismael’s Citadelle herumführte, und daß er in der beruhigenden Meinung lebte, jeder Zoll der Steppe, den er durchlaufe, werde zu der Entfernung zwischen ihm und dem verabscheuten Felsen hinzugefügt. Trotz des augenblicklichen Erstaunens, das er sicher fühlte, als er seinen Irrthum entdeckt, war er doch der Mann, der so kühn sich freiwillig stellte, um das Dickicht zu erforschen, worin er zu glauben Ursache hatte, er werde noch Asa’s Leichnam finden. Vielleicht ward der Naturforscher angetrieben, seinen Muth bei dieser Gelegenheit zu zeigen, weil er sich innerlich bewußt war. daß sein außerordentlicher Eifer auf dem Rückzug der Mißdeutung unterworfen sei, und es ist gewiß, daß, welches auch immer seine besondern Begriffe von der Gefahr vor den Lebenden gewesen sein mögen, seine Sitten und Kenntnisse ihn doch weit über die Furcht, durch Umgang mit Todten in Noth zu kommen, hinausgesetzt hatten.

»Wenn etwas zu thun ist, was vollkommene Beherrschung des Nervensystems verlangt,« sagte der Mann der Wissenschaft, mit einem Blick, der etwas Stolzes hatte, »braucht Ihr nur seinem intellektuellen Vermögen eine Richtung zu geben, und hier steht ein Mann, auf dessen physische Kräfte Ihr Euch verlassen könnt,«

»Der Mann spricht gern in Parabeln,« murmelte der sonderbare Streifschütz, »aber ich vermuthe, es liegt immer ein verborgener Sinn in seinen Worten, obgleich es eben so schwer ist, in seinen Reden Sinn zu finden, als drei Adler auf demselben Baum zu entdecken. Es wird gut sein, Freund, sich versteckt zu halten, die Söhne des Auswanderers möchten uns aus der Spur sein, und wir haben Ursache, wie Ihr wohl wißt, zu fürchten, jenes Gehölz berge einen Anblick, der ein Weib erschrecken könnte. Seid Ihr Mann genug, dem Tod in’s Gesicht zu sehen, oder soll ich uns der Gefahr aussetzen, daß die Hunde ein Bellen erregen, und selbst hineingehen? Ihr seht, der Kleine will schon mit offenem Maule hinrennen.«

»Ob ich Mann genug! Verehrungswürdiger Streifschütz, unsere Bekanntschaft ist neuen Ursprungs oder Eure Frage müßte bezwecken wollen, uns in einen wilden Streit zu bringen. Ich Mann genug! Ich behaupte, von der Klasse mammaIia, der Ordnung primates, dem Genus homo zu sein. Das sind meine physischen Attribute, von meinen moralischen laßt die Nachwelt reden; mir kommt’s zu, stumm zu sein.«

»Der Physikus mag gut sein, für die, welche ihn lieben; nach meinem Geschmack und Urtheil ist sein Erscheinen weder angenehm, noch von Gesundheit zeugend; aber Moral that nie einer lebenden Seele etwas zu Leid, mochte der Mensch sich im Wald aufhalten oder von kristallenen Fenstern und wärmenden Caminen umgeben sein. Nur einige schwere Worte trennen uns, Freund, denn ich bin der Meinung, daß bei Umgang und Freimüthigkeit wir bald einander verstehen sollten, und in der Hauptsache in unserm Urtheil über die Menschen und den Lauf der Welt übereinkommen würden. Still, Hektor, still, was bringt dich auf, Kleiner, bist du nicht an Menschenblut gewöhnt?«

Der Doctor warf einen gnädigen, aber bedauernden Blick auf den Philosoph der Natur und trat einen oder zwei Schritte von der Stelle zurück, wohin ihn sein gereizter Muth getrieben hatte, um mit weniger Athemaufwand und größerer Freiheit in Action und Stellung ihm zu erwiedern.

»Ein homo ist freilich ein homo,« sagte er, und streckte seinen Arm auf eine imponirende und beweisende Art aus; »so weit die animalischen Functionen gehen, find die vereinigenden Ringe der Harmonie, Ordnung, Gleichförmigkeit, Absicht dem ganzen Genus gemein, aber hier hört auch die Aehnlichkeit auf. Der Mensch kann bis zu der Linie, die ihn von dem Thier trennt, durch Unwissenheit herabgewürdigt werden, aber auch erhoben werden zu einer Gemeinschaft mit dem großen Weltgeist durch Wissenschaft; ja, ich weiß nicht, ob er nicht, wären ihm Zeit und Gelegenheit verliehen, Herr alles Wissens und folglich gleich werden könnte dem großen belebenden Princip.«

Der Alte, der sich gedankenvoll auf seine Büchse lehnte, schüttelte den Kopf, als er mit angeborner Festigkeit antwortete, die gänzlich das imponirende Wesen, das sein Gegner hatte annehmen wollen, verdunkelte.

»Das ist nichts mehr und nichts weniger als große Verkehrheit! Jetzt hab‘ ich achtzig und sechsmal die Jahreszeiten sich folgen gesehen, und all diese Zeit die wachsenden oder sterbenden Bäume betrachtet, und doch weiß ich die Ursache nicht, warum die Knospe aufbricht im Sonnenschein, warum das Blatt fällt, wenn der Frost es durchdringt. Eure Gelehrsamkeit, rühmt sich auch ihrer der Mensch, ist Thorheit in dessen Augen, der in den Wolken thront und mit Betrübniß herabblickt auf den Stolz, die Eitelkeit seiner Geschöpfe. Viel sind der Stunden, die ich zugebracht, im Schatten der Wälder liegend, oder hingestreckt auf die Hügel jener offenen Felder, wo ich aufsah in die blauen Lüfte, hin, wo ich mir denken konnte, der große Geist habe seinen Stand genommen, und schaue auf die Verkehrtheit des Wegs der Menschen und Thiere unter ihm, wie ich selbst oft hingeblickt auf die Mücken, die sich überflogen in ihrem Eifer, – doch Er auf eine Weise angemessener seiner Kraft und Herrlichkeit! Wissenschaft! Er spielt damit. Sagt mir, Ihr haltet’s ja für so leicht, hinaufzuklimmen auf den Richtersitz oben, könnt Ihr mir erzählen vom Anfang und Ende? Ja, auch Ihr habt Wissenschaft von der Krankheit und der Heilung, was ist Leben und was ist Tod? Warum lebt der Adler lange Jahre, warum ist des Schmetterlings Zeit so kurz? Beantwortet mir noch eine leichtere Frage: warum ist dieser Hund so unruhig, während Ihr, die Ihr unter Büchern Euer Leben verbracht, keine Ursachen sehen könnt, Euch zu fürchten?«

Der Doctor, den die Würde und Kraft des Alten etwas erstaunt hatte, athmete tief, wie ein bedrängter Kämpfer, der sich eben von dem würgenden Griff seines Feindes losgemacht, und ergriff die Unterbrechung, als günstige Gelegenheit, etwas zu erwiedern:

»Es ist sein Instinkt.«

»Und was ist das?«

»Ein niederer Grad von Vernunft. Eine Art geheimer Verbindung von Gedanke und Materie.« »Und was nennt Ihr Gedanke?«

»Ehrwürdiger Jäger, das ist eine Methode, zu untersuchen, welche allen Nutzen der Definition zu nichte macht, und die auch, ich versichere Euch, ganz und gar in den Schulen nicht geduldet wird.«

»Dann ist noch mehr List in euren Schulen, als ich gedacht hatte, denn gerade das ist die sicherste Methode, ihnen die Eitelkeit zu zeigen,« entgegnete der Streifschütz, und ließ plötzlich eine Unterhaltung fallen, an der der Naturforscher eben so große Freude zu finden begann. Jener wandte sich zum Hund und suchte ihn durch’s Spielen mit seinen Ohren zu beruhigen. »Es ist thöricht, Hektor, und schickt sich besser für einen jungen ohne Zucht, als für einen verständigen Hund, der seine Erziehung durch harte Erfahrung gemacht hat, und nicht, indem er die Spur anderer Hunde nachschnüffelte, wie ein Junge in den Colonieen den Fußstapfen seiner Lehrer folgt, mögen sie nun Recht haben oder nicht. – Nun, Freund, Ihr vermögt so viel, könnt Ihr in’s Dickicht schauen, oder muß ich selbst gehen?«

Der Doctor nahm seine entschlossene Miene wieder an und machte sich fertig, ohne weiteres Reden zu thun, was der Andere verlangte. Die Hunde wurden in so weit durch die Vorstellungen des Alten zurückgehalten, daß sie ihre Klagen auf dumpfes, aber oft wiederholtes Seufzen beschränkten. Als sie aber den Naturforscher vorschreiten sahen, brach der alte Hund durch alle Schranken, und lief um ihn in schnellen Kreisen herum, die Erde beriechend, als er weiter ging, kehrte dann zu seinem Gefährten zurück und heulte laut.

»Der Wanderer und seine Söhne müssen starke Spuren auf dem Boden zurückgelassen haben,« sagte der Alte, und wartete, während er sprach, auf ein Zeichen von seinem gelehrten Gefährten, um ihm zu folgen; »ich hoffe, jener Schulgelehrte versteht genug, um sich des Auftrags zu erinnern, den ich ihm gab.«

Doctor Battius war schon im Gebüsch verschwunden, und der Streifschütz verrieth immer mehr Zeichen von Ungeduld, als die Gestalt des erstem aus dem Dickicht rücklings sich zurückzog, die Augen immer auf die Stelle gerichtet, die er eben verlassen, als sei sein Blick durch die Kraft eines Zaubers hingebannt.

»Nach seinem wilden Blick zu urtheilen, muß es etwas Furchtbares sein,« rief der Alte, ließ Hektor los, und schritt muthig auf den gänzlich sich unbewußten Naturforscher zu. »Was gibt’s, Freund, habt Ihr ein neues Blatt in Eurem Buch der Weisheit gefunden?«

»Es ist ein Basilisk!« murmelte der Doctor, dessen veränderte Gesichtszüge die gänzliche Verwirrung verriethen, die seinen Geist befallen. »Ein Thier von der Ordnung: Schlangen. Ich hatte gemeint, seine Charaktere wären fabelhaft, aber die mächtige Natur kann Alles hervorbringen, was man sich denken kann.«

»Was ist es, was ist’s? Die Schlangen der Steppe sind unschädlich, es müßte denn manchmal eine erboste Klapperschlange sein, und diese benachrichtigt Euch immer mit ihrem Schwanz, ehe sie mit ihren Fängen an’s Werk geht. Himmel, welch erniedrigendes Ding ist die Furcht! Da ist einer, der gewöhnlich zu hohe Worte vorbringt, als sich für einen demüthigen Mund schicken, jetzt so ganz außer sich, daß seine Stimme so sein ist, wie das Zwitschern des Whippoorwill. Muth, Mann, was gibt’s?«

»Ein Wunder, ein lusus naturae (Naturspiel), ein Ungeheuer, das die Natur hat bilden wollen, um ihre Macht zu zeigen. Nie hab‘ ich solch eine Verwirrung in allen ihren Gesetzen gesehn oder ein Exemplar getroffen, das so gänzlich der Unterscheidung in Klassen und Genera Hohn spricht. Laß mich sein Aeußeres aufschreiben,« (er suchte nach seiner Brieftasche, doch zitterten die Hände zu sehr, um ihm den Dienst zu leisten), »so lange es Zeit und Gelegenheit noch erlaubt; Augen, bezaubernd, Farbe, bunt, complex – –«.

»Man sollte denken, der Bursche wär‘ verrückt mit seinen bezaubernden Blicken und seinen Farben!« fiel der unwillige Streifschütz ein, der etwas unruhig zu werden anfing, daß seine Begleiter immer noch nicht sich an einen verdeckten Ort begeben; »wenn ein Reptil im Gebüsch ist, zeigt mir das Ding, und sollte es nicht gutwillig weggehn, nun so müssen wir um den Besitz der Stelle kämpfen.«

»Dort!« sagte der Doctor, und deutete im Gebüsch nach einer Stelle, die etwa fünfzig Fuß von ihnen entfernt war. Der Streifschütz sah hin mit vollkommner Ruhe, aber sobald sein scharfer, geübter Blick auf den Gegenstand traf, der so sehr die Philosophie des Naturforschers verwirrt hatte, prallte er selbst zurück, nahm schnell seine Büchse vor, und wendete sie aber eben so plötzlich wieder weg, als wenn ein anderer Gedanke ihn überzeugt hatte, daß es Unrecht sei. Weder jene Instinctmäßige Bewegung noch das plötzliche Besinnen war ohne Grund. An dem Rande des Dickichts, in enger Berührung mit der Erde, lag eine belebte Kugel, die leicht wegen ihrer Seltsamkeit und Wildheit ihres Anblicks den wirren Zustand in des Naturforschers Geist rechtfertigen konnte. Es war schwer, die Gestalt und Farben dieses ungewöhnlichen Wesens zu beschreiben, man konnte nur im Allgemeinen sagen, daß es fast sphärisch war, und alle Farben des Regenbogens ohne Rücksicht auf Harmonie und ohne bemerkbaren Plan zusammengemischt darlegte. Die vorherrschenden Farben waren ein Schwarz und ein glänzendes Roth. In diese jedoch verschmolzen seltsam und wild die verschiedenen Tinten von weiß, gelb und karmoisin. Wäre dies alles gewesen, würde man kaum haben sagen können, daß das Wesen Leben besäße, denn es lag regungslos da wie ein Stein; aber ein Paar schwarzer, glänzender, bewegter Augäpfel, welche die geringsten Schritte des Streifschützen und seines Gefährten bewachten, bewiesen hinlänglich den wichtigen Punct seines Belebtseins.

»Euer Reptil ist ein Auskundschafter, oder ich verstehe mich nicht auf indianische Färbung und Teufelei,« murmelte der Alte, stieß den Kolben seines Gewehrs auf den Boden und sah mit festem Auge auf den furchtbaren Gegenstand, während er sich kaltblütig auf den Flintenlauf stützte. »Er will uns unser Gesicht und unsere Vernunft aussehen und uns glauben machen, der Kopf einer Rothhaut sei ein mit Herbstblättern bedeckter Stein, oder er hat sonst eine andere teuflische List im Sinn.«

»Das Thier wäre ein Mensch?« fragte der Doctor; »von dem Genus homo! Ich hätte es für ein noch nicht beschriebenes gehalten.«

»Es ist ein menschliches und auch so sterblich, wie je ein Krieger dieser Steppen gewesen ist. Ich hab‘ die Zeit gesehen, wo eine Rothhaut sich tollkühn gezeigt haben würde, wenn sie aus ihrem Versteck in einem solchen Habit einen Jäger angesehen, den ich nennen könnte, der aber jetzt zu alt und seiner Zeit zu nah‘ ist, als etwas besseres zu sein, wie ein elender Streifschütz. Er wird gut sein, zu dem Ungeziefer zu reden, und es wissen zu lassen, daß es mit Leuten zu thun hat, deren Bärte gewachsen sind. Kommt hervor aus Euerm Versteck, Freund,« fuhr er in der Sprache der ausgedehnten Stämme der Dahcotah fort; »es ist auf der Steppe noch Raum für einen Krieger.«

Die Augen schienen noch stolzer zu glühen als vorher, aber die Masse, welche nach des Streifschützen Meinung nichts mehr und nichts weniger als ein Menschenkopf war, den man, wie unter den Kriegern des Westen gewöhnlich, geschoren hatte, blieb noch ohne Regung und ohne jedes andere Zeichen von Leben.

»Es ist ein Irrthum!« rief der Doctor. »Das Thier ist selbst nicht aus der Classe mammalia, viel weniger ein Mensch.«

»Ja, so viel Ihr versteht!« entgegnete der Streifschütz, und lachte mit vieler Selbstzufriedenheit. »Nach der erlernten Weisheit eines Mannes, der in so viele Bücher gesehen, daß seine Augen kein Moschusthier von einer wilden Katze unterscheiden können. Nun, mein Hektor, hier ist ein Hund von Erziehung nach seiner Art, und obgleich der kleinste Bursche in den Colonieen sein Wissen zu Schande zu machen sich getraute, könntet Ihr doch den Hund in einem solchen Fall nicht täuschen. Da Ihr meint, der Gegenstand sei kein Mensch, so sollt Ihr seine ganze Bildung sehen, und dann laßt einen unwissenden alten Streifschützen, der nie einen Tag in seinem Leben im Bereich eines Buchstabirbuchs zubrachte, wissen, wie das Ding zu nennen ist. Bedenkt, ich will ihm nichts Leids zufügen, sondern nur dem Teufel seine Hülle abstreifen.«

Der Streifschütz untersuchte jetzt sehr genau den Hahn seiner Flinte, trug Sorge, so viel möglich, seine feindlichen Absichten recht bemerkbar zu machen, indem er mit der Waffe alle nöthigen Evolutionen vornahm. Als er glaubte, der Unbekannte fange wirklich an, Gefahr zu fürchten, schlug er sehr behutsam die Büchse an und rief laut:

»Nun, Freund, Friede oder Krieg, wie Ihr wollt. – Nein, es ist kein Mensch, wie der gelehrte Mann hier sagt, und es kann nichts schaden, wenn ich so gerade in den Blätterhaufen hineinschieße.«

Die Mündung der Flinte richtete sich dahin, als er schloß, und die Waffe nahm nach und nach eine feste, und, was sich leicht hätte zeigen können, eine gefährliche Haltung an, als ein schlanker Indianer unter seinem Blätter- und Reiserbett hervorsprang, das er wahrscheinlich bei Annäherung des Haufens über sich geworfen, und aufrecht dastand, und den inhaltreichen Ausruf: »Wagh« hervorstieß.