Sechstes Kapitel.

Er ist zu empfindlich, zu geputzt, zu geziert und zu dumm;
Er ist aus der Fremde; ich behaupt‘ es kurz um.

Shakespeare.

 

Die Angloamerikaner rühmen sich gern und nicht ohne scheinbaren Grund, daß ihr Volk mit weit mehr Recht sich eine rühmliche Abstammung anmaßen kann, als alle andern Nationen, deren Geschichte Glauben verdient. Wie groß auch immer die Schwachheiten der ersten Anpflanzer gewesen sein mögen, ihre Tugenden sind selten geläugnet worden. Wenn sie abergläubisch waren, so waren sie auch aufrichtig fromm, und folglich gut. Die Ankömmlinge dieser einfachen Provinzialen voll Einfalt des Herzens verwarfen die gewöhnlichen und künstlichen Mittel, wodurch Ehrenbezeugungen in den Familien sich fortpflanzen, und setzten an deren Stelle einen Kampfpreis, der den Einzelnen selbst in den Bereich der Würdigung des Staats bringt, indem er so wenig als nur möglich aus Rücksicht auf die Vorfahren zuerkannt wird. Dieser Gleichmuth, diese Selbstverläugnung, dieser gesunde Verstand, oder mit welchem andern Ausdruck man sonst diese Maßregel belegen mag, hat der Nation den Vorwurf zugezogen, als habe sie einen unedeln Ursprung. Lohnte es der Mühe, so würde man bei näherer Untersuchung finden, daß weit mehr als die Hälfte der berühmten Namen des Mutterlandes bis auf diese Stunde in seinen früheren Colonieen gefunden wird; und es ist eine den Wenigen, welche mit einem so unwichtigen Gegenstand sich beschäftigt haben, wohlbekannte Thatsache, daß die Sprößlinge von gerader Linie aus manchem aussterbenden Geschlecht, welches Englands Politik durch Seitenlinien hat stützen wollen, jetzt die Aemter einfacher Bürger unter uns verwaltet. Der Stock ist derselbe geblieben, und die, welche den ehrwürdigen Korb umflattern, mögen gerne die leere Auszeichnung des Alters ihrer Geburt sich anmaßen, uneingedenk der Baufälligkeit ihrer Besitzung, und der Genüsse der zahlreichen und kräftigen Schwärme, welche die frischeren Süßigkeiten einer neuen Welt einsammeln. Aber da dies ein Gegenstand ist, der mehr für einen Politiker und Geschichtschreiber als für den bescheidenen Erzähler der heimischen Vorfälle gehört, die wir darlegen wollen, so müssen wir unsere Betrachtungen auf solche Dinge beschränken, welche eine unmittelbare Beziehung auf den Gegenstand der Erzählung haben.

Obgleich der Bürger der Vereinten Staaten mit so vielem Recht auf ein hohes Geschlecht Anspruch machen darf, ist er doch gar nicht von der Strafe wegen seines Falls befreit. Gleiche Ursachen bringen, wie bekannt, gleiche Wirkungen hervor. Der Tribut, den, wie es scheint, die Nationen immer durch mühsame Erfahrung am Altar der Ceres bezahlen müssen, ehe sie deren volle Gunst erfahren, wird gewissermaßen in Amerika von dem Abkömmling, statt von dem Vorfahr bezahlt. Der Gang der Civilisation bei uns hat eine außerordentliche Aehnlichkeit mit dem aller kommenden Begebenheiten, welche, wie man sagt, »ihren Schatten vor sich werfen.« Alle Stufen der Gesellschaft, von dem Zustand an, welcher der verfeinerte genannt wird, bis zu dem, der so nahe an Barbarei gränzt, als es die Verbindung mit einem verständigen Volk erlaubt, kann man nachweisen aus der Mitte der Staaten, wo Reichthum, Ueppigkeit und Künste anfangen sich niederzulassen, bis zu den entfernten, und immer zurückweichenden Grenzen, welche die Scheide abmarken, und die Nähe der Nation anzeigen, wie bewegliche Nebel dem Tag vorauszugehen pflegen.

Hier und hier allein findet man die weitverbreitete, aber gar nicht zahlreiche Classe, welche in allem mit denen verglichen werden kann, die den intellektuellen Fortschritten der Nationen in der alten Welt den Weg gebahnt haben. Die Aehnlichkeit zwischen dem amerikanischen Grenzwohner und seinem europäischen Urbild ist sonderbar, wiewohl sie nie ganz zur Gleichheit wird. Beide können unbeschränkt genannt werden, da der eine über, der andere unter dem Bereich des Gesetzes ist; – beide tapfer, da sie unter Gefahren aufwuchsen, – stolz, da sie unabhängig waren, – rachsüchtig, da jeder selbst Rächer des ihm angethanen Unrechts war. Eine weitere Fortsetzung der Parallele würde dem Grenzwohner Unrecht thun. Er ist irreligiös, weil er die Lehre ererbt hat, daß die Religion nicht in Formen besteht, und seine Vernunft eine Mummerei verwirft, die sein Gewissen nicht billigt. Er ist nicht Ritter, weil er nicht die Macht hat, Auszeichnungen zu erweisen, und er hat nicht die Macht, weil er das Kind, nicht der Vater des Systems ist. Auf welche Art diese verschiedenen Eigenschaften sich in einigen der markirtesten Menschen aus der letztern Classe darstellen, wird man aus dem Verlauf der folgenden Erzählung ersehen.

Ismael Busch hatte das Ganze eines Lebens von mehr als fünfzig Jahren auf den Grenzen der bürgerlichen Gesellschaft zugebracht. Er rühmte sich, daß er nie gewohnt, wo er nicht sicher jeden Baum hätte fallen können, den er von seiner Schwelle aus sah; daß das Gesetz selten in seinen Wohnbezirk gekommen, und seine Ohren nie freiwillig den Ton einer Kirchenglocke zugelassen. Seine Bemühungen gingen selten weiter als seine Bedürfnisse, die, seiner Classe eigenthümlich, selten unbefriedigt geblieben. Er hatte keine Achtung vor irgend einem Wissen, die Heilkunde ausgenommen; weil er die Anwendung einer Wissenschaft nicht begreifen konnte, wenn sie nicht in die äußern Sinne fiel. Seine Achtung für diesen besondern Zweig der Wissenschaft hatte ihn vermocht, dem Wunsche eines Mediziners Gehör zu geben, dessen Eifer für Naturgeschichte ihn getrieben, die Wanderungsliebe des Grenzwohners zu benutzen. Diesen Herrn hatte er liebevoll in seine Familie oder vielmehr in seinen Schutz aufgenommen, und sie reisten so weit in vollkommner Eintracht durch die Steppen; Ismael wünschte seinem Weibe oft Glück zu dem Besitz eines Gefährten, der in ihrer neuen Wohnung, wo sie auch immer sein möchte, so nützlich sein würde, bis die Familie sich gänzlich acclimatisirt habe. Die Ausflüge des Naturforschers führten ihn jedoch zu Zeiten häufig Tage lang von der geraden Linie der Reiseroute des Grenzwohners ab, der selten eine andere Führerin als die Sonne zu haben schien. Viele würden sich glücklich gepriesen haben, daß sie bei dem gefährlichen Sioux-Einfall abwesend gewesen, und so that auch Obed Bat (oder, wie er sich gern nannte, Battius, M. D. und Mitglied mehrerer cisatlantischen gelehrten Gesellschaften), – der kühne Herr, von dem die Rede ist.

Obgleich Ismael’s träger Charakter nicht sehr aufgeregt ward, war er doch sehr verstimmt durch die Freiheiten, die man sich mit seinem Eigenthum genommen. Er begab sich zur Ruhe, denn es war die Stunde, die er zu dieser Erfrischung bestimmt, und weil er wußte, wie unnütz jede Bemühung sein würde, seine Habe in der Dunkelheit der Mitternacht wieder zu erlangen. Er kannte auch die Gefahr seiner gegenwärtigen Lage zu wohl, um, was noch übrig ist, für das zu wagen, was er verloren. So sehr auch die Bewohner der Steppen, wie man weiß, die Pferde lieben, so wissen sie doch auch andere Dinge, die noch in dem Besitz der Wanderer waren, gehörig zu schätzen. Es war eine gewöhnliche List, die Heerden zu zerstreuen, und dann die Verwirrung zu benutzen. Aber Mahtoree hatte, wie es schien, in dem gegenwärtigen Fall die Klugheit des Mannes, den er angriff, zu gering angeschlagen. Die Gleichgültigkeit, mit der der Grenzwohner seinen Verlust hörte, haben wir schon gesehen, und es bleibt noch übrig, den Erfolg seiner gereifteren Entschließungen darzulegen.

Obgleich das Lager manches Auge einschloß, das lange offen blieb, und manches Ohr, welches das geringste Zeichen eines neuen Lärms schnell auffing, lag es doch in tiefer Ruhe während des übrigen Theils der Nacht. Stille und Ermüdung übten endlich ihre Rechte aus, und ehe der Morgen erschien, war alles, die Schildwachen ausgenommen, wieder in tiefem Schlaf begraben. In wie weit diese schläfrigen Wachter ihre Pflicht nach dem Ueberfall erfüllten, ist nie recht bekannt geworden, da nichts vorfiel, was ihre nachherige Wachsamkeit hätte darthun oder widerlegen können.

Sobald jedoch der Tag zu dämmern begann, und ein graues Licht vom Himmel auf die dunkeln Gegenstände der Ebene fiel, erhob sich Ellen Wade’s halb wirres, angstvolles und doch blühendes Antlitz unter der Masse der Kinder empor, unter die sie sich bei ihrer verstohlnen Rückkehr in’s Lager gemischt hatte. Sie stand leise auf, wand sich leicht durch die ausgestreckten Körper und ging mit derselben Vorsicht bis zu den äußersten Vertheidigungswerken Ismael’s. Hier lauschte sie, als untersuchte sie, ob es rathsam sei, weiter zu gehn. Doch dauerte dies nur einen Augenblick, und lange, ehe die schlaftrunkenen Augen der Schildwache, die die Stelle übersah, wo sie stand, Zeit gehabt, einen Lichtstrahl von ihrer behenden Gestalt aufzufangen, eilte sie der Niederung hin, und stand auf dem Gipfel der nächsten Anhöhe.

Ellen lauschte jetzt lang und aufmerksam, um einen andern Laut zu vernehmen, als das Säuseln der Morgenluft, das leise in dem Gras zu ihren Füßen spielte. Sie wollte eben, in ihrer Erwartung getäuscht, die Erforschung aufgeben, als das Geräusch eines Menschentritts durch das nasse Gras zu ihrem Ohr drang. Schnell vorwärts eilend, sah sie die Umrisse einer Gestalt, die nach der Anhöhe zuschritt, auf der dem Lager entgegengesetzten Seite, als habe sie ihrem Schatten wahrgenommen. Sie hatte schon Paul’s Namen ausgestoßen, und wollte eben mit der eiligen, schnellen Stimme, womit weibliche Zuneigung den Freund zu grüßen pflegt, das Gespräch beginnen, als sich bei’m Umwenden das Mädchen getäuscht sah, und ihrem Gruß kalt hinzufügte: »Ich hätte nicht gedacht, Doctor, Euch zu dieser ungewöhnlichen Stunde zu begegnen.«

»Alle Stunden, jede Zeit, meine gute Ellen, sind dem wahren Freund der Natur gleich« erwiederte ein kleiner, hagerer aber außerordentlich lebendiger Mann, der in eine sonderbare Mischung von Tuch und Häuten gekleidet war, und schon das mittlere Alter zurückgelegt hatte; »und wer bei diesem dunkeln Licht nichts zu finden weiß, was er bewundern muß, kennt einen großen Theil der Segnungen nicht, die er genießt.«

»Sehr wahr,« sagte Ellen, der plötzlich beifiel, daß sie ihr eigenes Erscheinen zu so ungewöhnlicher Stunde entschuldigen müsse, »ich kenne viele, welche meinen, die Erde sei reizender bei der Nacht, als im vollen Sonnenschein!«

»Ei, da müssen ihre Sehorgane zu convex sein; der, welcher die Sitten des Katzengeschlechts, oder die Abart, die Albinos, studiren will, muß sich zu dieser Stunde aufmachen. Ja, es gibt auch Menschen, die lieber bei der Dämmerung die Dinge betrachten, aus dem einfachen Grund, weil sie sie besser zu dieser Tageszeit sehen.«

»Und ist dies die Ursache, warum auch Ihr so viel bei Nacht aus seid?«

»Ich bin auch in der Nacht aus, mein gutes Kind, weil die Erde in ihrer täglichen Umwälzung nur die Hälfte der Zeit das Sonnenlicht unter Einem gegebenen Mittagskreis läßt, und weil, was ich zu thun habe, nicht in zwölf oder fünfzehn Stunden hinter einander abgemacht werden kann. Jetzt bin ich zwei Tage von der Familie weg gewesen, suche eine Pflanze, von der man gewiß ist, daß sie in dem Flußgebiet des la Plata sich findet, ohne auch nur einen Grashalm zu finden, der noch nicht aufgezählt und in seine Classe gebracht wäre.«

»Da seid Ihr recht unglücklich gewesen, Doctor, aber –«

»Unglücklich!« wiederholte der kleine Mann, ihr näher tretend und zog seine Mappe hervor, mit einer Miene, worin Freude auf sonderbare Art mit einer angenommenen Demuth kämpfte. »Nein, nein, Ellen, ich bin eher alles andere als unglücklich; es müßte denn ein Mann so genannt werden können, dessen Glück gemacht, dessen Ruf für immer gegründet ist, dessen Name mit Buffon zur Nachwelt übergehen wird, – mit Buffon, das ist ein bloßer Compilator, ein Mann, der aus dem Grund, den andere bearbeitet, blüht. Nein pari passu (gleichen Schritt) mit Solander der seine Wissenschaft durch Mühe und Entbehrungen erkaufte.«

»Habt Ihr eine Mine entdeckt, Doctor Bat?« – »Mehr als eine Mine; einen gemünzten Schatz; und tauglich zu augenblicklichem Gebrauch, Kind, – hör‘! Ich zog den nöthigen Winkel, um die Linie vom Zug Eures Oheims zu durchschneiden, nachdem ich lange fruchtlos gesucht; als ich einen Schall gleich dem Abbrennen von Feuergewehren hörte –«

»Ja,« rief Ellen schnell, wir hatten Lärm –«

»Und dachtet, ich sei verloren,« fuhr der wissensreiche Mann fort, zu vertieft in seine eigenen Gedanken, um ihre Unterbrechung zu verstehen. – »Da hatte es ein wenig Noth. – Ich zeichnete meine eigene Grundlinie hin, fand die Länge der Perpendiculare durch Rechnung, und hatte nun, um die Hypothenuse zu ziehen, nichts weiter zu thun, als den Winkel zu berechnen. Ich dachte, die Gewehre seien meinetwegen abgefeuert worden, und änderte meine Richtung nach den Tönen, nicht daß ich glaubte, die Sinne seien genauer oder auch nur so genau als eine mathematische Rechnung; sondern ich fürchtete, eins von den Kindern brauche etwa meine Hülfe.« »Sie sind all‘ wohl – –«

»Hört,« unterbrach der andere und hatte schon seine angenommene Aengstlichkeit für seine Patienten bei der größern Wichtigkeit des gegenwärtigen Gegenstandes vergessen; »ich hatte ein großes Stück der Steppe durchschritten, – der Schall dringt weit, wenn ihm nichts entgegensteht, – als ich ein Trappeln hörte, als ob Bison die Erde schlügen. Dann sah ich in der Ferne eine Heerde Quadrupeden, die sprangen die Hügel auf und ab, Thiere, die noch unbekannt und unbeschrieben geblieben, wäre nicht ein höchst glücklicher Zufall eingetreten. Eins, und das ein edleres Exemplar als alle übrigen, sprang ein wenig von den andern weg. Die ganze Heerde machte eine Biegung nach meiner Richtung und das Thier, welches sich abgesondert, schlug eben diese ein, wodurch es auf etwa fünfzig Fuß mir zu Gesicht kam. Ich benutzte die Gelegenheit und schrieb seine Beschreibung mit Hülfe meiner Bleifeder und meiner Lampe auf der Stelle ein. Ich hätte tausend Dollar, Ellen, für einen einzigen Schuß von einem von den Jungen gegeben!«

»Ihr führt ein Pistol, Doctor, warum gebrauchtet Ihr es nicht?« sagte das halb unaufmerksame Mädchen, das ängstlich die Steppe mit dem Blick durchsuchte; aber immer noch blieb, wo sie stand und sich gerne aufhalten ließ.

»Ei, es schießt nur mit ganz kleinem Blei, wie es sich zur Tödtung größerer Insekten und Reptilen eignet. Nein, ich that so besser, als mich in einen Kampf zu wagen, worin ich nicht Sieger sein konnte. – Ich bemerkte den Vorfall und notirte jedes einzelne mit der Genauigkeit, welche die Wissenschaft fordert. Ihr sollt alles hören, Ellen, denn Ihr seid ein gutes, lernbegieriges Kind, und wenn Ihr behaltet, was Ihr auf diese Art lernt, so könnt Ihr noch der Wissenschaft sehr nützlich werden; sollte mir etwa ein Unglück zustoßen. In der That, würdige Ellen, mein Gewerb hat seine Gefahren eben so gut, als das eines Kriegers. Eben diese Nacht,« fuhr er fort und warf sein Auge unwillkührlich um sich, »diese schreckliche Nacht ist der Funke des Lebens selbst in großer Gefahr gewesen zu erlöschen.«

»Wodurch?«

»Durch das Ungeheuer, das ich entdeckt. Es kam mir oft ganz nahe und selbst wenn ich zurückging, näherte es sich mir. Ich glaubte bloß die kleine Lampe, die ich führte, hat mich geschützt. Ich hielt sie zwischen uns, während ich schrieb, und brauchte sie so zu dem doppelten Zweck, als Leuchte und als Schild. Aber Ihr sollt die Charakterzeichen des Thiers hören und dann über die Gefahr urtheilen, die wir Beförderer der Wissenschaft zum Besten der Menschheit uns aussetzen.«

Der Naturforscher hob jetzt seine Mappe gegen den Himmel, und schickte sich an, so gut als möglich bei dem wenigen Licht, das auf die Ebene fiel, vorzulesen, nachdem er als Vorrede vorausgeschickt:

»Merkt auf, mein Kind, jetzt sollt Ihr hören, mit welchem Schatz es mein schönes Loos war, die Blätter der Naturgeschichte zu bereichern.«

»Es ist also ein Wesen Eurer Schöpfung,« sagte Ellen, von ihrem fruchtlosen Suchen sich wegwendend mit einem Blick aus ihren lebhaften blauen Augen, welcher zeigte, daß sie mit den Schwachheiten ihres gelehrten Gefährten zu scherzen verstehe.

»Ist denn die Kraft, unbelebten Wesen Leben zu geben, ein Geschenk des Menschen? Ich wünschte, es wäre so! Ihr solltet bald eine Historia naturalis Americana sehen, welche die schreienden Nachbeter des Franzmanns Buffon beschämen würde. Große Verbesserung könnte in der Bildung aller Quadrupeden vorgenommen werden, besonders bei denen, wo Schnelligkeit eine Tugend ist. Zwei der untern Gliedmaßen müßten nach den Grundsätzen des Hebels gebaut sein; Räder vielleicht, wie man sie jetzt macht; obgleich ich mich noch nicht entschieden habe, ob die Verbesserung besser an die Vorder- oder an die Hinterbeine angebracht würden, da ich erst noch ausmachen muß, ob Ziehen oder Stoßen eine größere Muskelkraft erfordert. Das natürliche Schwitzen des Thieres würde die Reibung vermindern helfen, und so ein großer Vortheil erlangt werden. Aber all dies ist nicht zu hoffen, wenigstens für jetzt nicht,« fügte er mit einem leichten Seufzer hinzu, hob seine Mappe wieder gegen das Licht, las laut: »October 6ten 1805, – dies ist nur das Datum, welches, wie ich sagen darf, Ihr so gut wißt, als ich, – Quadruped, gesehen bei Sternlicht, und mit Hülfe einer Taschenlampe, in den Steppen von Nordamerika, – Breite und Meridiane sehe Journal, – Genus – unbekannt; deßwegen genannt nach dem Entdecker und von dem glücklichen Zufall, daß es bei Nacht gesehen ward, – Vespertilio horribilis, Americanus . Verhältnisse (nach beiläufiger Schätzung) – Größeste Länge, eilf Fuß; Höhe, sechs Fuß; Kopf, aufrecht; Nasenlöcher, weit aufstehend; Augen, ausdrucksvoll und feurig; Zähne, sägeförmig und zahlreich; Schwanz, horizontal, wellenförmig und fast katzenartig; Beine groß und haarig; Krallen, lang, gekrümmt, gefährlich; Ohren, unansehnlich; Hörner, lang, abstehend, furchtbar; Farbe, aschgrau mit schönen Flecken; Stimme, volltönig, martialisch, schreckhaft; Lebensart, heerdenweis, fleischfressend, stolz und furchtlos. – Da habt Ihr,« rief Obed, als er diese sententiöse aber zusammenfassende Beschreibung geendet, »da habt Ihr ein Thier, das wohl mit dem Löwen um den Titel: König der Thiere streiten mag.«

»Ich verstehe nichts von allem, was Ihr da gelesen habt, Doctor Battius,« erwiederte das listige Mädchen, das die Schwachheiten des Philosophen kannte, und oft ihm einen Titel gab, den er so gern hörte; »aber ich halt‘ es für gefährlich, sich so weit vom Lager zu wagen, wenn solche Ungeheuer in den Steppen wüthen.«

»Ihr könnt’s wohl wüthen nennen,« entgegnete der Naturforscher, drückte sich fester an sie, und dämpfte seine Stimme zu so leisen und vielleicht etwas zu zutraulichen Tönen, daß sie fast noch mehr sagten, als sie sollten; »nie vorher ward mein Muth auf eine solche Probe gestellt; ja es gab einen Augenblick, ich muß es gestehen, wo das fortiter in re vor einem so schrecklichen Feind zurückbebte; aber die Liebe zur Naturwissenschaft hielt mich aufrecht und ließ mich triumphiren.«

»Ihr sprecht eine so ganz verschiedene Sprache von der in Tenessee,« sagte Ellen, und bemühte sich, ihr Lachen zu verbergen, »daß ich kaum weiß, ob ich Euch verstanden habe. Wenn ich nicht irre, so wollt Ihr sagen, Ihr hättet fast ein Herz wie eine Henne.«

»Das ist ein Gleichniß, wie nur gänzliche Unbekanntschaft mit der Bildung dieses Vogels eins machen kann. Das Herz einer Henne steht im gehörigen Verhältniß mit ihren übrigen Organen, und das Hausgeflügel ist in seinem Naturzustand sehr muthig. Ellen,« fügte er mit einem so ernsten Blick hinzu, daß er selbst auf das Mädchen einigen Eindruck machte; »ich ward verfolgt, gejagt, ja es war eine Gefahr, daß ich gar nicht – – doch was ist das!«

Ellen staunte hin, denn der Ernst und die einfache Aufrichtigkeit ihres Gefährten hatte selbst in ihrem leichtfertigen Sinn fast Glauben sich verschafft. Als sie nach der Richtung hinschaute, die der Doctor ihr bezeichnete, sah sie in der That ein Thier, das über die Steppe hinstreifte, und schnurstracks auf die Stelle zukam, die sie einnahmen. Der Tag war noch nicht weit genug vorgerückt, um es ihr möglich zu machen, dessen Gestalt und Art zu unterscheiden, obgleich es sichtbar genug war, ihr den Glauben beizubringen, es sei ein starkes, wildes Thier.

»Es kommt, es kommt!« rief der Doctor, und suchte, fast instinctartig, seine Mappe, während seine Kniee, trotz der Anstrengung, die er machte, sich aufrecht zu erhalten, gar schön zitterten und bebten. »Nun, Ellen, hat das Glück mir eine Gelegenheit gegeben, die bei’m Sternenlicht gemachten Fehler zu verbessern – halt, – aschgrau, – keine Ohren, – Hörner, außerordentlich.« – Seine zitternde Stimme, seine bebende Hand, beides ward durch ein Brüllen oder vielmehr durch einen Schrei des Thieres reglos gemacht, der so furchtbar war, daß er selbst einen größern Muth als den des Naturforschers gebeugt hätte.

Die Töne des Thieres schallten über die Steppe in fremdartigen, wilden Cadenzen, und dann folgte ein tiefes, feierliches Schweigen, das nur durch ein herzliches, unbändiges Gelächter von Ellen Wade’s wohltönenderer Stimme unterbrochen wurde. Indeß stand der Naturforscher wie eine Bildsäule vor Erstaunen, und ließ einen wohlgewachsenen Esel, gegen dessen Annäherung er nicht länger sein gepriesenes Lichtschild vorhielt, ohne weitere Bemerkung oder Weigerung um seine eigene Person herumriechen.

»Es ist Euer eigener Esel,« rief Ellen, so bald sie wieder zu Worten kommen konnte, »Euer eigener geduldiger, hart-arbeitender, armer Schelm.« Der Doctor wandte wild die Augen vom Thier zur Sprecherin, von der Sprecherin zum Thier, aber gab seiner Verwunderung keinen hörbaren Ausdruck. »Wollt Ihr denn ein Thier nicht anerkennen, das so lange in Eurem Dienst sich abgemüht hat,« fuhr das Mädchen, immer noch lachend, fort. »Ein Thier, von dem ich Euch tausendmal sagen hörte, es habe Euch gut gedient, und das Ihr wie Euern Bruder liebtet.«

» Asinus domesticus!« brachte der Doctor hervor, und holte Athem, als wenn er nah‘ am Ersticken gewesen. »Ja das Genus ist nicht mehr zweifelhaft, und ich werde immer behaupten, daß das Thier nicht von der Species equus ist. Es ist offenbar Asinus selbst, Ellen Wade, aber nicht Vespertilio horribilis der Steppen. Sehr verschiedene Thiere, versichere Euch, Kind, und in jedem wichtigeren Einzelnen von verschiedenem Charakter. Jenes fleischfressend,« fuhr er fort, und sein Auge fiel auf seine offene Mappe, »dieses pflanzenfressend; Gemüthsart, stark, gefährlich; Gemüthsart, geduldig, enthaltsam; Ohren, unansehnlich; Ohren, lang; Hörner, abstehend u. s. w.; Hörner, keine!«

Er ward durch ein zweites Lachen von Ellen unterbrochen, und dies diente gewissermaßen dazu, ihn wieder zu sich zu bringen.

»Das Bild des Vespertilio war nur auf der r etina,« bemerkte fast entschuldigend der erstaunte Forscher in die Geheimnisse der Natur, »und ich war thöricht genug, mein eigenes treues Thier für das Ungeheuer zu halten? Doch bin ich auch jetzt noch sehr verwundert, das Thier so im Weiten herumirren zu finden.«

Ellen erzählte ihm dann im Einzelnen die Geschichte des Angriffs und seine Folgen. Sie beschrieb mit einer Genauigkeit, die jedem Andern als ihrem verdachtlosen Zuhörer ihren eigenen Ausflug verrathen hätte, die Art, wie die Thiere aus dem Lager getrieben worden, und sich eiligst in der offenen Ebene zerstreut hätten. Ob sie es gleich nicht mit deutlichen Worten sagte, so wußte sie doch die große Wahrscheinlichkeit ihrem Gefährten einleuchtend zu machen, daß er den erschreckten Haufen für wilde Thiere gehalten, und schloß dann ihre Erzählung mit einem Bedauern des Verlustes, und einigen sehr natürlichen Bemerkungen über den hülflosen Zustand, in welchen er die Familie gebracht. Der Naturforscher hörte in stillem Staunen zu, unterbrach nicht die Erzählung, und unterdrückte selbst jeden Ausruf der Verwunderung. Doch bemerkte das scharfsichtige Mädchen, daß er, als sie fortfuhr, das wichtige Blatt aus der Mappe herausnahm, und auf eine Art, die zeigte, daß ihr Besitzer von seiner Täuschung zurückgekommen war. Seit der Zeit hat die Welt nichts mehr von dem Vespertilio horribilis Americanus gehört, und die Naturwissenschaft unwiederbringlich ein wichtiges Glied in der großen lebendigen Kette verloren, welche Himmel und Erde verbinden soll, und worin der Mensch so traulich mit dem Affen zusammengestellt wird.

Als Doctor Bat alle Umstände des Einfalls vernommen, nahm seine Besorgniß alsbald eine andere Richtung. Er hatte eine Menge Folianten und sehr viele Kisten, mit Pflanzenexemplaren und todten Thieren wohl versehen, unter Ismael’s guter Obhut gelassen; nun fiel’s ihm plötzlich ein, daß so listige Plünderer wie die Sioux nie die Gelegenheit versäumen würden, ihn dieser Schätze zu berauben.

Nichts, was auch Ellen vom Gegentheil versichern mochte, konnte seine Furcht beruhigen; so trennten sie sich, er seiner Zweifel und Besorgnisse ledig zu werden, sie so schnell und leise, wie sie es eben verlassen, in das stille, heimliche Zelt zurück zu schleichen.