Dreizehntes Kapitel.

»Die Pickelhack‘, den Spaten her,
Zum Schuß ’ne Erdeschicht;
Und Schollen dann, nicht braucht es mehr,
Braucht mehr zur Ruh‘ ihm nicht.«

Gesang in Hamlet.

 

»Tretet zurück, zurück ihr Alle!« sagte Esther barsch zu dem Haufen, der sich zu nahe an den Leichnam drängte; »ich bin seine Mutter, und mein ist das Recht vor euch Allen! Wer hat das gethan? Sagt’s mir, Ismael, Abiram, Abner! Oeffnet euern Mund und euer Herz und laßt sie Gottes Wahrheit und nichts Anderes reden! Wer beging diese blutige That?«

Ihr Mann gab keine Antwort; erstand auf seine Buchse gelehnt, düster, doch mit unverändertem Auge, auf die zerrissenen Ueberreste seines Sohns hinblickend. Nicht so die Mutter; sie warf sich zur Erde, nahm das kalte, starrende Haupt des Todten in ihren Schooß auf und saß, viele Augenblicke auf jene muskelvolle Züge schauend, in die der Todeskampf sich eingeprägt, mit einem Schweigen, da? sprechender war, als alle Klagetöne hätten sein können.

Die Stimme des Weibes war wirklich von Gram gefesselt. Vergebens versuchte Ismael einige rauhe Trostworte; sie hörte, sie antwortete nicht. Ihre Söhne standen im Kreis um sie und bewiesen nach ihrer ungeschlachten Weise ihre Theilnahme an ihrem Kummer, so wie ihre Empfänglichkeit für ihren eignen Verlust; aber sie winkte sie ungeduldig weg. Manchmal spielten ihre Finger in dem wirren Haar des Getödteten, und dann versuchte sie leichthin, die furchtbar ausdrucksvollen Muskeln seines geisterhaften Antlitzes zu sänftigen, wie wenn die Hand der Mutter oft freundlich über den Mienen des schlafenden Kindes sich hinbewegt. Dann, aufspringend von ihrem trostlosen Geschäft, waren ihre Hände in rastloser Bewegung, als suchten sie vergeblich ein Mittel gegen den furchtbaren Schlag, der so plötzlich das Kind vernichtet, auf das sie ihre größte Hoffnung, als ihren mütterlichen Stolz gesetzt hatte. Während sie mit dieser unbegreiflichen Bemühung beschäftigt war, wandte der schläfrige Abner sich zur Seite und zerdrückte die ungewohnte Bewegung, die ihn ergriffen durch die Bemerkung: »Die Mutter will, wir sollen nach den Zeichen forschen, um zu entdecken, wie Asa seinen Tod gefunden.«

»Das verdanken wir den verfluchten Sioux!« antwortete Ismael; »zweimal haben sie mich arg zu ihrem Schuldner gemacht; mit dem dritten Male werden wir quitt sein!«

Aber gleichsam nicht zufrieden mit dieser annehmlichen Erklärung, und vielleicht in’s Geheim froh, ihre Augen von einem Schauspiel abwenden zu können, das so außerordentliche und ungewöhnliche Bewegungen in ihrer wilden Brust erweckte, wandten die Söhne des Auswanderers zusammen sich weg von ihrer Mutter und dem Leichnam und machten Anstalten, die Untersuchungen anzustellen, welche die erstere nach ihrer Meinung so wiederholt gefordert hatte. Ismael widerstrebte nicht; aber obgleich er seine Söhne in ihrer Untersuchung begleitete, geschah’s mehr dem Schein nach, um ihren Wünschen nachzugeben zu einer Zeit, wo Widerstand nicht rathsam war, als mit irgend einer sichtlichen Theilnahme an dem Erfolg. Da die Grenzwohner trotz ihres gewöhnlichen Stumpfsinns wohl erfahren waren in den meisten Dingen, die ihre Lebensart betrafen, mußte ein Nachforschen, dessen Erfolg so sehr auf Zeichen und Beweisen beruhte, die alle mit den Verrichtungen der Jagd so große Ähnlichkeit hatten, nothwendig mit Geschicklichkeit und Scharfsinn betrieben werden. So gingen sie an die traurige Aufgabe mit großer Fertigkeit und vielem Geschick.

Abner und Enoch trafen überein in ihrer Erzählung von der Lage, worin sie den Leichnam gefunden. Er saß fast aufrecht, den Rücken mit einer Masse zerknicktem Buschwerk unterstützt, und in der Hand noch einen abgebrochenen Weidenast festhaltend. Wahrscheinlich diesem erstern Umstand mußte man es zuschreiben, daß der Leichnam der Gier der Raubvögel entgangen war, die man über dem Dickicht hatte herumfliegen sehen, und das Letztere bewies, daß das unglückliche Opfer noch nicht ganz ohne Leben war, als er in das Gehölz kam. Die Meinung wurde jetzt allgemein, der Junge habe seine tödtliche Wunde auf der offenen Steppe erhalten und seine schwachen Glieder in das Dickicht geschleppt, um sich zu verbergen; eine Spur durch das Gebüsch bestätigte diese Ansicht. Man fand auch bei näherer Untersuchung, daß ein verzweifeltes Ringen am Rand des Wäldchens selbst stattgefunden. Das zeigte sich deutlich an den zertretenen Zweigen, den tiefen Fußstapfen auf dem nassen Boden und den Blutflecken.

»Er ist aus dem freien Land geschossen worden, und hierher gekommen, des Schutzes wegen« sagte Abiram. »Diese Zeichen würden es klar beweisen. Der Junge ist von einer ganzen Schaar Wilder angegriffen worden und hat wie ein Held gefochten, der er auch war, bis sie seine Kraft übermeistert und ihn in’s Gebüsch gezogen haben.«

Gegen diese wahrscheinliche Meinung war jetzt nur noch Eine abweichende Stimme, die des langsam begreifenden Ismael; er verlangte, der Leichnam solle selbst zu einer genauer Kenntnisse der Verletzungen untersucht werden. Beim Nachforschen fand sich, daß eine Büchsenkugel gerade durch den Leib des Verstorbenen gegangen war, unter einer seiner breiten Schultern hinein, und durch die Brust heraus. Es erforderte einige Kenntnisse von Schusswunden, um diesen schwierigen Punkt zu entscheiden; aber die Erfahrung der Grenzzone war der Aufgabe ganz gewachsen, und ein Lächeln wilder, gewiss sonderbarer Selbstgefälligkeit verbreitete sich unter Israels Söhnen, als Abner fest behauptete, Asa’s Feinde hätten ihn im Rücken angegriffen.

»Es muß so sein,« sagte der finstere aber aufmerksame Wanderer; »er war von zu guter Art, zu gut unterrichtet, um die schwache Seite einem Menschen oder Thier zuzuwenden. Erinnert euch, Jungen, daß so lang ihr die männliche Stirn euerm Feinde bietet, mag er sein, wer er will, ihr sicher seid vor schurkischem Ueberfall. – Ei, Esther, Weib! Du bist ganz außer dir, zupfst an dem Haar, dem Kleid des Kindes! Wenig kannst du ihm jetzt helfen, altes Kind!«

»Sieh!« fiel Enoch ein und brachte aus den Ueberresten von Asa’s Kleidern eine Bleikugel heraus, die die Kraft eines so Starken zu Boden geworfen. »Da ist die Kugel.«

Ismael nahm sie in die Hand und betrachtete sie lang und genau.

»Es kann kein Zweifel sein;« murmelte endlich der Vater zwischen den Zähnen; »die Kugel kommt von dem Stutz des verfluchten Streifschützen. Wie viele Jäger, hat er ein Zeichen an seiner Munition, um die Dienste wieder zu erkennen, die ihm seine Büchse thut; und hier seht Ihr es deutlich, sechs kleine Löcher kreuzweis.«

»Ich will darauf schwören!« rief Abiram triumphirend. »Er zeigte mir das besondere Merkmal selbst, und rühmte sich der Menge Wild, die er eben mit diesen Kugeln auf den Steppen niedergestreckt hatte. Nun, Ismael, werdet Ihr mir glauben, wenn ich Euch sage, daß der alte Schurke ein Spion der Rothhäute ist!«

Das Blei ging von Hand zu Hand; und zum Unglück für die Ehre des Alten erinnerten sich noch mehrere von ihnen, die ebengenannten Kugelzeichen gesehen zu haben, als sie seine Habseligkeiten genau untersuchten. Außer dieser Wunde jedoch fanden sich noch viele andere von weniger gefährlicher Art, welche alle die vermeintliche Schuld des Streifschützen bethätigen sollten, Spuren vom Ringen fand man noch an mehreren Orten zwischen der Stelle, wo das erste Blut vergossen worden, und, dem Dickicht, wohin sich, wie zu einem Zufluchtsort, Asa sollte zurückgezogen haben. Dies wurde als eben so viele Beweise von der Schwäche des Mörders dargestellt, welcher weit eher sein Opfer hingerichtet haben würde, hätte nicht die sterbende Kraft des Jünglings ihn der Hinfälligkeit eines so alten Mannes furchtbar gemacht. Die Gefahr, noch andere Jäger herbeizuziehen, wenn er nochmals gefeuert hätte, hielt man für einen hinlänglichen Grund, daß er nicht nochmals seine Büchse zur Hand nahm, nachdem sie ihm durch Entwaffnung des Opfers einen so wichtigen Dienst gethan hatte. Die Waffe des Todten war nicht zu finden, war ohne Zweifel mit noch mehreren andern weniger werthvollen Dingen, die der Verstorbene bei sich zu tragen pflegte, eine Beute seines Mörders geworden.

Aber was noch außer der Kugel die verruchte That mit ganz besonderer Gewißheit auf den Streifschützen zu bringen schien, das war der noch dazu kommende Beweis, den man von den Fußstapfen hernahm, welche zeigten, daß trotz der tödtlichen Verwundung Asa noch im Stande gewesen war, den folgenden Anstrengungen seines Mörders einen langen, verzweifelten Widerstand zu leisten. Ismael schien dies Zeugniß mit einer seltsamen Mischung von Kummer und Stolz besonders geltend zu machen; mit Kummer über den Verlust eines Sohnes, den er zur Zeit ihrer Eintracht hoch geschätzt; mit Stolz über den Muth und die Kraft, die er bis zu seinem letzten schwächsten Athemzug gezeigt hatte.

»Er starb, wie ein Sohn von mir sterben sollte;« sagte der Wanderer, und zog einen düstern Trost aus einer so unnatürlichen Freude; »ein Schrecken seines Feindes bis an sein Ende, und ohne Hülfe von dem Gesetz! Kommt, Kinder; erst müssen wir sein Grab machen, dann seinen Mörder verfolgen!«

Die Söhne des Auswanderers gingen an ihr Werk stille und betrübt. Mit großem Aufwand von Mühe und Zeit ward ein Loch in die harte Erde gemacht, und der Leichnam in die ärmlichen Gewänder gehüllt, die man unter den Grabenden sammeln konnte. Als diese Vorkehrungen getroffen waren, näherte sich Ismael der dem Anschein nach unempfindlichen Esther und theilte ihr seine Absicht mit, den Todten einzusenken. Sie hörte ihn und ließ ruhig den Leichnam los, stand schweigend auf, und folgte ihm zu seinem engen Ruheort. Hier setzte sie sich wieder an das Grab, und bewachte jede Bewegung der Jungen mit eifrigem, sorgsamem Auge. Als hinlänglich Erde auf Asa’s empfindungslose Hülle geworfen worden, um sie vor jeder Entweihung zu schützen, stiegen Enoch und Abner in die Gruft, und traten durch das Gewicht ihrer hohen Gestalten die Masse fest, alles mit einer sonderbaren, um nicht zu sagen wilden Mischung von Sorgfalt und Gleichgültigkeit. Diese wohlbekannte Vorsichtsmaßregel ward getroffen, um das schnelle Ausgraben des Leichnams durch die gefräßigen Thiere der Steppe zu verhindern, deren Instinct sie sicher auf diese Stelle führen mußte. Auch schienen die Raubvögel die Art dieser Ceremonie zu begreifen; denn geheimnißvoll unterrichtet, daß das unglückliche Opfer jetzt von den Menschen verlassen werden sollte, begannen sie wieder ihre luftigen Kreise um die Stelle, mit lautem Geschrei, als wollten sie die Verwandten zurückschrecken von der Arbeit ihrer Vorsicht und Liebe.

Ismael stand mit gefalteten Armen, standhaft die Art beobachtend, auf welche diese nöthige Pflicht erwiesen ward, und als das Ganze vorüber war, rückte er seine Mütze vor seinen Söhnen und dankte ihnen für ihren Dienst mit einer Würde, die selbst einem viel besser Erzogenen angestanden haben würde. Während des Ganzen einer Ceremonie, die immer feierlich und ergreifend ist, hatte der Wanderer eine ernste, nachdenkende Haltung bewahrt. In seinen groben Zügen lag offenbar der Ausdruck großen Kummers, aber nicht einmal verriethen sie Schwäche, bis er dem Grabe seines Erstgebornen, wie er glaubte für immer, den Rücken wandte. Da regte sich mächtig die Natur in ihm, und der Muskeln seines ernsten Gesichts begannen, merklich zu kämpfen. Seine Kinder warfen ihre Augen auf ihn, als suchten sie einen Ableiter für die sonderbaren Erregungen, die ihre schwerfälligen Naturen erschütterten, als der Kampf in des Auswanderers Brust plötzlich aufhörte, er sein Weib am Arm ergriff und sie aufzog, als wäre sie ein Kind, während er mit einer Stimme, die vollkommen fest war, obgleich ein scharfsichtiger Beobachter entdeckt haben würde, daß sie sanfter war als gewöhnlich, sagte: »Esther, wir haben jetzt alles gethan, was wir thun können. Wir zogen den Knaben auf und bildeten ihn, daß wenige ihm gleich waren auf den Grenzen von Amerika, und jetzt haben wir ihm ein Grab bereitet. Laß uns gehen.«

Das Weib wandte langsam ihre Augen von der frischen Erde weg, legte ihre Hand auf die Schulter ihres Gemahls, und sah ihm ängstlich für einige Augenblicke in die Augen, ehe sie mit einer tiefen, furchtsamen und fast erstickten Stimme sagte:

»Ismael, Ismael, du verließest den Jungen in deinem Zorn!«

»Möge der Herr ihm seine Sünden so gerne verzeihen, als ich ihm seine schwersten Vergehungen vergeben habe,« entgegnete ruhig der Wanderer; »Weib, geh‘ du zurück zum Felsen, und lies in deiner Bibel; ein Kapitel aus diesem Buch tröstet dich immer. Du kannst lesen, Esther, ein Vorzug, dessen ich mich nie erfreute.«

»Ja, ja,« murmelte das Weib und gab seiner Stärke nach, und ließ sich, obwohl mit großem Widerstreben, von der Stelle wegführen. »Ich kann lesen, und wie hab‘ ich diese Kenntniß benutzt! Er, Ismael, er hat nicht die Sünde auf sich, sein Lernen nicht gebraucht zu haben. Diese wenigstens haben wir ihm erspart, ob aus Liebe oder Grausamkeit, ich weiß es nicht.«

Ihr Gemahl antwortete nicht, sondern führte sie immer weiter nach ihrer einstweiligen Wohnung zu. Als sie den Gipfel der geringen Anhöhe erreichten, welche, wie sie wußten, die letzte Stelle war, von wo Asa’s Grab gesehen werden konnte, wandten sie sich Alle, wie durch gemeinsamen Antrieb, um, um zum letzten Mal einen Blick auf den Ort zu werfen. Der kleine Hügel selbst war nicht sichtbar, aber er wurde auf schreckliche Weise durch die Heerde schreiender Vögel angedeutet, die über ihm kreisten. In der entgegengesetzten Richtung bezeichnete eine niedere, blaue Erhöhung an den Grenzen des Horizonts den Ort, wo Esther ihre übrigen Kleinen gelassen, und diente als ein Anziehungsmittel für ihre Schritte, die sich nur widerstrebend von der letzten Wohnung ihres ältesten Sohnes entfernten. Die Natur regte sich in dem Busen der Mutter bei dem Anblick, und die Rechte des Todten wichen endlich den drängenderen Ansprüchen der Lebenden.

Die eben erzählten Vorgänge hatten den rohen Gemüthern, die so sonderbar durch ihre wilde Lebensweise sich gestaltet hatten, einen Funken entlockt, der dazu beitrug, die erlöschende Gluth der Familienanhänglichkeit lebendig zu erhalten. An ihre Eltern durch keine stärkeren Bande geknüpft, als die waren, welche der Umgang erzeugt, war große Gefahr gewesen, wie Ismael vorausgesehen hatte, daß der überladene Stock bald schwärmen, und ihn belastet mit der Sorge für eine junge, hülflose Brut verlassen würde, nicht mehr unterstützt von den Bemühungen derer, die er schon zum Mannesalter herangezogen. Der Geist des Ungehorsams, der von dem unglücklichen Asa ausgegangen, hatte sich unter seinen jüngeren Brüdern verbreitet und den Wanderer in die traurige Nothwendigkeit gesetzt, an die Zeit zu denken, wo im Leichtsinn der Jugend und Kraft, er, die Ordnung der Thierwelt umkehrend, seinen eigenen bejahrten, hinfälligen Vater zurückgestoßen hatte, um in die Welt zu gehen, ungefesselt und frei. Aber die Gefahr war jetzt vorüber, eine Zeit lang wenigstens; und wenn sein Ansehen nicht mehr in all seinen früheren Einfluß eingesetzt ward, gab man doch offenbar zu, daß es bestand und seine Herrschaft noch etwas länger behielt.

Es ist wahr, seine langsamen Söhne, selbst während sie sich den Eindrücken des jüngsten Vorfalls überließen, hatten Anfälle von gefährlichem Mißtrauen über die Art, wie ihr älterer Bruder seinen Tod gefunden. Es waren dunkele und undeutliche Bilder in dem Geist von zwei oder drei der ältesten, welche den Vater selbst für fähig hielten, Abrahams Beispiel nachzuahmen, ohne die Entschuldigung des göttlichen Ansehens zu haben, das dem heiligen Mann gebot, die empörende That zu versuchen. Aber dann waren diese Bilder so vorübergehend und so sehr von Verstandesscrupeln verdunkelt, daß sie keine feste Eindrücke zurückließen, und das Ergebniß der ganzen Verhandlung ging, wie wir schon gesagt haben, eher dahin, Ismael’s Ansehen zu befestigen als zu schwächen.

In dieser Gemüthsverfassung setzte der Haufen seinen Weg nach dem Ort fort, wo sie diesen Morgen auf ein Nachsuchen ausgegangen waren, das mit einem so traurigen Erfolg gekrönt worden. Der lange fruchtlose Marsch, den sie unter Abiram’s Leitung gemacht, die Entdeckung des Leichnams und die darauf folgende Beerdigung, hatten in soweit den Tag weggenommen, daß um die Zeit, wo sie über den breiten Strich der Wüste hinschritten, welcher zwischen Asa’s Grab und dem Felsen lag, die Sonne schon weit unter ihre Meridianhöhe hinabgesunken war. Der Hügel hatte sich allmählig, wie sie sich näherten, gleich einem Thurme aus dem Busen der See, erhoben, und als sie ihm auf eine Meile nahe kamen, wurden die einzelnen Gegenstände, die seine Höhe krönten, dunkel sichtbar.

»Es wird eine traurige Zusammenkunft für die Mädchen sein,« sagte Ismael, der von Zeit zu Zeit nicht unterließ, etwas zu sagen, was tröstend sein sollte für den zerrütteten Geist seiner niedergeschlagenen Gemahlin. »Asa war sehr geachtet von all den Kindern, und verfehlte selten, etwas von der Jagd mitzubringen, was sie gern hatten.«

»Ja, das that er,« murmelte Esther; »der Junge war der Stolz der Familie. – Meine anderen Kinder sind nichts gegen ihn.«

»Sag‘ das nicht, gutes Weib,« entgegnete der Vater und warf sein Auge etwas stolz auf den athletischen Zug, der in nicht großer Entfernung folgte. »Sag‘ das nicht, alte Esther; denn wenige Väter und Mütter haben größere Ursache stolz zu sein als wir.«

»Dankbar, dankbar,« murmelte das demüthige Weib, »du meinst dankbar, Ismael!«

»Nun denn dankbar, wenn du das Wort lieber willst, mein gutes Kind; aber was ist aus Nelly geworden und den Kleinen! Das Kind hat den Auftrag vergessen, den ich ihr gab, und nicht nur die Kleinen schlafen lassen, sondern ich wette, träumt auch selbst von den Feldern von Tenessee in diesem Augenblick. Der Sinn deiner Nichte ist nur, ich glaub’s gewiß, auf die Ansiedelungen gerichtet.«

»Ach sie ist nicht für uns; ich sagt‘ es und dacht‘ es, wie ich sie sah, da der Tod sie all‘ ihrer Freunde beraubt hat. Der Tod ist ein böser Werkmann in den Familien. Ismael! Asa hatte Liebe zu dem Kind, und sie hätten eines Tags an unsere Stelle treten können, wenn es gegangen wäre.«

»Nein, sie paßt nicht zu einem Grenzweib, wenn das die Art ist, wie sie das Haus wahrt, während der Gemahl auf der Jagd ist. Abner, laß deine Flinte hören, daß sie merken, daß wir kommen. Ich fürchte Nelly und die Kleinen schlafen.«

Der junge Mann folgte mit einer Schnelligkeit, welche verrieth, wie gern er die gerundete, lebhafte Gestalt Ellens die zackigen Gipfel des Felsens beleben sehen möchte. Aber dem Schalle folgte weder ein Zeichen noch eine Antwort irgend einer Art. Für einen Augenblick stand der ganze Haufen in Erwartung, auf den Erfolg gespannt, und dann trieb ein plötzlicher Entschluß sie Alle, ihre Gewehre zu gleicher Zeit abzufeuern, was ein Geräusch hervorbrachte, das nicht verfehlen konnte, Aller Ohren in so geringer Entfernung zu erreichen.

»Ach, da kommen sie endlich!« rief Abiram, der gewöhnlich unter den ersten war, einen Umstand zu ergreifen, welcher Befreiung von unangenehmer Befürchtung versprach.

»Es ist ein Rock, der auf der Leine flattert,« sagte Esther, »ich hing ihn selbst dahin.«

»Du hast Recht; aber jetzt kommt sie. Die Dirne hat Trost im Zelt gesucht.«

»So ist’s auch nicht,« sagte Ismael, dessen sonst so unveränderliche Züge anfingen die Unruhe zu verrathen, die er fühlte. »Es ist das Zelt selbst, das leicht in dem Wind flattert. Sie haben es am Boden losgemacht, wie sie denn thörichte Kinder sind, und wenn wir nicht Sorge tragen, wird das Ganze herunterkommen.«

Die Worte waren kaum ausgesprochen, als ein wilder, rauschender Windstoß an der Stelle vorbeisauste, wo sie standen, und Staub in kleinen Theilchen mit sich fortriß; dann, wie von einer Meisterhand geleitet, den Boden verließ, und in seinem Fortgang gerade nach dem Ort zustieg, auf den Aller Augen eben jetzt gerichtet waren. Die losgemachte Leinwand fühlte seinen Einfluß und wankte; gewann jedoch das Gleichgewicht wieder und ward für einen Augenblick ruhig. Die Wolke von Blättern spielte dann in kreisenden Wirbeln um die Stelle und fiel mit der Schnelligkeit eines schwebenden Habichts herab, worauf sie fortsegelte in der Steppe in langen, geraden Linien, wie eine Flucht von Schwalben, die ausruhen auf ihren ausgebreiteten Flügeln. Ihr folgte auf einige Entfernung das schneeweiße Zelt, das jedoch bald hinter den Felsen fiel, und dessen höchste Spitze so nackt ließ, als läg‘ er in gänzlicher Verlassenheit in der Wüste.

»Die Mörder find hier gewesen,« seufzte Esther. »Meine Kleinen, meine Kleinen!«

Für einen Augenblick fuhr selbst Ismael vor dem Gewicht eines so unerwarteten Schlags zurück. Aber sich schüttelnd, wie ein erwachter Löwe, sprang er vorwärts, warf zur Seite die Hindernisse der Verschanzung, als seien es Federn, und eilte der Höhe mit einer Unaufhaltsamkeit hinauf, welche verrieth, wie furchtbar eine lässige Natur werden konnte, wenn sie recht erregt wird.