Vierundzwanzigstes Kapitel.

Deine geheime Lust wird offne Schaam,
Dein heimlich Schwelgen öffentlich Entbehren;
Dein hoher Titel ein zerlumpter Nam‘,
Dein süßer Mund wird bittern Wermuth gähren;
Nie können deine Eitelkeiten währen.
Tarquintus und Lucretia.

Judith erwartete die Zurückkunft Wildtödters auf der Plattform mit steigender Ungeduld, bis er endlich das Castell erreichte. Hist und Hetty lagen Beide in tiefem Schlaf auf dem Bette, das gewöhnlich die Töchter des Hauses einnahmen, und der Delaware hatte sich auf dem Boden des anstoßenden Gemaches hingestreckt, seine Büchse neben ihm, und einen Teppich über sich gebreitet, schon träumend von den Begebnissen der letzten paar Tage. Eine Lampe brannte in der Arche; denn die Familie pflegte sich diesen Luxus bei außerordentlichen Gelegenheiten zu gestatten, und besaß auch die Mittel dazu; und das Gefäß war nach Form und Material von der Art, daß man mit Wahrscheinlichkeit vermuthen konnte, er sey auch einmal in dem Schranke gewesen.

Sobald das Mädchen des Canoes ansichtig wurde, gab sie ihr hastiges Aufundabschreiten auf der Plattform auf, und stand bereit zum Empfang des jungen Mannes, dessen Rückkehr sie nun schon einige Zeit mit Spannung erwartete. Sie half ihm das Canoe anbinden, und legte dadurch, daß sie ihm bei verschiedenen andern kleinen Geschäften behülflich war, ihr Verlangen an den Tag, sobald als möglich einen freien Augenblick eintreten zu sehen. Als dieß endlich geschah, benachrichtigte sie ihn auf seine Erkundigung, von der Art und Weise, wie ihre Genossen sich die Zeit zu Nutze machten. Er hörte ihr aufmerksam zu, denn das Benehmen des Mädchens war so ernst und bedeutungsvoll, daß er wohl merkte, sie habe Etwas von ungewöhnlicher Wichtigkeit auf der Seele. »Und jetzt, Wildtödter,« fuhr Judith fort, »seht Ihr, habe ich die Lampe angezündet und sie in die Cajüte der Arche gestellt. Das geschieht bei uns nur bei großen Veranlassungen, und ich betrachte diese Nacht als die wichtigste meines Lebens. Wollt Ihr mir folgen, und sehen, was ich Euch zu zeigen – hören, was ich Euch zu sagen habe?«

Der Jäger war etwas überrascht; aber er machte keine Einwendungen, und bald befanden sich beide auf der Fähre, in dem Gemache, wo das Licht brannte. Hier standen zwei Stühle neben dem Schranke, und auf einem dritten die Lampe, und in der Nähe ein Tisch, um die verschiednen Artikel aufzunehmen, so wie sie zum Vorschein kämen. Diese Anordnung hatte ihren Grund in der fieberhaften Ungeduld des Mädchens, die keine Verzögerung ertragen mochte, welcher zu begegnen in ihrer Macht stand. Selbst alle Schlösser waren weggenommen, und es blieb nur noch übrig, den schweren Deckel aufzuheben, und die Schätze dieses langverborgnen Hortes auszulegen.

»Ich sehe zum Theil, was dieß Alles bedeutet,« bemerkte Wildtödter, »ja ich durchschaue es zum Theil. Aber warum ist Hetty nicht anwesend? nachdem Thomas Hutter todt ist, ist sie Miteigentümerin dieser Merkwürdigkeiten, und sollte sehen, wie man sie eröffnet und was man damit anfängt.«

»Hetty schläft,« antwortete Judith hastig, »Zum Glück für sie haben schöne Kleider und Schätze für sie keinen Reiz. Zudem hat sie mir heute Nacht ihren Antheil an Allem, was dieser Schrank enthalten mag, übergeben, daß ich damit nach meinem Gutdünken verfahre.«

»Ist die arme Hetty hinlänglich ihrer Geisteskräfte mächtig dazu, Judith?« fragte der rechtlichgesinnte, junge Mann. »Es ist eine gute Vorschrift und eine gerechte, daß man Nichts nehmen solle, wenn die Gebenden den Werth ihrer Gaben nicht verstehen, und mit solchen, welche Gott so schwer heimgesucht hat in ihrem Verstande, sollte man so sorgsam umgehen, wie mit Kindern, die noch nicht zu ihrer Vernunft gekommen sind.«

Judith war verletzt durch diese Zurechtweisung aus dem Munde dieses Mannes, aber sie würde dieselbe noch weit lebhafter empfunden haben, hätte nicht ihr Gewissen sie von allen ungerechten, selbstsüchtigen Absichten gegen ihre schwachsinnige, aber vertrauensvolle Schwester freigesprochen. Es war jedoch nicht der Augenblick, irgendwie die bei ihr so gewöhnliche Aufwallung ihres stolzen Geistes zu verrathen, und die vorübergehende Empfindlichkeit ward unterdrückt von dem Wunsche, zu dem wichtigen Vorhaben, das sie im Auge hatte, zu gelangen.

»Hetty wird kein Unrecht geschehen,« antwortete sie mild; »sie weiß auch sogar nicht nur, was ich zu thun im Begriff stehe, sondern auch, warum ich es thue. So nehmt denn Euren Sitz, hebt den Deckel des Schranks auf, und dießmal wollen wir bis auf den Boden hinabdringen. Es sollte mich sehr wundern, wenn sich nicht Etwas fände, was uns über die Geschichte Thomas Hutter’s und meiner Mutter mehr aufklärte.«

»Warum sagt Ihr Thomas Hutter, Judith, und nicht Euer Vater? Den Todten soll man mit ebensoviel Ehrfurcht begegnen, als den Lebenden.«

»Ich habe schon lang geargwohnt, daß Thomas Hutter nicht mein Vater sey, obwohl ich ihn für Hetty’s Vater zu halten geneigt war, aber jetzt wissen wir, daß er der Vater von Keiner von uns ist. Er bekannte dieß förmlich in seinen letzten Augenblicken. Ich bin alt genug, um mich eines bessern Zustands zu erinnern, als worin wir auf diesem See gelebt haben, obgleich die Eindrücke davon in meinem Geiste so schwach sind, daß mir der frühere Theil meines Lebens wie ein Traum erscheint.«

»Träume sind armselige Wegweiser, wenn man sich über Wirklichkeiten zu entscheiden hat, Judith,« versetzte der Andere warnend. »Bildet Euch Nichts ein, und hofft Nichts ihrethalb: obwohl ich schon Häuptlinge gekannt habe, die sie für nützlich hielten.«

»Ich erwarte Nichts von ihnen für die Zukunft, mein guter Freund, kann aber nicht umhin mich dessen zu erinnern, was gewesen ist. Das ist aber eitel, wenn eine halbstündige Untersuchung uns Alles, oder sogar Mehr als ich wissen möchte, lehren kann.«

Wildtödter, der des Mädchens Ungeduld begriff, nahm jetzt seinen Sitz ein, und machte sich daran, von neuem die verschiedenen Artikel, welche der Schrank enthielt, auszukramen. Natürlich fand man Alles, was man früher schon durchsucht hatte, ebenso wie man es zuvor wieder eingepackt halte, und es erregte weit weniger Interesse und Bemerkungen, als bei der ersten Auffindung. Selbst Judith legte den kostbaren Brokat mit gleichgiltiger Miene bei Seite, denn sie hatte einen weit höhern Zweck im Auge als Befriedigung der Eitelkeit, und war ungeduldig, den noch verborgenen oder vielmehr unbekannten Schätzen auf den Grund zu kommen.

»All diese Dinge haben wir schon zuvor gesehen,« sagte sie, »und wollen uns nicht damit aufhalten, sie aufzumachen. Das Packet unter Eurer Hand, Wildtödter, ist ein neues, das wollen wir untersuchen. Gott gebe, daß es Etwas enthalte, was der armen Hetty und mir sage, Wer wir eigentlich sind.«

»Ja, wenn manche Packete reden könnten, sie würden von wunderbaren Geheimnissen zu erzählen haben,« versetzte der junge Mann, mit Bedacht die Falten eines neuen Stücks grober Leinwand auseinanderschlagend, um zum Inhalt einer auf seinen Knieen liegenden Rolle zu gelangen; »obwohl dieß hier nicht zu der Familie zu gehören scheint, angesehen, daß es nicht mehr und nicht weniger ist, als eine Art Fahne; aber von welcher Nation, das zu sagen, geht über meine Gelehrsamkeit.«

»Diese Flagge muß eine besondere Bedeutung haben,« fiel Judith hastig ein. »Oeffnet sie weiter, Wildtödter, damit wir die Farben sehen.« »Ha, ich bedaure den Fähndrich, der dieß Stück Tuch auf der Schulter zu schleppen, und damit im Feld zu paradiren hat. Es ist wahrhaftig groß genug, Judith, um ein Dutzend solcher Fahnen daraus zu machen, auf welche des Königs Officiere so große Stücke halten; das kann nicht die Fahne eines Fähndrichs, sondern muß die eines Generals seyn!«

»Ein Schiff könnte sie tragen, Wildtödter; und Schiffe, das weiß ich, führen solche Dinge. Habt Ihr nie schauerliche Geschichten gehört, daß Thomas Hutter einmal mit den Leuten in Verhältniß gestanden, die mau Bukkaniers nennt?«

»Bockohnnieren! Nein – ich nie – ich habe nie von ihm rühmen gehört, daß er ein guter Schütze auf Böcke gewesen wäre, von welcher Sorte sie seyn mochten. Hurry Harry sprach mir einmal davon, wie man glaube, daß er früher einmal in irgend einer Weise mit gewissen Seeräubern zu schaffen gehabt habe; aber, Herr im Himmel, Judith, es kann Euch doch wahrlich keine Befriedigung geben, das gegen Eurer Mutter Gatten herauszubringen, wenn er auch nicht Euer Vater ist.«

»Alles gibt mir Befriedigung, was mir Aufschluß gibt. Wer ich bin und mir die Träume meiner Kindheit erklären hilft. Meiner Mutter Gatte! Ja, er muß das gewesen seyn, obwohl es über eine menschliche Vernunft geht, zu erklären, wie eine Frau, wie sie, soll einen Mann gewählt haben, wie er! Ihr habt Mutter nie gesehen, und könnt daher nicht den unermeßlichen, unermeßlichen Unterschied empfinden, der zwischen ihnen stattfand.«

»Solche Dinge kommen aber doch vor; – ja, sie kommen vor; obwohl es über meine Begriffe geht, warum die Vorsehung sie zuläßt. Ich habe die trotzigsten Krieger gekannt mit den sanftesten Frauen im ganzen Stamm, und wieder gräßliche Zänkerinnen, welche Indianern zu Theil wurden, die zu Missionären sich geeignet hätten.«

»Das war es nicht, Wildtödter; das war es nicht. Oh! wenn es sich zeigen sollte, daß – nein; ich kann nicht wünschen, daß sie gar nicht sein Weib sollte gewesen seyn. Das kann keine Tochter von ihrer Mutter wünschen! Fahrt jetzt fort, und laßt uns sehen, was der viereckige Pack enthält.«

Wildtödter that nach ihrem Willen, und fand, daß er einen kleinen Koffer von hübscher Arbeit, aber geschlossen, enthielt. Das Nächste war, den Schlüssel zu finden; aber da alles Suchen fruchtlos blieb, wurde beschlossen, das Schloß aufzubrechen. Dieß bewerkstelligte Wildtödter bald mittelst eines eisernen Instruments, und man fand, daß er beinahe ganz mit Papieren angefüllt war. Viele davon waren Briefe; andere Bruchstücke von Manuskripten, Aufsätze, Rechnungen und ähnliche Urkunden. Der Falke stößt nicht mit plötzlicherer Gier auf das Huhn, als Judith herbeisprang, um sich dieses Schachts von bisher unbekannten Nachrichten und Kenntnissen zu bemächtigen. Ihre Erziehung und Bildung war, wie der Leser bemerkt haben wird, weit über ihre Stellung im Leben, und ihr Auge flog über die Briefe, Blatt für Blatt, mit einer Leichtigkeit hin, welche Folge ihrer guten Schule, zugleich aber auch mit einer Gier, welche das natürliche Ergebniß ihrer Gefühle war. Zuerst war das Mädchen sichtlich erfreut, und wir dürfen beisetzen mit Grund; denn die Briefe, von Frauen geschrieben, voll Unschuld und Zärtlichkeit, waren der Art, daß sie ihr wohl einigen Stolz einflößen konnten auf diejenigen, mit welchen sie, wie sie mit allem Grund glaubte, durch Bande des Blutes enge verbunden war. Es paßt jedoch nicht in unsern Plan, von diesen Briefen Mehr mitzutheilen, als einen allgemeinen Begriff ihres Inhalts, und dieß wird am besten geschehen, wenn wir die Wirkung schildern, welche sie auf das Benehmen, die äußere Erscheinung und die Gefühle des Mädchens hervorbrachten, das sie so begierig durchlief.

Es ist schon gesagt worden, daß Judith eine große Freude über die Briefe hatte, die ihr zuerst unter die Augen kamen. Sie enthielten die Briefe einer zärtlichen und liebevollen Mutter an eine entfernte Tochter, mit solchen Hindeutungen auf die Antworten, welche großen Theils die Lücke der fehlenden Erwiederungen auszufüllen dienten. Sie waren jedoch nicht ohne Ermahnungen und Warnungen, und Judith fühlte sich das Blut in die Schläfe steigen, und dann einen kalten Schauer, als sie einen Brief las, worin die Schicklichkeit davon, daß die Tochter sich einem so innigen und vertraulichen Verhältniß, wie diese selbst es in einem ihrer Briefe mußte geschildert haben, mit einem Officiere hingab, ›der von Europa kam, und von dem kaum anzunehmen war, daß er in Amerika eine ehrenhafte Verbindung zu schließen gesonnen sey,‹ in ziemlich kaltem Tone von der Mutter erörtert wurde. Ein seltsamer Umstand war, daß die Unterschriften bei allen diesen Briefen sorgfältig weggeschnitten und so oft ein Name im Brief selbst vorkam, dieser mit solcher Pünktlichkeit herausradirt war, daß man ihn unmöglich lesen konnte. Sie waren alle in Couvert’s eingeschlossen gewesen, der Sitte jener Zeit gemäß, und es fand sich auch nicht Eine Adresse. Doch waren die Briefe selbst mit gewissenhafter Sorgfalt aufbewahrt worden, und Judith glaubte auf einigen Spuren von Thränen entdecken zu können. Sie erinnerte sich jetzt, den kleinen Koffer vor ihrer Mutter Tod in der Verwahrung von dieser gesehen zu haben, und sie vermuthete, er sey nebst den andern vergessenen oder verheimlichten Gegenständen in der Kiste aufbewahrt worden, als die Briefe Nichts mehr zum Kummer oder zum Glück dieser Mutter beitragen konnten.

Dann kam ein andres Packet Briefe, und diese waren voll von Betheurungen der Liebe, allerdings mit Leidenschaft geschrieben, aber auch mit jener trügerischen Ueberredung, welcher gegenüber dem andern Geschlecht sich zu bedienen, die Männer so oft sich glauben gestatten zu dürfen. Judith hatte über das erste Packet reichliche Thränen vergossen, aber jetzt empfand sie sich durch ein Gefühl von Entrüstung und Stolz mehr aufrecht gehalten. Aber ihre Hand zitterte, und kalte Schauer zuckten durch ihren Leib, als sie auf einige Punkte stieß, welche starke Ähnlichkeit hatten mit Briefen, die zu erhalten ihr Schicksal gewesen war. Einmal legte sie wirklich das Packet hin, beugte ihr Haupt auf die Kniee nieder, und schien beinahe Krämpfe zu bekommen. Wildtödter saß diese ganze Zeit über da, ein stummer aber aufmerksamer Beobachter von Allem, was vorging. Wenn Judith einen Brief gelesen, gab sie ihn ihm, um ihn zu halten, bis sie den nächsten las; aber dieß schien ihren Genossen in keiner Weise aufzuklären, da er des Lesens gänzlich unkundig war. Doch war er nicht ganz auf dem falschen Wege in der Deutung und Enträthselung der Leidenschaften, die in der Brust des schönen Wesens neben ihm kämpften, und da ihr von Zeit zu Zeit leise gemurmelte Sätze und Ausrufe entschlüpften, war er in seinen Ahnungen oder Vermuthungen der Wahrheit näher, als dem Mädchen lieb gewesen wäre, wahrzunehmen.

Judith hatte begonnen mit den frühesten Briefen, was günstig war für ein schnelles Verständniß der Geschichte, die sie enthielten; denn sie waren sorgfältig in der Zeitfolge geordnet, und offenbarten Jedem, der sich die Mühe nahm, sie zu durchlesen, eine traurige Geschichte von befriedigter Leidenschaft, Kälte und endlicher Abneigung. Wie sie den Schlüssel dieses Inhalts gewonnen hatte, duldete ihre Ungeduld keinen Aufschub, und sie überlief rasch mit dem Auge ein ganzes Blatt, um auf die möglichst kurze Weise hinter die Wahrheit zu kommen. Mittelst dieses Verfahrens, zu dem Alle, die verlangend sind, ein Resultat zu erreichen, ohne sich mit Details zu belästigen, so gerne greifen, schritt Judith sehr schnell vor in dieser traurigen Enthüllung von ihrer Mutter Fehltritten und Strafe. Sie sah, daß der Zeitpunkt ihrer Geburt deutlich bezeichnet war, und erfuhr selbst, daß der einfache Name, den sie trug, ihr von dem Vater gegeben ward, von dessen Person sie einen so schwachen Eindruck behalten hatte, daß er fast einem Traume glich. Dieser Name war im Text der Briefe nicht ausgelöscht, sondern stand darin, als wäre durch seine Auslöschung Nichts zu erzielen gewesen. Hetty’s Geburt ward einmal erwähnt und dießmal war es der Name der Mutter; aber noch vor diesem Zeitpunkt traten die Anzeichen der Kälte ein, düstre Vorboten der Treulosigkeit, deren verlassenes Opfer sie bald wurde. In diesem Stadium der Correspondenz war es, daß ihre Mutter darauf verfallen war, eine Abschrift von ihren eigenen Briefen zu nehmen. Es waren dieser nur wenige, aber sie sprachen beredt die Empfindungen zerstörter Zärtlichkeit und der Zerknirschung aus. Judith schluchzte darüber, bis sie sich zu wiederholtenmalen genöthigt sah, sie wegzulegen, aus förmlichem, physischem Unvermögen zu sehen und zu lesen, da ihre Augen von Thränen im buchstäblichen Sinne verdunkelt waren. Doch kehrte sie immer wieder mit gesteigertem Interesse zu ihrer Aufgabe zurück, und endlich gelangte sie glücklich bis zum Schluß der letzten Mittheilung wahrscheinlich, die zwischen ihren Eltern ausgetauscht wurde.

Alles dieß nahm eine volle Stunde weg; denn beinahe hundert Briefe hatte sie mit einem Blick überflogen und etwa zwanzig genau durchlesen. Die Wahrheit lag jetzt klar vor dem scharfblickenden Geiste Judiths, was ihre und Hettys Geburt betraf. Sie ward tief betrübt bei dieser Ueberzeugung, und für den Augenblick war ihr die ganze übrige Welt wie abgeschnitten und sie hatte jetzt noch mehr Grund zu dem Wunsche, den Rest ihres Lebens auf dem See hinzubringen, wo sie schon so manche helle und so manche kummervolle Tage erlebt hatte.

Aber es waren noch mehr Briefe zu untersuchen übrig. Judith fand, daß diese eine Correspondenz zwischen ihrer Mutter und Thomas Hovey enthielten. Die Originale von beiden Theilen waren sorgfältig geordnet, Brief und Antwort nebeneinander; und sie erklärten die frühere Geschichte der Verbindung zwischen dem übel zusammenpassenden Paare weit deutlicher als Judith sie zu erfahren gewünscht hatte. Ihre Mutter that die entgegenkommenden Schritte zu einer Heirath zum Erstaunen, um nicht zu sagen: Entsetzen, ihrer Tochter; und es war ihr in der That ein Trost, als sie in den früheren Briefen dieses unglückseligen Weibes schon Spuren von dem entdeckte, was ihr als Wahnsinn auffiel, oder als eine krankhafte Gemüthsverfassung, die an jenen entsetzlichen Zustand grenzte. Die Antworten Hovey’s waren plump und verriethen Mangel an Bildung, obgleich sie ein hinlängliches Verlangen aussprachen, die Hand einer Frau von ausnehmenden persönlichen Reizen zu erlangen, deren große Verirrung er geneigt war zu übersehen in Betracht des Vortheils, eine ihm in jeder Hinsicht überlegene Gattin zu besitzen, die zudem, wie es schien, nicht ganz ohne Geld war. Das Uebrige von diesem Theile des Briefwechsels war kurz, und beschränkte sich bald auf einige wenige Mittheilungen über Geschäftssachen, worin das unglückliche Weib den abwesenden Gatten zur Eile antrieb in seinen Vorbereitungen, eine Welt zu verlassen, die, wie man anzunehmen Grund genug hatte, für das Eine von Beiden ebenso gefährlich, als für das Andere unangenehm war. Aber Ein Ausdruck war ihrer Mutter entschlüpft, woraus Judith den Beweggründen, die sie veranlaßten, Hutter oder Hovey zu heirathen, auf die Spur kam; sie fand diese in dem Gefühl der Erbitterung, das so oft die Mißhandelten verleitet, sich selbst Leiden zuzufügen, um so feurige Kohlen auf das Haupt derjenigen zu sammeln, durch welche sie gelitten haben. Judith hatte genug von dem lebhaften Geist dieser Mutter, um dieß Gefühl zu begreifen, und einen Augenblick sah sie die ausnehmende Thorheit ein, welche solche rachsüchtige Gefühle die Oberhand gewinnen ließ. Hiermit hörte der historische Theil der Papiere, wenn man so sagen darf, auf. Unter den vermischten Bruchstücken jedoch war eine alte Zeitung, einen Aufruf enthaltend, der eine Belohnung bot für die Festnehmung gewisser, mit Namen aufgeführter Freibeuter, worunter auch Thomas Hovey. Die Aufmerksamkeit des Mädchens ward auf diesen Aufruf und auf diesen Namen insbesondere hingelenkt durch den Umstand, daß beide mit Tinte schwarz unterstrichen waren. Sonst fand sich Nichts unter den Papieren, was zur Entdeckung des Namens oder des Wohnorts von Hutter’s Gattin führen konnte. Alle Daten, Unterschriften und Adressen waren von den Briefen weggeschnitten, und wo ein Wort im Text selbst vorkam, das einen Schlüssel liefern konnte, war es auf’s sorgsamste ausgelöscht. So fand Judith alle ihre Hoffnungen, zu erfahren, Wer ihre Eltern gewesen, getäuscht, und sie war genöthigt, in Betreff ihrer ganzen Zukunft wieder auf ihre eignen Hülfsquellen und Lebensgewohnheiten zurückzukommen. Ihre Erinnerung an ihrer Mutter Benehmen, Gespräche und Leiden ergänzten manche Lücken in den jetzt von ihr entdeckten historischen Umständen; und die Wahrheit stand in ihren allgemeinen Umrissen deutlich genug vor ihr, um ihr in der That alle Lust zu benehmen nach weiteren Details. Sie warf sich wieder auf ihren Sitz zurück und bat einfach ihren Genossen, die Untersuchung der übrigen Artikel in dem Schranke zu beendigen, da er noch Etwas von Wichtigkeit enthalten könne.

»Ich will es thun, Judith; ich will es thun,« versetzte der geduldige Wildtödter, »aber wenn noch mehr Briefe zum Lesen darin sind, werden wir die Sonne wieder am Himmel sehen, ehe Ihr mit dem Lesen fertig geworden! Zwei gute Stunden habt Ihr in diese Stücke Papier hineingeschaut!«

»Sie melden mir von meinen Eltern, Wildtödter, und haben meine Pläne für mein Leben bestimmt. Ein Mädchen ist wohl zu entschuldigen, das von seinem eignen Vater und Mutter liest, und dazu noch zum erstenmal in ihrem Leben. Es thut mir leid, daß ich Euch habe lange warten lassen.«

»Seyd unbekümmert wegen meiner, Mädchen, ganz unbekümmert. Es trägt Wenig aus, ob ich schlafe oder wache; aber obschon Ihr lieblich anzusehen und so schön seyd, Judith, ist es doch nicht ganz angenehm, so lange dazusitzen und Euch Thränen vergießen zu sehen. Ich weiß, daß Thränen nicht umbringen, und daß es manchen Leuten besser wird, wenn sie dann und wann ein paar vergießen, besonders Frauen; aber ich möchte Euch doch immer lieber lächeln als weinen sehen, Judith.«

Diese galante Rede ward belohnt mit einem süßen, obwohl melancholischen Lächeln; und dann bat das Mädchen ihren Genossen noch einmal, die Untersuchung des Schrankes zu beendigen. Das Durchsuchen dauerte nothwendig noch einige Zeit, während welcher Judith ihre Gedanken sammelte und ihre Fassung wieder gewann. Sie nahm an der Durchsuchung keinen Antheil, überließ Alles dem jungen Mann, und beobachtete selbst gleichgültig die verschiedenen Artikel, die zum Vorschein kamen. Es fand sich jedoch Nichts weiter von vielem Interesse oder Werth. Ein paar Degen, wie sie damals Gentlemen trugen, einige Schnallen von Silber, oder so stark plattirt, daß sie von Silber schienen, und einige wenige schöne weibliche Kleidungsstücke waren die wichtigsten Funde. Es fiel indessen Judith und Wildtödtern ein, daß manche von diesen Dingen wohl benutzt werden könnten, eine Unterhandlung mit den Irokesen einzuleiten; nur sah dabei der Letztere eine Schwierigkeit, die der Erstern nicht so in die Augen sprang. Das Gespräch ward zuerst wieder über diesen Umstand angeknüpft.

»Und nun, Wildtödter,« sagte Judith, »können wir von Euch sprechen, und von den Mitteln, Euch aus den Händen der Huronen zu befreien. Ein Theil oder Alles, was Ihr in dem Schrank gesehen habt, wird von mir und Hetty mit Freuden hingegeben, um Euch in Freiheit zu setzen.«

»Nun, das ist großmüthig – ja, es ist durchaus mit freigebigem Herzen und freigebigen Händen gehandelt und großmüthig. Das ist die Art bei Weibern, wenn sie eine Freundschaft fassen, so thun sie Nichts halb, sondern sind so bereit, ihr Hab und Gut hinzugeben, als hätte es gar keinen Werth in ihren Augen. Indessen so sehr ich Euch beiden danke, gerade wie wenn der Handel schon geschlossen, und Rivenoak, oder irgend ein Anderer von den Vagabunden hier wäre, um es in Empfang zu nehmen und den Vertrag zu schließen, sind dennoch zwei Hauptgründe, warum das nimmermehr geschehen kann, und ich kann sie Euch sogleich sagen, damit nicht in Euch unwahrscheinliche Erwartungen, oder in mir nicht zu rechtfertigende Hoffnungen rege werden.«

»Welcher Grund kann vorhanden seyn, wenn Hetty und ich bereit sind, Euretwillen diese Kleinigkeiten hinzugeben, und die Wilden geneigt, sie anzunehmen?«

»Das ist’s, Judith – Ihr habt die rechten Ideen, aber sie sind ein wenig aus der Ordnung gerückt, etwa wie wenn ein Hund der Spur rückwärts statt vorwärts folgte. Daß die Mingo’s geneigt seyn werden, diese Dinge anzunehmen, oder Alles, was Ihr ihnen von der Art noch weiter anbieten mögt, ist wahrscheinlich genug; aber ob sie Etwas dafür vergüten werden, ist eine ganz andere Sache. Fragt Euch selbst, Judith, wenn Euch Jemand eine Botschaft schickte, des Inhalts, für den und den Preis könnt Ihr und Hetty diesen Schrank sammt Allem, was er enthält, haben, würdet Ihr es der Mühe werth halten, über einen solchen Handel viele Worte zu verlieren?«

»Ha, dieser Schrank mit Allem was darin ist, ist schon unser; wir hätten keinen Grund, zu kaufen, was schon unser ist.«

»Gerade so rechnen die Mingo’s! Sie sagen, der Schrank sey schon ihr, oder so gut als ihr, und sie wollen für den Schlüssel Niemand großen Dank sagen.«

»Ich versteh‘ Euch, Wildtödter; sicherlich aber sind wir jetzt noch im Besitz des See’s, und können uns im Besitz behaupten, bis Hurry Truppen schickt, um den Feind zu verjagen. Das können wir sicherlich, vorausgesetzt, daß Ihr bei uns bleiben wollt, statt zurückzukehren und Euch wieder als Gefangner auszuliefern, wie Ihr jetzt entschlossen scheint zu thun.«

»Daß Hurry Harry so schwatzte, ist natürlich, und den Gaben des Mannes gemäß. Er versteht es nicht besser, und daher ist nicht zu erwarten, daß er besser fühlt oder besser handelt; aber Judith, ich lege es Euch an’s Herz und an’s Gewissen – würdet Ihr, könnntet Ihr von mir so vortheilhaft denken, als Ihr jetzt, wie ich hoffe und glaube, thut, wenn ich meinen Urlaub vergäße und nicht in’s Lager zurückkehrte?«

»Vortheilhafter von Euch zu denken, Wildtödter, als ich jetzt schon thue, wäre nicht leicht; aber ich würde fortwährend ebenso vortheilhaft von Euch denken – es scheint mir wenigstens so – ich hoffe ich könnte es; denn eine Welt würde mich nicht verlocken, Euch zu Etwas zu veranlassen, was meine wirkliche Meinung von Euch ändern könnte.«

»Dann sucht nicht mich zur Verletzung meines Urlaubs zu verlocken, Mädchen! Ein Urlaub ist etwas Heiliges unter Kriegern und Männern, die ihr Leben in ihren Händen tragen, wie wir in den Wäldern thun; und welch eine schmerzliche Täuschung würde es für den alten Tamenund, und Unkas, den Vater von Schlange, und meine andern Freunde im Stamme seyn, wenn ich mich auf meinem ersten Kriegspfade entehrte? Dieß gilt, das werdet Ihr auch noch einsehen, Judith, ohne daß man ein Gewicht legt auf natürliche Gaben und eines weißen Mannes Pflichten. Nichts zu sagen vom Gewissen. Das ist König bei mir, und ich suche nie seinen Befehlen zu widersprechen.«

»Ich glaube, Ihr habt Recht, Wildtödter,« versetzte das Mädchen nach kurzem Besinnen und mit trauriger Stimme; »ein Mann wie Ihr darf nicht handeln, wie die Selbstsüchtigen und Unehrenhaften zu handeln geneigt seyn würden; Ihr müßt in der That zurückkehren. Wir wollen denn hiervon nicht weiter sprechen; beredete ich Euch zu Etwas, das Euch nachmals leid wäre, so würde meine Reue nicht kleiner seyn als die Eurige. Ihr sollt nicht sagen dürfen, Judith – ich weiß selbst kaum recht, mit welchem Namen ich mich jetzt nennen soll!« »Und warum nicht? – warum nicht, Mädchen? Kinder führen die Namen ihrer Eltern, naturgemäß, und als eine Art Gabe; und warum solltet Ihr und Hetty nicht auch thun, was Andere vor Euch gethan? Hutter war des alten Mannes Name, und Hutter sollte auch seiner Töchter Name seyn; – wenigstens bis Ihr in gesetzmäßiger und heiliger Ehe weggegeben werdet.«

»Ich bin Judith, und nur Judith,« versetzte das Mädchen mit Bestimmtheit, »bis das Gesetz mir ein Recht auf einen andern Namen gibt. Nie will ich wieder den Thomas Hutter’s führen, und auch, mit meiner Einwilligung, Hetty nicht! Hutter war nicht sein eigentlicher Name, wie ich finde; aber hätte er auch ein tausendfaches Recht darauf, das würde mir keines geben. Er war nicht mein Vater, dem Himmel sey Dank! obwohl ich nicht Grund haben mag, stolz zu seyn auf den, der es war!«

»Das ist sonderbar,« sagte Wildtödter, das aufgeregte Mädchen scharf anstarrend, begierig, Mehr zu erfahren, aber nicht geneigt, sich nach Dingen zu erkundigen, die ihn streng genommen, Nichts angingen; »ja, das ist sehr seltsam und ungewöhnlich! Thomas Hutter war nicht Thomas Hutter, und seine Töchter sind nicht seine Töchter! Wer konnte denn Thomas Hutter seyn, und Wer sind seine Töchter?«

»Hörtet Ihr nie Gerüchte flüstern gegen das frühere Leben dieses Mannes, Wildtödter?« fragte Judith, »Obgleich ich für sein Kind galt, erreichten doch selbst mein Ohr solche Gerüchte.«

»Ich will es nicht läugnen, Judith; nein, ich will es nicht läugnen. Gewisse Dinge wurden gesagt, wie man mir erzählt hat; aber ich bin nicht sehr leichtgläubig gegen Gerüchte. So jung ich bin, habe ich doch lange genug gelebt, um zu lernen, daß es zwei Arten von Charakteren in der Welt gibt: solche, die man sich durch Thaten erwirbt, und solche die man durch Zungen erwirbt; und so ziehe ich es vor, für mich selbst zu sehen und zu urtheilen, statt daß ich jeden Rachen, der sich nur in Bewegung setzen mag, meinen Richter werden lasse. Harry Hurry äußerte sich ziemlich gerade heraus über die ganze Familie, als wir hieher reisten; und er ließ eine Anspielung fallen, daß Thomas Hutter in seinen jungen Jahren ein Freibeuter auf dem Wasser gewesen. Unter Freibeuter verstehe ich, daß er anderer Leute Hab‘ und Gut als freie Beute ansah und davon lebte.«

»Er sagte Euch, er sey ein Seeräuber gewesen – unter Freunden ist es nicht nöthig, die Sachen zu beschönigen. Lest das, Wildtödter, und Ihr werdet sehen, daß er Euch nicht Mehr als die Wahrheit gesagt hat. Dieser Thomas Hovey war der Thomas Hutter, den Ihr kanntet, wie man aus diesen Briefen sieht.«

Wie Judith so sprach mit flammender Wange und mit Augen, die im Glänze wilder Aufregung leuchteten, hielt sie ihrem Genossen das Zeitungsblatt hin, und deutete auf den schon erwähnten Aufruf eines Colonie-Gouverneurs.

»Gott tröste Euch, Judith!« versetzte der Andere lachend, »Ihr könntet eben so gut von mir verlangen, ich solle das drucken oder auch schreiben. Meine Erziehung und Bildung hab‘ ich ganz in den Wäldern erhalten; das einzige Buch, das ich lese, oder lesen mag, ist dasjenige, das Gott aufgeschlagen hat vor allen seinen Creaturen in den edeln Wäldern, breiten Seen, rollenden Strömen, blauen Himmel, Winden, Stürmen, Sonnenschein und andern prächtigen Wundern des Landes! Dieß Buch kann ich lesen, und finde es voll Weisheit und Einsicht.«

»Ich bitte Euch um Verzeihung, Wildtödter,« sagte Judith ernst, mehr beschämt als sie sonst zu seyn pflegte, als sie bemerkte, daß sie unabsichtlich ihrem Genossen eine Anmuthung gemacht, die seinen Stolz verletzen konnte. »Ich hatte Eure Lebensweise vergessen, und am allerwenigsten dachte ich Eurem Gefühl wehe zu thun.«

»Meinem Gefühl wehe zu thun! – warum sollte es meinem Gefühl wehe thun, wenn man von mir verlangt, ich solle lesen, während ich es nicht kann? Ich bin ein Jäger – und ich darf jetzt auch anfangen zu sagen: ein Krieger, und kein Missionär; und daher gelten Bücher und Papier einem Manne wie ich bin, Nichts. Nein, nein, Judith;« und hier lachte der junge Mann herzlich, »nicht einmal zu Pfropfen mag ich sie brauchen, angesehen, daß ein ächter Wildpretschütz immer der Haut eines Rehes sich bedient, wenn er eine solche hat, oder sonst eines Stückes ordentlich zugerichteten Leders. Es gibt Leute, die sagen, Alles was gedruckt ist, sey wahr; in diesem Fall, ich gesteh‘ es, muß ein ungelehrter Mann etwas zu kurz kommen; doch aber kann es nicht wahrer seyn, als was Gott mit eigner Hand gedruckt hat am Himmel, und in den Wäldern, und Strömen und Quellen.«

»Nun gut, also Hutter, oder Hovey, war ein Seeräuber; und da er nicht mein Vater war, kann ich auch nicht wünschen, ihn so zu nennen. Sein Name soll nicht länger mein Name seyn!«

»Wenn Euch der Name dieses Mannes nicht gefällt, so ist ja dann der Name Eurer Mutter da, Judith. Ihr Name kann Euch eben so gut dienen.«

»Ich weiß ihn nicht. Ich habe diese Papiere durchgesehen, Wildtödter, in der Hoffnung eine Andeutung zu finden, vermöge welcher ich entdecken könnte, Wer meine Mutter war; aber ich habe in dieser Beziehung so wenig eine Spur von der Vergangenheit gefunden, als der Vogel bei seinem Flug in der Luft eine zurückläßt.«

»Das ist ungewöhnlich und auch unvernünftig. Eltern sind verpflichtet, ihren Kindern einen Namen zu geben, wenn sie ihnen auch sonst Nichts geben. Nun stamme ich von einer niedrigen Familie, obgleich wir weiße Gaben und eine weiße Natur haben, aber wir sind doch nicht so armselig, daß wir keinen Namen hätten. Bumppo sind wir genannt, und ich habe sagen hören,« hier glühte ein Strahl menschlicher Eitelkeit auf seiner Wange, »daß eine Zeit gewesen, wo die Bumppo’s mehr Ansehen und Einfluß unter den Menschen hatten, als sie jetzt haben.« »Sie verdienten sie nie mehr, als jetzt, Wildtödter, und der Name ist ein guter, Hetty oder ich selbst würden tausendmal lieber Hetty Bumppo, oder Judith Bumppo uns nennen lassen, als Hetty oder Judith Hutter.«

»Das ist eine moralische Unmöglichkeit,« versetzte der Jäger gutmüthig, »falls nicht Eine von Euch sich so weit erniedrigen sollte, mich zu heirathen.«

Judith konnte sich eines Lächelns nicht erwehren, als sie sah, wie einfach und natürlich das Gespräch sich eben auf den Punkt gewendet hatte, wohin es zu führen ihr Augenmerk gewesen war. Obwohl keineswegs unweiblich oder frech, weder in ihren Gefühlen noch in ihrem Benehmen, war das Mädchen doch gestachelt durch das Gefühl nicht ganz verdienter Unbilden, aufgeregt durch die Hülflosigkeit einer Zukunft, die keinen Ruheplatz zu bieten schien, und noch mehr beherrscht von Gefühlen, die ihr eben so neu waren, als sie sich heftig und mächtig zeigten. Die Gelegenheit war daher zu gut, um versäumt zu werden, wiewohl sie ihrem Gegenstand recht auf den Umwegen und mit der vielleicht entschuldbaren List und Gewandtheit eines Weibes näher rückte.

»Ich denke nicht, daß Hetty je heirathen wird, Wildtödter,« sagte sie; »wenn Euer Name von Einer von uns geführt werden soll, so muß ich diese Eine seyn.«

»Es hat auch schöne Weiber gegeben, so sagt man mir, unter den Bumppo’s, Judith, vor diesen Zeiten; und wenn Ihr den Namen Euch gefallen ließet, so ungewöhnlich Ihr seyd in diesem Punkt, Solche, welche die Familie kennen, würden nicht so sehr überrascht seyn.«

»Das ist aber nicht gesprochen, wie es uns Beiden geziemt, Wildtödter; denn was über einen solchen Gegenstand zwischen Mann und Weib verhandelt wird, das sollte im Ernst und mit aufrichtigem Herzen geredet seyn. Der Verschämtheit vergessend, welche in den meisten Fällen Mädchen den Mund schließen muß, bis man zu ihnen spricht, will ich mit Euch so offen sprechen und handeln, wie es nach meiner vollen Ueberzeugung einem Manne von Eurer großmüthigen Natur am liebsten seyn muß. Könnt Ihr glauben – glaubt Ihr, Wildtödter, daß Ihr glücklich seyn könntet mit einem solchen Weibe, wie ein Mädchen, wie ich, eins geben würde?«

»Ein Mädchen wie Ihr, Judith! Aber was hat es für einen Sinn, über so Etwas zu spaßen und zu tändeln? Ein Mädchen wie Ihr, das schön genug ist, um eines Capitains Lady zu werden, und fein genug, und so viel ich verstehe, gebildet genug, kann wohl wenig geneigt seyn, daran zu denken, mein Weib zu werden. Ich denke, junge Mädchen, welche fühlen, daß sie proper und flott sind, und wissen, daß sie schön sind, finden eine gewisse Genugthuung darin, ihre Scherze zu treiben mit Solchen, die keines von beiden sind, wie ein armer Delawaren-Jäger.«

Dieß war in gutmüthigem Tone gesprochen, doch nicht ohne daß sich ein Gefühl verrieth, welches zeigte, daß Etwas, wie verletzte Empfindlichkeit ihren Antheil an dieser Antwort hatte. Nichts hätte begegnen können, was in höherem Grade Judiths großmüthige Reue erregen, oder sie mehr in ihrem Vorhaben bestärken und ihr dabei zu Hülfe kommen mußte, indem so zu ihren andern Beweggründen und Antrieben auch noch der Sporn eines uneigennützigen Wunsches: eine Kränkung gut zu machen, hinzukam, welcher Alles in eine so natürliche und gewinnende Gestalt kleidete, daß dadurch der unangenehme Zug einer ihrem Geschlecht nicht wohl anstehenden vorlauten Zudringlichkeit nicht wenig gemildert wurde.

»Ihr thut mir Unrecht, wenn Ihr mir einen solchen Gedanken oder Wunsch zutraut,« antwortete sie ernst. »Nie in meinem Leben war es mir größerer Ernst, und nie war ich bereitwilliger, bei jeder Verabredung, die wir heute Nacht treffen mögen, fest zu bleiben. Ich habe viele Bewerber gehabt, Wildtödter, – ja, kaum ist ein unverheiratheter Jäger oder Fallensteller seit den letzten vier Jahren an den See gekommen, der mir nicht angeboten hätte, mich mit sich zu nehmen, und ich fürchte auch einige, die verheirathet waren –«

»Ja, das will ich wohl glauben!« unterbrach sie der Andere – »ja, das will ich Alles wohl glauben! Alle zusammengenommen, Judith, trägt die Erde keine Sorte von Menschen, die so selbstsüchtig wäre, und so gleichgültig gegen Gott und sein Gesetz.«

»Nicht Einem von ihnen wollte ich – konnte ich mein Ohr leihen; ein Glück vielleicht für mich, daß dieß so war. Es sind auch gut aussehende junge Männer daruntergewesen, wie Ihr an Eurem Bekannten habt sehen können, an Harry March.«

»Ja Harry ist scheinbar fürs Auge, obwohl, nach meinen Ideen, weniger für das Urtheil. Ich glaubte im Anfang, Ihr seyet gemeint, ihn zu nehmen, ja wirklich: aber eh‘ er wegging, war es leicht genug, sich zu überzeugen, daß dieselbe Hütte nicht groß genug für Euch Beide seyn würde.«

»Ihr habt mir hierin wenigstens Gerechtigkeit widerfahren lassen, Wildtödter. Hurry ist ein Mann, den ich nie heirathen könnte, wenn er auch zehnmal hübscher wäre für das Auge, und ein hundertmal männlicheres Herz besäße, als er hat.«

»Warum nicht, Judith, warum nicht? Ich gestehe, ich bin neugierig zu erfahren, warum ein junger Mann wie Hurry nicht Gunst finden sollte bei einem Mädchen wie Ihr?«

»Dann sollt Ihr es auch erfahren, Wildtödter,« versetzte das Mädchen, freudig die Gelegenheit benützend, diejenigen Eigenschaften zu preisen, welche sie an dem Frager so lebhaft interessiert hatten, und in der Hoffnung, auf diesem Wege unvermerkt dem ihr am meisten am Herzen liegenden Gegenstand näher zu rücken. »Erstlich ist das Aussehen bei einem Mann von keiner Bedeutung für ein Weib, vorausgesetzt, daß er männlich und nicht entstellt und mißgestaltet ist.«

»Da kann ich Euch nicht ganz beistimmen,« versetzte der Andere nachdenklich, denn er hatte eine sehr bescheidne Meinung von seiner eignen persönlichen Erscheinung; »ich habe bemerkt, daß die hübschesten Krieger gewöhnlich die am besten aussehenden Mädchen des Stammes zu Weibern bekommen; und Schlange drüben, der manchmal wundervoll sich ausnimmt in seiner Bemalung, ist der allgemeine Liebling bei allen jungen Delawarinnen, obgleich er selbst sich an Hist hält, als wäre sie die einzige Schönheit auf der Welt!«

»Es mag so seyn bei den Indianerinnen, aber bei weißen Mädchen ist es ganz anders. Wenn nur der junge Mann einen geraden und männlichen Körper hat, der verspricht, er werde ein Weib zu schützen im Stande seyn, und den Mangel fern vom Hause zu halten, fragen sie nicht weiter nach dem Aussehen. Riesen wie Hurry mögen wohl zu Grenadieren taugen, aber gelten Wenig als Liebhaber. Dann, was das Gesicht betrifft, eine ehrliche Miene, eine, die für das Herz innen bürgt, ist Mehr werth, als Züge oder Farbe, oder Augen, oder Zähne, oder solche Kleinigkeiten. Die letztern mögen wichtig seyn bei Mädchen, aber Wer denkt daran bei einem Jäger, oder Krieger, oder Ehemann! Wenn es so einfältige Weiber gibt, so gehört Judith wenigstens nicht darunter.«

»Nun, das ist wunderbar! Ich dachte immer, Schöne haben Gefallen an Schönen, wie Reiche an Reichen!«

»Es mag so seyn bei den Männern, Wildtödter, aber es ist nicht immer so bei uns Frauen. Wir haben Gefallen an Männern von tüchtigem Herzen, aber wir wünschen sie bescheiden zu sehen, sicher auf einer Jagd oder auf dem Kriegspfad, bereit für das Rechte und Gute zu sterben, und unfähig, dem Unrecht nachzugeben. Vor Allem verlangen wir Ehrlichkeit – Zungen, die sich nicht dazu brauchen lassen, zu sagen, was das Herz nicht meint, und Herzen, die ein Wenig für Andere fühlen, so gut wie für sich selbst. Ein treuherziges Mädchen könnte für einen solchen Gatten sterben, während der prahlerische und doppelzüngige Bewerber dem Auge nachgerade so verhaßt wird, wie er es dem Gemüthe ist.«

Judith sprach mit Bitterkeit, und mit ihrem gewöhnlichen Nachdruck, aber ihr Zuhörer war zu sehr betroffen von der Neuheit der Empfindung, die ihn ergriff, als daß er auf ihren Ton hätte viel achten sollen. Es lag etwas so Wohlthuendes für die Bescheidenheit eines Mannes von seiner Gemüthsart darin, Eigenschaften, welche zu besitzen er sich nothwendig bewußt war, so hoch gepriesen zu hören von dem lieblichsten Mädchen, das er je gesehen, daß für den Augenblick seine Geisteskräfte ganz aufgegangen schienen in einem sehr natürlichen und entschuldbaren Stolze. Da durchzuckte die Idee der Möglichkeit, daß ein Wesen wie Judith seine Lebensgefährtin werden könnte, zum erstenmal sein Gemüth. Das Bild war so lieblich und so neu, daß er länger als eine Minute völlig darin versunken blieb, gänzlich achtlos für die schöne Wirklichkeit, die vor ihm saß, den Ausdruck seines geraden und wahrhaftigen Gesichts mit einer Schärfe beobachtend, die ihr einen sehr schönen, wenn auch nicht durchaus richtigen Schlüssel zu seinen Gedanken gab. Nie zuvor war ein so reizendes Traumgesicht vor dem geistigen Auge des jungen Jägers geschwebt; aber vorzugsweise ans Praktische gewöhnt, und wenig geneigt, sich der Gewalt seiner Einbildungskraft zu unterwerfen, so viel ächtes poetisches Gefühl er auch namentlich in Beziehung auf Gegenstände der Natur besaß, faßte sich seine Vernunft bald wieder, und er lächelte über seine eigne Schwäche, als das Phantasiegebilde vor seinem geistigen Auge entschwand, und er wieder das einfache, ungelehrte, aber sittlich hochstehende Wesen wie zuvor war, in der Arche Thomas Hutter’s, beim Licht der einsamen Lampe dasitzend um Mitternacht, das holde Antlitz der vermeintlichen Tochter des geschiedenen Besitzers ihn anstrahlend mit ängstlich forschenden Blicken.

»Ihr seyd wundervoll schön, und verlockend und lieblich anzuschauen, Judith!« rief er in seiner Einfalt, als die Wirklichkeit ihre Macht über die Phantasie behauptete. »Wundervoll! Ich erinnere mich nicht, je ein so schönes Mädchen gesehen zu haben, selbst nicht unter den Delawaren; und ich bin nicht erstaunt darüber, daß Hurry Harry ebenso erbittert als getäuscht fortging!«

»Hättet Ihr gewollt, Wildtödter, daß ich das Weib eines Mannes wie Henry March geworden wäre?«

»Es spricht Manches zu seinen Gunsten, und wieder Anderes gegen ihn. Nach meinem Geschmack würde Hurry nicht eben den besten Ehemann abgeben, aber ich fürchte, der Geschmack der meisten jungen Weiber hier herum würde sich nicht so hart über ihn aussprechen.«

»Nein – nein – Judith ohne einen Namen würde nimmermehr einwilligen, Judith March genannt zu werden! Alles wäre noch besser als das

»Judith Bumppo würde nicht so gut lauten, Mädchen; und noch manche Namen würden, was den Wohlklang fürs Ohr betrifft, gegen March zurückstehen.«

»Ach! Wildtödter, der Wohlklang in solchen Fällen kommt nicht durch’s Ohr, sondern durch’s Herz. Alles ist angenehm, wenn das Herz davon befriedigt ist! Wäre Natty Bumppo Henry March, und Henry March Natty Bumppo, so würde mir der Name March schöner vorkommen als er ist; oder wäre er Ihr, so würde ich den Namen Bumppo abscheulich finden!«

»Das ist es gerade – ja, das ist der Grund der Sache. So ich, ich bin von Natur ein Feind von Schlangen, und hasse selbst das Wort, was, wie mir die Missionäre sagen, in der menschlichen Natur liegt, wegen einer gewissen Schlange bei der Erschaffung der Welt, welche das erste Weib überlistete; und doch seitdem Chingachgook den Titel sich erworben, den er jetzt trägt, ha, jetzt ist der Laut meinem Ohr so angenehm, als das Pfeifen des Ziegenmelkers an einem heitern Abend, ja gewiß! Die Gefühle machen allen Unterschied auf der Welt, Judith, in der Natur der Laute; ja sogar auch beim Aussehen.«

»Das ist so wahr, Wildtödter, daß ich überrascht bin darüber daß Ihr es bemerkenswerth findet, wenn ein Mädchen, welches selbst ziemlich hübsch seyn mag, es nicht für nothwendig hält, daß ihr Gatte denselben Vorzug, oder was Euch als ein Vorzug erscheint, besitze. Mir gilt das Aeußere an einem Manne Nichts, vorausgesetzt, daß sein Gesicht so ehrlich ist wie sein Herz.«

»Ja, Ehrlichkeit ist ein großer Vortheil auf die Länge; und die es am ehesten vergessen am Anfang, lernen das oft am besten am Ende. Aber doch, Judith, gibt es Mehrere, die auf den augenblicklichen Gewinn eher sehen, als auf den Segen, der nachher erst kommt. Jenen halten sie für etwas Gewisses, und diesen für etwas Ungewisses. Ich bin aber froh, daß Ihr die Sache im rechten Licht anseht, und nicht in der Art, wie so Viele, die sich gerne selbst täuschen.«

»Ich sehe sie so an, Wildtödter,« versetzte das Mädchen mit Nachdruck, immer noch mit dem Zartgefühl des Weibes zurückbebend von einem unmittelbaren Antrage ihrer Hand, »und kann von Grund meines Herzens versichern, daß ich lieber mein Glück einem Manne anvertrauen würde, auf dessen Wahrhaftigkeit und Gemüth man sich verlassen kann, als einem falschzüngigen und falschherzigen Elenden, der Kisten voll Gold, und Häuser und Ländereien hätte – ja, säße er selbst auf einem Thron!«

»Das sind wackre Worte, Judith; es sind recht wackre Worte; aber meint Ihr, daß die Gefühle gleichen Schritt damit halten würden, wenn die Wahl wirklich vor Euch läge? Wenn ein munterer und galanter Herr in einem Scharlachrock auf der einen Seite stände, sein Kopf duftend wie der Fuß eines Hirsches, sein Gesicht glatt und blühend wie das Eurige, seine Hände so weiß und weich, als ob Gott nicht darüber ausgesprochen hätte, daß der Mann im Schweiß seines Angesichts sein Brod essen soll, und sein Schritt so leicht, als Tanzmeister und ein leichtes Herz ihn nur immer machen können; und auf der andern Seite stände Einer, der seine Tage in der freien Luft verlebt hat, bis seine Stirne so roth geworden wie seine Wange, der sich durch Moräste und Büsche hindurchgearbeitet, bis seine Hand so rauh geworden wie die Eichen, unter denen er schlief; der die Witterung des Wildes verfolgt hat, bis sein Schritt so verstohlen geworden wie der des Panthers und der keinen Wohlgeruch an sich hätte, als welchen die Natur in der freien Luft und im Walde gibt – wenn jetzt diese beiden Männer hier ständen, als Werber um Eure Neigung; welcher, glaubt Ihr, würde Eure Gunst gewinnen?«

Judiths schönes Angesicht flammte; denn das Bild, das ihr Gesellschafter so unbefangen entworfen von einem lustigen Officier der Garnisonen, war einst ihrer Phantasie besonders angenehm gewesen, obwohl Erfahrung und Täuschung jetzt nicht nur alle ihre Gefühle erkältet, sondern ihnen auch eine entgegengesetzte Richtung gegeben hatte, und das vorübergehende Bild übte einen augenblicklichen Einfluß auf ihre Empfindungen; aber auf die ihr in’s Gesicht getretene Röthe folgte eine so tödtliche Blässe, daß sie ganz geisterhaft erschien.

»So wahr Gott mein Richter ist,« antwortete das Mädchen feierlich, »ständen diese beiden Männer vor mir, wie denn der Eine, ich darf es sagen, wirklich vor mir steht, meine Wahl würde, wenn ich mein eigenes Herz kenne, auf den Letztern gehen. Ich wünsche mir keinen Gatten, der irgend vornehmer ist als ich.«

»Das ist lieblich zu hören, und könnte einen jungen Mann wohl verführen, eine Zeit lang seine eigene Unwürdigkeit zu vergessen, Judith! Indeß, Ihr bedenkt doch kaum Alles, was Ihr sprecht! Ein Mann wie ich, ist zu roh und zu unwissend für ein Mädchen, das eine solche Mutter gehabt hat, sie zu lehren; Eitelkeit ist natürlich, glaub‘ ich; aber eine solche Eitelkeit würde die Vernunft überschreiten!«

»Dann wißt Ihr nicht, wessen eines Weibesherz fähig ist! Roh seyd Ihr nicht, Wildtödter, auch kann der nicht unwissend genannt werden, der, was vor seinen Augen ist, so genau studirt hat wie Ihr! Wenn die Neigung im Spiele ist, erscheinen alle Dinge in ihren lieblichsten Farben, und Kleinigkeiten werden übersehen oder vergessen. Wenn es im Herzen Sonnenschein ist, so ist Nichts düster und selbst trüb aussehende Gegenstände erscheinen hell und heiter; und so wäre es auch bei Euch und dem Mädchen, das Euch liebte, obwohl Euer Weib vielleicht in manchen Dingen Euch überlegen seyn möchte, wie die Welt es nennt.«

»Judith, Ihr stammt von viel vornehmeren Leuten in der Welt ab, als ich; und ungleiche Ehen, wie ungleiche Freundschaften, nehmen selten ein gutes Ende. Ich rede von dieser Sache ganz als von einer bloßen Einbildung, sintemal es von Euch wenigstens nicht wahrscheinlich ist, daß Ihr sie als Etwas behandeln solltet, was wirklich zu Stande kommen könnte.«

Judith heftete ihre tiefblauen Augen auf das offene, freimüthige Gesicht ihres Genossen, als wollte sie in seiner Seele lesen. Nichts verrieth hier einen versteckten Sinn, und sie war genöthigt, sich selbst zu gestehen, daß er das Gespräch als eine bloße Erörterung mehr von Grundsätzen als von Thatsachen betrachtete, und daß er noch ohne allen Verdacht sey, ihre Gefühle möchten ernstlich bei dem Ausgang und Ergebniß betheiligt seyn. Zuerst fühlte sie sich gekränkt; dann sah sie die Ungerechtigkeit ein, die Bescheidenheit und Selbsterniedrigung des Jägers ihm zum Verbrechen zu machen; und diese neue Schwierigkeit verlieh dem Stand der Dinge einen eigenthümlichen Reiz, der ihr Interesse für den jungen Mann wohl noch steigerte. In diesem kritischen Augenblick blitzte in ihrem Geist eine Veränderung ihres Planes auf, und mit einer Raschheit der Erfindung, welche besonnenen und geistesgegenwärtigen Menschen eigen ist, faßte sie jetzt einen Entwurf, der ihn, wie sie hoffte, wirksam und sicher an sie binden sollte. Dieser Entwurf trug eben so Viel von der Fruchtbarkeit ihrer Erfindungsgabe, als von der Entschiedenheit und Kühnheit ihres Charakters an sich. Damit jedoch das Gespräch nicht zu rasch abbreche, oder ein Verdacht von ihrer Absicht in Wildtödter rege werde, beantwortete sie seine letzte Bemerkung so ernst und wahrhaft, als wäre ihr ursprüngliches Vorhaben ganz unverändert geblieben.

»Ich habe gewiß keinen Grund, mich meiner Abstammung zu rühmen, nach dem, was ich heute Nacht erfahren habe,« sagte das Mädchen in traurigem Tone. »Ich habe eine Mutter gehabt, das ist wahr; aber nicht einmal ihren Namen weiß ich; und was meinen Vater betrifft, so ist es vielleicht besser, ich erfahre nie, Wer er gewesen, damit ich nicht zu bitter von ihm spreche!«

»Judith!« sagte Wildtödter, freundlich ihre Hand ergreifend und mit einer männlichen Aufrichtigkeit, die dem Mädchen an’s Herz griff, »es ist besser, wir sprechen heute Nacht Nichts weiter. Schlaft über dem, was Ihr gesehen und empfunden habt; am Morgen nehmen sich vielleicht Dinge, die jetzt düster erscheinen, freundlicher aus. Vor Allem, thut nie Etwas in der Bitterkeit des Herzens, oder weil Euch so zu Muthe ist, als nähmet Ihr gern an Euch selbst Rache für anderer Leute Verkehrtheiten. Alles was heute Nacht zwischen uns gesprochen und verhandelt worden, ist Euer Geheimniß, und ich werde nie davon reden, selbst nicht mit Schlange; und seyd gewiß, wenn er es nicht aus mir heraus kriegt, so kriegt es Niemand heraus. Wenn Eure Eltern sündhaft gewesen sind, so sey es die Tochter desto weniger; bedenkt, daß Ihr jung seyd, und die Jungen dürfen immer auf bessere Zeiten hoffen; daß Ihr schnelleren Verstandes seyd als gewöhnlich ist, und Solche meist leichter über Schwierigkeiten wegkommen, und daß Eure Schönheit eine ungemeine ist; das ist ein Vortheil bei Allen. Es ist Zeit, ein wenig Ruhe zu genießen, denn Morgen wird wohl für Eins oder das Andere von uns ein Tag heißer Prüfung werden.«

Mit diesen Worten stand Wildtödter auf, und Judith hatte keine Wahl als ihm zu folgen. Der Schrank ward geschlossen und verwahrt, und sie trennten sich schweigend; sie ging, um neben Hist und Hetty ihr Lager einzunehmen, und er suchte sich einen Teppich aus dem Boden der Cajüte, worin er war. Es dauerte kaum fünf Minuten, so lag der junge Mann schon in tiefem Schlafe; das Mädchen aber wachte noch lange. Sie wußte selbst nicht, sollte sie bedauern oder sich freuen, daß ihr nicht gelungen, sich verständlich zu machen. Einerseits war ihrem weiblichen Zartgefühl ein Opfer erspart, andererseits aber empfand sie den Verdruß, ihre Hoffnungen vereitelt, oder doch hinausgeschoben zu sehen, und die Ungewißheit einer so dunkel aussehenden Zukunft. Dann kam der neue Entschluß und der kecke Plan für Morgen; und als Schläfrigkeit ihr endlich die Augen schloß, war das Letzte, was sie noch schauten, ein Bild des glücklichen Erfolges, das ihre Phantasie unter dem Einfluß eines sanguinischen Temperaments und einer glücklichen Erfindungsgabe entwarf und ausmalte.